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Trägerin des Lichts - Vergangen
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Trägerin des Lichts - Vergangen
eBook1.132 Seiten17 Stunden

Trägerin des Lichts - Vergangen

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Über dieses E-Book

Trauer und Schrecken halten das Königshaus von Gilda in ihrer Gewalt. Die scheinbar so heile Welt bricht in atemberaubender Schnelligkeit auseinander, denn noch ist der Mörder von Prinz Phelan und Jeldrik nicht gefasst und die Gefahr für die Königsfamilie größer denn je. Es bringt König Currann an den Rand seines Verstandes, und er droht, alle um sich herum mit in den Abgrund zu reißen.
Während sich die Männer der Familie auf die fieberhafte Suche nach dem Mörder machen, ist Jeldriks Sohn Kjell auf dem Weg nach Saran, dort den Platz seines Vaters einzunehmen und seinem Volk beizustehen, das von alten Feinden bedroht wird. Doch es wartet dort eine viel härtere Prüfung auf ihn als eine Schlacht. Schon bald muss er erfahren, dass die wahren Feinde nicht außerhalb, sondern innerhalb seines Volkes auf ihn lauern und alles bedrohen, was seine Familie geschaffen hat.
Auch Althea trifft eine folgenschwere Entscheidung, als sie beschließt, ihre mit Druidai-Fähigkeiten gesegnete Tochter nach Temora zu bringen.
Die von Dogmen geprägte Priestergemeinschaft führt Faye an die Grenze dessen, was sie ertragen kann, doch mit der ihrer Familie ganz eigenen Sturheit findet sie ihren Weg und sorgt dabei gehörig für Aufruhr. Dabei schafft sie sich zahlreiche Feinde, die ihr mit zunehmendem Alter sogar nach dem Leben trachten. Fast zerbricht sie daran, wenn sie nicht spüren würde, dass ihr Dasein einen ganz bestimmten Zweck hat: der größten Bedrohung der Menschheit zu begegnen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. März 2016
ISBN9783737593892
Trägerin des Lichts - Vergangen
Autor

Lydie Man

Autorin seit 2005 In meinem ersten Leben habe ich Betriebswirtschaft studiert und viele Jahre als Analystin und Referentin in einem Hamburger Industrieunternehmen gearbeitet. Dann entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Schreiben. Die Saga um die Königskinder von Morann und ein begonnenes neues Projekt sind die Folge und das Vergnügen daraus. Mögen es viele Leser teilen :)

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    Buchvorschau

    Trägerin des Lichts - Vergangen - Lydie Man

    Inhalt

    Trauer und Schrecken halten das Königshaus von Gilda in ihrer Gewalt. Die scheinbar so heile Welt bricht in atemberaubender Schnelligkeit auseinander, denn noch ist der Mörder von Prinz Phelan und Jeldrik nicht gefasst und die Gefahr für die Königsfamilie größer denn je. Es bringt König Currann an den Rand seines Verstandes, und er droht, alle um sich herum mit in den Abgrund zu reißen.

    Während sich die Männer der Familie auf die fieberhafte Suche nach dem Mörder machen, ist Kjell auf dem Weg nach Saran, dort den Platz seines Vaters einzunehmen und seinem Volk beizustehen, das von alten Feinden bedroht wird. Doch es wartet dort eine viel härtere Prüfung auf ihn als eine Schlacht. Schon bald muss er erfahren, dass die wahren Feinde nicht außerhalb, sondern innerhalb seines Volkes auf ihn lauern und alles bedrohen, was seine Familie geschaffen hat.

    Auch Althea trifft eine folgenschwere Entscheidung, als sie beschließt, ihre mit Druidai-Fähigkeiten gesegnete Tochter nach Temora zu bringen.

    Die von Dogmen geprägte Priestergemeinschaft führt Faye an die Grenze dessen, was sie ertragen kann, doch mit der ihrer Familie ganz eigenen Sturheit findet sie ihren Weg und sorgt dabei gehörig für Aufruhr. Dabei schafft sie sich zahlreiche Feinde, die ihr mit zunehmendem Alter sogar nach dem Leben trachten. Fast zerbricht sie daran, wenn sie nicht spüren würde, dass ihr Dasein einen ganz bestimmten Zweck hat: der größten Bedrohung der Menschheit zu begegnen.

    --------------------

    Kapitelübersicht

    Kapitel 1: Das Erbe

    Kapitel 2: Am Abgrund

    Kapitel 3: Hunger und Not

    Kapitel 4: Zeitenwende

    Kapitel 5: Die Gemeinschaft

    Kapitel 6: Verbannung

    Kapitel 7: Neues Leben

    Kapitel 8: Der Anfang allen Endes

    Kapitel 9: Vorboten

    Kapitel 10: Befreiung

    Kapitel 11: Erkenntnis

    Kapitel 12: Ritt ins Ungewisse

    Kapitel 13: Traumlandschaften

    Kapitel 14: Gewissheit

    Kapitel 15: Suche

    Kapitel 16: Stunde der Wahrheit

    Kapitel 17: Aufbruch

    Kapitel 18: Untergang

    Epilog

    --------------------

    Personen der Handlung

    In Saran

    Althea, die Witwe von Jeldrik, genannt Die Erbin

    Kjell, ihr ältester Sohn

    Bjarne, ihr zweitältester Sohn

    Faye, ihre ältere Tochter

    Syl, ihre jüngste Tochter

    Merte, Altheas Ziehtochter, eine Heilerin

    Regnar, Altheas Großvater, der Seeräuber

    Roar, Clansführer von Saran

    Sylja, Roars Frau

    Sedat, Gesetzeshüter von Saran

    Oren, Kommandant Sarans

    Ohin, sein greiser Vater, ein Seefahrer

    Phorsteinn, Bryns Sohn und Schmied Sarans

    Harcon, ein Clansführer

    Hjordis, eine clanlose Jägerin

    Einar, ihr Ziehvater und Regnars Kumpan

    Budicca, eine alte Clansführerin

    Skane, ihr Sohn und jetziger Clansführer

    Diss, ein Mädchen aus ihrer Siedlung

    Angar, ihr Vater

    Die Prinzessin, eine ethenische Sklavin

    In Temora:

    Galvin, Priester und Altheas Freund

    Gayle, seine Zwillingsschwester, Priesterin

    Maret, Altheas Freundin, eine Heilerin

    Emlyn, Altheas alte Widersacherin, Priesterin

    Nerin, Emlyns und Galvins Sohn, Novize

    Die Oberste, Hohepriesterin der Gemeinschaft

    Aislinn, Altheas Großmutter, Priesterin im Rat Temoras

    Mihal, ein Ratsmitglied

    Halldor, ein Ratsmitglied

    Bendiks, der Archivar der Gemeinschaft

    Tivedar, ein Ratsmitglied

    Arnor, Priester und Auserwählter

    Naja, Priesterin und Vernas Schwester

    Gleda, eine Novizin aus Saran

    Inali, eine Novizin der Gemeinschaft

    Adri, ein Novize aus Saran

    Faris, ein Novize aus Saran

    Sieda, eine Novizin der Gemeinschaft

    Mahin, Siedlungsvorsteher und Marets Bruder

    Verna, seine Frau

    Bryn, der saranische Schmied

    Rana, seine Frau

    Delmor, der Händler Temoras

    In Gilda: Königsfamilie und Hofstaat

    Currann, König von Morann

    Sirial (Siri), seine Frau, die Königin

    Nathan (Nat), ihr Ziehsohn, der Älteste der Königskinder

    Bajan, sein Sohn

    Farlan (Fal), ihr Erstgeborener und Thronfolger des Reiches

    Shoona, Farlans künftige Frau, Schwester von Fürst Shaun

    Mohan, Curranns und Siris jüngster Sohn

    Noemi, Witwe Phelans

    Chaya, ihre jüngste taubstumme Tochter

    Thorald, gelehrter Ratsherr und Altheas Vater

    Naluri, Königinmutter und Thoralds Frau

    Nuria, Siris Zofe und Vertraute

    Naja, Shoonas Zofe und Vertraute

    Meda, die Ehrwürdige Mutter der Heilerinnen

    Irmela, ihre Nachfolgerin

    Lara, eine junge Heilerin und Freundin der Königskinder

    Sinan, Ratsherr und engster Vertrauter Curranns

    Daria, seine Frau

    Derkan, Heerführer des Reiches

    Peadar, Heiliger Vater des Reiches

    Milan, seine rechte Hand

    Kjartan, ein Ratsherr und Freund Farlans

    In Branndar:

    Kiral, Fürst von Branndar, ein Cerinn

    Jorid, seine saranische Frau

    Jamal, ihr Sohn

    Karya, die Heilerin und Siris Tante

    Strahan, Schulmeister und Siris Vater

    Weitere Personen in Morann:

    Tamas, Fürst von Nador

    Nelana (Nel), seine Frau

    Nadim, ein Kundschafter

    Rhiba, seine Frau

    Orban d. Ältere, Großvater d. jüngeren Orban

    Orban d. Jüngere, Nurias jüngster Sohn

    Tabitha (Tibbi), seine Frau, Noemis älteste Tochter

    Bayram, Nathans Schwiegervater

    Tabea, seine Frau

    Solena, eine ehemalige Hure

    Yemon, Fürsten von Mukanir

    Meno, Schulmeister von Mukanir

    Yola, seine Frau

    Im Osten:

    Shaun, Fürst des Volkes der Shouh

    Amaya (Maya), seine Frau, Tochter von Currann und Siri

    Sholan, ihr ältester Sohn

    Currann, ihr jüngerer Sohn

    Umanin, die Hohepriesterin der Shouh

    Zyla, eine Priesterin der Shouh

    Cem, Anführer eines Hirtenvolkes

    Iovan (Iovi), sein Schwager, Sohn von Currann und Siri

    Irun, Iovans Frau und Cems Cousine

    Kaleem, Iruns Vater und Cems Widersacher

    Tariq, Stammesführer der Cerinn

    Janida (Nida), seine Frau, Kirals und Jorids Tochter

    Duncal, der Schamane der Cerinn

    Ashok, ein junger Schamane der Cerinn

    Belan, Nurias ältester Sohn, Fürst

    Rike, seine saranische Frau

    Tote, die Erwähnung finden:

    Phelan, Noemis Gemahl und Curranns Bruder

    Jeldrik, Altheas Gemahl

    Ioanna, Frau von Nathan

    Tavar, Bruder von Tamas

    Bajan, ehemaliger Heerführer Moranns

    Goran, Siris Cousin

    Aietan, ehemaliger König Moranns

    Alia, die ehemalige Hurenkönigin

    Eligian, ein Mönch Gildas aus grauer Vorzeit

    Madoch, ein Priester Temoras aus grauer Vorzeit

    Taisto, Altheas Widersacher

    --------------------

    Karte von Morann

    --------------------

    Prolog

    Der Hass und die Gier sind so alt wie die Zeit selbst.

    Sie treten im Kleinen auf, zwischen einzelnen Menschen, in den Familien. Eine unbeabsichtigte Beleidigung, ein kleiner Betrug oder eine vermeintliche Ungerechtigkeit reichen schon aus. Die Rechtschaffenen gemahnen sich dann zur Zurückhaltung, unterdrücken diese Anwandlungen, gehen freundlich auf ihr Gegenüber zu und einigen sich im Guten. Oder sie gehen einfach ihrer Wege und vergessen das Ganze.

    Die nicht ganz so Rechtschaffenen sind unversöhnlich, leben ihren Hang aus. Oft werden sie verachtet, gebannt oder bestraft, wenn ihre Neigung offen zutage tritt. Manche aber auch gelangen auf diesem Wege zu großer Macht, oder sie leben sie im Verborgenen aus, leben einen Wahn. Beide werden sie zu Recht gefürchtet.

    Treten diese Neigungen im Großen, bei den Herrschenden auf, können ganze Reiche fallen. Denn oft ist niemand stark genug, den Mächtigen Einhalt zu gebieten. Daher werden diese Gelüste eine Sünde genannt, die von Gott oder den Göttern nicht gutgeheißen wird, um wenigstens noch eine moralische Instanz über einen Herrscher stellen zu können.

    Was jedoch geschieht, wenn die göttliche Macht selbst der Sünde anheim fällt, das hat noch nie jemand zu ergründen versucht. Nicht einmal versucht, darüber nachzudenken. Es würde wohl auch alle menschliche Vorstellungskraft übersteigen.

    Und den Menschen ihren Seelenfrieden rauben.

    --------------------

    Kapitel 1

    Das Erbe

    =>

    Wie sehr Kjell das Reisen in dieser kargen Gegend in Fleisch und Blut übergegangen war, wie mühelos er wieder in den Rhythmus von Reiten und Rasten und Schlafen hinein fand! Fast wie im Traum trug ihn sein Pferd dahin, er umging gekonnt die große Straße, die Siedlungen und Wachposten, nur getrieben von dem Ziel, so schnell wie möglich zur Grenze nach Westen, raus aus Morann und weiter nach Nitrea und Saran zu gelangen.

    Doch in Wahrheit merkte er gar nichts davon, keine Landschaft, keine Kälte der Nacht, nicht den ein oder anderen Regenschauer, als er in die Nähe der Feuchtigkeit des Lir-Deltas gelangte. Mit den Gedanken war er weit fort, weit fort. Warum nur, warum?, rief es immer wieder in ihm. Warum hatte sein Vater sterben müssen, feige ermordet, und sein Onkel Phelan? Er fand keine Antwort. So stark es ihn nach Saran zog, die dort wartende Verantwortung, sein Erbe, lastete wie ein Mühlstein auf seiner Seele. Und die Trauer, natürlich. Wie sollte er die Stellung seiner Familie behaupten, gegen die übrigen Saraner, und ja, auch gegen seinen eigenen Großvater? In ihren Augen war er ein Junge, ein Hänfling, der seine Stärke noch beweisen musste. Zur See fahren, kämpfen, auf der Versammlung sprechen und natürlich saufen und andere derartige Dinge, welche einen Saraner erst zu einem gestandenen Mann machten. Bei dem Gedanken verspürte er nur kalte Verachtung und eine gute Portion Rebellion. Nein, er würde seinen eigenen Weg gehen, da war er fest entschlossen.

    Irgendwann kehrte er in die Wirklichkeit zurück. Aus dem Dunst der Steppe schälten sich die Umrisse der schneebedeckten Berge Nadors, seine Reise durch die endlose Steppe war fast zu Ende. Hastig sah er sich um, doch er konnte niemanden entdecken. Er musste vorsichtiger werden! Die Straße war viel bereist und die Steppe rings herum von zahlreichen Hirten und ihren Herden begangen. Der Abstieg von der Hochebene Moranns war nur an wenigen Stellen möglich. Wollte er die Wachen umgehen, blieben ihm nur wenige Möglichkeiten: Eine davon war, dass er sich südlich der Straße in den Busch schlug, aber dann würde er sich binnen kürzester Zeit verirren. Die Warnungen ihres alten Kundschafterfreundes Nadim hatte er noch gut im Gedächtnis. Nein, entschied er und wählte einen kaum begangenen Pfad weiter nördlich in Richtung des Lir-Deltas. Dort war es zwar sumpfig, aber allemal besser als im Busch. Die dritte Möglichkeit, nämlich offiziell zu reisen und um Quartier in Nador bei den Freunden seiner Eltern, Fürst Tamas oder Nadim, zu ersuchen, schloss er von vorne herein aus. Bestimmt hatten die Nadorianer bereits die ersten schlimmen Gerüchte von dem Anschlag auf die königliche Familie erreicht, und er würde dann über mehrere Tage dort festgehalten werden und ihnen Rede und Antwort stehen müssen.

    Durch das unwegsame Sumpfgelände kam er wesentlich langsamer voran als auf der Straße. Bald wurde das Schilf höher, der Weg schmaler, bis dieser kaum noch zu erkennen war, und er fragte sich, ob das wirklich ein so guter Einfall gewesen war. In dem Matsch mochte er sich nicht schlafen legen, also ritt er die Nächte durch. Zum Glück schien der Mond, sodass er seinen Weg einigermaßen finden konnte. Wer hier wohl reisen mochte?, fragte er sich, oder war es nur ein Wildpfad?

    Wild gab es hier allerdings im Überfluss. Allein von den zahlreichen Vögeln hätte er ganz Gilda verköstigen können. Sein Bogen fand ein ums andere Mal eine schmackhafte Mahlzeit. Immer weiter drang er nach Westen vor, und unmerklich, dann immer stärker, wurde die Luft salzig. Das war wie Balsam für Kjells angeschlagene Seele. Es roch nach Heimat, nach Zuhause. Das war Gilda nie gewesen, so viel gestand er sich nun ein. Ein Teil seiner Familie, seiner Herkunft, ein Ort zum Verweilen, aber eben nicht das Zuhause. Gespannt richtete er sich auf, ob er das Meer erspähen konnte, aber er sah nur undurchdringliches Schilf.

    Dann bog der Pfad plötzlich nach Süden ab. Er entdeckte etwas in der Ferne, eine grüne Wand, welche nur ein Wald sein konnte, der erste Wald seit mehr als vier Jahren, den er zu Gesicht bekam. Dort würde er sein Nachtlager aufschlagen, beschloss er, auf dem ersten trockenen Platz, den er fand.

    Bis es soweit war, dauerte es noch seine Zeit, doch schließlich fand er im letzten Licht des Tages einen wunderbaren moosbewachsenen Flecken, wo er herrlich weich gebettet ruhen konnte. Er war im Westen angekommen.

    Diesmal schlief Kjell bis weit nach Mittag des nächsten Tages durch. Erholt wachte er auf, und auf einmal hatte er es nicht mehr so eilig. Ein wenig, so resümierte er, als er vor einem Tümpel saß und sich den Staub der Steppe abwusch, hatte es auch von einer Flucht gehabt, vor seiner Mutter, seinem Onkel, dem König, und vor dem Schrecken ganz besonders. Betäubt hatte er sich und verausgabt, erkannte er und betrachtete sein Spiegelbild im Wasser. Hager war er geworden, mit einem strubbeligen blonden Bart und noch nicht ganz verblassten Prellungen von dem Unglück im Gesicht. Seine Nase hatte auch etwas abbekommen, dachte er und rümpfte selbige. Nicht, dass es ihm zum Nachteil gereichte. Er fand, es sah verwegen aus. Zeit, auch den Rest wieder in einen Saraner zu verwandeln.

    Die verdreckte Tunika und den Lendenschurz wollte er als Andenken aufheben. Nie wieder würde er sie tragen. Stattdessen legte er Beinlinge und Hemd an, dann Stiefel und seinen Umhang. Besondere Sorgfalt verwendete er auf seine Waffen. Als erstes legte er das Ragai-Schwert an, die Waffe seines Vaters. Er hatte sie einfach mitgenommen, ohne zu fragen, weil er fand, dass ihm das als ältesten Sohn und Erben zustand. Bewundernd drehte er die feine Klinge im Sonnenlicht. Er würde es bis an sein Lebensende tragen und mit aller Macht verteidigen.

    Sein gildaisches Heeresschwert, das er seit Ende der Heerschule als Offizier trug, wickelte er in die Tunika ein und steckte es weg. Es war zwar aus Ferrium, aber im Vergleich zu dem anderen kürzer und wirkte eher plump. Eine solide, zuverlässige Waffe. Sollten dereinst seine Söhne und Töchter damit üben. Den Dolch steckte er wie alle Saraner unter das Hemd und sein kleines Messer, das Geschenk des Königspaares, kam wie gewohnt an den Arm. Da durchzuckte es ihn schmerzhaft, bei welcher Gelegenheit er es bekommen hatte. Und mit wem.

    Lara.

    Er kniff die Augen zusammen und ballte die Fäuste. Atmete einmal zischend ein und aus. Nicht daran denken!

    »Auf geht’s!«, sagte er zu seinem Tier, das wie alle gildaischen Pferde keinen Namen trug, und erntete ein fast belustigt klingendes Schnauben. Es war ein gutmütiger Wallach, kein feuriger Hengst, wie ihn manche seiner Heereskameraden bevorzugt hatten. Kjell war ein Tier ohne Kapriolen allemal lieber als eines, das einem zu vermeintlichem Ansehen verhalf.

    An diesem Tag ritt er nicht mehr lange und schlug tief im Wald sein Lager auf. Ein friedlicher Ort war das, mit leise säuselndem Wind und in der Ferne dem Rauschen der Wellen. Hier würde er gut schlafen können. Nur, dass er noch ziemlich ausgeruht war und allenfalls ein wenig wegdöste.

    Deshalb war er auch gleich hellwach, als es irgendwo in der Nähe laut knackte. Er sprang auf und ging hinter einem Baum in Deckung. Vor seinem glimmenden Feuer gab er ansonsten ein viel zu leichtes Ziel ab. Angespannt spähte er in die Dunkelheit. War es ein Tier gewesen? Aber nein, da schnaubte es leise, und dann hörte er das Klirren eines Zaumzeuges, als wenn ein Pferd den Kopf schüttelte. Es kam aus Richtung des Pfades, den er entlang gekommen war.

    Lautlos schlich sich Kjell an den Unbekannten heran. Da, dort vorne bewegte sich jemand durch die Bäume. Kjell spannte seinen Bogen. »Halt, wer da?!«

    Die Gestalt machte einen selbst in der Dunkelheit gut sichtbaren Satz. Dann klammerte sie sich an ihr Pferd und stieß ein erleichtertes Lachen aus. »Oh Mann, hast du mich erschreckt!«

    »Bjarne?!« Kjell ließ verblüfft seinen Bogen sinken. »Was machst du hier?«

    »Na, was schon, ich bin dir gefolgt! Seit Tagen schon versuche ich, dich einzuholen.«

    Kjell fehlte die Sprache vor lauter Überraschung. »Aber...«

    Lässig kam Bjarne herangeschlendert. »Du glaubst doch nicht, dass ich mich wie ein Paket zu Bryn verfrachten lasse und brav dort bleibe? Ich will kämpfen!« Das kam so euphorisch heraus, dass Kjell lachen musste.

    »Na dann, willkommen, Bruder! Willst du was essen? Ich habe noch was übrig.«

    »Oh, immer. Ich sterbe vor Hunger!«, grinste Bjarne und folgte ihm.

    Wann hatte sein Bruder mal keinen Hunger, dachte Kjell später. Er hatte das Feuer entfacht und die Reste der erlegten Vögel auf kleine Spieße gesteckt und sogar noch etwas Brot gefunden.

    »Du warst so schnell, dass ich dich in der Steppe nicht mehr gefunden habe«, erzählte Bjarne mit vollem Mund. Kjell betrachtete ihn. Dreckstarrend, mit verfilzten Haaren, den ersten blonden Bartstoppeln und fröhlich blitzenden Augen saß sein kleiner Bruder vor ihm. Kjell hätte schwören können, er war schon wieder gewachsen.

    Bjarne sah auf. »Was schaust du so?«

    »Nichts.« Kjell winkte ab. »Ich dachte nur... dass du Regnar immer ähnlicher siehst. Seine Kraft hast du auf jeden Fall geerbt, denn den Ritt, den sieht man dir nicht an.«

    Bjarne prustete los und verschluckte sich. »Ich bin geritten wie der Teufel, aber erst am Ende der Hochebene habe ich dich in Richtung der Sümpfe entdeckt. Aber wirklich eingeholt hatte ich dich erst, als du so lange geschlafen hast.« Er leckte sich die Finger ab.

    Kjell zog die Augenbrauchen hoch, griff hinter sich und reichte ihm ein Tuch. »Hier, nimm dies.«

    Das veranlasste Bjarne zu einem erneuten Grinsen. Er wischte sich die Finger ab. »Ah, das tat gut! Was hast du jetzt vor? Willst du zu Bryn und Waffen kaufen?«

    »Tja, das ist die Frage. Ob Vater schon welche bei ihm bestellt hat? Das hätte ich jedenfalls getan, bevor ich nach Gilda aufgebrochen wäre.«

    »So oder so werden wir dort mehr von den Unruhen in Ethenien erfahren, denn wenn einer weiß, was in der Gegend vor sich geht, dann Mahin und vielleicht noch die Temorer. Wir könnten Galvin einen Besuch abstatten.«

    Der Gedanke veranlasste Kjell zu einem Stirnrunzeln. »Und ihm brühwarm erzählen, dass Mutter jetzt Witwe ist? Nein, danke! Damit tun wir ihr keinen Gefallen. Ach, das wusstest du nicht?« Bjarne war das Erstaunen anzusehen. »Na, dann sperr mal die Ohren auf, Bruder!«

    Kjell empfand nicht wenig Genugtuung, ihn aufzuklären. Offenen Mundes, die Augen weit aufgerissen, hörte Bjarne zu, wer in Temora wohl keine allzu tiefe und aufrichtige Trauer über den Tod ihres Vaters empfinden würde: Galvin, Jugendfreund ihrer Mutter aus vergangenen Tagen, der sie schon immer begehrt hatte und immer noch begehrte.

    »Sehr schwierige Sache«, schloss Kjell, »besonders, wenn sie sich endlich entschließen sollte, Faye nach Temora zu bringen. Wer weiß, wann sie sich dazu durchringt.«

    »Ich frag mich, wo sie dann wohl leben will. Doch nicht bei den Priestern!«

    »Bei Maret im Bannwald, das möchte ich wetten.«

    »Jaah, und über die erfährt Galvin es eh, egal, was wir tun. Bestimmt hat Onkel Currann bereits eine Botschaft losgeschickt, sodass sie eh wissen, dass wir auf dem Weg sind.«

    Kjell prustete los. »Um auf uns aufzupassen?« Er lachte schallend. »Glaubst du das wirklich?«

    »Hmm... ja. Aber ich glaub’, es hat uns niemand überholt. So schnell wie wir sind die niemals, selbst nicht mit diesem Umweg.« Er wies auf das Wäldchen um sich herum.

    »Na, dann macht es auch nichts, wenn wir Bryn einen Besuch abstatten und die Waffen mitnehmen.«

    »Nur, wie willst du die bezahlen? Weißt du, wie Vater das gehandhabt hat?«

    Bei dem Wort verschwand Kjells Fröhlichkeit wie fortgewischt. »Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung. Er hat mir zwar jeden Winter erzählt, wie es um unseren Besitz in Saran bestellt ist, aber wo er seine Barschaft lagert und was er mit Bryn abgemacht hat... keine Ahnung. Wir werden es herausfinden müssen.«

    Es versetzte Kjell in Unruhe. Darüber hatte er sich noch nie Gedanken gemacht und auch nicht, dass seine Mutter die eigentliche Besitzerin ihres Vermögens war. ›Alles zu seiner Zeit‹, dachte er, aber die Unruhe blieb.

    Auch wenn Kjell sich eher die Hand abgehackt hätte, als das zuzugeben, er war froh, dass sein Bruder da war. Mit seiner gutmütigen Art, die Dinge leicht zu nehmen, vertrieb Bjarne ein wenig die düsteren Wolken in seinem Gemüt. In Galeac, der nördlichsten Siedlung Nitreas, gönnten sie sich ein ausgiebiges Mahl in dem Gasthof. Niemand beachtete die beiden jungen Saraner sonderlich, es war ganz normal, dass Reisende hier durchkamen. Allenfalls die Tatsache, dass sie keine Packtiere mit sich führten, wäre dem einen oder anderen merkwürdig vorgekommen, aber das bemerkte außer dem Stallknecht niemand.

    Die Brüder hatten sich unauffällig in eine Ecke zurückgezogen und sprachen kaum ein Wort. Stattdessen lauschten sie aufmerksam den Gesprächen um sich herum, ob irgendetwas von den Unruhen im Süden zur Sprache kam, aber es ging nur um die vergangene Ernte, wer wie viel Holz im Winter einschlagen wollte und wer noch einmal zur Jagd ins Delta aufbrechen.

    »Ah«, sagte Kjell, »die benutzen also unseren Pfad. Keine Schmuggler, wie langweilig! Komm, lass uns gehen.«

    Zügig ritten sie weiter nach Süden. Nachts schliefen sie im Wald fernab aller Siedlungen, und trafen sie auf eine, ritten sie rasch hindurch. Als sie sich Temora näherten, wurden sie langsamer.

    »Wenn ich noch wüsste, wo dieser Abzweig zu Mahins Siedlung gelegen hat«, sagte Kjell, als sie wieder einen passierten. »Irgendwie kann ich mich nicht erinnern, sie sehen alle gleich aus.«

    »Aber ich«, kam es prompt von Bjarne. »Da stand eine vom Blitz gespaltene Eiche, die hatte ein Gesicht, fand ich. Es ist noch ein Stück.«

    Kjell seufzte innerlich. Das wunderte ihn nicht. Sein kleiner Bruder merkte sich lauter solche Dinge. So hatte er auch sämtliche Pfade und Gassen in Gilda wiedererkannt und so würde er sich auch auf See zurechtfinden, da war Kjell sich sicher. Eine beneidenswerte Fähigkeit, der Gabe ihrer Schwester Faye nicht unähnlich.

    Durch Bjarnes Gespür fanden sie den Abzweig auf Anhieb wieder. Kjell hätte beim besten Willen nicht sagen können, ob es nun dieser oder ein anderer gewesen war. Es war wohl wie bei seinem Vater, dachte er, der hatte die Seewege, die Navigation auch regelrecht pauken müssen.

    Niemand beachtete sie sonderlich, als sie in die Siedlung ritten. Es war früher Abend und die Leute dabei, ihr Tagewerk zu beenden und nach Hause zurückzukehren. Es kamen wohl oft Reisende hierher, was die Wichtigkeit der Siedlung und ihrer Bewohner, allen voran ihres Clansoberhauptes Mahin, unterstrich.

    Wieder überließ Kjell seinem Bruder die Führung, und der brachte sie auf direktem Weg zur Schmiede. Laute Hammerschläge aus dem großen Stallhof sagten ihnen, dass hier noch gearbeitet wurde. Wenn Kjell so an die Schilderungen seiner Mutter dachte, in welcher Bruchbude Schmied Bryn am Anfang nach dem Fortgang aus Saran gehaust hatte, dann hatte er es wahrlich zu Reichtum gebracht. Es gab ein großes solides Haus aus Stein und mehrere Nebengebäude, die nahtlos um eben jenen Hof gruppiert waren, sodass man ihn mit einem großen Tor komplett verschließen konnte. So, wie er es in Saran auch besaß.

    Sie ritten schnurstracks in den Hof und saßen ab. Der Hufschlag ihrer Pferde lockte einen jungen Mann in einer fleckigen Lederschürze nach draußen. Er war ziemlich klein, aber dafür sehr breit und muskulös gebaut. Sein Gesicht mit dem blonden Haar und einem Ansatz von Bart und den schrägen dunklen Augen zeugten von seiner gemischten Herkunft. Selbige riss er überrascht auf, als er meinte, sie zu erkennen.

    »Jeldrik! Was, bei den Göttern, machst du denn schon wieder...« Er verstummte, denn sein Blick war auf Kjells rechte Hand gefallen. Fünf Finger anstatt der erwarteten drei, welche die Zügel hielten.

    Innen waren die Hammerschläge verstummt. »Wer ist da, Phorsteinn?«

    »Oh verdammt!«, entfuhr es dem jungen Mann, und er ging auf Kjell zu. »Es gibt Schwierigkeiten, nicht wahr?« Kjell und Bjarne wechselten einen Blick.

    »Hör mal, Sohn, ich rede mit dir!« Drinnen erklang ein metallisches Klappern, dann näherten sich schwere Schritte der Tür und Schmied Bryn erschien darin. Die Brüder erkannten ihn auf Anhieb wieder. Bis auf dass sein Bart weiß und das Gesicht unter dem kahlen Schädel faltiger geworden waren, wirkte er so mächtig wie eh und je.

    Kjell streifte seine Kapuze ab und nickte dem jungen Mann zu. »Du bist Phorsteinn, nicht wahr? Ich erinnere mich an dich.«

    »Bei den Göttern, Junge!«, entfuhr es Bryn. Er kam auf Kjell zu und packte ihn. »Ihr müsst geritten sein wie die Teufel, um schon wieder hier zu sein. Wo ist denn euer Vater? Bei Mahin?« Da fanden sie ihren Verdacht bestätigt. Die Botschaft des Königs hatte sie tatsächlich nicht erreicht.

    Bei all seinen Plänen hatte Kjell nicht bedacht, wie schwer es war, jemandem die Nachricht vom Tode zweier geliebter Freunde zu überbringen. Es war ein ergreifender Anblick zu sehen, wie hart die Neuigkeit diesen mächtigen Mann traf. Er musste sogar einige Momente außer Sicht gehen, bis er sich wieder im Griff hatte.

    Bryns Frau Rana dagegen zeigte ihre Trauer offen. Sie weinte in den Armen ihres Mannes, sehr lange, während Kjell und Bjarne abwechselnd berichteten, was sich zugetragen hatte. Mittlerweile saßen sie im Haus in der großen Küche, wo sonst, und auch Verna und Mahin waren dazugekommen.

    Anfangs wunderte sich Kjell etwas über ihre Reaktion, denn bei Verna und Mahin war es anders. Sie waren zwar erschüttert, aber nicht so aufgelöst. Doch dann fiel ihm ein, dass sein Vater und sein Onkel Phelan ja Bryns Zöglinge gewesen waren und Phelan Rana aus der Sklaverei befreit und Bryns und Ranas Bund gestiftet hatte. Ihre Bindung zu den beiden war einfach sehr viel enger.

    »Was habt ihr jetzt vor?«, fragte Phorsteinn nach einer Weile. Ungebeten hatte er sich dazu gesetzt und reichte jetzt etwas zu trinken herum. Er war Bryns zweitältester Sohn, meinte Kjell sich zu erinnern. Neben seiner Schwester Phelana, Phelans Patentochter, die bereits verheiratet war und eigene Kinder hatte, hatte er noch zwei jüngere Schwestern und einen Bruder, den Kjell auf ungefähr zehn Jahre schätzte. Sein ältester Bruder dagegen war nicht zuhause. Er war in Geschäften unterwegs nach Nador und sollte dereinst die Schmiede hier übernehmen. Hätten Kjell und Bjarne die Straße benutzt, wären sie ihm mit Sicherheit begegnet.

    »Wir reiten nach Saran, gleich morgen früh und so schnell wie möglich«, antwortete Kjell, und Bjarne ergänzte: »Vater wollte mich eigentlich hier lassen als Gehilfe, aber ich möchte mit nach Saran.«

    »Und kämpfen?« Bryn schnaubte und drückte seine Frau an sich. »Na, du hast ja Vorstellungen! Dich lassen sie nicht mal auf ein Schiff.«

    »Das ist mir egal!«, stieß Bjarne hervor. »Ich werde Kjell helfen, unser Erbe zu sichern, bevor die Leute von Vaters Tod erfahren und sich wie die Geier über unseren Besitz hermachen.«

    Bei den Worten schüttelte Mahin nachsichtig den Kopf. »Also euer Großvater. Das kann ich verstehen, aber weder du – wie alt bist du eigentlich, Bjarne? – noch du, Kjell, dürft vor dem Rat sprechen. Das darf nur eure Mutter als Witwe eures Vaters, bis dein Großvater dich offiziell als Nachfolger anerkannt hat, und das geht nur bei der nächsten Clansversammlung im Frühjahr.«

    »Ich weiß«, stieß Kjell hervor. »Trotzdem möchte ich vor Ort sein, falls es Schwierigkeiten gibt. Und Bjarne... dem schreibe ich nichts vor.«

    »Das sollst du mal versuchen«, schnappte der.

    »Ich möchte wissen, ob Vater Waffen bei dir bestellt hat, Bryn, und welche Vereinbarungen er mit dir zwecks Bezahlung getroffen hat. Ich...« Kjell schluckte und holte tief Luft. »Wir konnten nicht mehr darüber sprechen. Es ging zu schnell.« Bei diesen Worten fing Rana wieder an zu schluchzen.

    »Das solltest du anderen gegenüber aber tunlichst nicht erwähnen«, rügte Mahin daraufhin. »Sie könnten es als Schwäche auslegen und versuchen, die Regeln zu ihren Gunsten zu ändern.«

    »Ich weiß. Glaube mir, ich weiß es und werde deinen Rat beherzigen, Mahin. Aber ich weiß auch, dass ihr das niemals tun würdet. Wegen Mutter.« Bei den Worten sah er beide Männer dergestalt an, dass diese sofort aufmerkten.

    Wirklich geschickt, dachte Mahin und fügte dem Wenigen, was er über Altheas und Jeldriks Ältesten wusste, hinzu, dass er ziemlich gerissen war. Nun konnten sie sich gar nicht anders verhalten, wenn sie nicht als ehrlos dastehen wollten. Aber das hätten sie auch nicht getan. Eben wegen Althea.

    »Du hast recht.« Bryn steckte sich eine Pfeife an. »Dein Vater hat Schwerter bei mir bestellt. Ein paar habe ich schon fertig, aber natürlich längst nicht alle. Ihr seid zu schnell wieder hier gewesen.«

    »Und womit wollte er die bezahlen?«, fragte Kjell.

    »Mit Erz«, antwortete Mahin an Bryns statt. »Jeldrik hat uns niemals mit Münzen bezahlt, immer nur mit Erz. Ich glaube auch nicht, dass er große Münzvorräte in Saran gelassen hat. Zu gefährlich, selbst bei Sylja, selbst beim Sedat. Nein, mit Barschaft darfst du nicht rechnen. Euer Vermögen sind die Insel, die Schiffe, das Erz und das Land, allen voran das Hurenviertel.« Die Männer mussten grinsen, trotz ihrer Trauer.

    »Trotzdem solltest du hierbleiben, Bjarne«, sagte Bryn. »Ich hatte eigentlich vor, Phorsteinn im nächsten Frühjahr nach Saran zu schicken, meine Schmiede dort wieder zu eröffnen.«

    »Ich kann doch auch jetzt schon, Vater...«

    »Du bist noch nicht soweit!«, blaffte Bryn ihn in einem Ton an, der den anderen zeigte, dass er das nicht zum ersten Mal zu seinem Sohn sagte.

    »Pah! Besser als die Schmiede in Saran bin ich allemal!«

    »Du sollst aber nicht besser, sondern hervorragend sein!«

    »Hört auf!« Ganz leise kam es von Rana, aber ihre Worte wirkten sofort. »Eure ewigen Streitigkeiten haben hier nichts zu suchen. Geh nur, Bjarne, wenn du willst, und lasst euch von keinen Plänen abhalten. Ihr seid jetzt eure eigenen Herren.« Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab.

    »Danke, Mutter.« Phorsteinn grinste seinen Vater frech an.

    »Dich meinte deine Mutter nicht!« An Kjell gewandt fuhr Bryn fort: »Ich gebe dir mit, was ich habe. Sieh zu, dass du sie nicht unter Wert verkaufst, verstanden? Ich werde dir genau sagen, wem gegenüber du was verlangen kannst, aber die Preise werden steigen, je näher der Kampf rückt, also warte noch, klar?«

    Mahin fügte hinzu: »Wenn die Leute nicht zahlen können, fordere Land oder Gefälligkeiten. So hat es dein Vater stets gehalten und dein Großvater auch. Lass dich nicht ausnutzen, auch wenn dir dann bald der Ruf eines Knauserers anhaften sollte.«

    Aufmerksam hörte Kjell den beiden gewieften Händlern zu. Besonders Bryn hatte viele Einsichten in die saranische Händlerschicht, die Jeldrik aufgrund seiner Stellung und seiner langen Abwesenheiten nie gehabt hatte. In der Nacht lag er wach. Ihm schwirrte der Kopf, worauf er alles achten musste, um nicht in irgendwelche Fallen zu geraten. Wie einfach war dagegen das Leben in Gilda gewesen! Doch zum Glück waren da ja seine Großmutter Sylja und sein Großvater. Obwohl... der würde Kjells Unwissenheit zu seinen Gunsten nutzen. Also stand er doch allein. Verdammtes Erwachsensein!

    Noch vor Sonnenaufgang brachen sie wieder auf. Nur Bryn und Rana und Verna und Mahin verabschiedeten sich von ihnen.

    »Mögen die Götter euch im Kampf beistehen«, sagte Rana, als sie aufsaßen. Voller Sorge sahen sie den beiden Brüdern hinterher.

    »Sie sind so jung«, flüsterte Verna.

    »Wie ihre Eltern damals auch. Verdammte Geschichte!« Mahin seufzte. »Kommt. Es nützt nichts, Trübsal zu blasen.« Er nahm seine Frau beim Arm und Bryn und Rana kehrten in ihr Haus zurück, ohne noch einmal einen Blick in den Hof zu werfen. So fiel ihnen gar nicht auf, dass im Stall außer zweien noch ein weiteres Tier fehlte.

    Kjell und Bjarne merkten es dafür gleich. Kaum dass sie die Siedlung verlassen und in den Wald geritten waren, stellte sich ein Reiter vor ihnen quer über den Weg. Sie brauchten nur einen Moment, bis sie Phorsteinn erkannten.

    »Ich komme mit euch!«, rief er ihnen entgegen und lachte über ihre verdutzten Gesichter. »Ihr glaubt doch nicht, dass ich mir das entgehen lasse! Ein echter Kampf gegen tödliche Langeweile und Vater und Bruder, diesen Streber, die mich nur herumschubsen? Nein!«

    Da mussten auch die Brüder lachen. »Na dann, willkommen!«, rief Bjarne übermütig. »Los, reiten wir zu, bevor sie uns noch einholen und aufhalten.« Johlend preschten sie davon.

    Durch Phorsteinns Anwesenheit wurden sie regelrecht übermütig. Die Siedlungen flogen nur so dahin, und am Abend am Feuer unterhielten sie sich mit wahren und nicht ganz so wahren Geschichten aus ihrer Heimat. Besonders Gilda hatte es Phorsteinn angetan, merkte Kjell und staunte einmal mehr, welch Anziehungskraft die reiche Stadt auf die Leute ausübte. Für ihn war sie fast normal geworden, und er brauchte nicht zu übertreiben, um Phorsteinn in Staunen zu versetzen.

    Als dieser von der Schlacht im Osten hörte, geriet er völlig aus dem Häuschen. »Du kannst kämpfen, richtig kämpfen?« Eifrig wie ein kleiner Junge sprang er auf und schnappte sich sein Schwert. Allein daran sah Kjell, wie jung Phorsteinn wohl noch war. Fünfzehn, vielleicht sechzehn. Auf einmal fühlte er sich steinalt.

    »Sachte, sachte.« Er wischte sich in aller Ruhe den Mund und die Hände in einem Tuch ab. »Du willst mit mir kämpfen? Dann suchen wir uns ein paar Stöcke, keine scharfen Waffen, sonst verletzt du dich noch.«

    »Ha! Das werden wir ja seh....aaaahh!!« Nur haarscharf fiel Phorsteinn neben seine nach oben stehenden Klinge ins Gras. Er hatte getan, womit Kjell gerechnet hatte, und war dermaßen schnell von den Füßen geholt worden, dass er gar nicht wusste, wie ihm geschah.

    »Stöcke.« Grinsend sah Kjell auf ihn herab. »Stöcke. Bjarne?«

    »Ich geh’ welche holen.«

    Kjell verschränkte die Arme. »Beherrschung ist das Erste, was sie dir in Gildas Heerschule einbläuen. Disziplin das Zweite. Beherrschung das Dritte. Steh auf und leg dein Schwert weg. Wir üben, wie ich es sage.«

    Es dauerte einige ziemlich harte Schläge und etliche Schweißtropfen, bis der Dickkopf Kjells Überlegenheit anerkannte. Bjarne stand grinsend dabei und sagte nichts. Er wusste, im Kampf würde keiner hier seinem Bruder das Wasser reichen können, selbst er nicht. Aber anders als früher piesackte Kjell nicht. Er reichte Phorsteinn symbolisch die Hand, und der schlug ein und leckte Blut, wollte wirklich lernen. Bis spät in die Nacht kämpften sie und verschliefen den Morgen, und auch am folgenden Abend bauten sie früh ihr Lager auf und übten und übten und übten, bis sie selig spät in der Nacht einschlummerten.

    So kam es, dass ihr neuer Gefährte später mit Fug und Recht behauptete, er hätte ihnen das Leben gerettet.

    Dass etwas nicht stimmte, merkten sie, als sie kurz vor der Grenze nach Saran waren. Plötzlich waren Tiere im Wald, kein Wild, sondern Haustiere, Schweine, Ziegen, Schafe und Rinder. Friedlich grasten sie auf einer Waldlichtung, als wäre dies das Natürlichste auf der Welt. Nur, dass hier weit und breit niemand lebte.

    »Wo kommen die her? In der letzten Siedlung sah es nicht so aus, als fehlten welche«, sagte Phorsteinn.

    »Außerdem liegt sie viel zu weit weg«, ergänzte Kjell. »Nein, die müssen über die Brücke gekommen sein. Los, treiben wir sie zusammen und wieder rüber, bevor die Temorer sie sich unter den Nagel reißen.« Was gar nicht so einfach war, denn die Tiere weigerten sich störrisch zurückzugehen, sodass sie sie regelrecht scheuchen mussten, und dahinter flohen sie den Berg hinauf, in Richtung Gletscher.

    »Wie merkwürdig.« Am Ende der Brücke blieb Kjell stehen, die Zügel locker in der Hand. Auf einmal war es geradezu gespenstisch still. Kein Wind, keine Vögel, nichts. Nur das Rauschen des Wassers tief unten in der Schlucht.

    »Was geht hier vor?« Bjarne flüsterte.

    »Keine Ahnung, aber wir sollten die Waffen bereithalten und die... seht!!« Die anderen beiden fuhren herum in Richtung Wald. Dort war Nebel aufgestiegen, aber ein ganz und gar merkwürdiger Nebel, denn er kroch nur am Boden entlang, der Himmel über ihnen blieb klar. Wo kam der so plötzlich her und warum liefen die Tiere davor weg?

    Vorsichtig gingen sie darauf zu, bis ihre Pferde plötzlich zu scheuen begannen. Da stieg auch ihnen ein beißender Geruch in die Nase.

    »Das... he, das ist Feuer! Da vorne brennt es!« Phorsteinn wollte sich schon auf sein Pferd schwingen, aber Kjell packte ihn und zerrte ihn zurück.

    »Warte! Hat es gestern nicht geregnet? Sieh doch, der Boden ist nass. Das ist kein Waldbrand! Nein, dort vorne brennt etwas Größeres. Sehen wir nach, aber vorsichtig. Setzt eure Kapuzen auf.«

    Nach kurzer Überlegung banden sie die Pferde an der Brücke an und versperrten diese mit ein paar schweren Ästen, damit die Tiere nicht wieder fliehen konnten. Auch sein Schwert steckte Kjell wieder in die Scheide und griff stattdessen nach Pfeil und Bogen. Wenn das ein natürliches Feuer war, dann war das überflüssig, aber wenn nicht...

    Im Schutz der Bäume schlichen die drei jungen Männer vorwärts. Der Wind drehte etwas, und schon war der Rauch wieder verschwunden. Das sagte Kjell, dass das Feuer weiter entfernt sein musste, sonst hätten sie auch etwas gehört. Aber es war immer noch unheimlich still.

    »Das gefällt mir nicht«, flüsterte Bjarne.

    Geduckt schlichen sie weiter. Das Gelände begann sich abwärts zu neigen, und durch die Bäume schimmerte es blau mit hellen Lichtpunkten darauf. Es war das Meer, noch weit entfernt, aber dann wurde es wieder von einer Rauchwolke verdeckt und sie selbst so schnell in dichten Qualm gehüllt, dass es ihnen fast den Atem nahm. Von weiter unten drang ein Geräusch, das sie erst nicht einordnen konnten, doch je näher sie kamen, desto lauter wurde es.

    »Habt ihr das gehört?«, zischte Phorsteinn. Es klang wie ein lang gezogener Schrei.

    »Sei still!« Kjell stieß ihn an. Er hatte etwas anderes gehört, ganz in der Nähe. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Ganz langsam spannte er seinen Bogen und sah sich um. Schräg hinter ihnen war ein dichtes Gebüsch und darin bewegte sich ein Schatten! Kjell schoss, ohne zu überlegen. Es folgte ein Schrei, es knackte laut, als jemand fiel, gefolgt von einem unterdrückten Fluch. Schon war Kjell ins Gebüsch gesprungen, packte zu und zerrte eine sich heftig wehrende Gestalt daraus hervor. Sie war groß und schlank, und als er den Umhang herunterriss, kam eine Fülle langer, ziemlich verfilzter Haare darunter zum Vorschein. Ein grünes Augenpaar blitzte ihn aus dem schmutzigen, bartlosen Gesicht heraus aus an. »Lass mich los!«

    Überrascht tat Kjell, was sie verlangte. Das war eine hohe Stimme gewesen, eine Frauenstimme. Sofort war sie auf den Beinen, mit kampfbereit geballten Fäusten. Groß, wie sie war, brauchte er nur ein wenig nach unten schauen, eine Wohltat nach Jahren des gesenkten Hauptes in Gilda, wenn er mit jemandem reden wollte. Sie atmete heftig, hatte aber keine Angst, soweit er das sehen konnte, war eher wütend, sogar sehr.

    »He, ganz ruhig. Wir tun dir nichts«, sagte Phorsteinn. Sofort schwand der feindliche Ausdruck in ihrem Gesicht, und sie nahm ihre Fäuste herunter.

    »Ihr... ihr seid welche von uns!« Sie atmete auf.

    »Ja.« Alle drei ließen sie jetzt ihre Bogen sinken und schlugen die Kapuzen zurück. »Wir waren auf Reisen und wollen nach Saran. Das sind Kjell und Bjarne, und ich bin Phorsteinn.«

    Sie musterte sie misstrauisch. Es war nicht üblich, sich ohne vollständige Namen, also Jeldriksfalir und Brynsfalir, vorzustellen. Schließlich nickte sie knapp. »Hjordis. Ihr habt Glück gehabt. Ein paar Stunden früher, und es gäbe euch vermutlich nicht mehr.« Sie holte tief Luft und spie aus. »Saran ist überfallen worden, und diese Siedlung auch.«

    »Bei den... wer?!«, riefen die Jungen alle durcheinander und wollten nach ihr fassen.

    »Ich weiß nicht, wer!« Fauchend schlug sie ihre Hände fort und trat zurück, sie böse anfunkelnd. »Hätte ich sie gesehen, wäre ich jetzt nicht hier! Sie kamen, kurz nachdem alle Männer mit den Schiffen aufgebrochen waren. Ich wollte gerade nachsehen, ob die Frauen und Kinder in die Wälder fliehen konnten, habe aber niemanden gefunden. Deswegen will ich jetzt zur Siedlung hinunter.«

    »Wir kommen mit.« Das war für Kjell keine Frage. »Hast du eine Waffe?« Sie schüttelte den Kopf. »Dann bekommst du eine von uns.« Wieder Kopfschütteln, was Kjell verwunderte. Lernten nicht alle Mädchen das Kämpfen von ihren Vätern?

    »Ich nehme meinen Bogen. Ich bin eine gute Jägerin. Er liegt dort hinten.« Sie holte ihn, und Kjell gab ihr zur Sicherheit noch einen Dolch. Die Schwerter zu holen, das verwarf er jetzt. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass die Zeit drängte.

    Immer wieder spürte er ihren Blick auf sich, während sie sich durch die Bäume vorwärts pirschten. Sie rätselte, wer er war, das merkte er. Als der Qualm dichter wurde und sie das Knacken und Prasseln von brennendem Holz hörten und dazwischen die hohen Schreie der Frauen und Kinder, stieß sie plötzlich aus: »Ihr beide, ihr seid die Söhne von Jeldrik Roarsfalir! Jetzt weiß ich, woher ich euch kenne!«

    ›Verdammt‹, dachte Kjell. Irgendwie hatte er gehofft, dass er noch eine Weile von seinem Erbe verschont bleiben würde. Er nickte nur knapp und sagte nichts darauf, sondern hieß sie mit einer Geste, still zu sein.

    Im selben Moment erreichten sie den Rand des Waldes und blickten auf die Siedlung herab, oder vielmehr das, was von ihr übrig geblieben war, sofern sie das in dem Qualm erkennen konnten. Draußen in der Bucht sahen sie zwei fremde Schiffe vor Anker, im Hafen einige Beiboote liegen. Alle Gebäude standen in Flammen, bis auf eine große Scheune am Rande der Siedlung.

    »Bei den Göttern, seht!«, rief Phorsteinn unterdrückt.

    Kjell musste die Augen zusammenkneifen, um etwas erkennen zu können, doch da sah auch er es: Rings um die Scheune hatten Bewaffnete Aufstellung genommen, in je einer Hand ein Schwert und in der anderen eine brennende Fackel. Eben trieben ein paar Kämpfer eine Gruppe Frauen und Kinder hinein. Ein einzelner Kämpfer stand abseits und beobachtete das Geschehen mit verschränkten Armen. Eine knappe Handbewegung von ihm, und das Tor wurde verrammelt und die Fackeln flogen auf das Dach der Scheune, das sofort Feuer fing.

    »Sie wollen sie bei lebendigem Leib verbrennen!«, schrie Hjordis auf.

    »Still!«, fuhr Kjell sie an. Einen Moment lang verzog sich der Rauch in eine andere Richtung, und sie mussten sich ducken, damit niemand sie sah. Aber Kjell gelang es, einen freien Blick auf den Anführer zu erhaschen. »Das ist ein Ragai, seht doch! Der mit dem kahlen Schädel und den dunklen Malen!« Den würde er überall erkennen.

    »Und Ethenier! Vater hatte recht!«, rief Bjarne. »Wir müssen sie befreien! Lange halten sie das nicht durch, hört doch!« Die gequälten Schreie der Frauen und Kinder wurden immer lauter.

    »Seid still, verdammt nochmal, sonst hört man uns!« Kjell überlegte fieberhaft. »Wenn wir einfach nach unten stürmen, dann erreichen wir gar nichts. Nein, wir müssen zuerst den Ragai erledigen.«

    »Aber wie? Gegen den bestehen weder du noch ich«, wandte Bjarne ein.

    »Nein, werden wir nicht. Aber mit Pfeil und Bogen?«

    »Dem entkommt er, so schnell, wie die Ragai sind. Denk doch daran, was Vater und Phelan erzählt haben!«

    »Einem vielleicht, aber vier?«, ging Hjordis dazwischen. »Einer nimmt die Stirn, einer das Herz, einer den Bauch und einer die Schulter. Selbst wenn er abtauchen sollte, treffen wird ein Pfeil und das tödlich. Los, beeilt euch, sonst verbrennen sie noch!« Und sie stürzte davon, ehe Kjell sie aufhalten konnte.

    Da blieb ihm gar nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. »Bleib’ stehen, verdammt nochmal!« Richtig grob zerrte er sie zurück und übernahm die Führung. Zum Glück wurde der Qualm jetzt so dicht, dass ihr leichtsinniges Handeln unentdeckt blieb.

    An einer niedrigen Mauer hielt Kjell an und spähte geduckt hinüber. Als er die anderen hinter sich spürte, flüsterte er über die Schulter: »Wir erledigen sie ganz leise, bis wir den Ragai finden. Die beiden dort drüben zuerst.« Er deutete auf ein paar Ethenier, die dabei waren, die rückwärtigen Gärten zu plündern, und gar nicht merkten, was da über sie kam. Wie die Geister schlichen sich Kjell und Bjarne heran, überwältigten sie und schnitten ihnen die Kehlen durch, bevor sie einen Laut von sich geben konnten.

    Die anderen beiden sahen stumm zu und wunderten sich, wie mühelos, wie beiläufig ihnen das gelang. Doch dann ließen sie sich nicht lange bitten. Zu viert schlichen sie von Hecke zu Hecke, von Mauer zu Mauer, in einem großen Bogen um die brennende Scheune und schreienden Menschen herum, und machten nieder, was sich ihnen in den Weg stellte.

    Bis sie plötzlich eine regungslose Gestalt durch den Rauch erblickten. Kjell zögerte nicht. »Ich den Kopf, du das Herz, Bjarne, du den Bauch, Phorsteinn, und du, Hjordis, dorthin, wo er fällt.« Sie legten alle gleichzeitig an. Kjell holte tief Luft. »Jetzt!!«

    Der Ragai besaß einen unglaublichen Instinkt. Blitzschnell tauchte er ab, entkam Kjells Pfeil und ebenso Bjarnes, und Phorsteinns prallte an seinem Schwertgurt ab. Aber Hjordis, sie traf, weil sie einen winzigen Moment länger gewartet hatte. Ein meisterhafter Schuss. Der Pfeil saß mitten in seiner Stirn.

    »Sauberer Schuss!«, rief Phorsteinn und schlug ihr auf die Schulter, was sie mit einem bösen Blick quittierte.

    Kjell beachtete ihr Geplänkel nicht. Es war nur noch eine Frage von Augenblicken, bis die Ethenier entdecken würden, dass sie angegriffen wurden. Blitzschnell warf er seine Strategie um. Er sah zu den Gebäuden, prüfte die Windrichtung, die wuselnden Schatten der Feinde und hörte die Schreie der Frauen und Kinder. Sie waren das Wichtigste.

    »Hjordis, geh rauf auf den Verschlag dort und nimm unsere Bogen und Köcher mit. Du wirst uns den Rücken frei halten. Schieß alles ab, was uns zu nahe kommt. Wir drei kämpfen uns durch die Siedlung und locken die Feinde von der Scheune weg. Wenn der Weg frei ist, befreist du die Frauen und Kinder. Verstanden?« Er sah sie eindringlich an, und sie nickte und nahm ihre Waffen an sich. Kjell zog Schwert und Dolch. Noch nie hatte er mit dem Ragai-Schwert gekämpft, seine alte Heereswaffe wäre ihm viel lieber gewesen, doch sie war bei den Pferden geblieben, das war jetzt nicht mehr zu ändern.

    Es dauerte, bis die Ethenier wirklich merkten, was in ihrer Mitte vor sich ging. Die Sicht war einfach zu schlecht, der Bogen schwieg. Die Jungen dachten nicht nach, wen sie töteten, irgendwie war ihnen klar, dass dort keine Frauen und Kinder mehr waren. Besonders Bjarne steigerte sich in einen richtigen Rausch hinein. Seine ersten Toten. Keine Reue, nur eine diebische Freude, gesiegt zu haben.

    Die Schreie der Frauen und Kinder wurden immer erstickter und abgehackter, das Prasseln des Feuers nahm zu, und auf einmal hallten Alarmschreie durch die Siedlung.

    »Schwärmt aus!«, schrie Kjell den anderen zu, und dann ging es plötzlich ganz schnell. Sie waren durch den Rauch hindurch, vor sich den Hafen und die zerstörten Lagerhäuser und Dutzende von Feinden, die alle gleichzeitig ihre Beute fallen ließen und nach ihren Waffen griffen. Und dann zischte es über sie hinweg, ein gewaltiger Schuss, welcher einen Bogenschützen fällte, der gerade auf sie angelegt hatte. Da gab es kein Halten mehr. Die jungen Kämpfer stürmten von drei Seiten heran, und unter den Etheniern, ihres Anführers beraubt, brach heillose Verwirrung aus. Hinterher sollte Kjell aufgehen, dass es nicht an ihnen selbst lag, sondern an den Schüssen, die in rascher Folge kamen und eine wesentlich größere Anzahl von Feinden vermuten ließen als nur einen einzigen Schützen und drei Fußkämpfer.

    Kjell stürmte voran und machte alles nieder, was in die Reichweite seines Schwertes kam. Wie leicht, wie schnell es sich in seiner Hand anfühlte! Keiner der Ethenier konnte ihm etwas entgegensetzen, und er begann das erste Mal wirklich zu ahnen, welche Macht und Furcht von den Ragai ausgegangen war. Er war schnell und geschickt wie eine Schlange, aber er empfand nicht diese hämische Freude wie Bjarne oder solche Wut wie Phorsteinn, der sie laut herausbrüllte und die Feinde mehr mit seiner gewaltigen Stimme in die Flucht schlug denn mit seinem Schwert tötete. Zusammen aber war ihr Vorgehen verheerend, und es dauerte nicht lange, da wandten sich die verbliebenen Ethenier zur Flucht. Das war der Moment, da der Beschuss aufhörte und Kjell wusste, dass Hjordis von ihrem Dach heruntergesprungen war und auf dem Weg zur brennenden Scheune.

    Die Ethenier rannten zu den Beibooten. ›Wir müssen sie aufhalten!‹, dachte er. Sofort wünschte er sich seinen Bogen herbei und verfluchte sich, ihn bei Hjordis gelassen zu haben. Im selben Moment spürte er eine Bewegung hinter sich und fuhr herum, das Schwert abwehrbereit erhoben.

    »He!«, rief eine Silhouette, und im letzten Moment fing Kjell den Schwung seines Schwertes ab.

    »Mann!«, schrie er voller Wut auf, was Hjordis aber nicht schreckte.

    »Hier, dein Bogen. Halten wir sie auf!« Und weg war sie.

    Kjell war so verblüfft, dass er einen Moment brauchte, bis er sich besann. Dann stürmte er hinter ihr her und schoss blindlings drauflos, voller Zorn darüber, dass sie ihn so überrumpelt und an seiner Statt die Führung übernommen hatte. Wütend schrie er sie an, aber das ging in dem Lärm unter. Auch Bjarne und Phorsteinn hatten ihre Bogen in der Hand und schossen, was ging. Da es hinter ihnen immer noch rauchte, konnten ihre Feinde nach wie vor nicht richtig ausmachen, wie wenige sie waren, und stießen in Panik die Boote vom Ufer ab. In ihrer Hast verkeilten sich die Ruder ineinander, genug Zeit für die Schützen, sie allesamt niederzumachen.

    »Getroffen... getroffen... getroffen!! Schiieeeßt sie ab!« Phorsteinn brüllte sich die Kehle aus dem Leib. Er schoss und schoss und schoss und wagte sich dabei immer weiter aus der Deckung hervor.

    »Was tust du?!«, schrie Kjell, hechtete hinter ihm her und riss ihn gerade noch rechtzeitig zu Boden, bevor ein Schütze auf ihn anlegen konnte. Den erledigte Hjordis, und auf einmal war es still. Die beiden anderen ließen ihre Bogen sinken und lauschten.

    Kjell war sofort auf den Beinen und zerrte Phorsteinn hoch. »Bleibt hier. Gebt mir Deckung.« Vorsichtig und mit gespanntem Bogen näherte er sich den Beibooten. Nichts rührte sich. Doch, da ein leises Stöhnen. Kjell ließ Pfeil und Bogen fallen, zog sein Schwert und versetzte jedem der Feinde einen Schnitt über die Kehle, wie es ihn seine Onkel, allen voran Kiral von Branndar, gelehrt hatten. Wie betäubt war er dabei, und er wandte sich danach gleich der Siedlung zu und vollendete auch da, was noch nicht vollendet war.

    Plötzlich fand er sich an der frischen Luft auf einer grünen Wiese wieder. Der Duft von Äpfeln war es, der ihn wieder zu sich brachte. Er blickte nach unten und sah, dass er mit seinen Stiefeln inmitten eines Haufens aus zertretenen Früchten stand. Rasch sah er sich um. Etwas weiter hinten lehnte Phorsteinn an einem Baumstamm und übergab sich. Neben ihm war Hjordis in die Knie gegangen, kreidebleich im Gesicht. Sie schwankte bedenklich, so, als wolle sie gleich ohnmächtig werden.

    »He, alles in Ordnung?« Kjell hockte sich zu ihr und wollte sie festhalten, aber sie zuckte zurück. Seine Hände waren blutverkrustet, bemerkte er voller Ekel. Er stand auf und suchte sich die nächste Viehtränke, wo er sich reinigen konnte. Als er fertig war, kam sein kleiner Bruder gerade aus der Siedlung marschiert, in einer Hand seinen Köcher und Bogen, in der anderen einen länglichen Gegenstand, den Kjell bei näherem Hinsehen als ein Ragai-Schwert erkannte.

    »Hier.« Er warf es vor Kjell auf den Boden. »Die anderen hatten keine Schwerter, nur Dolche und Äxte.«

    »Du scheinst dich ja prächtig amüsiert zu haben«, stieß Kjell hervor.

    Mit blitzenden Augen stand Bjarne vor ihm, noch immer außer Atem, und lachte ihn aus. »Und ob, und ob! Das war ein richtiger Kampf, eine Schlacht, und wir haben gewonnen!«

    »Oh ja, durch Glück, Zufall und dass wir Hjordis getroffen haben.« Kjell hob das Schwert auf und wog es in der Hand. Ein echtes Ragai-Schwert, unendlich kostbar und begehrt, das wusste er. »Ich finde, Hjordis sollte es bekommen. Sie hat den Ragai getötet.« Er sah zu ihr. Sie schien sich wieder gefangen zu haben, rappelte sich gerade auf. »Hier«, er streckte ihr die Waffe hin, »diese Beute gehört dir.«

    »Mir?!« Ihre Stimme klang brüchig. Sie machte keine Anstalten näherzukommen.

    »Ja, dir. Nimm es. Du hast ihn getötet.«

    »Getötet...«, stöhnte sie auf, sackte plötzlich zur Seite und rührte sich nicht mehr.

    Hinterher war ihr das derart peinlich, dass Kjell ihren vollen Zorn abbekam. Nicht die Tatsache an sich, sondern dass er sie hinauf in den Wald zu den dort verborgenen Frauen und Kindern getragen hatte.

    Fauchend schlug sie die nach ihr fassenden Hände fort und sprang auf wie eine Raubkatze. »Fasst mich bloß nicht an und lasst mich in Ruhe! Und du«, sie schlug nach Kjell, »dein Schwert kannst du dir sonst wo hinstecken, ich will keine Allmosen!« Sie warf es fast auf ihn, sodass er sich ducken musste, um nicht getroffen zu werden.

    »He, Vorsicht!« Er fing es auf und wog es behutsam in der Hand. Da er sich nicht mit ihr vor allen andern streiten wollte, beschloss er, sie erst einmal zu ignorieren, und wandte sich an die anderen Frauen. »Sind alle wohlauf? Jemand verletzt?«

    Stumm schüttelten sie die Köpfe. Der Schrecken stand ihnen allen noch ins Gesicht geschrieben, riesige Augen blickten aus rußgeschwärzten Gesichtern zu ihm auf. Kjell wusste, eigentlich müssten sie sie erst einmal versorgen, aber er spürte, wie die Zeit drängte. »Kann mir jemand sagen, was geschehen ist?« Er hockte sich vor sie und sah alle nacheinander an. Sie zuckten vor ihm zurück, als könne er ihnen gefährlich werden. Er konnte es ja nicht ahnen, wie er aussah, mit immer noch von Ruß und Blut verschmiertem Gesicht und den eisig blitzenden Augen.

    »Lass sie!«, zischte Hjordis.

    »Nein. Sagt uns, was geschehen ist.« Ganz bewusst suchte er sich eine der älteren Frauen heraus, ein kleines, verhutzeltes Weib, das sich augenscheinlich um die anderen kümmerte. »Wie ist dein Name?«

    »Budicca Dagsfalan.«

    Der Name sagte ihm etwas. Er meinte sich zu erinnern, dass sie mit dem Clansführer verwandt war. »Bist du die Clansherrin?«

    Er sah, wie sie ihn genauso abzuschätzen versuchte. Sie richtete sich auf. »Die bin ich. Mein Enkel Skane ist der Clansführer.« Der verängstigte Ausdruck schwand, ihre Miene bekam einen Ausdruck, den er nicht ganz ausloten konnte. Irgendwie berechnend.

    »Dann sag, was hier geschehen ist«, sagte er und richtete sich ebenfalls wieder auf.

    Offenbar waren die Feinde in der Nacht gekommen und hatten als erstes die Siedlung beschossen. »Mit fliegenden Feuerbällen«, wisperte eines der Kinder in den Rock seiner Mutter.

    »Große Bälle?«, hakte Bjarne nach.

    »Jaaahh... riesengroße. Sie haben ganz weit geschossen.«

    »Und wo kamen sie her?«, fragte Phorsteinn, was Hjordis zu einem Schnauben veranlasste.

    »Na, woher schon? Von Süden natürlich!«

    »Sind da noch mehr?«, fragte anderes Kind ängstlich.

    »Das werden wir herausfinden müssen«, sagte Kjell. »Habt ihr in letzter Zeit Reisende aus Saran gesehen, Schiffe?«

    »Nein.« Allgemeines Kopfschütteln. »Die Winterfahrer sind gerade aufgebrochen«, ergänzte die Clansführerin. »Die Männer sind allesamt mit ihnen auf See.«

    »Und darauf haben sie gewartet, das möchte ich wetten. Das hat der Ragai ausgeheckt!«, spie Kjell grimmig aus. »Der hat nicht wirklich mit Widerstand gerechnet, hatte nicht einmal eine vollständige Rüstung an. Wir müssen nach Saran, so schnell wie möglich, und schauen, was dort vor sich geht.«

    »Was könnt ihr schon ausrichten?«, fragten die Frauen mutlos.

    »Mehr, als ihr denkt. Oder haben wir nicht zu viert gegen sie gewonnen?« Herausfordernd sah Phorsteinn in die Runde.

    »Gib nicht so an!«, verpasste Hjordis ihm einen Dämpfer. »In Saran sind womöglich Hunderte von Feinden. Wie sollen wir gegen sie bestehen?«

    »Wir könnten segeln«, sagte da Bjarne.

    »Und wie willst du Hänfling das machen?« Auf einmal waren die Frauen nicht mehr so ängstlich, eher resigniert. Sie lachten ihn aus, es klang bitter. »Was für ein verrückter Einfall!«

    »Glaubt mir, ich kann’s«, erwiderte Bjarne und verschränkte trotzig die Arme. »Urgroßvater hat es mir gezeigt. Ich habe nichts davon vergessen.« Das galt besonders Kjell, und der glaubte es ihm unbesehen.

    »Meinst du, wir schaffen das allein?«

    »Nun, wir brauchen schon etwas Hilfe. Von euch.« Bjarne wies auf die Frauen.

    »Waas? Wir?!«, riefen diese entsetzt.

    »Wer sonst«, stichelte Hjordis spöttisch. »Oder seht ihr hier sonst jemanden? Ich bin dabei. Das will ich sehen, wie ihr Landratten aus der Steppe euch so richtig schön blamiert!«

    »Landratten? Steppe? Moment mal, wer seid ihr eigentlich?«, verlangte die Clansführerin zu wissen. »Von welchem Urgroßvater redest du, Junge?«

    »Von Regnar.« Bei dem Namen schraken alle auf, und manch kleines Kind barg erschrocken das Gesicht im Rock der Mutter. Bjarne grinste gehässig, was Kjell zu einem Stoß veranlasste.

    »Ich bin Kjell Jeldriksfalir, und dies ist mein Bruder Bjarne Jeldriksfalir und dies Phorsteinn Brynsfalir. Wir können es, glaubt es ruhig, und kämpfen, das können wir allemal. Wir haben Waffen, wir haben ihre Schiffe und ihre Katapulte und mit etwas Glück auch Teer für die fliegenden Bälle. Also«, Kjell sah herausfordernd in die Runde, »wer kommt mit? Wer kann mit einer Waffe, einem Bogen umgehen?«

    »Ich. Wenn die da mitgeht, dann will ich nicht zurückbleiben.« Verächtlich sah eine junge Frau Hjordis an, und andere schlossen sich ihrer Meinung an.

    ›Nanu?‹, dachte Kjell und bemerkte bei einem schnellen Seitenblick, wie Hjordis’ Mund sich verschloss und sie ganz steif dastand. Die grünen Augen funkelten abwehrend.

    »Und was ist mit uns?«, fragten die anderen Frauen. »Wo sollen wir hin?«

    »Ihr könnt in meine Hütte, wenn ihr euch nicht zu fein dafür seid«, schnappte Hjordis. Es klang trotzig, als wolle sie sich beweisen.

    »Waas? Wir in die Hütte einer Clanlosen?«, fauchte Budicca.

    Kjell traute seinen Ohren nicht über die so ihr unvermittelt entgegenschlagende Feindseligkeit. Sie hatten gerade alles verloren und bekamen von Hjordis ein Obdach geboten, und das war ihnen nicht gut genug? Es machte Hjordis wütend und verletzte sie, das spürte er, obwohl sie das nicht zeigte.

    »Dann schlaft doch in den Trümmern«, erwiderte sie bissig. »Nach Saran könnt ihr jedenfalls nicht.«

    »Nein... warte.« Eine der älteren Frauen strafte die Clansführerin mit einem Kopfschütteln. »Wir«, sie zeigte auf die Umstehenden und sparte dabei Budicca bewusst aus, »nehmen dein Angebot an, bis wir uns dort unten wieder etwas herrichten können.« Danken tat sie Hjordis jedoch nicht.

    Diese verschränkte die Arme. »Zu essen sollte genug für ein paar Tage in der Hütte sein. Aber wenn ich entdecke, dass ihr an die Vorräte gegangen seid oder etwas von meinen oder Vaters Sachen fehlt, dann schneidet er euch das Herz bei lebendigem Leibe heraus. Wenn ich das nicht schon vorher getan habe.« Sie riss dem überraschten Kjell das Ragai-Schwert aus der Hand. »Er gehört zu Regnars Männern«, fügte sie an die Brüder gewandt hinzu und strich beinahe liebevoll über die kunstvoll verzierte Schwertscheide. Dabei fletschte sie die Zähne in die Richtung der Frauen, die prompt zurückwichen.

    Bevor sie noch ernsthaft aneinander geraten konnten, griff Kjell ein. »Zwei oder drei von euch bringen die Kinder hoch in den Wald. Die anderen kommen mit uns. Wir schauen, was noch zu retten ist.«

    Das war wahrlich nicht viel. Während Phorsteinn und die Frauen die Trümmer durchstöberten und alles nicht Verbrannte in den einzigen heilen Verschlag in Sicherheit brachten, ruderten Kjell und Bjarne mit Hjordis zu den Schiffen hinaus. Dabei warf Kjell ihr immer wieder heimliche Seitenblicke zu. Sie war also eine Clanlose. Darauf hätte er schon allein wegen ihres wilden Äußeren kommen müssen. Das war an sich ja nichts Ungewöhnliches, aber eine solche Verachtung von Seiten der Frauen, das musste besondere Gründe haben. Sollte er sie danach fragen? Nicht jetzt, entschied er. Später vielleicht.

    Auf den Schiffen war niemand mehr, alles andere hätte Kjell auch überrascht. »Warum nur haben sie keine Wachen aufgestellt?«, fragte sich Bjarne und sah sich unbehaglich um.

    »Sie müssen genau gewusst haben, wann die Winterfahrer aufgebrochen sind«, vermutete Kjell.

    »Ich glaube, es waren die Sklaven«, sagte Hjordis. »Sie haben so etwas wie ein... ein... wie nennt man das?«, fragte sie Kjell.

    »Ein Kundschafternetz? Verdammt! Und Oren hat nichts bemerkt?«

    »Das fragst du mich? Woher soll ich das wissen?« Schon war sie wieder wütend und wollte den Platz wechseln.

    »Vorsicht, sachte!«, rief Kjell, weil sie das Boot gefährlich zum Schwanken brachte. Sie legten an und kletterten an Bord. Dabei ignorierte sie seine ausgestreckte Hand, was Kjell sich nicht länger gefallen ließ. »Jetzt hör mir mal gut zu!« Er riss sie herum und baute sich so dicht vor ihr auf, dass sie einander Aug in Aug gegenüberstanden. »Es ist mir egal, wer du bist oder wie deine Abstammung ist. In meiner Familie war das nie von Bedeutung, also tu nicht so, als würde ich dich mit jedem Wort niedermachen! Wenn man kämpft, dann muss einer Befehle geben, und das werde ich tun. Verstanden?« Er musste fast grinsen. Wenn diese Augen Dolche werfen könnten, er wäre längst tot. Er sah, wie sie mit sich rang, ihn zu schlagen oder einfach wegzugehen. ›Ja, schlag zu!‹, dachte er. Aber dann presste sie die Lippen zusammen und nickte knapp. »Gut.« Er holte tief Luft. »Bjarne, geh rüber auf den anderen Kahn und sieh zu, was du an Waffen, Teer und Geschossen findest. Und Vorräten. Die sollten wir an Land bringen. Wir beide sehen uns hier um.«

    »Was hast du vor?« Wider Willen neugierig geworden, folgte Hjordis ihm unter Deck.

    »Das weiß ich noch nicht so genau«, gab er offen über die Schulter zu. »Lass uns erstmal schauen, was wir hier haben. Dann entwerfen wir einen Plan.«

    »Einen Plan?«, schnaubte sie belustigt, auch als kleine Rache für eben. »Hör dich doch mal an! Einen Plaaaan! Segeln wir doch einfach nach Saran und greifen sie an.«

    »So wenige gegen vielleicht Hunderte von Kämpfern? Das schaffen wir nicht.« Im selben Moment trat sie in einen Lichtstrahl, und er sah in ihre Augen. Sie wusste es, wusste es ganz genau, wollte ihn nur ärgern. »Bist du hier, um Haarspaltereien zu betreiben oder um zu kämpfen und zu siegen?« Damit ließ er sie stehen und begann zu stöbern.

    Wieder an Land, hatte Kjell nicht ein Wort mehr mit ihr gesprochen und sich seinen Plan zurechtgelegt. Sie hatten zwei volle Boote an Vorräten erbeutet und Bogen, Pfeile und mehrere der Geschosse.

    »Sie wollten mit Sicherheit nach Saran zurückkehren und dort mit den anderen kämpfen«, sagte Kjell zu seinen Freunden. Sie hockten im Hafen beieinander, während die Frauen immer noch die Trümmer durchsuchten. »Also sollten wir tun, was sie erwarten, und erst im letzten Moment zuschlagen.«

    »Zuschlagen?« Phorsteinn verstand nicht.

    Da grinste Kjell. »Kannst du schwimmen?«

    Sie mussten üben, das Manövrieren und das Schießen. Diese Schiffe waren ganz anders als die ethenischen Lastensegler, die sie sonst kannten, oder die schnellen saranischen Schiffe. Kjell glaubte sich aus den Erzählungen seines Vaters und Onkels zu erinnern, dass sie mehr wie

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