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Trägerin des Lichts - Erstarken
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Trägerin des Lichts - Erstarken
eBook1.358 Seiten20 Stunden

Trägerin des Lichts - Erstarken

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Über dieses E-Book

Wie ein lähmendes Tuch legt sich die Macht des Bösen über das Land Morann. Die Handelsströme kommen zum Erliegen, die Menschen leiden bittere Not. Besonders hart trifft es Currann und seine Kameraden, die im entlegenen Branndar vom Hungertod und von den Bergstämmen bedroht werden. Currann will den Menschen in Branndar um jeden Preis beistehen und bringt dabei nicht nur sich selbst, sondern auch die Kameraden in Gefahr. Ihr Zusammenhalt wird auf eine harte Probe gestellt. Werden seine Kameraden zu ihrem Eid stehen und zu ihm halten?
Auch die Temorer bekommen die Macht des Bösen zu spüren. Während Althea und Noemi mit ihrer Beschützerin Chaya in der scheinbaren Sicherheit des Bannwaldes leben, verschwinden Priester der Gemeinschaft spurlos, und eine rätselhafte Seuche bricht in der Bevölkerung aus. Unvermittelt stehen die drei Heilerinnen mitten im Sturm der Ereignisse, denn sie sind es, die den kranken Menschen beistehen, nicht die allseits gefürchteten Priester. Und damit wird Althea auch sichtbarer für die Diener des Bösen, die das Mädchen aus Gilda mit allen Mitteln suchen.
Getrennt von den Mädchen, hat Phelan sich nur widerwillig mit seinem Exil in Saran abgefunden. Zusammen mit dem ehemaligen Heerführer Bajan, als dessen Sohn er dort vorgestellt wurde, hilft er den Saranern, ihre Grenzen gegen die von allen Seiten eindringenden Feinde zu verteidigen. Phelans Befürchtung, dass auch in Saran ein Diener des Bösen lauert, wird zur grausamen Gewissheit, und dem Diener ist längst klar, wer der junge Mann an Bajans Seite in Wahrheit ist. Er wird ausgesandt, Phelan in seine Gewalt zu bringen und über ihn an Altheas Versteck heranzukommen.

Dies ist der dritte Band der Saga um die Königskinder von Morann
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum13. Jan. 2013
ISBN9783844245493
Trägerin des Lichts - Erstarken
Autor

Lydie Man

Autorin seit 2005 In meinem ersten Leben habe ich Betriebswirtschaft studiert und viele Jahre als Analystin und Referentin in einem Hamburger Industrieunternehmen gearbeitet. Dann entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Schreiben. Die Saga um die Königskinder von Morann und ein begonnenes neues Projekt sind die Folge und das Vergnügen daraus. Mögen es viele Leser teilen :)

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    Buchvorschau

    Trägerin des Lichts - Erstarken - Lydie Man

    Kapitelübersicht

    Kapitel 1: Branndar – Im Winter nach der Flucht

    Kapitel 2: Saran – Zweites Frühjahr nach der Flucht

    Kapitel 3: Temora – Zweites Frühjahr nach der Flucht

    Kapitel 4: Saran – Zweiter Sommer nach der Flucht

    Kapitel 5: Branndar – Zweiter Sommer nach der Flucht

    Kapitel 6: Saran – Zweiter Herbst nach der Flucht

    Kapitel 7: Branndar – Zweiter Herbst nach der Flucht

    Kapitel 8: Auf See – Zweiter Herbst nach der Flucht

    Kapitel 9: Branndar – Drittes Frühjahr nach der Flucht

    Kapitel 10: Auf See – Drittes Frühjahr nach der Flucht

    --------------------

    Personen der Handlung

    Im Verborgenen:

    Currann, Thronfolger des Reiches

    Phelan, sein jüngerer Bruder

    Althea, ihre Cousine

    Noemi, ihre treue taubstumme Freundin

    Bajan, ehemaliger Heerführer

    Sinan, der jüngere Bruder von Ratsherr Nestan

    Tamas, Sohn von Tanaar, des Fürsten von Nador

    Yemon, Sohn von Yenkal, des Fürsten von Mukanir

    Ouray, Sohn von Orban, eines Siedlungsvorstehers

    Kiral, ein Cerinn aus dem fernen Osten

    Der Hofstaat

    Aietan, König von Morann

    Alia, die neue Königin

    Lelia, einzig verbliebenes Königskind bei Hofe

    Nusair, oberster Mönch und religiöser Führer des Landes

    Brida, Haushofmeisterin

    Nestan, Ratsherr und rechte Hand Nusairs

    Daria, Zofe und Nusairs Nichte

    Weitere Personen in Gilda und Morann:

    Meda, inoffizielle ehrwürdige Mutter der Heilerinnen

    Leanna, Lelias verschwundene Zwillingsschwester

    Rynan, Leannas Beschützer und Kundschafter der Heilerinnen

    Orban, Siedlungsvorsteher und Vater von Curranns Kamerad Ouray

    Tanaar, Fürst von Nador und Vater von Curranns Kamerad Tamas

    Tavar, Tamas’ jüngerer Bruder

    Dagan, der Steuereintreiber von Fürst Tanaar

    Thorald, Altheas Vater in Gefangenschaft

    Leviad, ein alter Freund Bajans

    Nadim, ein Kundschafter Bajans

    In Branndar:

    Sirial (Siri), Curranns Freundin

    Nathan (Nat), ihr neugeborener Sohn

    Strahan, ihr Vater, der Schulmeister

    Peadar, der Mönch der Siedlung

    Kedar, Siedlungsvorsteher und Siris Onkel

    Karya, Siris Tante, die Heilerin

    Goran, ihr Sohn, Siris Cousin

    Mari, ihre Tochter, Siris Cousine

    Nuria, Siris Freundin

    Belan, ihr kleiner Sohn

    Evan, Nurias Mann

    Evi, Nurias kleine Tochter

    Yorran, der Schmied

    Yassin und Ramon, zwei Jungen

    Kjell und Rike, zwei von den Goi entführte Kinder aus Saran

    In Temora:

    Anwyll, Hohepriester von Temora

    Aislinn, Altheas Großmutter und Priesterin im Rat Temoras

    Chaya, Ausgestoßene und Heilerin

    Maret, Novizin

    Emlyn, Novizin

    Galvin und Gayle, Zwillinge und ebenfalls Novizen

    Verna, Tochter eines Clansführers

    Naja, Vernas Schwester, Novizin

    Mahin, Marets Bruder

    Amin, Händler Temoras

    In Saran

    Regnar, Altheas Großvater und Seeräuber

    Roar, Clansführer von Saran

    Jeldrik, sein Sohn und Erbe

    Jorid, Jeldriks Schwester

    Ryolf, ihr Onkel, Roars Bruder

    Sylja, Herrin über Roars Haus

    Bryn, der saranische Schmied

    Rana, seine und nicht mehr Phelans Sklavin

    Sedat, Gesetzeshüter von Saran

    Yeni, Priesterin der ethenischen Sklaven

    Corin und Eryk, die Väter der entführten Kinder Kjell und Rike

    Oren, Haldar und Bado, die drei Unholde der Siedlung

    Widar, ermordeter Clansführer

    Harcon, sein Bruder

    Seeko, sein Sohn

    Auf See

    Tzusa, eine Priesterin

    Ohin, Vater von Unhold Oren

    Ragai, Phelans Gefangener

    In Mukanir

    Naluri, die ehemalige Königin

    Meno, ehemaliger Archivar Gildas und jetzt Schulmeister

    Yola, Vertraute Naluris und seine Frau

    Yenkal, Fürst von Mukanir und Vater von Curranns Kamerad Yemon

    --------------------

    Karte von Morann

    --------------------

    Was im letzten Teil geschah

    »Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte die Großmutter in die Runde.

    Die Kinder rückten erwartungsvoll näher. »Bei der Flucht.«

    »Currann wirft sich mit seinen Kameraden den Verfolgern entgegen!«

    »Ja, richtig.« Die alte Frau nahm das Jüngste der Schar auf den Schoß und drückte es liebevoll an sich. »Das müsst ihr euch vorstellen: Kaum sechzehn Jahre alt und schon muss Currann einen richtigen Kampf durchstehen. Mit mehr Glück als Verstand besiegt er mit seinen Kameraden die Verfolger, aber es geht nicht ohne Verluste vonstatten. Ihr Hauptmann wird getötet und einer von Curranns Kameraden schwer verwundet. Doch wohin nun? Sie sind vogelfrei, Geächtete, und mit Sicherheit werden sie von ihren Feinden gesucht. Der ehemalige Heerführer Bajan, Curranns väterlicher Freund und Beschützer, ist mit Phelan, Althea und Noemi längst fort. Sie sind auf sich allein gestellt, können Bajan nicht folgen, da sie sonst die Aufmerksamkeit ihrer Häscher auf sie lenken würden. Da erinnert sich Currann an die Erzählung seiner Freundin Siri über ihre Heimat, einen vernachlässigten Flecken ganz im Südwesten des Landes. Sie beschließen, sich dorthin durchzuschlagen und ihre Leute um Asyl zu bitten.

    Bajan will die anderen drei Kinder ins weit entfernte Temora in Sicherheit bringen, in die Heimat von Altheas Vater. Er entkommt zwar den Verfolgern, aber die restliche Flucht verläuft nicht so glimpflich. Ohne Wasser, Nahrung und Schutz ist er auf die Hilfe alter Kameraden angewiesen. Doch Verrat lauert überall des Weges, bevor es ihm mit der Hilfe seines Kundschafterfreundes Nadim gelingt, nach Temora zu gelangen. Die Kinder sind gezwungen zu kämpfen, und sie müssen in höchster Not sogar töten.

    Immer wieder wird Althea von schlimmen Träumen heimgesucht. Sie sieht, wie Currann und seine Kameraden den Kampf überstehen und wie ihr Vater von dem Diener gequält wird. Tief verstört kommt sie in Temora an.

    Doch statt vermeintlicher Sicherheit wartet auf Althea eine erneute Falle. Ihre Gabe, bisher ein Segen, wird ihr nun zum Verhängnis. Na, von was ist Temora umgeben?«, fragte die alte Frau in die Runde.

    »Von einem Ring!«, riefen die Kinder. »Man fällt darin um.«

    »Und..?«

    »Althea läuft einfach hindurch. Sie trägt das Licht in sich. Und sie nimmt Noemi mit!«, rief ein Mädchen.

    »Genauso ist es. Es versetzt die Priester in helle Aufregung, denn sie können nicht durch den Ring gehen ohne besondere Weihen. Die Mädchen finden sich von den Priestern umzingelt. Bajan und Phelan versuchen, ihnen beizustehen, scheitern aber an der Macht des Ringes. In der Not greift sich Bajan einen Priester und zwingt ihn, sie hindurchzubringen. Er begeht damit unwissentlich denselben Frevel wie Phileas vor vielen Hundert Jahren. Voller Zorn nehmen die Priester Bajan und Phelan gefangen, verhängen einen Bann über sie und vertreiben sie aus Temora. Sie gehen nach Saran ins Exil.

    Althea und Noemi sind plötzlich auf sich allein gestellt. Althea kann Meister Anwyll, den alten Lehrmeister ihres Vaters, unter den Priestern nicht entdecken. Dafür spürt sie unter ihnen einen Träger der bösen Macht, einen Diener. Und er spürt auch sie. Sie ergreift die Flucht und versteckt sich mit Noemi in den Felsen Temoras. In der Nacht beobachten die Mädchen den Diener, wie er sich über eine regungslose Gestalt beugt und diese quält. Es ist Meister Anwyll, er wurde vom Diener überwältigt. Althea befreit ihn, und gemeinsam bringen sie den Diener vor den versammelten Priestern zur Strecke. Nun hätte eigentlich alles gut werden können: Sie lernt ihre Großmutter Aislinn kennen, und die Mädchen schließen Freundschaft mit vier Novizen, die auch erst seit kurzem in der Gemeinschaft sind. Aber..«

    »Aber sie wird geprüft!«, rief die Älteste der Kinder dazwischen.

    »Willst du weitererzählen?« Die Großmutter zwinkerte. »Unversehens findet sich Althea in derselben Lage wie in Gilda wieder. Anwyll führt sie vor den Rat, um sie wegen ihrer Flucht zu befragen. Dabei wird sie unwissentlich einer Prüfung unterzogen und läuft wieder völlig ahnungslos durch den Ring. Da packt Aislinn der Zorn. Sie hat seinerzeit mit ihrem Sohn gebrochen und vermutet nun falsches Spiel hinter Altheas Gabe.

    Mit Gewalt versuchen die Priester, hinter ihr Geheimnis zu kommen, durchsuchen sie bis auf den letzten Fetzen, den sie am Leibe trägt. Althea steht unter Schock. Sie begreift nicht, was ihre Großmutter und die anderen Priester von ihr erwarten, denn ihr Vater hat über seine Heimat stets geschwiegen und ihr nichts, aber auch gar nichts über Temora erzählt. In der Not läuft sie mit Noemi fort aus Temora, tief hinein in die Wälder. Dort werden sie von einer armen alten Frau aufgelesen. Sie ist eine aus Temora Gebannte, eine alte Freundin von Altheas Vater, die sich nun als Heilerin im Volke verdingt.«

    »Das ist Chaya!«, rief eines der Kinder. »Der Schatten!«

    »Ja, genau. Sie nimmt Althea und Noemi bei sich auf und verspricht, sie vor den Priestern zu verbergen und die Kunst des Heilens zu lehren. Bei ihr finden die Mädchen ein liebevolles Zuhause und fassen langsam wieder Mut. Nur, Chaya ist arm, sehr arm. Spätestens jetzt ist das behütete Leben für beide Mädchen vorbei. Sie müssen sich durch ihrer eigenen Hände Arbeit ernähren, sonst werden sie den Winter nicht überstehen. Aber Althea und Noemi sind stark, viel stärker, als es äußerlich den Anschein hat. Sie lernen in Windeseile, mit dieser neuen Lage zurechtzukommen. Nach einigem Zögern nimmt Chaya Althea auch mit hinaus in die Siedlungen und lehrt sie, den notleidenden Menschen zu helfen. Sie hat nämlich herausgefunden, dass die Menschen in Althea einen Sklavenbastard sehen, wegen ihrer dunklen Haut, stellt euch das vor. Niemand erkennt in ihr das Königskind aus Gilda.«

    »Für eine Mischung aus einer Ethenierin und einem Saraner?«, fragte eines der Mädchen.

    »Das hast du gut erkannt«, nickte die Großmutter und erzählte schnell weiter, bevor noch Fragen in eine ganz andere Richtung aufkommen konnten.

    »Für Althea ist es eine Berufung. Sie lernt, ganz für die Menschen da zu sein. Doch so schnell sich beide Mädchen äußerlich dem neuen Leben anpassen, innerlich tragen sie schwer an den Ereignissen. Besonders Althea steckt im Zwiespalt: Was soll sie Chaya über die Umstände ihrer Flucht sagen, über ihre Träume, ihre Gabe? Nach ihrer Flucht hatte sie sich geschworen, diese nie wieder jemanden sehen zu lassen, aber kann sie das auf Dauer verbergen? Und was ist mit den Priestern, mit Meister Anwyll, dem sie vertraut und der dann zugelassen hat, dass sie gequält wurde? Zudem hadert sie mit ihrem Vater, weil er über seine Heimat geschwiegen und damit die unglücklichen Ereignisse in der Gemeinschaft ausgelöst hat.

    Althea weiß nicht, wie sie sich verhalten soll. In ihrer Not greift sie zu Feder und Pergament und bittet Phelan um Rat, in der Hoffnung, dass dieser sicher in Saran angekommen ist.

    Bajan ist es in der Tat gelungen, Phelan nach Saran zu bringen. Dort erwartet sie bereits Altheas Brief und ein zweiter von Meister Anwyll. Voller Zorn liest Phelan, was den Mädchen widerfahren ist, denn Anwyll verschweigt die Ereignisse. Er will sie glauben machen, dass die Mädchen nach wie vor in der Gemeinschaft sind. Da begreift der kluge Phelan, dass etwas mit dieser Gemeinschaft nicht stimmt. Warum sonst sollten sie Althea vor dem Rat durchsucht haben? Er zieht sehr schnell die richtigen Schlüsse: Die Priester müssen etwas bei sich tragen, das sie befähigt, durch den Ring zu gehen. Von wegen besondere Weihen! Nur so macht ihr Verhalten Sinn. Und genau deshalb ist Althea in größerer Gefahr als je zuvor, denn ein solches Geheimnis wie das ihre wird sich die Priestergemeinschaft nicht entgehen lassen.

    Bajan hat noch eine andere Sorge: Wie weit reicht die Hand ihrer Häscher? Deshalb wird Phelan als Bajans Sohn in die saranische Gesellschaft eingeführt, ein Schutz vor den Verfolgern. Bajan selbst dient sich Fürst Roar als Berater an, denn die Saraner werden wiederholt von den Bergstämmen überfallen und von einem fremden Seefahrervolk bedroht.

    Phelan trifft ihren alten Freund Jeldrik wieder und findet ihn völlig verändert. Aus dem aufgeweckten, freundlichen Jungen ist ein launischer, in sich gekehrter Jüngling geworden. Er verweigert sich allem und jedem, weil er auf der Expedition ins Lir-Delta bei dem Versuch, Currann das Leben zu retten, so schwer verwundet wurde, dass er nicht mehr kämpfen kann. Zudem macht er es Phelan zum Vorwurf, dass dieser ihm nichts über die Umstände ihrer Flucht erzählt hat. Versteht ihr, es geht um Vertrauen. Immerhin haben Jeldrik und Phelans Bruder Currann viel miteinander durchgemacht. Das merkt Phelan jedoch nicht, denn es ist seine große Schwäche, oft nicht zu merken, was in seinem Gegenüber vorgeht. Deshalb geht er Jeldrik aus dem Weg. Er treibt sich herum und gerät im Hafen mit einem grausamen Seeräuber aneinander. Es ist Altheas Großvater Regnar. Der ist über seine unversehens aufgetauchte Verwandtschaft nicht gerade begeistert. Eine Enkeltochter in Not macht ihn abhängig, etwas, das er mehr als alles andere hasst. Trotzdem will er nach Temora reisen, um sie kennen zu lernen und ihr beizustehen.

    Phelan befindet sich in eben jenem Zwiespalt wie Althea: Kann er Regnar trauen? Was soll er ihm erzählen? Er beschließt, dass Althea ihn erst prüfen muss, bevor sie ihm die Hintergründe ihrer Flucht anvertrauen können.

    Altheas erste Freude, einen Verwandten gefunden zu haben, wird sehr schnell von Regnars undurchschaubarem Wesen überschattet. Besonders Noemi spürt, dass hinter dem Großvater, wie er sich bei Chaya gibt, ein grausames und gefährliches Wesen lauert.«

    »Natürlich!«, platzte die Älteste heraus. »Er ist ein Seeräuber! Wie kann sie nur so dumm sein, etwas anderes bei ihm zu erwarten!«

    Die Großmutter schüttelte nachsichtig den Kopf. »Wenn dir deine gesamte Familie geraubt wird, du auf der Flucht bist, dann greifst du nach jedem Halt, den du bekommen kannst, und wenn es ein Seeräuber ist. Glaubt mir, in eine solche Lage wollt ihr niemals geraten.« Stumm nickten die Kinder.

    »Letzten Endes«, fuhr die Großmutter fort, »entscheidet Altheas Bedürfnis nach Schutz zu seinen Gunsten. Während Regnar zurück auf dem Weg nach Saran ist, gelingt es Bajans Kundschafter Nadim, sich unerkannt nach Gilda durchzuschlagen und das jüngste der geflohenen Königskinder ausfindig zu machen, Curranns und Phelans kleine Schwester Leanna. Diese lebt immer noch unerkannt bei den Heilerinnen. Nadim steht vor einem Dilemma. Bajans Befehle an ihn lauten, mit Hilfe seiner alten Heereskameraden ein neues Kundschafternetz aufzubauen. Nur, dass die Tempelsoldaten niemanden von der alten Führung übrig gelassen haben. Wie Altheas Vater Thorald auch wurden sie eingesperrt. So kann sich Nadim nur auf die Heilerinnen stützen. Gemeinsam mit Meda, die die Nachfolgerin der ehrwürdigen Mutter ist, gelingt es ihm, Verbindung zu Bajans Halbbruder aufzunehmen. Von ihm erhalten sie Bajans verstecktes Vermögen zur Unterstützung ihrer Pläne, und es gelingt ihnen, einige der heimlich auf Currann Vereidigten aufzufinden.

    Unterdessen nutzt Leanna die Gunst der Stunde, heimlich den Schwestern zu entwischen und in die Festung zurückzukehren. Das ist für sie nicht ungefährlich, müsst ihr wissen«, unterbrach die alte Frau ihre Erzählung.

    »Bestimmt!«, rief eines der Mädchen. »Sie muss sich nachts durch die gesamte Stadt schleichen.«

    »Warum macht sie das?«, fragte ein Junge.

    »Weil sie den Schatz ihrer Familie bergen wollte, das Tagebuch ihrer Mutter«, fuhr die alte Frau fort. »Ihr erinnert euch, durch die geheimen Gänge waren sie geflohen. Nun lernt sie diese richtig kennen, aber auf dem Weg zurück wird sie von einem jungen Soldaten und obendrein von Nadim und Meda erwischt. Doch es ist nicht irgendein Soldat, es ist Phelans bester Freund aus der Heerschule, ein Junge namens Rynan. Nach anfänglichem Zögern erkennen Meda und Nadim, welche Gelegenheit ihnen der Junge bietet. Sie haben einen Spion innerhalb des Heeres, einen, der sein Leben für die Königskinder geben würde. Und Leanna, die gerade noch einmal davongekommen ist, hat nun einen Begleiter auf ihren heimlichen nächtlichen Streifzügen, denn sie beginnt, das Erbe der Königskinder fortzuführen: Sie kehrt in die Festung zurück und spioniert ihre Feinde aus, Alia, des Königs Hure, die nun bald Königin wird, die Mönche, die Soldaten. So kann Rynan manch eine Neuigkeit berichten, ohne dass Meda ahnt, woher seine Erkenntnisse in Wirklichkeit stammen. Und Rynan ist es auch, der unter den Heerschülern ein Gerücht in die Welt setzt, das sich in Windeseile verbreitet: Dass der Thronfolger und die Fürstensöhne am Leben sind, dass sie gegen die Feinde der Königsfamilie gekämpft und gesiegt haben und sich nun verborgen halten, bis es an der Zeit ist, zurückzukehren. Das gibt den Menschen Hoffnung in diesen dunklen Zeiten.

    Aber Nadims Aufgabe ist damit noch nicht zu erfüllt. Er reist auch nach Mukanir, wohin Königin Naluri in ein Schweigekloster verbannt wurde. Dort trifft er unverhofft auf Archivar Meno, der nun mit Yola, der Zofe von Königin Naluri verheiratet ist und dem Fürsten als Schulmeister dient, ohne dass dieser etwas von seiner Vergangenheit ahnt. Mit der Hilfe von Noemis Zeichensprache gelingt es ihnen, der Königin zu vermitteln, dass ihre Kinder am Leben sind, was ihr in ihrem grausamen Exil sehr hilft, und dem Fürsten auch, der ja der Vater von einem von Curranns Kameraden ist.«

    »Aber..«, ein Junge runzelte die Stirn, »Nadim weiß doch nur von Phelan und Leanna. Woher weiß er denn, dass Currann am Leben ist?«

    »Na, von Althea natürlich! Sie hat’s geträumt, schon vergessen?«, rief ein anderes Mädchen.

    »So ist«, nickte die Großmutter. »Also war Nadims Reise in mehr als einer Hinsicht erfolgreich. Mit diesen guten Neuigkeiten im Gepäck reist er wieder gen Westen. Dort zieht ein schlimmer Sturm auf, der nicht nur Regnars Schiff beinahe auf den Grund des Meeres schickt, sondern auch Temora und die umliegenden Siedlungen verwüstet. Nur knapp überleben die Mädchen. Sie fliehen in eine Höhle, in der ein weiteres, von einem Todesring umgebenes Tor existiert. Dieser ist der Grund, weshalb die Temorer ihren Wald zum Bannwald erklärt haben. Es lockt Althea, sehr sogar, aber noch widersteht sie der Versuchung nachzusehen, was sich dahinter verbirgt.

    Als Heilerinnen stehen Chaya und Althea einer fast unüberwindlichen Aufgabe gegenüber. Die Not, die vielen Verletzten und Toten bringen Althea an den Rand ihrer Kraft, und dann findet sie noch eine sterbende Frau, die sich als Mutter einer ihrer Freundinnen aus Temora herausstellt. Die Priester lassen sie nicht zu ihr, haben sie sogar eingesperrt, und dabei ist es der Mutter sehnlichster Wunsch, ihre Tochter noch einmal zu sehen. Und da tut Althea etwas völlig Verrücktes.«

    »Sie kehrt nach Temora zurück, befreit ihre Freundin und bringt sie und ihre anderen Freunde durch den Ring! Nach Hause zur sterbenden Mutter.«

    »Tja, so ist es. Kein Phelan ist da, der sie zurückhält, niemand, der ihr Vernunft einredet. Ihr könnt euch vorstellen, wie Chaya reagiert hat, als sie plötzlich vor ihr standen.«

    »Oh ja!«

    »Sie war bestimmt mächtig böse!«, riefen die Kinder durcheinander.

    »Du sagst es.« Die Großmutter sah ernst in die Runde. »Immerhin schützt sie Althea mit ihrem Leben. Aber für Althea war es ein wichtiger Schritt, genauso wie für alle ihre Freunde. Sie werden sich immer wieder treffen, heimlich, ohne dass es die Priester oder Chaya bemerken. Das ist der Beginn einer Freundschaft, die noch sehr bedeutsam für sie alle, für das gesamte Volk werden soll.«

    »Wie meinst du das, Großmutter?«, fragte eines der jüngeren Kinder.

    »Das«, sie lächelte, »verrate ich euch noch nicht. In Saran wartet unterdessen Phelan ungeduldig auf Regnars Rückkehr. Nach langer Zeit trifft Regnar mit einem fast völlig zerstörten Schiff und einer ganzen Reihe Gefangenen in Saran ein. Sie waren in den Sturm geraten und wurden zudem noch von einem fremden Schiff angegriffen, das es in die Gewässer Sarans verschlagen hatte. Es ist die erste Berührung mit dem bedrohlichen Seefahrervolk, das die Meere unsicher macht. Als Phelan an Bord von Regnars Schiff ein grausam misshandeltes Mädchen findet, beginnt er zu ahnen, wie es in Wirklichkeit um Altheas Großvater und dessen Männer bestellt ist. Aber sie müssen mit Regnar notgedrungen zusammenarbeiten, um die Verbindung zu Althea und den Pakt der Völker aufrecht zu erhalten, und Althea braucht ihre Hilfe mehr denn je.

    Im Bannwald setzen ihre Träume wieder ein, es ist noch ein Diener in der Nähe. Ihr Gegner im Norden weiß, dass sie entkommen ist, und befiehlt all seinen Dienern, nach dem kleinen Mädchen aus Gilda zu suchen. Die alte Heilerin fühlt sich kaum in der Lage, mit ihren Träumen umzugehen, und dabei hält Althea ihre heilende Gabe noch vor ihr verborgen. Beide benötigen sie Anwylls weisen Rat, um die Träume deuten und sich gegen die böse Macht und deren Diener wappnen zu können. Althea sträubt sich mit aller Macht dagegen, wieder in Verbindung mit der Gemeinschaft zu treten, denn sie steht dieser mittlerweile mit kalter Verachtung gegenüber, wozu auch ihre Freunde, die Novizen, kräftig beigetragen haben. Doch sie sieht ein, dass Anwyll von ihren Träumen erfahren muss, um sich weiter gegen ihren Feind wappnen zu können.

    Mit Hilfe der seeräuberischen Schläue von Altheas Großvater, Bajans taktischem Geschick und Nadims Kundschafterschlichen locken sie Anwyll in eine Falle. Dieser erkennt, dass Althea sich niemals der Gemeinschaft unterordnen wird und ihr damit auch von seinen eigenen Brüdern und Schwestern Gefahr droht. Seine eigene Macht in Temora bröckelt, und er kann nicht von Altheas Träumen berichten, ohne die Quelle seiner Erkenntnisse zu nennen, sonst würden ihn seine Brüder und Schwestern für wahnsinnig halten und entmachten. Also verspricht er notgedrungen, Altheas Aufenthaltsort geheim zu halten und sich selbst ihrer anzunehmen.

    Damit hat Althea alles erreicht, was sie sich geschworen hatte. Sie ist in Sicherheit, kann ihre Gabe vor Anwyll und Chaya verbergen und ihnen dennoch von ihren Träumen berichten. Doch dann hat sie einen Traum, in dem sie einen von Curranns Kameraden dem Tode nahe sieht. Es gelingt ihr, ihm zu helfen und eine Botschaft für Currann mitzugeben, was mit seiner Familie geschehen ist. Dabei muss sie ihre Gabe einsetzen, und dies wird von Chaya gesehen. Nicht zum ersten Mal bekommt die alte Heilerin eine Ahnung davon, wie es wirklich um ihren Schützling bestellt ist, aber sie will Altheas Vertrauen und drängt sie nicht, sondern wartet auf sie.

    Was hat Althea gesehen? Nun, Curranns Flucht ist zunähst ohne weitere Zwischenfälle zu Ende gegangen. In Siris Heimatsiedlung angekommen, finden die Kameraden von ihr keine Spur, und sie werden alles andere als freundlich empfangen. Seit Jahren leiden die bitterarmen Bewohner unter den Überfällen der Bergstämme, niemand hat ihnen Hilfe geschickt. Was sollen sie da von ein paar abgerissenen Deserteuren erwarten? Ihre wahre Identität verschweigend, schließt Currann mit ihnen ein Abkommen: Sie schützen die Siedlung vor den Überfällen, und im Gegenzug erhalten sie eine Zuflucht, nicht ahnend, dass Bajan auf der anderen Seite der Berge dasselbe tut.

    Voller Unruhe fragt Currann sich, was mit Siri ist. Den Ausreden ihres Vaters, sie sei in Nador in Sicherheit, glaubt er nicht. Sein Gespür sagt ihm, dass etwas Furchtbares geschehen ist, und er behält recht. Erst nach langem Zögern zeigt sie sich ihm. Sie ist in einen Überfall geraten. Jetzt erwartet sie ein Kind, ein Kind der Schande, das weiß Currann nur zu gut. Sie versteckt sich vor den Bewohnern der Siedlung, die sie kaum in ihrer Mitte dulden würden. Er ist außer sich vor Zorn über diese Ungerechtigkeit. Um seine völlig veränderte Freundin nicht zu verschrecken, muss er sich in einer Disziplin üben, die ihm noch nie leicht fiel: Geduld und Beherrschung.

    Da es nun wieder Wachen in Branndar gibt, greifen die Bergstämme in immer größerer Stärke an. Soldaten bedeuten wertvolles Beutegut, Waffen, Pferde, Ausrüstung. Bei einem besonders heftigen Angriff gerät einer von Curranns Kameraden in Gefangenschaft. Er wird schlimm gequält, und als er dem Tode nahe ist..«

    »..kommt Thea zu ihm und hilft ihm. Durch sie erfährt Currann, was mit seiner Familie geschehen ist!«

    »Und die anderen, dass ihre Eltern wissen, dass sie leben!«

    Die Großmutter lachte. »Ihr wisst ja schon alles! So ist es. Bis zu dem Zeitpunkt war Currann sich noch nicht sicher, ob er seine Kameraden dort würde halten können, denn sie ahnen zu Recht, was die Heeresleitung ihren Eltern Schlimmes erzählt: Dass ihre Söhne Verräter seien oder tot. Doch die Kameraden stehen zu ihrem Eid und damit unverbrüchlich zu Currann. Gemeinsam bereiten sie sich auf ihren ersten Winter in Branndar vor, und der wird härter als alles, das sie jemals erlebt haben. Mitten im schlimmsten Wintersturm kommt Siri nieder und schenkt einem kleinen Jungen das Leben. Doch sie wird von den Bewohnern entdeckt. In höchster Not flieht sie, um das Leben ihres Kindes zu retten, und Currann eilt ihr zur Hilfe, sie zu retten.«

    »Und dann?« Wie gebannt lauschten die Kinder.

    Doch die Großmutter sagte nichts, sie erhob sich nur und wies stumm auf den Zugang zu ihren Schlafkammern.

    --------------------

    Prolog

    SEIN Zorn war gewaltig.

    Die Tochter des Temorers war entkommen und wurde verborgen von Anwyll, dem Führer der Narrengemeinschaft, dessen war ER sich sicher. Einer SEINER Diener in Temora war getötet worden. Alle in der Gewalt SEINER Diener hatten ihnen widerstanden. Schwächlinge waren sie, allesamt! Sie waren zu offensichtlich vorgegangen, und das hatte SEINE Gegner gewarnt. Diese hatten sich wappnen können, aber auch genug gegen IHN in der Hand, um SEINEN Plänen ernsthaft gefährlich werden können?

    Zeit, es herauszufinden. Wenn alles nach SEINEN Wünschen gegangen war, hatten SEINE Diener die Saat bereits ausgelegt, in Gilda, in Temora, bei dem Seefahrervolk. ER würde sich aufmachen, den nächsten Schritt SEINES Planes auszuführen, hoch oben im Norden, weitab von allen Zeugen, die IHM gefährlich werden könnten. Und währenddessen würde die Falle über den Ahnungslosen zuschnappen, und ER würde zurückkehren zu jenen, welche SEINE Macht über jene brachten, die SEINEN Plan gefährdeten.

    Sie würden IHM nicht entkommen.

    --------------------

    Kapitel 1

    Branndar

    Im Winter nach der Flucht

    <=

    Alles bewegte sich unendlich langsam. Er rannte. Sein Atem keuchte, die eiskalte Luft zerriss fast seine Lungen, und doch kam er nicht vorwärts. Es war der Albtraum vieler Nächte, und er sollte ihn sein ganzes Leben verfolgen. Er hörte ihren Schrei, voller Verzweiflung, Schmerz, aber auch Wut, hörte seine eigenen knirschenden Schritte im Schnee. Ein langer Moment, und da lag sie auch schon vor ihm, ein dunkles Häuflein im gleißenden Weiß, den Körper schützend um etwas gekrümmt, das sie unter sich barg. Und er sah seinen ärgsten Feind, wie er durch die Menschenmenge brach, gefolgt von seinem Sohn und seiner Tochter, und wie er direkt auf sie zuhielt.

    Siri wimmerte, als sie die Schritte neben sich hörte. Es war ein Laut, der Curranns Wut ins Unermessliche steigen ließ. Sie gewann die Oberhand. Es ging so schnell, dass sein bewusstes Ich, das zu allererst Siri helfen wollte, es nicht verhindern konnte. Siedlungsvorsteher Kedar sah einen dunklen Schatten auf sich zuspringen und wurde von einem gewaltigen Fausthieb zu Boden geschleudert. Er rutschte mehrere Schritte den Berg hinunter und blieb zu den Füßen der Leute liegen, die schreiend vor dem unheimlich gekleideten jungen Mann mit den stechenden schwarzen Augen und der blanken Waffe zurückwichen. Männer drängten ihre Frauen nach hinten, die Frauen ihre Kinder, es war ein heilloses Durcheinander. Goran und Mari wurden einfach mitgerissen, sodass Kedar allein zwischen der Menge und dem wutschnaubenden Currann liegen blieb.

    Der Siedlungsvorsteher war betäubt. Er lag blinzelnd im Schnee und schien nicht begreifen zu können, was soeben geschehen war. Da kam Currann wieder zu sich. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte sein Schwert gebraucht, dessen wurde er sich in diesem Moment bewusst. Er erschrak furchtbar vor sich selbst, doch das wollte er seinen Gegner auf keinen Fall sehen lassen. Seine Sorge galt jetzt allein Siri. Er ließ den Vorsteher einfach liegen.

    Als er sich umdrehte, halfen Kiral und Sinan ihr gerade auf. Sie zitterte am ganzen Leib, blickte zu Boden und schien irgendwie kleiner zu sein als in seiner Erinnerung. Mit einem Kopfrucken schickte er seine Kameraden in Richtung Kedars, der nun wieder zu sich kam und sich laut fluchend aus dem Schnee aufrappelte.

    Currann trat langsam auf Siri zu. Sie hob den Kopf, sah ihn an. »Keine Angst, wir sind da. Jetzt wird dir nichts mehr geschehen«, sagte er so leise, dass es niemand sonst hören konnte. Seine Stimme klang belegt. Es war das erste Mal seit fast einem Jahr, dass sie sich bei Tageslicht sahen. Er sog ihren Anblick förmlich in sich auf, die Form ihres Gesichts, die Farbe ihrer Augen, die hohen Wangenknochen, sah aber auch die Schatten, die Ringe unter ihren Augen, ihre Blässe.

    »Siri, geht es dir gut?«, flüsterte Currann besorgt. Sie schüttelte abwehrend den Kopf und drehte sich zu ihrem Onkel um. Voller Verachtung sah sie zu ihm herunter. Kedar wischte sich mit dem Handrücken über die blutende Nase. Sie war gebrochen. Es bescherte ihr ein leises Triumphgefühl, das aber sofort schwand, als sie den Ausdruck in seinen Augen sah.

    Voller Abscheu und Häme sah er sie an. »Du wirst dieses kleine Scheusal nicht behalten! Ich dulde nicht, dass du derart Schande über deine Familie bringst!«

    Durch Siri ging ein Ruck. »Nein, nicht!«, sagte sie zu den drei Kameraden, die sich schon wieder auf Kedar stürzen wollte. Hoch aufgerichtet trat sie zwischen sie, Curranns starke Präsenz hinter sich und Sinan und Kiral zu ihrer Seite. »Dieses kleine Scheusal ist mein Sohn, mein Kind! Und ich habe es bekommen, weil ich ein anderes beschützt habe, was eigentlich deine Aufgabe gewesen wäre, nicht wahr, Kedar?« Ihre Stimme war eisig, das Zittern verschwunden. Voller Verachtung spie sie seinen Namen aus, nannte ihn nicht Onkel, sah ihn nicht mehr als Teil ihrer Familie. Noch hatte sie die Kraft dazu, sich ihm zu widersetzen.

    »Lass Siri in Ruhe, Vater!«, rief eine helle Stimme dazwischen. Mari hatte es endlich geschafft, sich durch die Menschen nach vorne zu arbeiten, dicht gefolgt von ihrem Bruder, der sie aufhalten wollte, aber nicht schnell genug war. Sie wollte zu ihrer Cousine, doch Kedar fing sie ab.

    Er verpasste ihr eine harte Ohrfeige. Mari ging mit einem Schrei zu Boden. »Wer hat dir erlaubt, das Haus zu verlassen? Wenn du..«

    »Vater!« Goran stand fassungslos vor ihm und wollte seiner Schwester aufhelfen.

    »Du hältst dich da raus!«, brüllte Kedar. Er trat zwischen sie. Sein Sohn zog die Schultern ein und wehrte sich nicht. Niemand wagte, sich zu rühren. Kedar fuhr erneut zu Siri herum. »Niemand hier wird es wollen, dass ein Goi Bastard in unserer Mitte aufwächst. Glaub ja nicht, dass du ihn behalten kannst!«, drohte er mit der Faust in ihre Richtung.

    »Das zu entscheiden steht dir nicht zu, Kedar! Ich werde mein Kind behalten, und wenn du an der angeblichen Schande krepierst, wird es nicht nur einen geben, der dann ein Dankgebet spricht!«, fauchte Siri. Currann war stolz auf sie, wie sie sich verteidigte, doch seine Sorge um sie stieg. Nur weil er hinter ihr stand, konnte er sehen, dass ihre Arme zitterten. Hatte sie Schmerzen? Unauffällig rückte er näher an sie heran.

    Kedar war äußerst erbost darüber, dass sie sich ihm derart widersetzte, ja, sogar zum Gegenangriff überging. »Dann wird hier für dich kein Platz sein!«, bellte er. »Ist es nicht so?« Er drehte sich zu den Menschen um. Betretendes Schweigen war die Antwort. Niemand mochte Kedar oder Siri anblicken. Die Menschen schienen noch gar nicht begriffen zu haben, was hier vor sich ging.

    Doch plötzlich entstand Bewegung zwischen ihnen. Siris Freundin Nuria drängte sich nach vorne. »All dies sagst du, obwohl du weißt, dass Siri für unseren Belan gelitten hat? Was bist du nur für ein Mensch?!« Sie stemmte wütend die Arme in die Hüften.

    Kedar wich einen Schritt zurück, sodass er fast auf seine Tochter Mari trat, die immer noch im Schnee lag. Doch so leicht gab er sich nicht geschlagen. »Ja, da spricht die Richtige. Wenn es nach mir gegangen wäre, wärest du nicht wieder in unseren Tempel aufgenommen worden und mit der Mutter meiner Kinder fortgegangen! Aber eines ist sicher: Ich dulde keinen Goi Bastard in dieser Siedlung, und du..«, er drohte so plötzlich in Siris Richtung, dass sie sich gut sichtbar für Currann zusammenreißen musste, nicht zurückzuweichen, »dich werde ich aus dem Tempel verbannen lassen! Wie kannst du es wagen, dich dem Willen deiner Familie zu widersetzen?!« Siri zog unmerklich die Schultern ein. Sie stand völlig still.

    »Der wesentliche Teil ihrer Familie ist praktischerweise nicht anwesend, Vorsteher, um dieser Ansicht zu widersprechen!«, rief da eine Stimme von der Seite. Alle fuhren herum. Tamas trat mit vor Wut bleichem Gesicht und gezücktem Schwert zwischen den Hütten hervor, gefolgt von Ouray und Yemon. Sie waren schweißüberströmt und schneebestäubt. Sofort kreisten sie Kedar ein und erreichten, dass er endlich ein paar Schritte Abstand von seiner Tochter nahm.

    Tamas stellte sich zwischen sie und nahm ihn sich erneut vor: »Ich glaube nämlich, dass sie gänzlich anderer Meinung sind. Und Strahan ist es, der zu entscheiden hat, nicht Ihr!« Er mochte nicht hinter sich sehen, wo Mari immer noch im Schnee lag, weil er ahnte, dass er dann seine Beherrschung verlieren würde.

    Currann wusste, was in ihm vorging, hatte er es doch eben selbst erst erlebt. Er hielt ihn mit einem unmerklichen Kopfschütteln zurück. ›Zeig Kedar nicht, wie es um dich steht‹, befahl er stumm. »Was hat er mit deinem Vater gemacht?«, raunte er stattdessen Siri zu.

    »Eingesperrt. Vater Peadar und Karya auch. Damit sie mir nicht helfen können!«, rief sie laut. Erstickt fügte sie hinzu: »Er wollte meinen Kleinen im Schnee aussetzen, bis.. bis..«

    »Siri, nicht!« Nuria trat zu ihr und nahm sie behutsam in die Arme. Dankbar lehnte Siri ihren Kopf an ihre Schulter.

    ›Sie sieht erschöpft aus‹, ging Currann auf, so kurz nach der Geburt kein Wunder. Die Kapuze des kleinen Schlafsackes rutschte ein wenig nach unten, und er erspähte einen dunklen, flaumigen Haarschopf. Was auch immer der Vater dieses Kindes war, der Kleine war gänzlich unschuldig. Mitleid überkam ihn, und der Beschützerinstinkt, der bisher Siri gegolten hatte, übertrug sich auch auf ihr Kind, das er nun zum ersten Mal als eigenständiges Wesen wahrnahm. Grimmig nahm er sich Kedar vor: »Wie kommt es nur, dass Ihr Euch stets an den Wehrlosen und Unschuldigen vergreift? Braucht Ihr das, um Eure Stärke zu beweisen? Erbärmlich, das ist es, was Ihr seid!«

    Kedar gab sich nicht so leicht geschlagen. Er zückte eine andere Waffe, packte die Menschen bei ihren Ängsten. »Ich lasse nicht zu, dass unsere knappen Vorräte durch ein Kind der Schande geschmälert werden. Es ist mein Recht, das zu entscheiden, nicht Eures!«, rief er.

    Er hatte sich verrechnet. Nun regte sich erstmals Protest in den Reihen. »Das kannst du doch nicht machen!«

    »Sie hat den Jungen beschützt!«

    »Es wird schon reichen.«

    Kedars Miene verfinsterte sich. Er verschränkte die Arme. Currann hatte auf einmal den Eindruck eines bockigen Kindes. »Das zu entscheiden obliegt mir, und ich sage, dass ich niemanden dulde, der gegen die Regeln des Einen Tempels verstößt.«

    »Danach hat er aber nicht gefragt, als er sich an Yorrans Tochter vergriffen hat«, brummte Kiral verächtlich neben ihnen und so laut, dass es nicht nur der Vorsteher hörte.

    Von Siri kam ein gequälter Laut. »Mich hat auch niemand gefragt!«

    Currann sah, dass ihr die Tränen herunterliefen. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Auch Kedar hatte es entdeckt, und sein Blick bekam etwas Triumphierendes. Curranns kaum unterdrückte Wut brach sich wieder Bahn, als er das sah. Er stellte sich zwischen sie, schützte Siri mit seinem breiten Rücken vor den hämischen Blicken. »Tut, was Ihr wollt. Siri und der Kleine unterstehen unserem Schutz, und wir werden sie auch versorgen. Und ihre Familie gleich mit!« ›Und im Frühjahr, da werden wir dafür sorgen, dass Ihr die längste Zeit Siedlungsvorsteher gewesen seid!‹, fügte er in Gedanken hinzu, während er Ouray beobachtete. Dieser hatte die Stirn gerunzelt ob seiner Behauptung. Currann ahnte, dass er rechnete, und er war mehr als erleichtert, als Ouray ihm schließlich kurz zunickte. Es würde schon reichen.

    In Kedars Augen erschien ein bösartiges Glitzern. »Oh ja, tut das. Dann kann sie es Euch gleich mit dem Dienst als Hure vergelten!«

    Alle zuckten zusammen. Für Siri war es zu viel. Ihre Knie knickten ein, sodass nicht nur Nuria, sondern auch Currann zupacken musste, damit sie nicht in den Schnee schlug. Im gleichen Moment trat Tamas dem Ortsvorsteher die Beine weg, sodass dieser schmerzhaft auf seinem Hinterteil landete. Als er aufsah, hatte er eine Schwertspitze vor seinem Gesicht. Sein Sohn stürzte vorwärts, um ihm zu helfen. Blitzschnell fing Ouray ihn ab und drängte ihn zurück in Richtung der Menge.

    »Was sollen wir mit ihm machen?«, rief Tamas über die Schulter, ohne Kedar einen Moment aus den Augen zu lassen.

    Currann presste seine freie Faust an die Stirn, so sehr musste er sich beherrschen, um nicht gleich jemanden umzubringen. Seine andere Hand spürte, dass Siri eiskalt war. Natürlich, sie trug ja keinen Mantel. Sie musste schleunigst ins Warme und sich hinlegen. Er selbst war zu überhaupt zu keinem klaren Gedanken fähig. Er brauchte einen Moment Ruhe, und er ahnte, dass Kedar es auch darauf anlegte, ihn die Beherrschung verlieren zu lassen.

    »Lass meinen Vater in Ruhe!« Mit geballten Fäusten, das Gesicht verzerrt vor ohnmächtiger Wut, stand Goran vor den Kameraden, wagte jedoch nicht einzugreifen.

    Zum ersten Mal nahm Currann ihn überhaupt bewusst wahr. Er sah, dass Goran ständig zu Siri hinaufstarrte. In seinem Blick lag weder die Wut, die er selbst fühlte, noch die Abscheu und Häme Kedars. Nein, es war etwas anderes. Bitterkeit. ›Er fühlt sich betrogen‹, ging Currann auf. Hintergangen. Und er wollte Siri noch immer. Plötzlich ahnte Currann, dass Goran nicht unbeteiligt an dem ganzen Geschehen war. ›Du wirst sie nicht bekommen!‹. Er schoss einen derart eisigen Blick in Gorans Richtung, dass dieser hastig zur Seite blickte.

    »Haltet sie dort fest. Wir sind gleich wieder da.« Er bedeutete Nuria, Siri zwischen die Häuser zu führen, außer Sicht der anderen.

    »Oh, was können wir nur tun?«, flüsterte Nuria verzweifelt. Currann zog seinen Fellumhang aus und reichte ihn Nuria, damit sie ihn Siri umhängte. Er entfernte sich ein wenig von den beiden, schloss die Augen und dachte nach. Nur die geballten Fäuste verrieten seine Anspannung.

    Siri beobachtete es aus den Augenwinkeln, während sie sich von Nuria in den wärmenden Umhang helfen ließ. Dann lehnte sie sich erschöpft an eine Hüttenwand. Oh ja, ihr war kalt, aber diese Kälte kam von innen. Sie betäubte alles andere, ihre Schmerzen, ihre Angst, ihre Wut. Und dennoch, sie kannte Currann gut genug, um zu wissen, dass nur noch ein Funke genügte, um ihn die Beherrschung verlieren zu lassen. Sie beschloss einzugreifen. »Wir können nichts tun. Er hat alles Recht auf seiner Seite«, sagte sie leise.

    »Aber das ist unmenschlich!«, protestierte Nuria. »Du konntest doch nichts dafür, genauso wenig wie ich!«

    Mit geschlossen Augen hörte Currann zu. Siri hatte recht, das wusste er, und wenn er Kedar auch am liebsten umgebracht hätte für das, was er Siri antat, so wusste er auch, dass er ihr danach niemals wieder in die Augen würde sehen können.

    »Nein!«, sagte er so plötzlich, dass die beiden Frauen zusammenzuckten. Er fuhr herum. »Nein, das werden wir uns nicht gefallen lassen! Wenn Kedar auf das Recht besteht, dann werden wir das auch! Wir schlagen ihn mit seinen eigenen Mitteln.« Er baute sich vor Siri auf. Sie hob langsam den Kopf. »Nuria, würdet Ihr wohl einen Augenblick das Kind nehmen und uns allein lassen?« Siris Augen weiteten sich. Instinktiv umschloss sie ihren Sohn fester. »Siri, bitte.. du willst dir das doch nicht gefallen lassen?«

    Nuria sah sprachlos zwischen den beiden hin und her. So langsam kam ihr der Verdacht, dass sie alle über lange Zeit etwas nicht mitbekommen hatten. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass alles gut werden würde. »Gib ihn mir.« Sie streckte die Hände aus und nahm Siri das Kind sanft, aber bestimmt aus den Armen. Siri hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Als es fort war, schlang sie zitternd die Arme um sich.

    »Himmel, dir ist wirklich kalt!« Currann wickelte den Umhang fest um sie. »Keine Angst. Er wird nicht mehr an euch herankommen, das verspreche ich.« Er ließ seine Hände auf ihren Schultern ruhen, war fast versucht, sie aus ihrer Benommenheit zu rütteln, aber er zügelte sich. Eindringlich sah er sie an. »Siri, schau mich an!« Ihre Augen waren tränenblind, als sie es schließlich tat, und sie wehrte sich nicht dagegen, dass er ihr eine Träne auf der Wange fortwischte. »Siri, willst du, dass Kedar gewinnt? Dass ihr eure Ehre verliert und du vertrieben wirst?«

    Siri schrak auf. Sie fühlte sich von diesem Blick umfangen. Die Wut, sie war noch da, sie lauerte in den schwarzen Augen, aber sie betraf nicht sie. Ihr leuchtete etwas anderes entgegen, etwas, das sie nicht einordnen konnte. Es machte ihr Angst, es rührte Erinnerungen in ihr wach, ob gute oder schlechte, das vermochte sie nicht zu sagen. Es bedrohte sie irgendwie, und deshalb drängte sie dies rasch beiseite.

    Er spürte, dass sie sich mit aller Macht zusammennahm. »Niemals! Ich werde mich seinem Willen nicht beugen!« Sie war wieder in der Lage zu denken, und ihr wurde warm, als ihre Wut zurückkehrte. Vielleicht war es sein eindringlicher, zwingender Blick, der ihr half, ganz sicher aber seine Stärke, die sie hinter jeder seiner Bewegungen, hinter jedem seiner Worte spürte. »Was hast du vor?«

    »Siri, es gibt einen Weg, wie wir Kedar die Stirn bieten können. Ohne dass du und dein Vater das Gesicht verliert und ihr entehrt werdet.«

    Sie runzelte die Stirn. »Das ginge nur, wenn er nicht mehr Vorsteher ist, aber das werden sie..«

    Currann hob die Hand. Sie verstummte. »Lass Kedar mal außen vor, um den kümmere ich mich, wenn es soweit ist. Siri..« Seine Stimme wurde leise und sein Blick fürsorglich, ja beinahe zärtlich.

    Sie fühlte sich unwohl darunter. »Was?«, flüsterte sie.

    »Ich kann dich schützen.« Er hob die Hand, wollte sie berühren, und im selben Moment begriff sie.

    Sie zuckte zurück. »Oh nein, das kann ich nicht! Ich kann nicht deine Frau werden!« Sie wurde bleich, versuchte von ihm fortzukommen, doch sie war gefangen zwischen ihm und der Hüttenwand.

    Currann ließ getroffen die Hand sinken und trat einen Schritt zurück. »Ja, aber warum denn nicht? Ich dachte, wir sind Freunde und..«

    »Oh Currann, das ist es nicht. Ich.. ich..« Sie schlug die Hände vor das Gesicht und schüttelte heftig den Kopf.

    Er stand mit hängenden Armen vor ihr. »Warum nicht?«

    »Natürlich habe ich dich gern, aber.. aber..«

    »Aber?«

    »Ich kann nicht deine Frau sein! Nicht in dem Sinne.. verstehst du nicht? Du brauchst eine Frau, die hochgestellt ist, ehrbar, die dir Erben schenkt, Söhne.. das werde ich niemals können. Niemals, hörst du!« Sie weinte jetzt.

    Currann hätte sie am liebsten an sich gezogen, getröstet, irgendwie ihren Schmerz fortgenommen, doch er durfte es nicht. Sie würde es nicht dulden. Es tat ihm weh zu sehen, wie sie sich quälte. »Siri, ist es das, was dich abhält? Das wird mich nicht abhalten, dich zu schützen, ganz im Gegenteil.« Sie nahm die Hände von ihrem Gesicht und blickte auf. Currann fühlte sich ermutigt. »Sieh mal, meine Mutter, sie war eine ehrbare Frau. Sie hat meinem Vater Söhne geschenkt, aber dennoch war ihre Ehe das Grauen. Ich will so etwas nicht selbst erleben.« Wie sehr das der Wahrheit entsprach, erkannte er selbst erst in diesem Moment. »Siri, ich will eine solche Ehe nicht. Ich will eine gleichgestellte Partnerin, eine Freundin, eine, mit der ich jeden Gedanken teilen kann. Dich will ich und keine andere! Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich es nicht fertigbringe, dich zu beschützen.«

    Laute Rufe ließen sie herumfahren. Frauen schrien, es schallte zu ihnen in die Gasse. In Siri zog sich alles zusammen. Sie saß in der Falle.

    »Siri..«

    »Habe ich eine Wahl?«

    Das klang so geschlagen, dass Currann sie am liebsten geschüttelt hätte. »Oh doch, die hast du.« Er stockte, weil sie krampfhaft die Augen schloss. »Wenn du willst, dann verspreche ich dir, dich nicht anzurühren.«

    »Das sagst du jetzt!«, flüsterte sie. Eine plötzliche Bewegung ließ sie die Augen wieder aufreißen. Currann kniete vor ihr im Schnee. »Oh nein, tu das nicht!« Sie wusste, dass sie verloren hatte, wenn er das tat.

    »Ich will dich nicht zwingen, ich will deine Freundschaft, und dafür biete ich dir meinen Schutz. Siri, bitte!«, flehte er. Es vernichtete ihre letzten Reserven. Sie schlug die Hände vors Gesicht, so nahe war er ihr plötzlich.

    »Althan! Kommt schnell!« Plötzlich stand Nuria in der Gasse.

    Currann sprang auf. »Siri, was sagst du? Bitte..«, flüsterte er eindringlich.

    Siri wandte den Kopf in Nurias Richtung, sah die Angst in ihrem Gesicht, sah auf den Kleinen in ihrem Arm und nickte ergeben. »Also gut«, sagte sie tonlos, richtete sich auf und ging Nuria entgegen. Sie sah ihn nicht mehr an, während sie ihr Kind an sich nahm.

    Currann starrte ihr hinterher. Warum kam er sich auf einmal vor wie ein mieser Schuft? Er verdrängte den Gedanken, denn jetzt hörte er Gebrüll. Schleunigst kehrte er zu den anderen zurück, während Nuria ihm mit Siri langsamer folgte. Als er um die Ecke kam, sah er gerade noch, wie Kiral Tamas von dem Siedlungsvorsteher fortzerrte, während dieser von Yemon mit dem Schwert zurückgehalten wurde.

    »Lass mich los!«, brüllte Tamas.

    »Ruhe!« Currann brauchte nicht die Stimme zu heben. Ihr Erscheinen genügte. Alle wandten sich zu ihnen um.

    »Oh nein, was hat er mit Mari gemacht?«, flüsterte Siri, die zu ihm aufgeschlossen war. Goran kniete im Schnee und hielt seine bewusstlose Schwester in den Armen. Currann ahnte, dass Kedar sich auf Mari gestürzt hatte und dass Tamas sich nicht hatte beherrschen können. Besser sie sorgten dafür, dass schleunigst etwas anderes geschah, sonst wusste Kedar sofort bescheid. Wenn es dafür nicht schon zu spät war. Er wechselte einen fragenden Blick mit Siri, und sie nickte ergeben. Currann atmete tief durch. »Treibt sie in den Tempel, allesamt, und haltet sie dort fest! Ouray, sieh nach Siris Familie und Vater Peadar. Bitte sie dorthin.«

    Er sah Kiral die Augen zusammenkneifen. Tamas stellte alle Gegenwehr ein. Sinan sah schnell zwischen ihm und Siri hin und her und begriff. Er starrte Currann offenen Mundes an. Currann nickte ihm zu. Sinan schluckte. »Also los, ihr habt ihn gehört!«

    Die Bewohner wichen mit erschrockenen Ausrufen zurück, als die Kameraden mit gezückten Schwertern ausschwärmten. Tamas kümmerte sich höchstpersönlich um Kedar, stieß ihn grob vorwärts, fort von dessen Sohn und Tochter. Der Einzige, der zurückblieb, war Goran, der Mari gerade half, sich aufzusetzen, doch Currann wollte ihn nicht in Siris Nähe dulden. »Ihn auch!«, nickte er Kiral zu. Augenblicklich wurde Goran gepackt und von seiner Schwester fortgezerrt.

    Im selben Moment kamen Nurias Mann Evan und der Schmied Yorran schwer atmend zwischen den Häusern hervor. Evans Atem rasselte regelrecht, wie sooft in letzter Zeit. Er ging sofort zu seiner Frau und stellte sich schützend neben sie. »Es tut mir leid«, sagte er an Siri gewandt. »Wir waren in der Schmiede und haben es zu spät mitbekommen.« Sie brachte keinen Ton heraus. »Siri, geht es dir gut?«

    »Natürlich nicht, so kurz nach der Geburt«, rügte Nuria und nahm Siri beim Arm. »Komm, ich bringe dich schnellstens in Warme und dann..«

    »Nein!« Siri machte sich los. »Nein, wir haben noch etwas zu erledigen. Jetzt gleich.« Hoch erhobenen Hauptes ließ sie alle stehen. Sie ging zu Mari, half ihr mit ihrer freien Hand auf und umarmte sie. Zitternd hielt sich das Mädchen an ihr fest.

    Currann sah ihr betroffen hinterher. Er seufzte und holte tief Luft. »Gehen wir.«

    Siris Vater Strahan und ihre Tante Karya kamen ihnen schon auf dem Tempelplatz entgegen. Etwas weiter hinten folgte Vater Peadar, der sich humpelnd auf Ouray stützte. Strahan hatte ein blaues Auge, das langsam zu schwoll. »Siri, Mari, bei allen Heiligen!« Karya stürzte zu ihren Mädchen. »Was hat er mit euch gemacht?!« Sie nahm besorgt die Verletzungen ihrer Tochter in Augenschein. »Hat er dich geschlagen, Mari?«

    »Ist nicht schlimm, Mutter.« Mari ließ sich mit geschlossenen Augen in ihre Arme ziehen. Siri stand regungslos daneben. Sie reagierte nicht auf die besorgten Ausrufe ihres Vaters, wiegte nur ihr Kind.

    »Wo sind sie nur alle hin?«, keuchte Peadar, als er es endlich zu ihnen geschafft hatte.

    Currann überflog die Gruppe mit finsterem Blick. »In den Tempel«, erwiderte er knapp. »Was hat Kedar mit Euch gemacht?«

    »Nicht nur Kedar, sondern auch mein Sohn. Sie haben uns von Siri getrennt und uns im Haus eingesperrt«, antwortete Karya bitter und bestätigte damit Curranns Verdacht.

    Ihr Tonfall ließ Siri wieder zu sich kommen. Sie straffte sich. »Vater Peadar, würdet Ihr uns wohl einen Moment in Eurem Bekenntnisraum gewähren?«

    Die drei starrten sie verwundert an. »Ja, aber warum..?«, brachte Strahan endlich hervor.

    »Bitte«, sagte Currann und deutete zum Tempel.

    »Was habt Ihr vor?!«, rief Karya.

    »Das werdet Ihr gleich erfahren.« Er wartete, bis Siri nickte. Sie ging voraus, ohne eine weitere Antwort seitens des Mönches abzuwarten, und Currann folgte ihr. Den anderen blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.

    »Nuria, was soll das?«, zischte Karya ihr zu, unhörbar für die beiden.

    »Keine Sorge. Lass sie nur machen«, beruhigte Nuria sie und unterdrückte ein Lächeln.

    Im Tempel schallte ihnen aufgeregtes Stimmengewirr entgegen. Die von Kedar war am lautesten. Er beschimpfte die Kameraden, allen voran Kiral, die sich mit gezückten Schwertern im Raum verteilt hatten.

    »Ruhe!«, donnerte Peadar, der dicht hinter Siri und Currann eintrat. Alle fuhren zu ihm herum. »In meinem Tempel hält nur einer Predigten, und das bin ich. Schweigt still, zurück mit Euch! Haltet Frieden. Und steckt sofort die Schwerter fort!« Er war äußerst erbost über ihr aller Verhalten. Die Leute verstummten betreten und taten, was er sagte, die Kameraden jedoch warteten auf das Nicken ihres Kommandanten.

    Currann hielt sich dicht neben Siri, spürte er doch, wie sie sich unter den Blicken der Menschen zusammenkrümmte. Sie sah starr geradeaus, sodass sie gar nicht merkte, dass Entsetzen, gepaart mit Mitgefühl, in den meisten Augen zu sehen war. Selbst Goran sah sie nicht mehr so finster an. Currann beobachtete ihn verwundert, er wusste immer weniger, was er davon halten sollte. In Gorans Augen stand ein Ausdruck, als wäre er tief getroffen.

    »Wollen wir?« Peadar sah sich zu ihm um.

    »Ja, gehen wir«, nickte Currann und wandte sich an Strahan. »Darf ich Euch bitten, mit uns zu kommen?« Die Leute sahen nicht minder erstaunt drein wie der Schulmeister. Was hatte der Kommandant vor? Er nickte vorsichtig.

    Siri hatte unterdessen, ohne es zu wollen, Kedar angeblickt. Hass stand in seinen Augen. Es machte sie vollends rebellisch, und sie fasste einen Entschluss. »Mari«, sie wandte sich zu ihrer Cousine um, »würdest du mein Kind halten? Bis ich wieder da bin?«

    »Fass das Scheusal ja nicht an!« Kedar war vorgesprungen und wollte zu ihr, doch eine Hand packte ihn an der Schulter und drängte ihn zurück in die Menge.

    »Vater Peadar sagte, gebt Ruhe«, grollte Kiral. Er wandte sich verächtlich ab und ging schnurstracks zu den Frauen hinüber. Mit verschränkten Armen pflanzte er sich hinter ihnen auf. Die Kameraden folgten seinem Beispiel und bildeten einen schützenden Ring um sie.

    »Wir passen auf den Kleinen auf, hab keine Angst«, sagte Karya. Sie sah wohl, wie schwer es Siri fiel, ihr Kind zurückzulassen.

    »Ich danke euch«, flüsterte Siri und ließ sich von dem Mönch die Gasse hinunterführen, welche die ungläubig dreinschauenden Bewohner ihnen freimachten. Currann folgte mit Strahan. Er behielt Kedar genau im Auge, besonders, als sie sich dicht an ihm vorbeibewegen mussten. Plötzlich beugte sich sein Sohn zu ihm herüber und flüsterte ihm etwas zu. Kedar riss die Augen auf. Sein Gesicht wurde rot, und er holte Luft, um etwas zu rufen.

    »Nein, Ihr gebt jetzt Ruhe! Zurück mit Euch!«, donnerte der Mönch. Der Vorsteher klappte seinen Mund zu, und Currann beeilte sich, Siri sicher an ihm vorbeizubringen.

    Siri sank auf einen der Stühle, kaum dass die Tür hinter ihnen zugefallen war. »Siri, mein Kind..« Ihr Vater umarmte sie. Sie ließ es erschöpft über sich ergehen, erwiderte es jedoch nicht. Currann lehnte sich an die geschlossene Tür. Seine Wut war so plötzlich verraucht, wie sie hierhergelangt waren. Was hatte er da eigentlich vor? Noch dazu gehen ihren Willen? Und auf immer und ewig? Schmerzhaft kehrte er auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie wollte das alles nicht! Was sollte er tun? Er brauchte einen Moment, um in sich zu gehen, und verharrte mit geschlossenen Augen.

    »Althan, was habt Ihr?«, fragte Peadar besorgt.

    Sobald Currann die Augen öffnete, fand er Siris von ganz allein. Es war, als erhielte er einen Faustschlag in den Magen, so gebeugt, wie sie dort saß. Wie konnte er nur zweifeln? Ihre Sicherheit stand an erster Stelle. Er wollte sie vor ihren gewalttätigen Verwandten schützen, körperlich wie geistig, koste es, was es wolle. Es blieb keine Alternative. Warum hatte er dann so ein schlechtes Gewissen? Sie schien es zu bestätigen, so mutlos und geschlagen, wie sie ihn von der Seite ansah. »Willst du immer noch?«, fragte er. Er brauchte ihre Zusicherung, so unsicher war er sich mit einem Mal.

    Siri atmete schwer. »Mir bleibt keine Wahl, das weißt du.« Sie streckte ganz langsam die Hand nach ihm aus. Currann löste sich von der Tür und ergriff sie vorsichtig. Es war das erste Mal hier in Branndar, dass er ihre bloße Hand bewusst berührte. Unglaublich schmal und eiskalt fühlte sie sich an, und sie war rau von der vielen Arbeit. Gleichzeitig jedoch verhieß sie eine ganz eigene Kraft, die ihn wie magisch anzog. Er wollte sie nicht mehr loslassen, bis sie im Fort und in Sicherheit war.

    »Was soll das heißen?!?« Strahan starrte ungläubig zwischen ihnen hin und her. »Ihr beide..«

    »Ihr habt euch den ganzen Winter über getroffen, nicht wahr?« Ein Funkeln war in Peadars Augen getreten. Sie nickten schweigend. Currann war fast geneigt zu glauben, er amüsiere sich, doch er tat den Gedanken als Hirngespinst ab. Nicht in dieser Lage. Oder etwa doch?

    »Peadar, wovon redet Ihr?« Verwirrt blickte Strahan um sich.

    »Es ist wahr, Vater«, sagte Siri. Sie nickte Peadar zu. »Ihr beobachtetet nachts manchmal die Sterne vom Turm des Tempels. Ich habe Euch gesehen und Ihr uns auch, ist es nicht so?«

    »Aber.. aber..« Dem Schulmeister hatte es völlig die Sprache verschlagen.

    »Tut mir leid, Vater.« Siris Hand klammerte sich an Curranns.

    »Ich kenne Eure Tochter schon sehr lange und sie mich.«

    »Das.. das glaube ich einfach nicht!« Strahan war aufgesprungen. Er wirkte zornig. Und enttäuscht. »Da versuchen wir, dich zu verbergen, und du bringst dich leichtsinnig in Gefahr, weil du dich mit diesem.. diesem..«

    »Diesem was?«, fragte Currann gefährlich leise.

    »Strahan, bitte, setzt Euch und hört die beiden an«, versuchte Peadar zu beschwichtigen.

    »Ihr habt sie in Gefahr gebracht! Warum hast du mir nichts gesagt? Sirial! Warum nicht?« Strahan setzte sich schwer auf seinen Stuhl und rieb sich über das Gesicht.

    »Vater, bitte!« Plötzlich liefen ihr die Tränen herunter. »Ich war bestimmt nicht in Gefahr.«

    »Wir haben sie vom Fort aus beschützt.«

    »Wir sind Freunde, Vater. Ich brauchte jemanden, mit dem ich reden konnte. Immer nur eingesperrt zu sein und nicht zu wissen, warum sie hier sind, nicht zu wissen, was geschehen war, das habe ich nicht ausgehalten.« Sie ließ Curranns Hand los, sprang auf und kniete sich vor ihren Vater. Sie nahm seine beiden Hände zwischen ihre. »Bitte, sei mir nicht böse. Ich hatte das Gefühl, ich werde noch wahnsinnig.«

    »So ging es mir auch«, fuhr Currann rasch fort, bevor Strahan weiter protestieren konnte. »Wir wussten die ganze Zeit, dass es eine Lüge von Euch war zu behaupten, Siri sei in Nador. Wir haben sie gehört. Kiral vor allem. Und nach dem ersten Angriff ist sie dann zu mir gekommen.«

    »Es hat mir gut getan, Vater, du ahnst gar nicht, wie gut.«

    Strahan schloss einen kurzen Moment die Augen. Schließlich seufzte er. »Ich hätte es wissen müssen. Du hast ja schon in Gilda deine eigene Entscheidung getroffen, warum sollte es hier anders sein? Hab Nachsicht mit deinem alten Vater. Es fällt mir schwer, mich daran zu gewöhnen, dass du erwachsen geworden bist.« Sanft wischte er ihr die Tränen ab. Siri schmiegte ihre Wange an seine Hände.

    »Ihr habt uns doch aus einem bestimmten Grund hergebeten, nicht wahr?«, fragte Peadar.

    Siri richtete sich abrupt auf. Strahan zuckte zusammen. »Was hast du vor, Kind?« Er warf Currann einen misstrauischen Seitenblick zu.

    »Ich glaube, dass die beiden sich zu einem Entschluss durchgerungen haben, Strahan. Nun, dann, erzählt uns, was ihr euch ausgedacht habt.« Der Mönch wies auffordernd auf die Stühle.

    Siri ging zurück an Curranns Seite, doch seine Hand nahm sie nicht mehr, und sie blieben beide stehen, zu aufgewühlt waren sie. Siri blickte zu Boden, sodass es an Currann war, zu beginnen. »Ich.. nun..« Himmel, er stotterte ja. Prompt schoss ihm die Röte ins Gesicht.

    »Fangt am besten von vorne an«, beruhigte ihn Peadar.

    Currann musste tief Luft holen. »Also gut. Ich habe Siri versprochen, ihr zu helfen, wenn so etwas wie heute geschieht. Ich habe damit gerechnet, dass Kedar ihr Kind bestimmt nicht tolerieren würde, und es hat sich als wahr herausgestellt. Nur dass..« Er runzelte die Stirn, versuchte, die richtigen Worte zu finden.

    »Nur dass die Dinge weitaus komplizierter liegen, als wir es vorher ahnen konnten«, ergänzte Siri leise. Sie beschloss weiterzusprechen: »Vater, wir haben einen Weg gefunden, wie ich nicht entehrt werde. Entehrt und aus der Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen.«

    »Was.. was für einen Weg?«, fragte der Schulmeister misstrauisch. Sofort legte ihm der Mönch beruhigend die Hand auf den Arm.

    Currann geriet langsam in Panik. Er musste diesen Mann jetzt um die Hand seiner Tochter bitten. Wie sollte er das machen? Siedend heiß fielen ihm all die Hindernisse ein, die ihnen im Weg standen. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Er war nicht alt genug. Und dann war da noch dieses kleine Problem mit seiner Herkunft und seinem falschen Namen.

    »Wir..« ›Oh Siri, hilf mir!‹, flehte er innerlich und griff ihre Hand.

    Sie schien verstanden zu haben. »Vater, der beste Schutz für mich ist eine Ehe.« Sie zögerte. »Er hat mich um meine Hand gebeten«, sagte sie schließlich.

    »Waas?!« Strahan machte einen Satz in die Höhe. Er riss seine Tochter von dem Fremden fort. »Ja, Siri, bist du denn wahnsinnig? Du kannst doch nicht allen Ernstes wollen, seine Frau zu werden. In deiner Lage? Mit dem, was du erlebt hast? Kind, werde doch vernünftig!« Er warf einen finsteren Blick zu Currann herüber, als hätte dieser seine Tochter verhext.

    Peadar dagegen betrachtete sie nachdenklich. Warum hatte Siri gezögert, seinen Namen auszusprechen? Sein Verdacht, dass sie hier einiges noch nicht wussten, erhärtete sich. Er beschloss einzugreifen, denn Siri weinte schon wieder. »Strahan, bitte. Sie werden sich etwas dabei gedacht haben. Hört sie doch wenigstens an.« Er fand den Vorschlag sogar einleuchtend, wäre da nicht Siris Erlebnis mit den Goi gewesen.

    Mittlerweile hatte sich Currann soweit wieder im Griff, dass er die ganze Sache strategisch angehen konnte. Er schob alle Gedanken an Ehe und Treue und dergleichen beiseite und dachte einfach an ein Gefecht. Es half. »Seht, Kedar hat Euch in der Hand. Er kann dafür sorgen, dass Ihr von der Verteilung der Essensrationen ausgeschlossen werdet. Sicherlich, wir und andere würden Euch versorgen, das ist es nicht. Ich habe es Siri versprochen. Aber Euer Ruf und die Ehre Siris wären unweigerlich dahin. Ihr müsstet fort von hier. Und wer weiß, wo Ihr jemals wieder eine Anstellung fändet. Wenn Siri aber meine Frau wird und ich ihr Kind als das meine annehme, dann hat Kedar keine Macht mehr über sie. Und damit nicht über Euch.«

    »Es ist die einzige Möglichkeit, Vater«, flüsterte Siri, die Stirn an seiner Schulter.

    Er schloss sie schützend in die Arme. »Ich muss gestehen, das Ganze entbehrt nicht einer gewissen Logik. Aber Siri, es geht hier um dich. Nicht meine Ehre, nicht meine Zukunft, sondern allein um dich. Ich mache mir Sorgen. Bist du wirklich sicher, dass du das willst? Die Bewohner werden uns doch nicht im Stich lassen!«

    »Das weißt du nicht. Bisher haben sie es nicht gewagt, Kedar wirklich die Stirn zu bieten, zumindest nicht direkt. Ich möchte es nicht darauf ankommen lassen. Bitte, Vater! Ich will Schutz für mein Kind und für mich. Er kann mir das geben. Ja, ich will es. Ich muss.«

    Currann fiel polternd ein Stein vom Herzen. Das hatte sie vorher noch nicht gesagt. Nur, dass ihr keine Wahl blieb. »Darf.. darf ich Euch also um die Hand Eurer Tochter bitten?«

    »Könnt Ihr das denn?«, fragte Peadar dazwischen. Er hatte beschlossen, dass es Zeit war, ein paar Wahrheiten einzufordern.

    »Ja, wie alt seid Ihr eigentlich?«, fiel nun auch Strahan ein.

    Siri machte sich von ihm los. »Aber Vater..«

    »Nein, Kind, das ist wichtig. Ihr könnt nicht heiraten, wenn er nicht großjährig ist, denn dann bräuchte er die Zustimmung seiner Eltern. Seid Ihr großjährig?«

    Siris Kopf fuhr in Curranns Richtung. Angst stand in ihren Augen. Er streckte die Hand nach ihr aus, sah sie so ruhig, wie er konnte, an, obwohl er innerlich fluchte. Das war eine der Schwierigkeiten, die er hatte. »Nein, ich bin es nicht«, erwiderte er, sobald er Siris Hand in seiner spürte. Er legte sie vorsichtig in seine Armbeuge, so wie damals in Gilda.

    »Wie alt seid Ihr?«, fragte Peadar.

    Currann kam sich langsam vor wie bei einem Verhör. Und bei Strahans Gesichtsausdruck wusste er, dass es bis zum Ende gehen würde, und er spürte, dass auch Siris dies ahnte. »Sechzehn.«

    »So jung noch?!«, brach es aus Strahan hervor. »Ihr seid ja kaum erwachsen, geschweige denn großjährig! Und Ihr wollt Ehemann meiner Tochter werden und Vater meines Enkelkindes?«

    »Vater, bitte..«, flehte Siri.

    »Glaubt mir, ich musste sehr viel schneller erwachsen werden als die meisten anderen!«, erwiderte Currann schneidender, als er es beabsichtigt hatte.

    Peadar trat ausgleichend zwischen sie. »Das haben wir alle gemerkt. Ich habe Euch auch für noch nicht großjährig gehalten, aber so jung.. das hätte ich niemals gedacht. Strahan meinte damit wohl, dass Ihr noch reichlich jung für diese Verantwortung seid. Aber dennoch müssen Eure Eltern dem hier zustimmen.«

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