Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Halbwelten: Ein Bürger-Schocker aus dem St. Pauli Milieu
Halbwelten: Ein Bürger-Schocker aus dem St. Pauli Milieu
Halbwelten: Ein Bürger-Schocker aus dem St. Pauli Milieu
eBook603 Seiten7 Stunden

Halbwelten: Ein Bürger-Schocker aus dem St. Pauli Milieu

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Wieder ein spannender und faszinierender Hamburg-Thriller von Schwartzer.


Statt seinen Lebensabend beschaulich zu genießen, macht es sich Jakob Kilian zur Aufgabe, durch die Maschen einer laschen Justiz geschlüpfte Verbrecher ihrer verdienten Strafe zuzuführen. Als sich seine Frau von ihm abwendet, ihn sogar vergiften will, verbündet er sich mit der gealterten Hure Bianca. Schon bald müssen die beiden jedoch erkennen, dass sie von Jägern zu Gejagten werden. Nicht nur die Polizei, auch die Unterwelt ist ihnen auf der Spur ...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum8. Sept. 2014
ISBN9783737506632
Halbwelten: Ein Bürger-Schocker aus dem St. Pauli Milieu

Ähnlich wie Halbwelten

Ähnliche E-Books

Krimi-Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Halbwelten

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Halbwelten - Uwe Schwartzer

    Uwe Schwartzer

    Halbwelten

    Ein Bürger-Schocker aus dem St.Pauli Milieu

    Imprint

    Halbwelten

    Uwe Schwartzer

    published by: epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    Copyright: © 2014 Uwe Schwartzer

    All rights reserved

    ISBN: 978-3-7375-0663-2

    Umschlaggestaltung: Lektoratsservice Erik Kinting

    www.buchlektorat.net — Lektorat.Kinting@gmx.de

    Kurden-Paul

    „Das darf doch nun wirklich nicht wahr sein Louise. Jakob Kilian protestierte empört. „Hör dir das bloß mal an, was die Abendzeitung hier schreibt: Der Mordprozess gegen die bekannte Kiezgröße Kurden-Paul, mit bürgerlichem Namen Azad Sabri, ist geplatzt. Das Landgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Die Anwälte des Beschuldigten haben Beweisanträge gestellt, aus denen eindeutig hervorgeht, dass sich Sabri zum Tatzeitpunkt nicht in der Wohnung des Opfers aufgehalten haben konnte. Er hat somit ein wasserdichtes Alibi, das nicht nur auf Zeugenaussagen von Angestellten seines Bordell-Clubs basiert, sondern auch von zwei anwesenden, glaubwürdigen Kunden bestätigt wird. Die Staatsanwaltschaft behält sich gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde vor.

    Kilian zerknüllte die Zeitung und warf sie verärgert zu Boden. „Sämtliche Zeugen sind gekauft oder eingeschüchtert. Jeder weiß das, selbst der Richter. Doch niemand tut etwas dagegen. So bleiben Kapitalverbrechen ungesühnt. Der Staat klärt lieber Bagatellvergehen seiner Bürger auf, an denen er gut verdienen kann. Wehe man parkt mal verkehrt oder vergisst Nebeneinkünfte bei der Steuer anzugeben. Sofort flattern einem die Strafbescheide nur so ins Haus. Dieser sogenannte Rechtsstaat ist das Paradies der Kriminellen."

    Kilian leerte den Rest aus seiner Kaffeetasse. „Sag du doch auch mal was dazu, Louise."

    Bewaffnet mit einem Handstaubsauger, führte die ihm seit dreißig Jahren Angetraute inzwischen einen erbitterten Vernichtungskrieg gegen die auf dem Frühstückstisch verstreuten Brotkrümel. „Warum regst du dich so darüber auf Jakob? Du kannst doch nichts dagegen tun. Sicher ist alles nach Recht und Gesetz gelaufen. Denk lieber daran, dass du in fünf Minuten los musst." Mit diesem abschließenden Statement, das keinen Widerspruch duldete, entfernte sie sich in andere säuberungsbedürftige Bereiche der gemeinsamen Dreizimmerwohnung um ihren immerwährenden Kampf gegen Staub, Schmutz und sonstige unerwünschte Ablagerungen fortzusetzen.

    Kilian erhob sich nur widerwillig – heute wäre er lieber zuhause geblieben – um seiner Tätigkeit als Mitarbeiter des Sicherheitsbeauftragten in den Tanzenden Türmen, einem Bürokomplex am Eingang zur Reeperbahn in St. Pauli, nachzugehen. Zumindest hatte er Louise das erzählt, und sich dadurch eine Rückzugsmöglichkeit sowie täglich zehn Stunden persönlicher Freiheit erkauft. Er gab ihr monatlich fünfzehnhundert Euro seines angeblich im Drei-Schicht-Betrieb verdienten Gehalts. Dadurch blieb er nicht nur unbehelligt von argwöhnischen Fragen, sondern wurde auch noch daran erinnert ja nicht zu spät zu kommen.

    Tatsächlich zahlte er diese Summe aus den Erträgen eines Deals, den er vor vielen Jahren gemacht hatte. Es war ihm seinerzeit gelungen durch ein nicht völlig legales Geschäft, eine erhebliche Summe Bargeld zu erwerben und erfolgreich an Steuer und Louise vorbei zu schleusen. Diese Vorgehensweise schien ihm die beste, weil sowohl seine Ehefrau als auch der regierende Bürgermeister dazu neigten sein Geld für unkontrolliertes Shoppen überflüssiger Gebrauchs- und Konsumgüter beziehungsweise für das scheinbare Wohl und Gerechtigkeits-empfinden eigener Wählergruppen auszugeben. Aus Sicher- heitsgründen verzichtete er auf mögliche Zinseinnahmen und hatte das Geld in einem Bankschließfach deponiert. Da es sich um eine wirklich erhebliche Summe handelte, überlegte er anfangs noch, für einen Teil des Betrages ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Er hatte diesen Gedanken jedoch schnell wieder verworfen, als er an die bohrenden Fragen Louises dachte: Woher hast du das viele Geld, Jakob? Ist es auch ehrlich erworben? Hast du im Lotto gewonnen? Warum erzählst du mir eigentlich nie etwas?

    Wahrscheinlich würde der Staat auch noch wissen wollen, wieso er eine fünfhunderttausend Euro Immobilie cash bezahlen konnte, wo doch in seinen bisherigen Steuererklärungen derartige Summen nie aufgetaucht waren.

    Den endgültigen Ausschlag ergab jedoch seine Überlegung, dass ein Tag lediglich vierundzwanzig Stunden hatte. Zehn Stunden davon war er ‚beruflich‘ abwesend. Sechs bis sieben Stunden schlief er, bevor ihn die senile Bettflucht ins Bad trieb. Durchschnittlich zwei Stunden täglich verbrachte er mit Skat-, Kegel-, und sonstigen Abenden. Die eventbedingten Abwesenheiten Louises und seine eigenen Arztbesuche hatte er bei dieser Rechnung noch völlig außer Acht gelassen. Für die verbleibenden vier bis fünf Stunden trauten, heimischen Beisammenseins, oft noch in Begleitung staubsaugender Elektrogeräte, kauft doch kein vernunftbegabter Mensch eine derartig teure Unterkunft, war denn auch seine unwiderrufliche Überlegung zu diesem Thema. Er hatte sich also gegen einen Kauf entschieden und beschlossen bis zu seinem, hoffentlich noch nicht so baldigen, Ende, in seiner Bramfelder Mietwohnung im Nordosten Hamburgs wohnhaft zu bleiben.

    Darüber hinaus hatte er einen weiteren Entschluss gefasst. Er wollte noch einmal eine wirklich große Sache in Angriff nehmen, denn es gab einiges zu korrigieren in diesem Staat, in dem immer nur die Kleinen pünktlich ihre Steuern zahlten und mit Buß- und Strafgeldern gemaßregelt wurden. Mit seinen sechzig Jahren würde er nicht mehr sehr viele Gelegenheiten bekommen, etwas wirklich Nützliches für die Allgemeinheit zu tun. Daher wollte er einige krasse Fehlentwicklungen im menschlichen Zusammenleben, in der Strafverfolgung, Steuerbemessung und -durchsetzung berichtigen, wozu die Hüter von Recht und Gesetz, Polizei und Justiz, offensichtlich nicht in der Lage waren, obgleich sie doch dafür bezahlt wurden.

    Er hatte nicht vor sich in deren Belange einzumischen, wollte aber für Gerechtigkeit sorgen, ein Begriff, den sozialistische Politiker regelmäßig, kurz vor den Wahlen aus der Kiste kramten, wenn es darum ging durch Neidkampagnen ihre unterprivilegierte Wählerschaft zu mobilisieren.

    Nach seiner Frühpensionierung war er das erste halbe Jahr zuhause geblieben, was ihn jedoch fast in den Wahnsinn sowie in den Alkohol getrieben hatte. Auch zur Freude Louises war es ihm dann gelungen seine fiktive Tätigkeit in den Tanzenden Türmen aufzunehmen, die ihm so gut gefielen, da sie mit ihrer geknickten Fassadenkonstruktion ein tanzendes Paar darstellen sollten, das sich im Tangoschritt bewegte. –

    Nachdem er sich von Louise verabschiedet hatte ging Jakob Kilian mit einer Aktentasche in seiner Linken zur Busstation, direkt vor ihrer Haustür. Die Tasche, in der sich auch sein Laptop befand, verlieh ihm eine gewisse, geschäftliche Seriosität, so wie der Schlips, den er sich immer wieder unwillig um den Hals schlang. Da er wusste, sie würde hinter der Gardine stehen um seine Abfahrt zu kontrollieren, stieg er, ohne noch einmal hochzublicken, in das vor ihm haltende Fahrzeug, obgleich er öffentliche Verkehrsmittel hasste. An der ersten Haltestelle verließ er dann auch den Bus und wechselte auf die andere Straßenseite zu einem Taxistand. Er wies den Fahrer an, ihn nach St.Pauli zu bringen. Danach lehnte er sich in die Polster zurück und fühlte sich erst wieder wohl, als er sich die Krawatte vom Hals gerissen und in der Tasche verstaut hatte.

    An der S-Bahn Station Reeperbahn verließ er den Wagen und machte sich auf in die Große Freiheit, wo Kurden-Paul einen Club besaß, in dem er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Zumindest hatten das die Medien behauptet, die den Fall schon seit Wochen kommentierten.

    Wie immer sahen Straßen und Etablissements des größten Hamburger Vergnügungsviertels zu dieser frühen Stunde erbärmlich aus. Der müllschluckende Wagen der Stadtreinigung vermittelte noch den vertrauenswürdigsten Eindruck. Kilian stoppte vor einem Hauseingang, der direkt gegenüber Kurden-Pauls Club lag. Er drückte einen Klingelknopf der obersten Etage, mit der Aufschrift Gerda + Laura Schmidt. Die Sprechanlage schien nicht zu funktionieren. So stieg er, nachdem der Summer ertönt war, auf der knarrenden Holztreppe bis in den dritten Stock. Eine aufgeweckte Brünette hielt bereits nach ihm Ausschau als er sich die letzten Stufen hochquälte. Er zauberte ein Sonntagslächeln in seine Gesichtszüge und wurde zu seinem Erstaunen sofort hereingebeten, als er von einem interessanten Angebot sprach, das er zu machen hatte. In der Wohnung tauchte plötzlich ein weiteres weibliches Wesen auf, ein eher sportlicher Typ, das ihn argwöhnisch betrachte, dessen Züge sich aber verklärten, nachdem er wohl als harmlos eingestuft worden war. Das wird Gerda sein, schoss es Jakob durch den Kopf, da er Laura bereits der Brünetten zugeordnet hatte.

    Man bat ihn in einem Wohnzimmer Platz zu nehmen, dessen Einrichtung komplett aus einem Ikea-Katalog stammte. Insbesondere an die Billy-Regale konnte er sich noch gut erinnern, da er sie selbst einmal besessen hatte.

    Nachdem er zehn Minuten auf die Wohnungsinhaberinnen eingeredet hatte, wobei er beiläufig einige 500 Euro Noten vor sich auf den Tisch legte, war es ihm ohne große Mühe gelungen, dieses Zimmer, mit Blick auf die Große Freiheit, für drei Wochen zu mieten. Immer nur für acht Stunden täglich im wöchentlich wechselnden 3-Schicht Zyklus. Das lesbische Pärchen war so schnell einverstanden, dass er sicher war zu viel bezahlt zu haben. Er bestand auf einem eigenen Wohnungsschlüssel, erklärte, der erste Tag würde jetzt sofort beginnen und bezahlte die Miete im Voraus. Nachdem man ihm noch die Toilette gezeigt hatte, setzte er sich ans Fenster und konzentrierte sich auf den Eingang zu Kurden-Pauls Nutten-Tempel. Er fotografierte jede Person die dort ein und aus ging, bei Ankunft und Verlassen des Lokals, und notierte akribisch die entsprechenden Uhrzeiten. Erstaunt war er über den regen Lieferverkehr mit der großen Anzahl von Fahrzeugen, die vor dem Club hielten. Produkte wie Getränke aller Art, Feinkostartikel sowie Kartons deren Inhalt er nicht identifizieren konnte wurden hereingetragen. Ein Wäscheservice lieferte saubere Handtücher und Bettwäsche. Als aus einem Ford-Kombi zwei arabisch anmutende Gestalten stiegen und mehrere aufgerollte Teppiche ins Haus trugen, empfand er das doch schon als sehr merkwürdig. Er notierte sich vorsorglich das Kennzeichen des Fahrzeugs. Danach erledigte ein Angestellter der Firma H.G.Müller, Klempnerei und Installation, in siebenundvierzig Minuten erforderliche Reparaturarbeiten. Dann erschien ein schwerbepackter Postbote und verschwand im Eingang.

    Jakob, der eben noch darüber nachgedacht hatte ob der Klempnergeselle wohl einen verstopften Abfluss reinigen musste, weil die osteuropäischen Nutten alles was sie nicht mehr benötigten im Lokus entsorgten, war echt erstaunt, als der Briefträger nach knapp drei Minuten, praktisch ohne Gepäck, wieder auftauchte. Sicherheitshalber mache Jakob noch einige Aufnahmen zusätzlich. Gegen 14 Uhr erschienen die ersten Mädchen. Von Gästen und Kunden war bisher noch nichts zu sehen. Punkt 16 Uhr hielt ein schwarzer Rolls Royce Corniche vor dem Club. Der Fahrer stieg aus, öffnete mit einer Verbeugung die hintere Tür und Kurden-Paul erschien auf der Bildfläche. Jakob erkannte ihn sofort. Wochenlang hatte er die Titelseiten der Boulevardpresse verunziert. Die Presse liebte Mörder und gestrauchelte Politiker, weil sie die rückläufigen Auflagen zumindest kurzfristig stabilisierten. Kurden-Paul war das personifizierte Klischee eines Zuhälters. Weißer Maßanzug, schwarzes Hemd, weiße Krawatte. Zweifarbige italienische Schuhe, Sonnenbrille, protzige Ringe an den Fingern, sowie ein Goldkettchen am rechten Handgelenk. Am linken blitzte eine große Uhr, wahrscheinlich eine Rolex dachte Jakob, der eifrig seine Fotos machte. Inzwischen stolzierte Kurden-Paul, in Begleitung zweier bulliger Typen, in seinen Club, in dem ihm ein aufmerksamer Angestellter diensteifrig die Tür aufriss.

    Wahrscheinlich seine Leibwächter, dachte Jakob. Da ihn der Hunger plagte, entnahm er seiner Aktentasche einige Pausenbrote, die ihm Louise in wiederverwertbares Pergamentpapier gewickelt hatte. Während er sämtliche Aufnahmen auf seinen PC kopierte, betrachtete er, wurstbrotkauend, zufrieden die fotografische Ausbeute des heutigen Tages. Um 17 Uhr verließ er die Wohnung, begab sich auf die andere Straßenseite und betrat das Etablissement Kurden-Pauls.

    Azad Sabri erinnerte sich immer wieder gerne an seine beruflichen Anfänge in diesem Land. Angelockt durch die glitzernde Konsumwelt war sein Vater mit der Familie in den Westen gezogen. Für die erste Zeit wollte man Verwandte aufsuchen, die bereits länger in Deutschland lebten. Sie sprachen neben türkisch auch alle fließend arabisch, da sie aus der Gegend um Mardin stammten, im Südosten der Türkei, nahe der syrischen Grenze. Gemeinsam mit seinen Eltern und drei Schwestern war er 1992 im Hamburger Flughafen in die Bundesrepublik eingereist. Beim Grenzschutzamt hatten sie einen Asylerstantrag gestellt. Ihre türkischen Reisedokumente wurden einbehalten und man verwies sie zur Fortführung des Asylverfahrens an die Hamburger Ausländerbehörde. Sein Vater dachte jedoch nicht daran dieser Aufforderung nachzukommen und umging auch die erkennungsdienstliche Behandlung. Sie reisten vielmehr nach Berlin, wo ihre Verwandten wohnten, und begaben sich zu der dortigen Ausländerbehörde, wo sie unter anderem Namen einen zweiten Asylantrag als Staatenlose stellten. Durch diese Weitsicht seines Vaters verfügten sämtliche Mitglieder der Familie, jetzt über zwei unterschiedliche Identitäten und bezogen doppelte staatliche Sozialleistungen. Inzwischen hatte man sich mit zwei anderen Familien zusammen getan und lebte als Clan in Neukölln. Innerhalb dieser Gemeinschaft herrschte eine bedingungslose Solidarität, sowie eine extreme Abgrenzung gegenüber Fremden. Jeder, der nicht zum Clan gehörte war ein potentieller Feind. Das begann mit der deutschen Polizei. Die Gesetze die sie durchsetzen wollte, waren für die Clan-Mitglieder ohne jede Bedeutung. Selbst die Kinder hatten das bereits begriffen und fürchteten mehr den Zorn ihrer eigenen Leute als die Drohungen der uniformierten Bullen.

    Azad Sabri war stolz auf seine Familie. Sämtliche Mitglieder trugen zum gemeinsamen Einkommen bei. Selbst die jüngsten, strafunmündigen, leisteten ihren Beitrag durch Diebstähle oder Einbrüche. Besonders bewunderte er die jungen Frauen. Sie machten sich die krankhafte politische Korrektheit in diesem Land zunutze und verdienten ihr Geld mit angeblichen rassistischen Äußerungen der Opfer, die sie sich ausgesucht hatten. „Er hat mich diskriminiert und Türkensau zu mir gesagt", schrien sie immer wieder im vollen Supermarkt. Wenn der genervte Filialleiter dann die Polizei holte, musste der Beschuldigte seine Unschuld beweisen. Konnte er das nicht – und wie sollte er auch – musste er einen angemessenen finanziellen Ausgleich bezahlen. Dies schrieb das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vor. Die Frauen pflegten bereits langfristige Kooperationen mit Anwälten, welche die Entschädigungen und ihre Honorare eintrieben.

    Was für wunderbare Gesetze, dachte Azad gerührt. Die Einnahmen aus diesem Geschäft stiegen jährlich mit zweistelligen Zuwachsraten. Er selbst handelte, wie die meisten männlichen Clan-Mitglieder auch, mit Rauschgift und mit Frauen. Daher war er auch nie eine feste Beziehung eingegangen. Er wollte sich genau so wenig von ihnen abhängig machen wie von seinen Amphetaminen die er mit großem Gewinn verkaufte. Im Übrigen hatte ihn sein Vater wissen lassen, dass, wenn die Zeit gekommen sei, er ihm eine standesgemäße Frau zuführen würde, mit der er eine Familie gründen könnte.

    Zuerst hieß es jedoch, die Geschäfte des Clans auf eine breitere Basis zu stellen. In den neunziger Jahren hatte ein regelrechter Krieg zwischen den Albanern und seinen Landsleuten um die Vorherrschaft in der Hamburger Rotlichtszene, sowie auf dem Drogenmarkt getobt, aus dem leider die Albaner als Sieger hervorgegangen waren. Inzwischen war das ganze Quartier etwas zur Ruhe gekommen. Mit Unterstützung seines Clans hatte er es dann auch riskiert Berlin zu verlassen und eine Filiale in Hamburg zu eröffnen. Ihm war jedoch klar, dass er sich keinen Fehler leisten durfte. So hatte er sich von Beginn an mit zwei Leibwächtern umgeben, die sich vierundzwanzig Stunden täglich in seiner Nähe aufhielten.

    Eigentlich hatte er also keinen Grund mit seinem Leben nicht zufrieden zu sein. Wäre sein Vater nicht migriert, würde er sich jetzt bei der Feldarbeit für einen Hungerlohn das Rückgrat ruinieren. Er war daher auch fest entschlossen seinen erkämpften Besitzstand mit Zehen und Klauen zu verteidigen, obgleich er große Teile seines Gewinns an den Clan nach Berlin abführen musste. Aus diesem Grunde hatte er auch diesen Kosovo-Wichser, der doch tatsächlich gemeint hatte ihn mit einer halben Million aus dem Geschäft drängen zu können, in dessen Badezimmer liquidiert. Er war in seine Wohnung eingedrungen und hatte ihm dreimal in den Kopf geschossen. Als er das Haus verließ musste ihn jemand gesehen haben. Glücklicherweise hatten gekaufte Zeugen die Wahrheitsfindung jedoch in seinem Sinne beeinflusst. Was für ein gesegnetes Land dies doch war. Man gab einigen Leuten ein wenig Geld und schon war man vor der Strafverfolgung sicher. Überhaupt, wer nicht mit blutigem Messer in der Hand neben der noch krampfhaft zuckenden Leiche erwischt wurde, für den galt die Unschuldsvermutung. Warum haben wir zuhause so etwas nicht, war sein letzter Gedanke zu dieser nostalgischen Rückschau, bevor er sich wieder dem Tagesgeschäft zuwandte.

    Nachdem er kurz die Zimmer inspiziert hatte überflog er die Einnahmen des letzten Tages. Der Umsatz der Mädchen war weiterhin rückläufig. Was waren das bloß für Zeiten als es noch kein Aids gab, dachte er. Heute kamen die ausländischen Touristen nur noch zum Glotzen. Sie bestellten einen Drink, geilten sich auf und vögelten dann später im Hotel ihre Alte. Er hatte etwas gegengesteuert indem er die Getränkepreise kräftig erhöhte. Zurzeit arbeiteten zwölf Mädchen für ihn. Zehn im Club und zwei auf der Straße. Überwiegend waren es Bulgarinnen, es gab aber auch Tschechinnen und Polinnen, deren Pässe alle in seinem Safe lagen.

    Um die Umsatzflauten etwas auszugleichen, hatte er für jedes Mädchen ein Drogenkonto eingerichtet. Er zwang sie, täglich eine bestimmte Menge abzunehmen, die sie sofort zu bezahlen hatten. Ob es ihnen dann später gelang diesen Stoff an ihre Freier zu verkaufen, ob sie ihn selbst konsumierten oder bei Polizeirazzien durch die Toilettenspülung entsorgten, war dann nicht mehr sein Problem.

    Gestern hatten diese faulen Weiber gerade mal knapp achttausend Euro angeschafft. Vor einiger Zeit hatte er jeder noch Strafe angedroht die nicht mindestens einen Tausender ablieferte. Er überlegte kurz, ob er sie verprügeln lassen sollte, so wie die Rocker es machten, wenn der Umsatz nicht stimmte, verwarf diesen Gedanken dann aber wieder.

    Am meisten brachten noch die drei Minderjährigen, die den Club nicht betreten durften und in ihren Zimmern einer speziellen Kundschaft zur Verfügung standen. Er beschloss sich von seinen beiden Straßenstrich-Mitarbeiterinnen zu trennen. Er kannte auch einen Rocker der Hells Angels, der nach dem Verbot dieser Organisation immer in Zivil und ohne seine Kutte unterwegs war. Der war bereit ihm zwanzigtausend Euro pro Stück zu bezahlen. Das Geld würde er in den Ausbau seines Drogenvertriebs investieren. Gegenwärtig beschäftigte er neun Dealer, die seine Ware an eine anonyme Kundschaft verteilten. Es gab aber auch Großkunden, welche die Ware direkt bei ihm bezogen. Darunter waren Leute die professionell Partys und andere Veranstaltungen organisierten, Diskothekenbetreiber, sowie ein völlig kaputter Typ, der sich als Event-Manager bezeichnete.

    Azad achtete immer darauf bei diesen Geschäften persönlich nicht anwesend zu sein. Das überließ er seinen Leibwächtern. Im war auch klar, dass er nach seinem spektakulären Sieg über die Staatsmacht die Polizei sehr verärgert haben musste und mit vermehrten Razzien zu rechnen war. Er hatte daher ein absolutes Dope-Verbot angeordnet. Sein Klub war clean. Die Kundschaft wurde direkt von den Außenlagern beliefert.

    Der Drogenhandel hatte sich insgesamt sehr positiv entwickelt. Das Sortiment vergrößerte sich ständig und war dazu Modetrends unterworfen. Auch verlangte jeder Vertriebskanal nach einer anderen Produktpalette. Während in Discos die billigen, aufputschenden Mittel wie Speed, Ecstasy, Crystal Meth oder Vanilla Sky bevorzugt wurden, waren im Straßengeschäft die Cannabisprodukte Haschisch und Marihuana unverzichtbar. Sorgen bereitete ihm lediglich der stetige Anstieg der Konsumenten, die Legal Highs in Onlineshops im Internet einkauften.

    Azad erledigte die Buchhaltung immer noch selbst, obgleich sein Vater ihm geraten hatte einen professionellen Buchhalter einzustellen. Lediglich die jährliche Steuererklärung überließ er der Clan-Zentrale in Berlin. Im letzten Monat hatte er eine dreiviertel Million eingenommen, was nicht sehr viel war, wenn man an die Aufwendungen für Personal, Miete und sonstige Betriebsausgaben dachte. Hinzu kamen noch die Bestechungsgelder, die er privat, aus eigener Tasche bezahlen musste. So hatte das Berlin entschieden. Ihm blieb daher nach Abzug aller Kosten, gerade mal ein Nettogewinn von rund sechshunderttausend Euro, den er auch noch mit Berlin teilen musste. Auf diese Weise würde es ewig dauern bis er sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen konnte. Im letzten Jahr hatte er dreieinhalb Millionen verdient. Wenn er das verglich mit den Einkünften gewisser Fußballer und Rennfahrer fühlte er sich als ausgesprochen armes Würstchen.

    ***

    Da Jakob sich bereits im Internet einen Eindruck von Pauls Club verschafft hatte, wusste er in etwa was ihn erwartete. Eine einzigartige und aufregende Atmosphäre mit beeindruckender Einrichtung und entspannender Musik versprach die Website, sowie haufenweise hübscher Mädchen aus aller Herren Länder mit unglaublichen Rundungen, die wirklich jedem ausgefallenen Wunsch des Gastes nachkamen. Weiter gab es eine Lounge, in der man mit den Mädchen ins Gespräch kommen oder sich auch gleich mit einem oder mehreren von ihnen in eines der luxuriösen Zimmer zurückziehen konnte. Es existierten Duschen, Bäder und Whirlpools. Die Besucher konnten zwischen den privaten Räumen und dem Bar- und Dancebereich hin und her pendeln. Für die Sicherheit der Gäste und Mädchen sorgte ein zuverlässiges Security-Team, das tatsächlich ein Schlägertrupp war, der jeden zahlungsunfähigen Gast in seine Bestandteile zerlegte. In regelmäßigen Abständen fanden Attraktionen wie Karaoke- und Striptease-Shows sowie Pole-Dancing im Club statt. Die Website verschwieg, dass jedes der Zimmer videoüberwacht war, eine technische Einrichtung die Paul, besonders bei prominenten oder auch nur wohlhabenden Kunden, regelmäßig hübsche Nebeneinnahmen bescherte.

    Trotz seiner Vorabinfos war Jakob überwältigt vom Schock der auf ihn einstürzenden, ungewohnten Sinneseindrücke. Insbesondere der abrupte Wechsel vom Übergang aus der tiefstehenden Nachmittagssonne in die abgedunkelte, purpurfarbene neue Umgebung, machten es ihm schwer überhaupt etwas wahrzunehmen. Er rieb sich die Augen und stammelte etwas, das sich, zumindest in seinen Ohren, wie `Getränk in der Lounge` anhörte. Unsichtbare andere schienen es jedoch ebenfalls vernommen zu haben, denn sichere Hände führten ihn durch dieses orgiastische Chaos, bis er sich plötzlich in einem bequemen Sessel wieder fand und seine Umwelt zu erkennen begann. Den unmittelbarsten Eindruck vermittelte ihm eine, wirklich nur sehr spärlich bekleidete, weibliche Schönheit, die sich freundlich nach seinem Getränkewunsch erkundigte. Sie schien ihren Job noch nicht sehr lange zu machen, denn sie beugte sich derart ungeschickt über ihn, dass eine ihrer beachtenswerten Brüste sein Gesicht streichelte, wodurch ihm die Konzentration schwer fiel. Eigentlich hatte er nur ein Bier bestellen wollen, aber so ließ er sich zu einem Planter‘s Punch, einer Spezialität des Hauses überreden.

    Dieses diffuse Dämmerlicht hat für den Wirt eigentlich viele Vorteile, schoss es ihm durch den Kopf, während er auf sein Getränk wartete. Kein Gast war in der Lage die Preise auf der Getränkekarte zu lesen und selbst fünfzigjährige Nutten konnten hier noch als knackige Mitzwanzigerinnen für das Wohl des Hauses tätig sein. Er fragte sich eben wann man wohl Kontakt zu ihm aufnehmen würde und ob zuerst sein Getränk käme oder die erste Braut, die dann natürlich nur Schampus trinken würde. Ihm war klar, dass er inzwischen knallhart eingeschätzt wurde. Wahrscheinlich halten sie mich für einen alten Bauern, der extra ein Schwein verkauft hat um in der großen Stadt mal etwas zu erleben, und der schon früh kommt um den letzten Zug in sein ödes Kaff nicht zu versäumen.

    „Hallo Süßer, unterbrach eine rauchige Stimme seine Überlegungen, „ich bin die Bianca. Er sah auf. Selbst bei diesem Licht war keine Täuschung möglich. Ich bin der Bauer, dachte er und grinste freundlich in zwei glanzlose Augen, die ihn illusionslos aus einem verlebten Gesicht anstarrten. Ihm wurde fast übel bei dem Gedanken welche Unmengen aufgegeilter, alkoholisierter, durchschwitzter und stinkender Männer wohl schon in sie eingedrungen waren. Wahrscheinlich musste sie die Schrottkundschaft bedienen, für die sich die anderen zu schade waren.

    „Willst du mich nicht? Ihr stark geschminktes Gesicht überzog sich mit dumpfer Hoffnungslosigkeit. „Ich schick dir dann die Claudia. Sie erhob sich zögernd.

    „Nein, nein! Jakob erwachte aus seiner Starre. „Bleib sitzen. Was willst du trinken?

    „Darum geht es nicht. Ich darf nur Champagner ansagen."

    „Na klar, nur zu."

    Sie winkte müde mit einer Hand, und wie aus dem Nichts, standen die Getränke vor ihnen.

    „Gehen wir später aufs Zimmer"? fragte sie hoffnungsvoll.

    Er zuckte nur mit den Schultern. „Das hängt von dir ab."

    „Wenn du nicht willst muss ich austrinken und wieder verschwinden. Und dann kommen die anderen mit der Rechnung."

    „Wie viel musst du machen damit der Chef bei Laune bleibt?"

    „Ich? Sie sah ihn verständnislos an. „Du bist heut mein erster Kunde. Diese Getränke, sie blickte auf die noch unberührten Gläser, „kosten dich `n schlappen Hunderter. Maximal zwei Stunden in der Suite kosten Dich fünfhundert, plus einen Drink pro Stunde für jeden von uns. Wenn du noch mehr Mädchen willst, wird es entsprechend teurer. Nur für uns beiden Hübschen macht das für dich so roundabout, sagen wir mal, gute achthundert. Willst du so viel für mich löhnen?"

    Jakob, der sich nicht als Gutmensch profilieren wollte, wich aus. „Ich bin kein Freier, weißt du. Ich schreibe an einem Roman über den Kiez. Hilfst du mir an einige Insider-Infos zu kommen?"

    „Worüber? fragte sie misstrauisch. „Über Drogen weiß ich nichts.

    „Nein, nur über dich und dein Leben, sonst nichts."

    „Ehrlich? Bianca schien völlig überrascht. Noch nie hatte sich ein Mensch für sie und ihre Geschichte interessiert, sich mit ihr länger als nötig unterhalten oder ihre Meinung zu etwas hören wollen. „Gut, entschied sie dann, „gehen wir nach oben. Sie hielt die Hand auf. „Du musst jetzt bezahlen."

    „Und was?"

    „Die beiden Drinks hier und die Suite. Gib mir sechshundert."

    Jakob hatte sich bereits genügend Bargeld lose in die Jackentasche gesteckt, da er es nicht für opportun hielt mit einer gefüllten Brieftasche zu hantieren und dadurch im Dunkeln lauernde Begehrlichkeiten zu wecken.

    „Ich bin gleich wieder da. Sie verschwand blitzschnell mit dem Geld in Richtung Tresen, ohne ihren Champagner auch nur angerührt zu haben. Also darf ich sie nicht nach Drogen und Kurden-Paul fragen, dachte er, zumindest nicht in der ersten Stunde. Während er noch überlegte womit er beginnen sollte, diese Schriftstellernummer war ihm eben erst spontan eingefallen, zog sie ihn auch schon aus seinem Sessel. „Komm mit.

    „Warte die Drinks."

    „Getränke dürfen von hier unten nicht mit auf die Zimmer genommen werden."

    „Was hast du denen erzählt?"

    „Nichts über uns." Sie ging vor ihm her und stieg schließlich auf einer engen, knarrenden Holztreppe in den 1. Stock. So musste er zwangsläufig und ungewollt ihre immer noch sehr schönen Beine bewundern.

    „Gefallen sie dir?" fragte sie spöttisch und ohne sich umzudrehen.

    „Sehr", antwortete er wahrheitsgemäß und fand sie zum ersten Mal sympathisch. Dies ist nun also eine Sexarbeiterin, dachte er belustigt, wie die Nutten heute von den politisch korrekt formulierenden Schwachköpfen genannt wurden. Ich bin wirklich sehr gespannt, was sie mir zu erzählen hat. Soweit er sich erinnern konnte, war er früher eigentlich nie in einem Puff gewesen. Obgleich er da auch so seine Zweifel hatte, denn einige ‚Geschäftsessen‘ hatten doch in einem sehr lockeren Ambiente stattgefunden. Mehrere Teilnehmer hatten sich dabei auffällig lange aus dem gemeinsamen Kreis entfernt, bevor sie, leicht verlegen, zu den anderen zurückkehrten. Er war eigentlich immer mit der geringen erotischen Ausstrahlung Louises zufrieden gewesen, obgleich es ihn manchmal gestört hatte, dass sie nach dem beiderseitigen Höhepunkt darauf bestanden hatte das Bettlaken zu wechseln. Aus hygienischen Gründen, hatte sie ihm erklärt. Anschließend ging sie ins Bad um an sich eine intime Spülung vorzunehmen, wonach sie für weitere Zärtlichkeiten nicht mehr empfänglich war, da sie ihre ehelichen Pflichten bereits erfüllt hatte.

    „Wir sind da. Biancas Stimme riss ihn aus seinen Träumereien. Sie blieb vor der Tür stehen. „Ich hab denen nicht gesagt, dass du kein Freier bist und nur mit mir reden willst. Das hätte mir sowieso keiner geglaubt. Nur Claudia weiß das. Sie war mir noch einen Gefallen schuldig und hat das Aufnahmegerät für unsere Suite abgestellt.

    „Welches…? Jakob sah sie fassungslos an. „Heißt das ihr macht Videos von den Gästen?"

    „Das machen sie doch alle. Selbst im Supermarkt."

    „Werden wir auch abgehört?"

    „Nein, wir ganz bestimmt nicht."

    „Wer ist Claudia? Kannst du ihr trauen?"

    „Sie ist meine beste Freundin. Die wollte ich zu dir schicken, als ich dachte du willst mich nicht. Leider macht sie manchmal großen Scheiß, weil sie voll auf Droge ist."

    „Warum erzählst du mir das überhaupt?"

    „Weil du sechs Scheine bezahlt hast, nur um mit mir reden zu können. Sie öffnete die Tür. „Komm rein, hier sind wir ungestört.

    Jakob stellte enttäuscht fest, dass diese sogenannte Suite, ziemlich einfallslos in das gleiche überquellende Rot getaucht war. Die Fenster waren verhangen; Tageslicht verpönt. Wahrscheinlich war dies einst das Wohnzimmer einer fleißigen Handwerkerfamilie. Auch eine Form der Gentrifizierung.

    „Gefällt es dir nicht? Bianca schien mit dem Siebten Sinn ausgestattet. „Wir haben auch noch einen Blauen Salon.

    „Doch, doch. Ich hatte mir nur unter einer Suite etwas anderes vorgestellt."

    „Menschliche Vorstellungen sind häufig realitätsfern."

    Er sah sie verblüfft an, sagte aber nichts. Mit diesem aktiven Wortschatz konnte sie bei jedem bürgerlichen Weibertreff eine Führungsrolle übernehmen.

    „Gib mal `n Hunni. Sie hielt ihm eine Hand hin. „Wir müssen was ordern.

    Als sie schließlich in den unbequemen Sesseln saßen, nur das King-Size-Bett sah einladend aus, und sich zuprosteten, sie mit ihrem Champagner, der real Aldi-Sekt war, und er mit seinem doppelten Gin Tonic, begann sie, ihm von sich zu erzählen. Er hatte eigentlich nur die übliche Geschichte einer zerrütteten Familie mit flüchtigem Vater und alkoholabhängiger Mutter erwartet, wodurch sie schon als Kind auf die Straße und in die Prostitution getrieben wurde. Doch nichts dergleichen geschah.

    „Wir dürfen nicht vergessen, nachher noch das Bett zu zerwühlen, begann sie, „glatte Kissen machen immer einen sehr verdächtigen Eindruck. Sie sah ihn achselzuckend an. „Willst du mir Fragen stellen oder soll ich einfach so losquatschen?"

    „Fang mal an. Fragen stell ich dir später."

    „Na gut. Wie du willst. Bianca atmete tief ein und aus. „Ich bin in einer Jugendstilvilla in Paderborn aufgewachsen. Meine Eltern waren ultrakonservativ und betrachteten mich als Höhere Tochter, die… -sie unterbrach sich plötzlich- „sag mal, weißt du überhaupt was das ist? Und wie soll ich dich eigentlich nennen? Wir machen hier schließlich nicht nur eine schnelle Nummer."

    Jakob unterdrückte nur mühsam seinen Ärger darüber, dass eine, im Vergleich zu ihm, noch junge Frau ihn auf diese Weise ansprach. Nicht einmal Louise hätte sich das getraut. „Ich heiße Jakob, antwortete er jedoch beherrscht, „und ich weiß was eine Jugendstilvilla ist, wo Paderborn liegt und mit einer Höheren Tochter bin ich seit über dreißig Jahren verheiratet.

    „Tschuldigung, Jakob. Aber ich habe noch nie darüber gesprochen. Es ist für mich wie eine Zeitreise zurück in meine Kindheit." Sie leerte ihr Glas in einem Zug.

    „Bestell dir gern noch was", ermunterte er sie.

    „Vielleicht später. Ich wurde also von jeder Arbeit freigestellt, denn meine einzige Aufgabe bestand darin, einmal eine gute Hausfrau, Gattin und Mutter zu werden. Darauf war meine ganze Erziehung und Schulbildung ausgerichtet. Ich war sogar zwei Jahre in einem Mädchenpensionat in der Schweiz. Als ich zurück kam musste ich Bälle, Abendgesellschaften und Kränzchen besuchen. Anfangs wusste ich nicht, warum das alles, bis mir endlich ein Licht aufging. Man wollte mich unter die Haube bringen."

    „Und dann bist du irgendwann ausgebrochen", fuhr ihr Jakob in die Parade, der Geschichten über Paderborn noch nie als sehr aufregend empfunden hatte.

    „Ja. Plötzlich gab es da einen Typen aus verbürgerlichtem Adel, dem ich immer häufiger begegnete. Unsere Eltern hatten das arrangiert. Dabei konnte ich den Kerl nicht leiden. Die Vorstellung für diese Knalltüte im Ehebett die Beine breit machen zu müssen, damit er dann später im Golfklub mit seiner Männlichkeit prahlen konnte, hat mich wahnsinnig gemacht. Stell Dir vor Jakob, dieser Mann war fast doppelt so alt wie ich und hatte in seinem Leben nie etwas gearbeitet. Dass sich so jemand überhaupt reproduzieren darf. Ich wollte jedenfalls nicht die Brutmaschine sein. Also hab ich mich abgesetzt. Bei Nacht und Nebel, wie es so schön heißt. Sag mal, gibst du noch einen aus?"

    „Hab ich doch schon gesagt."

    „Ich kann aber diese Prickeljauche nicht mehr vertragen."

    „Hier, nimm meinen Gin Tonic, der hat etwas mehr Body."

    Sie bediente sich augenblicklich. „Oh, das tut gut. Privat trinke ich meist Pernod."

    „Dann haben wir einen ähnlichen Geschmack. Ich bevorzuge Ouzo. Was hältst du davon, wenn wir uns nächstes Mal in einer Kneipe oder Cafe treffen. Ich zahle dir dann dreihundert und die Zeche. So haben wir beide etwas davon. Oder kannst du hier nicht raus?"

    „Aber klar doch, das können wir alle, nur die Kleinen…" Sie hielt sich den Mund zu und sah erschrocken auf die Kristalllampe über dem Bett.

    „Haltet ihr Kinder vor, für die Pädophilen?"

    Sie nickte verlegen. „Bitte, sag niemandem etwas, sonst bin ich tot."

    „Keine Sorge, das ist für mich auch nicht weiter interessant, log er. „Alle anderen können aber raus?

    „Ja, selbst die aus Osteuropa, die sich praktisch nie waschen. Paul hat ihre Papiere kassiert. Sie kommen immer wieder."

    „Deine auch?"

    „Was?"

    „Papiere."

    „Nein, ich könnte mir ja problemlos neue besorgen."

    „Aber du bleibst trotzdem?"

    „Ja. Hier geht es mir gut. Ich werde fast nie geschlagen und darf mich immer noch um die Kundschaft kümmern."

    Wie viele habt ihr von den Kleinen?"

    „Ich denke, dass interessiert dich nicht?"

    „Nur so am Rande."

    Sie hielt drei Finger hoch und sah ihn traurig an. „Zwei Jungs und ein Mädchen. Weißt du, ich habe heute keine Lust mehr. Lass uns aufhören. Wenn du willst, treffen wir uns Morgen, da ist mein freier Tag, im Captain`s Dinner. Wir sind da ungestört. Weißt du wo das ist?"

    „Irgendwo an den Landungsbrücken."

    „Ja, Brücke drei."

    „Und wann?"

    „Nicht so früh. Ich muss endlich mal wieder ausschlafen."

    „Neun Uhr abends?"

    „Geht klar."

    Während sie bereits das Bett zerwühlte, sagte er noch: „Dreihundert für zwei Stunden plus Essen und Getränke satt."

    Sie nickte nur abwesend.

    ***

    Louise war von ihren Eltern dazu erzogen worden, ihrem zukünftigen Mann eine gute Frau zu sein. Dieser Verpflichtung war sie auch ihr ganzes Eheleben nachgekommen. So hatte sie sich ihm nie verweigert wenn er Verlangen nach ihr verspürte, was glücklicherweise in der letzten Zeit immer seltener der Fall war. Sie bekochte ihn und hielt seine Kleidung sowie die Wohnung sauber. Was konnte ein Mann schließlich mehr verlangen? Sie hatte sogar zugestimmt als er mit ihr, aus Kostengründen, in dieses fürchterliche Quartier gezogen war. Ein Arbeiterviertel, das geprägt war durch eintönige Massenbauten sozialer Wohnungsbaugesellschaften.

    Wenn es sich ergab, unterhielt sie sich auch mit ihm, doch fast immer nur über Tagesereignisse, die durch Zeitungen, Radio und Fernsehen auf sie einströmten. Jakob vertrat dabei regelmäßig eine konträre Meinung zu den Ansichten, welche die Schreiberlinge und Kommentatoren dieser Mainstream Medien verkündeten. Er beschimpfte diese häufig lauthals, was sie eigentlich nie so richtig verstanden hatte, da die Beleidigten doch nichts davon mitbekamen. Sie akzeptierte es schließlich als eine Marotte von ihm und war im Grunde froh, dass diese Aggressivität sich nicht gegen sie richtete, was in anderen Ehen durchaus nicht unüblich war, wie sie von einigen Freundinnen wusste.

    Durch dieses pflichtbewusste Verhalten hatte sie sich eine sorgenfreie Existenz gesichert, in der nie von finanziellen Engpässen oder Trennungsabsichten die Rede war. Leider war sie nicht so schlicht gestrickt, als dass dieses, doch recht ereignislose Leben, sie hätte ausfüllen und glücklich machen können. Da sie auch keine Kinder hatten, um deren Zukunft sie sich sorgen konnte, hatte sie bereits vor längerer Zeit damit begonnen Träume zu realisieren, die ihren angetrauten Gatten Jakob nicht mit einschlossen.

    Dieser zwängte sich indessen aus dem Bus, der mit weiteren erschöpften Werktätigen überfüllt war und eilte beglückt seinem trauten Heim entgegen. Wenn er in seine Wohnung zurückkehrte vermittelte er Louise immer den Eindruck, froh darüber zu sein sich endlich wieder in den eigenen vier Wänden aufhalten zu dürfen. Er wusste, diese Anerkennung bestätigte sie in ihrem Tun und gab ihr neue Kraft für die zukünftige Erfüllung ihrer Pflichten. Jakob umarmte sie kurz und ließ sich dann in einen Sessel fallen. „Zuhause ist es doch am Schönsten, seufzte er zufrieden. „Ach ja, da fällt mir ein, morgen kann ich ausschlafen. Ich muss für einen erkrankten Kollegen einspringen und dessen Nachtschicht übernehmen.

    „Hattest du einen schweren Tag"? fragte sie scheinbar teilnahmsvoll, obgleich sich ihre Gedanken in weiter Ferne befanden.

    „Ach Louise, ich bin schließlich nicht mehr dreißig", antwortete er leicht genervt, womit er weder sich noch ihr neue Einsichten vermittelte. Als sie später ins Bett gingen, schlief er sofort ein, während sie noch lange ihren Träumen nachhing.

    ***

    Kurden-Paul wusste nicht so recht ob er mit dem Tag zufrieden sein sollte oder nicht. Es war ihm zwar gelungen die beiden Bulgarinnen an die Hells Angels zu verkaufen, man hatte ihn jedoch gezwungen einen erheblichen Preisnachlass zu gewähren. Statt der verabredeten vierzig Mille hatte er nur dreißig kassiert. Die Rocker waren zu Dritt in seinem Büro erschienen und verlangten sofort die Ware zu sehen. Er hatte die Frauen kommen lassen, worauf ihr Anführer von ihnen forderte sich sofort auszuziehen. Er kaufe schließlich keine verpackten Ärsche und Titten, hatte er grinsend erklärt. Als die ältere der Beiden dagegen protestierte, hatte er ihr ansatzlos mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, so dass ihr Kopf mit großer Wucht gegen eine Schrankecke geschleudert wurde, und sie besinnungslos zu Boden sackte.

    Die Spannung im Raum war augenblicklich spürbar. Seine Bodyguards hatten zu ihren Waffen gegriffen, sie jedoch noch nicht gezogen. Die Hände der Hells Angels verschwanden ebenfalls in ihren ausgebeulten Kuttentaschen.

    „Noch gehör‘n sie nicht euch," hörte er sich sagen.

    „Na und? Paar an die Backen hat noch Keiner geschadet", hatte der andere geantwortet, worauf sich die Situation wieder entspannte. Nachdem sich die Geohrfeigte mit blutigem und geschwollenem Gesicht aufgerappelt hatte, zogen sich jetzt beide widerstandslos aus und ließen sich von den Rockern begutachten. Der Schläger griff in die vollen Brüste der Jüngeren, die ihn angstvoll anstarrte.

    „Ich hab auch schon festere Titten in der Hand gehabt, sagte er verächtlich und stieß sie in Richtung eines seiner Kumpane. „Popp sie mal.

    Er wendete sich an die anderen im Raum. „Man muss ja schließlich wissen ob sie schon gut zugeritten ist."

    Der so Angesprochene bekam leuchtende Augen. „Komm

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1