Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Reise nach Rûngnár: oder die unglaublichen Abenteuer des Nils Holm
Reise nach Rûngnár: oder die unglaublichen Abenteuer des Nils Holm
Reise nach Rûngnár: oder die unglaublichen Abenteuer des Nils Holm
eBook843 Seiten11 Stunden

Reise nach Rûngnár: oder die unglaublichen Abenteuer des Nils Holm

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Nils Holm, ein junger Mann aus Schleswig-Holstein, findet sich unversehens in einer fremden Welt wieder und stellt fest, dass er jegliche Erinnerung an sein Leben davor verloren hat. Auf der Suche nach einer Erklärung für seine Lage, kommt er in ein verlassenes Dorf. Am nächsten Tag wird er von einer sonderbar anmutenden Kriegerschar festgenommen und in die Hauptstadt des Landes gebracht. Das Verhör durch den Landesfürst verläuft für Nils alles andere als ermutigend. Im Kerker auf seine Hinrichtung wartend, lernt er den Zauberer Narvidur kennen. Noch in der gleichen Nacht wird die Stadt von feindlichen Kriegern angegriffen, und in den Wirren der Kämpfe gelingt den beiden die Flucht. Zusammen mit Narvidur, der in der Folgezeit Nils´ ständiger Begleiter wird, gelangt er zu dem Geheimbund des "Euseria". Dort erfährt Nils, dass er sich nicht zum ersten Mal in dieser Welt befindet, die von ihren Bewohnern Rûngnár genannt wird, und seine abermalige Anwesenheit dort kein Zufall ist. Zu seiner Überraschung begegnet ihm beim "Euseria" seine Tante Margot, die ihm auch seine Erinnerung wiedergibt. Damit erinnert er sich auch wieder an seine Mitgliedschaft in dem Geheimbund. Nach dem unglücklichen Ende seines letzten Aufenthaltes in Rûngnár, hatte er mit dieser Welt und diesem Geheimbund gebrochen. Da die Aufgabe, die Nils zusammen mit einigen Weggefährten einst übernommen hatte, noch nicht erfüllt ist, musste ein Schleier des Vergessens über ihn gelegt werden, damit er zurückkehrt. Nach hartnäckiger Weigerung erklärt er sich schließlich dazu bereit, zusammen mit dem Zauberer Narvidur, der schweizerischen Hexe Charlotte, der Mondfee Beliala und der rûngorischen Kriegerin Torfrida die Suche nach einem bis dahin unbekannten Wesen, das mangels einer besseren Bezeichnung die "Spinne" genannt, und von dem vermutet wird, dass es die Existenz Rûngnár bedroht, wieder aufzunehmen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Okt. 2013
ISBN9783847656753
Reise nach Rûngnár: oder die unglaublichen Abenteuer des Nils Holm

Mehr von Hans Nordländer lesen

Ähnlich wie Reise nach Rûngnár

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Reise nach Rûngnár

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Reise nach Rûngnár - Hans Nordländer

    1. In einem fremden Land

    Ein wenig ratlos blickte sich der junge Mann um. Er wusste nicht, wie er an diesen Ort gelangt war. Er wusste eigentlich überhaupt nichts mehr von dem, was war, bevor er dorthin kam. Das Einzige, woran er sich noch erinnerte, war sein Name: Nils Holm. Aber wenn er versuchte, sich bestimmte Dinge ins Gedächtnis zu rufen, dann war es für ihn mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, und es gelang ihm nicht, ein Gesamtbild seiner Vergangenheit herzustellen. Seine Gedanken flossen wie ein zäher Brei, und das beunruhigte ihn.

    Nils war sicher, dass er nicht mit Absicht an diesen Ort gekommen war und er ahnte, dass er auch gar nicht dorthin gehörte. Er hatte keine Angst, aber er war erfüllt von einer nicht weniger beunruhigenden Verwirrung.

    Auch seine Umgebung war ungewohnt. Vieles kam ihm zwar irgendwie vertraut vor, aber manches war sonderbar, obwohl er nicht sofort hätte sagen können, was es war. Das Sonderbare betraf nicht nur die Stimmung an dem Ort, sondern auch seine sichtbare Erscheinung.

    Nils stand auf einer Lichtung in einem Wald. Daran war zunächst nichts Außergewöhnliches, außer eben die Tatsache, dass er keine Ahnung hatte, wie er dorthin gekommen war und warum er dort stand. Aber die Pflanzen kamen ihm fremd vor. Während er sich umsah, trat plötzlich die schwache Erinnerung in sein Bewusstsein, dass er eigentlich in einer Stadt lebte. Weder mit Pflanzen noch mit Tieren glaubte er sich jemals beschäftigt zu haben, deshalb versuchte er auch gar nicht erst, über die Namen der Bäume nachzudenken. Immerhin war er aber überzeugt, dass sie anders aussahen als die, die er kannte. Sie waren grün mit Blättern oder Nadeln, besaßen einen ungewöhnlich dünnen Stamm und eine Krone, aber die Blätter einiger der Bäume hatten eine merkwürdig fingerartige Gestalt und die Nadeln der anderen waren außergewöhnlich lang.

    Die Lichtung war nicht sehr groß, vielleicht dreißig Meter im Durchmesser. Der Boden war bedeckt von Moos und nur selten wagte sich ein Grashalm empor. Der Wald war so hoch, dass nur wenig Helligkeit den Boden erreichte, und das vermittelte der ganzen Umgebung eine düstere Erscheinung. Die Bäume standen so dicht, dass er nicht weit in den Wald hineinschauen konnte, was wohl auch der Grund dafür war, dass es kein Unterholz gab.

    Nils´ Blick folgte dem schmalen Pfad vor ihm, der gerade über die Lichtung führte und zwei Öffnungen im Saum des Waldes miteinander verband, die sich fast gegenüberlagen. Er drehte sich um. Dort muss ich hergekommen sein, dachte er, aber warum kann ich mich nicht mehr daran erinnern? Er horchte kurz in sich hinein. Nein, Furcht über seine Lage empfand er nicht, nur Verwirrung und Befremden. Fast kam er sich vor wie in einem Traum, einem sehr klaren Traum.

    Auf dem Boden des Pfades waren keine Spuren zu entdecken, weder von Menschen noch von Tieren, und so blieb die Frage unbeantwortet, wer ihn angelegt hatte. Über Nils wölbte sich ein klarer, wolkenloser Himmel. Und doch war er grau, unnatürlich grau, und ihm fehlte die warme Ausstrahlung eines Sommertages, wie Nils es erwartet hätte. Trotz der warmen Jahreszeit wirkte der Himmel eher frostig.

    Und dann erkannte er den Grund. Es gab keine Sonne. Nils schätzte, dass es um die Mittagszeit war und die Sonne hätte über ihm am Himmel stehen müssen. Aber sie war nicht da. Nils empfand die unnatürliche Kälte jetzt deutlicher. Sie war nicht unerträglich, aber unangenehm. Und sie passte nicht an diesen Ort, denn schließlich blühten auf der Lichtung Blumen und nur wenige Schritte entfernt wuchs eine Handvoll erstaunlich großer Pilze. Rote Kappen mit weißen Sprossen, also mussten es Fliegenpilze sein. Die kannte er aus einem Buch, fiel ihm ein, und auch, dass man sie nicht essen sollte. Aber wo, verflixt noch einmal, war die Sonne? Er konnte keine Spur von ihr entdecken. Nirgends durchbrachen wärmende Strahlen die Baumkronen. Trotzdem war es hell, fast so hell wie an einem gewöhnlichen, klaren Sommertag. Das Licht war das Licht des Mittags und nicht des Abends oder des Morgens und kein Tau benetzte die Pflanzen.

    Es war ungewöhnlich still, beinahe schmerzhaft still. Nils hörte keine Geräusche und kein Wind fuhr rauschend oder flüsternd durch die Baumwipfel. Die Bäume standen wie erstarrt. Nirgends flogen Insekten und keine Schmetterlinge tanzten über die Lichtung. Nicht ein einziger Vogel war zu sehen oder zu hören. Diese Welt schien einen unerklärlichen Widerspruch in sich zu bergen. Einerseits erkannte Nils, dass Leben um ihn herum war, zumindest pflanzliches Leben, andererseits wirkte seine Umgebung wie eingefroren, beinahe wie tot. Wo, um alles in der Welt, befand er sich?

    Hier konnte er diese Frage nicht beantworten. Nils entschloss sich achselzuckend, in den Wald vor ihm hineinzugehen, wie düster und bedrohlich er ihm auch vorkam. Er schloss seine Jacke und machte sich auf den Weg.

    Nils wählte den Waldeingang vor sich, weil er sicher war, dass er aus dem Pfad hinter sich auf die Lichtung getreten war, auch wenn ihn sein Erinnerungsvermögen im Stich ließ. Er vermutete es einfach aus der Tatsache, dass er in seinem Rücken lag.

    Im Wald kam es ihm dann noch kälter vor, und wie zur Bestätigung dauerte es nicht lange, bis er seinen ersten beschlagenen Atem sah. Nils bewegte sich langsam und immer wieder blickte er sich um. Er wusste nicht, was er erwartete, und er entdeckte nichts, was ihm seine Lage erklären konnte. Offensichtlich gab es auch keine weiteren Lebewesen in seiner Nähe. Und obwohl er ständig mit einer Überraschung rechnete, blieb sie ihm zunächst erspart.

    Solange er auf der Lichtung gestanden hatte, waren keine Geräusche zu hören gewesen. Jetzt vernahm er wenigstens seine leisen Schritte auf dem weichen Waldboden und ab und zu das Knacken heruntergefallener Zweige unter seinen Schuhen. Sein Gehör und seine Sehfähigkeit waren jedenfalls nicht beeinträchtigt.

    Für eine Weile änderte sich kaum etwas. Der Pfad schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch und war selten weiter als vielleicht fünfzig Meter zu übersehen. Der Waldboden war eben. Weder nach vorn noch nach hinten oder zu den Seiten stieg er an oder fiel ab. Nils blickte auf sein linkes Handgelenk, um die Uhrzeit festzustellen, aber er hatte keine Uhr um. Das trug umso mehr zu seiner Verwirrung bei, denn er verließ seine Wohnung niemals ohne seine Uhr. Dieses Wissen war ein weiterer Teil seiner äußerst lückenhaften Erinnerung. Er ging mit erstaunlichem Gleichmut darüber hinweg. Überhaupt empfand er kein besonderes Unbehagen darüber, in dieser fremden Umgebung zu sein, die sich ihm so unerwartet geöffnet hatte. Für einen kurzen Augenblick kam Nils der Gedanke, dass er sich wirklich in einem Traum befand. Und wenn es so war, dann war er so klar und deutlich, wie er es niemals davor erlebt zu haben glaubte. Nichts erschien ihm verzerrt und surreal, wie es sonst oft der Fall war. Wenn er seine Lage auch nicht verstand, so erfüllte ihn immer mehr ein Gefühl von Neugierde gegenüber dem, was ihn erwartete.

    Ein leises Knacken und ein raschelndes Geräusch schreckten Nils aus seinen zähen Gedanken auf. Ein Eichhörnchen. Es sprang zwischen den Bäumen umher und schien Nils noch nicht bemerkt zu haben – bis es fast vor seinen Füßen stand. Es blickte zu ihm auf, verharrte kurz in seinem Schrecken und flüchtete dann den nächsten Baumstamm hinauf. Nils beobachtete es lächelnd, bis er es nicht mehr sehen konnte. Das erste Lebewesen in dieser Welt, das sich bewegt, dachte er. Jetzt bestand wieder Hoffnung, auch noch auf andere zu treffen, und vielleicht gab es welche darunter, die ihm einige Fragen beantworten konnten.

    Nils ging weiter. Allmählich veränderte sich der Wald. Die Bäume wurden kleiner und stämmiger. Es traten immer öfter Nadelbäume auf und dazwischen Büsche und Sträucher. Doch trotz dieser Veränderung blieb der Wald merkwürdig tot und das Eichhörnchen für einige Zeit das einzige Tier, das ihm begegnete. Es kam ihm fast genauso fremd und unpassend darin vor wie er sich selbst.

    Der Wandel der Flora war nicht der Einzige, der ihm auffiel. Der Pfad schien jetzt in ein Tal hineinzulaufen, denn zu beiden Seiten stieg der Wald an. Die Flanken wurden steiler und Nils hatte den Eindruck, als ob der Pfad sich leicht nach unten senkte. Die Gegend wurde also bergiger. Nach wie vor war aber nicht erkennbar, wohin er führte, denn sein kurvenreicher Verlauf änderte sich nicht.

    Dann endlich kam für Nils die erste wirkliche Abwechslung. Der Pfad überwand einen kleinen Fluss. Er kam von rechts lebhaft den Hang herab, kreuzte den Weg durch einen recht tiefen Einschnitt und verlief dann noch einige Meter auf seiner linken Seite, bevor er in einer Felsspalte verschwand. Der Flusslauf war zu breit, als dass er ihn überspringen konnte, und zu tief, um sich leicht aus ihm retten zu können, wenn er hineinfiel. An einer anderen Stelle hätte Nils das Gewässer vielleicht durchwaten können, obwohl das Wasser sehr kalt war, wie auch die Luft. Hier jedoch war das nicht möglich.

    Glücklicherweise gab es aber eine hölzerne Brücke in einem einigermaßen vertrauenswürdigen Zustand, obwohl sie nicht neu war und keine Geländer hatte. Der Pfad war anscheinend von größerer Bedeutung, als seine Breite vermuten ließ. Und das wiederum gab Nils die Hoffnung, bald auf Menschen zu stoßen. Vorsichtig setzte er einen Fuß auf die Brücke – und sie hielt. Mit wenigen Schritten hatte er sie überquert. Das ließ der Zustand des Bauwerks auch erwarten, aber Nils hatte allgemein eine gewisse Ehrfurcht vor Brücken und Übergängen aller Art, unter denen mehr oder weniger tiefe Unterführungen verliefen, in die man hineinfallen konnte. Und die Abwesenheit von Handläufen verstärkte dieses Gefühl. Nils erfüllte eine deutliche Erleichterung, als er auf der anderen Seite angekommen war.

    Er sah sich noch einmal um. Wenn er jedoch gehofft hatte, irgendwelche Bewohner dieser Gegend zu entdecken, wurde er abermals enttäuscht. Weder hinter ihm noch vor ihm ließ sich irgendwer blicken. Und trotzdem mussten in der Nähe Menschen leben, war Nils sicher. Dann ging er weiter und als wollte es seine Hoffnung bestätigen, fielen ihm in seinen Augenwinkeln zwei Schatten im Wald auf, die Ähnlichkeit mit Menschen hatten. Sie bewegten sich mit ihm, doch als er in ihre Richtung blickte, waren sie plötzlich verschwunden. Das ging erstaunlich schnell und Nils hatte weder knackende Äste noch andere Geräusche gehört, die auf jemanden hindeuteten, der sich durch das Unterholz bewegte.

    Hm, dachte er und schüttelte den Kopf, wohl nur eine Einbildung. Dann ging er weiter.

    Seine Erwartung, endlich auf eine menschliche Ansiedlung zu stoßen, blieb weiterhin unerfüllt. Für lange Zeit war die Brücke der einzige Beweis für das Wirken von Menschen. Es gab zunächst keine anderen Bauwerke und er fand nicht einmal Spuren, dass der Wald in irgendeiner Weise genutzt wurde.

    Die Bäume standen inzwischen wieder dichter und der Pfad führte noch ein Stück in das Tal hinein und schließlich wieder hinaus. Die meiste Zeit war er so zugewachsen, dass er Nils keine Sicht auf die weitere Umgebung erlaubte. Nur ein einziges Mal war ihm ein kurzer Blick auf einen schneebedeckten Gebirgszug vergönnt. Der erschien ihm jedoch zu weit entfernt, als dass er die Wand des Tales sein konnte, durch das er sich bewegte. Und er fand es umso eigenartiger, weil es bei ihm zu Hause keine Berge gab.

    Nils hatte jedes Zeitgefühl verloren. Ohne Uhr und ohne Sonnenstand war er in dieser Hinsicht hilflos. Aber seit er die Lichtung verlassen hatte, schien sich die Tageshelligkeit nicht verändert zu haben. Es war merkwürdig, aber wenn er in den Himmel hinaufschaute, dann hatte er den Eindruck, als würde er durch einen makellosen, milchig grauen Kristall blicken. Es gab für Nils aber keinen Zweifel, dass er schon einige Stunden unterwegs war und allmählich bekam er Hunger. Es gab jedoch nirgends etwas, das wie Nahrung aussah, kein Obst und keine anderen Früchte. Er hatte an einigen Bäumen zwar das eine oder andere gesehen, das wie eine Frucht aussah, aber sein Hunger war noch nicht groß genug gewesen, um es unüberlegt zu pflücken und zu versuchen. Nils wusste nicht viel von diesen Dingen, also hatte er auch keine Ahnung, ob das wirklich Obst war, ob es reif war und ob es überhaupt essbar war. Deshalb hatte er die Hände davon gelassen.

    In seiner Jackentasche fand er schließlich einen etwas älteren Schokoladenriegel. Der half ihm für einige Zeit weiter. Seinen Durst löschte er mit dem Wasser aus den Bächen, die von Zeit zu Zeit neben dem Weg auftauchten. Es schmeckte frisch und rein und schien ihm bedenkenlos trinkbar.

    Nachdem er aus dem Tal herausgewandert war, begegnete ihm nach langer Zeit wieder ein Tier. Es war ein Reh. Die Gestalt war Nils vertraut und trotzdem war es das merkwürdigste Reh, das er je gesehen hatte. Es trat ein kurzes Stück vor ihm aus dem Wald und verhielt für einen Augenblick. Mit Verwunderung stellte Nils fest, dass sein Fell von hellblauer Farbe war. So etwas gab es nicht. Ein hellblaues Reh passte nicht in Nils´ Welt. Trotzdem stand es dort. Nachdem es ihn genauso erstaunt angesehen hatte wie er das Reh, ging es langsam weiter und verschwand zwischen den Bäumen. Nils hatte nicht den Eindruck, als hätte er es verängstigt. Als er die Stelle erreichte, fand er die Abdrücke der Hufe. Nils hatte keine Ahnung davon, aber da es das einzige Tier war, das seinen Weg gekreuzt hatte und die Fährte frisch war, musste es von dem Reh stammen. Also hatte er es sich nicht eingebildet.

    Was soll das alles, fragte sich Nils wieder einmal. Das ist nicht meine Welt. Was tue ich hier und wie, verdammt noch mal, bin ich hierhergekommen? Doch niemand war da, der ihm diese Fragen beantworten konnte.

    Plötzlich hörte er ein ungewöhnliches Geräusch. Es war so merkwürdig und wollte gar nicht so richtig in diese Gegend passen, dass Nils erschrak. Es begann leise und rauschend und wurde schnell lauter. Nils sprang in die Büsche und versteckte sich. Aus dem Rauschen wurde ein Rollen und Rumpeln, unterbrochen von einem gelegentlichen Quietschen, dazu dumpfes Hufgetrampel auf weichem Untergrund. Dann eine Stimme. Sie rief irgendeinen Befehl, jedenfalls war sie in einem solchen Ton ausgestoßen worden. Sie klang menschlich, aber verstanden hatte Nils sie nicht. Gleich darauf folgte zweimal das harte Knallen einer Peitsche. Die Geräusche wurden wieder leiser und verschwanden schließlich ganz.

    Eine Kutsche, schloss Nils. Es muss eine Kutsche gewesen sein. Er hatte zwar nichts sehen können, denn sie war nicht den schmalen Pfad entlanggekommen, aber so stellte er sich den Lärm vor, wenn eine Pferdekutsche in einiger Entfernung und verdeckt von einem Hügel an einem vorbeifuhr, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, jemals in seinem Leben eine Kutsche gesehen zu haben.

    Nils verließ sein Versteck. Der Pfad führte noch ein kurzes Stück bergan, und wenn er sich nicht irrte, musste er gleich hinter der Kuppel auf eine Straße treffen. Die letzten Schritte lief er.

    Tatsächlich. Sie war breit, aber nicht befestigt. Und kurz bevor sie hinter der nächsten Kurve verschwand, sah er in einer Staubwolke noch die Rückseite der Kutsche. Die Straße sah nicht so aus, als wurde sie häufig von Pferdegespannen oder Reitern benutzt, denn nur die Abdrücke der gerade vorbeigefahrenen Kutsche waren frisch. Es gab andere, von Fuhrwerken und Reitern, gelegentlich auch Fußabdrücke, aber sie alle waren älter und schon ziemlich verwischt.

    Nils blickte sich um. Er konnte weit und breit keine anderen Reisenden auf der Straße entdecken. Er überlegte, was er tun sollte. Er konnte warten, bis wieder jemand vorbei kam. So, wie die Straße aussah, konnte es allerdings einige Zeit dauern, denn offensichtlich gab es nur wenig Verkehr. Trotzdem hielt Nils es für erfolgversprechender auf seiner Suche nach Menschen, als wenn er dem Pfad weiter folgte, denn auch jenseits der Straße sah die Gegend einsam und unbewohnt aus. So traf Nils seine Entscheidung – und ging weiter.

    Er war es nicht gewohnt, auf eine innere Stimme zu hören, wahrscheinlich hätte er rundweg abgestritten, überhaupt eine zu besitzen, aber jetzt meldete sich etwas in ihm so lautstark und warnte ihn davor, längere Zeit an dieser Stelle zu bleiben, dass ihm kein Grund einfiel, weshalb er die Warnung nicht beachten sollte. Dazu kam ein unterschwelliges Gefühl, beobachtet zu werden. Plötzlich erinnerte sich Nils wieder an die beiden Schatten, die ihm bei der Brücke aufgefallen waren. Vielleicht waren sie doch keine Einbildung gewesen. Wenn sich diejenigen, die Ursache dieser Erscheinung waren, aber nicht zeigen wollten, dann war vielleicht Vorsicht angebracht. Nils sah sich noch einmal um. Wieder stellte er fest, dass er allein zu sein schien. Er überquerte in eiligen Schritten die Straße und verschwand im gegenüberliegenden Wald.

    Die innere Stimme hatte Nils nicht ohne Grund gewarnt, auch wenn es zu spät war, denn kurz nachdem er in den Wald eingedrungen war, traten zwei menschenähnliche Gestalten aus ihrem Versteck. Sie hatten sich geschickt im Unterholz des hinter Nils liegenden Waldes verborgen und gewartet, bis sie ihm unentdeckt folgen konnten.

    Nils wurde nicht erst beobachtet, seit er glaubte, zwei Schemen im Wald gesehen zu haben. Seine Sinne hatten ihn tatsächlich nicht getäuscht. Es waren zwei Krieger, die versuchten, ihm unauffällig auf den Fersen zu bleiben. Nun, auf den Fersen waren sie ihm nach wie vor, aber es war nicht ganz so unauffällig geschehen, wie sie es beabsichtigt hatten.

    Nils war von den beiden Wächtern durch einen dummen Zufall schon auf der Lichtung bemerkt worden, weil sie sich gerade in deren Nähe aufgehalten hatten. So war er ihnen genau zu dem Zeitpunkt ins Auge gefallen, als er durch einen engen, schimmernden Riss in der Luft in ihre Welt kam. Dieser Riss erhob sich bis etwa zweieinhalb Meter über den Boden. Er war entstanden, kurz bevor Nils auftauchte, und gleich danach wieder verschwunden. Die Wächter kannten diese Erscheinung und es war sogar eine ihrer Aufgaben, sie zu entdecken. Es handelte sich um ein Tor zwischen ihrer und der Welt der Menschen. Allerdings war es denkbar schwer, solche Tore zu entdecken, denn sie entstanden weder an den gleichen Orten noch zu den gleichen Zeiten, und sie blieben nur so lange erhalten, wie die Menschen brauchten, um herüberzukommen. Daher war es dieses Mal, wie eigentlich immer, wenn es gelang, wirklich ein Zufall. Und für Nils war es ein höchst unglücklicher Zufall obendrein.

    Die Wächter hatten den Befehl, Menschen, die in ihrer Welt auftauchten, zu beobachten, ohne mit ihnen Verbindung aufzunehmen. Aber es kamen nicht nur Menschen. Die Welt, in die Nils gekommen war, lag zwischen der Erde und einer ganzen Reihe anderer Welten und manchmal kamen dort Wesen an, die für Unruhe sorgten. Nils hatte jedoch Glück im Unglück, weil er als Mensch nicht zu den gefährlichsten Eindringlingen gehörte. Für jene galt der Befehl, sie sofort zu töten.

    Aber Nils war für die Wächter, die dem Volk von Rûngor angehörten, am falschen Ort aufgetaucht, nämlich im sogenannten »Reservat«, eine geräumte Zone, die nicht mehr betreten werden durfte, wobei das den meisten Bewohnern Rûngnárs aus bestimmten Gründen auch gar nicht mehr möglich war. Natürlich wusste Nils das nicht, doch das konnten die Rûngori-Wächter nicht ahnen und daher war er ihnen verdächtig. So entschieden sie sich dafür, diesen Menschen zunächst noch eine Weile zu beobachten, um herauszufinden, was er vorhatte, bevor sie ihn gefangennehmen würden. Aber selbst, wenn Nils von der verbotenen Zone gewusst hätte, wäre ihm keine andere Wahl geblieben, als genau dort nach Rûngnár zu gelangen.

    Nils´ Befürchtung, der Weg jenseits der Straße würde genauso langweilig werden wie der bis dahin, war unbegründet. Es dauerte nur noch eine kurze Zeit, dann erreichte er den Saum des Waldes. Von dort führte der Waldrand zu beiden Seiten in einem weiten Bogen von dem Pfad weg. So weit er sehen konnte, breitete sich eine ausgedehnte Steppe vor ihm aus, in der Ferne durch schroffe Berge begrenzt. Auf ihren Gipfeln glitzerten Eis und Schnee, obwohl sie von keiner Sonne beschienen wurden. Ausschnitte dieser Berge hatte er schon für kurze Augenblicke auf seiner Wanderung durch den Wald erspäht. Er sah hinter sich. Tatsächlich, der Wald zog sich einen Hang herab.

    Nils stand am Rand einer kesselartigen Ebene. Er hatte sie an einer Stelle betreten, an der das umgebende Gebirge am flachsten war, als wäre es hier vor langer Zeit abgetragen worden. Nun bestätigte sich seine Beobachtung gegen alle Wahrscheinlichkeit. Er hatte keine Sonne sehen können, weil weit und breit keine da war. Der Bereich des Himmels, den er übersehen konnte, ließ kein Versteck für die Sonne zu, denn er umfasste jetzt das ganze Gesichtsfeld. Das war doch unmöglich. Woher kam dann das Licht?

    Nils betrachtete die weite Ebene. Jetzt endlich, jetzt konnte er wieder Hoffnung schöpfen, bald auf Menschen zu treffen, denn der Pfad führte weiter, und wie es aussah, geradewegs auf eine Siedlung zu, denn vor sich sah er in einiger Entfernung eine Ansammlung von Häusern. Er schätzte, dass er sie in einer halben Stunde erreichen konnte. Von dort, wo er stand, war zwar niemand zu sehen, aber wo es ein Dorf gab, da mussten auch Menschen sein. Nils blickte sich um. Von seinen – eingebildeten? – Verfolgern war nichts zu sehen. Er beschloss, die Möglichkeit, verfolgt zu werden, zu ignorieren, schließlich konnte er ja nicht ständig im Schutz des Waldes bleiben, wenn er etwas über seine Umgebung herausfinden wollte. Er straffte sich und marschierte los.

    Doch schon, während er sich dem Dorf näherte, beschlich ihn das Gefühl, dass dort ebenfalls etwas nicht stimmte. Eigentlich hätte es Weiden geben müssen, auf denen Vieh graste, und auch bestellte Felder, selbst dann, wenn noch keine Menschen zu sehen waren. Doch es gab nicht einmal Weidezäune oder kultivierte Hecken und es herrschte die gleiche eigentümliche Stimmung wie auf der Lichtung. Wie dort kam ihm auch jetzt die Gegend wie erstarrt vor und tot. Wenn Nils die Kutsche, das widersinnig hellblaue Reh und das Eichhörnchen nicht gesehen hätte, dann wäre er jetzt endgültig davon überzeugt gewesen, sich in einer leblosen Welt zu befinden, von allen Menschen und Tieren entblößt. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als er das Dorf erreichte. Es gab kaum einen Zweifel, dass es verlassen war. Nirgends konnte er Einwohner oder herumlaufende Tiere entdecken. Es herrschte buchstäblich Totenstille. Es gab keine Vogellaute, ja nicht einmal Wind, der das Laub der Bäume zum Rauschen gebracht hätte.

    Als Nils das Dorf betrat, spürte er zum ersten Mal Angst. Hier musste etwas Fürchterliches geschehen sein. Ihm kam der Verdacht, dass eine todbringende Krankheit das Land heimgesucht und alles Leben ausgelöscht hatte. Nils wagte plötzlich kaum noch zu atmen. Dann kam er sich albern vor, denn falls sein Verdacht zutraf, dann hatte sich das Unglück vor langer Zeit zugetragen, denn nirgends fand er Leichen. Und hätte er die Skelette längst vergangener Menschen oder Tiere angetroffen, dann wäre die Krankheit wohl keine Gefahr mehr gewesen, vermutete er. Da es also keine Hinweise darauf gab, war eine tödliche Seuche eher unwahrscheinlich, die Angelegenheit aber umso rätselhafter, denn dann hatte die Bevölkerung das Dorf aus anderen Gründen verlassen.

    Es gab aber auch keine Anzeichen für einen vorangegangenen Krieg. Die Gebäude zeigten keine Zerstörungen, die nicht mit dem Zahn der Zeit zu erklären gewesen wären. Sehr schöne Häuser, wenn sie gepflegt wären, fand Nils. Ihm kam die undeutliche Erinnerung, dass die Häuser in seiner Kindheit diesen hier sehr ähnlich waren. Es waren überwiegend Fachwerkbauten mit roten Backsteinen zwischen den Holzrahmen. Sie waren durchweg strohgedeckt und offensichtlich alle ursprünglich landwirtschaftlich genutzt worden. Das Dachstroh war an wenigen Stellen verrottet, einige Fensterläden hingen schräg in ihren Angeln oder waren ganz herausgefallen. Einige Fensterscheiben waren zerbrochen, die Gärten bis zur Unkenntlichkeit verunkrautet und der größte Teil der Zäune morsch und umgefallen. Zwei umgewehte Bäume lagen in den Gärten – also gab es hier doch von Zeit zu Zeit Wind, und manchmal sogar ziemlich heftigen. Aber Nils fand nirgendwo Brandspuren. So sah ein Dorf aus, das vor langer Zeit aufgegeben und verlassen wurde.

    Plötzlich kam Nils das merkwürdige, schief hängende Schild am Ortseingang wieder in Erinnerung. Er hatte die Zeichen darauf nicht als Schrift gedeutet und war deshalb achtlos an ihm vorübergegangen. Es war handgemalt mit roter Farbe. Sicherlich hatte es eine Bedeutung, nur eben nicht für ihn. Jetzt war er sicher, dass es eine Warnung war, aber wovor? Und für wen?

    Während Nils durch die Straße und über die Grundstücke ging, in der Hoffnung herauszufinden, was dort geschehen war, erreichten die beiden Rûngori-Wächter das Dorf.

    Bisher hatte Nils sich gescheut, in die Häuser einzudringen. Das war auch unter diesen Umständen noch Einbruch, fand er. Andererseits war ihm noch kein Mensch begegnet und so, wie es in dem Dorf aussah, bestanden auch kaum noch Aussichten darauf. Dann gab es auch keine Eigentümer mehr, die etwas dagegen haben konnten, wenn er die Häuser durchsuchte.

    Nachdem er sich seiner Meinung nach lange genug in den Vorgärten herumgetrieben hatte, kam er zu dem Schluss, dass er wahrscheinlich eher in den Häusern eine Antwort auf das Schicksal der Dorfbewohner fand als draußen. Außerdem begann sich sein Hunger wieder zu regen und Nils rechnete damit, dass es trotz der Abwesenheit einer Sonne zur Nacht hin dunkel wurde und er irgendwann schlafen musste, das aber auch, falls es nicht dunkel wurde. Es war naheliegend, dass er sowohl etwas zu essen als auch einen Schlafplatz in einem der Häuser fand. Sein Entschluss zum Einbruch wurde durch die Erkenntnis gefestigt, dass es nachts wahrscheinlich empfindlich kalt werden würde, wo doch schon der Tag unangenehm kühl war. In der Hoffnung auf einige Antworten, etwas zu essen und einen annehmbaren Schlafplatz, machte er sich also daran, die Häuser zu durchsuchen. Nils wunderte sich über sich selbst, mit welcher Gelassenheit er hinnahm, zum Abend hin nicht wieder bei sich zu Hause zu sein, wo immer das war.

    Das Dorf war nicht sehr groß. Es gab etwa zwanzig Höfe mit ihren Wohnhäusern, Ställen, Werkstätten und Speichern. Trotzdem würde es lange dauern, sich überall gründlich umzusehen.

    Ein leises Quietschen ließ Nils zusammenfahren, als er das erste Haus betrat. Er atmete auf, als eine Maus durch den Spalt in der Tür ins Freie flüchtete. Sicherlich war sie über den plötzlichen Besucher genauso erschrocken wie Nils über die Maus. Immerhin bin ich nicht völlig allein hier, dachte er fast etwas beruhigt. Dabei war es durchaus bemerkenswert, dass er in diesem Augenblick sogar eine gewöhnliche Maus als willkommene Gesellschaft betrachtete. Unter anderen Umständen hätte er sie im günstigsten Fall (für die Maus) kaum beachtet. Jetzt war er aber nicht nur über ihre Anwesenheit erleichtert, sondern mehr noch darüber, dass diese Maus wie eine richtige Maus aussah. Sie war schon wieder verschwunden, bevor er mit seinen Gedanken zum Ende kam.

    Die Dielen knarrten bedenklich unter seinen Füßen, als er langsam durch den Flur ging. Aus dem Blickwinkel reiner Vernunft hätte er nicht besonders vorsichtig sein müssen. Es war ziemlich unwahrscheinlich, hier auf einen Menschen zu stoßen, nachdem sich das Dorf als vollkommen verwaist erwiesen hatte. Er hätte sich sogar darüber gefreut, denn schließlich hatte er die ganze Zeit darauf gehofft. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass er nicht allein und eine gewisse Achtsamkeit angebracht war. Und das betraf nicht die Anwesenheit einer Maus. Je länger er sich in dieser einsamen Gegend befand, desto unheimlicher wurde sie ihm.

    Zunächst fand er aber weiterhin keine Anzeichen für die Gegenwart anderer Menschen, weder lebende, noch musste er die unangenehme Entdeckung eines Toten machen. Es roch zwar ein wenig muffig in dem Haus, aber keinesfalls nach den verwesenden Überresten eines Körpers. Aber das wäre nach der langen Zeit, die das Dorf verlassen sein musste, unwahrscheinlich gewesen. Da wäre die Entdeckung eines Skelettes wahrscheinlicher gewesen, aber auch die blieb ihm erspart.

    Schon bald machte sich Enttäuschung in Nils breit. Nachdem er das dritte Haus durchsucht hatte, ohne Nahrungsmittel, Anzeichen für die Gründe der Aufgabe des Dorfes oder einen brauchbaren Schlafplatz zu finden, mehrten sich seine Zweifel, ob es Sinn hatte, noch lange so weiterzumachen. Das Einzige, was er feststellte, war die Sorgfalt, mit der die Leute ihre Häuser leergeräumt hatten. Damit war wenigstens klar, dass sie nicht überstürzt flüchten mussten. Eigentlich, dachte er, wäre es für mich besser gewesen, wenn sie in aller Eile getürmt wären.

    Welche Möglichkeiten hatte Nils? Er konnte weiterwandern oder weitersuchen. Er entschied sich dafür, zu bleiben, wenigstens bis zum nächsten Morgen, wenn es überhaupt eine Nacht gab, auf die ein Morgen folgte. Vielleicht brauchte er nur noch ein wenig Geduld, bis er etwas Wichtiges fand. Trotz seiner ungewöhnlichen und – vielleicht – bedrohlichen Lage, musste Nils lächeln. Aber es war eher ein Lächeln aus aufkeimender Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit als eins aus Freude oder Erleichterung.

    So wie es aussah, waren wirklich alle Einwohner geordnet davongegangen, denn in keinem der Wohnhäuser hatten sie etwas Brauchbares zurückgelassen. Fast alle bisher untersuchten Räume hatte Nils leer vorgefunden. In einem Raum gab es einen angebrochenen Schemel, in einem anderen eine schäbige Kommode, die keiner mehr gebrauchen konnte, aber alles andere hatten die Bewohner mitgenommen. Dabei bedauerte Nils weniger, dass er noch kein Schlaflager gefunden hatte, als vielmehr, dass es nirgends etwas zu essen gab. Viel hatte er nach der langen Zeit des Leerstandes des Dorfes nicht erwarten können, aber doch zumindest ein paar Konserven oder etwas Trockennahrung. Auf die Idee, in einem Gemüsegarten nach etwas Essbarem zu suchen, kam er nicht.

    Dann endlich wurde Nils fündig, sogar mehr noch, als er zuletzt zu hoffen gewagt hatte. Er fand ein altes Sofa. Es stand schräg, weil ein Bein abgebrochen war, aber da konnte er etwas unterlegen. Das Sofa fühlte sich recht bequem an. Und, wie es der Zufall wollte, lag sogar eine Decke darauf. Er schlug sie auf. Ja, das geht, dachte er, sie ist heil und groß genug. Den Staub schüttelte er mit wenigen Schlägen heraus. Und immerhin, weder die Decke noch das Sofa verbreiteten einen unerträglichen Geruch. Nils untersuchte die Fenster und stellte befriedigt fest, dass er die Läden vor diesem Raum noch alle schließen konnte. Wenn es also nicht dunkel werden sollte, dann konnte er mit den Fensterläden ein wenig nachhelfen.

    Doch noch war es hell und das wollte Nils ausnutzen. Er ging noch einmal nach draußen und zu den Nebengebäuden. Schließlich hatte er immer noch nichts zu essen. War es ein wenig dunkler geworden? Nils blickte zum Himmel – und zuckte mit den Schultern. Es war wohl nur Einbildung. Er ging weiter.

    Nils betrat eine Werkstatt. Und hier entdeckte er das erste Mal eine gewisse Unordnung. Es gab zwar kein Werkzeug mehr, aber es lag allerlei Zeug herum. Er war kein Schlosser, trotzdem fiel ihm sofort auf, dass nirgendwo Schrauben und Muttern herumlagen, dafür umso mehr Nieten der unterschiedlichsten Größen. Auch die verbundenen Werkstoffe, die er fand, waren alle genietet. Vielleicht, dachte Nils, waren Schrauben bei den Leuten, die hier lebten, unbekannt.

    Nils drehte sich um und stieß sich seinen Kopf an etwas, das von der Decke herabhing. Er erschrak vor einem großen Schatten, dann atmete er erleichtert auf, als der sich weder bedrohlich bewegte noch unheimliche Atemgeräusche von sich gab. Im schummerigen Licht der Werkstatt konnte er die Ursache nicht sofort erkennen, aber immerhin hatte er das Glück, dass sein Kopf die flache Seite eines Brettes getroffen hatte. Es pendelte noch leicht hin und her und gehörte zu einem Blasebalg, der unter der Decke befestigt war und den »ungeheuerlichen« Schatten verursachte. Und tatsächlich endete das Luftrohr vor einer Esse von beachtlicher Größe. Also wurde die Werkstatt auch als Schmiede genutzt. Dann allerdings musste das Dorf schon vor sehr langer Zeit verlassen worden sein, schloss Nils. Ihm fiel niemand ein, der heute noch eine so altmodische Schmiede betrieb, was in seinem Zustand aber nicht viel bedeutete.

    Nils trat mit einem Fuß gegen einen kleinen Gegenstand, der im Licht des Fensters schwach funkelte. Eine Klinge? Tatsächlich. Mit seinem Schuh hatte er sie unter dem Werktisch hervorgetreten. Er hob sie auf. Es war nicht nur eine Klinge, sondern ein ganzes Taschenmesser. Und es war unbeschädigt. Das schwarze Holz des Griffes zeigte kaum Abnutzungserscheinungen und auch die Klinge selbst, sie war etwa zehn Zentimeter lang, war fast neu. Das Metall war blank, und wenn er es in seinen Schatten hielt, schien es von innen heraus schwach zu glühen. Dann hatte es doch nichts mit dem Licht von draußen zu tun. Es fühlte sich kalt an. Staunend betrachtete er die Klinge. Merkwürdiges Metall, dachte er. Er konnte nicht feststellen, wie hart sie war, aber auf jeden Fall war sie sehr scharf. Vermutlich war das Messer unter den Tisch gefallen und der Besitzer hatte es vergessen. Er klappte es zusammen. Beim ersten Versuch ging es noch schwer, aber nachdem Nils die Klinge mehrmals bewegt hatte, wurde es leichter. Er steckte das Messer ein. Wer weiß, welche guten Dienste es ihm noch leisten konnte. Nils sah sich noch einmal um und verließ die Werkstatt. Auf der anderen Seite des Hofes stand ein Speicher. Vielleicht gab es dort etwas Essbares.

    Auch in diesem Gebäude war es düster. Die Fenster ließen nur wenig Licht hinein. Im zweiten Raum stand hinter der Tür ein Schrank. Als Nils ihn öffnete, sprang ihn wieder eine Maus an, fiel zu Boden und flüchtete sich in die Dunkelheit. Vor Schreck machte Nils zwei Schritte zurück und stieß mit dem Rücken an einen Holzpfosten. Kopfschüttelnd trat er wieder vor. Mäuse gibt es wahrhaftig noch genug, fand er. Auf einer Ablage im Schrank entdeckte Nils ein kleines Bündel, eingewickelt in ein Tuch. Es waren Kerzen. Na, immerhin, dachte er. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er bisher keine Möglichkeit gehabt hätte, in der Dunkelheit Licht zu machen.

    Es waren nicht viele, insgesamt zählte er acht, aber sie waren ohne Frage nützlich. Doch wie konnte er sie....? Nils fand, was er suchte. An der Rückwand des Faches lag auch eine Schachtel Streichhölzer. Sogleich sank seine Hoffnung aber wieder. Wie sollten die Streichhölzer nach so langer Zeit noch brennen? Er versuchte es und – oh, Wunder – gleich beim Ersten klappte es, zuerst zögerlich, aber dann lange genug, um eine der Kerzen zu entzünden. Ein schwaches, gelbes Licht erhellte den Raum. Nils stieß einen kurzen Freudenschrei aus und dachte, wie wenig doch manchmal ausreichte, um für kurze Zeit glücklich zu sein. Dort, wo er herkam, hätte er diese Dinge kaum eines Blickes gewürdigt, ahnte er. Er steckte auch die Kerzen und die Streichhölzer ein und ging mit dem Licht in der Hand weiter.

    Diese Entdeckungen sollten für diesen Tag aber die Letzten sein. Es gab nichts Essbares und so würde ihm wohl nichts anderes übrigbleiben, als sich hungrig schlafen zu legen. Wehmütig dachte er an das Stück Schokolade.

    Auf dem Weg zurück zu dem Haus mit dem Sofa machte Nils eine erstaunliche Beobachtung. Der Himmel verfinsterte sich und das ging so schnell, dass er erschrocken stehen blieb und nach oben blickte. Es war nicht so, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet, aber es geschah innerhalb so kurzer Zeit, dass er das Haus kaum noch in der Dämmerung hätte erreichen können.

    Gebannt starrte er in den Himmel. Nils besaß schon immer eine beachtliche Vorstellungskraft und er wäre nicht überrascht gewesen, obwohl es ihn sicher in Angst und Schrecken versetzt hätte, wenn sich in diesem Augenblick drohend der Schatten eines Ungeheuers auf ihn herabgesenkt und alles um ihn herum in Finsternis gehüllt hätte. So schlimm kam es dann doch nicht. Aber wenn es so weiterging, würde es bald pechschwarze Nacht werden, denn seine Augen konnten sich kaum so schnell an die Dunkelheit gewöhnen, wie sie über ihn hereinbrach. Doch dann fiel ihm ein sanftes Glühen am Himmel auf. Es wurde keineswegs so dunkel, wie er befürchtet hatte, obwohl keine Sterne am Himmel sichtbar wurden. Ihre Abwesenheit wunderte Nils aber kaum mehr. Warum sollte es in einem Himmel, der keine Sonne besaß, Sterne geben? Er war sich schnell im Klaren darüber, dass diese Schlussfolgerung Blödsinn war.

    Nils stand noch eine ganze Zeit im Freien und beobachtete, wie sich der Nachthimmel entwickelte. Das milde Glimmen erfasste schließlich den gesamten Himmel und tauchte die Umgebung in ein Zwielicht, das mehr als erwartet erkennen ließ. Nils spürte bis auf die Haut, dass es sich innerhalb der kurzen Zeit, seit dem Einbruch der Nacht, ziemlich stark abgekühlt hatte. Trotz der Finsternis konnte er seinen beschlagenen Atem jetzt deutlicher sehen als am Tag. Und auch das war ungewöhnlich. Es war nach wie vor unnatürlich still um Nils und bisher hatte sich noch kein Nachttier sehen oder hören lassen. Vielleicht trug auch dieser Umstand dazu bei, dass Nils plötzlich anfing, zu zittern. Als sich um ihn herum nichts mehr veränderte, ging er in »sein« Haus.

    Er schloss alle Türen hinter sich und die Fensterläden des Raumes und hoffte so, die Kälte ein wenig draußen halten zu können. Es gab keinen Kamin oder Ofen, was ihm das Bedauern darüber ersparte, kein Feuerholz gesammelt zu haben. Er entzündete eine Kerze, stellte sie auf den Fußboden vor das Sofa und setzte sich. Jetzt endlich, als er nicht mehr von den äußeren Dingen abgelenkt war, hatte er Zeit, über seine Lage nachzudenken. Er war zwar nicht verzweifelt, jedenfalls noch nicht, aber verwirrt, ratlos und unglücklich. Diese Gefühle traten jetzt in der Ruhe seines Zimmers noch stärker zutage.

    Am Nachmittag war er froh gewesen, dieses Zimmer und das Sofa mit der Decke zu finden, doch als er sich nun die Zeit nahm, sich gründlicher umzuschauen, fand er, dass es das trostloseste Zimmer war, in dem er je geschlafen hatte.

    Nils legte sich hin und zog die Decke bis zum Hals. Und er bemerkte plötzlich, wie sehr sie doch stank. Es konnte gut sein, dass sie sonst einigen Mäusen als Nachtlager diente. Aber was sollte er tun? Trübsinnig starrte er an die Zimmerdecke. Er wünschte sich so sehr wie den ganzen Tag noch nicht, endlich zu erfahren, was mit ihm geschehen war. Nils wusste, dass er nicht in diese sonderbare Gegend gehörte, aber ihm war nicht klar, woher er kam und wie er wieder heimfand. Wenn er sich sehr anstrengte, kamen ihm Bruchstücke seiner Erinnerung in den Sinn. Er schrieb. Das war seine häufigste Beschäftigung und er hatte keinen anderen Beruf. Er lebte in einer Stadt und dort gab es eine Menge Autos. Plötzlich kam ihm dieser Teil seiner Erinnerung so belanglos vor. Es war doch zum Verzweifeln.

    Bevor Nils tiefer in sein trübes Grübeln versank, tat die Müdigkeit, die er bisher kaum gespürt hatte, ihr gnädiges Werk. Er schaffte es gerade noch, die Kerze auszupusten und sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, war, dass die Decke ihn wenigstens wärmte.

    Die beiden Rûngori-Wächter hatten sich nach Einbruch der Nacht dicht an das Haus, in dem Nils schlief, herangeschlichen. Aus dem, was sie beobachtet hatten, schlossen sie, dass der Mensch allein und auf der Suche nach einer Unterkunft war. Er machte aber eher einen hilflosen als einen gefährlichen Eindruck auf sie. Das jedoch konnte täuschen, denn schließlich hatten die beiden Wächter noch nicht herausgefunden, was der Wechsel des Menschen in ihre Welt zu bedeuten hatte.

    Nicht lange, nachdem das bleiche Licht hinter den beiden Fenstern erloschen war und die Wächter sicher waren, dass der Mensch schlief, verließ einer der beiden seinen Wachposten und lief in den Wald hinein.

    Noch vor Tagesanbruch kehrte er mit fünf weiteren Kriegern zurück. Er hatte seinem Anführer Bericht erstattet und der hatte entschieden, dass eine weitere Verfolgung nicht viel Neues ergeben würde. Es war jetzt an der Zeit, den Eindringling selbst kennenzulernen. Die Wachen erhielten den Befehl, ihn gefangenzunehmen und in die Burg zu bringen.

    2. Begegnung im Kerker

    Es war hell, als Nils aufwachte. Er wusste nicht, ob die Morgendämmerung genauso schnell vorübergegangen war wie die Abenddämmerung und wie lange es schon hell war, aber das Tageslicht warf seine Strahlen durch die Ritzen der Fensterläden. Er fühlte sich leidlich ausgeschlafen und der Hunger, der ihm am Abend so arg zugesetzt hatte, hatte sich wieder beruhigt. Aber morgens konnte Nils nie viel essen. Dafür hatte er Durst. Er stand auf und öffnete die Fenster. Draußen sah es nicht anders aus als tags zuvor. Er verließ das Haus.

    Durch das Dorf führte ein schmaler Graben, aus dem er am Tag zuvor bereits getrunken hatte. Das Wasser war gut und es gab keine Menschen oder Tiere, die es verschmutzen konnten, daher hatte er keine Bedenken gehabt, es zu trinken, und sein körperliches Befinden schien sein Vertrauen zu rechtfertigen.

    Die Luft war so kühl wie erwartet, obwohl es angenehmer war als in der Nacht. Der schwache Nebel, den sein Atem verursachte, war kaum zu erkennen. Der Himmel war klar, aber Nils vermisste wieder die Sonne. Er zuckte mit den Achseln. Wenn es so war, dann konnte man eben nichts daran ändern. Er verschwand für einen kurzen Augenblick hinter einem nahen Strauch, dann ging er zum Graben. Auch wenn es kalt war, wollte er doch nicht darauf verzichten, sich zu erfrischen. Aber schließlich wurde es nur eine Katzenwäsche.

    Als er seinen Kopf hob und sich das Gesicht mit seinem Taschentuch abtrocknete, fiel ihm neben sich eine Gestalt auf und er erschrak. Hastig drehte er sich zu ihr um, kam ins Straucheln und saß plötzlich auf seinem Hintern. Die Gestalt war nicht allein. Nils fand sich umringt von sieben – Menschen? Es waren Krieger, so viel stand fest, denn sie waren mit Speeren bewaffnet, an deren gefährlichem Ende funkelnde Spitzen drohten, und die zeigten jetzt alle auf ihn.

    Es dauerte einen Augenblick, bis er seinen Schreck überwunden hatte und die Krieger näher betrachten konnte. Das wurde dadurch erleichtert, dass zunächst nichts weiter geschah, als dass sie ihn so interessiert und neugierig ansahen wie er sie ängstlich. Nils konnte sich nicht daran erinnern, jemals in einer solchen verzwickten Lage gewesen zu sein. Er kam zu dem Schluss, dass seine Gegner, damit musste er zumindest erst einmal rechnen, keine gewöhnlichen Menschen sein konnten. Am auffälligsten waren ihre blassgraue Haut und ihre unnatürlichen Augen – hellgrün leuchtend starrten sie ihn an. Dieser Anblick erschreckte Nils. Er kannte leuchtende Augen nur aus Film und Fernsehen, aber dann waren sie gewöhnlich bedrohlich rot und gehörten zu Wesen, deren Nähe Ungemach erwarten ließ. Diese Gewissheit war ein neuer Baustein seines im Nebel des Vergessens versunkenen Erinnerungsgebäudes und wieder ein äußerst unwichtiger. Offensichtlich steckte doch weniger Phantasie in solchen Darstellungen, als viele glaubten.

    Die Krieger trugen lange blaue Gewänder und Schnürsandalen. Die Oberkörper wurden von braunen Schuppenpanzern geschützt. Sie hatten keine Helme auf und so konnte Nils erkennen, dass sich die Haare von Krieger zu Krieger in Farbe und Schnitt unterschieden, aber allen war ein auffallend verlängerter Hinterkopf gemeinsam. Die Männer waren durchschnittlich dünner und größer als Menschen. Offensichtlich waren die Speere die einzigen Waffen, die sie trugen.

    „Wer seid ihr und was wollt ihr von mir?", fragte Nils und seine Stimme zitterte leicht.

    Es waren die ersten lauten Worte, die er in dieser fremden Welt gesprochen hatte. In diesem Augenblick spürte er das zweite Mal, seit er dort angekommen war, ehrliche Angst. Er war es nicht gewohnt, von Waffen bedroht zu werden und hier zeigten auch noch beängstigend viele auf ihn. Er wagte nicht, sich zu bewegen.

    „Wer bist du und wie kommst du hierher? Was tust du im Reservat?", wollte einer der Krieger wissen, ohne auf Nils´ Frage zu antworten.

    Er unterschied sich nicht von den anderen, und so war für Nils nicht ersichtlich, ob es sich um den Anführer handelte. Obwohl Nils verständlicherweise etwas angespannt war, fiel ihm auf, dass der fremdartige Krieger die deutsche Sprache verwendet hatte. Nils konnte die Worte gut verstehen, obwohl sie in einer unüberhörbar seltsamen Mundart gesprochen worden waren. Nils kannte sie nicht, aber er hätte auch zugeben müssen, dass er nur sehr wenig darüber wusste.

    „Ich – äh – mein Name ist Nils Holm, stammelte er. „Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin, ehrlich. Ich weiß nicht einmal, wo ich bin. Wo bin ich überhaupt?

    Das stimmte ja alles, aber der Anführer, für den Nils den Krieger, der ihn gefragt hatte, hielt, schien nicht recht überzeugt zu sein. Zumindest glaubte Nils, das an seinem Gesichtsausdruck erkennen zu können. Und anscheinend war er auch nicht geneigt, ihm seine Frage zu beantworten.

    „Steh´ auf!", forderte er Nils auf und unterstrich den Befehl mit einer Bewegung seiner Waffe.

    Die Wächter traten einen Schritt zurück, hielten die Speere aber weiter auf ihn gerichtet. Nils kam der Aufforderung ein wenig umständlich nach und bemühte sich, keine hastige Bewegung zu machen, die falsch verstanden werden konnte. Er kannte diese Krieger nicht, er kannte nicht einmal ein Volk, dem sie entstammen konnten, daher war es besser, vorsichtig zu sein.

    Als er stand, zeigte Nils den Kriegern unwillkürlich seine leeren Hände als Zeichen, dass er unbewaffnet war und hoffte, dass sie seine Geste auch so verstanden. Er rechnete damit, dass sie ihn durchsuchen würden, aber nichts dergleichen geschah. Der Anführer schien auch kein Interesse an einem weiteren Verhör zu haben. Er befahl Nils, ihm zu folgen. Nils hatte auch keine andere Wahl, denn die Krieger nahmen ihn in ihre Mitte und zwangen ihn mitzugehen. Sie bewegten sich in einer Weise, aus der Nils schließen konnte, dass sie sehr schnell waren, schneller als er, und dass sie ihn in kurzer Zeit einholen würden, wenn er versuchte zu fliehen. Es gab keinen Grund daran zu zweifeln, dass sie es wohl auch mit einem Speerwurf versuchen würden, ihn aufzuhalten. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie seine Hände nicht gefesselt hatten. Also blieb Nils nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen.

    Seine Angst verringerte sich ein wenig, denn offensichtlich hatten die Krieger nicht die Absicht, ihn auf der Stelle zu töten. Allerdings hatte der Anführer auch nicht gesagt, wohin sie in brachten, und das, was dort auf ihn wartete, war vielleicht schlimmer.

    Allmählich wurde sich Nils des Unwirklichen seiner Lage bewusst. Er hatte seine Vergangenheit, von der er annahm, dass es sie gab, bis auf wenige Einzelheiten vergessen. Er wusste nicht, auf welche Weise er in diese Gegend gekommen war, eine Gegend ohne Sonne, ohne Mond und Sterne und doch mit einem Wechsel zwischen Tag und Nacht. Es gab keine nichtkriegerischen Bewohner mehr und nur noch eine geringe Zahl von Tieren, von denen einige mehr als ungewöhnlich aussahen. Die Wächter waren von einer Erscheinung, wie er sie noch nie bei Menschen gesehen hatte und vielleicht waren sie noch nicht einmal welche. Nils hatte keine Ahnung, was er von all dem halten sollte, aber wenn er sich in einem Traum befand, dann war er erschreckend klar und zog sich endlos hin. Anscheinend wollte er partout nicht daraus erwachen. Unbewusst zog sich Nils in eine zunehmende Abgestumpftheit zurück, die so lange anhalten sollte, wie er mit seiner Lage noch nichts anfangen konnte. Vielleicht war es das Beste, was er tun konnte, um nicht verrückt zu werden.

    So still sich diese Welt bisher gezeigt hatte, so verschwiegen schienen auch die Krieger zu sein. Der Befehl, ihnen zu folgen, war das Letzte, was sie seit ihrem Aufbruch aus dem verlassenen Dorf zu Nils gesagt hatten, und auch untereinander fiel kein Wort. Nils wagte nicht, sie anzusprechen.

    Er musste lächeln, obwohl diese Regung seiner Lage nicht angemessen schien und er hoffte im gleichen Augenblick, dass es keiner der Rûngori-Krieger – den Namen dieses Volkes kannte Nils zu diesem Zeitpunkt noch nicht – gesehen hatte. Vielleicht würden sie es falsch verstehen. Der Grund für sein Lächeln war der Gedanke, dass er jetzt möglicherweise schneller etwas zu essen bekam, als wenn er weitergewandert wäre. Ein ziemlich trivialer Gedanke, aber in seinem Zustand mehr als verständlich. Und vielleicht würden ihm dort, wohin die Krieger ihn brachten, endlich einige Fragen beantwortet werden – falls jene Leute etwas redseliger waren.

    So ging Nils zwischen den Rûngori her und hing seinen Gedanken nach, ohne viel auf seine Umgebung zu achten.

    Der kleine Trupp hatte das Dorf in die gleiche Richtung und auf dem gleichen Weg verlassen, wie Nils es am Tag zuvor erreicht hatte. Die Krieger gingen ziemlich schnell und Nils musste sich etwas Mühe geben, um Schritt zu halten. Aber der Fußweg dauerte nicht sehr lange, denn als sie die Straße erreichten, wartete dort eine Pferdekutsche auf sie. Anscheinend hatten sie noch einen weiten Weg vor sich. Da war es Nils ganz recht, dass er gefahren wurde, denn langsam knurrte ihm wieder der Magen und er begann, sich zunehmend schwach zu fühlen.

    Als sie sich der Kutsche so weit genähert hatten, dass Einzelheiten zu erkennen waren, stöhnte er innerlich auf. Das, was er sah, konnte es nicht geben – na ja, hier wohl schon. Es war weniger die Kutsche selbst, wenn sie auch beachtliche Ausmaße hatte und größer schien als die vom Tag zuvor. Sie hatte einen geschlossenen Aufbau und selbst der Fahrer saß innerhalb des Fahrzeugs. Nur die Zügel zu den sechs Pferden waren zu sehen. Und diese Pferde waren es, die Nils in einen solchen Unglauben stürzten.

    Er musste sich in einem Traum befinden, denn so etwas gab es wirklich nicht. Jedes Pferd hatte sechs Läufe. Zwei Paare befanden sich unter dem Vorderkörper und ein Paar deutlich kräftigere Beine am hinteren Teil der Pferde. Die Tiere waren größer, als diejenigen aus seiner Welt, an die er sich jetzt schwach erinnerte. Das Fell glänzte goldbraun. Ein langer Schweif hing fast bis zum Boden. Nils war nicht klein, aber diese Pferde überragten ihn um wenigstens zwei menschliche Kopflängen. Er war sicher, dass diese Art Pferde die Kutsche äußerst kraftvoll und schnell vorantreiben konnten.

    Und dann geschah etwas, was Nils an der Wirkungsweise seines Verstandes zweifeln ließ. Während er die Pferde betrachtete, wurden sie plötzlich durchsichtig und schienen sich auflösen zu wollen. Gleichzeitig tauchten an ihrer Stelle andere, vierbeinige Pferde auf, von einer Art, wie er sie in Erinnerung hatte. Doch die Tiere verdrängten sich nicht etwa von ihren Plätzen, sondern sie befanden sich offensichtlich ineinander. Auch die »neuen« Pferde führten Zügel in ihrem Maul, die bis zur Kutsche reichten.

    Genauso schnell, wie der Spuk entstand, war er auch vorüber, und ungerührt standen die sechs sechsbeinigen Pferde wieder vor der Kutsche.

    Nils war stehen geblieben und vor Überraschung wie gelähmt. Erst die drohende Stimme eines der Wächter, unterstützt von der unangenehmen Berührung seiner Schulter mit einer Speerspitze, brachte ihn wieder zur Besinnung. Sein Blick wollte sich nicht von den Pferden trennen, während er weiterging. Haben denn die Krieger überhaupt nichts bemerkt, fragte er sich. Die, die er sehen konnte, hatten den Zugtieren nicht einmal besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es war wirklich unglaublich.

    Zwei Türen öffneten sich an der Kutsche. Eine an der Seite, der sie sich näherten und eine im Heck. Niemand stieg aus und Nils konnte drinnen nur einen undeutlichen Schatten erkennen, der sich bewegte. Die Kutsche schwankte leicht, dann musterte ihn ein Paar leuchtend grüner Augen aus ihrem Inneren. Dieser Anblick war noch unheimlicher als der von den Augen der Rûngori-Krieger im Tageslicht. Nils erfüllte von neuem ein zunehmendes Unbehagen.

    Er glaubte, dass er zu diesem Fremden einsteigen sollte, doch er irrte sich. Eine kräftige Hand hielt ihn vom Einsteigen zurück.

    „Hinten rein!", befahl der Anführer.

    Nils gehorchte. Jetzt erkannte er auch, was für ein Gefährt es war, obwohl ihn diese Erkenntnis nicht sonderlich überraschte. Es war eine Gefängniskutsche, deren hinterer Teil von einem Käfig ausgefüllt wurde, der nur vom Heck her zugänglich war. Quietschend schloss sich die Gittertür hinter Nils und mit einem groben Schlag die Holztür. Klackend wurde draußen ein Riegel vorgeschoben.

    Immerhin war der Käfig recht geräumig und offenbar für mehrere Gefangene ausgelegt. Da Nils in diesem Augenblick der Einzige war, konnte er sich bequem ausstrecken. Natürlich waren die Bänke aus Holz und ungepolstert und nur ein kleines Guckloch erlaubte einen Blick nach draußen. Nils wunderte sich, mit welcher Gelassenheit er seine Lage ertrug. Er hätte verzweifelt sein, vielleicht mit seinem Leben abgeschlossen haben müssen, aber die Neugierde überwog wieder. Wo würden sie ihn hinbringen?

    Dann stiegen die sieben Krieger in den vorderen Teil der Kutsche ein und die Seitentür knallte zu. Nur noch wenig Licht gelangte in die Kutsche, und Nils betrachtete die grünen Augenpaare, die ihn in der Finsternis durch das Gitter des Käfigs anblickten, mit deutlichem Argwohn. Von ihren Besitzern war nur wenig mehr als schwarze Schatten zu erkennen. Nils hörte einen unverständlichen Befehl und mit einer mächtigen Schaukelbewegung, die ihn fast von der Sitzbank riss, hätte er sich nicht im letzten Augenblick am Gitter festgehalten, setzte sich das Gefährt in Bewegung. Wie erwartet, erreichte es bald eine beängstigende Geschwindigkeit.

    „Mein Abenteuer gewinnt an Fahrt", murmelte Nils, während er aus dem Guckloch blickte.

    Die Kutsche schaukelte und rumpelte, ächzte und knirschte und soviel Nils durch das Loch in der Hecktür erkennen konnte, durchquerten sie die Landschaft in großer Eile. Die Rûngori-Krieger schwankten genauso hin und her wie Nils, aber da sie keinen beunruhigten Eindruck machten, vermutete er, dass sie solche schnellen Fahrten gewohnt waren. Nils hatte fast das Gefühl, dass ihre Reise einer Flucht gleichkam. Er wandte seinen Blick wieder nach draußen.

    Die Landschaft änderte sich einige Male. Sie fuhren abwechselnd durch waldreiche Gebiete und weitläufige Steppen und entfernten sich von dem Gebirge am Horizont. Eines aber blieb, wie es war, gleichgültig durch welche Gegend sie kamen, sie schien stets vollkommen vereinsamt. Zwar konnte Nils von Zeit zu Zeit ein Gehöft oder auch einmal eine kleine Ansiedlung ausmachen, aber nirgends sah er Menschen – oder die Bewohner des Landes.

    Nils wusste noch nicht, dass seine Bewacher dem nichtmenschlichen Volk von Rûngor angehörten. Die Krieger hatten ihn darüber nicht aufgeklärt und andere Einwohner, die es ihm hätten sagen können, hatte er nicht getroffen. Aber er war mittlerweile überzeugt davon, dass dieses Volk zumindest kein gewöhnlich menschliches war und es wunderte ihn, dass er von ihm noch nie etwas gehört hatte, denn ihre außergewöhnliche Erscheinung hätte sie zu einem der berühmtesten Völker auf der Erde machen müssen.

    Nils hatte in den letzten Stunden eine interessante Entdeckung an sich gemacht. Wenn er versuchte, sich besonders konzentriert an etwas zu erinnern, dann gelang ihm das auch. Und wenn sich seine Gedanken auch wie durch einen zähen Schleim hindurch an die Oberfläche seines Gedächtnisses quälten, so war er doch überzeugt davon, dass er sich an dieses Volk erinnern müsste, wenn er von ihm gewusst hätte. Und er wüsste von ihm, wenn es auf der Erde existieren würde. Das war aber nicht der Fall. Diese Entdeckung machte seine Lage noch rätselhafter. War es dann etwa möglich, dass er sich überhaupt nicht mehr auf der Erde befand? Wenn nicht, dann erklärte dieser Umstand vielleicht auch seinen Gedächtnisverlust. Aber wie kam es dann, dass die Fremden seine Sprache beherrschten? Fragen, die er nicht beantworten konnte. Aber Nils hoffte wenigstens, dass seine Fähigkeit, sich an Dinge zu erinnern, wenn er sich nur genug anstrengte, der Beginn der Wiederherstellung seines Erinnerungsvermögens war

    Die Fahrt zog sich endlos hin. Er hatte nach wie vor kein Zeitgefühl, aber sie waren schon ziemlich lange unterwegs. So wie es aussah, war ein großer Landstrich von seiner Bevölkerung verlassen worden. Nils nahm all seinen Mut zusammen und fragte den Anführer der Krieger, was es mit der Gegend auf sich hatte, durch die sie fuhren, und warum sie das »Reservat« genannt wurde. Aber außer einem starren Blick aus seinen leuchtenden Augen bekam Nils keine Antwort. Und irgendwie überraschte ihn das nicht. Immerhin schenkte der Krieger ihm aber so viel Aufmerksamkeit, dass er ihn ansah. Nils seufzte und setzte seine Außenbeobachtung fort, obwohl es nicht viel Aufregendes zu beobachten gab, bis....

    Eine kurze, vollkommene Verdunkelung schreckte Nils auf. Er war für einige Zeit eingenickt, aber nicht so tief, dass ihm diese Veränderung entging. Dann schien alles wieder wie vorher. Doch als er nach draußen blickte, traute er seinen Augen nicht. Die Umgebung hatte sich so dramatisch verändert, als wäre Nils – wieder einmal – in eine neue Welt gekommen.

    Die Landschaft erschien plötzlich buchstäblich in einem anderen Licht. Alles wirkte heller und freundlicher und Nils sah, dass sie sich von einer grauen Wand entfernten, die nur die Grenze des sogenannten Reservates sein konnte. Diese Wand war nicht undurchsichtig. Alles, was sich dahinter verbarg, erschien verschwommen in einem schmutzigen, hellgrauen Licht und wirkte kalt und starr. Wie konnte es auch anders sein in jenem kalten, lebensentblößten Gebiet.

    Nils bemerkte, dass sich die Kutsche verlangsamte und dann gemächlicher weiterfuhr. Hatten sie sich tatsächlich auf einer Flucht befunden? Wie knapp waren sie einem Unglück entronnen? Das waren wieder unbeantwortete Fragen.

    Jetzt, als die Kutsche nicht mehr so heftig schaukelte, erkannte Nils mehr Einzelheiten durch das Guckloch. Und das versetzte ihn in Erstaunen, obwohl es dazu in seiner Heimat nicht unbedingt Grund gegeben hätte. Am Himmel stand hell und klar die Sonne. Nils sah Vögel zwischen und in den Wipfeln der Bäume. Ihm war, als konnte er ihren Gesang hören. Schmetterlinge tanzten über den Blumen der Wiesen, die an die Straße grenzten. Es gab Weiden, und wie es aussah, grasten dort ganz normale Kühe. Und jetzt sah er auch Menschen, oder genauer, Einwohner des Landes. Sie waren noch nicht weit entfernt von der Grenze zum Reservat, aber es gab bereits Reisende auf der Straße und Bauern bei der Feldarbeit. Hier und dort spielten Kinder in den Wiesen. Und nirgends erblickte Nils Krieger. Allen war eine große, schlanke Gestalt, eine blassgraue Haut und die leuchtend hellgrünen Augen gemeinsam, soweit er sie erkennen konnte.

    Nils´ alle anderen Gefühle überlagernde Niedergeschlagenheit ließ nach. Sie verschwand nicht, aber er litt nicht mehr unter ihr. Er warf einen verstohlenen Blick auf seine Bewacher und glaubte, auch bei ihnen eine gewisse Erleichterung festzustellen. Sie schwiegen immer noch, aber sie saßen weniger verkrampft auf ihren Bänken. Es gab kaum noch einen Zweifel, dass sie einer großen Gefahr entronnen waren, von der er nichts geahnt hatte. Am Ende hatten die Krieger ihn durch seine Gefangennahme vor einem noch übleren Schicksal bewahrt. Nils entschloss sich jedoch, im Nachhinein keine weichen Knie zu bekommen, wenn er bei dieser Vorstellung auch ein leichtes Kribbeln im Nacken verspürte. Er hätte auch gar nicht gewusst, worin diese Gefahr bestand. Nils schüttelte unmerklich den Kopf und wandte seinen Blick wieder nach draußen. Alle Müdigkeit war von ihm abgefallen und sein Hunger – beinahe – verschwunden.

    Die Sonne stand hoch über ihnen und anscheinend in ihrem Zenit. Daraus schloss Nils, dass sie bereits einen halben Tag unterwegs waren. Auf der Erde hätte er ausgerechnet, dass sie das verlassene Dorf bereits vor vier oder fünf Stunden verlassen hatten, aber die Fahrt kam ihm länger vor. Da er aber nicht mehr sicher war, auf der Erde zu sein, konnten hier auch andere Zeiteinteilungen herrschen. Und sein Gefühl half ihm nicht weiter.

    Die Straße verlief durch eine kleine Ortschaft. Nils sah einige Fremde, wie er die Bewohner dieses Landes mangels eines besseren Namens nannte, obwohl ihm diese Rolle sicher eher zukam. Es waren Frauen, Männer und Kinder. Es gab Haustiere und Vieh auf den Grundstücken. Das Dorf ähnelte dem, in dem Nils die letzte Nacht verbracht hatte. So musste jenes ausgesehen haben, als es noch bewohnt war. Sah man von der Erscheinung der Bevölkerung ab, hätte das Dorf genauso gut in Nils´ ehemals niedersächsischer Heimat liegen können – vielleicht ein paar Hundert Jahre früher, denn es gab weder Autos, noch konnte er eine Straßenbeleuchtung oder elektrische Leitungen erkennen. Und auch die Kleidung der Leute entsprach nicht dem, was Nils als seiner Zeit gemäß angesehen hätte. Vor lauter Begeisterung über diesen lebendigen Anblick nach der Zeit in dem trostlosen Reservat vergaß er, dass er ein Gefangener war.

    Das Dorf fiel hinter ihnen zurück und nun dauerte es nicht mehr lange, bis sie ihr Ziel erreichten. Bevor Nils etwas sehen konnte, hörte er, wie die Kutsche nach einem heftigen Stoß ein lautes Rumpeln erfüllte. Im gleichen Augenblick schob sich die gepflasterte Straße unter ihr hervor. Das Fahrzeug wurde noch etwas langsamer. Dann kamen links und rechts von der Straße die ersten Häuser in Sicht. Jetzt waren es Bürgerhäuser und keine Bauernhäuser mehr. Sie hatte eine Stadt erreicht. Durch das Guckloch kam eine Stadtmauer in Sicht. Das Tor stand offen und wurde von einigen Kriegern bewacht. Sie waren jedoch nicht angehalten worden. Oben auf der Stadtmauer, die die Häuser überragte, standen ebenfalls Wachen.

    Bei dem Dorf hätte man es noch behaupten können, aber als sie jetzt durch die Straßen der Stadt fuhren, war Nils sicher, dass sie nicht viel mit seinen bruchstückartigen Erinnerungen an Städte, wie er sie kannte, gemein hatte. Die Häuser waren zwei- höchstens dreistöckig gebaut. Die Wände waren in allen möglichen Erdfarben gestrichen und nur noch selten zeigten sie Fachwerkelemente. Die Einwohner trugen äußerst altmodische Kleidung, und Nils fielen ungewöhnlich viele Krieger auf. Niemand achtete auffallend auf die Kutsche. Demnach war sie ein vertrauter Anblick.

    Das ganze Bild zeigte eine Stadt, die eher ins Mittelalter passte, als in das einundzwanzigste Jahrhundert, aus dem Nils kam. Und dazu trug nicht nur die Stadtmauer bei. Der Eindruck, den er in dem Dorf vor der Stadt gewonnen hatte, bestätigte sich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1