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Das Geisterhaus auf der Beekwarf: Ein Geisterkrimi aus Schleswig-Holstein
Das Geisterhaus auf der Beekwarf: Ein Geisterkrimi aus Schleswig-Holstein
Das Geisterhaus auf der Beekwarf: Ein Geisterkrimi aus Schleswig-Holstein
eBook486 Seiten6 Stunden

Das Geisterhaus auf der Beekwarf: Ein Geisterkrimi aus Schleswig-Holstein

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Über dieses E-Book

Im Herbst 1993, während eines mehrtägigen, ungewöhnlich dichten Nebels, verschwindet die Familie Benninghaus spurlos von ihrem Wohnsitz, der Beekwarf. Eine Untersuchung durch die Polizeidi-rektion Husum bleibt ergebnislos und sie bittet das Landeskriminalamt Kiel um Unterstützung. Der Einsatz der LKA-Beamten führt ebenfalls nicht zu einer Aufklärung der Ereignisse, endet aber mit dem rätselhaften Verschwinden der leitenden Hauptkommissarin und eines weiteren Polizeibeamten. Einer der Zeugen dieses Vorfalles ist Andreas Thorensen vom Polizeirevier Husum. Gemeinsam mit Kriminalhauptkommissar Michael TenDegen vom LKA Kiel, der im Folgenden die Untersuchungen leitet, versucht er, den Fall aufzuklären. Die beiden verbindet ein privates Interesse an übersinnlichen Erscheinungen. Sie kommen bald zu dem Schluss, dass es sich bei Ursache für die Ereignisse auf der Beekwarf um das Wirken von Geistern handelt. Mit Hilfe eines Mediums gelingt es ihnen, eine Verbindung zu ihnen herzustellen, und sie erfahren einen Teil der Ereignisse, die in grauer Vorzeit an diesem Ort stattfanden und die bis in die heutige Zeit nachwirken. Bei seinen weiteren Nachforschungen gerät TenDegen in Kontakt mit jenseitigen Mächten, die ihn am Ende sein irdisches Leben kosten.
Fünfzehn Jahre später zieht das Ehepaar Steinwinkel aus Hamburg mit ihren beiden Kindern in das Haus auf der Beekwarf. Ihre Anwesenheit setzt eine Reihe von geisterhaften Erscheinungen in Gang, die am Ende die Familie von der Beekwarf vertreiben.
In all den Jahren haben Andreas Thorensen, der inzwischen beim LKA in Kiel arbeitet, die Vorfälle auf der Beekwarf nicht losgelassen und es gelingt ihm, mehr über die Hintergründe der Geisterakti-vitäten auf der Beekwarf herauszufinden. Er erfährt von einem Fluch, der die Geister an diesen Ort fesselt. Nur unter bestimmten Bedingungen können sie von diesem Bann erlöst werden, doch deren Eintreten erscheint unmöglich. Unerwartet ergibt sich diese Gelegenheit, als das Ehepaar Steinwinkel den Mut aufbringt, noch einmal auf die Beekwarf zurückzukehren. Dass sie im letzten Augenblick aus größter Gefahr gerettet werden, verdanken sie der Aufmerksamkeit von Andreas Thorensen. Und schließlich erfüllt sich das Schicksal jener Geister und der Beekwarf.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Juni 2013
ISBN9783847624165
Das Geisterhaus auf der Beekwarf: Ein Geisterkrimi aus Schleswig-Holstein

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    Buchvorschau

    Das Geisterhaus auf der Beekwarf - Hans Nordländer

    I. Rangdredd

    Verschollen im Nebel

    Langsam rollte das Postauto die schmale Zufahrt zum Anwesen der Familie Benninghaus hinauf. Der Weg bestand lediglich aus zwei parallelen Bahnen roter Backsteine, die teilweise beachtliche Unebenheiten aufwiesen, in denen sich in regenreichen Zeiten tiefe Wasserpfützen bildeten. Obwohl es Herbst war, gemeinhin also eine regenreiche Jahreszeit, hatte es in dieser Saison bis dahin kaum Niederschlag gegeben und so war der Weg zwar trocken, aber doch sehr holperig.

    Zu beiden Seiten des Weges wucherte mannshohes Reetgras. Am Ende stieg der Weg zu einem Vorhof an, denn die Warf tat das, was Warfen stets tun, sie erhob sich einige Meter aus den umgebenden Marschwiesen.

    Das Anwesen mit dem Namen »Beekwarf« lag inmitten weiten Grünlandes zwischen zwei Flutgräben und etwas abseits von der Deichstraße, die, wie ihr Name schon verriet, an einem Deich entlangführte. Ein Saum beachtlicher Pappeln umhegte das Grundstück. Rund um das alte Reetdachhaus mit seinem großzügigen Garten wuchsen eher wild als gepflegt Sträucher und Büsche. Dazwischen breitete sich ein unpassend kurz geschnittener Rasen aus. Hinter einer niedrigen Hecke lag ein ordentlich geführter Gemüsegarten.

    Der Ring aus Pappeln, die wildwachsenden Sträucher, das mächtige Reetdach, die niedrigen, weißgetünchten Mauern mit den hellblauen Fenstern und einer ebenso farbigen Haustür - all das verlieh dem Anwesen den rauen Charme der nordfriesischen Landschaft.

    Es war der erste Tag, nachdem sich ein fast eine Woche lang schwer über der Landschaft lastender Nebel verzogen hatte und die blasse Herbstsonne durch die aufgelockerte Wolkendecke blinzelte und die Welt wieder etwas freundlicher erscheinen ließ.

    Als der Briefträger Hauke Tvist durch die nicht abgeschlossene Eingangstür ins Haus eintrat und laut seine Ankunft ankündigte, für den Fall, dass die Bewohner ihm ihre Post mitgeben wollten, was zuweilen vorkam, bekam er keine Antwort. Stattdessen stellte er auf der Diele eine erschreckende Unordnung fest, wie er es bis dahin in diesem Haus noch nie gesehen hatte. Aber das ging ihn nichts an. Da die Haustür nicht verriegelt war, sollte eigentlich irgendwer in der Nähe sein. Er legte die beiden Briefsendungen auf eine Kommode auf der Diele, verließ das Haus und ging einmal prüfend durch den Garten, aber auch dort entdeckte er niemanden.

    An diesem Tag dachte sich Hauke noch nichts dabei und fuhr wieder davon. Einige Zeit später erinnerte er sich daran, weder die beiden Hunde noch die anderen Hoftiere, ein paar Hühner und Enten und einen alten Kater, bemerkt zu haben. Das war dann doch etwas sonderbar.

    In den folgenden Tagen war es überraschenderweise nicht anders. In dieser Zeit führte die Arbeit Hauke Tvist noch zweimal auf das Anwesen, aber er traf nie irgendwen dort an und auch die Haustür war jedes Mal unverschlossen. Er kannte die Familie recht gut und allmählich machte sich in ihm eine zunehmende Besorgnis bemerkbar, denn er wusste, dass Frau Benninghaus nicht arbeiten ging und wenigstens ihr hätte er in dieser Zeit das eine oder andere Mal begegnen müssen. Vor dem Nebel, während dieses herbstlichen Wetters war er nicht auf die Beekwarf gekommen, hatte sie ihm gegenüber auch nicht erwähnt, dass die Familie die Absicht hatte, für einige Tage zu verreisen. Das tat Frau Benninghaus in so einem Fall meistens, damit er nicht den Umweg zur Beekwarf machen musste. Irgendwer von ihnen holte die Post später auf dem Amt ab. Außerdem hätten die Benninghaus´ in dem Fall bestimmt nicht die Haustür unverschlossen gelassen und alle ihre Haustiere mitgenommen. Und beide PKW der Familie standen auch noch in ihren Garagen. Aber jedes Mal, wenn Hauke wieder auf das Grundstück kam, waren nur die Spuren seines Postautos vor dem Haus zu sehen. Anscheinend waren die Autos der Familie in der Zwischenzeit nicht benutzt worden.

    Seinen seit einiger Zeit schwelenden Entschluss, die Polizei über die merkwürdigen Zustände auf der Beekwarf zu benachrichtigen, setzte Hauke schließlich aus dem Grund in die Tat um, weil der wachsende Stapel Post auf der Kommode unangetastet blieb und der Anrufbeantworter des Telefons neben den Briefen in den vergangenen Tagen einige Anrufe aufgezeichnet hatte, die offensichtlich nicht abgehört worden waren. Also war auch zu den anderen Tageszeiten niemand von der Familie in dem Haus gewesen. Hauke Tvist wusste zwar nicht, was er von der Sache halten sollte, aber Gründe zur Annahme, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging, gab es alle Mal.

    Noch am gleichen Tag kam eine Polizeistreife aus dem nahegelegenen Husum vorbei und fand alles genauso vor, wie es der Postbote berichtet hatte.

    Als die beiden Beamten aus dem Auto ausstiegen, blieb Polizeiobermeisterin Karola Herbst kurz, aber auffällig wie angewurzelt stehen und ein unerwarteter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.

    „Was ist?, fragte ihr Kollege, Polizeihauptmeister Bernd Niewald. „Was hast du?

    „Was? Ach nichts, erwiderte sie nur. „Ich dachte nur ....

    Sie ließ ihre Gedanken unausgesprochen und ging weiter. Ihr Kollege folgte ihr kommentarlos.

    Die beiden Polizisten drangen nun tiefer in das Haus ein, als Hauke Tvist es gewagt hatte. Aber auch sie trafen niemanden an, weder tot noch lebendig. Die Räume waren erfüllt von einer geradezu gespenstischen Stille. Falls sich dort, was nicht auszuschließen war, ein Verbrechen ereignet hatte, so war es auf jeden Fall nicht auf dem ersten Blick erkennbar. Die beachtliche Unordnung ließ bei den beiden Polizisten anfangs zwar diesen Verdacht aufkommen, aber es gab keine Anzeichen für eine gewaltsame Auseinandersetzung oder einen Überfall. Es herrschte nur ein allgegenwärtiges Chaos. Und bei dem auf der Diele blieb es nicht. Alle Zimmer im Erd- und Obergeschoß waren davon mehr oder weniger stark betroffen. Doch je länger sie sich in dem Haus aufhielten, desto deutlicher wurde ihr Eindruck, es mit einem ausgesprochen unheimlichen Ort zu tun zu haben.

    Die Aufzeichnungen auf dem Anrufbeantworter waren von alltäglicher Natur, nur ein Anrufer hatte sich in einem Abstand von zwei Tagen noch einmal gemeldet, weil er ein Treffen vereinbaren wollte. Anscheinend hatte er es dann aufgegeben, als auch auf den zweiten Anruf keine Antwort folgte. Wenn man davon ausging, dass aufgezeichnete Nachrichten nach dem Abhören gelöscht wurden, dann war dieser Anrufbeantworter schon seit über einer Woche nicht mehr abgehört worden.

    Was die beiden Polizisten in den Zimmern vorfanden, war, wie schon der Zustand auf der Diele, schwer zu deuten. Es war nicht das typische Durcheinander einer über die Maßen unordentlichen Familie. Die Möbel standen anscheinend alle an ihren Plätzen oder waren nur wenig verschoben, aber einige der Schubladen und Türen der Schränke standen offen. Ein Teil des Inhaltes lag in den Räumen verstreut. Das musste noch nicht unbedingt ein Hinweis auf den Ordnungssinn der Bewohner dieses Hauses sein. Bei Zwangsräumungen von Wohnungen wurden solche Zustände immer wieder offenbar, aber dort fand man in diesen Fällen dann auch Berge von Müll. Hier aber war weder Müll noch anderer Dreck im Spiel. Herbst und Niewald stellten bald fest, dass es sich bei den verstreuten Dingen nur um Haushaltsinventar handelte, und das war sauber.

    Noch merkwürdiger war, dass diese unglaubliche Unordnung in allen Räumen herrschte, die sie betraten. Die Möbel schienen unberührt, aber ein Teil ihres Inhaltes lag weit verstreut auf dem Fußboden.

    Dann entdeckte Karola Herbst den einzigen Hinweis auf Unsauberkeit. In der Stube lagen zwei Weingläser auf dem Tisch. Sie waren benutzt worden, bevor sie umfielen, denn in ihnen klebte noch angetrockneter Rotwein und zwei Lachen waren in die Tischdecke eingedrungen. Auch sie waren bereits eingetrocknet, was darauf schließen ließ, dass die Gläser schon einige Tage so herumlagen. Aber sie waren nicht irgendwie umgefallen, sondern lagen wie ausgerichtet nebeneinander, so, als wäre der Stoß von einer Seite gekommen, oder jemand hätte die Gläser absichtlich in dieser Weise auf die Seite gelegt. Dabei waren sie nicht einmal zerbrochen. Dass ein oder zwei Gläser umfielen, kam vor, aber wer würde sie einfach dort liegenlassen, noch dazu ohne den Wein aufzuwischen?

    In diesem Augenblick wurde Bernd Niewald auch klar, was ihn an dem Anblick der verstreuten Dinge störte, auch wenn es ihm nicht sofort aufgefallen war. Nichts lag wild durcheinander, sondern alles war in einer bestimmten Richtung angeordnet. Diese Richtung war in jedem Raum etwas anders, innerhalb eines jeden Raumes aber gleich. Es sah fast so aus, als wäre ein heftiger Windstoß durch die Zimmer gefegt, in jedem aus einer etwas anderen Richtung, und hatte alles, was er erfassen konnte, geordnet über den Fußboden verteilt. Aber die Fenster waren alle geschlossen. Außerdem wäre ein derartig gleichgerichteter Windstoß selbst bei geöffneten Fenstern und Türen in dieser Dauer und Stärke absurd. Noch seltsamer kam ihnen vor, dass nichts an den Wänden, die sich gegenüber den Fenstern befanden, aufgehäuft worden war. Wie ein gewöhnlicher Einbruchdiebstahl sah das alles jedenfalls nicht aus.

    „Dort", machte Karola Herbst ihren Kollegen aufmerksam und zeigte in eine bestimmte Ecke der Stube.

    „Ich sehe nichts. Was soll da -, du meinst -?"

    Es war nicht sofort ersichtlich, was die Polizeiobermeisterin meinte, aber dann fiel auch Bernd Niewald der seltsam formlose Schatten auf. Im gleichen Augenblick wurde er aber durch die Sonnenstrahlen, die durch ein Fenster fielen, als sich kurz eine Wolkenlücke auftat, wieder aufgelöst.

    „Ich weiß es nicht, sagte sie. „Ich will nur wissen, ob du es auch gesehen hast.

    „Nur ein Schatten", erwiderte er.

    „Ja, nur ein Schatten. Aber wovon? Er war gestaltlos, wie ich finde, aber deutlich. Und er war entstanden, als die Sonne von Wolken verdeckt war und ist verschwunden, als sie wieder hervorkam. Findest du das normal?".

    Der Polizeihauptmeister schüttelte mit dem Kopf. Eine Antwort fiel ihm aber auch nicht ein.

    „Ich glaube nicht an Geister, aber verlassen wir lieber den Raum."

    „Das wollte ich gerade vorschlagen."

    Bernd Niewald glaubte, ein leichtes Zittern in der Stimme seiner Kollegin zu hören. Und auch er selbst spürte, wie sich die Atmosphäre befremdlich verändert hatte.

    Nachdem die beiden Polizisten sicher waren, nichts mehr im Haus entdecken zu können, was ihnen die Umstände erklärte, entschlossen sie sich, auf dem Grundstück nach irgendwelchen Spuren zu suchen. Beide waren froh, das Haus wieder verlassen zu können, denn die unerklärliche Beklemmung und die allmähliche Ahnung der Anwesenheit von etwas, was sie nicht sehen konnten, verstärkten sich, je länger sie sich dort aufhielten. Keinem von beiden fiel auf, dass sie unbewusst vermieden, den Keller zu untersuchen. Es machte noch nicht einmal einer den Vorschlag, da hinunterzugehen.

    Es bestätigte sich, was sie bereits vermutet hatten. Gewaltsam war niemand in das Haus eingedrungen. Fensterrahmen und die wenigen Fensterläden, die das Wohngebäude noch besaß, waren wie die Haustür unversehrt. Dort gab es also auch keinen Hinweis darauf, was geschehen war. Ebenso erfolglos blieb die Besichtigung der kleinen Nebengebäude. Auffällig war hier nur, dass sie nicht von der Unordnung, wie sie in dem Wohnhaus herrschte, betroffen waren. Alles war sehr rätselhaft und, ohne dass ein handfester Grund dafür vorlag, furchteinflößend. Wie der Postbote richtig berichtet hatte, war nicht nur die Familie Benninghaus verschwunden, sondern auch alle ihre Haustiere.

    Die beiden Beamten waren schon dabei, das Grundstück mit ungewöhnlich zügigen Schritten wieder zu verlassen, als Bernd Niewald seine Kollegin auf eine etwas entferntere, aufgewühlte Stelle im Rasen hinwies, die anscheinend frisch aufgeworfen worden war, aber im Schatten eines mächtigen Rhododendron-strauches lag, weshalb sie ihm auch nur zufällig aufgefallen war. Karola folgte ihm widerstrebend.

    Der Ort entpuppte sich als flacher Trichter, etwa einen halben Meter tief und einen Meter im Durchmesser. Das Erdreich war am Rand gleichmäßig zu einem kleinen Wall aufgeworfen worden und dahinter noch ein Stück sternförmig verstreut. Das war noch ein Rätsel, denn es gab keine typischen Grabespuren, fast so, als wäre der Trichter nicht von Menschenhand entstanden, sondern von innen heraus. Die Trichterwand war erstaunlich gleichmäßig gestaltet.

    Auch diesem Geheimnis kamen die beiden Beamten nicht auf den Grund und keiner von ihnen hatte Lust, in dem Trichter zu graben.

    „Lass uns weggehen", bat Karola Herbst ihn jetzt beinahe beschwörend.

    „Ja, du hast Recht. Irgendetwas stimmt hier nicht."

    Karola sah ihren Kollegen an.

    „Seit wann spürst du es?" fragte sie.

    „Seit der Begegnung mit diesem Schatten in der Stube, so flüchtig er auch war. Ich möchte es aber nicht als spüren bezeichnen, es ist eher eine düstere Ahnung. Hast du deshalb gezögert, als wir vorhin ausstiegen?"

    Karola Herbst nickte. Dann verließen sie das Grundstück.

    Bei ihrem Einsatz hatten die beiden Polizisten zwar wenig herausgefunden, aber genug gesehen, um vorschlagen zu können, auf der Beekwarf mit einer größeren Zahl von Beamten eine gründlichere Untersuchung durchzuführen. Vielleicht war es sogar ein Fall für das LKA, aber dessen Benachrichtigung war sicher noch nicht der nächste Schritt.

    Zu diesem Zeitpunkt gab es noch Hoffnung, dass die Familie Benninghaus wieder lebendig auftauchen würde, wo immer sie sich zu dieser Zeit aufhielten. Alle ihre Eindrücke und Sinneserfahrungen ließen sie jedoch ganz andere, zu diesem Zeitpunkt noch unerklärliche Umstände befürchten, denn die Tatsache, dass sie auf der Beekwarf von unerwarteten, ihnen für gewöhnlich unbekannten Gefühlsregungen betroffen waren, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, ließ den Schluss zu, dass Dinge im Spiel waren, denen sie bei ihren bisherigen Polizeieinsätzen noch nie begegnet waren.

    Mit dem anhaltenden Nebel zu der Zeit, als die Familie verschwand, brachten sie das Ereignis nicht in Verbindung. Ein solcher Zusammenhang wäre ihnen auch vollkommen abwegig erschienen.

    „Glaubst du an Gespenster?", unterbrach Karola das Schweigen. Für einige Zeit hatte jeder von ihnen seinen Gedanken nachgehangen. Das war eine überraschende Frage von einer Ordnungshüterin.

    Bernd Niewald wandte den Blick nicht von der Straße, aber sie wusste, dass er sie verstanden hatte. Ein kurzes Lächeln flog über sein Gesicht, es sah aber alles andere als belustigt aus.

    „Wenn du mir diese Frage gestern gestellt hättest, hätte ich vermutet, dass du mich auf den Arm nehmen willst, entgegnete er. Und nach eine kurzen Denkpause: „Und es darf eigentlich auch jetzt nicht anders sein, aber nach allem – ich weiß es nicht.

    „Du schließt die Möglichkeit aber nicht aus?"

    „Ich kenne allein schon aus meiner Familie drei oder vier Gespenstergeschichten, erzählt von meiner Großmutter und einer Tante. Kindergeschichten, wie ich vermute, und als Kind war ich davon auch ziemlich beeindruckt. Aber ehrlich – ich weigere mich heutzutage einfach, an so etwas zu glauben. Und was wir auf der Beekwarf erlebt haben – reicht das tatsächlich schon für eine Gruselgeschichte mit Gespenstern?"

    „Da hast du auch wieder recht", gab Karola zu und war zu einem gewissen Grad erleichtert. Hätte ihr Kollege ihre Beobachtungen und Empfindungen unumwunden mit der Gegenwart von Geistern erklärt, wäre sie in gewisse Nöte geraten. Auch Karola hatte einige wenige solcher Geschichten gehört, war ihnen aber stets mit verständlichen Vorbehalten begegnet. Doch ihre unbegreiflichen Erfahrungen an diesem Tag ließen Zweifel an dieser Haltung gegenüber übersinnlichen Erscheinungen aufkommen. Vielleicht gehörten ja nicht einmal unbedingt Begegnungen mit sichtbaren Geistern dazu. Andererseits konnten sie ihre Empfindsamkeit unter Umständen darauf zurückführen, dass sie zur dieser Zeit einfach etwas überarbeitet waren, denn in den letzten Wochen hatten die beiden tatsächlich mehr Einsätze gehabt als üblich, und dazu noch wenig geschlafen.

    „Außerdem macht sich ein Hinweis auf übersinnliche Erscheinungen nicht gut in unserem Bericht", fand der Polizeihauptmeister.

    Karola lächelte und nickte zustimmend. Wie sollten sie auch etwas in Worte fassen, was sie nicht erklären konnten und von dem sie nicht einmal überzeugt waren, ob es überhaupt existierte und nicht ihrer Einbildung entsprang?

    Über ihre seelischen Befindlichkeiten würden die beiden Polizisten wohl schweigen können, aber nicht über die gemachten Beobachtungen. Und die ließen einige Fragen unbeantwortet. Beide mussten zugeben, dass sie weder die Anordnung des »Streugutes« in den Zimmern noch die Entstehung des rätselhaften Trichters im Garten erklären konnten. Noch weniger hatten sie herausgefunden, was mit der Familie Benninghaus geschehen war. Zusammengenommen gab es nur Fragen, aber keine Antworten. Somit waren sie der Aufklärung dieses Falles auch noch lange nicht nähergekommen.

    Eine zweite Untersuchungsmannschaft des Polizeireviers Husum mit spezialisierteren kriminalistischen Kenntnissen wurde zu dem Anwesen geschickt. Doch auch sie stand den örtlichen Gegebenheiten ratlos gegenüber. Karola Herbst und Bernd Niewald hatten nach ihrer Rückkehr nur von den offensichtlichen Beobachtungen gesprochen, nicht jedoch von den eventuellen psychisch belastenden Besonderheiten dieses Ortes. Deshalb waren die Mitglieder der zweiten Gruppe umso überraschter, als einige von ihnen unerwartete Gemütsveränderungen an sich feststellten. Besonders in der Nähe des Erdtrichters wurden sie deutlich. Auf dem Anwesen schienen geheimnisvolle Kräfte am Werk zu sein, die niemand auszudrücken vermochte. Unerklärliche Schatten begegneten ihnen im Haus jedoch nicht.

    Wenn sie auch keine unmittelbare Gefahr für sich erkannten, so machten sich doch die beklemmenden Gefühlsregungen unangenehm bemerkbar. Und eine Kollegin, Polizeihauptmeisterin Christina Dörl, wurde von der beunruhigenden Ahnung erfüllt, die ganze Zeit von einem unsichtbaren Wesen beobachtet zu werden, das sich in ihrer Nähe aufhielt. Selbst die anfänglichen Zweifel einiger ihrer Kollegen brachte sie nicht von dieser Überzeugung ab, die sie in der Folge aber für sich behielt.

    Die Aufklärung psychischer Phänomene gehörte genauso wenig zu dem Arbeitsfeld dieser Einsatzgruppe wie zu dem der beiden Streifenpolizisten. Doch inzwischen konnte diese Eigenschaft des Anwesens nur noch mit einer gewissen Einfältigkeit verleugnet werden. Einer der Beamten, die dieses Mal auf dem Anwesen ermittelten, Polizeihauptmeister Andreas Thorensen, beschäftigte sich in seiner Freizeit gelegentlich mit übernatürlichen Dingen, was im allgemeinen einen mehr oder weniger wohlwollenden Spott hervorrief, wenn er es erwähnte, weshalb er aus verständlichen Gründen vermied, es zu tun. Zumal eine solche Neigung nicht zum Bild eines den Tatsachen zugewandten Polizisten passte, dessen Entscheidungen doch eher von »objektiven Fakten« abhängen sollten. Doch in diesem Fall erfuhr er eine unerwartete Unterstützung von einigen seiner Kollegen, die ihn begleiteten.

    Auf seine Überlegung hin, es an diesem Ort unter Umständen mit bemerkenswerten psychischen Erscheinungen zu tun zu haben, erhoben sie verblüffender Weise keinen Einspruch. Auch sie, im Allgemeinen von jeglicher psychischen Sensibilität unbelastet, stellten eine unklare seelische Beeinflussung, bis hin zu einer gewissen Furcht, an sich fest. Keiner von ihnen, nicht einmal Thorensen selbst, wollte von Spuk und Gespenstern sprechen, aber das Anwesen einen Ort bemerkenswerter geistiger Kräfte zu nennen, wagte er schon. Nach einer diesbezüglichen Befragung von Karola Herbst und ihres Kollegen, bei dem Karola schließlich auch den mysteriösen Schatten erwähnte, konnte kaum noch daran gezweifelt werden, es mit einem außergewöhnlichen Ort zu tun zu haben.

    In einer, diesem zweiten Einsatz, der sie einer Klärung des Falles auch nicht näher gebracht hatte, folgenden Beratung, kam ein Vorfall zur Sprache, den die betroffene Polizistin, Polizeikommissarin Verena Rothenbaum, aus gutem Grund verschwiegen hatte, denn er war dazu geeignet, an ihrer mentalen Verfassung zu zweifeln. Und nur sie allein war Zeugin dieses Vorgangs gewesen, er konnte also von niemandem bestätigt werden.

    „Es war in einem der Schlafzimmer im Obergeschoß, begann sie zögernd. „Gerd sah sich noch am Ende des Flures um. Als ich in der Tür stand und durch das Fenster nach draußen sah, schien es plötzlich auf mich zuzukommen, begann sich zu drehen und wurde schließlich zu einer blassen Spirale. Dann war es genauso plötzlich wieder vorbei, wie es angefangen hatte.

    Niemand regte sich. Alle schwiegen und blickten betont unbeteiligt auf den Tisch oder aus den Fenstern. Keiner von den Anwesenden lachte, wusste aber genauso wenig, wie er oder sie auf Verenas Äußerung reagieren sollte. Es herrschte ein erkennbare Ratlosigkeit. Andreas Thorensen hätte vielleicht etwas dazu sagen können, aber auch er enthielt sich zunächst jeder Bemerkung. Für derartige Gedanken war es auch noch zu früh.

    Nach einer ungemütlichen Gesprächspause fragte Harm Hansen, der Dienststellenleiter, auch weil ihm nichts Besseres einfiel:

    „War dir schwindelig?"

    „Ich wusste, dass eine solche Bemerkung fallen würde, meinte Verena barsch. „Jetzt frage mich nur noch, ob ich Medikamente nehme oder meine Tage habe. Ich -.

    „Nein, so habe ich es nicht gemeint, unterbrach Hansen sie lächelnd. „Ich meinte, wurde durch diese Erscheinung ein Schwindel ausgelöst?

    „Weder vorher noch nachher. Und Medikamente nehme ich nicht."

    „Das glauben wir dir ja."

    „Ich habe nichts Ungewöhnliches an Verena festgestellt, sagte Polizeioberkommissar Gerd Treesen, der mit ihr zusammen das Obergeschoß untersucht hatte. „Ich habe aber auch nichts von dem Vorfall bemerkt.

    „Als du `reinkamst, war der Spuk ja auch schon wieder vorbei", sagte Verena ein wenig trotzig.

    Es war ihren Worten nicht zu entnehmen, ob sie diesen Ausdruck nur als allgemeine Redewendung benutzt hatte, oder ob sie ihm eine wohlbedachte Bedeutung beimaß.

    Die Angelegenheit zeigte einige Aspekte, die ihn zu einem ungewöhnlichen Fall werden zu lassen schienen, aber noch wussten sie zu wenig darüber. Im Folgenden drehten sich die Beratungen darum, wie man weiter vorgehen wollte. Es stand außer Frage, dass die Familie Benninghaus gefunden werden musste. Manche hofften, dass ihr Verschwinden nichts mit den sonderbaren Umständen auf dem Anwesen zu tun hatte, obwohl alle argwöhnten, dass das eine wohl nicht von dem anderen zu trennen war. Und wie es schien, war der Fall auch nicht mit der herkömmlichen Routine aufzuklären.

    Bei den Beamten setzte sich allmählich die Überzeugung durch, es mit dem mysteriösesten Vorgang zu tun zu haben, dem sie jemals gegenüberstanden. Und sie kamen ebenso zu dem Schluss, das Rätsel mit ihren Mitteln nicht lösen zu können. Also würden sie Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Und die musste zunächst vom LKA kommen.

    „Das ist ja alles richtig, fand Gerd Treesen. „Aber was werden sie sagen, wenn wir ihnen erklären, dass hier eine vierköpfige Familie spurlos verschwunden ist und paranormalen Erscheinungen auf ihrem Grund und Boden nicht auszuschließen sind?

    „Was heißt hier »nicht auszuschließen«?, fragte Christina Dörl. „Auch wenn dort unerklärliche Dinge vorgehen, so sind sie doch Tatsachen, oder? Schließlich waren einige von uns von den Auswirkungen betroffen.

    „Christina hat recht, unterstützte Andreas Thorensen die Polizeihauptmeisterin. „Hätte nur einer von uns eine außergewöhnliche Beobachtung gemacht, hätte man sie einfach mit einer vorübergehenden Überspanntheit, nenne ich es jetzt einmal, abtun können. Aber fast jeder, der dort war, war in irgendeiner Weise betroffen. Sollen sie sagen, was sie wollen, das ist eine Angelegenheit, die wir allein kaum lösen werden können. Auch wenn es an unserer Ehre kratzt, das zugeben zu müssen, fügte er mit einem Lächeln hinzu.

    Schließlich kamen sie überein, das zu tun, was sich sowieso nicht vermeiden ließ. Harm Hansen ließ einen Bericht anfertigen, mit dem er die Anforderung einer Untersuchungskommission beim LKA begründete, obwohl er schon ahnte, wie zurückhaltend die Verantwortlichen dort darauf reagieren würden. Und wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er an deren Stelle ebenfalls nicht vorbehaltlos an den Fall herangegangen wäre. Aber diese Reserviertheit konnte sich schließlich nur auf die Rahmenbedingungen beziehen. Der objektive Grund für das Hilfeersuchen war und blieb das unerklärliche Verschwinden der Familie Benninghaus.

    Selbstverständlich wurden auch die naheliegenden Maßnahmen ergriffen. Noch bevor sich die zweite Untersuchungsmannschaft auf dem Anwesen umsah, wurde Verbindung mit einigen Verwandten, Bekannten und Freunde der Benninghaus-Familie aufgenommen, soweit sie ausfindig gemacht werden konnten. Ausnahmslos war niemandem etwas von dem Schicksal der Familie bekannt. Nicht einmal kurz vor ihrem Verschwinden hatte sie irgendetwas von Urlaubsplänen oder Ähnlichem verlauten lassen. Genauso wenig hatte sie sich jemals in irgendeiner Weise über unheilvolle Ereignisse in ihrer Umgebung beklagt, die ihr Verschwinden mit einer möglichen Flucht erklären konnten, was jedoch der Umstand, dass die beiden Autos zurückgelassen worden waren, eher als unwahrscheinlich erscheinen ließ. Und in so einem Falle wäre sicher gewesen, dass sie sich bei irgendwem gemeldet hätte. Aber nichts dergleichen war geschehen, jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt nicht.

    Eine Suche in der näheren Umgebung der Beekwarf blieb ebenfalls erfolglos. Die Familie war wie vom Erdboden verschluckt.

    Natürlich begannen sich die Angehörigen und Freunde Sorgen zu machen, nachdem sie von dem rätselhaften Verschwinden der Familie Benninghaus erfahren hatten. Aber für sie hatte es kaum einen Sinn, ohne genauere Kenntnisse eine Suche zu beginnen. Man musste eben abwarten, was die Polizei herausfand oder bis sich die Familie von selbst wieder meldete. Noch am gleichen Tag wurde die Familie zur Fahndung ausgeschrieben und auch die Fernsehzuschauer wurden um Mithilfe gebeten.

    Revierleiter Harm Hansen kannte die Geschichte bisher nur aus den Berichten seiner Mitarbeiter, und es gehörte nicht zu seinen regelmäßigen Aufgaben, bestätigte oder vermutete Tatorte zu besuchen, aber dieses Mal wollte er sich selbst ein Bild von der Sache machen. Sie war zu verworren, um sich ausschließlich auf die Aussagen seiner Leute zu verlassen, wenn er ihnen auch für gewöhnlich vertraute. Dabei war er noch nicht einmal sicher, ob er mehr herausfinden würde. Harm Hansen wurde begleitet von Andreas Thorensen und Karola Herbst. Weder Christina Dörl noch Verena Rothenbaum waren geneigt, noch einmal einen Fuß auf das einsame Gehöft zu setzen. Auch das war ein Hinweis darauf, dass dort irgendetwas Beunruhigendes vor sich ging, denn keine der beiden Frauen galt als besonders ängstlich.

    Es war ein kalter, stürmischer Nachmittag und immer wieder trieben Regenschauer über die an diesem Tag lieblose Marschlandschaft. Eigentlich war es eher ein Wetter, um am Ofen zu sitzen und Tee zu trinken, als im Garten auf geheimnisvolle Weise verschwundener Leute nach der Erklärung paranormaler Rätsel zu suchen, falls sie denn überhaupt existierten.

    Wie nicht anders zu erwarten, obwohl Hansen von der Hoffnung erfüllt war, dass sein Ausflug ein anderes Ergebnis zeitigen würde, blieb auch ihm eine Antwort verwehrt, sowohl bei der Untersuchung des Erdtrichters im Garten, der inzwischen halb voll Wasser stand, als auch bei der Besichtigung des Hauses.

    Es war alles noch so, wie die Polizisten es verlassen hatten und der Revierleiter musste zugeben, dass die Anordnung des Inhaltes der Schränke und Schubladen auf dem Fußboden der Räume zumindest bemerkenswert war und auch ihm kam sofort der Gedanke an eine Windböe. Aber das war vollkommen widersinnig: ein Sturm im Inneren eines Hauses, von dem dazu nur die Inhalte der Möbel betroffen waren, aber kaum die Möbel selbst - so etwas gab es einfach nicht.

    Schließlich fand auch Harm Hansen nichts anderes heraus, als sie schon wussten, oder eben auch nicht. Obwohl er seinen Leuten glaubte, dass sie alles so erlebt und empfunden hatten, wie sie berichteten, blieb ihm eine derartige Erfahrung erspart. Dabei war ihm nicht recht klar, ob er darüber froh oder damit unzufrieden sein sollte.

    Bevor sie das Haus verließen hörten sie noch den Anrufbeantworter ab, wie es schon mehrmals durch die anderen Beamten geschehen war. Aber inzwischen war eine neue Aufnahme hinzugekommen.

    Zunächst war nur ein auf und abschwellendes Rauschen zu hören, wie es bei keinem anderen der aufgezeichneten Anrufe der Fall gewesen war. Doch dann wurden Stimmen hörbar. Wie es schien, sprachen mehrere Menschen durcheinander. Diese Stimmen wurden lauter, dann wieder schwächer, hörten sich einmal näher, einmal ferner an, waren aber ständig in das Rauschen eingebettet. Es waren die Stimmen von zwei Kindern und zwei Erwachsenen.

    „... Sturm ... vorbei, stellte ein Mann fest. „Woher ... er verdam ... Sturm? „Wir ... hören sollen, sagte eine Frau. „... Beekwarf verlassen ... Ihrer Stimme klang verzweifelt. „... zu spät, erwiderte der Mann. „Oh! Johannes, was .... da ... Mönche?, fragte die Frau. Es entstand ein starkes Störgeräusch. „... weg, sagte sie. „... Karsten. „Ich ... nur ..., sagte ein Kind. „... Wächter, glaube ich. Sie sollen ... bewachen, sagte Johannes. Rauschen und Pfeifen, wie bei einem gestörten Radioempfang, überlagerten die nächsten Worte, dann: „Wo sind wir ...?, fragte ein weiteres Kind. „Das ... nicht ... Beekwarf. Es war eine Mädchenstimme. „Ich weiß es doch ..., Mirja, erwiderte der Mann mit dem Namen Johannes. „Der Sturm und der Schamane ... Wieder entstand eine Lücke mit einer anscheinend atmosphärischen Störung. „... der Schamane überhaupt?, fragte die Frau. „... Mönche ... „Ich höre etwas. ... ruhig, sagte Johannes. Es folgte ein erneutes Rauschen. „Dort!, sagte Mirja mit erschrockener Stimme. „Da kommt .... „Es ist ... Schamane, rief die Frau aus. „... Schwert in der Hand. Jetzt kam eine ruhige, aber bedrohliche Stimme mit einem unbestimmbaren Dialekt ins Spiel. Das musste die des Schamanen sein. „Ich bin ... zurückgekommen, um ... zu begrüßen und ... nicht, ... willkommen ... Ihr ... auf uns gehört. ... Warnungen ..., Rangdredd ... verlassen. Es gehört uns ... zurückholen. „Das Grundstück ... uns. Wir ... gekauft, erwiderte Johannes. Antwort des Schamanen: „Ihr ... begriffen ... Man ... nicht besitzen, was einem ... gehört. Aber ... an einem ... Ort. Und ... mehr ... Rangdredd ... Geschichte ... Folgt ... Johannes rief entsetzt „... umbringen! Ihr wollt ...!".

    Die Stimme verlor sich jetzt vollends in einem Rauschen. Dann war die Aufzeichnung zu Ende, weil das Band voll war.

    Harm Hansen, Karola Herbst und Andreas Thorensen sahen sich ratlos an. Jeder von ihnen spürte eine mehr oder weniger deutliche Gänsehaut, die aber eher durch die gespenstischen Hintergrundgeräusche als durch die bruchstückhaften Sätze verursacht wurde. Die Worte schienen einerseits von sehr weit her zu kommen, aber gleichzeitig auch unmittelbar aus ihrer Nähe.

    „So etwas gibt es nur in Gruselfilmen, stellte Hansen nach einer kurzen Zeit des nachdenklichen Schweigens fest. „Das erinnert mich an den Film »Der Poltergeist«. Er schüttelte sich unwillkürlich.

    „Ja, es hat eine gewisse Ähnlichkeit, bemerkte Karola unbehaglich. „Wen immer wir gehört haben, er kennt auf jeden Fall den Namen dieses Anwesens. Das war aber unmöglich ein Anruf und wenn doch, dann ist es der seltsamste, den ich je gehört habe.

    „Das können wir herausfinden, meinte Hansen. „Zugegeben, er ist seltsam, aber was anderes als ein Anruf kann es denn sonst sein? Man müsste ihn zurückverfolgen können. Außerdem sollten wir eine Sprachanalyse vornehmen lassen. Vielleicht lassen sich die Sätze dadurch vervollständigen. Er schüttelte mit dem Kopf. „Ein Schamane, was soll das?"

    Karola schwieg. Sie konnte genauso wenig etwas mit der Aufzeichnung anfangen wie ihr Chef. Nur Andreas Thorensen hatte inzwischen eine vage Vorstellung von dem, was sie gehört hatten. Und wenn sie der Wahrheit halbwegs nahe kam, dann hatte Karola Herbst nicht nur recht, sie hatten es auch mit etwas Unglaublichem zu tun. Es war kein Anruf, da war auch Thorensen ziemlich sicher. Aber wie kamen die Worte dann auf den Anrufbeantworter? Vielleicht hatte diese Aufzeichnung gar nichts mit dem Fall zu tun. Vielleicht hatte sich irgendwer damit einen, wenn auch unpassenden Scherz erlaubt. Aber sollte es sich als eine echte Aufnahme herausstellen, wäre das Rätsel um die Familie nur umso größer geworden.

    Nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass die mysteriöse Unterhaltung auf dem Anrufbeantworter dauerhaft gespeichert war, nahmen sie ihn mit aufs Revier. Sie selbst hatten keine Möglichkeiten, die Aufnahme zu untersuchen, aber dem LKA sollte es keine Schwierigkeiten bereiten, denn es war technische weit besser ausgestattet.

    „Eigentlich bin ich ganz zufrieden", meinte Harm Hansen, als sie sich auf dem Rückweg und in der Sicherheit einer größeren Entfernung zur Beekwarf befanden.

    „Das freut mich, erwiderte Andreas Thorensen. „Und warum?

    „Jetzt kann ich ebenfalls behaupten, dass es auf der Beekwarf spukt."

    „Wie kommst du darauf?", fragte Karola Herbst.

    „Nun, warten wir die Untersuchung des Tonbandes ab."

    Thorensen fragte sich, ob sein Chef zu den gleichen Schlussfolgerungen gekommen war wie er. Aber dann hätte er ihn zumindest in dieser Hinsicht falsch eingeschätzt.

    Der Geist des Schamanen

    Die Leitung der Untersuchungskommission des LKA wurde der Kriminalhauptkommissarin Sabine Hainbusch-Vieth übertragen. Sie war im Polizeirevier in Husum nicht unbekannt. Ihr allseits bekannter Mangel an Humor machte den Umgang mit ihr nur unwesentlich schwieriger. Unangenehmer waren ihr scharfer Verstand und ihre penetrante Vorliebe für Details, was sie zu einer erfolgreichen, aber selbst unter den eigenen Kollegen unbeliebten Ermittlerin machte. Einerseits ließ die Ankündigung des LKA, dass Hainbusch-Vieth die Untersuchungen führen würde, hoffen, den Fall bald lösen zu können, andererseits gab es andere Ermittler, die eine angenehmere Zusammenarbeit versprochen hätten.

    Ein nicht mehr bekannter Vorfall in dem Polizeidienst der Hauptkommissarin hatte ihr den etwas unpassend klingenden Spitznamen »Schwarze Witwe« eingebracht. Für jemanden, der Sabine Hainbusch-Vieth nicht kannte, verbanden sich zwangsläufig bestimmte Charaktereigenschaften mit diesem Spottnamen, und damit kam er der Wirklichkeit auch ziemlich nahe. Der Ursprung dieses nicht sehr schmeichelhaften Titels war zwar nicht mehr gegenwärtig, aber er hatte sich in bestimmten Polizeikreisen herumgesprochen, und die reichten bis ins Polizeirevier Husum.

    Ob Hainbusch-Vieth wirklich eine Witwe war, wusste keiner. Sie hatte es stets verstanden, ihr Privatleben den Kollegen vorzuenthalten. Aber ihre große, hagere Gestalt und die ihr eigenen spinnenhaften Bewegungen sprachen für diese Namensgebung. Und vielleicht hatte sie ja noch eine ganz andere Bedeutung. Natürlich hütete man sich, die Bezeichnung »Schwarze Witwe« in ihrer Anwesenheit zu benutzen. Trotzdem war sie ihr im Laufe der Zeit nicht verborgen geblieben. Sabine Hainbusch-Vieth ertrug sie nicht nur mit Gelassenheit, sondern duldete sie sogar mit einer gewissen Genugtuung, verhinderte dieser Ruf doch ein zu persönliches Verhältnis zu ihren Mitarbeitern.

    Als sich die Kriminalhauptkommissarin zusammen mit zwei Kollegen auf den Weg nach Husum machte, war sie weder überzeugt von den angeblich geheimnisvollen Phänomenen auf der Beekwarf noch hielt sie das Verschwinden der Familie Benninghaus für einen unlösbaren Fall. Wenn sie nicht ausdrücklich dazu aufgefordert worden wäre, der Sache nachzugehen, hätte sie keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Mit verhaltener Verachtung dachte sie über das Versagen der Husumer Polizisten, die vermisste Familie ausfindig zu machen. Aber noch verächtlicher urteilte sie über ihre Behauptung, auf der Beekwarf gehen merkwürdige Dinge vor.

    Paranormale Erscheinungen, und darauf liefen die Schilderungen hinaus, hatten keinen Platz in ihrem Weltverständnis. Und plötzlich sollte sie einen solchen Fall untersuchen. Es war zwar nicht außergewöhnlich, rätselhaften Dingen zu begegnen. Sie gehörten zu ihrer täglichen Arbeit. Aber vermeintliche Rätsel solcher Art waren kein Gegenstand polizeilicher Aufgaben. Was jenseits davon über angebliche Spukerscheinungen und Gespenster zu hören und zu lesen war, konnte man getrost als Auflagen- und Publikumsbringer in die Mülltonne werfen. Gerüchteweise hatte auch die Polizei schon mit der einen oder anderen Angelegenheit dieser Art zu tun gehabt. Glücklicherweise war sie aber von solchen Fällen bisher verschont geblieben.

    Allerdings ließen die Gepflogenheiten bei der Polizei nicht zu, dass sich Hainbusch-Vieth geringschätzig über ihre Kollegen äußerte. Sie war aber sicher, dass ihre skeptische Einstellung auch hier wieder von Vorteil war. Sabine Hainbusch-Vieth war davon überzeugt, diesen Fall mit ihrer sachlichen Sichtweise der Dinge bald lösen zu können. Und vermutlich dachten ihre Vorgesetzten genauso. Warum sonst war er ihr übertragen worden?

    Wahrscheinlich hatten sich die Husumer Kollegen, aus welchen Gründen auch immer, in eine Angelegenheit verrannt, die man mit ganz einfachen Erklärungen, noch dazu vernünftigen Erklärungen, beantworten konnte. Anschließend musste nur noch die Familie gefunden werden und sie konnten nach Kiel zurückfahren, um sich wieder wichtigen Dingen zuzuwenden.

    Doch so einfach, wie es sich die Hauptkommissarin vorstellte, war dieser Fall dann doch nicht zu lösen.

    Zur Enttäuschung aller kam sie nur mit zwei weiteren Beamten auf das Polizeikommissariat Husum. Sie stellte die beiden als die Kommissare Björn Andresen und Veith Tolkien vor. Bei dem Namen des letzteren wurde nicht nur Christina Dörl aufmerksam.

    „Sind Sie verwandt mit J.R.R. Tolkien, dem Autoren des »Herrn der Ringe«?", fragte sie erstaunt.

    Veith Tolkien musste lachen.

    „Na ja, der Verdacht liegt nahe und diese Frage wird mir nicht zum ersten Mal gestellt. Aber ich muss Sie enttäuschen. Von einer Verwandtschaft ist mir nichts bekannt. Allerdings kommt meine Familie aus Angeln und vielleicht sind einige von ihnen im frühen Mittelalter mit den Angelsachsen nach Britannien ausgewandert. Es kann also sein, dass da irgendeine Beziehung besteht. Leider ist nichts von dem Ruhm dieses Schriftstellers auf meine Familie ausgestrahlt."

    „Nun gut, unterbrach Sabine Hainbusch-Vieth die Unterhaltung. „Fangen wir mit der Arbeit an.

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