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Die Auferstehung des Oliver Bender
Die Auferstehung des Oliver Bender
Die Auferstehung des Oliver Bender
eBook298 Seiten3 Stunden

Die Auferstehung des Oliver Bender

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Über dieses E-Book

Am Freitag wird Oliver Bender auf dem Friedhof des kleinen Heidedorfes Himmelstal begraben. Er ist an einem Herzinfarkt gestorben. Definitiv.
Am Sonntag sehen ihn zwei Nachbarn. Auch definitiv.

Doch niemand glaubt ihnen. Einer sucht Hilfe beim Journalisten Jens Jahnke. Der zwar gescheiterte, aber humorvolle Reporter beim Kreisblatt geht der Sache nach. Er gerät in eine unglaubliche, skurrile Geschichte und mehrfach an seine eigenen Grenzen und die von Naturwissenschaft, christlicher Theologie und gesundem Menschenverstand gleichermaßen.

Der Roman, der auch irgendwie ein humorvoller Krimi ist, spielt mit dem Gedanken: Was wäre, wenn jemand von den Toten aufersteht. Er beleuchtet humorvoll und ernst zugleich Fragen um die Auferstehung und den Umgang mit Religion, Kirche und dem Auferstandenen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum2. März 2020
ISBN9783750226234
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    Buchvorschau

    Die Auferstehung des Oliver Bender - Hermann Brünjes

    Prolog

    »Victory!«

    Den meisten der Trauernden kamen spätestens jetzt die Tränen. Dieses Lied hatte er selbst sich ausgesucht. »Victory is on our lips and in our life! For Jesus has surely been raised from the death!« Gespielt und gesungen wurde es von jungen Leuten zu Gitarre und Saxofon. Oliver war nur 66 geworden. Seinen zweiten Herzinfarkt hatte er nicht überlebt.

    Maren, seine zehn Jahre jüngere Frau, trug ein schwarzweißes Kleid. Wie immer sah sie nicht nur gepflegt, sondern richtig gut aus. Diesmal allerdings trug sie Trauer im Gesicht. Tränen hatten unter ihren Augen schillernde Spuren hinterlassen. Dennoch sah sie gefasst auf den schlichten Sarg, der jetzt von vier Männern in Schwarz in die Grube gelassen wurde. Sie selbst hatte immer gesagt, sie wolle einmal »im Stück« beerdigt werden. Ihr Mann, dem auch Verbrennen Recht gewesen wäre, hatte zugestimmt und gemeint, er wolle dann auch im Tod an ihrer Seite bleiben.

    Die Feier in der Kapelle des Himmelstaler Friedhofs war kurz aber eindrücklich gewesen. Sie hatten kräftig gesungen. Sowohl den alten Choral »Großer Gott wir loben dich!«, als auch das neuere Lied »Gott mein Herr«, kannten viele Mitglieder der Trauergemeinde und hatten von Herzen mitgesungen. An der Straße mögen sich Passanten gewundert haben, klang es doch aus der Kapelle eher nach Freude als nach Trauer.

    »Vater unser«, auch das Gebet Jesu hallte laut aus vielen Mündern über dem noch offenen Grab. Zuerst der Pastor, dann Maren Bender, die beiden Kinder und ein Enkel, dann viele Freunde, alte Kollegen, Nachbarn und Dorfbewohner warfen Erde und Blumen auf den Sarg.

    Dann war es vorbei.

    Noch am Nachmittag wurde das Grab geschlossen. Auf den Erdhügel legte man einen Kranz und zwei Gestecke.

    Das war’s mit Oliver Bender.

    Freitag, 9.8.

    »Er ist auferstanden!«

    Der Mann sieht eigentlich recht seriös und zeitgemäß aus: kariertes Freizeithemd mit kurzen Ärmeln, blaue Jeans und Sandalen ohne Socken an den Füßen.

    Ich muss ihn anschauen wie einen Außerirdischen, denn schnell schiebt er eine Erklärung nach.

    »Äh, ich meine, er war einfach wieder da.«

    »Wer, Jesus Christus?« Ich grinse ihn etwas dümmlich an. »Das hört man ja allenthalben.«

    »Nein, Oliver Bender.«

    »Und wer soll das sein?«

    »Das ist unser Nachbar! Nee, das war unser Nachbar.«

    »Ist oder war? Er war also tot? Oder ist es noch?«

    Ich hoffe, der Mann ist von meinen dummen Fragen nicht genervt. Er verzieht den Mund, bleibt jedoch sachlich.

    »Ja, er war tot. Wir haben ihn mit großer Anteilnahme heute vor einer Woche auf dem Himmelstaler Friedhof beerdigt. Alle waren sie dort, das ganze Dorf, seine Frau Maren, seine Kinder und Enkel, wir Nachbarn. Alle!«

    »Und nun lebt er wieder? Und ist jemandem erschienen?«

    »Richtig. Am Sonntagabend haben ihn zwei Nachbarn gesehen. Corinna und ich.«

    Gerald Tönnies, so heißt mein um die fünfzig Jahre alter Gesprächspartner, nickt energisch, so als will er sich selbst noch einmal das Unmögliche als möglich bestätigen.

    »Corinna hat ihn gegen zehn Uhr abends auf seiner Terrasse gesehen. Und ich bereits vorher in unserer Straße.«

    Mir ist nicht klar, ob ich dieses Gespräch überhaupt weiterführen soll. Ich bin zwar weder Chefredakteur unseres Käseblattes noch dessen Starreporter – aber auch ich stehe meistens unter Strom. Auch eine Regionalzeitung wie unsere vermag es, seine Reporter auf Trab zu halten. Jahresfeier mit Ehrungen bei der Feuerwehr, ein grässlicher Unfall auf der Kreisstraße, der Schützenkönig oder die Miss Bodenteich, wieder eine neue Idee vom Tourismusverein oder ein toter Wolf im Straßengraben – es gibt unendlich viele Themen, die uns und eben auch mich in Atem halten.

    Und nun sitzt dieser Gerald mit seiner seltsamen Zombiestory vor mir. Vermutlich Zeitverschwendung!

    Allerdings, irgendetwas Überzeugendes geht von diesem Mann aus. Es liegt weniger an seinen Worten als an ihm selbst. Er wirkt eben so ganz anders als ein Spinner, Visionär oder Verschwörungstheoretiker. Er wirkt echt – echt irritiert.

    »Diese Corinna und Sie hatten also eine identische Vision?«, höre ich mich zweifelnd fragen und prompt kommt die Antwort, die ich befürchtet habe.

    »Nein. Wir hatten keine Vision. Wir haben Oliver gesehen und erkannt. Und es war auch nicht zur gleichen Zeit und identisch. Bei mir ging er die Straße entlang auf sein Haus zu, bei Corinna saß er auf seiner Terrasse.«

    »Und Sie sind sich sicher, dass es Ihr Nachbar selbst war? Immerhin wird es jetzt schon gegen neun dämmrig.«

    »Aber ich habe ihn bereits kurz vor acht gesehen, noch vor Beginn der Tagesschau. Und Corinna hat ihn im Licht seines Wohnzimmers, das auf die Terrasse scheint, erkannt.«

    Gerald ist sich seiner Sache ganz offensichtlich sicher. Getrunken hat er auch nichts, soweit ich sehe und rieche. Also beschließe ich, ihn ernst zu nehmen, auch wenn dies im Grunde völlig abgefahren erscheint.

    Ich frage ihn noch ein bisschen über das aus, was er von seinem Nachbarn weiß. Es ist nicht viel aber immerhin ein Anfang. Dieser Oliver Bender wohnte seit über dreißig Jahren in seinem Haus. Der Nachbar ist erst vor zehn Jahren zugezogen. Etwa zeitgleich hat Oliver Bender nach Trennung von seiner ersten Frau wieder geheiratet. Bei der Beerdigung drückten viele Himmelstaler Olivers Frau Maren und ihren Kindern ihr Beileid aus.

    »Und hat Ihr Nachbar irgendetwas von dieser Sache angedeutet? Äh, ich meine seine Auferstehung?«

    Meine Frage kommt mir selbst seltsam vor.

    Aber Gerald findet sie offenbar berechtigt.

    »Nein, nicht direkt. Er hat uns mehrmals zur Kirche eingeladen und immer mal ganz normal davon gesprochen, dass er an Gott glaubt und auch an den Himmel und so was ... Aber von seiner Beerdigung und dass er danach wieder auftauchen würde – nee, das hätten wir ja sowieso nicht geglaubt!«

    »Dann war Ihr Nachbar also der Kirche verbunden?«

    »Allerdings. Er war vor seiner Verrentung sogar bei der Kirche angestellt. Er hat in dem christlichen Tagungshaus bei uns im Ort gearbeitet. Aber sonst war er ganz normal.«

    »Normal«? Wenn sich jemand in der Kirche engagiert?

    Zwar gibt es bei uns in der Provinz noch immer Kirchengemeinden, in denen auch Ehrenamtliche mitarbeiten – aber es werden ganz eindeutig immer weniger. Früher haben wir in fast jeder Ausgabe unserer Zeitung ausführlich von einer oder auch mehreren kirchlichen Veranstaltungen berichtet. Heute gibt es jede Woche nur wenige Artikel. Viele davon sind Ankündigungen von Gottesdiensten, Gemeindefesten und so etwas. Wenn mich mein Chef dann dorthin schickt, finde ich meistens nur eine überschaubare Anzahl Gläubiger vor. Es sind dann meistens ältere Menschen. So ganz »normal« kann dieser Oliver also vermutlich doch nicht gewesen sein.

    Die meisten Informationen von Gerald speichere ich im Kopf ab, einige wenige, vor allem Namen, schreibe ich mir auf. Es ist furchtbar, wenn ein Journalist sich Namen nicht merken kann. Ich weiß, was ich sage! Also, besser aufschreiben. Das Meiste jedoch kann ich mir auch so merken. So z.B., dass die Polizei bereits am Dienstag letzter Woche bei Maren Bender aufgetaucht ist. Etwa eine Stunde lang soll dort ein Polizeiwagen vor dem Haus gestanden haben. Auch der Pastor des Dorfes, ein gewisser Klaus Kerber, soll sich während dieser Zeit im Haus von Maren Bender aufgehalten haben. Nachbarn auf dem Dorf sind jedenfalls eine aufmerksame Spezies.

    Ich frage meinen Besucher, warum er denn nun ausgerechnet zu mir kommt und was eigentlich sein Anliegen ist.

    »Keine Ahnung«, antwortet er. »Corinna meinte, ich solle mal zur Zeitung gehen. Ich habe vorher bei der Polizei angerufen. Die haben nichts gewusst und der Typ am Telefon hat mich ausgelacht. Gelacht haben auch zwei andere Nachbarn. Na, aber weil Corinna und ich ihn doch nun wirklich gesehen haben, dachte ich, Sie könnten dem mal nachgehen. Wenn einer von den Toten zurückgekommen ist, dann ist das doch sicher im Interesse der Öffentlichkeit - oder?«

    »Eine Geisterjagd also?« Ich grinse ihn an.

    Er sieht hilflos aus und nickt. »So was in der Art«, meint er. »Nur dass wir keinen Geist gesehen haben, sondern unsern Nachbarn Oliver Bender!«

    *

    Die tägliche Redaktionssitzung ist längst vorbei. Also bleibt mir jetzt nur der Weg zum Chefredakteur. Florian Heitmann ist ein alter Fuchs, allerdings nicht wegen seiner Erfahrungen hier in der Provinz, sondern aus seinen längst vergangenen Tagen bei der Hamburger Bildzeitung. Wenn die Ressortleiter nicht wären, würde unser Kreisblatt vermutlich längst identisch mit der BILD auftreten: schrill, populistisch, voyeuristisch, vulgär und politisch rechtslastig. Florian konnte sich auch nach Jahren hier bei uns bisher einfach nicht umstellen. Deshalb machen einige Kritiker aus unserem Kürzel KB statt »Kreisblatt« inzwischen »Kreisbild«.

    Das Büro unseres Chefs liegt neben denen der Ressortleiter im ersten Stock des flachen Gebäudes aus den Sechzigern. Wie alle anderen ist es schlicht und zweckmäßig mit Regalen, Schreibtisch und Computer eingerichtet. Allerdings hat der Chef als Einziger eine halbwegs bequeme Sitzecke. Wenn er gut drauf ist, lädt er selbst uns Journalisten ein, dort zu sitzen und wenn er besonders gute Laune hat, gibt es sogar einen Dimple. Den hat er wie in schlechten Filmen in einem der Aktenschränke versteckt, holt ihn dann heraus, grinst, schenkt ein und sagt: »Jedem Gimpel seinen Dimple!« Auch diesen blöden Spruch hat er sich noch nicht abgewöhnt. Allerdings unterstützt ihn darin auch niemand, da wir alle den Whisky zu schätzen wissen. Wenn Florian gut drauf ist ...

    Heute ist er schlecht drauf. Ich höre ein kurzes, herrisches »Herein!«, nachdem ich geklopft habe. Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und stochert auf der Tastatur seines Rechners herum. Seine recht dicken Finger versuchen, die schmalen Tasten zu treffen, er schwitzt und reibt sich mit einem Stofftaschentuch die Stirn.

    »Was willst du?«

    Fast bedaure ich, dass wir uns auf einer Betriebsfeier das Du angeboten haben. Allerdings war es an jenem Abend und beim damaligen Pegelstand kaum vermeidbar und einmal angenommen, war es dabei geblieben.

    »Florian, ich muss dich sprechen.«

    »Hat das nicht bis zur Besprechung für die Montagsausgabe Zeit? Wir haben schon fast Wochenende!«

    Ich sage ihm, es sei dringend. Er nimmt immerhin seine Finger von der Tastatur und schaut mich an.

    »Na, dann mal los, Jens. Ich hoffe, du kommst mir nicht mit dünner Luft!«

    Ich berichte meinem Chef von Gerald Tönnies. Während des Berichtes von Oliver Benders Beerdigung schaut er gelangweilt drein. Als er hört, dass die Nachbarn den Toten quicklebendig auf der Straße und auf seiner Terrasse gesehen haben, runzelt er die Stirn.

    »Jens, das ist doch Quatsch!«

    »Und wenn nicht?«

    »Keine Ahnung. Vielleicht hat dieser Tönnies zuviel getrunken oder zusammen mit der Zeugin gekokst. Da sieht man schon mal Gespenster!«

    »Tönnjes hatte keinen Tropfen getrunken. Er wirkte sehr nüchtern und glaubhaft.«

    »Dann soll er es der Polizei melden.«

    »Hat er. Die haben ihn ausgelacht und nichts unternommen.«

    »Vielleicht war dieser Bender ja nur scheintot.«

    »Und wo ist er jetzt?«

    »Keine Ahnung. Das alles riecht mir zu sehr nach Wichtigtuerei und Zeitungsente!«

    »Und was, wenn Bender wirklich von den Toten zurückgekommen ist? Sozusagen auferstanden?«

    Mein Chef schaut mich an, als habe ich gerade eben eine unsichtbare Grenze überschritten.

    »Jens! Das ist nicht nur dünne Luft, das ist gar nichts! Das ist Blödsinn, Heiligengeschwafel!«

    Das Stichwort »auferstanden« hätte ich besser vermeiden sollen – und es wissen müssen. Florians Haltung zur Kirche und allem, was mit Christentum zu tun hat, ist, milde ausgedrückt, gestört. Vielleicht hat er in seiner Kindheit mal schlechte Erfahrungen mit Kirche, Gott oder dessen Bodenpersonal gemacht. Jedenfalls hält unser Chefredakteur von all dem gar nichts. Die bringen keine Anzeigen, tönt er lautstark, wollen nur, dass wir berichten und für sie werben. Und jetzt noch dies. So ein Blödsinn! So was ist ja nun völlig unter unserem Niveau!

    Ich schlucke meine Bemerkung »KB sprach zuerst mit dem Toten!« sei doch eine gute Werbung für das Kreisblatt, herunter. Stattdessen frage ich ihn kleinlaut und besänftigend, ob ich denn weiter recherchieren darf. Immerhin ginge es ja gewissermaßen um Leben und Tod!

    Florian lässt nun seinem cholerischen Ego freie Bahn. Nein, Jens, mit religiösen Themen sollen sich die Kirchenzeitung und das Wort zum Sonntag befassen, nicht wir! Er, Florian Heitmann, stünde mit seinem guten Namen für das Kreisblatt und nicht die Gebrüder Grimm, Edgar Allan Poe, Jesus oder der Papst. Nein, für so etwas würde meine Zeit nicht bezahlt!

    Das war’s. Keinen Dimple für mich Gimpel.

    Etwas benommen sitze ich kurz darauf wieder an meinem Schreibtisch. Ich habe zwar eine der wenigen festen Anstellungen für Journalisten bei dem KB, muss mir den Schreibtisch jedoch mit zwei freien Mitarbeiterinnen teilen. Die sind allerdings selten im Haus.

    Das Blatt vor mir ist noch recht leer. Ein paar Namen stehen darauf, ganz oben steht nur »Auferstehung«. Ich streiche das durch und nenne das Ganze etwas neutraler »tot oder lebendig?«. Nur so zum Spaß schreibe ich ein paar Stichworte daneben und sammle Gründe, wieso jemand aus seinem Grab heraus plötzlich wieder auftauchen könnte und gesehen wird: Scheintot, lebendig begraben, vorgetäuschter Tod, Auferstehung, Doppelgänger, Zwilling, Vision, Engels-Erscheinung, Zombie, PR-Campagne, dummer Streich, Organhandel ...

    Mehr fällt mir auf die Schnelle nicht ein. Ganz sicher fehlt noch manches. Was am Ende passiert ist, hoffe ich herauszufinden ...

    Neben dem Blatt liegt ein Stapel Auftragszettel. Für heute ist der Besuch einer Ausstellung in Lüneburg vorgesehen und am Abend die Jahreshauptversammlung des hiesigen Geflügelzuchtvereins. Ich muss das machen, sonst gibt es nie wieder Dimple. Also falte ich meinen tot-oder-lebendig-Zettel zusammen, stecke ihn in meine Brieftasche und mache mich auf den Weg nach Lüneburg.

    Unsere Verlagsgebäude mit Druckerei und Redaktion liegen nah an der Stadtumgehung, der B4. Zunächst komme ich gut voran. Mein grauer Golf IV ist zwar nicht mehr der jüngste, hat mich aber nie im Stich gelassen. Allerdings nützt das vor Melbeck auch nichts. Es staut sich. Immerhin, nach mehr als dreißig Minuten bin ich am Bahnhof vorbeigefahren und stehe nun vor der Kulturbäckerei. Hier präsentiert die Sparkassen-Stiftung die Ausstellung.

    Erst jetzt wundere ich mich, wieso mich das KB nach Lüneburg schickt. Ich schaue mir noch einmal den Flyer an und suche nach einer Verbindung zu meinem Landkreis. Werner Steinbrecher heißt der Künstler, 2008 verstorben. Ich weiß, dass ich diesen Namen bereits kenne. Aber woher? Ich google ihn im iPad. Dann atme ich tief durch. Werner Steinbrecher hat in unserem Landkreis, ja sogar im kleinen Dorf Himmelstal einen Besinnungsweg mit 14 Stationen installiert. Im Nachbardorf hat er gewohnt. Ich lasse die Luft mit einem Pfiff entweichen. Der Weg heißt »Auferstehungsweg«. Schon wieder Auferstehung! Ich komme davon nicht los, wie es scheint.

    Der Nachmittag wird kurzweilig. Die Bilder dieses Künstlers sprechen mich zugegebenermaßen nur teilweise an. Es sind wilde Darstellungen einer noch wilderen Zeit im Berlin der Achtundsechziger. Rudi Dutschke und so. Dieser Werner Steinbrecher war offenbar mittendrin. Ich spreche mit Verantwortlichen, mache mir Notizen und beeile mich dann. Bevor ich zu den Geflügelzüchtern muss, will ich noch etwas über diesen »Auferstehungsweg« wissen. Immerhin bringt mich dieser Künstler nun auch dienstlich in jenes Himmelstal, wo Auferstehung ja offenbar zum Profil des Dorfes gehört. Ob hinter diesen angeblichen Bender-Sichtungen womöglich so etwas wie eine PR-Aktion und ein Werbetrick für dieses Kunstprojekt »Auferstehungsweg« steht?

    *

    Ich fahre nicht über die breite B4 zurück, sondern nehme eine schmale Kreisstraße. Die Landschaft hier ist wunderschön. Es geht meistens durch Wald. Manchmal komme ich mir vor wie im Schwarzwald. Es ist geradezu gebirgig unter den schlanken, dunklen Kiefern. Dann wieder sattgrüner Mischwald, unterbrochen von Wiesen. Später passiere ich weite Felder. Das Getreide ist abgeerntet, die Stoppeln leuchten gelb und ich muss an Kinder und Drachensteigen denken. Einige Äcker mit Zuckerrüben und Kartoffeln werden beregnet. Zweimal bekomme ich einen Strahl auf die Windschutzscheibe. Ich betätige die Wischer. Staub und Insektenleichen verschmieren die Scheibe. Ob diese Mücken und andere Tiere auch von den Toten auferstehen? Seltsame Gedanken löst die Bender-Recherche bei mir aus.

    Wir haben schon wieder einen viel zu trockenen Sommer. Die Felder erstrecken sich kurz vor meinem Ziel fast bis zum Horizont. Unterbrochen werden sie nur von Wegen, die von Hecken und blühenden Kräutern gesäumt sind. Ein Windpark bringt gewissermaßen Bewegung ins Bild. Manche sprechen ja von »Verspargelung« der Landschaft. Ich finde, dass es in der bewirtschaften Heide, und das ist die größte Fläche bei uns im Landkreis, mit Windrädern besser aussieht als ohne.

    »Himmelstal« zeigt das Ortschild an. Eben habe ich einen Sportplatz passiert. Junge Männer in grünen Trikots liefen über den Platz, vermutlich die Fußballer des Dorfes. Die Vereins-Welt scheint hier noch zu funktionieren. Es geht jetzt tatsächlich ein wenig bergab. »Tal« würde ich das jedoch noch nicht nennen. Ich halte Ausschau nach Kunstwerken. Einige Kurven, dann sehe ich die Dorfkirche vor mir. Sie ist ein Kleinod aus Feldsteinen und roten Ziegeln und steht auf einem flachen Hügel, der am Rand von einer Feldsteinmauer begrenzt wird. Der Rasen um die Kirche herum wirkt ungepflegt, aber die Kirche mit ihrem stolzen Turm und Fenstern mit Spitzbögen zieht ohnehin die Blicke auf sich.

    Ein Schild weist auf den »Auferstehungsweg« hin. Ich parke meinen Golf neben dem Schild. An einem der Pfosten der Halterung hängt ein Prospektkasten. Ich entnehme ihm einen Flyer. Er bewirbt drei Besinnungswege in der Region, zwei davon gestaltet vom Künstler Werner Steinbrecher.

    Gegenüber steht ein großes Gebäude mit schönem Fachwerkgiebel und einer mächtigen Säuleneiche davor. Es ist das Tagungshaus, von dem Gerald Tönnies gesprochen hat. Auch dazu gibt es einen Hinweis auf der Tafel.

    Ich schaue mir das erste Bild an. Es steht an der Südseite der Kirche und ist voller Dynamik durch Licht und Dunkel. Das Kreuz aus Stein wird geradezu vom Licht gesprengt. Ich kann mir vorstellen, dass Pilger so etwas mögen. Darunter steht die Geschichte vom Kreuz und von der Auferstehung aus der Bibel.

    Ein Blick zur Uhr und ich realisiere, dass ich mich beeilen muss. Ich spüre eine seltsame Anziehungskraft. Wieder ist es nicht das Bild. Es ist die ganze Situation. Dieser Besuch vorhin, der Zusammenhang von Ausstellung und Auferstehungsweg. Irgendetwas drängt oder zieht mich in diese skurrile Recherche hinein. Natürlich weiß ich, dass es mit diesem auferstandenen Oliver Bender Unsinn ist – aber in unserer Zeitung steht auch ohne solche Sciencefiction-Geschichten manch anderer Unsinn.

    *

    Die Artikel über die Ausstellung und die Geflügelzüchter gehen mir schnell von der Hand, auch wenn es bereits spät ist, als ich endlich zuhause vor dem Computer sitze.

    Ich schreibe gerne und wenn ich nicht gerade völlig von der Rolle bin, geht es auch schnell. Die Geflügelzüchter sind zwar nicht so mein Fachgebiet, aber heute ist es Dank Internet leicht, über Zuchthühner und Rassen zu recherchieren. Ich finde es immer positiv, wenn Leute sich engagieren – und so schreibe ich gerne auch wohlwollend und positiv über jene, die sich mit dem Federvieh befassen.

    Allerdings treibt mich inzwischen etwas ganz anderes um. Was, wenn es stimmt, was Gerald mir berichtet hat? Was, wenn dieser Oliver beerdigt wurde, aber dann wieder aufgetaucht ist? Na, das wäre doch in jedem Fall eine echte Story. Egal, ob nun tatsächlich eine Auferstehung stattgefunden hat oder ob es sich um einen grandiosen Betrug handelt – eine Story ist es allemal.

    Also recherchiere ich, ob es Florian nun passt oder nicht.

    »Oliver Bender«. Entgegen meiner Erwartung gibt es dazu diverse Einträge bei Google. Vor allem geht es um Bücher. Der Mann ist (oder war?)

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