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T A U B: Die Geschichte des Ilian Quindt
T A U B: Die Geschichte des Ilian Quindt
T A U B: Die Geschichte des Ilian Quindt
eBook275 Seiten3 Stunden

T A U B: Die Geschichte des Ilian Quindt

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Über dieses E-Book

Der alternde Psychologe Steinle übernimmt die Aufgabe, den spätertaubten Ilian Quindt zu begutachten. Seine rätselhafte Persönlichkeit und seine außergewöhnlichen Fähigkeiten ziehen den Psychologen in Bann. Ihre Begegnungen münden zunehmend in einen psychologischen Zweikampf, der beide Protagonisten auf eine Odyssee zu ihren eigenen verschlossenen Räumen führt. Vertrauen und Sympathie füreinander wachsen bei dieser inneren Spurensuche. Gleichzeitig nehmen im Äußeren die dramatischen Entwicklungen ihren Lauf. Als Ilian Quindt spurlos verschwindet, eskalieren die Ereignisse. Eine abgründige Intrige kommt zum Vorschein…
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum27. Mai 2014
ISBN9783844291117
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    Buchvorschau

    T A U B - Wolfgang Hölzle

    I    DIE  SAAT

    1

    Joshua schlief sehr unruhig in den letzten Nächten. An seinen eigenen Schreien wachte er auf. Mit beiden Händen hielt er sich den Kopf und hoffte, die schwere Last in seinem Innern würde entweichen. Diese Nacht hatten die Ahnen ihn erneut besucht. Er konnte sie nicht sehen, aber er wusste, dass sie bei ihm waren. Ihre Botschaften konnte er jedoch nicht enträtseln. Sein Großvater hatte immer gewusst, was die Ahnen mitteilen wollten.

    Vorsichtig tastete Joshua sich zum Lichtschalter. Die Glühbirne flackerte scheu. Erst als er ein paar Mal mit dem Fingerknöchel behutsam an die dünne Glashülle klopfte, erhellte das Licht den kleinen Raum.

    Er blickte zum Fenster. Das Moskitonetz am Fensterrahmen hielt einfach nicht. Joshua stand auf und drückte das Netz mit dem gebogenen Nagel nochmals fest.

    Weit in der Ferne zuckte der Himmel leuchtend auf. Die Gewitter brauten sich seit langem nur noch im Westen zusammen. Selbst am wolkenverhangenen Kirinyaga fiel dieses Jahr nur wenig Regen. Wie viele Wochen hatte es im Hochland schon nicht mehr geregnet, fragte er sich. An solche langen Trockenzeiten erinnerte er sich gar nicht mehr.

    Sein Großvater konnte noch Regen machen. Wenn der ausgedörrte Boden der Saat kein Leben mehr einhauchen konnte, verschwand sein Großvater spurlos aus dem Dorf und alle wussten, dass er den Regen bringen würde. Manchmal erst nach vielen Tagen, aber genau mit den dunklen Wolken am Himmel, tauchte der Großvater wieder auf. Kurze Zeit später regnete es. Er war ein von allen geachteter Mann, ein Arathi, ein Seher, dem alle im Dorf viel zu verdanken hatten.

    Joshua sog die trockene Nachtluft ein. Nein, der Regen würde weiterhin ausbleiben. Zögernd setzte er sich auf das knarrende Bett und versuchte, sich an die nebelhaften Bilder der Nacht zu erinnern. Er entsann sich an einen Tümpel, an ein Bachbett. Die steil aufragende Felswand, aus der zwischen den Steinplatten das Wasser rieselte, kam ihm seltsam bekannt vor und dann auch wieder nicht. Er erinnerte sich außerdem, dass er immerzu auf die andere Seite des Gewässers starrte, aber er wusste nicht weshalb. Plötzlich fielen ihm die Menschen ein, die bei ihm waren, fremde Menschen, die er nicht kannte. Diese Fremden warteten ebenfalls am Rand des Tümpels und blickten desgleichen unentwegt auf die andere Seite des Ufers. Einer dieser Fremden hatte keine Ohren. Schrecklich musste es sein, ohne Ohren zu leben.

    Was bedeutete all das? Bestimmt hätte sein Großvater es ihm sagen können. Aber dieser hatte schon vor langer Zeit die große Reise angetreten, saß nun im Kreis der Ahnen, lenkte die Geschicke der Kikuyu und hatte seinen undankbaren Enkel bestimmt vergessen. Auch sein eigener Vater war nach heftigen Stammesfehden schon sehr früh zu den Ahnen gerufen worden.

    Schon als Junge hatte sich Joshua geweigert, von den Alten zu lernen. Ihre Bräuche hatte er belächelt, genauso wie ihre Ehrfurcht vor dem heiligen Berg Kirinyaga. Er wollte von den Gesängen und Tänzen seines Volkes, die den Regen bringen und die Heuschrecken vertreiben sollten, nichts wissen. Wo immer es möglich war, entzog er sich der täglichen Arbeit auf den Feldern, weswegen sein Großvater ihn besonders tadelte. Joshua hielt es nicht für wichtig, regelmäßig die Zäune zu reparieren, die in den Nächten die Rinder, Schafe und Ziegen vor den Raubtieren schützen sollten.

    Der Enge des Dorfes und den alltäglichen Pflichten wollte er entfliehen. In die Stadt zog es ihn. Dort wollte er groß und frei werden, allen zeigen, dass er es weit bringen würde. Sogar seinen alten Namen hatte er deshalb abgelegt, um wirklich alles hinter sich zu lassen. Aus dem heiligen Buch der Christen hatte er sich den Namen jenes Mannes ausgesucht, von dem er nur wusste, dass seine Trompeten Mauern zum Einsturz bringen konnten. Diese Vorstellung gefiel ihm, und er nannte sich fortan Joshua.

    Aber in der Stadt kam dann alles ganz anders. Bald fand er sich unter den Tausenden wieder, die sich Sorgen machen mussten, wie sie im nächsten Monat ihr schäbiges Zimmer bezahlen sollten. Früh am Morgen trug er in Nanyuki Zeitungen aus, machte hin und wieder Botengänge für die Gemeinde, belud Lastwagen mit Teekisten und sammelte auf den Straßen den Müll zusammen. Dann und wann verkaufte er billiges Eis und Getränke an die Touristen oder verdingte sich als deren Kofferträger. Aufgrund seiner guten Ortskenntnisse setzte man ihn bisweilen als Fahrer bei den Safaris ein.

    Erst im Laufe der Jahre begriff Joshua, wie trostlos und leer sein Leben hier verlief. Inzwischen empfand er es als Strafe dafür, dass er die Weisungen der Alten so schmählich missachtet hatte. Seither fürchtete er sich mehr denn je vor den alten Geistern. Aber die Ahnen suchten ihn nun fast jede Nacht auf. Ihre Einflüsterungen verwirrten ihn immer mehr. Dieses Mal wühlte ihn jedoch noch etwas ganz anderes auf.

    Die Ahnen riefen nach ihm. Aber sie riefen dieses Mal nicht ‚Joshua‘, sondern sie nannten jenen Namen, den er abgelegt hatte und nicht mehr hören wollte. Sie riefen ihn mit ‚Erevu’ an, jenem Namen, den auch sein Großvater trug. Daraufhin war er aufgewacht. Noch immer saß er auf der Bettkante und dachte nach.

    Außer diesen Fremden, außer dem Mann ohne Ohren, mahnte ihn noch ein unbestimmtes Gefühl, sich an etwas erinnern zu müssen.

    Es gelang ihm nicht, so sehr er sich auch bemühte. Lange saß er unbeweglich. Erst als ein fahles Morgengrau den kommenden Tag ankündigte, löschte Joshua das Licht, legte sich nieder und versuchte, wieder zu schlafen.

    Auf einmal fuhr er hoch, riss seine Augen auf und blickte ins Leere. Er erinnerte sich.

    Das Bachbett. Er kannte diese Wasserstelle. Joshua entsann sich jetzt genau, dass der Großvater ihn kurz vor seiner Reise zu den Ahnen noch einmal mitgenommen hatte, um den Regen ins Dorf zu bringen. Er musste wohl elf oder zwölf Jahre alt gewesen sein. Drei Tagesmärsche hatten sie sich schon vom Dorf entfernt. Der Großvater verbrachte den ganzen Tag in jenem ausgetrockneten Bachbett, welches ihm die Ahnen heute Nacht gezeigt hatten. Der alte Mann kauerte in der sengenden Sonne, klopfte auf die heißen Steine und sang unaufhörlich. Er berührte sie jedoch nicht mit der Hand, sondern ganz behutsam mit einem Stock, mit einem Wanderstab.

    Joshua erschrak, sein Herz raste.

    Hastig knipste er das Licht an, legte sich flach auf den Boden und kramte alles unter seinem Bett hervor, was ihm in die Finger kam, bis er den gesuchten Stock in seiner Hand spürte. Ganz behutsam nahm er den alten Wanderstab aus Sandelholz an sich. Er hatte ihn von seinem Großvater feierlich überreicht bekommen, bevor dieser die große Reise antrat.

    Der Wanderstab diente seinem Großvater als Geistführer. Lange und vergessen hatte dieser Stock unter seinem Bett gelegen. Er wischte Staub und Spinnweben von ihm ab, hielt ihn zitternd in der Hand und betrachtete ihn ehrfürchtig. Nach oben hin gabelte sich der Stab wie ein zuckender Blitz. Raue Hände hatten im Laufe vieler Jahre alle Kanten und Astlöcher geglättet.

    Joshua hatte von den Ahnen eine Aufgabe bekommen, das wusste er nun. Schlafen konnte er nicht mehr. Wie gelähmt saß er mit dem Wanderstab in seinen Händen. Plötzlich wurde ihm heiß und längst Vergessenes strömte langsam wieder in ihn ein.

    Während der Großvater damals in der Abendsonne im Bachbett den Regen herbei sang, erhielt Erevu die Aufgabe, die Glut des Lagerfeuers zu hüten. Aber er hatte anderes im Sinn. Er verfolgte ein junges Gnu, das sich von seiner Herde getrennt hatte. Erevu verlief sich ein wenig und fand erst wieder ins Lager zurück, als die Sonne schon lange Schatten warf. Die Glut war in der Zwischenzeit erloschen. Als sein Großvater zum Lagerplatz zurückkehrte, schämte er sich zutiefst. Schweigend aßen sie ihr getrocknetes Fladenbrot und eine halbe Melone.

    Die Sonne verschwand und es wurde rasch kühler. Erevu fror. Der Großvater sprach kein Wort, legte sich nieder, hüllte sich in eine Decke und stellte sich schlafend.

    Erevu schlang ebenfalls ein wärmendes Fell um sich und drückte sich an den Großvater. Er wusste, ein brennendes Feuer hielt in der Dunkelheit die Wildtiere ab. Angespannt achtete er auf jedes Geräusch. Seine Angst ließ ihn mehr frösteln als die Kälte der Nacht.

    Der Vollmond hob die Hügelkette am Horizont über der dunklen Savanne empor. Langsam drehte sich der Großvater zu seinem Enkel und setzte sich auf.

    „Lege deine Hände auf die Asche, Erevu", forderte ihn der Alte auf. Der Knabe zögerte, dann gehorchte er. Die Asche war kalt. Nun legte der Großvater ebenfalls seine Hände auf die Asche und murmelte dabei Unverständliches. Dann legte er trockenes Gras auf den Aschehaufen und darüber Zweige. Vorsichtig durchbohrte er die Asche mit einem dünnen Stock. Jetzt holte der alte Mann tief Luft und blies seinen Atem bedächtig und unendlich lange in die kleine Öffnung. Plötzlich sprang ein vergessener Funke auf, entzündete das trockene Gras, dass es nur so knisterte. Bald züngelten die Flammen um das trockene Geäst.

    Im Schein des Feuers lächelte der Großvater Erevu zu: „Wir sind nie allein, Erevu. Die Ahnen sind immer mit uns. Sie wärmen uns mit der Glut des Feuers und mit dem Licht der Sonne. Sie berühren uns mit dem Wind und mit dem Regen."

    Er erzählte seinem Enkel von dem großen Gott Ngai, der die Kikuyu erschuf und der auf dem Kirinyaga zu Hause sei. Dieser lebe dort friedfertig, ohne sich allzu sehr in die Belange seiner Menschen einzumischen. Erst wenn die Ahnen sich über mangelnden Respekt der Lebenden bei ihm beschwerten, schicke er zur Strafe eine Dürre oder auch eine Flut ins Land.

    Der Alte legte drei dicke Äste auf das Feuer, hob seine Hände zum Himmel und sang mit kehliger Stimme in die Nacht. Als er geendet hatte, wandte er sich mit eindringlichen Worten an seinen Enkel:

    „Erevu, höre gut zu. Wir alle wandern durch drei Leben in dieser Welt. Das erste Leben bekommen wir von den Ahnen geschenkt. Es ist kostbar wie eine Saat. In dieser Saat verbirgt sich unser wertvollster Schatz. Im ersten Leben gilt es nur, diese Saat wachsen und reifen zu lassen. Dazu müssen wir gar nichts tun. Die Ahnen wachen darüber. Sie begleiten und beschützen unseren Weg mit den wachsamen Augen des Löwen. Aber wir sterben und werden dennoch wiedergeboren."

    Der Alte sah ihn dabei aufmerksam an.

    „Du bist kein Kind mehr, Erevu. Du siehst Aufgaben und Verantwortung."

    Er hörte aus den bedeutungsvollen Worten des Großvaters dennoch mehr Güte als Strenge heraus, und er wusste, dass dieser ihm die Nachlässigkeit wegen des Feuers verziehen hatte.

    „Bald wirst auch du sterben, Erevu. Du wirst als ein Mann erneut geboren werden", fuhr der Alte fort.

    „Im zweiten Leben zeigst du Deine Kraft und Stärke, du willst erobern und siegen. Die Welt verneigt sich vor dir und alles scheint gut. Aber sei wachsam, Erevu. Die Welt lockt dich mit Glanz und Schimmer. Sie gaukelt dir einen leuchtenden, duftenden Garten vor, der dich verzaubert und dir alles verspricht. Dennoch bleibt es ein Irrgarten, der uns schläfrig macht und betäuben will. Die Welt will deine Sinne stumpf machen, damit du den Schatz verlierst und vergisst."

    „Was ist das für ein Schatz?", erinnerte sich Joshua, verunsichert gefragt zu haben, da er damals wenig von den Worten des Großvaters verstand.

    Dieser antwortete ihm: „Der Schatz ist deine Lebendigkeit, Erevu, die Gabe, das Leben mit all deinen Sinnen zu spüren, damit du der Melodie deines Lebens folgen kannst."

    Der Alte seufzte: „Viele werden von der Welt verschlungen, noch bevor sie das dritte Leben erreicht haben. Sie finden den Ausgang aus dem Irrgarten nicht mehr und können ihre Aufgabe nicht erfüllen."

    Noch mehr verstört fragte er damals, was denn dies für eine Aufgabe sei.

    „Im dritten Leben, Erevu, musst du deine Sinne wach und offen halten, um den Schatz nicht zu verlieren. Wir alle haben die Aufgabe, einander lebendig zu machen, damit unser Leben nicht ohne Sinn, nicht leer und taub verdorrt. Die Ahnen und der weise Ngai helfen uns dabei, auch wenn wir ihre Wege nicht immer verstehen. Mit dieser Aufgabe erfüllst du den Kreislauf. Am Ende bist du bereit, die große Reise anzutreten, ohne auf deiner Wanderung hier etwas schuldig geblieben zu sein."

    Joshua konnte auch heute wenig von dem enträtseln, was sein Großvater ihm mit diesen Geschichten mitteilen wollte. Nur eines erkannte er, nämlich dass sein Leben, wenn man es denn überhaupt noch so nennen konnte, ihn tatsächlich allmählich zu verschlingen drohte.

    Mit einer dunklen Ahnung spürte er, dass er etwas verloren hatte, was es wiederzufinden galt. Joshua umklammerte den Wanderstab fester. Er saß und wartete, bis der Morgen dämmerte.

    Schon früh setzte er sich mit dem langen Stock in seinen Händen vor den Hauseingang und schaute. Etwas würde geschehen. Er musste nur ein weiteres Zeichen erhalten, dann würde er wissen, was zu tun war.

    Die Krämer schlossen ihre kleinen Läden auf, stellten Kisten und Truhen heraus, öffneten sie, ließen Stoffe in allen Farben leuchten, behängten jeden Nagel mit Gewändern, Tüchern und Hüten, mit Ringen aus Messing und riesigen Halsketten aus Bambusstücken oder Elfenbein. Unter den Sonnenschirmen stellten die Frauen ihre Körbe ab und verteilten Auberginen, Okra, grüne Bohnen und Zuckererbsen auf kleinen Holzgittern, türmten Ananas, Avocados und Melonen auf dem Boden zu kleinen Pyramiden auf und stellten kleine Büchsen mit Kahawa und Tee um sich herum auf. Die Händler schleppten ihre Karren durch die Straße und suchten die besten Standplätze. Ein klappriger Bus fuhr hupend vorüber und vertrieb Hühner und streunende Hunde.

    Plötzlich kam Uzima angerannt, die Frau seines Neffen.

    Sie begrüßte Joshua völlig außer Atem und berichtete in sich überschlagenden Worten, dass ein großes Unglück geschehen sei. Badru hätte sich den Arm gebrochen. Dabei sollte er doch heute mit den beiden Touristen wieder eine Fahrt in die Savanne unternehmen. Diese Fremden würden dafür gut bezahlen. Sie selbst und Badru könnten auf das Geld nicht verzichten.

    Uzima bat ihn nun inständig, ob er nicht ausnahmsweise und nur für diesen heutigen Tag diese Aufgabe übernehmen könnte.

    Joshua strahlte sie an, nahm sie in den Arm und bedankte sich überschwänglich bei ihr, was Uzima mit großer Verwirrung zur Kenntnis nahm.

    Wenig später überreichte Badru unter vielen Erklärungen seinem Onkel Joshua die Wagenschlüssel für den Jeep und die notwendigen Papiere. Er nannte ihm ein Hotel im Westen von Nanyuki, in welchem die beiden Deutschen, ein Erwachsener und ein Kind, auf ihn warten würden.

    Badru wusste, dass Joshua in letzter Zeit nur sehr ungern solche Aufgaben übernahm. Umso mehr überraschte es ihn, dass sich sein Onkel nun im Übermaß bei ihm bedankte. Joshua verstaute Badrus Wasserflasche in dem Jeep und Uzima legte ihm noch zwei große Melonen dazu.

    Dann ließ er sich viel Zeit, um für den Wanderstab einen geeigneten Platz im Fahrzeug zu finden. Schließlich wickelte er ihn in ein großes Tuch und verstaute ihn so, dass er ihn während der Fahrt immer berühren konnte, wenn er wollte.

    Der Jeep tuckerte davon. Badru und Uzima blickten ihm nach und konnten über ihren wunderlichen Onkel nur noch den Kopf schütteln.

    2

    „Wann kommt er denn endlich, Papa?", drängelte Ilian immer ungeduldiger.

    „Er wird schon kommen. Badru hat uns bisher noch nie im Stich gelassen", beruhigte ihn sein Vater.

    Dann hörten sie den Jeep mit dem kaputten Auspuff schon von Weitem. Er fuhr merklich langsamer als sonst.

    Als das Fahrzeug anhielt, stieg aber nicht Badru aus. Ein hagerer kleiner Mann, dessen Alter nur mit Mühe zu schätzen war, kletterte aus dem Fahrzeug. Er zupfte an seinem übergroßen Hemd, klopfte auf seine abgewetzten Jeans, aus welcher Staubwolken entwichen. Suchend blickte er umher, entdeckte den Mann mit dem Kind, entblößte seine Zähne und ging mit breitem Lächeln auf die beiden zu.

    In einem passablen Englisch begrüßte Joshua unter Verbeugungen Michael Quindt und seinen Sohn Ilian. Die beiden erfuhren nun, dass heute Badrus Onkel, Joshua, die Fahrt ins Hinterland übernehmen würde.

    Ilian wollte unbedingt noch einmal Antilopen sehen und vielleicht Gazellen oder Wasserbüffel oder auch Nashörner. Die unzähligen rosagefiederten Flamingos am Nakurusee hatten ihn weniger begeistert als alle anderen Wildtiere. Vielleicht, ja vielleicht war es noch einmal möglich, einen Löwen zu sehen. Ihre Reise neigte sich dem Ende zu und Ilian war ein wenig enttäuscht, hatte er doch nur zwei Mal ganz aus der Ferne ein Löwenrudel ausmachen können. Michael Quindt teilte Joshua die Wünsche seines Sohnes mit.

    In gebrochenem Englisch antwortete Joshua, dass es nur möglich sei, entweder Antilopen, Gazellen und Wasserbüffel zu sehen oder eben Löwen. Beides zugleich sei nicht machbar.

    Der Vater teilte dies seinem Sohn mit, der sich mit dem einzigen Wort, das er in Swahili kannte, sofort entschied:

    „Simba, Simba."

    Joshua blickte den neugierigen Jungen an, strahlte aus all seinen Zahnlücken und bedankte sich bei dem kleinen Ilian, der sich darüber ebenso wunderte wie sein Vater.

    Eine Stunde fuhren sie nun schon den Bergen entgegen, ohne dass diese sich merklich näherten. Unmerklich wuchsen aus der Savanne kleine Hügelketten hervor, die der letzte Gewitterregen für kurze Zeit in einen lebendig grünen Fleckenteppich verwandelt hatte. Ein fremdartiger Duft wehte Michael Quindt hier um die Nase, der ihn an die längst vergangene Motorradfahrt durch die Eukalyptuswälder Madeiras erinnerte.

    Ab und zu huschten ein paar Antilopen vorbei und eine kleine Elefantenherde erntete geruhsam in den Büschen. Ilian und sein Vater waren indessen mehr damit beschäftigt, sich im Jeep festzuhalten, als die Tiere zu beobachten. Ein heftiger Regenguss hatte die Schlaglöcher noch tiefer ausgewaschen, und der Jeep schüttelte seine Insassen erbarmungslos durch.

    Nach einer Weile hielt Joshua das Fahrzeug an und gönnte seinen Passagieren eine kleine Verschnaufpause.

    Ilian suchte mit dem Fernglas die Umgebung nach Tieren ab, ohne nennenswerten Erfolg. Sein Vater betrachtete den Himmel. Unzählige kleine Wolkenschiffchen mit grauem Kiel und flauschig weißen Segeln wurden vom Wind wie eine riesige Armada nach Osten gezogen. Am Horizont türmten sich bedrohliche Wolkenberge auf.

    Joshua stand währenddessen aufrecht wie ein Soldat vor dem Jeep und wartete. Dann bat er die beiden, wieder in den Wagen zu steigen, es sei nicht mehr weit. Michael Quindt musste im Fahrzeug plötzlich entsetzlich husten und Blut spucken, aber er verbarg es geschickt in einem Taschentuch, sodass Ilian es nicht bemerkte.

    Noch eine viertel Stunde meldete die harte Federung die Fahrbahnbeschaffenheit rücksichtslos an die Passagiere zurück, bis Joshua abrupt anhielt. Er blickte sich um, drehte dann das Steuer nach rechts, drückte das Gaspedal und fuhr in hohem Tempo quer durch die Graslandschaft.

    Michael wollte ihn gerade ungehalten fragen, wie lange die Fahrt noch dauern würde, als ein neuer Hustenanfall ihn daran hinderte.

    Joshua trat unvermittelt auf die Bremse. Jetzt entdeckten sie den kleinen Fluss, der viel lehmig braunes Wasser mit sich führte.

    Michael Quindt wollte etwas sagen, aber Joshua bedeutete ihm mit entschiedener Handbewegung, zu schweigen. Er befahl beiden, im Jeep

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