Trägerin des Lichts - Erkennen
Von Lydie Man
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Über dieses E-Book
Nun aber gelingt es einigen Kundschaftern des ehemaligen Heerführers Bajan, den eigenen Tod vorzutäuschen und unentdeckt von den Tempelwachen über die Grenze nach Temora und Saran zu entkommen.
Endlich erhält Bajan die Möglichkeit, wieder in das Geschehen des Landes einzugreifen. Er schickt seine Kundschafter aus, nach Thronfolger Currann und den verschwundenen Fürstensöhnen zu suchen. Denn nur, wenn einwandfrei bezeugt werden kann, dass sie am Leben sind, können die Bewohner des Landes davon überzeugt werden, einen schlagkräftigen Widerstand gegen das Böse aufzubauen.
Es wird allerhöchste Zeit. Die Macht des Feindes erstarkt im Norden, und auch die Diener sind nicht untätig geblieben. Sie haben ganz neue Wege gefunden, sich unter den Völkern zu verbreiten. So sind sie bestens über jeden Schritt der Verbündeten unterrichtet, und die Rebellen und damit die Königskinder geraten in nicht nur eine ihrer tödlichen Fallen.
Der vierte Band der Saga um die Königskinder von Morann.
Lydie Man
Autorin seit 2005 In meinem ersten Leben habe ich Betriebswirtschaft studiert und viele Jahre als Analystin und Referentin in einem Hamburger Industrieunternehmen gearbeitet. Dann entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Schreiben. Die Saga um die Königskinder von Morann und ein begonnenes neues Projekt sind die Folge und das Vergnügen daraus. Mögen es viele Leser teilen :)
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Buchvorschau
Trägerin des Lichts - Erkennen - Lydie Man
Kapitelübersicht
Kapitel 1: Zwischenwelt
Kapitel 2: Nador – Dritter Winter nach der Flucht
Kapitel 3: Gilda – Dritter Winter nach der Flucht
Kapitel 4: Nador – Viertes Frühjahr nach der Flucht
Kapitel 5: Temora – Vierter Winter nach der Flucht
Kapitel 6: Temora – Fünftes Frühjahr nach der Flucht
Kapitel 7: Nador – Fünftes Frühjahr nach der Flucht
Kapitel 8: Auf dem Weg nach Saran – Fünftes Frühjahr nach der Flucht
Kapitel 9: Temora – Fünftes Frühjahr nach der Flucht
Kapitel 10: Offenbarung – Fünfter Frühsommer nach der Flucht
Kapitel 11: Im Niemandsland – Fünfter Sommer nach der Flucht
Kapitel 12: Temora – Fünfter Herbst nach der Flucht
Kapitel 13: Saran – Fünfter Herbst nach der Flucht
Kapitel 14: Temora – Fünfter Herbst nach der Flucht
Kapitel 15: Saran – Fünfter Herbst nach der Flucht
Kapitel 16: Gilda – Fünfter Herbst nach der Flucht
Kapitel 17: Die Insel – Fünfter Herbst nach der Flucht
Kapitel 18: Temora – Fünfter Winter nach der Flucht
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Personen der Handlung
Im Verborgenen:
Currann, Thronfolger des Reiches
Phelan, sein jüngerer Bruder
Althea, ihre Cousine
Noemi, ihre treue taubstumme Freundin
Bajan, ehemaliger Heerführer
Sinan, der jüngere Bruder von Ratsherr Nestan
Tamas, Sohn von Tanaar, des Fürsten von Nador
Yemon, Sohn von Yenkal, des Fürsten von Mukanir
Ouray, Sohn von Orban, eines Siedlungsvorstehers
Kiral, ein Cerinn aus dem fernen Osten
Der Hofstaat
Aietan, König von Morann
Alia, seine mittlerweile verhasste Königin
Lelia, einzig verbliebenes Königskind bei Hofe
Nusair, oberster Mönch und religiöser Führer des Landes
Stiig, sein Schriftführer
Brida, Haushofmeisterin
Nestan, Ratsherr und rechte Hand Nusairs
Nelana (Nel), seine Schwester
Daria, Zofe und Nusairs Nichte
Vara, Zofe
Ciaban, Heerführer
Weitere Personen in Gilda und Morann:
Meda, inoffizielle ehrwürdige Mutter der Heilerinnen
Leanna, Lelias verschwundene Zwillingsschwester
Netis, eine Heilerin
Rynan, Leannas Beschützer und Kundschafter der Heilerinnen
Lina, seine Schwester
Bayram und Tabea, Bajans Halbbruder und seine Frau
Ioanna, Medas kleine Tochter
Thorald, Altheas Vater in Gefangenschaft
Leviad, ein alter Freund Bajans
Nadim, ein Kundschafter Bajans
Orban, Siedlungsvorsteher und Vater von Curranns Kamerad Ouray
Tanaar, Fürst von Nador und Vater von Curranns Kamerad Tamas
Tavar, Tamas’ jüngerer Bruder
Dagan, der Steuereintreiber von Fürst Tanaar
Eachan, Rittmeister von Fürst Tanaar
Rhiba, eine Rebellin in den Sümpfen
In Branndar:
Sirial (Siri), Curranns Frau
Nathan (Nat), ihr ältester Sohn
Farlan, ihr zweiter Sohn und Curranns Erstgeborener
Iovan, ihr dritter Sohn und Curranns Zweitgeborener
Strahan, ihr Vater, der Schulmeister
Peadar, der Mönch der Siedlung
Karya, Siris Tante, die Heilerin
Goran, ihr Sohn, Siris Cousin
Nuria, Siris Freundin
Belan, ihr Sohn
Evi, ihre Tochter
Yorran, der Schmied
Yassin und Ramon, zwei Jungen
Kjell und Rike, zwei von den Goi entführte Kinder aus Saran
In Temora:
Anwyll, Hohepriester von Temora
Aislinn, Altheas Großmutter und Priesterin im Rat Temoras
Mihal, Ratsmitglied und Anwylls Nachfolger
Halldor und Bendiks, zwei weitere Ratsmitglieder
Chaya, Ausgestoßene und Heilerin
Maret, Novizin
Emlyn, Novizin
Galvin und Gayle, Zwillinge und ebenfalls Novizen
Ragai, der gefangene Priesterkrieger
Mahin, Anführer einer Siedlung und Marets Bruder
Verna, seine Frau
Livie, ihre Tochter
Naja, Vernas Schwester, Novizin
Amin, Händler Temoras
Jesko, Clansführer und Amins Bruder
Taro, sein ältester Sohn
Taisto, sein jüngerer Sohn
In Saran
Regnar, Altheas Großvater und Seeräuber
Roar, Clansführer von Saran
Jorid, Jeldriks Schwester
Sylja, Herrin über Roars Haus
Bryn, der saranische Schmied
Rana, seine Frau
Phelana, ihre kleine Tochter
Sedat, Gesetzeshüter von Saran
Corin und Eryk, die Väter der entführten Kinder Kjell und Rike
Oren, ein Kamerad Jeldriks
Widar, ermordeter Clansführer
Harcon, sein Bruder und Nachfolger
Bado, ein aus dem Clan Sarans Ausgestoßener
Auf See
Jeldrik, Phelans bester Freund und Sohn von Clansführer Roar
Seeko, Widars Sohn und Phelans Feind
Tzusa, eine Priesterin
Ohin, Vater von Jeldriks Kamerad Oren
In Mukanir
Naluri, die ehemalige Königin
Meno, ehemaliger Archivar Gildas und jetzt Schulmeister
Yola, Vertraute Naluris und seine Frau
Yenkal, Fürst von Mukanir und Vater von Curranns Kamerad Yemon
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Karte von Morann
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Was im letzten Teil geschah
Anstatt bis zum Abend zu warten, kamen die beiden ältesten Mädchen bereits am nächsten Morgen zu ihrer Großmutter und baten sie weiterzuerzählen.
»Und bitte, verharmlose nichts, all die Dinge, welche die Kleinen nicht hören sollen! Bitte!«, bat die Älteste.
Die Großmutter seufzte. »Aber nur, wenn ihr mir nachher helft, das zu erledigen, was in der Zwischenzeit liegen geblieben ist.«
»Natürlich, Großmutter«, nickten die beiden ernst und setzten sich.
»Es ist gut, dass ihr alleine kommt.« Die alte Frau lächelte ihnen zu und setzte sich ebenfalls. Aber auch hier ruhten ihre Hände nicht, sondern nahmen sich irgendeine Flickarbeit. Die beiden Mädchen folgten ihrem Beispiel. »Nun, wo waren wir stehen geblieben? Ah, ja, Currann eilt Siri zu Hilfe, um ihr gegen die Bewohner der Siedlung beizustehen, die ihren neugeborenen Bastard nicht unter sich dulden wollen. Siris Onkel ist Siedlungsvorsteher, und er will diese Schande nicht auf seiner Familie sitzen lassen und das Kind aussetzen.
»Er will es töten?«, rief das jüngere der beiden Mädchen entsetzt aus.
»Natürlich will er das, das war damals eine Schande für jede Familie«, erwiderte die Älteste und fügte hinzu: »Um das Kind zu schützen und Siri vor dem Ehrverlust zu bewahren, bietet Currann ihr seine Hand, und sie hat keine Wahl, sie muss ihn heiraten.«
»Aber sie mag ihn doch! Was ist so schlimm daran?«, fragte das andere Mädchen.
Die Großmutter ergriff nun wieder das Wort: »Siri denkt – zu Recht, wenn ihr mich fragt – dass Currann durch sie in eine unhaltbare Lage geraten und praktisch zu diesem Schritt gezwungen ist. Es geht hier um Ehre, versteht ihr? Er hätte es sich nie verziehen, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Nun steht er, der als Thronfolger eigentlich eine Verbindung mit einer Fürstentochter oder gar einer Prinzessin hätte eingehen müssen, mit einer Frau zweifelhafter Herkunft und einem Bastard da. Siri drückt das schlechte Gewissen, und sie hat noch ein weiteres Problem: Curranns Nähe ruft furchtbare Erinnerungen an den Überfall der Bergstämme in ihr wach. Sie kann nichts dafür, er auch nicht, es ist einfach so, dass Menschen, die so etwas durchgemacht haben, oft unter solcher Art Wahn leiden.
So gut Siri sich nach und nach mit den Kameraden versteht, die die junge Frau und ihr Kind mit offenen Armen in ihren Reihen aufnehmen und beschützen, mit Currann vermeidet sie es, allein zu sein, ignoriert ihn beinahe. Sie sind sich, obwohl Mann und Frau, ferner denn je. Es ist eine furchtbare Zeit für sie beide, zumal die Siedlung eine schwere Hungersnot erleidet und sie am Ende noch von den Bergstämmen überfallen werden. Sie siegen zwar, aber sie finden unter dem Beutegut ein Messer, das ganz eindeutig Curranns Bruder Phelan gehört.«
»Was ist passiert?!«, riefen die beiden Mädchen.
»In Saran hat sich Phelan nur widerwillig mit seinem Exil abgefunden. Mit Jeldrik verbindet ihn mittlerweile eine zwar recht oberflächliche, aber immerhin aufrechte Freundschaft. Gemeinsam mit Bajan und Jeldriks Vater Roar, dem Clansführer, brechen sie in die Berge auf, ihre Grenze gegen die immer wieder einfallenden Bergstämme zu verteidigen.
Dort werden sie überfallen und Phelan schwer verwundet und ihm sein Messer geraubt, was Currann dann auf der anderen Seite der Berge findet. Eine versteckt in den Bergen lebende ethenische Sklavin pflegt ihn wieder gesund, und sehr schnell bemerkt Phelan, dass etwas ungewöhnlich an ihr ist: Alle Sklaven verneigen sich vor ihr, und kein Saraner wagt es, sie wie eine Sklavin zu behandeln. Sie entpuppt sich als ethenische Priesterin, und sie wird von Träumen heimgesucht, solcherart Träumen, wie Phelan sie nur allzu gut von Althea kennt. Haben beide Mädchen gar dieselben Fähigkeiten? Bajan drängt darauf, dies genauer zu erforschen, und er erreicht, dass die Sklavin in ihren Besitz übergeht. Sie nehmen sie zurück mit nach Saran, nicht ahnend, dass dies noch böse Folgen haben wird.
Phelan beginnt, ihre Träume aufzuschreiben und mit Altheas zu vergleichen. Sein Verdacht, dass sich auch in Saran ein Diener des Bösen befindet, wird von ihr bestätigt. Da begreifen Phelan und Bajan, dass sie die Priesterin in Gefahr gebracht haben und sie mit allen Mitteln geschützt werden muss.
Doch es ist zu spät. Der Diener ist nicht untätig geblieben. Er hat längst herausgefunden, wer der angebliche Sohn an Bajans Seite in Wahrheit ist. Er erhält von seinem Meister den Befehl, Phelan in seine Gewalt zu bringen und zu brechen, um so etwas über Altheas Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Sehr schnell spitzen die Dinge sich zu. Es geschieht ein Mord an einem der Clansführer, der Jeldriks Vater vor eine echte Zerreißprobe seiner Vorherrschaft in Saran stellt, und in all der Aufregung finden sie plötzlich Jeldriks Schwester Jorid leblos auf. Phelans kleine Priesterin spürt die dunkle Macht an Jorid, und sie ahnen, dass sie dem Diener in die Quere gekommen ist. Phelan und Bajan beschließen, die beiden jungen Frauen zu verbergen und dass Phelan den Lockvogel für den Diener spielen soll. Doch da träumt die Priesterin, dass Phileas hoch im Norden mit SEINEN Wesen auf etwas einrennt, das sie nicht zu benennen vermag. Aus ihrer Beschreibung erkennt Phelan, dass es sich um ein weiteres Tor handelt. Er fürchtet, dass Althea genau dasselbe träumt und nun versucht ist, in der anderen Welt nachzusehen, was dort geschehen ist.«
»Und? Tut sie es?«, fragten das jüngere der beiden Mädchen.
Das ältere Mädchen grinste. »Natürlich tut sie es.«
»Aber zunächst«, die Großmutter nahm den Faden ihrer Erzählung wieder auf, »haben sich Althea und ihre treue taubstumme Freundin Noemi im Laufe des Winters gut in ihrem neuen Zuhause, dem Bannwald, eingelebt. Ihre heimliche Freundschaft mit den vier Novizen Temoras wird von Mal zu Mal tiefer, trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen Ansichten. Auch außerhalb finden sie gute Freunde, die sie kräftig dabei unterstützen, sich ein neues Leben aufzubauen. Doch auch hier zieht sich die Schlinge der Diener langsam zu. Die Soldaten des Einen Tempels riegeln die Grenze ab, sämtliche Handelsströme kommen zum Erliegen. Es trifft die Bevölkerung auf beiden Seiten hart, Hunger und Krankheiten drohen. Die Priester Temoras entsenden einige der Ihrigen, um die Lage an der Grenze auszukundschaften, und diese verschwinden spurlos. Da bricht in einer Siedlung eine rätselhafte Seuche aus. Unvermittelt stehen die drei Heilerinnen mitten in den Ereignissen, denn sie sind es, die den notleidenden Menschen helfen, nicht die allseits gefürchteten Priester. Altheas Großvater Regnar, der zu diesem Zeitpunkt gerade bei ihnen ist, versucht das mit Gewalt zu verhindern. Zum ersten Mal gerät Althea mit Regnars grausamem Wesen aneinander, und es ist ein echter Schock für sie zu begreifen, dass er auch gegen sie zu allem bereit ist.«
»Tut er ihr weh?«, rief das jüngere Mädchen dazwischen.
»Keine Angst, das weiß sie zu verhindern«, beruhigte die Großmutter. »Dank ihrer Gabe, die Menschen nicht nur zu heilen, sondern sie auch plötzlich einschlafen zu lassen, kann Althea ihm entkommen. Ihre Gabe ist es auch, die sie herausfinden lässt, was die Menschen befallen hat. In dem Brunnen der Siedlung liegt ein Toter, der das Wasser vergiftet hat. Ihr könnt euch vorstellen, wie grausam das für Althea ist, dort hineinzuklettern und ihn herauszuziehen. Aber«, mit einer Handbewegung unterbrach die Großmutter die erschrockenen Zwischenrufe der beiden, »ihr Fund birgt auch neue Erkenntnisse: Der Tote ist einer der verschwundenen Priester. Durch diese Ereignisse ist Althea gehörig ins Nachdenken geraten, was ihre Beziehung zu Chaya und ihren Großvater angeht. Sie beschließt, sich Chaya zu öffnen und ihr – nur ihr! - ihre Gabe zu offenbaren. Damit vollzieht sie eine deutliche Trennung zu ihrem Großvater, dem ja auch sowohl Phelan als auch Noemi zutiefst misstrauen. Voller Zorn über ihre Zurückweisung reist er ab.
Altheas Öffnung lässt für Chaya eine Welt zusammenbrechen. Die Erkenntnis, dass Althea die wahre Erbin der Gemeinschaft ist und die Priester die Menschen blenden, dass sie etwas bei sich tragen, das sie befähigt, den Ring zu durchbrechen, ist fast zu viel für die alte Heilerin. Nun begreift sie das ganze Ausmaß der Gefahr, die Althea droht, von allen Seiten.
Und dann setzen Altheas Träume wieder ein. Lange war es ruhig um Phileas geblieben, doch nun spürt sie, wie das Tor in ihrem Bannwald unter mächtigen Schlägen erzittert. ER lässt hoch oben im Norden SEINE Wesen auf ein hinter einem Todesring verborgenes Tor einrennen und opfert sie dabei. Und Althea, mit dem Diener wie immer Zeugin, ist nicht allein. Bei ihnen sind auch die Diener Gildas und Sarans, und hinter letzterem spürt sie die Anwesenheit einer weiteren Person. Es ist Phelans Priesterin.
Als Althea erwacht, weiß sie, dass sie unbedingt nachsehen muss, was in der anderen Welt geschehen ist. Noemis Warnungen, die drohendes Unheil spürt und sie an die Worte des Feenjungen über die Wächter erinnert, schlägt sie in den Wind. Immerhin schreibt sie ihren Traum und eine Warnung an Phelans Priesterin auf, bevor sie das Tor betritt.«
»Und was..?«
»Was erlebt sie dort?« Die Großmutter lachte. »Ihr greift der Erzählung vor. Phelans Befürchtungen sind also wahr geworden. Doch das weiß er zu dem Zeitpunkt noch nicht, denn Regnar ist noch nicht zurück. Phelans Plan, den Lockvogel für den Diener zu spielen, ist nicht aufgegangen. Nur wenn sie ihn rechtzeitig finden, gibt es noch Hoffnung für Jeldriks Schwester Jorid, die mit jedem Atemzug um ihr Leben ringt. Phelans kleine Heilerin lebt mit Jorid im Verborgenen und pflegt sie. Gemeinsam mit Jeldrik findet Phelan heraus, dass Jorids Krankheit etwas mit den Männern des Gesetzeshüters zu tun haben muss. Sie beschließen, den wohl wichtigsten Mann des Volkes ins Vertrauen zu ziehen, doch dazu muss Phelans Priesterin ihn erst prüfen, ob er nicht selbst der Diener. Sie hat furchtbare Angst davor, und über der grausamen Wahl, sie entweder zu zwingen oder Jorid sterben zu lassen, entdeckt Phelan, dass er ganz andere Gefühle für sie hegt als für eine Sklavin und Schutzbefohlene. Das bekommt natürlich auch Bajan mit, und er warnt Phelan eindringlich, sich mit ihr einzulassen. Als Priesterin gelten für sie äußerst strenge Regeln und noch strengere Strafen, aber Phelan bestreitet vehement, etwas für sie zu empfinden.
Es ist die Zeit der großen Clansversammlung im Herbst, wenn alles zusammenkommt, was Rang und Namen hat, als sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Der Gesetzeshüter, erst denkbar ungehalten über ihr Misstrauen und die Tatsache, dass eine Priesterin des feindlichen Volkes ihn prüfen muss, erkennt sehr schnell den Ernst der Lage und verspricht, den Verräter unter seinen Männern ausfindig zu machen, was ihm auch gelingt. Doch der Diener entkommt und lauert nun im Verborgenen. Er greift Phelan an und verletzt ihn, und als die kleine Heilerin Phelan versorgt, geschieht das, was Bajan befürchtet hat: Die beiden kommen zusammen, und sie ist es, die den ersten Schritt tut.«
»Sie verlieben sich ineinander«, sagte die Älteste mit einem verträumten Lächeln.
»Nein.« Das knappe Wort aus dem Mund ihrer Großmutter ließ ihr Lächeln sofort wieder schwinden. »So wird es den Kindern erzählt, aber das ist nicht der wahre Grund. Die Priesterin sieht ihren eigenen Tod voraus. Nach dem Brauch ihres Volkes kann sie nur in die nächste Welt hinübergehen, wenn sie vorher das Ritual der Vereinigung mit dem ihr bestimmten Königssohn vollzogen hat, und da der weit entfernt war, wählt sie den einzigen anderen Königssohn in ihrer Nähe.«
»Phelan! Ja, natürlich! Aber weiß er das?«, fragte das jüngere Mädchen.
Die Großmutter schüttelte den Kopf. »Zunächst nicht. Er völlig verwirrt, als er erkennt, dass die kleine Priesterin ihn nur für ein Ritual gebraucht hat, doch er kommt nicht mehr dazu, sie genauer nach dem Sinn und Zweck zu fragen. Mitten in der Clansversammlung erscheint Jeldriks Onkel nach langen Jahren der Seefahrerschaft mit der Nachricht, dass ein unbekanntes Seefahrervolk auf den Weg in saranische Gewässer ist, sie anzugreifen, und gleichzeitig ereilt sie die Botschaft, dass die Bergstämme eine Siedlung angegriffen und alle Frauen und Kinder entführt haben. Plötzlich sind die Saraner von allen Seiten bedroht, denn das feindliche Seefahrervolk ist nicht auf Beute aus, sondern es tötet alle, derer es habhaft werden kann, außer einer einzigen Person: den Schmied. Das lässt für die Saraner nur einen Schluss zu: Sie rüsten, wofür und gegen wen, das entzieht sich ihrer Kenntnis, aber es ist klar, sie müssen die Feinde aufhalten.
In der ganzen Aufregung ist Regnars Rückkehr der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der alte Seeräuber musste in Temora feststellen, dass Althea verschwunden ist und selbst mit Gewalt nicht aus Noemi herauszubringen war, wohin. Nun will er sich denjenigen greifen, der als einziger noch wissen kann, was Althea getan hat, und damit führt er den Diener direkt zu Phelan und dem Versteck der beiden jungen Frauen.«
»Sie werden überfallen?«, flüsterte das jüngere Mädchen atemlos.
Das ältere Mädchen nickte. »Phelans Priesterin wird von dem Diener getötet und Phelan verwundet, bevor es gelingt, ihn zu überwältigen.«
»Als die ethenischen Sklaven die tote Priesterin finden, sind sie außer sich vor Zorn, erst recht, als sich herausstellt, dass sie nicht mehr unberührt ist. Die Sklaven verdächtigen Phelan, sie geschändet zu haben, und ihr Zorn steigert sich in einen handfesten Aufstand. Es gibt Verletzte und gar Tote, und es bleibt Bajan nichts anderes übrig, als Phelan aus Saran fortzubringen. Er schickt ihn und Jeldrik mit dessen Onkel fort, über die See hin zu einer weit entfernten, von den Saranern eroberten Insel, um die feindlichen Seefahrer aufzuhalten. Doch unterwegs zieht ein schwerer Sturm auf, und Phelan geht über Bord. Tage-, wenn nicht sogar wochenlang treibt er auf dem Meer. Dem Tode nahe, sieht er, wie Althea ihn vergebens um Hilfe ruft. Das soll für lange Zeit das Letzte sein, was er von ihr sieht und hört.«
Die Großmutter tat so, als wolle sie die Erzählung hier beenden, und sie lachte, als die beiden Mädchen zum Protest anhoben. »Also schön. Nicht nur Phelan sieht, dass Althea in Gefahr ist, auch Currann hat einen entscheidenden Traum von ihr. In Branndar ist Currann durch Siris abweisende Haltung mittlerweile derart grimmig und wortkarg geworden, dass er ernsthaft den Zusammenhalt der Kameraden gefährdet. Doch da greifen die Bergstämme, die zuvor Saran heimgesucht haben, in einer nie gekannten Stärke an. Die Kameraden überleben nur knapp, und Siri, der plötzlich klar wird, dass sie Currann noch nie seinen Schutz wirklich vergolten hat, greift selbst zu den Waffen, um ihnen beizustehen.«
»Führt sie ein Schwert?«, fragte das jüngere Mädchen fasziniert.
»Nein, sie ist doch eine Schützin, erinnerst du dich nicht?«, sagte das ältere Mädchen.
»Ja, so ist es«, nickte die Großmutter. »Currann wird schwer verwundet, und da begreift Siri, was er ihr wirklich bedeutet. Sie beschließt, sich ihm zu öffnen, und endlich finden sie zusammen und werden ein Paar.
Unter dem Beutegut der Bergstämme finden die Kameraden zwei überlebende saranische Kinder. Von ihnen erfährt Currann, dass sein Bruder am Leben ist und sie nun geradezu im Wettstreit mit ihrem ehemaligen Heerführer und Mentor Bajan stehen, die Grenzen zu sichern. Das ist für Currann natürlich ein doppelter Sieg, und nach dieser Zeit der Unsicherheit brechen für Branndar und für die Kameraden bessere Zeiten an. In der Siedlung werden sie nun endlich als Retter und Beschützer geachtet, alles wächst und gedeiht, und kein Lohn könnte für Currann schöner sein, als Siri ihm einen Sohn und damit dem Reich einen Thronfolger schenkt.
Doch da wird Curranns Ziehsohn, Siris ältestes Kind, plötzlich todkrank. Nichts scheint zu helfen, und als sie ihm schon die letzte Salbung geben wollen, beschließt Currann, Althea um Hilfe anzurufen. Es gelingt ihm, Verbindung mit ihr aufzunehmen, und er sieht sie verletzt und hilflos in einem fremdartigen Wald umherirren. Sie findet nicht zurück, und nun versucht sie mit Curranns Hilfe einen Weg in ihre Welt. Es gelingt ihm, ihr den Weg zu weisen und ein wenig von ihrem Licht mitzunehmen zu seinem todkranken Ziehsohn, der daraufhin überlebt. Ich sehe schon, ihr glaubt das nicht so wirklich«, sagte die Großmutter zu den beiden zweifelnd dreinblickenden Mädchen. »Erinnert euch, wen eine Druidai berührt, mit dem schafft sie eine dauerhafte Verbindung. Wen sie einmal damit berührt hat, der bleibt auch über weite Entfernungen immer mit ihr verbunden, auch und gerade im Geiste.«
»Ja, und sie träumt immer, wenn jemandem etwas Schlimmes passiert«, sagte das ältere Mädchen zu dem jüngeren. Dieses nickte zögerlich.
»So ist es. Nun aber wieder zu Phelan. Im Gegensatz zu seinem Bruder konnte dieser Althea nicht helfen. Er wird auf einer weit entfernten Insel an Land gespült. Auf ihr lebt ein primitives Jägervolk, das von einer alten machtbesessenen Priesterin beherrscht wird. Die Enkeltochter der Priesterin pflegt Phelan gesund, und von ihr erfährt er auch, was es mit der alten Frau auf sich hat: Sie verbirgt ihr Volk vor Fremden, denn auch sie hat Träume von Tod und Verderben und hofft so, dem entkommen zu können. Alle Fremden, die von Stürmen dort angespült werden, hindert sie daran, wieder fortzugehen. Phelan begreift, dass er in noch größerer Gefahr ist als zuvor auf dem Meer. Das Jägervolk nimmt ihn zwar auf, aber er entdeckt auf der Insel ein weiteres, von einem Todesring umgebenes Tor gibt. Alle Fremden liegen im Todesring, geopfert dem Wahn der Priesterin, die um jeden Preis wissen will, was sich dahinter verbirgt. Mit einer List versucht sie, auch Phelan dort hineinzutreiben, aber er entkommt dank seines besonderen Wissens dieser Falle und erreicht, dass das Jägervolk das wahre Machtstreben der Priesterin erkennt und sich von ihr lossagt und stattdessen ihre Enkeltochter zur Priesterin machen. Nur, gehen lassen sie Phelan deswegen noch lange nicht, zu groß ist die Furcht vor Entdeckung. Also ist auch Phelan gezwungen, zu List und Betrug zu greifen. Scheinbar willig lässt er sich in das Volk aufnehmen, und heimlich baut er an einem kleinen Boot, um von der Insel zu fliehen.«
»Schafft er es?«, fragten die beiden Mädchen.
»Oh ja. Eines Tages fährt ein saranisches Schiff auf dem Weg nach Hause an der Insel vorbei, und Phelan sieht seine Gelegenheit gekommen. Mit der Hilfe der Enkeltochter der Priesterin kann er fliehen, doch er wird entdeckt und beinahe von den Jägern wieder eingefangen. Im letzten Augenblick entkommt er zu den Saranern, und die lassen sich nicht lange bitten. Einer der Ihrigen wurde angegriffen, eine willkommene Gelegenheit, Beute zu machen, Sklaven. Sie unterwerfen das Jägervolk und nehmen es mit, trotz aller Proteste Phelans, dem als Gildaer ein solches Verhalten zutiefst widerstrebt.
Phelan erfährt von den Seefahrern, dass sie auf dem Weg zu einer von den Saranern eroberten Insel sind und damit zu Jeldrik, der dort die Anführerschaft übernommen hat. Das fremde Seefahrervolk ist nun endgültig auf dem Vormarsch, und Jeldrik hat sich vorgenommen, es noch auf dem Meer aufzuhalten. Auf dem Weg dorthin fahren Phelan und seine Retter beinahe in die feindliche Flotte hinein. Es gelingt ihnen, sie heimlich auszukundschaften und sich an ihr vorbei zu Jeldriks Insel zu schleichen.
Der junge Anführer fällt aus allen Wolken, als plötzlich der tot geglaubte Phelan vor ihm steht. Die Ereignisse in Saran hatten sie zu wirklichen Freunden werden lassen, und Jeldrik hat sich Phelans Verlust nie verziehen. Die Freude über seine Wiederkehr währt nur kurz, als Phelan ihm berichtet, wie zahlenmäßig überlegen die Feinde sind. Jeldrik ist kurz davor zu verzagen, da kommt Phelan eine Idee, wie sie die Feinde in eine Falle locken können. Völlig neue Wege müssen sie dafür beschreiten, und es braucht allen Erfindungsgeist und Kraft der beiden jungen Männer, die Saraner hinter sich zu einen und den Plan Wirklichkeit werden zu lassen. Selbst Altheas Großvater findet sich ein und kämpft mit ihnen. In den Wirren der Kämpfe gelingt es jedoch dem Jägervolk und den anderen Gefangenen auf der Insel, sich zu befreien, doch sie fallen den Saranern nicht in den Rücken, sondern greifen in die Kämpfe ein und besiegen das fremde Seefahrervolk, als die Saraner schon fast geschlagen sind.«
»Aber.. warum tun sie das? Sie hätten sich doch endgültig befreien können?« Die beiden Mädchen verstanden das nicht.
»Nun.. das ist ein berechtigte und sehr schwierige Frage. Seht mal, zum Hoheitsgebiet der Saraner zu gehören, hat nicht nur Nachteile. Es bedeutet auch Schutz, Handel, Wohlstand, all die Dinge, die ihr um euch herum als so selbstverständlich wahrnehmt. Außerdem hat Phelan als Königssohn für die Priesterin des Jägervolkes eine besondere Bedeutung. Er ist für sie unantastbar. Diesen Umstand darf man nicht verkennen. Phelan nutzt ihn, um gemeinsam mit Jeldrik ein Friedensabkommen zwischen den so unterschiedlichen Völkern zu schließen, zum Wohl für beide Seiten. Und nun sitzt er da, auf der Insel, wartet auf Neuigkeiten von Althea und Noemi und muss voller Sorge von Regnar hören, dass Althea immer noch verschwunden ist. Er kann ihr nicht helfen.«
»Und Thea?«, fragte die Älteste.
Da lächelte die Großmutter. »Das erfahrt ihr heute Abend zusammen mit den anderen. Genug getrödelt jetzt, auf an eure Aufgaben!« Energisch scheuchte die Mädchen hinaus.
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Kapitel 1
Zwischenwelt
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Wie verändert alles war! Althea hatte Mühe, überhaupt durch das Tor zu greifen, so verhärtet war die einstmals pulsierende Fläche. Dahinter erblickte sie den Wald, er war ein einziges Durcheinander aus umgestürzten Bäumen, zerfetzten Blättern, und in der Luft.. keine Musik, sondern Schreie, schmerzhafte, zu Tode erschrockene Schreie. Es war so laut, dass ihr der Schädel dröhnte und sie die Hände über den Kopf zusammenschlug und in die Knie brach. Das Tor verschloss sich wieder, und damit verstummten auch die Schreie.
Keuchend blieb Althea eine Weile am Boden hocken, bis es aufhörte, sich um sie zu drehen, und sie wieder klar sehen konnte. Was sollte sie tun? Etwas in ihr warnte sie eindringlich davor, auch nur einen Finger in die fremde Welt hinüberzustrecken. Sie hatte Angst, erkannte sie, wirklich Angst. Aber andererseits drängte es sie zu erfahren, ob dem Feenjungen Ti’Anan etwas geschehen war. Und sie wollte ihn unbedingt warnen vor der Gefahr, die so unvermittelt über ihre Welt hereingebrochen war: SEINEM Angriff, Phileas’ tödlicher Versuch, endlich der Macht hinter dem Tor habhaft zu werden.
Entschlossen rappelte Althea sich auf. Wenigstens wollte sie sehen, ob es ihrem fremden Freund gut ging. Keinen Gedanken verschwendete sie an ihre Freunde, an Noemi, die angstvoll draußen im nächtlichen Garten auf sie wartete, oder an Chaya, die sich in unruhigem Schlaf in der Hütte wand. Phelans zur Vorsicht mahnende Stimme, wie immer in ihrem Kopf, schob sie beiseite. Sie nahm allen Mut zusammen und legte ihre Hand erneut auf die silbrig schimmernde Fläche. Sofort drangen wieder diese Laute in ihr Gehirn ein und trafen sie bis ins Mark, aber diesmal war sie darauf vorbereitet. Unter Aufbietung aller Konzentration schaffte sie es, sich ein wenig davon abzuschirmen. Diesmal blieb ihr Blick klar. Vorsichtig streckte sie ihren Kopf hinüber auf die andere Seite. Ein erster, vorsichtiger Luftzug. Sie konnte atmen und sich bewegen. Das war gut.
»Ti’Anan!«, rief sie laut und zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte vergessen, dass er ja mit den Gedanken redete und nicht mit dem Mund. Welch lauten Hall ihre Stimme hier erzeugte und wie tief sie klang! Sofort wurde es still, totenstill. Also hatte man sie gehört. ›Ti’Anan?‹, rief sie zaghaft in Gedanken und bereit, sich sofort in Sicherheit zu bringen.
Ein Summen erhob sich in der Luft. ›Wassss isssst dasss?‹, zitterte es durch die Luft, durch die Bäume, oder war es in ihren Gedanken? Es klang wie das Flüstern von tausend Stimmen. Althea sträubten sich die Haare. Alles in ihr drängte danach, schleunigst kehrtzumachen. Nur fort von hier! Doch ihr Pflichtgefühl gegenüber dem Feenjungen war stärker. Sie musste es wissen, koste es, was es wolle. ›Ti’Anan, wo bist du?‹
Etwas kam näher, sie konnte es nicht sehen, aber spüren. Es war bedrohlich und es kam.. Althea riss den Kopf nach oben. Zu spät. Eine dunkle Wolke schoss auf sie herab, sie wurde gepackt, durch das Tor gezogen und emporgerissen. Althea schrie. Tausend kleine Stiche versengten ihre Haut, sie wurde überzogen von Schmerz. Es blieb ihr keine Zeit zu reagieren, ihr Instinkt übernahm das Handeln. Sie rollte sich zu einem kleinen Ball zusammen, versuchte, möglichst viele Stellen von sich zu schützen, und holte ihr Licht. Es sprengte dieses Ding auseinander, die schmerzhaften Stiche hörten auf. Althea spürte, wie sie fiel. Sie riss die Augen auf und sah den Wald mit rasender Schnelligkeit auf sich zukommen, und sie fühlte, wie es sich über ihr wieder zusammenbraute, das, was sie angegriffen hatte. ›Nein!‹, dachte sie in Panik. Schon schlug sie durch das Geäst der Bäume und raste auf den Boden zu. »Neeiiin!!« Sie streckte die Hände aus, wusste nicht, was sie tat. Im letzten Moment wurde ihr Fall aufgehalten, und sie landete wie nach einem Sprung von einer Mauer auf dem Boden.
Althea rollte sich auf dem Boden ab und rannte. Fort, nur fort von diesem Ding! Sie rannte um ihr Leben, ignorierte den Schmerz auf ihrer Haut, die sich anfühlte, als hätte sie sich verbrannt. Dicht war der Wald, es gab keinen Pfad, keine Lichtung. Sie stolperte über Wurzeln, schlug hin, riss sich die Kleider an Dornen auf, aber sie hielt nicht inne. Sie rannte und rannte und rannte, bis ihr plötzlich aufging, dass sie gar nicht aus der Puste geriet.
Abrupt blieb sie stehen. Es war alles still bis auf das Summen in der Ferne, selbst ihr eigener Atem, den sie eigentlich überlaut hätte hören müssen, war ruhig. Wie konnte das sein?
Althea stieß probehalber etwas Luft durch die Zähne aus. Das Zischen beruhigte sie. Aber warum kam dieses Etwas nicht hinter ihr her? So, wie ihre Kleider in Fetzen hingen, war sie mit aller Gewalt durch den Wald gebrochen. Das musste doch zu hören gewesen sein! Wo war es? Und wo war das Tor? Panisch sah sie sich um. Nur undeutlich konnte sie sich an eine graue Felsformation erinnern, und hier sah nichts danach aus. ›Ich habe mich verlaufen!‹, dachte sie verzweifelt, und im selben Moment schwoll das Summen an.
Althea erstarrte. Konnte dieses Ding ihre Gedanken hören? Wie Ti’Anan? Aber nicht ihre Schritte? Was war das für eine merkwürdige Welt! ›Denk nach, Thea!‹, dachte sie und verpasste sich augenblicklich einen Rüffel. Nicht denken, sondern handeln. Was hätte Phelan getan? Er hätte sich versteckt, sich mucksmäuschenstill verhalten und sich einen Überblick verschafft.
Hastig sah sie sich um. Dort, dort hinten, stand ein mächtiger Baum, viel größer und breiter als alle anderen. Seine Zweige hingen tief, sodass sie bequem hinaufklettern konnte. Schnell gelangte sie auf dem riesigen Baum nach oben, sodass sie über die anderen Bäume hinwegschauen konnte. Dort angekommen, wandte sie sich in die Richtung, aus der das Summen kam. Althea musste schlucken. Dort hinten, in weiter Ferne, kreiste eine dunkle Wolke über dem Wald.
›Dort muss ich hergekommen sein‹, dachte Althea, und sie schrie beinahe auf, als die Wolke in die Höhe schoss und ein gutes Stück auf sie zuraste. Eilig verbannte sie jeden Gedanken aus ihrem Kopf und machte ihn leer. Die Wolke hielt inne. ›Pass auf!‹, mahnte sie sich tief in ihrem Innern, die Wolke genau im Auge behaltend. Nichts geschah. Da hatte sie blitzschnell gelernt, welche Gedanken sie denken konnte, ohne gehört zu werden, und welche nicht. Mit etwas Übung war es kinderleicht. ›Na warte!‹, dachte sie und fletschte die Zähne, als die Wolke nicht weiter auf sie zukam, sondern sich langsam wieder entfernte. Sie hatte dieses Ding überlistet. Es machte ihr Mut, und ihre Erleichterung machte Raum für ihre anderen Sinne, die in ihrer Panik unterdrückt worden waren. Staunend fuhren ihre Finger über die seidige Oberfläche des Astes, an dem sie sich festhielt. Er war von einer Beschaffenheit, wie sie es noch nie gesehen hatte.
Seufzend lehnte Althea ihre zerschundene Wange dagegen und genoss das tröstliche Gefühl. Der Baum wirkte fast, als sei er lebendig. Und wie es hier roch! Tausend Düfte strömten auf sie ein, so rein und klar wie der Wald in Temora nach einem lang ersehnten Regen. Sie nahm es mit allen Sinnen in sich auf und versuchte, sich Mut zu machen.
Wie sie dort so mit geschlossenen Augen saß, spürte sie auf einmal, dass sie etwas im Nacken zu wärmen begann. Musik erhob sich in der Luft, ein leiser Gesang, der ihr merkwürdig bekannt vorkam. Das war die Melodie, die ihr schon seit Ewigkeiten nicht mehr aus dem Kopf ging! Wo kam sie nur her?
Althea wandte sich um. Sie sah, dass hinter ihr etwas hell schimmerte. Vorsichtig kletterte sie um den Stamm herum, bemüht, ja kein Geräusch zu machen. Man wusste ja nie, was hier noch alles im Wald herumstrich! Sie konnte einfach nicht anders, nach ihrer jahrelangen Übung im Bannwald von Temora.
Was sie dort erblickte, ließ sie alle Vorsicht vergessen. Sie sperrte Mund und Augen auf und beugte sich gefährlich weit vor. Der Horizont schwamm im Licht. Sie kniff die Augen zusammen, um etwas erkennen zu können, dabei blendete dieses Licht, anders als das Sonnenlicht, sie keineswegs. Es war ihr Licht, warm und wohltuend, das wusste sie sofort. Das Wissen kam tief aus ihrem Innern, und sie fühlte sich mit aller Macht dorthin gezogen. Eine Weile saß sie einfach nur da und genoss es. Dann begannen sich langsam Konturen aus der hellen Fläche zu schälen. Es war ein großer See, in dessen Mitte aufrecht eine riesige Säule stand, die bis in den Himmel zu reichen schien.
›Die Quelle‹, dachte Althea, instinktiv ihre Gedanken abschirmend. Tief nahm sie dieses Bild in sich auf. Der See war in Bewegung, er umströmte die Säule in der Mitte. Wogen schossen empor und versanken wieder. Sie konnte nur schauen und staunen. Einmal schlugen zwei Wogen aneinander und fuhren empor und explodierten in einem Funkenregen. Er wurde von der senkrecht stehenden Säule angezogen, verschmolz mit ihr, und der Gesang wurde jubelnd laut. Es war wunderschön.
Althea seufzte leise und schrak zusammen, wie weit ihre Stimme in diese Welt hinaus getragen wurde. Am liebsten hätte sie mitgesungen, alles in ihr drängte danach. Es wurde von einem anderen Geräusch verdrängt. Das Summen war wieder lauter geworden. Das Ding hatte ihre Stimme gehört!
Althea zwang sich mit aller Kraft still. Sie musste Ti’Anan finden, er war ihre einzige Möglichkeit, hier wieder herauszukommen. Suchend sah sie sich um, zwang ihre Augen fort von dem Licht. Hatte er nicht etwas von einem Palast gesagt? Da hatte sie ihn auch schon gefunden. Es war ein wahres Labyrinth aus steil aufragenden Felsen. Oder doch ein Gebäude? Sie konnte es auf diese Entfernung nicht sagen. Die vielen Öffnungen, Treppen und Brücken waren derart geschickt in den Fels eingearbeitet, dass sie fast miteinander verschmolzen. Ein wenig erinnerte es sie an Temora. Die Priester hatten diesen Palast kopiert, erkannte sie, wie von so vielem hatten sie ein Abbild geschaffen. Von was wohl noch?
Zeit, es herauszufinden, dachte sie entschlossen und begann wieder zu klettern. Unten angekommen, begann sie zu laufen – und hielt schon wieder inne und staunte. Laufen war die falsche Bezeichnung dafür, wie sie sich fortbewegte. Machte sie einen Schritt, legte sie die Entfernung, von drei, nein vier, nein fünf! Schritten zurück. Wie war das möglich? Vorhin, in ihrer Panik, hatte sie es nicht bemerkt. In dieser Welt herrschten wahrlich andere Gesetze!
Althea hätte beinahe laut gelacht. Sie hatte ihren Fall zu Boden aufgehalten? Konnte sie gar Kraft ihrer Gedanken.. fliegen? Alles schien auf einmal möglich zu sein. Sie bog den Kopf zurück und sah hinauf in den perlmuttartig schimmernden Himmel. Sollte sie..?
Aber da war noch dieses Ding. Es würde sie sehen. Nein, besser sie bewegte sich auf herkömmliche Weise vorwärts, leise und ungesehen. Sie wollte einen weiteren großen Schritt in Richtung des Palastes machen, da stach sie plötzlich irgendetwas in ihr Bein.
Althea quietschte erschrocken. Sie hatten ein Tier in ihren Beinlingen! Hastig band sie ihren Gürtel auf und dachte dabei an Spinnen und Mäuse oder anderes Getier. Doch das, was sie dann mit spitzen Fingern aus ihrer Kleidung herauszog, war mitnichten eine Spinne.
Vorsichtig setzte sie es auf ihrer ausgestreckten Handfläche ab und beäugte es. Auf ihrer Hand wurde gerade ein kleines geflügeltes Wesen wieder munter, das sie, dessen war sie sich sicher, mit ihrem Licht in die Bewusstlosigkeit geschickt hatte. Es sah nicht aus, wie man sich ein Feenwesen gemeinhin vorstellte, es hatte dieselben spitzen Ohren und Krallen wie Ti’Anan. Es erinnerte sie irgendwie an eine Fledermaus mit menschlichen Zügen.
Sachte stieß sie es mit ihrem Finger an. Es war ein Soldat, ein mit einer eingedellten Rüstung bekleideter und mit einem Speer bewaffneter Soldat. Das also hatte sie angegriffen. Was hatte Ti’Anan noch gesagt? ›Eine Wache‹, dachte sie, und bei diesem Laut schrak das Wesen auf. Es sprang fauchend hoch und ging in Abwehrhaltung, den Speer drohend ausgestreckt, dessen Spitze jetzt hell glühte.
›Hab keine Angst, ich tue dir nichts‹, dachte Althea. Ihre Worte wurden von dem lauter werdenden Gesumm der Wolke übertönt.
›Zu Hilfe!‹, rief das Wesen.
›Nein!‹ Althea umschloss es mit der Hand und rannte. Die Wolke schoss hinter ihr her, sie konnte in ihren Gedanken hören, wie der kleine Wächter nach seinen Kameraden rief. ›Halt den Mund!‹, dachte sie und schickte ihn mit einer winzigen Portion ihres Lichtes zurück in die Bewusstlosigkeit. Dann beschleunigte sie ihren Schritt und hetzte durch den Wald, bis sie sich getraute, wieder innezuhalten und zu lauschen.
Die Wachen waren weit entfernt. Sie konnte ihr Gesumm kaum noch hören, wie sie nach ihrem Kameraden riefen. Vorsichtig öffnete sie ihre Hand. Das Wesen lag regungslos, aber es atmete, die kleine Brust hob und senkte sich. Althea empfand Mitleid für den kleinen Mann. Was für ein Schreck musste sie für ihn sein! Sie wollte niemanden quälen, deshalb legte sie ihn behutsam in das weiche Moos und sandte etwas Licht in ihn, um ihn aufzuwecken. Dann sprang sie auf und rannte davon.
Nun, da das Gesumm so weit entfernt war, konnte sie mit einem Mal andere Stimmen hören. Es waren aufgeregte, schmerzverzerrte Stimmen. Althea folgte ihnen, bis sie plötzlich aus dem Wald trat und in einen wunderschönen Garten gelangte, oder vielmehr in das, was noch von ihm übrig war. Bäume und Statuen lagen umgestürzt herum, sie sah einen Brunnen, der aus einem tiefen Riss sein Wasser verlor. Und das Gebäude, von Weitem scheinbar intakt, sah von Nahem mehr als mitgenommen aus. Es hatte schwere Schäden davongetragen, Felsbrocken lagen herum, Decken und Brücken waren eingestürzt, und überall wurden Verletzte herausgetragen..
Althea riss die Augen auf, als sie erkannte, wie.. – was war das? - etwas dort aus dem Gebäude kam. Die Bewohner liefen nicht, sie schwebten! Hastig sah sie sich um, ob jemand in ihrer Nähe war, aber sie war allein. Neugierig schlich sie sich näher heran.
Es waren Flügel. Althea konnte sie sehen, sobald die Wesen zu Boden geschwebt waren und die Verwundeten ablegten. Sie hatten Flügel wie Ti’Anan, aber wie anders sahen sie aus! War ihr Ti’Anan noch halbwegs menschlich erschienen, diese Wesen waren es ganz sicher nicht. Sie waren einfach fremd, aber nicht minder schön. Durchscheinend wie Licht und mit Zügen eines fremdartigen Raubtieres, ein kleiner, verkümmerter Mund, dafür umso größere, mit senkrecht stehenden Pupillen versehene, goldene Augen.
Althea schluckte und sah staunend zu, wie sie ihre Verwundeten versorgten. Es beruhigte sie etwas, dass auch sie verwundbar waren. Wesen, die verletzt werden konnten und versorgt werden mussten, konnten nicht so verschieden von den Menschen sein. Es waren lebendige Wesen, keine Götter.
Althea schlich sich weiter in den Garten, von Gebüsch zu Gebüsch, immer auf der Hut vor Entdeckung. Wo war nur Ti’Anan? Sie musste ihn finden, sie musste einfach! Sonst wäre sie verloren!
Und dann entdeckte sie ihn. Er kam mit einem kleinen Wesen auf dem Arm aus den Trümmern gelaufen. Er lief? Sie stutzte. Warum tat er das? Konnte er denn nicht fliegen? Das wäre doch gewiss sehr viel einfacher. Er übergab das kleine Wesen, es war offensichtlich ein Kind, einem der anderen. So dicht nebeneinander war der Unterschied zwischen ihm und den geflügelten Wesen mehr als augenfällig und gleichzeitig ihre Ähnlichkeit. Ja, war er denn ein Mischling?, dachte sie erstaunt.
Althea ließ alle Vorsicht fahren. ›Ti’Anan!‹, rief sie in ihren Gedanken. Alle Wesen fuhren auf, es klang wie das Rauschen einer heftigen Windböe. »Ti’Anan!«, rief sie noch einmal, leise diesmal und mit ihrer richtigen Stimme. Es schallte laut durch den Garten, obwohl sie so leise gerufen hatte, und ließ einen Windstoß entstehen.
Da schrien alle Wesen auf. Althea verlor das Gleichgewicht und fiel aus dem schützenden Gebüsch, als die lauten Schreie eine Welle von Schmerz in ihrem Kopf verursachten. Furchtsam wichen die Wesen vor ihr zurück, alle, bis auf einer: Ti’Anan machte ungläubig einen Schritt vorwärts, eine Hand, die ihn zurückzerren wollte, abschüttelnd. ›Althea!?‹
Sie hörte es nicht mehr. Auf den Rücken gefallen, sah sie einen dunklen Schatten auf sich herab schießen. »Neeiiiin!« Sie rollte sich zusammen und ballte in Erwartung eines neuen Angriffs die Fäuste.
›Haltet ein!‹ Nur undeutlich wurde Althea bewusst, dass sich plötzlich jemand zwischen ihr und dem dunklen Schatten befand. Ihre Augen tränten und schmerzhafte Stiche explodierten in ihrem Kopf, da die Schreie immer lauter wurden. »Ti’Anan..«, flüsterte sie. Sie spürte zwei Arme, die sie schützend umschlossen.
›Zurück mit euch! Sie gehört zu mir!‹
›Sssie issst ein Eindrrringling, sssiiee hat unsss angegrrriffen‹, summte der Wächterpulk.
›Nur weil ich angegriffen wurde!‹, dachte Althea verzweifelt und spürte, wie sie kurz davor war, in Panik wild um sich zu schlagen. Auf einmal war sie erschöpft, von den vielen Eindrücken und dem ungewohnten, anstrengenden Einsatzes ihres Kopfes. ›Bitte, ich will doch nichts Böses, ich wollte doch nur sehen, ob du verletzt bist, und ich wollte euch warnen‹, flehte sie mit letzter Gedankenkraft. Flimmernde Kreise drehten sich vor den Augen, und sie merkte, wie die Welt plötzlich kippte und sie zusammensackte. Ganz weg war sie nicht, sie spürte, wie sie aufgehoben und getragen wurde. Oder schwebte sie? In ihrem Kopf herrschte plötzlich eine wohltuende Stille, wie Balsam. Sie seufzte und schloss die Augen und gestattete es sich, ganz dem Gefühl nachzugeben.
›Was geht hier vor?!‹
›Ruhig, bitte redet nicht allzu laut, das tut ihr weh.‹
Ti’Anans Stimme holte sie wieder zurück. Sie wagte nicht, sich zu rühren, spürte sie doch die Anwesenheit vieler Wesen um sich, sehr wütender, teilweise auch verängstigter Wesen.
›Sie wird wach‹, sagte Ti’Anans Stimme in ihrem Kopf. Er saß neben ihr, und sie bemerkte, dass er sie immer noch festhielt. ›Althea, mach doch die Augen auf. Hab keine Angst, dir wird nichts geschehen.‹
›Vorerst nicht‹, grollte eine tiefe Stimme.
›Vater, bitte!‹, rief Ti’Anan, zu laut. Althea stöhnte. ›Tut mir leid. Bitte, mach doch die Augen auf.‹
Sie musste all ihren Mut zusammennehmen, um es wirklich zu tun. Zunächst war ihr Blick noch flimmernd und verschwommen, dann schälten sich Konturen heraus. Als sie aufsah, blickte sie in Ti’Anans Gesicht.
Er hatte die Zähne leicht gebleckt. ›Na bitte, geht doch!‹, lachte er.
Dieses Zähneblecken sollte ein Lächeln darstellen, erinnerte sich Althea und war erleichtert. Sie stieß einen Seufzer aus, der sich in ein erschrockenes Aufkeuchen verwandelte, als ihr Blick auf die sie Umgebenden fiel. Was waren das für Wesen? An das Aussehen hatte sie sich beinahe schon gewöhnt, aber diese hier waren wesentlich größer als die im Garten, mächtig und bedrohlich. Sie wurden von weiten Gewändern umflossen, die ständig hin und her wallten, genauso wie die bedrohliche Missbilligung, die sie umgab wie eine unsichtbare Strömung. Es waren ausnahmslos männliche Wesen, sie wusste nicht genau zu sagen, woran man das erkennen konnte, aber es war so.
Althea duckte sich an Ti’Anan, der sie schützend umfasste. ›W..wer seid Ihr?‹
›Du hast hier keine Fragen zu stellen, Mensch, sondern wir‹, grollte es neben ihr.
Althea fuhr herum und erstarrte. Dieses Wesen war das größte und mächtigste von allen. Der König, erkannte sie. Ti’Anans Vater. Sie presste die Augen zusammen, obwohl sie wusste, dass dies kindisch war.
›Antworte mir! Wie bist du hierher gekommen? Was willst du hier? Sprich!‹ Die Worte dröhnten in ihrem Kopf. Althea konnte nicht antworten, ihr entfuhr ein schmerzhaftes Wimmern.
›Vater, bitte..‹
›Lass sie los. Sofort! Wir werden sie..‹
›Nein!‹, rief Ti’Anan, doch sie spürte, wie eine unsichtbare Kraft ihn von ihr löste und zurück riss.
Sie rollte sich schützend zusammen, barg den Kopf in den Armen. ›Bitte, ich will Euch doch nichts Böses, ich will Euch warnen!‹, rief sie.
›Warum? Und wovor?‹
Es loderte Schmerz in ihrem Kopf auf. Jemand versuchte, mit aller Gewalt in ihre Gedanken einzudringen. Althea errichtete instinktiv einen Schutzwall und blockte es ab, und augenblicklich wurde der Druck so stark, dass sie schrie, richtig schrie. Es hallte so laut durch den Raum, dass die Luft erzitterte und der Druck in ihrem Kopf abrupt verschwand.
Althea fiel keuchend ein ganzes Stück nach unten in weiche Kissen. Sie hatte geschwebt, erkannte sie und riss die Augen auf. Alle Wesen hatten sich geduckt und richteten sich gerade wieder auf. Drohend kam der König auf sie zu. Sie sprang von diesem kissenbestückten Podest herunter und flüchtete sich zu Ti’Anan in die äußerste Ecke des Raumes. Ein Fehler, wie sie sogleich merkte. Hier gab es weder Fenster noch andere Öffnungen. Sie saß in der Falle. Zitternd ergriff sie Ti’Anans Hand, als die Wesen sie langsam einkreisten. Er richtete sich auf und bleckte die Zähne, fauchend und bereit, sie jederzeit zu verteidigen.
›Wovor willst du uns warnen, Mensch? Oder wie nennt man dich?‹, grollte der König.
›Sie ist ein Mädchen!‹, fauchte Ti’Anan und ärgerte sich augenblicklich, denn sofort nahm ihn sein Vater ins Visier. ›Woher weißt du das? Und woher kennst du sie? Nicht wahr, MÄDCHEN, du wirst gewichtige Gründe anführen müssen, um uns zu erklären, warum ihr beide die heiligen Gebote gebrochen habt.‹
›Welche Gebote?‹, fragte Althea. ›Ich..‹
›Aber das musst du doch wissen‹, flüsterte Ti’Anan.
›Antworte, Mädchen!‹, donnerte der König, so laut, dass Althea in die Knie ging.
Mit letzter Kraft protestierte sie: ›Ich.. ich weiß nichts von irgendwelchen Geboten. Niemand weiß etwas von dieser Welt und.. und ich wollte doch nur.. ER hat euch angegriffen, ER hat versucht, eines der Tore aufzubrechen. Es war schrecklich!‹
›Wer ist ER?‹, fragte Ti’Anan verwundert.
Sie sah ihn an, nur ihn, zu bedrohlich war der Anblick der anderen. ›Phileas. Er..‹
Ein Aufschrei ging durch die Luft. Sämtliche Wächter kamen durch die Fenster hereingeschossen. Althea schrie auf und duckte sich, als der König nach ihr greifen wollte. ›Niemand erwähnt diesen Namen in meinem Reich!‹
›Nein, lasst sie in Ruhe!‹, rief Ti’Anan und warf sich schützend über sie, doch zu spät. Die Wächter drangen auf sie ein, heiße Spitzen bohrten sich in ihre Haut.
Althea wusste sich nicht mehr zu helfen. Sie holte ihr Licht, alles, was sie aufbieten konnte. Es gab so etwas wie einen lauten Schlag, und plötzlich war sie frei. Keuchend duckte sie sich, das Gewicht Ti’Anans auf sich, in Erwartung des nächsten Angriffes. Doch nichts geschah. Es war still um sie herum. Althea wagte es, die Augen aufzumachen, und fuhr zusammen. Alle um sie herum lagen regungslos am Boden, Ti’Anan, die Wesen und die Wächter in einem großen, leblosen Haufen. Sie sah auf ihre Hände herab, die immer noch leuchteten, und erschrak über die furchtbare Macht, die ihr Licht haben konnte. Waren sie tot? Doch da spürte sie, dass Ti’Anan atmete. Weiter hinten begannen sich die Wesen, die am weitesten von ihr weg gestanden hatten, wieder zu rühren.
Auch der König hob langsam den Kopf. ›Mein Sohn!‹, rief er gar nicht mehr bedrohlich, sondern angsterfüllt.
Althea konnte sich nicht bewegen. Ti’Anans Gewicht hielt sie am Boden fest, und sie rührte sich nicht aus Angst, die überall um sie herum liegenden Wächter zu verletzen. ›Ihm ist nichts geschehen‹, sagte sie. ›Er schläft nur. Ich wecke ihn auf.‹ Nur wenig Licht musste sie in ihn senden. Er wollte auffahren, aber sie hielt ihn fest. ›Nicht bewegen, sonst zerquetschst du die Wächter. Ich will nicht, dass jemand zu Schaden kommt.‹ Furchtsam erstarrte er in ihren Armen.
›Gib meinen Sohn frei‹, drohte der König, ›oder ich werde dich..‹
›Hört auf damit, sofort!‹ Plötzlich war da eine höhere, sanftere Stimme. Althea sah ein wunderschönes Wesen durch die Tür schweben. Es sah sich um, streifte die gerade Erwachten, die bewusstlosen Wächter und dann Ti’Anan, der immer noch auf ihr lag. Die Wesen verneigten sich alle vor ihr.
›Die Königin‹, erkannte Althea. Sie schloss vor Erleichterung die Augen, instinktiv ahnend, dass jetzt ihre Rettung nahte.
›Seht Ihr denn nicht, dass sie noch jung ist? Ihr ängstigt sie zu Tode, und das ist die Folge davon.‹ Althea hörte gleichermaßen Tadel an die Wesen als auch Mitleid für sie in ihrer Stimme. Wie viel mehr konnten diese gedachten Worte ausdrücken! Sie schlug die Augen auf und fand das wunderschöne Gesicht der Königin dicht vor sich. Sie lächelte ihr ermutigend zu, nicht mit dem Gesicht, sondern mit den Augen. Dennoch wusste Althea, dass es ein Lächeln war, und erwiderte es. Sie war einfach wunderschön. Ein Lichtwesen.
›Hab keine Angst. Wir sind alle etwas außer uns darüber, dass du nach diesem Angriff hier erschienen bist. Viele wurden verletzt..‹
›Das.. das habe ich gesehen, und es tut mir leid. Ich wollte nur wissen, ob es Ti’Anan gut geht und..‹ Althea schluckte. ›Oh bitte, könnt Ihr nicht die Wächter fortnehmen? Sonst zerquetsche ich noch einen von ihnen. Ich will niemandem schaden.‹
Die Königin lächelte. ›Das werde ich, wecke sie nur auf. Das kannst du doch, oder?‹
Althea sah die männlichen Wesen mit einem Rauschen zusammenfahren. ›Was meint Ihr damit, meine Gemahlin?‹, fragte der König.
Sie richtete sich auf und wandte sich zu ihnen um. ›Sie ist eine Auserwählte, seid Ihr das nicht gewahr geworden? Sonst wäre sie niemals in unsere Welt gelangt.‹
Althea schluckte. Was würden sie nun..? Da geschah etwas Unglaubliches. Alle Wesen versanken vor ihr in einer tiefen Verbeugung, auch die Königin. Ti’Anan, der sich immer noch nicht rühren konnte, starrte sie fassungslos an. Seine Angst war fort. ›Du.. eine Auserwählte? Aber.. wie ist das nur möglich!? Du bist doch viel zu jung!‹
›Ich weiß es nicht‹, gestand Althea offen und warf einen unbehaglichen Blick auf die Wesen, die immer noch in dieser Haltung verharrten. Sie warteten auf etwas, das war offensichtlich, aber auf was?
Ti’Anan spürte, dass sie unsicher war. ›Du musst ihre Ehrerweisung erwidern und sie segnen‹, wisperte er.
›Segnen? Aber wie? Wie macht man das? Und warum?‹
›Du weißt es nicht?‹, flüsterte Ti’Anan. Die Königin hob langsam den Kopf. Ti’Anan verstand es nicht. ›Aber, das musst du doch wissen!‹
›Was? Was muss ich wissen?‹, rief Althea in zunehmender Verzweiflung. Auf einmal wurde es ihr viel zu eng, der fremde Junge auf ihr liegend und die Wesen, die sie alle verstohlen und mit Unglauben ansahen.
Die Königin kam langsam auf sie zu. ›Armes Mädchen, bist du eine Waise? Hattest du niemanden, der dich lehren konnte?‹
›Nein.. ich meine ja.. oh, bitte, so nehmt doch die Wächter fort!‹
Da erhob sich auch der König. ›Wirst du unsere Fragen beantworten?‹
In Althea zog sich alles zusammen. Die Königin griff hier nicht ein, also hatte er das letzte Wort, das erkannte sie nun. Er würde sie befreien gegen die Preisgabe von Dingen, um die sie kaum wusste. In ihr regte sich Widerstand. ›Wenn Ihr mir auch meine beantwortet‹, erwiderte sie, nicht gewillt, sich einfach so überrumpeln zu lassen.
Sie konnte spüren, dass es dem König und den anderen Wesen missfiel. ›Wie du willst. Wecke die Wächter auf. Ich werde sie hinausschicken.‹ Und das tat er. Es brauchte zwar mehr als einen Befehl, dass die verwirrten, zornigen Wächter folgten, aber irgendwann lag sie allein mit dem Feenjungen. Endlich konnten sie sich rühren. Er sprang sofort auf und brachte sich mit gebleckten Zähnen in sichere Entfernung zu ihr.
Es tat Althea weh. Ihr einziger Verbündeter hatte sich von ihr abgewandt. Sie erhob sich langsam. ›Es tut mir leid. Ich wusste mir nicht mehr zu helfen‹, sagte sie an ihn gerichtet. Sie sah unauffällig zu den Öffnungen in der Wand hinüber, fieberhaft nach einer Möglichkeit zur Flucht suchend.
Die Königin hielt ihren Gemahl mit einem Schwenk ihrer lichten Hand zurück. ›Hab keine Angst‹, sagte sie. ›Wie kommt es, dass du überlebt hast? Haben sie dich versteckt, bevor sie getötet wurden? Oder wurdest du als kleines Mädchen fortgebracht?‹
›Ich.. ich verstehe nicht.‹ Althea wandte sich zu ihr um, die Hände fest an die Wand gepresst. Rasch nahm sie diese herunter, als sie erkannte, wie verängstigt das aussehen musste. ›Wer soll mich versteckt haben? Und warum glaubt Ihr, ich sei Waise?‹
›Die Druidai, die bei dem Angriff getötet wurden, natürlich!‹, rief Ti’Anan, erbost über ihre Begriffsstutzigkeit aus. ›Das musst du doch wissen!‹
›Die Drui.. aber, die sind doch schon lange tot, viele Hundert Jahre. Es gibt keine Druidai mehr.‹
›Jahre? Was ist das?‹, verlangte der König zu wissen. ›Dieses Zeitmaß kennen wir nicht.‹
Althea begann zu zittern. ›Ihr kennt keine Jahre?‹ Was war das für eine merkwürdige Welt? Sie begriff das alles nicht mehr. Die vielen Rätsel, die Ablehnung, die ihr entgegen schlug, und nicht zuletzt ihre Furcht wurden ihr zu viel. Sie schlug die Hände vors Gesicht und krümmte sich erneut schützend zusammen. ›Ich verstehe Euch einfach nicht. Ich weiß einfach nichts..‹ Sie schluchzte auf. ›Mein ganzes Leben lang hält man mir ständig vor, was ich alles angeblich wissen muss. Überall wird von mir irgendetwas erwartet, und ich weiß es doch nicht! Niemand kann mir sagen, wer ich bin. Keiner kennt Antworten auf meine Fragen.‹
Althea begann zu weinen, und es war ihr egal, ob das zu hören war. Seit ihrer Flucht hatte sie nicht mehr so geweint, und es kümmerte sie nicht, dass diese Wesen um sie herumstanden und nicht wussten, was sie davon halten sollten. Sie ergab sich ganz ihrem inneren Schmerz, sank zu Boden und rollte sich zusammen.
Die Königin hatte wohl erkannt, dass sie so nicht weiter kamen. ›Geht‹, hörte Althea sie sagen. ›Nein, Ti’Anan, du bleibst hier bei mir, auch wenn dir das nicht gefällt. Du hast sie hierher geholt, also wirst du dich um sie kümmern.‹
Althea spürte, wie sie sanft angehoben wurde und kurz darauf wieder in die weichen Kissen sank. Schluchzend vergrub sie ihren Kopf darin.
Ihr Ausbruch hielt nicht lange an. Irgendwann wurde sie ruhiger, nur das schmerzhafte Hämmern in ihrem Kopf ließ nicht nach. Sie war nur allzu versucht, ihrer Erschöpfung nachzugeben und zu schlafen, aber da waren noch die Fremden um sie herum. Sie durfte sich nicht gehen lassen. Langsam schlug sie die Augen auf und fand das schöne, fremde Gesicht der Königin dicht vor ihrem eigenen. Tiefes Mitleid stand darin.
›Oh, armes Mädchen! Haben sie dich verletzt? Deine Augen bluten.‹
›Meine..?‹ Althea wischte sich verwundert mit dem Handrücken über die Augen und fand darauf nur die feuchten Spuren ihrer Tränen vor. ›Das.. ach, es ist nichts. Nur Tränen. Das kommt bei uns Menschen von Zeit zu Zeit vor, wenn wir traurig sind oder Schmerzen haben. Es ist normal.‹ Sie sah mit brennenden Augen zu der Königin auf. ›Hier ist wirklich alles anders als in meiner Welt.‹ Plötzlich begriff sie ein paar Dinge. Wenn sie diese Welt verstehen wollte, dann musste sie all das, was sie bisher angenommen hatte, fahren lassen. Sonst würde ihr es nicht gelingen. Aber wie sollte sie das machen? Alles in ihr drehte sich, sie konnte noch nicht klar denken. Daher legte sie sich zurück und warf Ti’Anan einen verzeihenden Blick zu, bevor sie die Augen schloss. ›Es tut mir leid, da habe ich dich wirklich in etwas hineingeritten. Hoffentlich bekommst du nicht allzu großen Ärger mit deinem Vater.‹
Die Königin lachte auf, es klang glockenhell, aber Ti’Anan fauchte: ›Und ob! Wie konntest du nur so dämlich sein? Habe ich dich nicht gewarnt?‹ Althea fuhr auf und stöhnte.
›Ti’Anan, es ist genug‹, mahnte die Königin, ›schließlich hat sie es aus Sorge um dich getan. Mädchen, ich sehe, dass dich dies alles sehr schwächt. Sicherlich musst du dich erst einmal an diese Welt gewöhnen. Ruhe dich ein wenig aus, und dann werden wir gemeinsam versuchen, dein Rätsel zu ergründen. Du hast mein Wort, dass niemand diesen Raum betritt. Ti’Anan wird bei dir bleiben und bei dir wachen, und wenn du dich ausgeruht genug fühlst, dann komme einfach zu uns hinaus.‹
Althea seufzte erleichtert auf. Eine wohltuende Stille legte sich über sie, und sie wehrte sich nicht, als diese sie in einen tiefen Schlaf sandte.
Eine Berührung ließ sie langsam wieder zu sich kommen. Althea schirmte ihren erwachenden Geist sofort ab, um nicht zu zeigen, dass sie wach war. Jemand strich ihr über die Haare, nahm ganze Bündel davon zusammen, zog an den widerspenstigen Locken. Die Haut ihrer Arme wurde befühlt, die Beschaffenheit ihrer Hände, Knöchel und Finger. Als der Unbekannte jedoch einen Schuh von ihrem Fuß streifte und dort fortfahren wollte, warf sie sich mit einem Ruck herum und setzte sich auf. Ungläubig sah sie auf Ti’Anan, dessen Hand mitten in der Bewegung verharrte. ›Was machst du da?!‹
›Ich.. äh.. nichts!‹ Er sprang zurück, in sichere Entfernung zu ihr.
Althea hätte schwören können, dass er, wäre er ein Mensch gewesen, rote Ohren bekommen hätte. Seine schwollen etwas an und bogen sich eine Winzigkeit nach außen, behielten aber die bleiche Farbe. Althea legte den Kopf schräg, mehr belustigt als empört. ›Warum untersuchst du mich?‹ Er wäre am liebsten davongelaufen, das spürte sie wohl. ›Ach komm schon, hör endlich auf, vor mir Angst zu haben. Nichts hat sich verändert!‹
Seine Haare sträubten sich. ›Doch! Du bist eine Auserwählte!‹
›Nicht schon wieder!‹ Sie rollte ungeduldig mit den Augen zur Decke. Um etwas zu tun zu haben und ihm Zeit zu geben, sich zu beruhigen, schnappte sie sich ihren Schuh und zog ihn wieder an. Dann sah sie zu ihm hinüber, ein klein wenig belustigt, aber auch bedrückt. Sie musste wieder sein Vertrauen gewinnen, sonst wäre sie dieser Welt hilflos ausgeliefert.
›Willst du dich nicht setzen? Ich beiße nicht‹, sagte sie und klopfte neben sich auf die weichen Kissen. Sie sah, wie er mit sich kämpfte und schließlich sein Stolz die Oberhand gewann. Zögerlich, die goldenen Augen wachsam auf sie gerichtet, setzte er sich an das äußerste Ende des Podestes.
Althea lächelte. ›Siehst du, es geht doch‹, wiederholte sie seine eigenen Worte. ›Du wirst mir ziemlich viel erklären müssen, zum Beispiel, was genau eine Auserwählte ist. Ich habe nämlich keine Ahnung‹, begann sie vorsichtig. Vielleicht half es ihm, wieder Zutrauen zu fassen, wenn sie ihre eigene Unwissenheit herauskehrte.
Er hatte erstaunt sein Gesicht verzogen. ›Du weißt es wirklich nicht? Wie ist das möglich? Und wie hast du dann..‹ Er verstummte, peinlich berührt.
Sie ahnte, worauf er hinauswollte. ›Mein Licht wurde geweckt, als ich dich das erste Mal sah. Mit der ersten Berührung mit eurer Welt, da bin ich mir ziemlich sicher. Niemand konnte mich lehren, ich musste alles selbst herausfinden. Welche Dinge ich damit tun und welchen Schaden ich anrichten kann. Vieles kommt ganz tief aus mir hervor, ohne dass ich weiß, woher ich das kann. Es ist.. als bestimmte etwas anderes mein Handeln.‹
Bei diesen Worten sträubten sich seine Haare noch mehr, und er bleckte die Zähne. Althea tat es weh zu sehen, wie er sich immer mehr vor ihr zurückzog. Er wirkte geradezu abgestoßen. Sie schluckte bitter. ›Hör mal, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht angreifen. Meine Kraft wirkt in dieser Welt ganz anders als in meiner.‹
›Es war ein Mordsschlag! Mir dröhnt jetzt noch mein Kopf!‹, rief er erbost. Althea biss sich auf die Lippen, senkte den Kopf und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Sie hatte ihn verletzt und befremdet, und das schmerzte sie. ›Althea, was hast du?‹ Es klang erschrocken.
Sie schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. ›So wie du mich jetzt ansiehst, so haben mich alle Menschen mein ganzes Leben lang angesehen, selbst meine eigene Familie, als sie das mit meinen Kräften herausfanden. Sie haben alle Angst vor mir, aber ich weiß es doch nicht besser!‹ Sie hielt inne, denn sie spürte eine leichte Berührung an ihrer Hand. Als sie die Augen aufschlug, fand sie den Feenjungen dicht neben sich. Er wirkte ehrlich beschämt.
›Es tut mir leid, wirklich. Ich habe nicht daran gedacht, was dies alles für dich bedeuten muss. Ich kann dich verstehen, denn mir geht es genauso. Ich bin das letzte Kind des Königs mit einer Auserwählten.‹
›Mit einer Auserwählten? Aber wie ist das möglich?‹
›Na, wie schon, sie vereinigen sich, und dann bringt sie nach einiger Zeit ein Kind zur Welt, wie sonst?‹ Er konnte nicht glauben, dass sie so ahnungslos war. ›Tun das die Menschen nicht? Sich vereinigen?‹
Althea schnaubte, sie ahnte sehr wohl die Gedanken, die er sie nicht hören ließ. ›Natürlich tun sie es, das war es nicht, was ich meinte. Ich habe dir doch erzählt, dass die Druidai schon sehr lange tot sind. Wenn deine Mutter eine Auserwählte ist, dann..‹, sie schluckte, ›dann musst du uralt sein!‹
›Uralt?‹ Er schüttelte den Kopf. ›Du musst dich irren. Ich bin wirklich der jüngste Nachfahre des Königs mit einer Auserwählten. Bei Weitem der Jüngste. An meine älteren Halbgeschwister kann ich mich kaum