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Trägerin des Lichts - Verzeihen
Trägerin des Lichts - Verzeihen
Trägerin des Lichts - Verzeihen
eBook1.364 Seiten20 Stunden

Trägerin des Lichts - Verzeihen

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Über dieses E-Book

Unaufhaltsam zieht sich die Schlinge des Feindes um die Menschen zu. Alle Zeichen stehen auf Sturm.
Angesichts der drohenden Gefahr aus dem Norden beschließen die Völker des Westens, eine Versammlung abzuhalten, und rufen zu diesem Zweck alles zusammen, was Rang und Namen hat.
Altheas sehnlichster Wunsch geht nun in Erfüllung. Endlich kann sie ihren lang entbehrten Phelan wiedersehen und erhält Unterstützung im Kampf gegen die Diener des Bösen.
Doch beinahe unüberwindliche Hindernisse stellen sich ihnen entgegen. Noch immer gilt Phelan im Volk der ethenischen Sklaven als Mörder ihrer toten Priesterin, noch immer lastet auf ihm und Heerführer Bajan der Bann der Temorer. Nur wenn dieser aufgehoben wird und sie in der Lage sind, für ihr geknechtetes Volk den seit uralten Zeiten bestehenden Pakt einzugehen, ist die Versammlung nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Aber Althea weiß, die Mächtigen der Völker unterschätzen den Feind immer noch gewaltig, trauen ihren Träumen nicht, halten sie für einen verrückten Bastard. Nur wenn sie die immer noch im Volk lauernden Diener des Bösen findet, kann sie verhindern, dass ihre Pläne an den Feind verraten werden.
So ist sie einmal mehr gezwungen, eigene Wege zu gehen. Auch wenn sie dafür ihre sichere Deckung verlassen, sich selbst in größere Gefahr als je zuvor bringen und alles aufgeben muss, was ihr lieb und teuer ist.

Der fünfte und finale Band der Saga um die Königskinder von Morann
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum18. März 2013
ISBN9783844250480
Trägerin des Lichts - Verzeihen
Autor

Lydie Man

Autorin seit 2005 In meinem ersten Leben habe ich Betriebswirtschaft studiert und viele Jahre als Analystin und Referentin in einem Hamburger Industrieunternehmen gearbeitet. Dann entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Schreiben. Die Saga um die Königskinder von Morann und ein begonnenes neues Projekt sind die Folge und das Vergnügen daraus. Mögen es viele Leser teilen :)

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    Buchvorschau

    Trägerin des Lichts - Verzeihen - Lydie Man

    Kapitelübersicht

    Kapitel 1: Die Insel – Sechstes Frühjahr nach der Flucht

    Kapitel 2: Nitrea – Sechstes Frühjahr nach der Flucht

    Kapitel 3: Das Einheitsfest – Sechster Sommer nach der Flucht

    Kapitel 4: Der Angriff – Sechster Sommer nach der Flucht

    Kapitel 5: Branndar – Sechster Sommer nach der Flucht

    Kapitel 6: Temora – Sechster Sommer nach der Flucht

    Kapitel 7: Die Steppe – Sechster Sommer nach der Flucht

    Kapitel 8: Der Fall – Sechster Sommer nach der Flucht

    Kapitel 9: Gilda – Nach dem Fall

    Kapitel 10: Befreiung

    Kapitel 11: Abschied

    Kapitel 12: Heimkehr

    Epilog

    --------------------

    Personen der Handlung

    Im Verborgenen:

    Currann, Thronfolger des Reiches

    Phelan, sein jüngerer Bruder

    Althea, ihre Cousine

    Noemi, ihre treue taubstumme Freundin

    Bajan, ehemaliger Heerführer

    Sinan, der jüngere Bruder von Ratsherr Nestan

    Tamas, Sohn von Tanaar, des Fürsten von Nador

    Yemon, Sohn von Yenkal, des Fürsten von Mukanir

    Ouray, Sohn von Orban, eines Siedlungsvorstehers

    Kiral, ein Cerinn aus dem fernen Osten

    Der Hofstaat

    Aietan, König von Morann

    Alia, seine mittlerweile verhasste Königin

    Lelia, einzig verbliebenes Königskind bei Hofe

    Nusair, oberster Mönch und religiöser Führer des Landes

    Stiig, sein Schriftführer

    Brida, Haushofmeisterin

    Nestan, Ratsherr und rechte Hand Nusairs, Lelias Gemahl

    Nelana (Nel), seine Schwester

    Daria, Zofe und Nusairs Nichte

    Vara, Zofe

    Ciaban, Heerführer

    Weitere Personen in Gilda und Morann:

    Meda, inoffizielle ehrwürdige Mutter der Heilerinnen

    Leanna, Lelias verschwundene Zwillingsschwester

    Netis, eine Heilerin

    Lina, eine Magd

    Bayram und Tabea, Bajans Halbbruder und seine Frau

    Ioanna, Medas kleine Tochter

    Thorald, Altheas Vater in Gefangenschaft

    Leviad, ein alter Freund Bajans

    Nadim, ein Kundschafter Bajans

    Orban, Siedlungsvorsteher und Vater von Curranns Kamerad Ouray

    Tanaar, Fürst von Nador und Vater von Curranns Kamerad Tamas

    Tavar, Tamas’ jüngerer Bruder

    Tajaeh, ihr berüchtigter Onkel

    Dagan, der Steuereintreiber von Fürst Tanaar

    Eachan, Rittmeister von Fürst Tanaar

    Rhiba, eine Rebellin in den Sümpfen

    In Branndar:

    Sirial (Siri), Curranns Frau

    Nathan (Nat), ihr ältester Sohn

    Farlan, ihr zweiter Sohn und Curranns Erstgeborener

    Iovan, ihr dritter Sohn und Curranns Zweitgeborener

    Strahan, ihr Vater, der Schulmeister

    Peadar, der Mönch der Siedlung

    Karya, Siris Tante, die Heilerin

    Goran, ihr Sohn, Siris Cousin

    Nuria, Siris Freundin

    Belan, ihr Sohn

    Evi, ihre Tochter

    Yorran, der Schmied

    Yassin und Ramon, zwei Jungen

    Kjell und Rike, zwei von den Goi entführte Kinder aus Saran

    In Temora:

    Anwyll, Hohepriester von Temora

    Aislinn, Altheas Großmutter und Priesterin im Rat Temoras

    Mihal, Ratsmitglied und Anwylls Nachfolger

    Halldor und Bendiks, zwei weitere Ratsmitglieder

    Chaya, Ausgestoßene und Heilerin

    Maret, Novizin

    Emlyn, Novizin

    Galvin und Gayle, Zwillinge und ebenfalls Novizen

    Ragai, der gefangene Priesterkrieger

    Mahin, Anführer einer Siedlung und Marets Bruder

    Verna, seine Frau

    Livie, ihre Tochter

    Bryn, der saranische Schmied

    Rana, seine Frau

    Phelana, ihre kleine Tochter

    Jorid, Jeldriks Schwester

    Naja, Vernas Schwester, Novizin

    Amin, Händler Temoras

    Jesko, Clansführer und Amins Bruder

    Taro, sein ältester Sohn

    Taisto, sein jüngerer Sohn

    In Saran

    Regnar, Altheas Großvater und Seeräuber

    Roar, Clansführer von Saran

    Sylja, Herrin über Roars Haus

    Sedat, Gesetzeshüter von Saran

    Corin und Eryk, die Väter der entführten Kinder Kjell und Rike

    Oren, ein Kamerad Jeldriks

    Haldar, ein Kamerad Jeldriks

    Widar, ermordeter Clansführer

    Harcon, sein Bruder und Nachfolger

    Gudrid, seine Tochter, Jeldriks mögliche Braut

    Auf See

    Jeldrik, Phelans bester Freund und Sohn von Clansführer Roar

    Seeko, Widars Sohn und Phelans Feind

    Bado, sein Kumpan, ein aus Saran Gebannter

    Tzusa, eine Priesterin

    Ohin, Vater von Jeldriks Kamerad Oren

    In Mukanir

    Naluri, die ehemalige Königin

    Meno, ehemaliger Archivar Gildas und jetzt Schulmeister

    Yola, Vertraute Naluris und seine Frau

    Yenkal, Fürst von Mukanir und Vater von Curranns Kamerad Yemon

    --------------------

    Karte von Morann

    --------------------

    Was im letzten Teil geschah

    Die Ungeduld der beiden ältesten Mädchen war zu groß. Schon am Nachmittag, als sie ihrer Großmutter bei der Hausarbeit halfen, kam das Gespräch unweigerlich auf die Geschichte zurück. Die alte Frau war nicht überrascht, sie lachte sogar. »Ich hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Nun gut, gehen wir in den Garten. Dort sind wir weitestgehend ungestört.«

    Willig fassten beide Mädchen mit an und warteten darauf, dass ihre Großmutter weiter erzählte. »Althea ist also die ganze Zeit verschwunden«, begann sie.

    »Ja, es ist etwas geschehen beim Übergang in die Feenwelt, nicht wahr?«, fragten die beiden.

    »Oh ja. Erinnert euch, Phileas hat ein Tor hoch im Norden angegriffen. Die Feen sind in Aufruhr, und dann taucht auch noch wie aus dem Nichts ein fremdes Mädchen auf der Suche nach dem Feenjungen auf. Althea muss nun erfahren, was die Macht ihrer Wächter bedeutet. Es sind Hunderte kleiner geflügelter Wesen, die sie durchs Tor zerren und gefangen nehmen. Nur mit Mühe gelingt es ihr, die Feen davon zu überzeugen, dass sie nicht hinter dem Angriff auf deren Welt steckt.

    Althea steht unter Schock. Warum erwarten alle von ihr bestimmte Rituale, die sie nicht kennt, und wie kann es sein, dass die Feen Phileas damals selbst bekämpft haben und sich gut an den Kampf erinnern? Auch die Feen stehen vor einem Rätsel, warum sie so unwissend ist. Gemeinsam ergründen sie, was damals vorgefallen ist.«

    »Die Geschichte der Druidai?«, fragte das eine Mädchen.

    »Genau die, und den Glaubensursprung der Temorer«, nickte die Großmutter. »Einst waren die Tore in die Welt der Feen nicht von einem Todesring umgeben, sondern von einem guten Ring. Nur die Druidai konnten es öffnen, denn nur sie geboten über das Licht. Einige Druidai waren dazu ausersehen, eine Auserwählte zu werden. Sie gingen ein in die Welt der Feen und vollzogen mit ihnen das Ritual der Vereinigung. Na, kommt euch das bekannt vor?«

    »Ja! Von Phelans Priesterin Yeni. Die Ethenier leben es noch heute.«

    Die Großmutter hielt einen Moment mit ihren Verrichtungen inne und schaute beide ernst an. »Nur, dass es für eine Druidai der sichere Tod ist. Sie kommt bei der Geburt eines Feenmischlings ums Leben. Altheas Freund Ti’Anan ist so ein Mischling, ein halb Mensch, halb Fee, und der letzte seiner Art.«

    »Weil keine Auserwählten mehr durchs Tor kommen?«

    »Genau das. Die Feen zeigen ihr das Meer der Seelen, jenen Ort, an den alle Seelen nach dem Tode zurückkehren und der mit Hilfe der Mischlinge am Leben erhalten wird. Sie sichern, so erzählen sie ihr, den Übergang der Seelen in ihr nächstes Dasein. Der Glaube der Temorer nach der lebenslangen Suche der Seelenhälfte, hier hat er seinen Ursprung. Finden zwei Seelenhälften zusammen, gehen sie ein in die Quelle allen Lichts.

    Zu ihren Erstaunen bemerkt Althea inmitten der in dem Meer wirbelnden Gestalten eine einsame Frau. Es ist Asklepia, die dort immer noch auf ihre Seelenhälfte Phileas wartet. Als Althea neugierig näher tritt, greift Asklepia sie an, versucht sie zu sich ins Meer zu ziehen und sich ihr Wissen anzueignen, und als das nicht gelingt, zwingt sie Althea all ihre Erinnerungen auf. Im letzten Moment wird Althea von den Wächtern gerettet. Sie trägt jetzt nicht nur das Licht, sondern auch einen riesigen Berg an Bildern und Gefühlen in sich, das Wesen einer Druidai, ein Erbe, das ihr noch große Schwierigkeiten bereiten wird.

    Die Feen berichten ihr, dass es schon immer Versuche von Nicht-Druidai gegeben hat, den Ring zu überwinden und in ihr Reich einzudringen und Herrschaft über die Quelle zu erlangen, nur war keiner je so weit gegangen wie Phileas. Sie geben offen zu, nach dem Kampf einen entscheidenden Fehler begangen zu haben: Anstatt Phileas gleich für alle Zeit zu vernichten, belegten sie ihn nur mit einem Fluch und mussten sich geschwächt aus der Menschenwelt zurückziehen, weil sie dort nicht lange überleben konnten. Dabei ließen sie all ihre Opfer und eine große Anzahl toter Wächter zurück. Als sie das Tor mit der Hilfe der einzigen überlebenden Druidai, Ti’Anans Mutter, wieder öffneten, waren ihre Toten verschwunden, und eine Mauer umgab das Tor. Ti’Anans Mutter ging sie suchen. Von ihr erfuhren sie, was vorgefallen war:

    Irgendwann in dem Chaos hatten die Diener der Druidai entdeckt, dass die toten Feen ein eigener Ring umgab, selbst die Wächter ein winzig kleiner, und dass sie mit ihrer Hilfe den Ring betreten konnten. Daraufhin kam es unter den Überlebenden zum Streit. Die Frauen wollten die Toten vor dem Tor belassen, den Feen zurückgeben, die Männer jedoch erkannten, welche Macht ihnen damit gegeben wurde. Veltan, dem Anführer der Eroberer, war diese Macht zu gefährlich, und deshalb verbannte er die Diener samt ihrer gefährlichen Fracht aus dem eroberten Land und verbarg das Tor. Nur den rechtschaffenen Frauen erlaubte er zu bleiben, sie gründeten den Orden der hl. Asklepia. Die Diener zogen fort gen Westen, aus ihnen wurden die Völker Temoras und Sarans.

    Althea begreift nun das ganze Ausmaß von Phileas’ Streben. ER will die Herrschaft über alle Seelen erlangen, über Leben und Tod, und in ihr reift ein ungeheuerlicher Verdacht: Haben die Temorer die Toten immer noch bei sich und schaffen so den Ring um Temora? Gelangen sie mit Hilfe der toten Wächter durch den Ring? Nennen die Ethenier deshalb die Temorer das Verrätervolk?

    Sie muss zurück, IHN aufhalten und vergangenes Unrecht wieder gutmachen. Aber Ti’Anan macht ihr klar, dass die Feen sie niemals gehen lassen werden, denn sie ist die Einzige, die Phileas durchs Tor bringen kann, eine Gefahr für ihr Reich, und zudem die einzige Druidai seit langer Zeit, die wieder ein Mischlingswesen gebären kann. Und noch ein Umstand drängt sie: Ti’Anan und sie selbst sind etwa gleich alt, nur wurde er kurz nach Phileas’ Bann geboren. Sie ahnen, was dies zu bedeuten hat: Läuft die Zeit in der Feenwelt sehr viel langsamer? Vergeht mit jedem Augenblick, den Althea dort verbringt, in der Menschenwelt eine Stunde, ein Tag, ein Monat?

    Althea gerät in Panik, dass sie nie wieder zu den Ihren zurückfindet. Ihr bleibt keine Wahl, sie muss auch die Feen hintergehen. Durch eine List ihres Freundes Ti’Anan entkommt sie knapp den kleinen Wächtern, und es gelingt ihr die Flucht zurück in die Menschenwelt.«

    Atemlos hatten die beiden Mädchen zugehört. Alle Arbeit war vergessen. »Und? Ist dort viel Zeit vergangen?«

    »Oh ja, sie behält recht. Die Zeit wird beim Durchschreiten des Tores förmlich zerrissen, das Tor stürzt ein, und sie wandelt sich auf einen Schlag vom jungen Mädchen zur jungen Frau. Nur dank ihres Lichts übersteht sie diese Tortur.

    Ihre plötzliche Rückkehr gibt der alten Heilerin Chaya Rätsel auf, bis sie den kleinen Wächter entdeckt, der sich in Altheas Kleidern verfangen hat. Da ahnt sie, weshalb Noemi all die Zeit, selbst als Altheas Großvater ihr Schläge androhte, Stillschweigen über Altheas Verschwinden bewahrt hat und ihre Ängste nur den Briefen an Phelan anvertraut hat.

    Fremd sind sich die beiden Mädchen geworden, es schmerzt Althea sehr, besonders als sie bemerkt, wie tief Phelans und Noemis Freundschaft über ihren jahrelangen Briefwechsel geworden ist. Sie fühlt sich ausgestoßen. Doch während ihrer Genesung finden beide Mädchen wieder zusammen, und auch Chaya nimmt nach anfänglichem Schrecken Altheas neues Wissen an, denn sie begreift, mit diesem Wissen ist Althea eine Gefahr für die Temorer, und sie würden sie zum Schweigen bringen, mit allen Mitteln. Das macht sie auch Althea klar, und sie versprechen dem kleinen Wächter, alles zu tun, damit sie seine toten Brüder und die Feen finden. Im Gegenzug verspricht der kleine Wächter, sie vor allen bösen Mächten zu beschützen.

    Althea beginnt zu forschen. Als sie ihre Briefe durchgeht, ihre Träume und die neuen Erkenntnisse, die Phelan und Jeldrik zusammengetragen haben, lässt das für sie nur einen furchtbaren Schluss zu: Phileas schafft sich ein unsichtbares Heer hoch im Norden. Er löscht ganze Völker dafür aus.

    Obwohl sie sich vor der Begegnung fürchtet, beschließt sie, Hohepriester Anwyll vor der drohenden Gefahr zu warnen. Dieser findet sich einer gänzlich veränderten jungen Frau gegenüber. Macht umgibt sie mit jedem Atemzug, zum ersten Mal bekommt er eine Ahnung von der Druidai. Er fürchtet um sie, denkt, sie sei besessen. Altheas Vertrauen in den alten Priester wird arg erschüttert. Eingedenk Chayas Warnung verschweigt sie ihm, wo sie gewesen ist, und verbirgt ihr neues Wesen tief in ihrem Innersten.

    Trotz ihres merkwürdigen Verhaltes glaubt Anwyll ihr. Er bitte Bajan um Hilfe, und dieser überzeugt Clansführer Roar, die saranische Flotte gen Norden zu senden, den Aufenthaltsort ihres Feindes auszukundschaften.

    Mehr kann Bajan nicht tun, aus Gilda kommen immer noch keine Neuigkeiten zu ihm, weil seine Kundschafter gezwungen waren, sich lange Jahre untätig zu verbergen. Durch den fehlenden Handel greifen Armut und Krankheiten um sich. Kaum jemand wagt es, den Soldaten der Mönche Widerstand entgegenzusetzen, und wer es tut, wird gefangen gesetzt oder seine Familie verschleppt. Es gärt unter der Bevölkerung, die Zukunft des Reiches ist ungewiss. Der sieche König hat keine Kinder mit seiner Geliebten bekommen, seine Söhne gelten als tot und machtgierige Günstlinge greifen nach der Krone.

    Nun gelingt Bajans Kundschafter Nadim aber, seinen Tod vorzutäuschen und sich wieder frei zu bewegen. Er befreit Tavar, den Sohn des Fürsten von Nador und jüngeren Bruder von Curranns Kamerad Tamas, aus der Gewalt der Mönche und macht ihn zu seinem Gehilfen. Sie schließen sich den Rebellen in Nador an, und nach und nach wird Tavar in Nadims geheime Aufgaben eingeweiht. Sie reisen nach Gilda, wo Leanna sich all die Jahre bei den Heilerinnen verborgen hat. Tavar findet sie erstaunlich gut im Bilde über die Vorgänge im ganzen Reich. Verwundert fragt er sich, wie das sein kann. Es sind doch nur hilflose Frauen?«

    »Ha!«, machte das ältere Mädchen. »Das glaubt er wohl!« Sie lachten, und die Großmutter fuhr schmunzelnd fort:

    »Da hat er sich gründlich getäuscht. Nach anfänglichem Misstrauen weiht Leanna ihn ein: Seit Jahren spioniert sie mit ihrem Freund und Beschützer Rynan heimlich die Festung aus. Die Heilerinnen und Nadim haben davon keine Ahnung, sie denken, Rynan schnappt die Neuigkeiten während seines Dienstes beim Heer auf. Tavar wird zu ihrem festen Verbündeten und verspricht, ihr Geheimnis zu wahren. Durch Tavar findet Rynan einen Weg, mit Altheas Vater im Gefangenenlager in Verbindung zu treten und ihm zu helfen, und auch in Mukanir kann Tavar mehr über das Schicksal der Königin erfahren und Leanna berichten. Mit diesen guten Neuigkeiten im Gepäck macht er sich wieder auf nach Westen.

    Doch auch die Diener und deren Tempelwachen waren nicht untätig. Als Nadim und Tavar nach Nador zurückkehren, finden sie Schreckliches vor: Das Lager der Rebellen ist aufgeflogen, es gibt viele Tote, und dann wird Nadim auch noch von einem Diener angefallen und überwältigt. Mit letzter Kraft gelangen Tavar und er nach Temora, wo er weiß, dass es dort die einzige richtige Hilfe für ihn gibt: Althea.«

    »Aber.. dann ist Tavar ja gleich in ihre Gabe eingeweiht!«, unterbrach sie die Jüngere der beiden.

    »Oh ja, und ihr könnt euch vorstellen, für ihn ist es ein regelrechter Schrecken. Doch den überwindet er schnell, und er schließt Freundschaft mit den beiden ungewöhnlichen Mädchen, denn er bringt Althea ja Nachricht von ihrem Vater, und er wird zu ihrem Vertrauten und heimlichen Boten, wie auch schon für Leanna in Gilda. Auch sie weihen Tavar in ihre Geheimnisse ein und nehmen ihn mit nach Temora, um ihn ihren dortigen Freunden vorzustellen.

    Auch Bajan empfängt die beiden Kundschafter erleichtert. Endlich kann er wieder in die Geschicke Gildas eingreifen, anstatt tatenlos zuzusehen. Durch Altheas Träume wissen sie um den ungefähren Aufenthaltsort Curranns und der verschwundenen Fürstensöhne. Er schickt sie auf Suche aus, denn erst, wenn einwandfrei bezeugt werden kann, dass der Thronfolger am Leben ist, kann an Aufbau eines Widerstandes gegen die Mönche gedacht werden.

    In Saran lernt Tavar auch Altheas grausamen Großvater kennen, mit dem er schnell aneinandergerät. Auf seinem Schiff reisen sie zurück nach Temora, und sie müssen erleben, was es heißt, wenn Regnar die Beherrschung verliert. Voller Zorn über ihr jahrelanges Verschwinden schlägt er Althea, und den Mädchen bleibt nichts anderes übrig, als mit Tavars Hilfe die Flucht zu ergreifen. Damit hat Regnar endgültig Altheas Vertrauen verloren. Wutentbrannt reist er mit der Flotte der Saraner gen Norden, ohne sich mit seiner Enkelin ausgesöhnt zu haben.

    Wieder in Morann, erleben Nadim und Tavar eine Überraschung, als sie nicht nur Currann finden, sondern eine ganze Familie. Drei Söhne hat er mittlerweile, die Dynastie hat Erben. Currann stimmt mit Bajan überein, dass ein Widerstand aufgebaut werden muss, nur will er seine Frau und seine Kinder nicht in Gefahr bringen. Er verpflichtet die Kundschafter zum Stillschweigen, sie sollen lediglich sein Überleben bezeugen. Auch für Currann wird Tavar zum Vertrauten, zum Geheimnisträger der gesamten Königsfamilie und zum Bevollmächtigten des Thronfolgers. Er reist durch ganz Morann, um sich den Fürsten, allen voran seinem eigenen Vater, zu zeigen und sie dazu zu bewegen, ihre eigenen Soldaten auf die Übernahme des Heeres vorzubereiten. Auch Leanna sucht er wieder auf, und er wird wohl selbst am meisten überrascht, dass er sich in die schöne und ungeheuer willensstarke Prinzessin verliebt.

    Leanna hat seine Rückkehr aus ganz anderen Gründen herbeigesehnt. Ihr Beschützer Rynan ist verschwunden, und nach einer qualvollen Zeit des Wartens erfahren sie, dass er von den Tempelwachen verfolgt worden und gezwungen war, den Freitod zu suchen. In ihrer Trauer kommen die beiden sich näher, und Tavar gesteht ihr, wie es um ihn bestellt ist. Doch Leanna weist ihn ab, zu frisch sind die grausamen Dinge, die sie erlebt hat. Getroffen und regelrecht verstört macht sich Tavar wieder auf Reisen, während Nadim in Gilda bleibt, um dort aus dem Verborgenen den Widerstand zu stärken.

    Es wird allerhöchste Zeit. Mit Ankunft der saranischen Seefahrer im Norden setzen Altheas Träume mit einer Heftigkeit ein, die sie alarmiert. Es gibt mehrere Diener im Land, einer ist sogar in den Rat Temoras vorgedrungen und Hohepriester Anwyll erneut in Gefahr. Gemeinsam mit ihren temorischen Freunden ersinnt Althea einen Plan, wie sie Anwyll schützen kann. Der alte Mann täuscht auf ihren Einfall hin einen Schwächeanfall vor und legt sein Amt als Hohepriester nieder. Altheas Freund Galvin, bisher der Störenfried der Novizen, wird dazu gezwungen, ihm zu dienen, und so zu seinem Leibwächter. Doch Anwyll ist nicht umsonst für seine Klugheit geachtet und gefürchtet zugleich. Schnell kommt er hinter die Schliche seines Novizen, und er folgt ihm zu ihrem heimlichen Treffpunkt und stellt Althea und ihre Freunde. Sie hat nun keine Wahl mehr, sie muss sich Anwyll offenbaren.

    Doch der alte Priester glaubt ihr nicht, er denkt, sie hat so Entsetzliches erlebt, dass sie unter Wahnvorstellungen leidet. Da packt Althea der Zorn, und sie schlägt Chayas Warnung in den Wind. Sie zeigt ihm den kleinen Wächter und schleudert ihm altes Unrecht entgegen. Für den alten Mann zerbricht eine ganze Glaubenswelt. Voller Entsetzen über sich selbst erkennt er, dass er wirklich versucht ist, Althea mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen, und verbietet sich dies streng. Er sagt sich innerlich von der Gemeinschaft los und schwört dem fremden Wesen, den Frevel seiner Vorfahren wieder gutzumachen.

    Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche und werden schnell fündig. Die drei toten Feen befinden sich in Temora, wie Althea schon vermutet hat. Ihre noch immer existierende Macht bildet den Ring, und alle Priester erhalten bei ihrer Weihe einen heiligen Armreif, in dem ein toter Feenwächter eingelassen ist. So können sie den Ring durchschreiten. Voller Zorn verlangt der Wächter die Herausgabe, doch bevor das gelingt, werden sie vom Rat und damit vom Diener entdeckt.«

    »Was ist passiert?!«, riefen die Mädchen.

    »Tja..« Die Großmutter musste schmunzeln. »Ihr müsst verstehen, die vier Freunde aus Temora hatten sich nach Altheas Fortgang entzweit. Eine von ihnen, Emlyn, war unter den Einfluss eines Ratsmitglieds geraten, und wurde von den anderen drei gemieden. Sie rächte sich dadurch, dass sie den einzigen unter ihnen, der überall aneckte und den sie heimlich begehrte, beständig in Misskredit brachte.«

    »Galvin.« Das war für die Mädchen keine Frage.

    »Genau, Galvin. Als Althea nun so plötzlich zurückkehrt, müssen sie alle ihre Freundschaft wieder entdecken, und Galvin stellt fest, dass er in ihr bald etwas anderes zu sehen beginnt als nur seine alte Freundin und Kampfgefährtin. Eine Zeit lang kann er sich beherrschen, doch bei seiner Einweisung geht es mit ihm durch. Er versucht Althea zu überwältigen, und..«

    »..Emlyn sieht das und verrät sie an den Rat? Es gibt einen Kampf? Siegt Althea?«, fragten die Mädchen aufgeregt.

    »Natürlich tut sie es, aber leider kommt ihr kleiner Wächter dabei um.« Die Großmutter seufzte. »Aber wenn ihr denkt, dass jetzt die dunkle Macht aus Temora vertrieben ist, täuscht ihr euch. Anwyll vermutet, und damit behält er recht, dass der Diener sich Untergebene geschaffen hat. Er zwingt Althea dazu, sämtliche von der dunklen Macht Befallenen in der Gemeinschaft zu heilen. Die Zeit der verborgenen Schliche ist nun endgültig vorbei. Nicht nur Chaya, sondern auch ihre Großmutter ist außer sich darüber, dass sie all die Zeit hintergangen wurde, aber Althea ist kein kleines Mädchen mehr. Sie weist ihre Großmutter in die Schranken, sie möchte nicht ihren ehrgeizigen Zwecken dienen wie einst ihr Vater. So kehrt sie Temora ein für alle Mal den Rücken und lebt fortan als unabhängige Heilerin in den Wäldern. Nachdem sie sich mit Chaya wieder versöhnt hat, begibt sie sich allein auf die Suche nach den noch immer außerhalb Temoras existierenden Dienern. Doch das ist gar nicht so einfach.«

    »Weil es gefährlich ist?«, fragte das ältere der beiden Mädchen.

    »Das auch, Mädchen, das auch. Nein, was passiert, wenn eine junge und zudem sehr ungewöhnliche Frau allein durch die Lande zieht? Sehr ihr, Althea ist zwar körperlich zur jungen Frauen geworden, innerlich aber in vielen, eben diesen Dingen immer noch ein kleines und sehr naives Mädchen, selbst nach ihrem Erlebnis mit Galvin. Sie weiß nicht, dass sie die Begehrlichkeit der jungen Männer weckt, und das lenkt Aufmerksamkeit auf sie. Besonders einer, Taisto, der Sohn eines Clansführers, stellt ihr regelrecht nach. Sie weist ihn ab, aber später soll sie es noch bitter bereuen, ihn nicht gleich mit aller Gewalt zum Schweigen gebracht zu haben, doch zu dieser Zeit hat sie andere Sorgen.

    Schatten ziehen am Horizont herauf, nicht alle saranischen Schiffe kehren zurück. Die es schaffen, berichten von leeren Siedlungen und ausbleibenden Händlern. Althea gelingt es, aus diesen Neuigkeiten eine Karte mit Phileas’ ungefährem Aufenthaltsort zu zeichnen. Er ist nahe, sehr nahe sogar. Altheas Großvater ist der Letzte, der zurückkehrt, und er ist dem Tode geweiht. Er und seine Männer waren dabei, als eine Siedlung von einer unsichtbaren Horde förmlich überrannt wurde, und Regnar wurde von einem von Phileas’ Wesen angefallen, dem er nur durch einen Sprung ins Meer entkam. Es ist Althea ein Rätsel, wie er solange überleben konnte, und sie zieht sehr schnell einen für sie alle wichtigen Schluss: Vertragen die Wesen kein Meerwasser, das darin enthaltende Salz? Denn aus Yenis Träumen weiß sie, dass diese Wesen im Flusswasser sogar schwimmen können.

    Althea kann ihren Großvater heilen, aber sie kann nicht verhindern, dass er mehr von ihrer Gabe zu sehen bekommt, als ihr lieb ist. Er bleibt für immer verändert, wird zu einem Ungeheuer. Sein Anblick macht auch den Zögerndsten unter den Führenden Temoras und Sarans klar, dass sie etwas tun müssen. Sie beschließen, eine Versammlung aller Führer ihrer beiden Völker auf dem kommenden Einheitsfest abzuhalten, und laden zögernd die beiden Gebannten, Bajan und Phelan, mit ein.

    Altheas Großvater Regnar ist unterdessen gehörig ins Grübeln geraten. Er macht sich auf, seine eigene Vergangenheit zu erforschen. Tief in den Sümpfen Sarans existiert ein weiteres Tor mit einem Todesring, ein Ort, den seine Vorfahren immer behütet und beschützt haben. Was ist seine Enkeltochter? Und damit er selbst? Er spürt, dass er dicht davor ist, das verschüttete Wissen vieler Generationen wieder auszugraben, und er schnappt sich denjenigen, mit dem sich die Mädchen noch nicht hinter einer Mauer des Schweigens verschanzen konnten: Phelan auf der weit entfernten Insel.

    Jahrelang hat dieser dort ausgeharrt und seinem Freund Jeldrik bei der Sicherung des Friedens auf See geholfen. Für ihn bedeutet die Neuigkeit, dass Althea am Leben und seine Familie wohlauf ist, die Erlösung aus schweren Sorgen. Dass er nach Saran zurückkehren und am Einheitsfest teilnehmen soll, stellt ihn jedoch vor hohe Schwierigkeiten: Zum einen ist er immer noch ein aus Temora Gebannter, und zum anderen haben die Ethenier ihm blutige Rache geschworen für Yenis Tod. Regnars Neuigkeiten und Versuch, mit aller Gewalt hinter Altheas Geheimnis zu kommen, erfüllt ihn mit Unglauben: Kann es sein, dass Regnar ein direkter Nachfahre der Druidai ist, dass er es ist, der Althea ihre Fähigkeiten vererbt hat? Doch Phelan gerät nicht in Versuchung, sein Wissen mit dem alten Seeräuber zu teilen. Schließlich weiß er genau, was der mit Noemi und Althea getan hat.

    Stattdessen nimmt er sich Altheas Vermutung bezüglich Phileas’ Wesen an. Er beschließt, auf eigene Faust zu handeln. Gemeinsam mit Jeldrik, der auf Befehl seines Vaters so viele Waffen als nur möglich für den höchst wahrscheinlich bevorstehenden Kampf schmieden soll, beginnt er noch eine andere Waffe herzustellen: einen ansehnlichen Vorrat Salz. So wappnen sie sich gegen ihren Feind und bereiten ihre Rückkehr nach Saran vor.«

    --------------------

    Kapitel 1

    Die Insel

    Sechstes Frühjahr nach der Flucht

    <=

    »Kannst du nicht schlafen?«

    »Nein. Ich dachte, ich bleibe lieber hier und halte Wache, damit wir morgen keine böse Überraschung erleben.«

    »Fehlende Ladung oder ein Feuer? Oder gar ein ungebetener Gast an Bord?« Phelan hievte sich mit einem Ächzen über die Bordwand und ließ sich neben Jeldrik fallen. Er war ziemlich unsicher auf den Beinen, denn sie hatten ihre letzte Nacht auf der Insel kräftig gefeiert, sodass er lieber nicht über die wackelige Planke an Bord kam. Jeldrik reichte ihm seine Pfeife, und er nahm einen tiefen Zug. Es war dunkel und still im Hafen. In der Ferne hörten sie das Donnern der Brandung, kleine Wellen plätscherten gegen die Bordwand, die Segel und Seile knarrten in einer leichten Brise.. eine äußerst friedliche Nacht war das. Und dennoch, Phelan konnte nicht anders, als angespannt mit allen Sinnen in die Umgebung zu lauschen. Langsam blies er den Rauch aus und reichte Jeldrik die Pfeife zurück.

    Es würde ihn nicht wundern, wenn im letzten Moment doch noch etwas geschah. Nicht, nachdem er eines Morgens mit einem Dolch in der Wand über seiner Liege aufgewacht war, gefährlich dicht neben seinem Kopf. Ob die Priesterin Tzusa oder die beiden Unholde Seeko und Bado, wer auch immer dafür verantwortlich gewesen war, deutlicher hatte die Warnung nicht sein können. Die Botschaft hatte ihr Ziel erreicht: Sie sollte sie verunsichern, sodass sie sich beinahe gänzlich selbst einsperren mussten mit ihren Wachen. Jeder noch so raffiniert angelegte Versuch, der Flüchtigen habhaft zu werden, war gescheitert. Mittlerweile glaubten die Männer, Saraner, Jäger wie Ethenier, dass es nicht mehr mit rechten Dingen zuging, und die Saraner waren froh, endlich fort zu können.

    Ihre Schiffe waren bis oben hin beladen mit all den Vorräten, die sie im letzten Winter angelegt hatten. Waffen, Rüstungen und nicht zuletzt das Salz, Nahrung und Wasser für die Überfahrt, Futter für die Pferde.. selbst ihre Hütten, die Palisaden und die Katapulte hatten sie abgebaut und das Holz verladen. Sie wollten Seeko und Bado nichts zurücklassen, was diese beiden Unholde für eine Flucht nutzen könnten. Jeldriks Schiff, das sie auf den Namen ›Seeschlange‹ getauft hatten, lag so tief im Wasser, dass er seit Wochen Bedenken hatte, ob sie damit über die Felsenenge der Bucht hinwegkommen würden.

    Nicht nur deswegen war Jeldrik nervös. Er würde sein Schiff selbst steuern, seine erste Bewährungsprobe als Schiffsführer, und das, was sie in Saran und Temora erwartete, das ließ auch Phelan keine Ruhe.

    »Hast du..?«

    »Ja doch! Es ist alles erledigt«, erwiderte Phelan.

    »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es die richtige Strecke ist«, brummte Jeldrik leise hinter seiner Pfeife, unhörbar für die Männer, die nicht weit entfernt am Strand schliefen.

    Phelan verdrehte die Augen. »Doch, bist du, und wenn du es nicht mehr wissen solltest, dann geh rein und ziehe deine Aufzeichnungen zurate. Und hör endlich auf, deine Hand zu quälen! Du brauchst sie morgen noch.« Er fasste zu und zerrte Jeldriks gesunde Hand von der versehrten fort. »Es wird schon gut gehen. Wie oft hat Ohin dich die Strecke herbeten lassen? Zwei Dutzend Mal? Drei Dutzend?«

    »Mmpf!«, meinte Jeldrik dazu nur, entriss ihm seine Hand und sagte nichts mehr. Diese Verzagtheit war ganz und gar untypisch für ihn, aber bezeichnend für ihre ganze Lage. Sie wussten nicht, was auf sie zukam.

    Würden ihre Verbündeten, die ehemaligen Gefangenen, gegen die Ragai bestehen und ihnen den Rücken frei halten? Vor ein paar Tagen waren sie davongesegelt, voller Hoffnung, ihre Familien lebend wiederzusehen. Würden sich die Bewohner der Insel an ihre Abmachungen halten? Und was war mit dem Feind im Norden, ganz zu schweigen von ihren persönlichen Problemen, die in Saran auf sie warteten?

    Jeldrik kam die bevorstehende Auseinandersetzung mit seinem Vater wie ein tückisches Spiel vor. Er hatte nicht vor, sich den Plänen des Clansführers zu beugen, sprich, nach seinen Wünschen den Bund einzugehen. Er war Roars Köder für die anderen Clans, und als solcher würde er sich verhalten, mehr nicht. Phelan tat er leid. So oder so würde es für ihn eine Niederlage werden, und Jeldrik wusste das ganz genau. Entsprechend war seine Laune, sobald jemand auf Roars Pläne zu sprechen kam. Die Männer hatten gelernt, dieses Thema zu meiden, wie Phelan auch jeden Gedanken an seine bevorstehende Auseinandersetzung mit den Sklaven Sarans vermied. Sie hielten ihn immer noch für den Schänder und Mörder Yenis, ihrer toten Priesterin, und er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte.

    Im frühen Morgengrauen wurde Phelan durch einen unsanften Tritt geweckt. »Aufstehen, es geht los!«

    Müde blinzelnd erhob er sich und spähte über die Bordwand. Die Männer packten ihre Habseligkeiten zusammen und trugen sie an Bord. Als die ersten Sonnenstrahlen die Bucht erhellten, versammelten sich sämtliche Bewohner der Insel zum Abschied am Strand.

    »Mögen dir die Götter beistehen, Phelan von Morann«, sagte der Älteste der Jäger. Sie übereichten ihm ein ganzes Bündel Abschiedsgeschenke. Phelan war sprachlos. Er fand darin ein überaus kunstvoll gearbeitetes und verziertes Blasrohr, einen Beutel mit Pfeilen, einen Tiegel Jagdgift und eine kleine, aber mit äußerst scharfen Steinen besetzte Streitkeule.

    »Dafür, dass du unser Volk in die Freiheit geführt hast«, sagte sein Freund und legte ihm die Hand auf den Arm. Alle anderen taten es ihm gleich. Phelan musste schlucken. Sicherlich, er hatte mit ihnen Freundschaft geschlossen, aber dass er einen solchen Stellenwert unter ihnen besaß und jetzt noch ihren Segen bekam, damit hatte er nicht gerechnet. Mit belegter Stimme dankte er ihnen und verabschiedete sich, nicht ohne vorher die Gaben mit großer Sorgfalt angelegt zu haben, der größte Dank, den es für sie gab.

    Dann wandte er sich dem anderen Volk der Insel zu, das geduldig auf ihn wartete. Sie und die Saraner hatten sich nicht viel zu sagen. Ein kurzes Nicken, einige geknurrte Worte seitens der Männer, das war alles, trotz aller Friedensabkommen. Nur die Mädchen standen mit verweinten Gesichtern etwas abseits und hatten ihre Kinder dabei. Phelan mochte lieber nicht genau hinsehen und die möglichen Väter in ihren Zügen erraten. Stattdessen trat er auf den Stammesführer zu. Dessen Worte waren nicht herzlich, aber aufrecht. Nach einer kurzen Verabschiedung kletterte Phelan erleichtert an Bord von Jeldriks Schiff, wo schon alle ungeduldig warteten.

    »Auf dass du dein Geburtsrecht zurückerhältst!«, rief der Älteste der Jäger. Alle Männer stießen ein schauriges Kriegsgeheul aus. Die Saraner stimmten auf ihre Weise mit ein. Sie hoben die Ruder und begannen mit kraftvollen Schlägen, ihre Schiffe aus der Bucht zu manövrieren.

    Phelan stand neben Jeldrik am Heck und sah ohne Bedauern zurück, die Hand zum Abschied erhoben. »Endlich«, flüsterte er, übertönt von den Männern. Jeldrik übergab das Steuerruder einem anderen und lief mit einem Fadenmesser nach vorne, um sie durch die Engstelle zu leiten. Sein Gesicht war besorgt.

    Zu Recht, wie sich herausstellte. Sie lagen wirklich tief im Wasser. Ihr Schiff traf mit einem Knall, der Phelan fast von den Füßen riss, auf die Felsen und rutschte mit einem schauderhaften Knirschen und Rumpeln darüber hinweg. Dann waren sie frei, und eine kurze Untersuchung ihres Laderaumes ergab, dass sie nicht leck geschlagen waren. Die Männer brachen in Jubel aus.

    »Setzt die Segel!«, übertönte Jeldrik sie. Er verschloss die Planken wieder und kam zu Phelan herüber. »Das wäre geschafft! Alle anderen liegen nicht so tief im Wasser.« Die Erleichterung, dass er diese erste Feuerprobe bestanden hatte, war ihm deutlich anzuhören. Er dankte dem Mann am Steuerruder mit einem Schlag auf die Schulter und übernahm wieder. Die Segel fingen knallend Wind, ein Ruck ging durch das Schiff, sie nahmen Fahrt auf. Zufrieden holten die Männer die Ruder ein, verstauten sie und konnten nun einen geruhsamen Blick auf die Insel zurückwerfen, die ihnen im letzten Winter, vielen sogar einige Jahre Wohnstätte gewesen war.

    Die Menschen am Strand wurden langsam zu kleinen, wuselnden Ameisen. Sie umrundeten die vorgelagerten Felsen, den darüber thronenden Steinkreis, dem Phelan keinen Blick mehr schenkte. Er wollte sich nach vorne begeben und vorausschauen.

    »Phelan!« Ein alarmierter Ausruf seines Freundes ließ ihn herumfahren. Jeldrik deutete auf die Klippen, die blauen Augen angriffslustig verzogen.

    Phelan brauchte eine Weile, um das Ziel seines Fingers zu finden, dann entdeckte auch er sie. Auf den Klippen unterhalb des Steinkreises stand eine einsame Gestalt. Er erkannte sie sofort. Die Priesterin. Er machte einen überraschten Schritt vorwärts und packte die Reling.

    »Bei den Göttern!«, murmelte Jeldrik.

    Phelan brachte nur ein leises Ächzen zustande. Tzusa war nicht allein. Sie hielt ein kleines Kind auf dem Arm, das Alter konnten sie auf diese Entfernung nicht schätzen. Das war auch nicht nötig.

    »Deines?«, grollte Jeldrik leise.

    »Nein!« Phelan entfuhr ein protestierender Laut. »Das kann nicht sein!« Oder doch? Warum sonst sollte sie zu ihm gekommen sein und ihn gezwungen haben? Ihm wurde übel. ›Ich bin nicht Mann und nicht Frau‹, hatte sie ihm einmal gesagt. Wer würde sich schon freiwillig mit ihr zusammentun? Die Gewissheit schlich sich hinterrücks heran. »Wessen sonst?«, flüsterte er hoffnungslos und musste sich mit aller Macht an der Reling festklammern, um nicht nach dem Bogen zu greifen. »Miststück! Verfluchtes Miststück!« Seine Stimme verriet die ganze Zerrissenheit, die so unaufhaltsam wieder in ihm hochkam, als hätte er nie versucht, sie zu verbergen. Am liebsten wäre er ins Wasser gesprungen und dann.. dann wusste er nicht.

    Jeldrik packte ihn und zerrte ihn herum. »Sieh nicht mehr hin, das will sie doch!«, zischte er. »Geh nach vorne! Tu, als sei nichts geschehen!«

    Und Phelan tat es, mit bleischweren und gleichzeitig butterweichen Knien. Er setzte sich vor die Bugfigur, eine Schlange, die dem Schiff seinen Namen gab. Jeldrik hatte sie eigenhändig so gestaltet, dass der zusammengeringelte Schwanz einen bequemen Sitz für ihn abgab. Dort saß er bis in die Nacht, den Blick auf die unendliche Weite gerichtet. Es half nicht viel. In ihm tobte ein Sturm aus Wut und Scham, der kaum zu ertragen war. Sie hatten ihn benutzt, Yeni, Tzusa, sogar die Enkeltochter des Stammesführers, davon war er in seinem Zorn fest überzeugt. Er fühlte sich beschmutzt, gedemütigt, all das, was er glaubte, längst hinter sich gelassen zu haben. Ihm dämmerte, dass dies genau Tzusas Absicht gewesen war. Das war ihre Rache, eine, auf die er nichts mehr erwidern konnte.

    In dieser Nacht ertränkte er seine Gefühle im Met, hatte danach einige Tage übelste Laune, aber dann hatte er sich wieder gefangen, zumindest redete er sich das ein. Er verschloss diese Schmach tief in sich und wurde nach außen hin wieder der alte, fröhliche Phelan. Nur Jeldrik ertappte ihn manchmal dabei, wie er mit leerem Blick nach Südwesten, zurück zur Insel, sah.

    Sie kamen gut voran, das Wetter blieb ihnen hold. Nicht ein Sturm, nur stetiger Westwind geleitete sie zurück in Jeldriks Heimat. In den Wochen der Reise fand Phelan langsam seine Fassung wieder. Was kümmerte ihn Tzusa, sagte er sich, er würde sie nie wiedersehen. Dass er möglicherweise ein Kind dort zurückließ, das niemals erfahren würde, wer sein Vater war, daran mochte er nicht denken.

    Je näher sie den saranischen Landen kamen, desto rauer und kälter wurde es auf See. Phelan hatte sich bisher nie richtig bewusst gemacht, wie viel südlicher die Insel im Vergleich zu Saran liegen musste, dass man dort keinen richtigen Winter kannte. Neugierig geworden begann er, Jeldriks Aufzeichnungen zu studieren, und fand damit eine Beschäftigung, die seinen Geist ablenkte, etwas, das die körperliche Arbeit an Bord nicht vermochte. Auf diese Weise vergingen die Tage und Wochen ihrer Reise wie im Fluge. Jeldrik lenkte ihre kleine Schiffskarawane gekonnt durch sämtliche gefährlichen Riffe und kritischen Passagen und bewies damit, dass er keine von Ohins Lektionen vergessen hatte. Die Männer hätten es auch nicht anders erwartet. Sie lobten nicht – das wurde als Schwäche angesehen – sie befolgten Jeldriks Anweisungen, ohne ihm zu widersprechen. Das war Lob genug.

    Schneller als erwartet fuhren sie wieder in bekannten Gestaden. Die Küste Sarans war in Nebel gehüllt, sodass Phelan beim besten Willen nicht sagen konnte, wo sie sich gerade befanden. Nur die Lebhaftigkeit, ja beinahe Übermut der Männer sagte ihm, dass sie sich ihrer Heimat näherten.

    Irgendwann gab Jeldrik dann den Befehl, die Ruder auszulegen, und ließ die Segel einholen. Sie drehten gen Land und hinein in die undurchdringliche Nebelbank. Der eh schon kaum vorhandene Wind ließ nun gänzlich nach. Hinter ihnen klangen entfernt dieselben Befehle von den anderen Schiffen durch den Nebel.

    Phelan hockte noch nervöser als sein Freund vorne auf seinem Aussichtsposten. Würde Jeldrik die Einfahrt zum Hafen Sarans in dem Nebel finden oder am Strand auf Grund laufen? Da lichtete sich plötzlich das Grau, und die Sonne drang fahl zu ihnen durch. Es war, als würde ein Vorhang zur Seite gezogen, ein großartiges Schauspiel. Die Männer vergaßen beinahe das Rudern, so sehr verrenkten sie die Köpfe.

    »Seht!«

    »Bei den Göttern..«

    Phelan sprang auf, so schnell, dass er auf dem rutschigen Holz beinahe das Gleichgewicht verlor und ins Wasser fiel. Die Einfahrt zum Hafen wurde flankiert von zwei großen Wachtürmen, wahre Bollwerke vom Schiff aus gesehen. Sie schienen fast über den Nebelschwaden zu schweben. Die Wachen mussten ihre Ankunft schon lange gehört haben. Sie ließen nun die Bogen sinken und riefen ihnen einen freudigen Willkommensgruß zu. Eine Glocke wurde geläutet, dann schwangen zwei große Torflügel, die der Nebel bisher verborgen hatte, knarrend beiseite.

    »Sie haben an alles gedacht«, murmelte Phelan beeindruckt, als sich vor ihm die von mächtigen Palisaden gesäumte Zufahrt zum Hafen auftat.

    »Seht nur, sie haben sogar Katapulte!«, rief einer der Männer beim Anblick zweier verhüllter Ungeheuer. Es klang ein wenig enttäuscht, brachten sie doch ihre eigenen als große Errungenschaft mit nach Hause. Jeldrik dagegen nickte zufrieden. Sie hatten ihre Einfälle teilweise übernommen. Nur das Bollwerk trug so deutlich Bajans Handschrift, als reisten sie wieder durch Morann.

    »Alle Achtung«, brummte der Mann neben ihm.

    Das rief Jeldrik zu seinen Pflichten zurück. Sie verloren zu sehr an Fahrt! »Klappt eure Münder zu, es zieht!«, brüllte er. »Auf eure Posten. Hebt – die – Ruder! Und rein damit!«

    »Und zieeeht!« Es klang aus vielen Kehlen. »Zieeht!«

    »Das reicht!«, rief Jeldrik plötzlich nach ein paar Schlägen. Länger und schmaler gebaut als die restlichen Schiffe, wurde die Seeschlange zu schnell für die enge Durchfahrt und für möglicherweise im Hafen liegende Hindernisse. Nur dieses eine Mal murrten die Männer, brachte es sie doch um das Schauspiel einer lautstarken Heimkehr, das alle Saraner den Daheimgebliebenen stets mit Hingabe boten.

    Während Jeldriks Schiff seinem Namen alle Ehre machte und ruhig wie eine Schlange durch den wieder dichter werdenden Nebel glitt, ließ Ohins Mannschaft sehr viel weiter hinten lautstark die Muskeln spielen. Unbemerkt von den im Hafen wartenden Menschen kam Jeldriks Schiff heran. Es ließ alle am Kai Wartenden einen erschrockenen Satz zurückmachen, als unerwartet vor ihnen die grausig aussehende Schlange aus dem Nebel glitt.

    »Buh!«, rief einer der Männer, und alle brachen in schallendes Gelächter aus. So hatten sie dann doch noch ihren Spaß.

    Phelan grinste auf seinem vorgelagerten Posten in sich hinein, als er die Blicke der Leute bemerkte. Neugier war gar kein Ausdruck. Am liebsten hätten sie ihn wohl von dort heruntergezerrt, ihm die fremdartigen Waffen abgenommen und alles ausgiebig begafft. Dass er selbst Gegenstand ihrer Neugier war, nicht seine Waffen, auf diesen Gedanken kam er nicht.

    Langsam glitten sie an der Menschenmenge vorbei zu Roars Liegeplatz. Dort warteten sie alle: Roar und Bajan, Sylja, der Sedat und seine Schüler, Verwandte, Bekannte.. nur die Sklaven sah man nicht. Phelan wusste nicht, ob er erleichtert oder beunruhigt sein sollte. Man hatte sie fortgesperrt, seinetwegen. Es musste so sein, sonst warteten immer ganze Heerscharen, um beim Entladen der Schiffe zu helfen.

    Jeldrik war das Lachen längst vergangen. Er musste sich seinen festen Vorsatz in Erinnerung rufen, seinem Vater gelassen und kühl entgegenzusehen. In aller Ruhe ließ er die Männer anlegen, die Ruder sichern, all diese Dinge, die am Abschluss einer langen Fahrt anstanden. Erst dann verließ er sein Schiff.

    Phelan dagegen war längst heruntergesprungen, wurde zuerst von Sylja an ihre mütterliche Brust gedrückt und begrüßte dann verlegen die anderen.

    »Gut, dass du sicher wieder hier bist, mein Junge«, sagte Bajan und klopfte ihm auf die Schulter. Phelan nickte nur und brachte kein Wort heraus. War er das letzte Mal bei Bajans Anblick schon ein wenig erschrocken gewesen, jetzt war er wirklich beunruhigt. Der Fürst war nicht mehr grau, sondern weiß. Die früher so ausdrucksvollen Augen lagen tief in schattigen Höhlen, und er war dünn, geradezu hager, sodass jeder Knochen und jede Sehne einzeln hervortrat.

    »Fürst, geht es Euch gut?«, rutschte es Phelan unwillkürlich heraus, und er ärgerte sich sogleich darüber. Bajan knurrte nur etwas, das er in alldem Lärm nicht verstand, und winkte ab. Dies war wirklich nicht der Ort für solche Gespräche, verstand Phelan und ließ ihn zufrieden. Stattdessen beobachtete er, wie Jeldrik seinen Vater mit Handschlag und einem kühlen Nicken begrüßte und dann von Sylja mit Beschlag belegt wurde. Genauso verlegen wie Phelan ließ er es über sich ergehen, dann blickte er sich um, sah all die erwartungsvollen Mienen und fasste einen Entschluss. Er warf Phelan einen auffordernden Blick zu.

    Phelan verstand und raunte Bajan zu: »Würdet Ihr wohl mit an Bord kommen, Fürst? Wir müssen Euch etwas zeigen.«

    Verwundert folgte der Fürst ihm die Planke hinauf, gefolgt von dem nicht minder verwunderten Sedat und Roar, der ihnen notgedrungen hinterherkam. Jeldrik winkte ein paar Männer heran, die Abdeckung ihres Laderaumes zu entfernen. Darunter kamen prall gefüllte Säcke zum Vorschein.

    Roar schwoll an. »Was soll das?«, blaffte er. »Was bringst du anstatt Waffen..?«

    »Roar!« Die Stimme des Sedats war leise, aber gebieterisch und ließ ihn sofort verstummen. »Ich bin sicher, damit hat es eine besondere Bewandtnis. Was ist dort drin, junger Schiffsführer?«

    Phelan sah sich unbehaglich um. Er glaubte geradezu zu sehen, wie die Ohren der Leute an Land immer länger wurden. Umso dankbarer war Jeldrik dem Sedat für sein Eingreifen. Er ignorierte den ungehaltenen Blick seines Vaters und kletterte in den Laderaum hinab. Die Männer hockten sich hin, damit sie seine leisen Worte verstehen konnten.

    »Ich weiß zwar nicht, was ihr aus den Briefen von Phelans Cousin herausgelesen habt, aber wir beide haben entsprechend gehandelt.« Mit einer raschen Bewegung riss er einen Sack auf und enthüllte feines, weißes Pulver.

    »Salz!« Roar entfuhr ein Knurren. Er kniff die Augen zusammen. Die des Sedats begannen belustigt zu funkeln, und neben Phelan stieß Bajan einen derartig erleichterten Laut aus, wie er ihn noch nie von dem Fürsten gehört hatte.

    »Du kannst beruhigt sein, wir bringen mehr als genug Waffen mit und haben obendrein bereits eine Menge verkauft«, erwiderte Jeldrik kühl und schnürte den Sack wieder zu.

    Roar schwoll an. »In die Halle, sofort!!«, knurrte er und stürmte vom Schiff.

    Jeldrik blickte ihm nur mit einem leichten Kopfschütteln hinterher und tat nichts dergleichen, denn schließlich hatte er seine Pflichten. In aller Seelenruhe erteilte er Anweisungen. Gemeinsam mit Bajan und dem Sedat überwachte er das Entladen der Schiffe, ließ sich von ihnen die neuen Gebäude und Palisaden zeigen und berichten, was den letzten Winter alles geschehen war.

    Sie hatten die Siedlungen in den Bergen geräumt und in die Felder um Saran verlagert. Ein kompliziertes System aus Wällen, Palisaden und natürlichen wie künstlichen Wasserläufen sicherte das so gewachsene Saran gegen den Einfall möglicher Feinde ab. Es waren zähe Verhandlungen nötig gewesen, bis es soweit war. Jeder Clan hatte auf sein Recht bestanden, wollte nicht benachteiligt werden. Es ging um Hütten, Weiden, Vieh, Liegeplätze.. die Liste der Zugeständnisse war schier endlos. Phelan, der den Männern wortlos wie ein Schatten folgte, konnte hören, wie anstrengend das für Bajan, aber auch für den alten Sedat gewesen sein musste. Doch schließlich hatten sie alle zufriedengestellt. Sämtliche Siedlungen an der Küste hatten eine Befestigung erhalten, derart, dass die Verteidigung auch durch die Frauen erfolgen konnte, wenn die Männer in den Krieg zogen.

    Bajan führte sie auf einen der Wachtürme, von dem man die ganze Anlage am besten überblicken konnte. Beeindruckt sahen die beiden um sich. Saran wirkte wirklich wie eine weitläufige Festung. Jeldrik pfiff sogar durch die Zähne. »Da habt ihr einen arbeitsreichen Winter hinter euch. Das können doch nicht nur die Sklaven geschaffen haben.«

    »Nein, alle mussten mit anfassen und haben es erstaunlicherweise getan«, brummte Bajan.

    Der Sedat lachte heiser. »Ihr habt ihnen auch gehörig bescheidgestoßen, Fürst«, gluckste er.

    Bajan seufzte ungehalten. »Wohl wahr!« Schweigend betrachteten sie das Gewusel in der Siedlung. Eine solche Masse Menschen hatte es in der Geschichte Sarans noch nie gegeben, noch nicht einmal zu den Festen. In Phelan drängten sich jede Menge Fragen, die er jedoch beschloss, später zu stellen, wenn er mit dem Fürsten allein war.

    Jeldrik musste einen ähnlichen Gedanken gehegt haben. Er wandte sich an den Sedat: »Nun, dann werde ich mal nach Vater sehen, sonst bekommt er noch einen Tobsuchtanfall. Wollt Ihr mich begleiten, Sedat?«

    Endlich waren sie allein. Phelan holte Philine und sein Bündel vom Schiff, ignorierte alle mehr oder wenigen auffälligen Versuche, ihn in die nächste Schenke zu schleppen, und folgte Bajan in seine Hütte. Es war Abend geworden, Männer und Frauen strömten in die Schenken, um die Neuankömmlinge gebührend zu feiern und ihren Geschichten zu lauschen. Phelan war erleichtert, als er endlich die Tür der Hütte hinter sich schließen konnte.

    »Fürst..« Etwas ratlos stand Phelan herum und wusste nicht, was er sagen sollte.

    »Ich weiß«, brummte Bajan. Er begann, Zunder und Feuerholz zu schichten und das Feuer zu entfachen. Ein Kessel für Tee wurde aufgesetzt, Essen herbei geholt.. alles beobachtet von Phelan, der erschrocken darüber war, wie müde und fahrig Bajans einst so präzise Bewegungen wirkten.

    Langsam setzte er sich. »Fürst, seid Ihr krank gewesen?«, fragte er schließlich.

    Bajan hielt mit seinen Verrichtungen inne und warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. »Denkst du das?« Phelan hob nur die Schultern und sagte nichts. Da seufzte Bajan und setzte sich endlich. »Es geht mir immer noch nicht wieder gut, das stimmt.«

    »Aber..«

    Bajan hob die Hand. »Ich weiß nicht, was es ist, es gibt hier keine Heilerin mehr, die sich das anschauen kann. Ich werde warten müssen, bis wir in Temora sind und Althea sich der Sache annehmen kann.«

    »Bis dahin ist es ja nicht mehr lang«, sagte Phelan. »Wie lange eigentlich genau? Ich habe irgendwie jedwedes Zeitgefühl verloren.«

    »Etwas mehr als zwei Monate noch, dann können wir fahren. Es hat sich allerdings eine unerwartete Wendung ergeben.«

    »Welche?« Phelan merkte auf.

    »Die Temorer bitten uns, nur mit den Clansführern zu den Verhandlungen anzureisen«, berichtete Bajan und reichte Phelan Brot und Fleisch.

    Der biss ab und runzelte kauend die Stirn. »Nur mit den Clansführern? Was hat das zu bedeuten?«

    »Das haben wir uns auch gefragt. Die Botschaft kam zudem nicht von Meister Anwyll, sondern von Mihal.«

    »Von Mihal?« Den hatte Phelan aus Altheas Briefen nicht in guter Erinnerung. »Wie kann er.. Moment, heißt das etwa, dass sie Meister Anwyll ausmanövriert haben? Thea hat so etwas schon angedeutet.«

    Bajan nickte ihm anerkennend zu. »So sieht es aus. Klarheit erlangten wir erst vor ein paar Wochen, als uns ein Bote von Mahin erreichte. Er lässt uns eine Warnung zukommen. Er sagt, dass die Temorer Zugeständnisse an die örtlichen Clansführer machen mussten, damit sie gemeinsam mit ihnen gegen den vermeintlichen Feind vorgehen. Die Clansführer fürchten um ihre Vormachtstellung.«

    »Bitte?!«, rief Phelan aus. »Wir werden bedroht von dem schlimmsten Feind aller Zeiten, und sie fürchten nichts mehr als..« Ihm fehlten die Worte.

    »Das ist das Wesen und der Kern jeder Politik, Phelan. So ist es nun einmal.«

    »Und was werdet Ihr auf diese Politik antworten?«, fragte Phelan erbost.

    Bajan spreizte seine Hände, und für einen Moment bekamen seine Augen den alten, kraftvollen Ausdruck zurück. Sie funkelten. »Wir haben ihrem Wunsch entsprochen und zugesagt, nur mit den Clansführern und deren Nachfolgern zu den Verhandlungen anzureisen. Allerdings.. das Einheitsfest ist immer noch frei, es kann kommen, wer will. Wenn also jemand seinen Sohn oder seine Tochter dort vorstellen will.. wer will das verhindern?«

    Phelans besorgte Miene erhellte sich. »Wie viele wollen denn ihre Söhne und Töchter dort vorstellen?«

    »Es sind zwar längst nicht alle, aber dennoch mehr, als ich gehofft hatte«, berichtete Bajan. »Jeldriks angekündigte Vorstellung hat den gewünschten Erfolg erzielt. Alle wichtigen Familien sind dabei.«

    »Damit legt Ihr sie richtig schön herein«, stellte Phelan voller Genugtuung fest. »Das wird den Temorern nicht schmecken.«

    »Es wird sie lehren, dass sich eine derartige Schwäche rächt, egal wie«, sagte Bajan. »Jahrelang haben sie tatenlos zugesehen und sich ausgegrenzt. Sie werden von ihrem Felsen herunterkommen müssen, ob es ihnen nun passt oder nicht.«

    »Werden sie Euch akzeptieren?«, fragte Phelan vorsichtig.

    »Das ist mir gleich«, brummte Bajan ungehalten. Dann seufzte er. »Ich komme als Berater Roars mit, und dann werden wir sehen. Mahin hat dich und mich eingeladen, bei ihm zu wohnen und von dort aus die Verhandlungen zu verfolgen, damit wir nicht gleich wieder gegen ein Tabu verstoßen. Denn Temora betreten dürfen wir nach wie vor nicht. Nach ihrem Brauch könnten wir uns offiziell auf dem Einheitsfest entschuldigen und um eine Begnadigung ersuchen.«

    »Betteln, meint Ihr wohl!«, spie Phelan aus.

    »Das werde ich auf keinen Fall tun, nicht für Anwyll und nicht für Roar, denn ich habe mir nichts vorzuwerfen. Und du auch nicht.«

    »Nein, ganz sicher nicht!«

    »Deine Anwesenheit als Sohn des Königs von Gilda ist jedenfalls unabdingbar, egal, ob du Temora betreten darfst oder nicht.« Bajan sah ihn ernst an. »Wenn es dazu kommt, dann musst du den Pakt für die Völker Moranns ausrufen.«

    Phelan seufzte ungehalten. »Ich weiß! Fürst, hat der Bote noch etwas gesagt?«

    »Zu Althea und Noemi? Nein, hat er nicht.«

    »Hat er Briefe von ihnen mitgebracht?«

    »Natürlich, dort hinten liegen sie. Mir hat sie nichts geschrieben, außer, dass alles in deinem Brief steht. Sie fürchtet die versteckten Diener und denkt, dass es so sicherer ist. Ich teile ihre Einschätzung. Der Bote sagte mir, dass sie außer Bryn noch zwei andere Diener ausfindig gemacht und in Temora geheilt haben.«

    »Sprich, Thea hat sich ihrer angenommen. Himmel, so langsam wird es gefährlich für sie! Fürst, Ihr entschuldigt mich..« Die wartenden Briefe drängten alle anderen Fragen über die Clansführer und die möglicherweise auf ihn lauernden Sklaven in den Hintergrund.

    »Ja, lies nur. Ich lasse dich allein«, antwortete Bajan, doch Phelan hörte ihn nicht mehr.

    Gierig begann er, Altheas Worte zu verschlingen, und musste schon bald an sich halten, um nicht in lautes Fluchen auszubrechen. Sie suchte allein die Siedlungen auf, um die Diener aufzuspüren? Wie konnten die anderen das nur zulassen! Doch da fand er im nächsten Satz schon sich selbst wieder. Sie wusste genau, dass er so reagieren würde.

    Versteh doch, ich muss es allein tun, sonst lassen sich Rückschlüsse über meinen Aufenthaltsort ziehen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich bewege mich auf versteckten Pfaden, und wenn ich doch einmal die Straße benutzen muss, tue ich es als Althan Thoraldsfalir. Die Siedlungen betrete ich zu Fuß als Thea, die Heilerin. Niemand wird mich so erkennen, da kannst du sicher sein.‹

    »Aber nach Temora musst du trotzdem, um die Diener zu befreien«, wandte er laut ein und lachte auf, als er gleich darauf ihre Antwort fand. Es war fast so, als säße sie ihm gegenüber und unterhielte sich mit ihm, dachte er. Ihm wurde ganz warm vor Freude.

    Du wirst sicherlich einwenden, dass ich trotzdem nach Temora muss, um die Diener von der bösen Macht zu heilen. Dafür hat sich eine ganz einfache Lösung ergeben. Gayle hatte wieder einmal einen ihrer genialen Einfälle. Erinnerst du dich, wie wir Meister Anwyll wieder wach bekommen haben, nachdem ich die Diener in Temora befreit hatte? Wir gaben ihm den heiligen Kelch in die Hand. Das brachte Gayle auf den Einfall, es auch bei den Dienern zu versuchen. Stell dir vor, es funktioniert! Die geballte Macht der Wächter hat eine ähnliche Wirkung wie mein Licht. Sie haben die Diener von der dunklen Macht befreit, es ging ganz einfach. Ich fürchte nur, die Wächter könnten Schaden davon nehmen. Verbraucht sich irgendwann ihre Kraft? Sie wirken jedes Mal wacher als vorher, so, als wecke man sie aus jahrhundertealtem Schlaf.‹

    Atemlos las er weiter und hörte nicht auf, bis er das letzte Wort verschlungen hatte. Dann nahm er Noemis Brief zur Hand, merkwürdig zögerlich diesmal. Dieses Gefühl kannte er schon, er begrüßte es geradezu. Es war wie vor einem tiefen, sehr schmerzhaften und gleichzeitig unheimlich freudigen Stich. Man spürte ihn kommen, wich ihm aber nicht aus, sondern stürzte sich in vollem Bewusstsein hinein. Er belächelte sich selbst, strich behutsam die Seiten auseinander und begann zu lesen.

    Mit seiner Konzentration war es jedoch bald vorbei. Bajan kehrte zurück. Phelans Blick irrte immer wieder von Noemis Brief zu ihm herüber. ›Er ist todkrank‹, erkannte Phelan, als er Bajan dabei beobachtete, wie dieser eine klare Flüssigkeit schluckte und erschöpft ein wenig ruhte. Etwas gegen Schmerzen? Phelan wurde übel, er konnte sich auf Noemis Brief nicht mehr richtig konzentrieren.

    Ein Geräusch lenkte ihn jedoch ab. Jeldrik schlüpfte herein. Phelan sah gleich an seiner Miene, dass die Stunden bei seinem Vater nicht glimpflich verlaufen waren. »Und?«

    Jeldrik winkte knurrend ab. »Der Sedat teilt unsere Einschätzung bezüglich des Salzes wie Bajan auch, nur Vater nicht. Es ist, wie wir schon vermutet haben, er misstraut allem, was aus Temora kommt. Sie haben ihn wochenlang bearbeitet, doch noch Schiffe nach Ethenien zu senden und unsere Salzvorräte aufzustocken. Er hat es abgelehnt, es für Spinnerei erklärt, bei den Göttern!«

    Phelan hob die Pergamente an. »Althan schreibt noch mehr. Er warnt uns, nur mit wenigen Leuten anzureisen, er fürchtet, der Feind könnte sich unmittelbar nördlich des Lir-Deltas auf die Lauer legen. Ein Diener war bei den Beratungen der Temorer und der dortigen Anführer anwesend und hat IHM alles weitergetragen. Sie haben ihn noch nicht gefunden.«

    Jeldrik stieß einen leisen Fluch aus. »Vater traut ihm nicht, nennt ihn ›Regnars verrückten Bastard‹..«

    »Waas!?« Phelan fuhr zornig auf. »Wie kann er nur!«, zischte er, sich gerade noch in Erinnerung rufend, dass Bajan neben ihnen schlief. »Komm, lass uns in den Stall gehen, da stören wir den Fürsten nicht.«

    »Was ist denn mit ihm los? Er sieht schlimm aus«, flüsterte Jeldrik leise.

    »Gesagt hat er nichts, aber ich glaube.. Jeldrik, er schluckt etwas gegen starke Schmerzen. Er muss so schnell wie möglich nach Temora. Nur dort kann man ihm helfen.« Phelan stellte eine kleine Lampe in sicherer Entfernung zum Stroh auf und wandte sich zu ihm um. »Ich glaube, er ist todkrank.«

    Erschrocken stützte sich Jeldrik an der Wand ab. »Deswegen waren alle so komisch, als ich darauf zu sprechen kam. Niemand wollte so recht mit der Sprache herausrücken, Vater hat nicht einmal geduldet, dass ich seine Person als solche erwähne.«

    »Warum das?« Phelan verstand es nicht.

    »Sylja hat mir hinterher erzählt, dass sie einige harte Auseinandersetzungen miteinander hatten und dass oben in den Wäldern etwas passiert sein muss, das Bajan so.. angeschlagen hat werden lassen. Es passt Vater nicht, dass die Männer mehr und mehr auf Bajans Rat hören. Sie befürchtet, er denkt darüber nach, fortzugehen, wenn das hier vorbei ist.«

    Phelan zuckte zusammen. »Fort?« In ihm kam ein ganz und gar ungutes Gefühl hoch. Bajan würde niemals seine Pflichten vernachlässigen. Das klang ja eher, als rechne er damit, nicht mehr zurückzukehren.. rasch schüttelte er den Gedanken ab. »Hat sie gesagt, was dort geschehen ist?«

    Jeldrik schüttelte den Kopf. »Nicht direkt, nur, dass es etwas mit der Behandlung der Sklaven zu tun hatte. Vater und viele andere auch haben sie ihre ganze Härte spüren lassen, aus Zorn über ihren Aufstand.«

    »Aber der ist doch schon Jahre her!« Phelan verstand es nicht.

    »Nicht deswegen, das ist in der Tat lange her und war selbst in den Augen vieler unserer Leute begründet. Nein, als die Sklaven im Herbst hörten, dass du zurückkommen würdest, gab es Unruhen. Sie haben versucht, sich zusammenzurotten und davonzulaufen. Sie glauben nicht, dass du der Sohn eines Königs bist, sie denken, das sei eine List von Vater, sie ruhigzustellen.«

    Phelan war bleich geworden. »Alles wegen mir!«, presste er hervor und rang mit sich. Wie lange sollte das noch so gehen? Bis es zu einem großen Unglück kam? »Hat sie gesagt, wo die Sklaven jetzt sind?«

    »Ja, sie sind..« Jeldrik stutzte. »Moment mal, du willst doch nicht etwa..?!«

    Phelan sprang kurz entschlossen auf. »Besser heute Nacht als nie, bevor die anderen etwas mitbekommen und versuchen, mich daran zu hindern. Sie sollen nicht denken, Roar schicke mich, verstehst du? Also, wo sind sie?«

    »Du.. du bist verrückt!«, protestierte Jeldrik. »Du kannst doch nicht allen Ernstes allein dort hinein..«

    »Wo hinein? Sag es mir!«, forderte Phelan, während er sich seinen Schwertgurt umband und überlegte, ob er sonst noch irgendwelche Waffen mitnehmen sollte.

    Jeldrik sah ein, dass nichts außer Gewalt seinen Freund aufhalten konnte, und den Schritt wollte er nicht gehen. »Ich bringe dich hin. Sie haben ihnen ein eigenes, umzäuntes Areal unweit der großen Halle zugewiesen. Es wird streng bewacht.«

    »Komme ich trotzdem hinein? Jeldrik!«, forderte Phelan vehement.

    »Ich werde einen Weg finden. Aber soll ich nicht doch..«

    »Nein! Komm jetzt!« Phelan zerrte ihn einfach mit sich, bevor ihn sein Mut wieder verließ.

    Jeldrik führte seinen Freund mit einem mehr als unguten Gefühl zu der Stelle, wo ein großes Tor den Eingang zu dem Sklavenviertel markierte. Anders mochte Phelan es nicht bezeichnen, bevor er sich mit Jeldrik auf einen der Wachtürme begab, um von dort aus die Lage zu erspähen.

    Der Wachhabende grüßte verwundert. »Nanu, Jeldrik Roarsfalir, was lockt dich hierher? Hast du an dem Abend der Heimkehr nichts anderes zu tun? Und wen hast du da..« Er brach ab, als er Phelan erblickte. »Bei den Göttern!«, entfuhr es ihm, und er ließ dabei offen, ob er Phelans Aussehen oder seine Anwesenheit hier meinte.

    »Sei bloß still!«, fuhr Jeldrik ihn an.

    Phelan trat nach vorne und warf einen Blick nach unten. Überrascht beugte er sich vor. Statt der erwarteten vielen Hütten und Verschläge, Feuer und Menschen war es still und dunkel unter ihm. Er sah lediglich ein umfangreiches, kahles Stück Land mit dem Umriss eines großen, windschiefen Gebäudes in der Mitte. Es war ein ehemaliges Lagerhaus, wie es aussah. »Wo sind sie denn? Sie schlafen doch nicht etwa alle da drin?«

    Die Wache schnaubte verächtlich. »Doch, tun sie, wie auch immer sie alle da hineinpassen. Sie haben sich geweigert, Hütten zu bauen. Vielleicht dachten sie, wir würden sie wieder in die Clans zurückkehren lassen, wenn das Ding zusammenfällt?« In seiner Stimme schwang die ganze Verachtung der Saraner für die ethenischen Sklaven mit.

    »Es sieht aus, als müsste ich nur dagegenpusten und es stürzt ein«, sagte Jeldrik leise. Er beobachtete Phelan, der die Brüstung umklammert hielt. »Willst du immer noch..?«

    »Ja! Wie komme ich dort hinein, ohne das große Tor öffnen zu müssen?«

    »Waas?!«, entfuhr es dem Wächter.

    »Sei doch still!«, fuhren sie ihn beide gleichzeitig an.

    »Also, wie kommt ihr im Notfall schnell hinein?«, zischte Phelan. Der Wächter wies nur stumm auf die Wand seines Turmes. Sie war klappbar, man konnte sie bis auf die Palisade herablassen. Ohne ein weiteres Wort griffen sie nach den Seilen und ließen sie herab.

    »Warte!« Jeldrik hielt ihn fest. »Soll ich nicht doch mitkommen oder die anderen..?«

    »Nein!« Phelan spähte angespannt zu dem Lagerhaus hinüber, aber dort rührte sich nichts. »Lenke die anderen Wachen ab. Wenn ich beim Morgengrauen nicht herauskomme, dann könnt ihr mich holen.«

    »Aber Phelan..«

    »Tu es einfach!« Phelan atmete tief durch und musste hart schlucken. Das, was er im Begriff war zu tun, war vollkommen verrückt. Warum tat er das? Die Antwort war einfach: Weil er einem Teil von sich Frieden bringen wollte. Um seiner und um Yenis willen. All die Jahre hatte ihn belastet, was die ethenischen Sklaven ihm vorwarfen, und er wollte es ein für alle Mal aus der Welt haben.

    Entschlossen streifte er sein helles Hemd ab, das beinahe wie eine Fackel im Dunkeln leuchtete, ganz anders als die alten ledernen Beinlinge, die vom vielen Tragen beinahe schwarz waren. Nach kurzer Überlegung legte er auch sein Messer ab. Das sollten sie nicht bekommen. Jeldrik sah, dass

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