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Der letzte Ritter: Dunkle Prophezeiung
Der letzte Ritter: Dunkle Prophezeiung
Der letzte Ritter: Dunkle Prophezeiung
eBook361 Seiten5 Stunden

Der letzte Ritter: Dunkle Prophezeiung

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Über dieses E-Book

Nach dem plötzlichen Verschwinden ihres Vaters, muss die 15-jährige Kantorka Widerwillen auf das "Draculaschloss" ihrer verhassten Verwandten, den Freemans, ziehen.
Sie weiß, dass die Chancen auf einen angenehmen Aufenthalt nicht besonders gut stehen und bereits am ersten Tag stellt die junge Londonerin mit Erschrecken fest, dass ihr Onkel Falko und ihre Tante Harriet Geheimnisse vor ihr zu verbergen scheinen. Mehr noch: Sie selbst soll plötzlich in die Intrigen und finsteren Vergangenheiten ihrer Familie verstrickt sein.
Angetrieben von dem Gedanken, dass diese sogar Mittel und Wege riskieren würde, damit sie niemals davon erfährt, beginnt sie Nachforschungen anzustellen, um dabei Dinge ans Licht zu bringen, die besser auf ewig verborgen geblieben wären.
Und leider sind geheime Recherchen sogar in einem riesigen Schloss beinahe unmöglich. Verständlich, wenn nachts ein strenger Butler durch die Flure streift, der eigene Kater ständig abhaut und eine hochnäsige Cousine zu den ungünstigsten Zeiten an Kleiderordnungen und Begrüßungsformeln erinnert.
Eine unvermeidliche Katastrophe ist im Anmarsch, die bereits ihre Schatten langsam über London ausbreitet. Es ist ein dunkles Spiel mit einer mächtigen Familie, die ein Geheimnis verbirgt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. März 2016
ISBN9783737589017
Der letzte Ritter: Dunkle Prophezeiung
Autor

Dilara Seier

Dilara S. Seier lebt im Norden Schleswig-Holsteins. Sie begann bereits im Grundschulalter zu schreiben. Es folgten einige Kurzgeschichten und Manuskripte für Schreibwettbewerbe, bis sie mit dreizehn Jahren ihren ersten Roman schrieb. "Der letzte Ritter" gehört zu einer Fantasy-Trilogie. Aktuell arbeitet sie an einem Zweiteiler, der dem Genre Romantasy zuzuordnen ist.

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    Buchvorschau

    Der letzte Ritter - Dilara Seier

    Das Buch

    Kantorka Evergreen muss nach dem plötzlichen Verschwinden ihres Vaters auf das Draculaschloss ihrer Verwandten, den Freemans, ziehen. Doch die Aussichten auf einem angenehmen Aufenthalt sind gleich null. Bereits am ersten Tag stellt die junge Londonerin mit Erschrecken fest, dass ihr Onkel Falko und ihre Tante Harriet Geheimnisse vor ihr zu verbergen scheinen. Mehr noch: Sie selbst soll plötzlich in die Intrigen und finsteren Vergangenheiten ihrer Familie verstrickt sein.

    Wem kannst du noch trauen, wenn dein ganzes Leben ein gestricktes Netz aus Lügen ist?

    Irgendwann ist Schluss. Irgendwann hört jeder Spaß auf.

    Die Autorin

    Dilara Selina Seier, Jahrgang 1999, ist Schülerin und lebt im Norden Schleswig-Holsteins. »Der letzte Ritter« ist ihr erster veröffentlichter Roman, den sie bereits im Alter von dreizehn Jahren verfasste.

    Prolog

    Sie hatte vergessen worüber der Professor ihnen die letzten eineinhalb Stunden ausführlich berichtete, nur war es nicht so, dass sie sich in irgendeiner Art und Weise dafür schämte. Es war nämlich jemand anderes gewesen, der sie in den Anatomie-Kurs eintrug und das ohne sie vorher gefragt zu haben.

    Die wenigen Studenten, die sich mit ihr im Hörsaal aufgehalten hatten, packten gutgelaunt ihre Hefter, Bücher und Notizblöcke zusammen, bevor sie sich links und rechts die Treppen runter begaben. Mehr enttäuscht als schockiert studierte sie eingehend ihre nicht vorhandenen Aufzeichnungen (also das schneeweiße Blatt Papier) und versuchte nicht sich selbst die Schuld dafür zu geben. Die Klausuren rückten mit jedem Tag näher, dabei waren noch nicht ansatzweise Fachinformationen wie die Ausbreitung von Cholera und der Pest, der anatomische Aufbau des menschlichen Kopfes, noch die lateinischen Begriffe einzelner Skelettknochen in ihrem Gehirn gespeichert. Nein, im Gegenteil fühlte sie sich auf gänzlich jedem Teilgebiet und in jedem Kurs als die Außenseiterin, die nie Ahnung von diesen Fach haben würde. Nun, jeder andere vernünftige junge Mensch würde in diesem Fall wohl umgehend Gespräche mit seinem Dozenten führen und darum bitten, ob die Möglichkeit bestünde die Kurse eventuell zu wechseln, oder das Studium vielleicht komplett abzubrechen. Tja, nur zum einen war sie nicht wirklich vernünftig und zum anderen wäre es sowieso das Undenkbarste gewesen, was sie hätte tun können. Es war wahr – sie hatte sich weder dieses Studium ausgesucht, noch dieses Leben, oder die grausige Aufgabe, die sie hier eigentlich hatte. Das war jemand anderes gewesen und diesen Jemand hasste sie. Abgrundtief. Sie würde es immer tun.

    Die Mensa der Universität besetzten um diese Uhrzeit geschätzte zweihundert Studenten. Es war speziell für ihren Geschmack viel zu voll und eindeutig zu laut, deshalb beschloss sie spontan (Spontanität zählte eigentlich nicht wirklich zu ihren Eigenschaften) den folgenden Kurs, der sich um die moderne Medizin drehte, ausfallen zu lassen. Einfach so. Als wäre es völlig unbedeutend, welchen wichtigen Informationsstoff sie dort verpassen würde. Als wäre er schlichtweg unwichtig.

    Die kühle Novemberluft peitschte ihr wie ein harter Schweif ins Gesicht, kaum dass sie einen Fuß über die Schwelle der Ausgangstür setzte. Es war bitterkalt und sie viel zu dünn bekleidet – lediglich mit einem knielangen, braunen Herbstmantel, schwarzen Wollhandschuhen, einem völlig unpassenden Stirnband und Nike-Sportschuhen. Jeder der sie so sehen würde, dachte sicher: Aus welchem Loch ist die denn raus gekrochen? Es wäre ihr egal gewesen.

    Rasch überquerte sie die Straße und steuerte dann zielstrebig auf die Bushaltestelle zu, die heute seltsamerweise ganz verlassen und verloren im weichen Schneebett lag. Ja gut, das lag dann wohl daran, dass es niemand für nötig hielt sich so kurz vor den Semesterferien noch von den Vorlesungen und Kursen fernzuhalten. Alle bis auf sie natürlich. Im Radio hatten sie morgens vor glatten Gehsteigen und Straßen gewarnt. Es könnte also sein, dass sie bei dem energischen Tempo, das sie hier vorlegte, irgendwann noch mal auf der Nase landete. Ach, es wäre ihr gleich. Irgendwie war ihr in letzter Zeit ziemlich vieles egal. Über eine Auswanderung hatte sie sich auch schon das eine oder andere Mal Gedanken gemacht, wusste aber, dass er sie überall finden würde. Egal wo sie war.

    Dieser Gedanke jagte ihr nicht nur einen eiskalten Schauer den Rücken runter, sondern ließ sie ihre Gewissheit ungewollt darin bestärken, dass wenn er jederzeit wusste wo sie war, er sie wohlmöglich auch überwachte. Er musste wissen, dass sie in ihrem Auftrag noch mehr oder weniger am Anfang stand und das beschämenderweise auch nach unglaublichen fünf Monaten. Er würde nicht zufrieden sein, das wusste sie. Er würde wütend sein, das wusste sie. Und wenn dieser Mann wütend war, dann konnte man entweder so schnell es ging Reißaus nehmen, oder sich wie ein winselnder Hund in einer Ecke verkriechen und darauf hoffen, dass er einen verschonte.

    »Hey, willst du mit, oder dir weiter in der Kälte den Arsch abfrieren?«

    Im ersten Moment war ihr gar nicht bewusst, dass der Mann in dem Auto sie gemeint hatte.

    »Gut, dann warte doch auf den Bus«, sagte er eindeutig vergnügt und tat so, als schließe er das heruntergekurbelte Fenster wieder. Seine Stimme kam ihr so unglaublich vertraut vor.

    Verwirrt blinzelnd versuchte sie durch das rege Schneetreiben sein Gesicht zu erkennen, das erwies sich aber leider als echte Herausforderung. »Warten Sie.« Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, trat sie zwei große Schritte an den Wagen heran und glaubte im nächsten Augenblick schon vor Freude und Erleichterung in Ohnmacht fallen zu müssen.

    »Oh mein Gott, Derick!«, stieß sie mühsam hervor, riss ohne lange zu fackeln die Beifahrertür auf (bevor ihre Knie vollständig zu einem Pudding mutierten und ihr schlaffer Körper noch auf dem Gehsteig in sich zusammensank) und vergaß ganz diese wieder zu schließen, sodass unzählige Flocken ins Wageninnere stoben, während sie ihren älteren Bruder so fest an sich drückte, wie wohl noch nie zuvor in ihrem Leben. Jedenfalls glaubte sie, dass es noch nie so fest gewesen war.

    »Was für eine Begrüßung«, lachte er und wiederholte: »Oh mein Gott! Gab es überhaupt mal einen Tag, an dem meine kleine Schwester sich so gefreut hat mich zu sehen!«

    Seine Worte weckten Schuldgefühlte in ihr, obwohl es offensichtlich war, dass er sie nicht ernst meinte. »Du glaubst gar nicht wie froh ich bin dich zu sehen«, hauchte sie in seine Schulter, darum bemüht die Tränen zurückzuhalten. Die letzte Zeit war einfach grauenhaft und nie jemand da gewesen, dem sie davon hätte erzählen können.

    Derick griff mit seinem freien Arm hinter sie und schloss die Tür mit einem einzigen Ruck, bevor der gefühlte Blizzard (der normalerweise draußen tobte) bald das Innenleben des Autos vereiste.

    »Die Jacke ist doch viel zu dünn«, bemerkte er frustriert. »Kein Wunder, dass du beinahe erfroren wärst.«

    Sie lächelte müde und fuhr ihm noch ein letztes Mal durchs frisch geschnittene, dunkelblonde Haar, bevor sie sich langsam aus seiner Umarmung löste und schließlich anschnallte. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern bis der Bus kam.

    Tausende Fragen schossen ihr im Sekundentakt durch den Kopf, nur fühlte sie sich plötzlich so müde und ausgelaugt, dass sie einfach nur den Hinterkopf gegen die Lehne fallen ließ und die Augen schloss. Er schien genauso viele Fragen zu haben und weniger müde zu sein, also erlaubte sie ihm, seine zu stellen und nur darauf zu antworten.

    »Wie geht es dir hier, in London?«

    »Beschissen.«

    Er schwieg kurz, so als wäre er auf diese Reaktion nicht gefasst gewesen. »Und … wieso?«, fragte er vorsichtig, als befürchte er jeden Moment angeschrien zu werden.

    Sie öffnete mühselig ein Auge. »Ich mag Großstädte nicht. Alle meine WG-Mitbewohner sind scheiße, na gut fast alle, und das einzige was ich nach den Kursen und Vorträgen in meine Tasche knülle sind leere, weiße Zettel, die mich irgendwie auszulachen scheinen.« Stöhnend rieb sie sich über die Stirn.

    Derick sog scharf die Luft ein. Mit so etwas hatte er wohl nicht gerechnet.

    »Wieso hast du mich nicht angerufen?«, fragte er in einem so bitterenttäuschten Tonfall, als habe sie ihm gerade erzählt sich mit einem Nobelpreisträger verlobt zu haben, mit dem er sich erst einmal duellieren müsste um weiterhin gut da zu stehen.

    »Die Frage ist doch unnötig, Derick. Du hättest sowieso keine Zeit gehabt, um einfach mal so nach London zu fahren und dich mit den Leuten aus meiner WG anzulegen.« Sie begann damit sich die Schläfen zu massieren.

    »Du meinst also, ich hätte es nicht getan?«

    »Das habe ich nicht gesagt.«

    »Du hast es aber gemeint.«

    »Ich habe gesagt, dass du in den letzten Monaten keine Zeit gehabt hättest.«

    »Darf ich das nicht selbst entscheiden?«

    Danach herrschte erst einmal Stille im Wagen. Er konzentrierte sich verbissen auf den Großstadtverkehr und sie versuchte angestrengt die anschwellenden Kopfschmerzen zu ignorieren.

    »Lass uns nicht streiten, bitte«, seufzte sie bitter.

    »Was haben die dir getan?«, flüsterte er mit zusammengebissenen Zähnen, als wüsste er so seine ansteigende Wut besser unter Kontrolle zu behalten.

    Erschrocken fuhr sie auf. »Oh nein, du hast das falsch verstanden. Das Mädchen ist echt nett und …«

    »Die Jungs?« Er fragte sie wie ein großer besorgter Bruder es eben tat, wenn das männliche Geschlecht im Spiel war und sich vollkommen daneben benahm.

    »Nicht so … nett«, sagte sie leise und ohrfeigte sich im selben Moment auch schon dafür. »Einer ist schwul und die anderen beiden typische Draufgänger – Mädels, Alkohol und Partys. Du verstehst?« Er nickte stirnrunzelnd. »Ich dachte Schwule wären nett, aber dieser scheint richtige Wahrnehmungsstörungen zu haben. Jeden Morgen muss der spaßeshalber Salz in meinen Tee streuen.« Kopfschüttelnd kramte sie in ihrer Tasche nach dem Handspiegel. »Ich wünschte ich könnte zurück nach Schottland, oder wenigstens die WG wechseln.«

    »Das kannst du.« Derick setzte den Blinker an.

    »Was kann ich – zurück nach Schottland oder die WG wechseln?«

    »Beides«, antwortete er ohne lange zu überlegen.

    Entrüstet klappte sie den Spiegel wieder zu und schaute ihn verletzt von der Seite an. »Du weißt ganz genau, dass ich weder das eine noch das andere kann!«

    Ihr Bruder schwieg.

    »Wo fahren wir überhaupt hin?«

    »Na wohin wohl?«, grinste er, als wäre zumindest die halbe Welt wieder in Ordnung, dabei würde sie das nie mehr sein. »Essen – ich sterbe nämlich bald vor Hunger.«

    Sie lachte. »Das sieht dir mal wieder ähnlich.« Im Übrigen erinnerte sie sich gar nicht daran, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Nun, wahrscheinlich gestern in der Mensa. Mit den anderen ihrer WG aß sie nie zusammen – nicht morgens und nicht abends. Die Angst, dass der Schwule nicht vielleicht doch auf die Idee kam irgendetwas ungenießbares in den Salat oder den Aufstrich zu mischen, blieb nämlich einfach zu groß. Manchmal holte sie sich morgens beim Bäcker etwas und am Abend, nach der Uni, aß sie meistens in einem Selbstbedienungsrestaurant. Das war immer noch besser, als sich in der Wohnung wie ein Aal auf dem Boden zu winden und sich die Frage zu stellen, was in Herrgott Namen man da gerade wirklich zu sich genommen hatte.

    »Du stellst mir diese Kerle nach dem Essen mal vor, ja. Die bekommen einen gehörigen Einlauf von mir.« Ohne eine Antwort von ihr zu erwarten, (die wahrscheinlich »Nein, das machst du ganz sicher nicht« gelautet hätte) stieg er aus und knallte die Tür genauso rasch wieder zu.

    Augenrollend tat sie es ihm gleich. Wenn Derick sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann zog er es auch durch – ohne Wenn und Aber. Sie wusste, dass er wusste, dass es das mindeste war was er für sie tun konnte und wünschte sich trotzdem, dass es anders wäre.

    »Ich hoffe du entführst mich nicht in ein Nobelrestaurant.«

    »Bei deinem erbärmlichen Aufzug hast du nicht im Traum daran gedacht, oder?«

    Sie erhob abwehrend die Hände. »Zu meiner Verteidigung habe ich nur zu sagen, dass die Idioten meiner WG Schuld daran sind, dass ich keine ordentlichen Stiefel mehr habe. Letztes Wochenende fand ich den rechten im Blumenbeet und den linken in der Toilette. Du kannst dich also allein bei ihnen bedanken, dass ich heute so pennerhaft herumlaufe.«

    Derick lachte nicht über den Scherz, wahrscheinlich weil er fand, dass es keiner war. Er sagte letztlich auch nichts dazu, doch sie konnte sich denken was er dafür dachte.

    Hinter ihrem letzten gemeinsamen Auswärtsessen lagen mindestens acht Monate. Eindeutig eine viel zu lange Zeit für zwei Geschwister, die für ihr Leben gern aßen. Aber irgendwie hatten sich immer Sachen dazwischen geschoben und heute, da war er plötzlich hier. Einfach so, wie aus dem Boden gewachsen.

    Eine ganze Weile saßen sie nun schon am Fenstertisch des kleinen asiatischen Fast-Food-Restaurants und drehten ihre Nudeln auf die Gabeln, anfangs ohne viel zu reden. Es störte keinen. Als sie an der Theke kurz auf ihre Bestellungen hatten warten müssen, zog plötzlich ein kurzer aber heftiger Schmerz durch ihre Magengegend, was nur damit zu tun haben konnte, dass sie heute noch absolut nichts gegessen hatte. Ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder, der ihr noch vor dem Essen feierlich eröffnete zuvor bei einem Freund ein typisch englisches Frühstück eingenommen zu haben.

    Glückspilz, dachte sie etwas eifersüchtig. Nein, Derick konnte wirklich immer essen, deshalb gefiel ihr die Erkenntnis, die sie wenig später erhielt – nachdem sie ihn von oben bis unten musterte – auch überhaupt nicht.

    »Den Pullover habe ich dir doch erst letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt«, bemerkte sie stirnrunzelnd und legte die Servierte beiseite.

    »Im November, zu meinem Geburtstag«, verbesserte er unwirsch. »Du hattest ihn nach deiner Irlandreise gekauft.«

    »Richtig«, bestätigte sie mit besonders viel Nachdruck.

    Er unterbrach sein Essen und blickte sie an, als bemerke er, dass sie irgendetwas zu erwarten schien. »Wieso fragst du? Ist er verwaschen?« Er begann damit sich den Kragen anzusehen.

    »Nein, nein«, beeilte sie sich zu sagen und fügte dann vorsichtig hinzu: »Findest du nicht, dass er ein bisschen an dir herabhängt?«

    Diesmal legte Derick das Besteck ganz weg, schwieg fortan aber.

    »Mach dich nicht lächerlich. Ich habe recht und damals war das noch nicht so.« Seufzend verschränkte sie beim Zurücklehnen ihre Arme vor der Brust. »Sei ehrlich: Wieviel hast du abgenommen?«

    »Abgenommen«, wiederholte er entgeistert, hielt dann kurz inne und grinste schließlich. »Kein Gramm, Cherry, wirklich. Ich würde eher sagen, dass ich auf meinen Geschäftsreisen in den USA zugenommen habe.«

    Sie wusste, dass er log. Wohlmöglich wusste er auch, dass sie das wusste und trotzdem stritt er es verbissen ab. Er würde niemals freiwillig zugeben, dass die ständigen Flüge in ferne Länder, die hochanspruchsvollen Experimente, mit denen sie die verschiedensten Folterinstrumente testeten und unzähligen Gespräche mit erfolgreichen Historikern ihm langsam zu Kopfe stiegen.

    »Ehrlich gesagt … hätte ich nie gedacht, dass der Beruf als Historiker so anstrengend und nervenraubend ist.«

    Für den Bruchteil einer Sekunde las sie in seinen grauen Augen die unendliche Ermüdung und den Wunsch einfach mal kurz zur Ruhe zu kommen.

    »Egal wie viel Fast-Food du in den USA auch gegessen haben magst, der Stress, der dich plagt, war viel stärker und ist der Grund für deinen Gewichtsverlust.« Es tat ihr ein wenig leid die Karten hier so offen auf den Tisch zu legen, aber Derick würde anders nie zur Einsicht kommen. »Du musst dir unbedingt mal eine Auszeit gönnen.«

    Ihr Bruder schwieg darauf nur bitter und verletzt und sofort tat er ihr noch mehr leid. Doch wie sollte man eine Wahrheit vertuschen, wenn er selbst die Gewissheit war und nun, im wahrsten Sinne des Wortes, mit ihr in einem asiatischen Schnellrestaurant saß. Die Jahre hatten ihn eindeutig magerer gemacht, seine Augen ihren bläulichen Glanz verloren und als wäre das nicht genug, behauptete er jetzt selbst, dass sein Beruf anstrengend und nervenraubend war.

    »Hey, ich will dich nicht bedrängen, verstehst du. Nur entgeht es mir nun mal nicht, dass … Ich möchte einfach, dass du dir das zu Herzen nimmst.« Sie griff über den Tisch nach seiner Hand und drückte sie fest. Es hätte sich zu einem Moment in Stille und mit starken Gefühlen entwickelt, wenn nicht in diesem Augenblick die Tür des Lokals aufgeflogen und die beiden Penner hereingekommen wären.

    »Was ist denn?« Derick spürte ihr Unbehagen und die Anspannung.

    Schnell wandte sie ihr Gesicht zur Fensterscheibe. »Tja, da ist London schon so groß und trotzdem treffen wir die beiden Arschlöcher hier.«

    Er drehte sich misstrauisch zur Theke um und sah dann wieder sie an. »Die beiden da sind aus deiner WG?«

    »Ja, leider.« Sie wünschte inständig die wahre Antwort wäre Nein gewesen.

    Wortlos erhob ihr Bruder sich.

    »Nein bitte, Derick, komm schon das muss nicht sein.« Stöhnend vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Lügen wäre eindeutig schlauer gewesen, denn höchstwahrscheinlich würde der Abend damit enden, dass sie von den fuchsteufelswilden Restaurantbesitzern scharfkantig hinausgeworfen wurden.

    So kam es letztendlich auch.

    »Verdammt, war das denn wirklich nötig!«, schrie sie ihn draußen unverwandt an und versuchte gleichzeitig sein anschwellendes Auge und die Tatsache zu ignorieren, dass er das ausschließlich für sie getan hatte. Nur zu ihrer völligen Verwirrung grinste er einfach nur.

    »Tja, die belästigen dich so schnell nicht mehr wieder. Haben ja nicht wissen können, dass der große Bruder ihrer Mitbewohnerin Träger des letzten Braungurtes im Karate ist.« Er wischte sich mit einem Tuch das Blut von den Lippen.

    Ihr kam es so vor, als spreche er bloß mit sich selbst.

    »Diese Penner sollten froh sein, dass ich ihnen nicht den Arm gebrochen habe.«

    »Und du solltest froh sein, wenn hier nicht gleich die Polizei aufläuft!«, konterte sie wütend. »Ehrlich, ich hätte niemals gedacht, dass du die Skrupel besitzt dich in einem Lokal zu prügeln!«

    »Hey, entspann dich.« Er erhob abwehrend die Hände und vergaß so völlig sich das Tuch auf die Nase zu pressen, aus der im selben Moment ein riesiger Schwall Blut austrat. »Das hab ich für dich getan. Und außerdem habe ich der Besitzerin netterweise zwanzig Pounds Trinkgeld gegeben, weil ich doch so galant war ihre Kundschaft von dannen zu jagen.«

    »Nur hast du mir damit leider kein bisschen geholfen!« Verzweifelt raufte sie sich die Haare, während sie verstört im Kreis ging. »Die verprügeln mich doch sofort, sobald sie mich das nächste Mal sehen!« Ihr war zum Heulen. Nur tat sie es nie. Irgendwann hatte sie es verlernt. Vor vielen Jahren hatte sie häufig geweint und eines Tages beschlossen, dass das nichts ändern würde. Also hatte sie es aufgegeben.

    Mitleidig blickte sie ihren älteren Bruder an, der versuchte das durchtränkte Tuch weiterhin auf seine Nase zu drücken, obwohl das längst nichts mehr brachte und das frische Blut ihm mittlerweile über den Handrücken lief.

    »Nimm das hier.« Sie zog ein neues aus ihrer Jackentasche. Sauer war sie natürlich noch immer, aber längst nicht mehr so zornig, wie noch vor einigen Minuten, als er und die beiden Penner sich im Lokal heftige Schlagabtäusche gaben und den Abend für alle Anwesenden zu einem einzigartigen Spektakel machten.

    Sanft drückte sie das weiße Tuch auf Dericks blutende Nase, welches sich augenblicklich vollsog und schon bald in ein dunkles Rot getränkt war. 

    »Ich hab nicht angefangen«, hauchte er schwach. Seine Hand legte sich auf ihre. »Das waren sie.«

    »Ich weiß …« Einige Sekunden verharrte sie in dieser Stellung und ließ unvermittelt zu, dass er vorsichtig über ihren Handrücken strich, bevor sie sich dieser Berührung entzog.

    Schweigend gingen sie zum Wagen und stiegen ein – Derick nach wie vor mit seiner blutenden Nase beschäftigt und sie mit dem Gedanken, wo um Himmels Willen sie heute schlafen sollte. Fest stand: Zurück zur WG konnte sie nicht mehr. Jetzt erst recht nicht.

    »Hast du wirklich gedacht, ich lass dich zu denen zurück?« Mit geschlossenen Augen hatte ihr Bruder sich zurückgelehnt und den Kopf dabei weit in den Nacken gelegt, um die Blutung zu stoppen. »Hast du wirklich gedacht, ich lass dich jetzt einfach hängen? Nein, ich wollte den Kerlen nur einen Denkzettel verpassen und dann wegfahren.« Er spürte wie schockiert sie ihn von der Seite anstarrte. »Ich bin nicht ohne Grund hier.«

    Kopfschüttelnd wich sie von ihm zurück. »Er würde es mir niemals erlauben.«

    »Was nicht? Dein Leben zu ändern.«

    »Er würde mir gar nichts erlauben.« Sie war selbst zutiefst erschüttert über diese Worte, nur waren sie wahr.

    Derick wollte wohl etwas dazu sagen, doch wurde sein Satz unglücklicherweise von einem Gemisch aus Würgen und Husten verschluckt. Es hörte sich schlimm an. Es war schlimmer, als sie anfangs vermutet hatte.

    »Lehn dich wieder zurück.«

    Er tat wie ihm aufgetragen und ließ sich von ihr erneut ein frisches Tuch auf die Nase drücken.

    »Du weißt doch genau was passiert wenn du Nasenbluten hast, also wieso musstest du dich prügeln?« Sie gab es von jetzt auf gleich auf, ihn anhaltend ihre Wut spüren zu lassen, weil es sowieso nichts gebracht hätte. Er wusste selbst am besten, dass das gerade nicht nett gewesen war – schon gar nicht, wenn man den stolzen Titel eines Karatekas trug. 

    »Halte es weiter drauf.« Sie kramte in ihrer Tasche nach Feuchttüchern. »Wo hast du eigentlich vor hinzufahren, wenn wir … hier fertig sind?«

    »Ich dachte an die Wohnung meines damaligen Studentenkumpels. Er ist momentan verreist und meinte, dass wenn ich mal in London bin und in Schwierigkeiten stecke, dürfte ich jederzeit dort verbleiben.« Sein nuschelnder Tonfall erinnerte ungemein an jemanden, den eine richtig fiese Erkältung plagte. Strafe musste nun mal sein.

    »In Ordnung«, stimmte sie nach kurzem Zögern zu. »Vorher müssen wir aber doch noch mal kurz zur WG fahren, damit ich meine Sachen holen kann.«

    »Natürlich«, willigte er ohne Proteste ein und griff mit der freien Hand schon nach dem Zündschlüssel, da hinderte sie ihn mit einem schelmischen Lächeln daran.

    »Du fährst nicht mehr. Und außerdem war ich noch nicht ganz fertig.« Mit den gefundenen Feuchttüchern wischte sie den letzten Rest Blut von seiner Hand und dem Kinn, stieg dann aus, ging einmal um den Wagen herum und klopfte anschließend herausfordernd gegen die Fensterscheibe.

    »Ich habe dich nicht gebeten.«

    Den gestrigen Abend hatten sie ruhig und gemütlich ausklingen lassen – waren zuerst zur WG gefahren, um die Sachen zu holen, hatten dann im Supermarkt noch einige Einkäufe für die nächsten Tage erledigt und letztendlich müde und geschafft aufs Sofa gefallen und einen Film geschaut. Mittendrin musste sie eingeschlafen und von Derick nachher ins Bett getragen worden sein. Jedenfalls erinnerte sie sich nicht daran, wie sie selbst ins Bett gekommen war.

    Am heutigen Tag war noch nicht entsetzlich viel passiert, außer dass ihr Bruder sie zur Universität gefahren und ein weiterer Anatomie-Kurs stattgefunden hatte, bei dem scheinbar alle etwas verstanden, außer ihr. Das war ausnahmsweise sogar mal nicht völlig egal (im Hinblick auf die näher rückenden Klausuren, versteht sich) doch dachte sie seit dem Frühstück an etwas ganz anderes. »Muss ich irgendetwas wissen? Wenn es jemanden gibt, mit dem ich mich vorher duellieren müsste, dann sagst du mir bitte Bescheid.«

    Derick hatte das sicherlich nur als Geck gesagt und so nicht wissen können, wie viel Wahres dran war und wie goldrichtig er damit lag. Verstehen wollte sie es nach wie vor nicht und zugeben wäre eh undenkbar. Nein, dafür drängten sich viel zu viele andere Sachen in den Vordergrund.

    »Isst du jetzt noch was, oder willst du die Kartoffeln eine weitere halbe Stunde anstarren?« Lisa Brown war der wohl enthusiastischste und offenste Mensch den sie jemals kennenlernen durfte und dies somit eine große Ehre.

    »Wie bitte?« Lustlos pickte sie eine der mittlerweile eiskalten Bratkartoffeln auf und schob sie in den Mund.

    »Denkst du ich bin blind.« Lisa nickte mit dem Kopf in Richtung der Theke. »Ich weiß doch genau, wen du hier seit eurer letzten Begegnung still und klammheimlich beobachtest.«

    Stille.

    »Ich weiß wirklich nicht worauf du hinaus möchtest.«

    Lisa schmiss ihre Gabel beiseite und beugte sich dann weit über den Tisch, sodass sie fast mit der Stirn aneinander stießen. »Ein Mann wie der ist nicht lange single. Sprich ihn einfach noch mal an.«

    Sprich ihn einfach an, Cherry, na los mach schon, äffte sie ihre beste Freundin in Gedanken nach, während sie sich überpünktlich auf den Weg zum großen Hörsaal machte – moderne Medizin, yeah, ich komme! Für Lisa mochte es vielleicht einfach sein einen Mann anzusprechen, nach seinen Interessen, Hobbys, seinem Leben und seiner Familie zu fragen. Für sie war es das nicht. Das war es noch nie gewesen. Jedes Mal wenn sie etwas sagte, dachte sie keine Sekunde später schon darüber nach, ob es nicht unangemessen gewesen war. Ein fließendes Gespräch lag also jenseits jeglicher Vorstellungskraft. Und eine romantische Liebesgeschichte stand sowieso außer Frage. Sie hatte hier eine wichtige Aufgabe, verdammt, und Ablenkung konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Außerdem war er sicher längst vergeben, es gab genug Studentinnen die einem Mann wie ihm hinterher schwärmten, wie also war sie für den Bruchteil einer Sekunde auf die hirnrissige Idee gekommen, dass er jemals etwas an ihr finden würde?

    Der Hörsaal war bereits gut gefüllt, wie sie beim Eintreten durch die große Schwingtür feststellte. Gutgelaunte Studentengruppen ordneten sich lachend ihre Plätze ein und würden ihre intensiven Gespräche wissentlich erst dann ersterben lassen, wenn der von allen sehnsüchtig erwartete Medizinprofessor erschien. Zielsicher ließ sie ihren Blick über die Sitzreihen schweifen und befand sich schon auf halbem Weg zum Treppenaufgang, da bemerkte sie schwer enttäuscht, dass er nicht auf seinem gewohnten Platz saß. Frustriert blieb sie deshalb sogar einige Sekunden wie ein begossener Pudel im Aufgang stehen, bis zwei ärgerliche Studenten sie von hinten anschnauzten, dass sie doch endlich den Weg frei machen sollte. Stumm ließ sie die beiden vorbei, versuchte möglichst langsam zu atmen und das nadelähnliche Stechen in ihrer Brust zu ignorieren. Wie furchtbar enttäuschend! Sie hatte sich aus einem einzigen Grund auf diese langweilige Vorlesung gefreut. In ihren wildesten Fantasien, während des Essens, hatte sie bereits darüber philosophiert, ob sie es heute endlich schaffen würde ihn nach einem Treffen zu fragen. Und dann war er nicht mal gekommen. Die letzten Male hatte sie immer denselben Platz gewählt – den gemittelten in der obersten Sitzreihe. Natürlich bewusst und aus einem einzigen Grund: Er saß in jeder Vorlesung im linken Block, vier Reihen unter ihr. Übersetzt: Die perfekte Sitzplatzkombination damit sie (oben) ihn (unten) bestens von der Seite betrachten konnte – und das eine ganze Stunde lang.

    Er wird noch kommen. Sie kam sich absolut dämlich dabei vor so etwas Bescheuertes zu denken, denn es war sonnenklar, dass wenn er jetzt noch nicht hier war, garantiert gar nicht mehr kommen würde. Mit gesenktem Kopf schritt sie schwerfällig die Treppen hinauf, konzentriert sich von der Tatsache abzulenken wie schrecklich langweilig die heutige Vorlesung ohne seine Anwesenheit werden würde – gab es eine Möglichkeit sie anderswie zu

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