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Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra
Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra
Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra
eBook703 Seiten9 Stunden

Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra

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Über dieses E-Book

Die sieben Siegel der Daakyr

Band 2 Kaltarra
Geschafft. Drakkan und die meisten seiner Gefährten haben Kaltarra erreicht, die Hauptstadt des belagerten Bergreichs Kalteon.
Statt wohlverdienter Ruhe und Erholung müssen sie feststellen, das ihre undurchsichtigen Feinde bereits vor ihnen dort angekommen sind.
Skeletthafte, untote Bogenschützen versetzen die Bevölkerung der Stadt in Angst und Schrecken, eine Mordserie bei der nur gehäutete Leichen zurückbleiben, erschüttert die Einwohner zusätzlich und die Nachrichten aus dem Rest des Landes sind kaum besser.
Attentäter lauern den Gefährten auf Schritt und Tritt auf und die einzige, die Licht ins Dunkel bringen könnte, die bewusstlose Magana ist zwar dank des Geistheilers Meister Rahpenos von ihren Verletzungen genesen, doch noch immer nicht aufgewacht.
Da verschwindet Shadarr und Drakkan wird verhaftet…
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum25. Jan. 2018
ISBN9783745087468
Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra

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    Buchvorschau

    Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra - Christian Linberg

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    Inhaltsverzeichnis

    - 1 FRÜHSTÜCKSFREUDEN -

    - 2 REISEGEDANKEN -

    - 3 KALTARRA -

    - 4 DIE HERBERGE ZUM ROTEN BAUM -

    - 5 MARKTBESUCH -

    - 6 SCHMIEDE -

    - 7 BRÜCKENZOLL -

    - 8 RITUALE UND TISCHGESPRÄCHE -

    - 9 NEUE KLEIDER -

    - 10 TRAININGSRUNDE -

    - 11 BADEFREUDEN -

    - 12 PFEILWUNDEN -

    - 13 NÄCHTLICHER BESUCH -

    - 14 EIN ZWEITER BESUCH IM BAD -

    - 15 NACHWEHEN -

    - 16 MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN -

    - 17 AUFRÄUMARBEITEN -

    - 18 EIN BESUCH IM PALAST -

    - 19 MASSAKER -

    - 20 EINGESPERRT -

    - 21 GARTENARBEIT -

    - 22 RECHT UND GESETZ -

    - 23 WIEDERSEHENSFREUDE -

    - 24 VOGELJAGD -

    - 25 GIFT -

    - 26 HÖHLEN UND PFEILE -

    - 27 PHYRIA PASHAR -

    - 28 INTERMEZZO -

    - 29 PHYRIA PASHAR – ERNEUT -

    - 30 PHYR'TAE SHO'AN LA'HAR -

    - 31 SCHAFE HÜTEN -

    - 32 DRACHENFEUER -

    - 33 DER LODON -

    - 34 FLUCHT -

    - 35 RÜCKKEHR IN DIE HÖHLEN -

    - 36 DAS LABYRINTH -

    - 37 AUFMARSCH -

    - 38 NACH OBEN -

    - 39 BÜCHERWURM -

    - 40 DIE KÖNIGIN -

    - 41 SCHLACHTAUFSTELLUNG -

    - 42 EINE NEUE AUFGABE -

    - 43 DIE SCHATZKAMMER -

    - 44 LOHN DER MÜHEN -

    - 45 HORDENNARSALHAKG -

    - 46 NACH ARINNA -

    - GLOSSAR –

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    - 1 Frühstücksfreuden -

    Ich erwachte zu den ersten Sonnenstrahlen, die den Weg in das Zimmer fanden.

    Mein Rücken fühlte sich an, als wäre jemand über Nacht darauf herumgesprungen. Mühsam rollte ich mich herum und kämpfte mich erst auf alle Viere, dann auf ein Knie und schließlich in eine annähernd aufrechte Position, die mich eher an die Affen aus den Urwäldern von Quaran erinnerte.

    Die zahlreichen Verletzungen der letzten Tage machten sich bemerkbar.

    Zwar hatten die schnellen Heilungen durch Anayas Künste und meine eigenen, dämonischen Kräfte die Wunden verschlossen und die Schäden weitgehend beseitigt, aber mein Körper gewöhnte sich einfach nicht daran. Er meldete noch immer Schmerzen an Stellen, die eigentlich wieder in Ordnung sein sollten.

    Die Folge war, dass ich mich steif und zerschlagen fühlte, als ich mich in meine Kleidung quälte. Dabei entdeckte ich zu meinem Verdruss auch die Rüstung, die ich sträflich vernachlässigt hatte.

    Zum Dank dafür war sie jetzt mit feinem Rost überzogen. Also hieß es als nächstes Putzen. Ich schnappte mir mein Putzzeug und die Rüstungsteile und schleppte alles zusammen nach unten in den Schankraum. Die Wirtin Maya war bereits an der Bar damit beschäftigt, Gläser und Becher wieder in das Regal hinter ihr einzuräumen.

    Ich begrüßte sie verschlafen und setzte mich dann an einen Tisch neben dem Kamin. Die Rüstung lud ich auf einem Stuhl neben mir ab und das Putzzeug landete auf dem Tisch. Nacheinander befreite ich nun alle Teile von Rost und überzog sie anschließend mit einer feinen Schicht Wachs.

    Öl wäre zwar schneller gegangen, aber Wachs verschmierte nicht so leicht. Außerdem hielt es länger.

    Während ich arbeitete ließ ich mir Frühstück in Form von Käse, Brot und wachsweichen Eiern kommen. Dazu einen Becher warmen Gewürzwein.

    Es dauerte nicht lange, und Kmarr gesellte sich zu mir.

    Der hünenhafte Leonide dominierte den gesamten Raum. Ich war mit mehr als zwei Schritten Größe schon eine auffällige Erscheinung in den Ländern der Menschen, aber er war mehr als einen ganzen Schritt größer als ich, hatte goldgelbes Fell und den Kopf, die Krallen und Tatzen eines Löwen, wenn auch eines Zweibeinigen.

    Seine Schnauze barg riesige Reißzähne, die den meisten Gesprächspartnern am Anfang das Gefühl vermittelten, seine nächste Mahlzeit zu werden.

    Er hatte eine lange Mähne, die er vor allem in der unteren Hälfte weitgehend zu Zöpfen geflochten trug, in die Perlen, Knochen, kleine Steine und Federn eingearbeitet waren. Zumeist trug er einen weiten ledernen Rock, der ebenfalls mit solchen Objekten verziert war.

    In der Stammeskultur der Leoniden zeigte man damit Herkunft, Rang und Familie an.

    Jetzt im Winter hatte er zusätzlich eine weite lederne Weste angezogen, die in Farbe und Stil auf den Rock abgestimmt war. Draußen hüllte er sich in einen Fellmantel, der vier normalen Menschen als Zelt gedient hätte.

    Unter der Weste trug er eine Kette aus Schneidezähnen von besiegten Gegnern um den Hals. Allerdings zum Glück nur von Tieren oder Bestien.

    Auch er hatte sich Arbeit mitgebracht, allerdings eine Andere. Bald lag der Tisch voll mit den Bauteilen seines Bolzenwerfers, einer neuartigen Waffe, die er selbst erfunden hatte.

    Er begann eine Zeichnung der einzelnen Teile.

    Seine Antwort bestätigte meinen Verdacht: Er war mit Droin übereingekommen, einen Bauplan zu erstellen, um die Waffe in großen Mengen herstellen zu können.

    Jeder Schmied sollte ein oder zwei Teile fertigen, so dass nur wer die Pläne vollständig besaß, die Waffe hinterher zusammensetzen konnte.

    Zu Hause bei Droins Klan war das nicht nötig, aber sie wollten ihre Überlegungen bereits in Kaltarra testen weil wir nicht wussten, wann wir unser Winterquartier bei Klan Fenloth erreichen würden.

    Um nicht zu verraten, wozu sie die Teile brauchten, waren ihre Überlegungen sicherlich sinnvoll.

    Ich fand die Idee gut, denn nachdem ich gesehen hatte, wie beängstigend gefährlich die Waffe war, brannte ich darauf selbst eine zu besitzen.

    Wir besprachen verschiedene Möglichkeiten die Waffe im Krieg einzusetzen und wollten den Aspekt mit Droin diskutieren, wenn er wieder zu uns stieß.

    Mir schwebte eine dicht geschlossene Formation mit schweren Schilden vor, hinter denen die Schützen langsam vorrückten.

    Kmarr war der Meinung, wir sollten Speerträger hinzufügen und beweglicher bleiben, indem wir kleinere Schilde verwendeten.

    Während wir das besprachen, gesellten sich Anaya und Jiang zu uns.

    Sie nahmen am Nachbartisch platz, nachdem Anaya kopfschüttelnd unseren Tisch betrachtet hatte, auf dem keine handbreit Platz zwischen all den Teilen, Putzzeug, Pergament und Tellern mit den Resten unseres Frühstücks übriggeblieben war.

    Die beiden bestellten sich ebenfalls etwas zu Essen und wir beratschlagten gemeinsam unsere weiteren Reisepläne.

    „Ich habe bereits nach der Magana gesehen. Ihr Körper wird immer kälter und ihre Haut ist inzwischen Grau. Ich glaube, wir müssen uns beeilen, lange hält sie nicht mehr durch.", erklärte Anaya.

    Ihr Geweih wippte bei jedem Wort hin und her und verdeutlichte ihre Sorgen um das Wohlergehen der Bewusstlosen.

    Sie war eine Aliana aus Galladorn, weiter im Süden. Sie war fast so groß wie ich, aber erheblich schlanker und hatte die athletische Figur eines Hirsches, dessen Geweih sie trug.

    Vor Jahrhunderten hatten sich die Menschen dort mit den Waldgeistern vermischt und ihre Nachfahren hatten Teile beider Völker geerbt.

    Anaya hatte neben dem Geweih eine grünliche Haut und Hufe, statt Füßen. Sie konnte damit so schnell und lautlos laufen, wie niemand sonst, den ich kannte. Falls es nötig war, konnte sie zudem ihre Gestalt ganz oder teilweise verändern, indem sie die Geister von Tieren oder Pflanzen in ihren Körper rief.

    Als Druidin konnte sie sich mit Tieren und Pflanzen verständigen. Sie gehörte dem Zirkel von Zar’gan’f an, einem obskuren Ort tief im Wald von Galladorn, den nur Eingeweihte jemals betreten durften.

    „Dann reisen wir eben schnell.", merkte Jiang in ihrem üblichen Tonfall an.

    Nichts von den gestrigen Vorkommnissen war ihr anzumerken. Sie trug ein schwarzes Seidengewand, das mit goldenen Löwen bestickt war. Gehalten wurde es von einer blutroten Schärpe mit einer goldenen Spange.

    Neben ihr lag ein flacher, kegelförmiger Hut aus Stroh, der mit dem gleichen Stoff bespannt war, aus dem auch ihr Gewand bestand.

    Sie reichte mir stehend höchstens bis knapp über den Bauchnabel, aber ihre Aura von Autorität ließ sie größer erscheinen.

    Dazu trugen auch ihre mandelförmigen Augen bei, ein Zeichen dafür, dass sie aus Shâo stammte, einem Land, weit südlich von hier, hinter den Urwaldinseln von Quaran.

    Einst war sie eine Mystikerin am Hofe des Kaisers von Shâo gewesen, aber das lag lange zurück.

    Jetzt waren die Höhlen von Klan Fenloth ihr Zuhause. Ihre manchmal seltsame Art und ihre mystischen Fähigkeiten hatte sie jedoch behalten und vor allem Letztere waren im Laufe der Zeit sogar noch stärker geworden.

    Eine ihrer merkwürdigsten Eigenschaften, war ihr seltsames Konzept von Ehre, dass sie gestern Abend in Erwartung von mir ausgepeitscht zu werden, halb nackt in mein Zimmer geführt hatte.

    Warum sie das getan hatte, war mir nicht so recht klar, aber ich hatte es aufgegeben, mir darüber Gedanken zu machen. Immerhin war mir das Kunststück gelungen, sie davon abzubringen, ohne das ich verstanden hatte, wie.

    Leider war mir nicht gelungen das zu erreichen, was ich normalerweise von halbnackten Frauen erwartete. Das hatte nichts mit Peischen zu tun, dafür aber mit mehr Nacktheit.

    „Ihr wisst doch noch, wie schnelles Reisen funktioniert, oder?", fragte sie in die Runde.

    Kmarr nickte zustimmend.

    „Natürlich. Wir sollten an sich zwei Tage brauchen, bis wir Kaltarra erreichen, aber ich denke, wir schaffen es auch an einem Tag, wenn wir uns beeilen."

    „Also ein Eilmarsch. Dann sollten wir möglichst bald aufbrechen.", schlug ich vor.

    „Ich baue den Bolzenwerfer wieder zusammen. Es fehlen nur noch drei Zeichnungen, aber die kann ich auch in Kaltarra machen."

    Kmarr begann sorgfältig die Waffe wieder zusammenzusetzen. Sein Geschick mit winzigen Teilen trotz seiner gewaltigen Pranken erstaunte mich immer wieder. Oft hielt er die einzelnen Stücke nur mit den Nagelspitzen seiner Krallen fest.

    Eine Weile sahen wir ihm dabei zu, dann begaben wir uns alle drei wieder auf unsere Zimmer und packten die Sachen zusammen.

    Ich rüstete mich vollständig für den Tag und forschte dann nach Shadarr.

    Er war gerade am Rande des Bereichs, in dem ich ihn erreichen konnte. Ich konzentrierte mich auf ihn und rief ihn dann zu uns. Heute würde ich auf ihm reiten, da wir es eilig hatten.

    Das riesenhafte Kargat gehörte zu den gefährlichsten Jägern die es gab. Sechs Beine mit fingerlangen Klauen beförderten den gedrungenen, lang gestreckten Körper mit erstaunlichen Geschwindigkeiten vorwärts, die die wenigsten Betrachter für möglich hielten.

    Immerhin wog er gut fünfzehn Fass, und damit zehnmal mehr als ich, alles dicke Muskelpakete unter grauschwarzer, ledriger Haut, die so zäh war, dass sie kaum ein Messer zu durchdringen vermochte.

    Er war über eine Mannslänge hoch und maß zweieinhalb Mannslängen vom Kopf bis zum Hinterteil. Dabei war er so breit wie ein Karren mit einem Kopf der groß war wie mein gesamter Oberkörper.

    Das Maul hatte zwei Reihen bösartiger Reißzähne, die jeden Knochen mit Leichtigkeit zermalmen konnten. Seine Ohren waren klein und lagen flach an, während die kleinen Augen tief in ihren Höhlen lagen und so nur schwer zu treffen waren. Die Nase hatte neben den vorderen, dreieckigen Nasenlöchern noch weitere links und rechts entlang des Nasenrückens.

    Alle seine Sinne waren überragend und ich war immer wieder stolz und froh, dass ich ihn als Reittier besaß, wobei es eher so war, dass ich auf ihm reiten durfte, ohne das er versuchte, mich zu fressen.

    „Ich würde vorschlagen, wir lassen den Schlitten der Magana hier und ich nehme sie zu Shadarr auf den Rücken. Dann sind wir schneller und die Nachtmahre sind nicht so schlecht gelaunt.", sagte ich zu Anaya, als ich vor ihrem Zimmer darauf wartete, dass sie die letzten Sachen verstaut hatte.

    „Gute Idee.", meinte sie zustimmend, während wir nun zusammen auf Jiang warteten.

    Zu unserer Überraschung hatte die sich erneut umgezogen. Jetzt trug sie ein schlichteres Gewand, das statt aus Seide aus feinstem, schwarzem Leder bestand. Es war wieder mit goldenen Drachen bestickt und hatte einen an beiden Seiten bis zur Hüfte geschlitzten Rock.

    Darunter trug sie ein sehr leichtes Kettengeflecht und am Gürtel hatte sie sowohl ihr Schwert, als auch ein Länge Kette, an deren einem Ende ein Messer mit sichelförmiger Klinge befestigt war. Am anderen Ende baumelte lose ein Eisengewicht, das wie ein Diamant geschliffen war.

    Sie hatte den kegelförmigen Strohhut aufgesetzt, der unter dem Kinn zusammengebunden wurde. Er war nun mit feinem, allerdings weißem Leder überzogen, das mit schwarzen Drachen dekoriert war.

    Sie wirkte völlig verändert und sah eher wie eine fremdländische Söldnerin aus, eine gute Tarnung für eine Mystikerin, deren Fähigkeiten im Umgang mit Waffen weniger ausgeprägt waren.

    Überrascht blickten wir sie an.

    „Was? Können wir gehen?", fragte sie ungehalten, wobei sich ihre mandelförmigen Augen zu schmalen Schlitzen verengten. Sie wartete nicht, sondern verschwand die Treppe hinunter.

    Wir blickten ihr hinterher, dann sahen wir uns gegenseitig an, zuckten die Achseln und folgten ihr.

    Kmarr hatte seine Waffe zusammengesetzt und verstaut und kam uns entgegen.

    „Ich bin gleich fertig meine Freunde. Holt ihr die Nachtmahre, ich bringe die Magana mit nach unten."

    Seit ich die Bewusstlose vor ihren Verfolgern gerettet hatte, versuchten wir die junge Magana nach Kaltarra zu einem Geistheiler zu bringen, der sie hoffentlich wecken konnte. Andernfalls war sie dem Tode geweiht.

    Das war auch der Grund für unsere Eile. Anaya hatte uns zu Anfang erklärt, dass jemand mit einer Kopfverletzung oft so lange bewusstlos blieb, bis er verhungert war.

    Je länger der Zustand dauerte, umso schlechter standen die Chancen. Eile war also angebracht, sonst hätten wir sie auch gleich selbst erschlagen können.

    „Wir wollen den Schlitten hierlassen. Drakk hat vorgeschlagen sie auf Shadarr zu transportieren, weil wir dann schneller sind."

    „Einverstanden."

    Er zwängte sich die Treppe nach oben, während Anaya durch die Tür zum Stall hinaus verschwand.

    Ich trat zu Maya hinüber: „Wir möchten euch den Schlitten überlassen, weil er uns zu sehr aufhält. Ihr könnt ihn behalten."

    „Aber ich kann ihn nicht bezahlen.", widersprach sie ablehnend.

    „Das macht nichts. Betrachtet es als Geschenk. Wir würden ihn ohnehin nicht mitnehmen. Und so könnt ihr vielleicht etwas mehr Vorräte mitnehmen, sollte es der Armee aus Morak gelingen hierher zu gelangen."

    „Vielen Dank. Für den Rat und den Schlitten. Ich hoffe, ihr kommt zu einer friedlichen Zeit irgendwann einmal hierher zurück."

    Wir schüttelten uns die Hände, dann verließ ich das Gasthaus durch die Tür in den Hof.

    Anaya und Jiang hatten bereits ihre Nachtmahre gesattelt und Shadarr lag in der Sonne neben dem Stall.

    Rudel heute schnell?

    Ja, wir haben es eilig. Bis zur nächsten großen Stadt.

    Viele Steinhäuser?

    Ja.

    Shadarr bleibt draußen.

    Du musst mitkommen. Wir brauchen Dich.

    Er knurrte unwillig, aber das überraschte mich nicht. Er war ungern in Städten, weil er dort nicht ohne Probleme zu verursachen jagen konnte und überall Angst verbreitete, wenn er auftauchte.

    Schließlich trat Kmarr hinaus in den Hof, mit der Magana auf dem Arm.

    „Wir setzen sie am besten vor Dich und binden sie fest, oder?"

    „Lieber hinter mich. Dann kann ich meine Arme besser bewegen. Aber festbinden ist sinnvoll."

    Kmarr half mir dabei, die Magana sicher zu platzieren. Sie zog mich nur wenig nach hinten, trotzdem würde es kein Vergnügen werden, sie den ganzen Tag dort zu haben. Er breitete ein großes Fell über sie aus, das er anschließend um uns beide herum fest band.

    Ihre Haut war nicht mehr tiefschwarz, sondern beinahe grau geworden. Ein Zeichen dafür, dass es ihr nicht gut ging. Maganer waren Nachfahren von Feuerelementaren, die irgendwann wie die Waldgeister in Galladorn ihr Blut mit dem der Menschen gemischt hatten.

    Ihr Körper war ausgezehrt, aber ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Ich konnte ihren Herzschlag durch die Kleidung spüren.

    Als Kmarr die Bänder befestigt hatte, machten wir uns schließlich auf den Weg.

    - 2 Reisegedanken -

    Ohne den Schlitten waren wir tatsächlich erheblich schneller.

    Oder wären es gewesen, aber unterwegs stießen wir immer wieder auf Patrouillen die uns aufhielten und befragten. Wir gaben so gut es ging Auskunft und zeigten den Passierschein vor. Wie erwartet gab es hin und wieder Schwierigkeiten, doch keine Gruppe wollte tatsächlich Hand an uns legen. Dafür waren wir ihnen zu unheimlich. Ein bedrohliches Knurren von Shadarr oder ein „freundliches" Lächeln von Kmarr reichte aus, um uns freies Geleit zu bescheren.

    Je weiter wir uns der Hauptstadt näherten je zahlreicher wurden die Soldaten. Oft passierten sie uns in nur wenigen hundert Mannslängen oder querten den Weg den wir nahmen, ohne anzuhalten.

    Gegen Mittag entdeckten wir vor uns den Flüchtlingsstrom. Ein langer Zug, der inzwischen von Reitern begleitet wurde, kroch wie ein schwarzer Lindwurm über die weiße Ebene. Wo sie entlang gezogen waren, blieb nur schlammiger Untergrund zurück, zertrampelt von hunderten von Füßen.

    Als wir uns näherten, sorgte unser Auftauchen erst für Entsetzen, bis einige der Flüchtlinge uns erkannten. Dann schlug die Angst in Jubel um. Wir wurden freudig begrüßt. Einige klatschten Beifall, andere schüttelten unsere Hände oder riefen uns Glückwünsche zu.

    Wir mussten immer wieder Fragen nach der Festung beantworten, und unsere Antwort, dass sie noch stand und die Belagerer nur die erste Mauer überrannt hatten, erfüllte die Leute mit neuer Hoffnung.

    Die schwarzen Rauchwolken, die wir von der Zollfeste aus gesehen hatten, verschwiegen wir ihnen lieber.

    Hatten die Soldaten, die den Zug begleiteten uns anfänglich noch misstrauisch beäugt, so entspannten sie sich, da ihnen die Reaktionen der Flüchtlinge zeigten, dass wir keine Bedrohung darstellten und sogar Nachrichten aus dem Osten brachten. Sie begannen selbst, uns Fragen zu stellen.

    Wir brauchten eine ganze Kerzenlänge um den Zug zu überholen. Dabei entdeckten wir, dass die Alten, Kranken und Schwachen inzwischen auf großen Schlitten fuhren, die von starken Ochsen gezogen wurden.

    Pragmatisch waren die Kalteaner auf alle Fälle.

    Shadarr und die Nachtmahre beäugten die Tiere hungrig, so dass wir immer einen großen Bogen machen mussten, damit wir keine Panik auslösten.

    Schließlich ließen wir die Flüchtinge begleitet von guten Wünschen hinter uns zurück und zogen weiter in Richtung Kaltarra.

    Während unseres Aufenthalts bei der Karawane war rechts von uns im Norden ein großer dunkler Strich aufgetaucht, der unser stetiger Begleiter wurde. Es war der Anfang der Irrkatt-Schlucht, die sich durch das gesamte Tal zog und dabei von Osten nach Westen stetig breiter und tiefer wurde.

    Je weiter wir uns Kaltarra näherten, je näher kamen wir auch der Schlucht. Unser Weg und die Schlucht würden sich genau in Kaltarra treffen, denn die Hauptstadt von Kalteon lag in und um die Schlucht herum.

    Ich war erst zwei Mal in der Stadt gewesen, aber beide Male hatte mich der Anblick fasziniert und so freute ich mich darauf sie erneut besichtigen zu können. Obwohl es dieses Mal vermutlich spät und schon dunkel sein würde wenn wir eintrafen, war auch der Blick auf die von Fackeln und Öllampen beleuchtete Stadt sehenswert. Nirgendwo sonst gab es so eine Art Straßenbeleuchtung.

    Sie hatten drei Schritt große Eisenpfosten aufgestellt, an deren oberen Ende sich eine Schale mit Öl befand. Zum Schutz gegen Schnee gab es darüber eine umgedrehte Schüssel aus poliertem Eisen, die das Licht vom brennenden Öl fast so gut reflektierte, wie ein Spiegel.

    Dadurch war die Stadt auch in der Nacht lebendig und es herrschte ein reger Betrieb auf den Straßen. Aus diesem Grund waren wir davon überzeugt davon, dass wir die Tore der Stadt passieren konnten, auch wenn die Sonne bereits untergegangen war.

    Wir besprachen während des Ritts unsere nächsten Schritte. Anaya wollte umgehend den Geistheiler aufsuchen, Kmarr hatte geplant, die Schmiede der Stadt damit zu beauftragen, die ersten Teile für die Bolzenwerfer zu fertigen und Jiang hatte vor, sich bei den besten Schneidern der Stadt neue Kleidung machen zu lassen, wobei sie mich seltsamerweise dabeihaben wollte.

    Als ich sie fragte warum, erinnerte sie mich unsanft daran, dass ich ihr wenigstens zwei Garnituren neuer Kleidung schuldete.

    Also brauchte sie nicht mich, sondern nur meine Geldbörse. Es hatte keinen Zweck, sie darauf hinzuweisen, dass ich damit eigentlich gar nichts zu tun gehabt hatte. Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal.

    Trotzdem grübelte ich die ganze Zeit darüber nach, ob Jiang diesen Umstand nicht ausnutzen würde und wie ich das verhindern konnte. Noch immer suchte ich einen Ausweg, fand aber keinen.

    Da uns die Karawane der Flüchtlinge Zeit gekostet hatte, verlegten wir unsere Rast auf den Rücken der Tiere. Wir aßen im Reiten eine einfache Ration aus getrockneten Früchten, hartem Käse und frischem Brot, das wir aus dem Gasthaus mitgenommen hatten. Dazu gab es Bier, welches wir mit Wasser verdünnt hatten, damit uns der Alkohol darin nicht zu Kopfe stieg. Es schmeckte so zwar nicht besonders, aber es löschte den Durst. Trotzdem hätten wir ohne die Nachtmahre niemals den Weg an einem Tag zurücklegen können. Die Tiere waren deutlich schneller als ein Pferd und ermüdeten auch nicht so schnell. Ich schätzte die Distanz von der Wachfeste bis nach Kaltarra auf gute fünfzig Meilen. Das war unter normalen Umständen ein Marsch von vier Tagen. Der Zusammenstoß mit den Höllenvögeln hatte uns Zeit gekostet, trotzdem waren wir einen Tag schneller.

    Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir einen Hügel, von dem aus wir einen ersten Blick auf Kaltarra werfen konnten. Es war jedoch noch sehr klein und weit weg. Dichte Qualmwolken standen über der Stadt. Ein Zeichen dafür, dass die immer geschäftigen Schmieden und Essen in Betrieb waren. Oranger Schein beleuchtete die Qualmwolken von unten und verliehen der Szenerie den Anblick eines vor sich hin schwelenden Vulkans.

    Wir hatten noch vier oder fünf Kerzenlängen Wegstrecke vor uns, ehe wir die Ausläufer der Stadt erreichen würden.

    „Wie lange wollen wir auf Droin warten?", fragt Anaya uns als wir uns wieder in Bewegung gesetzt hatten. Ihr ausladendes Geweih, das aus ihrer Stirn ragte, wippte sanft im Takt der Schritte ihres Reittieres.

    „Gute Frage. Ich schätze wir sehen, was der Geistheiler für die Magana erreicht, ehe wir uns entscheiden.", antwortete ich ihr.

    Das Gewicht der schlanken Frau, der ich am Rand des Schattenwaldes das Leben gerettet hatte, zog inzwischen schwer an mir, die Seile, mit denen Kmarr sie an mich gebunden hatte, schnitten mir in die Schultern, trotz Gambeson und Kettenhemd.

    Ich blickte hinüber zu dem hünenhaften Leoniden, dessen lange Beine mühelos mit unseren Reittieren Schritt halten konnten.

    „Je nach dem wie der Krieg verläuft, werden wir gar keine andere Wahl haben, als abzuwarten. Ich wüsste nicht, wie wir Kalteon nach Süden verlassen sollten.", grollte er.

    Das Bergreich, in dem wir uns gerade befanden, hatte nach Süden hin seine steilsten und schroffsten Berge voller enger Schluchten und gefährlicher Geröllfelder, durch die es nur gerüchteweise einzelne Wege gab, die allenfalls Schmuggler und Schafhirten benutzten. Der Süden war außerdem die Heimat der Drachen, und niemand der bei klarem Verstand war, wagte sich in ihr Territorium.

    Der Angriff der Armeen aus Morak hatte Kalteon vom Rest der Welt abgeschnitten, denn sie griffen das Königreich von drei Seiten aus an.

    Im Norden, Westen und Osten wurde gekämpft, so dass es im Augenblick nicht klar war, ob wir überhaupt noch eine Möglichkeit hatten, das Land zu verlassen, ohne uns irgendwie an den Kämpfen vorbei schleichen zu müssen.

    „Nach Süden zu ziehen, wäre wirklich der letzte Ausweg.", gab ich zurück.

    „Suchen wir lieber einen Weg um die Kämpfe herum, falls wir nicht in Kaltarra sitzen und warten können, bis es vorbei ist."

    „Wir bleiben auf jeden Fall so lange, bis meine neuen Kleider fertig sind.", entgegnete Jiang bestimmt.

    Wie üblich war ihre Antwort nicht als Bitte formuliert, sondern als Feststellung. Unter ihrem Strohhut, lag ihr Gesicht im Schatten und verbarg so ihre mandelförmigen Augen.

    Sie sprach wenig, aber stets mit energischem Ton, so dass wir alle oft das Gefühl hatten nur ihre Diener zu sein.

    Doch dass sie sich auch anders zu verhalten mochte, hatte sie gestern demonstriert, als sie mich darum gebeten hatte, auszupeitschen.

    Das war für mich eine unglaublich blöde Idee, und verstanden hatte ich ihre Gründe auch nicht richtig. Daher hatte ich mich geweigert. Noch immer grübelte ich darüber, wie sich das Verhältnis zwischen uns deshalb wohl entwickeln würde.

    „...wie siehst Du das?"

    Anayas Stimme unterbrach meinen Gedankengang.

    „Was? Entschuldige, ich habe nicht zugehört."

    „Ich habe gefragt, ob wir uns eine Karte von Kalteon besorgen sollten, auf der auch die kleinen Täler eingezeichnet sind.", wiederholte sie.

    Ich überlegte einen Moment.

    „Klingt gut. Wird aber vermutlich nicht billig.", gab ich dann seufzend zurück.

    Seit wir die Magana mitschleppten, schmolz meine Barschaft wie Schnee in der Sonne dahin. Und günstiger würden Waren und Dienste auch nicht werden, so lange hier Krieg herrschte.

    Die Szenerie der verschneiten Landschaft durch die wir ritten machte den Gedanken an das Leid und den Tod absurd, die nur wenige Meilen weiter herrschten.

    Hier war noch alles ruhig und friedlich und bis auf die Patrouillen weitgehend menschenleer. Hin und wieder entdeckten wir auch Bauern, die unter dem Schnee die Akaria-Wurzeln aus dem gefrorenen Boden ausgruben, aber ansonsten gab es in der verschneiten Landschaft nur wenig Abwechslung.

    Nicht selten dagegen, flogen Krähen krächzend über uns hinweg. Sie hatten es auf die Wurzeln abgesehen, die die Bauern vergaßen oder übrigließen, weil sie zu klein geraten waren. Die Blüten und Blätter der Pflanzen waren giftig, die Wurzeln dafür süßlich und äußerst nahrhaft.

    Bis auf den Wind und unsere eigenen Schritte war dies das einzige Geräusch, das uns auf dem Weg begleitete.

    Als die letzten Strahlen der Sonne schließlich hinter den Bergen verschwunden waren, tauchten in der Ferne bald darauf die Lichter der Stadt auf. Ich schätzte, dass wir noch zwei oder drei Kerzenlängen brauchen würden, ehe wir die ersten Häuser passieren würden.

    Wir verzichteten erneut darauf, Laternen oder Fackeln anzuzünden, die Dunkelsicht von Shadarr und den Nachtmahren war genug, um auf dem Weg zu bleiben.

    Außerdem wollten wir nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig auf uns lenken. Noch hatten wir keine Truppen aus Morak im Herzen von Kalteon angetroffen, aber ich befürchtete, dass wir uns nicht darauf verlassen konnten, dass es hier keine Augen und Ohren gab, die Morak berichteten.

    Zum ersten Mal empfand ich die Stärke unserer Gruppe als Nachteil. So mächtig Kmarr und Shadarr im Kampf auch sein mochten, zusammen mit mir, Anaya und Jiang waren wir nicht zu verwechseln. Jeder der uns einmal gesehen hatte, würde keine Schwierigkeiten haben, sich an uns zu erinnern.

    Ich teilte den anderen meine Gedanken mit.

    „Das werden wir nicht verhindern können.", antwortete Anaya als Erste nachdenklich.

    „Die Frage ist vielmehr, ob wir wichtig genug sind, dass die Spione aus Morak versucht sein könnten, uns anzugreifen.", ergänzte Kmarr mit ruhiger Stimme.

    „Wir nicht, aber die Magana vielleicht., warf Jiang ein: „So lange wir nicht wissen, weshalb die Soldaten aus Morak hinter ihr her sind, ist sie ein Risiko.

    „Du willst sie doch nicht etwa zurücklassen? Ich dachte das hätten wir schon besprochen.", erwiderte ich überrascht.

    „Nein. Wir müssen uns nur bewusst sein, dass sie diejenige ist, die Schutz braucht. Wir sind höchstens im Weg.", gab sie zurück ohne dabei die Stimme zu erheben.

    „Vielleicht sollten wir zusätzliche Wachen anheuern.", grübelte Kmarr halblaut.

    „Wie können wir denen vertrauen? Wenn sich ein Spion darunter mischt, laden wir unsere Gegner doch geradezu ein.", widersprach Anaya wenig angetan.

    „So würde man es in Shâo machen., nickte Jiang zustimmend: „Ein Frosch schmückt sich mit Federn, will er nicht vom Reiher gefressen werden.

    Ihr schulmeisterlicher Tonfall ging mir mal wieder gehörig auf die Nerven, daher war ich geneigt, Kmarr zuzustimmen.

    „Ich finde den Vorschlag nicht schlecht, wir müssen den Söldnern ja nicht sagen, worum es wirklich geht, nur dass sie den Flur oder die und die Tür bewachen sollen. Oder wir lassen sie gar nicht erst ins Haus, sondern postieren sie darum. Zumindest hätten wir so eine erste Warnung, ehe wir ungebetenen Besuch bekommen."

    „Wir können Wachen aus der Diebesgilde rekrutieren.", überlegte Jiang.

    „Was, Du willst mit Verbrechern arbeiten? Und was wenn sie uns beklauen, während sie Wache schieben?", entgegnete Anaya entsetzt.

    „Diebe haben einen Ehrenkodex. Die meisten Diebstähle werden beauftragt. Ein Dieb schleicht sich selten auf gut Glück in das Haus eines Reichen, um nach wertvollen Dingen zu suchen. Zu großes Risiko. Meistens werden sie beauftragt etwas Bestimmtes zu stehlen. Wenn sie einen Auftrag angenommen haben, führen sie ihn auch aus.", Jiang klang sehr überzeugend.

    Auch als sie fortfuhr: „Außerdem wird das Letzte, was die Spione aus Morak erwarten sein, dass wir Schurken und Halsabschneider anwerben, um uns und die Magana zu schützen."

    Das leuchtete mir ein.

    Wir diskutierten den Vorschlag eine Weile, bis wir uns schließlich doch dagegen entschieden, denn wie Anaya zu bedenken gab, mochten Moraks Spione ebenfalls Kontakte zur Diebesgilde haben. Wenn dem so war, dann waren sie längst vor uns an die Diebe herangetreten.

    Nachdenklich warf ich den beiden Frauen Blicke zu. Bisher hatte es noch keine Gelegenheit gegeben, mit Anaya über das zu reden, was Jiang gesagt hatte.

    Ich wollte sie nicht in alles einweihen, aber ich wollte ihr auch nicht verschweigen, was passiert war. Das Letzte, was ich jetzt brauchen konnte, waren zwei Frauen, die mir Schwierigkeiten bereiteten.

    Wie aufs Stichwort erklang Shadarrs Stimme in meinen Gedanken:

    ‚Richtgut möchte Paaren mit Rudelführer.

    Flinkhuf unsicher, möchte erst Worte tauschen – und  dann auch Paaren mit Rudelführer.’

    ‚Danke. Das weiß ich schon’, gab ich entnervt zurück.

    ‚Dann Paaren mit beiden. Große, starke Kinder machen. Rudel zu klein.’

    Als ob wir jetzt Kinder gebrauchen könnten. Im Geiste sah ich mich umgeben von einer Horde Kinder, die lachend und schreiend zwischen meinen Beinen herumrannten und abwechselnd auf Shadarr reiten wollten.

    Shadarr empfing offenbar die Bilder, denn er knurrte zustimmend.

    Unaufgefordert mischten sich Bilder von kleinen Kargat darunter, die sich an dem Chaos beteiligten.

    ‚Hey, nicht so schnell, das war nur ein Gedanke.

    ‚Rudelführer denkt klug. Nachkommen wichtig.’

    ‚Ich hab' s aber nicht eilig mit Kindern.’

    ‚Bald Zeit für Shadarr. Suchen starkes Weibchen für viele Kinder.’

    Das war mir neu. Shadarr hatte das Bedürfnis, Kinder zu zeugen?

    ‚Wann?’, fragte ich ihn neugierig.

    ‚Zweimal Winter. Dann Shadarr verlässt Rudel und kommt mit Weibchen zurück.’

    Also noch zwei Jahre. Ich war erleichtert, dass er nicht sofort aufbrechen wollte. Er hatte ein seltsames Zeitverständnis. Bald konnte auch morgen oder nächsten Monat heißen. So aber hatte ich noch zwei Jahre Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen.

    ‚Wie lange wirst Du suchen müssen?’

    ‚Shadarr groß und stark. Weibchen muss auch groß und stark sein. Schwer zu finden. Lange suchen’, antwortete er in seltsamem Tonfall, eine Mischung aus Stolz und Bedauern.

    ‚Dann wünsche ich Dir Glück. Komm schnell wieder und bring Deine Frau mit. Wird sie mich als Rudelführer akzeptieren?’

    Shadarr schwieg eine Weile.

    ‚Wir kämpfen‘, kam dann seine leise Antwort.

    Ich schluckte. Wenn es etwas gab, worauf ich überhaupt keinen Wert legte, dann darauf noch mal mit Shadarr kämpfen zu müssen.

    Gut. Dann kämpfen wir.

    ‚Rudelführer stark. Shadarr stark. Guter Kampf. Sehr guter Kampf. Shadarrs Rudel stärkstes Rudel von allen’, hallte seine Stimme grollend in meinem Kopf wieder.

    ‚Ist das wichtig?’, wollte ich wissen.

    ‚Shadarrs Rudel besiegt König, dann Shadarrs Rudel Königsrudel.

    Die Antwort verblüffte mich so sehr, dass ich vergaß zu antworten. Ich schnappte hörbar nach Luft.

    „Was ist los?", fragte Anaya, die mich gehört hatte.

    „Shadarr hat mir gerade gesagt, dass es unter den Kargat ein Königsrudel gibt, das über alle anderen Kargat bestimmen darf. Und er möchte um den Posten kämpfen, wenn er mit einem Weibchen zurückkehrt."

    Ich erklärte ihnen, was Shadarr mir gesagt hatte, ließ aber den Teil über Jiang und Anaya weg.

    Die Anderen waren ebenso verblüfft, besonders Anaya. Sie hielt ihr Nachtmahr an.

    „Ich muss mit meinen Brüdern und Schwestern im Zirkel sprechen. Wenn es wirklich so ist wie Du sagst, sind die Kargat ein eigenes Volk und müssen anders behandelt werden als bisher. Sie sind keine Raubtiere."

    Mir war das auch vorher schon klar gewesen. Wie viele Tiere redeten schließlich mit der Beute, bevor sie sie fraßen?

    Doch für Anaya schien das eine besondere Bedeutung zu haben.

    „Was ist daran so wichtig?", wollte Jiang gelangweilt wissen.

    „Wir unterscheiden Tiere und Völker darin, dass sie eine eigene Sprache besitzen, eine soziale Rangordnung und die Fähigkeit mit anderen Wesen zu kommunizieren. Ich habe schon vermutet, dass die Kargat mehr sind als besonders intelligente Tiere."

    Shadarr knurrte bei dieser Aussage. Außerdem blickte er sie böse an.

    „Seht ihr, er versteht was ich sage.", ergänzte sie, ohne sich von seiner Reaktion beeindrucken zu lassen.

    „Er und sein Volk stehen auf einer Stufe mit unseren Völkern. Und so müssen sie auch behandelt werden. Keine Jagden mehr, nur weil sie Schafe und Rinder töten. Sie sind nicht anders als Leoniden.

    Unser Zirkel und auch alle anderen jagen niemals Angehörige eines Volkes mit Verstand und Weisheit.

    Wenn die Kargat dazu gehören, muss ich meine Brüder und Schwestern darüber informieren, dass wir in Zukunft nie wieder Bauern und Waldarbeitern dabei helfen werden. Entschuldigt bitte, aber das duldet keinen Aufschub."

    Sie lenkte ihr Mahr zur Seite und blieb dann neben dem Weg stehen, direkt an einem Baum mit niedrigen hängenden Ästen. Sie legte ihren Kopf in den Nacken und stieß einen schrillen Schrei aus, der klang wie der eines Bergadlers.

    Eine Zeit lang geschah nichts und sie wiederholte den Ruf ein paar Mal. Doch dann schoss schließlich ein Schatten aus dem Himmel herab und landete auf einem der Äste.

    Es war tatsächlich ein Bergadler, der ihrem Ruf gefolgt war. Das Tier war bestimmt eine Elle lang und musste sechs oder sieben Stein schwer sein. Es war noch jung, aber kräftig.

    Lange Zeit starrten sich Anaya und der Vogel an, ohne ein Geräusch zu machen, doch dann stieß der Adler einen Schrei aus und Anaya zog aus ihrer Provianttasche einen großen Brocken getrocknetes Fleisch hervor und hielt ihn am ausgestreckten Arm hoch.

    Der Adler breitete seine Schwingen aus und stieß sich ab. Im Flug griff er das Fleisch und stieg dann mit ein paar schnellen Flügelschlägen in den Nachthimmel auf. Noch einmal kreischte er zum Abschied, dann war er verschwunden.

    Leider konnte sie so keine Nachricht an Droin übermitteln, weil dieser den Vogel nicht verstehen würde. Ansonsten fand ich die Fähigkeit höchst beeindruckend.

    Der Adler würde schnell und ausdauernd nach einem anderen Druiden suchen, der dann die Nachricht wiederum an andere weiterleiten würde. So verbreitete sich die Nachricht schnell über weite Strecken.

    Sie schien sehr zufrieden mit sich, als sie sich wieder zu uns gesellte.

    „Es wird eine Weile dauern, bis ich Antwort erhalte, aber es musste getan werden."

    Shadarr grollte zustimmend.

    Ich hatte jedoch den Eindruck, dass er besonders wachsam Anayas Reaktion verfolgt hatte.

    - 3 Kaltarra -

    Von dieser Unterbrechung abgesehen, verlief der Rest des Weges ohne weitere Zwischenfälle. Zwei Kerzenlängen später erreichten wir die ersten Gebäude vor den Toren von Kaltarra. Von dort aus würde es nicht mehr lange bis zur Stadtmauer dauern.

    Wir passierten zunächst große Gehöfte, die noch in einiger Entfernung zur Straße lagen. Doch je näher wir der Stadt kamen, je dichter rückten die Häuser an die Straße.

    Schließlich konnten wir unter dem Schnee die ersten Pflastersteine erspüren, ein deutliches Zeichen für die Nähe einer Stadt.

    Die Häuser hier am Rand der Straße waren klein und ärmlich. Nur aus Holz erbaut und mit Dächern aus dünnen Steinplatten. Ich war ziemlich sicher, dass sie nur aus einem Raum bestanden, in dessen Mitte eine kleine Feuerstelle in den Lehmboden eingelassen war. Ein kleines Loch im Dach diente als Rauchabzug.

    Aus den meisten Häusern stieg Rauch auf. Der Geruch von brennendem Holz mischte sich mit dem Essensduft zu einer äußerst appetitlichen Mischung. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und ich freute mich schon auf ein reichhaltiges Essen.

    Die Bewohner waren also alle zu Hause und gerade dabei ihre Abendmahlzeit zuzubereiten. Das war vermutlich der Grund, warum wir bislang niemanden getroffen hatten. Darüber war ich ganz froh, denn das bedeutete weniger Zeugen, die uns beschreiben konnten. Doch das würde nicht lange so bleiben. Inzwischen konnten wir die Stadtmauer hinter den Häusern aufragen sehen.

    Die ersten Menschen auf die wir dann schließlich trafen wichen erschrocken in ihre Häuser zurück und verbarrikadierten ihre Türen.

    Viele liefen schreiend und um Hilfe rufend davon. So gut sie konnten, versteckten sie sich hinter den umstehenden Häusern oder verschwanden in schmalen Gassen. Hunde bellten oder rannten nach dem Knurren von Shadarr winselnd davon.

    Wir passierten sowohl die Häuser als auch die Leute ohne auch nur einmal anzuhalten. Schließlich bogen wir um eine Kurve, hinter der wir den ersten direkten Blick auf die Stadtmauer werfen konnten.

    Die Straße endete eine Bogenschussweite entfernt an einem flachen Turm in dem sich das zweiflügelige Tor befand.

    Turm und Mauer wirkten alles andere als beeindruckend. Letztere war nur drei Mannslängen hoch und oben rund, so dass niemand wirklich darauf stehen konnte. Der Turm war nur eine Mannslänge höher, und hatte oben ebenfalls ein rundes Dach, statt eine Plattform zur Beobachtung der Umgebung.

    Aber ich wusste aus Erfahrung, dass der Eindruck täuschte, denn die eigentliche Verteidigung der Stadt kam erst dahinter. Die erste Mauer diente nur dazu, unaufmerksame Angreifer in eine Falle zu locken. Sie verfügte über zahlreiche Schießscharten, die sowohl nach innen als auch nach außen zeigten. Im Inneren der Mauer gab es zwei Gänge die es den Verteidigern erlaubten, auf zwei Etagen Angreifer mit Bögen und Armbrüsten zu beschießen, ohne dass die Angreifer dabei die Chance hatten, näher an sie heran zu kommen.

    Sinn machte die Konstruktion nur durch die einzigartige Stadt dahinter. Doch soweit waren wir noch nicht.

    Vor dem Tor wartete eine kleine Gruppe aus Händlern, Bauern und Handwerkern auf Einlass. Von Ochsengespannen gezogene Wagen und kleine Handkarren wechselten sich ab. Einer der Bauern führte zwei laut meckernde Ziegen an einer Leine, ein anderer versuchte drei Käfige mit gackernden Hühnern, auf seiner Schubkarre, zu balancieren. Drei Händler saßen auf einem Berg Waren, den sie auf Weisung der Wachen am Tor gerade von ihrem Wagen abgeladen hatten. Ein Vierter stand wild schimpfend daneben und deutete abwechselnd auf sich, die Waren und dann auf die zwei Wachen, die die Habe in aller Seelenruhe untersuchten.

    Das Geschrei der Menschen auf der Straße hatte gerade alle Aktivitäten zum Erliegen gebracht und jetzt drehten sich die Leute neugierig in unsere Richtung.

    Eine Abteilung Soldaten war bereits an ihnen vorbeimarschiert und in unsere Richtung unterwegs, um die Ursache für den Tumult zu überprüfen. So nah an der Stadt schienen sie nicht übermäßig besorgt, denn keiner von ihnen hatte eine schussbereite Armbrust oder ein gezogenes Schwert in der Hand. Vielmehr schwenkten sie Knüppel und Diebesschlingen in den Händen. Das waren lange Stangen mit einer Drahtschlinge am Ende. Wenn man geschickt war, konnte man jemandem die Schlinge um den Hals legen. Dadurch konnte man einen Dieb oder Räuber aus der Distanz fangen und war gleichzeitig vor dessen Attacken sicher.

    Oder man stellte einem Unruhestifter damit ein Bein, wenn er zu fliehen versuchte.

    Langsam schälten wir uns aus der Dunkelheit und betraten den Schein der Stangenlampen, die hier das letzte Stück der Straße zum Tor beleuchteten.

    Die Patrouille, die uns als erstes erkannte, blieb stocksteif stehen. Sie waren sich nicht sicher, was sie unternehmen sollten, obwohl sie ein Dutzend Köpfe zählte.

    Doch allein Shadarr war so breit gebaut, wie zwei Männer, zudem auch größer als ein Pferd und so lang wie ein Wagen. Kmarr, der neben mir ging, machte die Sache nicht besser. Er überragte alles in der Umgebung – die meisten Häuser eingeschlossen.

    Um sie nicht zu provozieren, hielten wir an und warteten. Schon häufiger waren wir mit Banditen oder Wegelagerern verwechselt worden, daher näherten wir uns einer Stadt normalerweise nur sehr, sehr vorsichtig.

    Einen langen Augenblick standen wir uns – kaum zehn Schritte von einander entfernt – gegenüber. Keiner bewegte sich.

    Dann entdeckten uns die wartenden Bürger. Bei unserem Anblick stieß eine Frau einen schrillen Schrei aus und drängte sich nach vorne in Richtung Tor.

    Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Ankunft gefährlicher Fremder, die auf Monstern ritten. Entsetzt deuteten die Leute, die uns entdeckten auf uns und flüchteten dann zum Tor. Wie eine Welle erfasste Panik die Menschen weiter vorne, die nicht sehen konnten, was vor sich ging und plötzlich versuchten alle gleichzeitig durch das Tor zu gelangen.

    Die Wachen, aufgeschreckt durch das Verhalten der Leute, strömten aus dem Tor, um ihre Landsleute vor den möglichen Angreifern zu schützen, für die sie uns irrtümlich hielten.

    Endlich erwachten die Soldaten der Patrouille vor uns aus ihrer Erstarrung. Sie ließen ihre Knüppel und Diebesstangen fallen und griffen nach ihren Schwertern und Armbrüsten, zögerten aber, näher zu kommen.

    Wir ließen unsere Waffen wo sie waren und streckten die offenen Hände in einer Geste des Friedens aus.

    „Niemand wünscht euch Schaden., erklärte Kmarr mit seiner tiefen, ruhigen Stimme: „Wir kommen in Frieden und mit Nachrichten vom Krieg aus dem Osten. Wir haben einen Passierschein, der unsere redlichen Absichten erklärt.

    Der Speerwächter, der die Patrouille anführte trat unsicher vor: „Dann zeigt her! Nur einer von euch. Du da. Er deutete auf mich: „Komm von Deinem Ungeheuer runter und bring mir das Schreiben.

    „Wenn sich seine Freunde bewegen, tötet sie.", fügte er leise zu seinen Männern gewandt hinzu. Als ich die Worte hörte musste ich mir ein Grinsen verkneifen, während Kmarr langsam zu mir hinübertrat.

    Er löste die Seile, mit der wir die Magana auf meinem Rücken festgebunden hatten. Dann hob er sie sanft herunter und hielt sie in seinen Armen. Sie wirkte winzig darin und friedlich.

    Ich glitt ächzend von Shadarrs Rücken und nahm von Jiang den Passierschein entgegen. Ganz ruhig ging ich auf die Soldaten zu, so dass sie immer meine Hände und den Passierschein darin sehen konnten.

    Sie wichen trotzdem ein paar Schritte zurück – was ich ihnen nicht verdenken konnte. Shadarr war eine riesenhafte Bestie und das verzerrte die Wahrnehmung auf mich, so dass ich erheblich kleiner wirkte, als ich war.

    Die Soldaten, denen ich mich gegenübersah, waren alles kräftige Männer, trotzdem waren sie fast zwei Köpfe kleiner als ich.

    „Ihr seid ein Kaltländer, oder?", wollte der Speerwächter wissen.

    „Ja. Entschuldigt unser überraschendes Auftauchen. Ich bin Drakkan Vael. Dies sind meine Gefährten Kmarr, Anaya und Jiang. Wir suchen Heilung für die Magana, die wir hierhergebracht haben, bequeme Betten und eine warme Mahlzeit., erklärte ich möglichst freundlich, damit es keine Missverständnisse gab: „Hier ist unser Passierschein.

    Der Offizier prüfte das Dokument lange und sorgfältig, was ich durchaus verstehen konnte. Die Armbrüste, die auf mich gerichtet waren, beunruhigten mich zwar ein wenig, aber ich ging davon aus, dass sie nicht so nervös waren, aus versehen auf mich zu schießen, sonst hätten sie es wohl schon getan.

    Schließlich schien der Mann halbwegs befriedigt. Sichtlich entspannt gab er mir die Unterlagen zurück: „Danke, wie ihr ja sicherlich wisst, herrscht Krieg und da können wir nicht vorsichtig genug sein."

    „Natürlich. Wir sind ein solches Verhalten gewöhnt."

    „Das kann ich mir vorstellen.", meinte er mit Blick auf unsere seltsame Gruppe.

    Der Mann war von durchschnittlicher Größe und Statur und außer einer Narbe auf der linken Wange war wenig von ihm unter Helm und Rüstung zu erkennen.

    „Willkommen in Kaltarra Reisende. Haltet Euch an die Gesetze der Stadt und genießt euren Aufenthalt.

    Ich denke wir werden den Bewohnern entlang der Straße erklären müssen, dass ihr nicht zum Feind gehört, besonders wenn die Gerüchte über Monster und Dämonen stimmen.

    Zwei meiner Männer begleiten euch zu eurer Herberge, damit es in der Stadt keinen Tumult gibt."

    Und damit Du weißt, wo wir zu finden sind, wenn es doch Ärger gibt, fügte ich in Gedanken hinzu, sagte aber nichts.

    Ich kletterte wieder auf den Rücken von Shadarr, ehe wir unseren Weg fortsetzten. Zwei Wachen gingen uns voraus. Als die Leute erkannten, dass offensichtlich keine Gefahr bestand, wandelte sich ihre Angst in Neugier. Sie bestaunten unsere exotische Gruppe und vor allem Shadarr, dessen riesenhafte Gestalt sie am meisten beeindruckte. Sie tuschelten untereinander und spekulierten darüber, welche Art Monster er wohl darstellte.

    Ich spürte, wie er sich stolz in Positur warf. Er reckte seinen Kopf weiter nach oben und grollte und knurrte hin und wieder bedrohlich.

    Die beiden Soldaten, die vor uns her gingen sahen sich immer wieder nervös um, so als erwarteten sie jeden Augenblick, dass Shadarr sich auf sie stürzten würde. Wirklich gute Wachen hätte uns vorgehen lassen – mit gehörigem Abstand.

    Kmarr trug unterdessen wieder die Magana. In seinen Armen wirkte sie winzig, fast wie eine Puppe. Er hatte sie in Felle und Decken gehüllt, so dass nur noch ihr Kopf herausragte. Hätte ich nicht gewusst, dass sie lebendig war, er hätte auch eine Statue tragen können.

    Ich machte mir Sorgen um die Fremde, war aber zugleich froh, dass wir endlich Kaltarra erreicht hatten.

    Ungehindert passierten wir das Tor, oder besser die Tore. Zwei paar Torflügel führten durch die Mauer hindurch. Der Weg dazwischen war abschüssig und wer dahinter Häuser und Straßen erwartete, musste sich auf eine Überraschung gefasst machen. Der Weg wandelte sich zu einem Tunnel, der tiefer unter die Erde führte.

    Er war vier Mannslängen breit und zwei Mannslängen hoch. Gerade so, dass ich und Kmarr uns nicht die Köpfe stießen. In Abständen einer Seillänge hingen große, mit Öl gefüllte Schalen an Ketten von der Decke. Der Ruß den sie absonderten, hatte die Decke schwarz gefärbt. Ich musste mich immer wieder ducken, um nicht daran hängen zu bleiben.

    Der Tunnel war nicht besonders lang, nur etwa eine Bogenschussweite. Dann öffnete er sich nach einem weiteren Tor zu einer breiten Plattform. Links und rechts von uns waren große Stallungen in den Fels geschlagen worden, in denen Wagen und Zugtiere untergebracht werden konnten, die die steilen und gewundenen Pfade der Stadt nicht bewältigen konnten. Hier wurde Ware aus allen Teilen der Welt auf kleine Karren und Wagen umgeladen. Träger liefen geschäftig hin und her, um kleinere Mengen auf ihren Rücken durch die Stadt zu befördern.

    Der ganze Platz war ein Gewimmel aus Menschen, Tieren, Kisten, Kästen, Säcken und Wagen. Es wurde geschrieen, geflucht und gefeilscht. Gerüche von Gewürzen, Parfums, Schweiß und Leder, Feuer und Fellen mischte sich zu einer einzigartigen Note, wie auf einem südlichen Basar oder in einem Imperialen Hafen.

    Nach den langen Tagen des Kampfes war es eine Wohltat endlich wieder so viele Menschen zu sehen, die ihren alltäglichen Geschäften nachgingen. Doch es gab auch hier Anzeichen des Krieges. Soldaten standen überall zwischen den Händlern herum. Sie beobachteten die Szenerie genau und warteten auf den kleinsten Anlass, einzuschreiten.

    Viele Händler hatten bewaffnete Wachen angeheuert, die ebenfalls aufmerksam die Umgebung ihrer Schutzbefohlenen im Auge behielten.

    Taschen wurden geöffnet, Fässer untersucht, Kisten ausgepackt. Alles wurde sorgfältig kontrolliert.

    Während ich die Umgebung einen langen Augenblick betrachtete, gewann ich den Eindruck, dass deutlich mehr Waffen und Kriegsgerät zu den Handelswaren gehörten, als es sonst üblich war. Und trotz der offensichtlichen Anzeichen war es ziemlich friedlich.

    Die Leute schienen jedoch etwas zu laut und es zu eilig zu haben. Eine gewisse Nervosität lag über der Stadt. Daher war es nicht verwunderlich, dass wir einiges an Aufsehen erregten. Die Leute wichen auch hier zurück und gaben eine Gasse frei, so dass wir den gegenüberliegenden Rand der Plattform erreichen konnten, von dem aus uns ein erster Blick auf Kaltarra möglich wurde.

    Die Stadt lag in einem lang gezogenen Tal, das grob in West-Ost-Richtung verlief. Die steilen Talwände fielen von hier aus noch über fünfhundert Schritte bis zum Talboden ab, durch den sich der Irrkatt wand.

    Zuvor noch ein kleiner Bach, war er inzwischen zu einem breiten reißenden Strom geworden voller Stromschnellen und Untiefen. Der schmale Talboden und die Wände links und rechts davon wurden von Wohnhäusern gesäumt. Wie Schachteln übereinander, standen und hingen sie an den Wänden. Mache der Gebäude waren in den Felsen getrieben, oder von innen aus ihm herausgeschlagen worden.

    Fast alle hatten flache Dächer und Treppen, Leitern oder Stiege, die darüber hinweg führten und sie so mit den benachbarten Häusern verbanden. Diese hatten wiederum selbst Dächer, damit sie auch im tiefsten Winter passierbar blieben. Der größte Teil der Bauten stand auf beiden Seiten unter einem Überhang, von oben geschützt durch eine massive Felsendecke. In Jahrtausenden hatte der Irrkatt hier dieses riesige Tal geschaffen.

    Einst war es eine Höhle gewesen, doch irgendwann, lange bevor der erste Mensch seinen Fuß auf den Boden gesetzt hatte, war die Decke eingestürzt. Stangenlampen erhellten überall die steilen Wege und Treppen, die sich durch die Stadt wanden. Es gab außer den Dächern kaum so große Freiflächen wie die Plattform auf der wir uns befanden. Alles war eng und gedrängt und doch genoss ich den Ausblick, den wir gerade hatten.

    Das Beeindruckendste aber war die Nadel. Ein gewaltiger Felsen, der aus der Mitte des Flusses ragte und von dessen Wassern tosend umströmt wurde. Er mochte eine Bogenschussweite im Durchmesser betragen und ragte fast bis zur oberen Kante des Tals hinauf. Ganz oben lag die Festung Kaltarra, in der sich auch der Königspalast befand.

    Die Wurfarme zahlloser Katapulte und Schleudern ragten über die Mauern der Festung, bereit den Bereich um die Stadtmauer mit ihren tödlichen Geschossen zu bestreichen.

    Der ganze Felsen war durchzogen von Gängen und Tunneln. Steile Treppen und Rampen wanden sich um ihn herum, und Häuser bedeckten ihn fast so dicht wie Muscheln einen Schiffsrumpf.

    In jeder Höhe und Richtung spannen sich Brücken von der Nadel zu den Seitenwänden des Tals.

    Brücken auf Bögen, auf Pfeilern, Hängebrücken und einfache Seilkonstruktionen, Brücken aus Holz, Stein und sogar aus Eisen, Brücken mit hohen Geländern oder einfachen Mauern, bis Weilen sogar ohne seitlichen Schutz, manche verziert mit kostbaren Statuen, andere so einfach, dass man sie praktisch übersah.

    Alles scheinbar ohne System und von einem Verrückten erdacht, so ermöglichte das Chaos den Bewohnern doch, schnell die andere Seite des Tals zu erreichen, ohne dazu erst zu den Flussbrücken am Talboden hinabsteigen zu müssen.

    Weil Platz kostbar war, standen sogar Häuser auf den Brücken, teilweise so viele, dass man durch sie hindurch laufen musste, wenn man eine davon überqueren wollte, oder man lief über das Dach, weil das Haus praktisch unter der Brücke hing.

    Seile mit Plattformen daran, die man als Seilbahnen bezeichnete, konnten Passagiere und Fracht sogar quer über das Tal von

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