Schattensprung
Von Victoria Benner
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Buchvorschau
Schattensprung - Victoria Benner
1.
Es war kalt geworden in den letzten paar Tagen und der Nebel hing in den Feldern, als Sania Besassys die Fahrt in Richtung „Le Dauphin" antrat. Sie blickte zu den Umrissen der schweren Wolken am Himmel hoch und hoffte, sie käme noch vor dem Einsetzen des Schneefalls dort an, um pünktlich ihre Schicht als Bedienung anzutreten. Ihrer Erfahrung nach lohnte es sich durchaus, diesen Knochenjob in der Weihnachtszeit zu machen.
An Hochzeiten oder aber Weihnachtsfeiern waren die meisten der Gäste sowohl betrunken als auch rührselig eingestellt. Alles in allem eine verheerende Mischung für ihr Portemonnaie.
All das sagte sich Sania wieder mal tapfer, als sie ihre Zweite zehn – Stunden - Schicht an diesem Wochenende antrat. Sie sah bereits von Weitem, dass ihr Chef mehr als angespannt war. Kein Wunder, mit gleich zwei Weihnachtsfeiern war sein Lokal vollständig ausgebucht und sein Personal mehr als beschäftigt.
Doch als sie an den Tresen trat, überfiel ihr Chef sie mit einer noch viel größeren Hiobsbotschaft. Neben den langwierigen Feiern würde es am Abend noch einen weiteren speziellen Gast geben. Dieser drohte mit seiner glänzenden Anwesenheit dem „Dauphin die endgültige Ehre anzutun. Da das Restaurant beinahe direkt neben dem größten und teuersten Hotel der Stadt lag, war es nicht das erste Mal, dass ein Superstar oder einer der Mächtigen aus Politik oder Wirtschaft dort einkehrte. Sanias Chef versuchte, das drohende Unheil von seinem Laden abzuwenden. Doch alle Vorschläge wurden in höflichem, wie auch in sehr schlechtem Französisch abgelehnt. Sania begann sich zu fragen, was wohl mehr zur Wut ihres Chefs beitrug. Die Tatsache für eine Berühmtheit jede Menge Unpässlichkeiten auf sich nehmen und einen Raum seines Lokals sperren zu müssen oder die Tatsache dass dieser „Engländer
, wie ihr Chef zwischen den Zähnen vorstieß, es wagte Sebastians schöne Muttersprache zu verstümmeln. Der Fakt das bereits jetzt schon kreischende Mädchen das Restaurant umlagerten, lies ihn nur noch wütender werden. Sania wunderte sich, wie schnell sich die Nachricht, herumgesprochen hatte. Und sie musste leicht grinsen, als sie die Predigt ihres Chefs hörte, die Belegschaft habe sich strikt an die Professionalität zu halten. Er, Sebastian, wünsche keine Grenzübertretungen zwischen dem Personal und den Gästen. Bitten um Autogramme oder andere Anbändelungsversuche wolle er hier nicht sehen. Sein Lokal müsse seinen Ruf wahren.
Während sich Sebastian immer mehr in seine Vorstellungen von Moral und Professionalität verstieg, klingelte Sanias Handy. Auf dem Display des Geräts leuchtete die Nummer ihres zweiten Chefs, Redakteur des örtlich ansässigen K.-Kuriers, auf. Sania ahnte die Katastrophe kommen. Natürlich hatte der Redakteur, ähnlich den vor dem Restaurant wartenden Damen, Wind von der brisanten Neuigkeit bekommen und wollte sich seinen Teil an der Beute sichern.
„Ich bin bereits vor Ort", war alles was Sania unauffällig in das Telefon flüsterte. Nach dieser Information begann ihr Redakteur vor Freude zu jubeln.
Sania aber überlegte, ob sie die Sache nicht lieber ablehnen sollte. Sebastian hatte vorhin sehr deutlich gemacht, was er von Annäherungsversuchen jedweder Art halten würde. Und Sania vermutete, dass ein Interview, egal wie professionell, da keine Ausnahme darstellte.
Außerdem war der Star ein Engländer und ihre Sprachkenntnisse mehr als dürftig. So oder so drohte ihr eine totale Katastrophe, eventuell sogar der Verlust eines ihrer Jobs. Andererseits konnte sie es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Das Geld, das der Artikel einbrächte, könnte sie gut gebrauchen.
Also sah Sania sich nach dem letzten Strohhalm greifen, der ihr einfiel.
Kurz, nachdem ihr Redakteur aufgelegt hatte, wählte sie die Nummer einer Studienfreundin.
Charlotte sollte den Star für sie übernehmen und auf Herz und Nieren prüfen. Sie war sich sicher, Charlotte würde sich eine derartige Gelegenheit nicht entgehen lassen, so wie sie drauf war. Charlotte war ziemlich schlagfertig, geradezu großmäulig, bis über beide Ohren durchgeknallt und, wie sie zu sagen pflegte: „… für dieses Kaff viel zu hochkarätig".
Jemand wie sie wäre die Richtige für diese Art von Auftrag und für dieses Schauspiel. Sania begann ihr hastig am Telefon zu erklären, wie genau ihr Schlachtplan aussah. Charlotte sollte mit Sanias Papieren und Informationen ausgestattet versuchen sich dem Sternchen zu nähern um ein paar exklusive Momente und Auskünfte aus ihm herauszupressen.
Charlotte lachte. „Endlich mal was los in diesem Dorf hier! Ist mir immer noch unerklärlich, warum der in eurem Kaff abgestiegen ist. München, ja vielleicht, Stuttgart, sicherlich … Aber hier?"
Sinnlos Charlotte zu erklären, wer schon alles im „Dauphin abgestiegen war. Sania dachte sich, wenn man in der weiten Welt aufgewachsen war, dann war es unter Umständen vermutlich echt unglaublich, dass es so ein Hotel genau hier geben sollte. Immerhin, sie konnte Charlotte von ihrem Plan „Doppeltes Lottchen
zu spielen überzeugen.
2.
Mit den ersten Schneeflocken traf auch endlich Charlotte ein. Nass und frierend betrat sie das dumpf-warme überfüllte Lokal.
Sie schimpfte auf die Bahn, die sie, des Wetters wegen, im Stich gelassen hatte.
Sie hasste es, zu spät zu kommen. Und schließlich war sie fast zu spät dran.
Bereits vor der Tür hatte sie erbitterte Kämpfe austragen müssen. Ihre Vorstellung gelassen und geordnet ankommen zu können war gänzlich dahin. Alles, was jetzt noch zählte, war Sania zu finden und sich des Sternchens zu bemächtigen. Sie hatte schon immer mal Reporterin spielen wollen und nun bot sich ihr eine solche Gelegenheit!
Charlotte sah Sania an der Theke stehen, wo sie auf eine Getränkelieferung wartete, welche sie in den abgetrennten Raum bringen sollte, aus dem bereits die heitere feucht-fröhliche Stimmung schwappte, die typisch für die winterliche Jahreszeit war.
Als sie mit dem vollen Tablett an ihr vorbeikam, schüttelte sie kurz den Lockenkopf.
ChlarCharlotte überlegte. Was hieß das jetzt? Dass das Ziel noch nicht da war? Das Sania gerade nicht konnte oder das es schlicht unmöglich war, an ihn heranzukommen? Charlotte beschloss, vorerst zu warten.
Als ihre Freundin mit dem leeren Tablett von der Feier kam, griff sie nach ihr und zog sie die Treppe zu den Angestelltenräumen hoch.
„Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr", zischte Sania.
„Die Bahn wollte nicht kommen. Sorry. Ich musste ewig warten", erwiderte Charlotte darauf.
Sania machte einen entnervten Eindruck. Dann meinte sie: „Zum Glück ist er noch da. Pass auf, ich gebe dir meinen Ausweis für den Fall das. Und er sitzt im „Kleinen Raum.
Charlotte wusste aus Sanias Beschreibungen, dass dies der Raum mit den Schiebetüren auf der rechten Seite war. Diese Türen waren, soweit es ihr aufgefallen war, fest geschlossen.
„Wie bitte soll ich da unauffällig reinkommen? Wo er sich doch mit seinen Leuten da drin verbarrikadiert? Ich kann da ja nicht so einfach reingehen. Schließlich vermute ich mal, dass du nicht offiziell mit ihm verabredet bist und einen Termin vereinbaren konntest. Sondern das du vorhattest auf ‚schön Wetter‘ zu machen?"
Die Möglichkeit aus purem Zufall an ein Interview zu kommen schien ihr gleich null.
Sania winkte ab: „Ich dachte entweder du mischst dich unters Volk, während wir bedienen. Es sind noch nicht alle Plätze belegt. Einer mehr fällt bei dem Treck nicht auf. Oder du siehst zu, dass du ihn allein abfängst."
„Wo das denn? Auf dem Klo?", fragte Charlotte.
Sania nickte begeistert.
Charlotte aber schnaubte nur verächtlich. „Sania, auf dem Klo will keiner gestört werden! Wenn ich ihn da abfange, ob davor oder danach, ist er sauer. Und dann musst du echt aus Scheiße Gold machen können, weil er entweder nix sagen wird oder aber weil er unfreundlich sein wird."
Sania lachte auf und drückte ihr den Ausweis in die Hand.
„Na schön, murrte Charlotte, „Ich versuche mich einzuschleichen.
Sie sah Sania ergeben an. Als sie den fragenden Gesichtsausdruck bemerkte, meinte sie: „Ja, ich weiß. Ich soll aufpassen, dass ich nicht auffalle. Aber trotzdem Augen, Ohren und Nase offen halten, damit du am Ende was zum Basteln bekommst. Charlotte sah, wie Sanias Miene sich aufhellte. Sie runzelte die Stirn. „Dir ist aber schon klar, dass ich improvisieren muss?
Sania legte den Kopf schief.
„Normale Standardfloskeln fallen unter den Tisch, wenn ich nicht auffallen soll, erklärte Charlotte. „Aber keine Sorge, ich lass mir was einfallen. Und bis dahin
, Charlotte blickte sich im Restaurant um, „bleibt mir erstmal nicht anderes übrig als brav zu warten,bis du mir ein Zeichen gibst. Bis dahin würd ich sagen verzieh ich mich an die Bar. Du weißt ja dann wo du mich findest." Sie winkte Sania lässig zu.
Charlotte sah den Abend bereits völlig unproduktiv an sich vorüberziehen, als plötzlich ein Schatten an ihr vorbeihuschte. Sie hob den Kopf von ihrer Cola, nur um festzustellen, dass das Objekt der Begierde gerade in den hinteren Teil des Lokals verschwand. Dies eröffnete nun zwei Möglichkeiten. Entweder er ging den Weg, den jeder Mensch mal gehen musste oder Herr Donoghue war damit beschäftigt, sich hinterrücks in den kleinen Schlossgarten und in die enge Seitengasse abzusetzen! Charlotte ließ ihre Cola stehen. Wenn der Typ nicht aufs Klo gehen würde, sondern sich absetze, war Sanias Job im Eimer.
„Mist!, fluchte Charlotte als ihr nach einigen Minuten Wartezeit klar wurde, dass er auf und davon war. Sie stürmte kurz entschlossen durch den Hintereingang zum Schlosshof. Doch auch hier herrschte gähnende Leere. Nur das Teeniespektakel vorn auf der Straße war zu hören. Charlotte wusste, dass die kleine Pforte zur Seitengasse im Winter abgeschlossen war, da der Garten im Winter ungenutzt im Dornröschenschlaf lag. Sie überlegte kurz: „Der ist doch nicht etwa über die Mauer geklettert?
Andererseits, durch die Vordertür zu gehen ohne Personenschutz war bei dem Auflauf ausgeschlossen.
Charlotte fluchte. Was nun?
Entweder sie musste sich vorn durch die Menge seiner Fans kämpfen, aber dann verlöre sie nur kostbare Zeit.
Oder sie musste Sania ausfindig machen und sie um den Schlüssel für die Gartentür bitten. Auch dies war ein Zeitverlust, denn wer wusste schon wie lange Sania dafür bräuchte?
„Letztendlich wirst du rübermachen müssen, seufzte Charlotte. „Herrjeh, was tu ich nicht alles für dich, Sania.
Also tat Charlotte, was sie tun musste. Sie holte ihre Tasche, Sanias Ausweis und hinterließ an der Bar eine Nachricht für die Freundin, sie sei auf der Verfolgungsjagd nach ihrem Job. Dann begann sie ihren Aufstieg über die Mauer.
3.
Charlotte lag richtig mit ihrer Vermutung. Tom Donoghue war über die Mauer geklettert. Kaum schob sie sich ächzend über den Steinwall, sah sie ihn noch, wie er am Ende der Gasse in die Innenstadt verschwand. Charlotte wettete noch immer darauf, dass sie es schaffen würde ihn zu einem Interview zu überreden, solange sie mit ihm allein sein würde.
„Für Sania!", ächzte sie. Sie musste nur an ihn herankommen.
Am Marktplatz holte sie Tom wieder ein, der gerade dabei war die neu gewonnene Freiheit zu feiern.
Bisher hatte er noch keine Aufmerksamkeit erregt. Noch ahnte niemand, wer er war.
Charlotte erkannte, sie würde schnell handeln müssen, wollte sie ihr Interview bekommen, bevor jemand auf Mr. Donoghue zustürmen könnte.
Sie raffte all ihren Mut zusammen und tippte ihn von hinten auf die Schulter.
Charlotte biss sich auf die Zunge, weil sie es nicht fassen konnte, dass sie sich tatsächlich traute einen Superstar anzusprechen.
Ja sie konnte noch nicht mal fassen, dass es überhaupt alles real war. Mitten auf dem Marktplatz des Dorfes K. existierte Tom Donoghue!
Ruckartig fuhr er herum und starrte sie an. Sorgfältig von oben bis unten.
Charlotte glaubte fast spüren zu können, wie seine Augen bei ihrem Haar, ihrem Gesicht und ihren Augen verweilten.
„Rot wie Blut, weiß wie Schnee", stieß er verblüfft hervor.
„Schwarz wie Ebenholz", beendete Charlotte den Satz.
Sie sah, wie er sie fasziniert anstarrte. Um das peinliche Schweigen zu brechen, das sich nach seinem Ausrutscher eingestellt hatte, tat sie das Erste, das ihr in den Sinn kam. Sie hielt ihm die Hand hin, zur Begrüßung.
„Nein Mr. Donoghue, ich bin nicht Schneewittchen!", lachte sie, verwundert darüber, wie natürlich ihr Lachen klang.
Immer noch verwundert starrend ergriff er ihre Hand und schüttelte sie.
„Gut,, sagte er, offenbar hatte er sich langsam von der Überraschung erholt, „wenn du nicht Schneewittchen bist, mit wem habe ich dann die Ehre?
„Typischer Engländer, dachte Charlotte sich. „Diese eigenartigen blonden Löckchen! Dafür morden also die Frauen?
Sie verzog kurz den Mund.
Dann erhaschte sie im Licht einer