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Umkehrschuss: Ein Eifel-Krimi
Umkehrschuss: Ein Eifel-Krimi
Umkehrschuss: Ein Eifel-Krimi
eBook240 Seiten2 Stunden

Umkehrschuss: Ein Eifel-Krimi

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Über dieses E-Book

Henkersmahlzeit in Katjas Einkehr?

Auf dem Friedhof im Grenzörtchen Kehr liegt eine Leiche. Nicht, wie sich das gehört, ordentlich im Sarg, sondern mitten auf dem Rasen. Mit einem Loch in der Brust. Die Polizei steht vor einem Rätsel: Niemand kennt den Toten, nichts weist auf seine Identität oder Herkunft hin. Wie kann man ohne jeglichen Hinweis den Täter ermitteln? Doch dann führt die erste Spur ausgerechnet in Katja Kleins Restaurant Einkehr: Im Magen des Toten finden sich Bestandteile des schrägen Menüs vom Vorabend. Wer hat dem schönen jungen Mann die Henkersmahlzeit serviert?
Für Katjas Freund, den belgischen Polizeiinspektor Marcel Langer, ist das Grund genug, die deutsche Polizei mit ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden zu unterstützen.

Schon zum achten Mal wird Martina Kempffs eigenwillige Ermittlerin in einen Kriminalfall verwickelt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Sept. 2017
ISBN9783954413973
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    Buchvorschau

    Umkehrschuss - Martina Kempff

    KEHRseite für Einsteiger

    Die Kehr gibt es tatsächlich.

    In diesem verschlafenen Weiler der Schnee-Eifel (siehe Karte) treffen Belgien, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz aufeinander. Die heute noch gebräuchliche Flurbezeichnung Auf der Kehr stammt aus den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts. Entstanden ist die Ortschaft, als die alte Straße von Trier über Prüm, Losheim und Büllingen nach Aachen ausgebaut wurde. Ebenjene Staatstraße, die seit 1922 die Kehr in einen belgischen und einen deutschen Teil zerschneidet und die auf der Kehr eine Kurve, eine Kehre eben, beschreibt. Einigen Gerüchten zufolge soll der Flecken seinen Namen allerdings von der einstigen Hinrichtungsstätte beziehen, die heute noch Auf dem Gericht heißt: Missetäter seien dort früher vom Galgen »weggekehrt« worden.

    Zu einer gewissen historischen Berühmtheit gelangte der Flecken nach dem Zweiten Weltkrieg: Als Losheim 1949 dem belgischen Verwaltungsgebiet zugeschlagen wurde, sparte man den Ortsteil Kehr aus. Neun Jahre lang (dann wurde Losheim wieder deutsch) war Kehr mit seinen damals 48 Einwohnern die kleinste Gemeinde auf deutschem Festland. Nur die nordfriesischen Hallig-Gemeinden waren noch winziger.

    Auf der Kehr leben heute sechzig Menschen. In meinen acht Kehr-Krimis stoßen nach und nach dazu:

    Katja Klein: Die einstige Berliner Moderedakteurin geriet auf der Suche nach ihren Wurzeln in einen Mordfall und blieb danach auf der Kehr hängen. Wie das Böse auch. Katja wird ständig in Verbrechen verwickelt, dabei möchte sie eigentlich nur abenteuerliche Gerichte für die Einkehr ersinnen. Ihr Restaurant steht auf der deutschen, ihr Wohnhaus hingegen auf der belgischen Seite der Bundesstraße 265.

    Marcel Langer: belgischer Polizeiinspektor mit wenig Sinn für geordnete Kleidung und konventionelle Ermittlungsmethoden. Er ist Katja in besonderer Weise verbunden, auch wenn die Beziehung der beiden immer wieder Prüfungen ausgesetzt wird.

    Gudrun Arndt: Katjas Freundin und Mitarbeiterin in der Einkehr, die lange Zeit an problematische Männer geraten ist, derzeit jedoch in einer festen Beziehung lebt. Vor allem aber liebt sie frisch gewienerte Böden. Sie ist auf der Kehr aufgewachsen und wohnt wieder in ihrem einstigen Elternhaus, dessen böse Geschichte in den vorangegangenen Krimis aufgefächert wird.

    Hein Mertes: ein ehemaliger Kölner Eventmanager, der zwar nicht mit Geld, aber sehr gut mit Worten und dem Internet umgehen kann. Er hilft Katja als Kellner und Webdesigner. Die Einkehr war früher sein Elternhaus. Er fährt mit der »Roten Zora« einen teuren Sportwagen, hat ein Faible für extravagantes Schuhwerk, sarkastische Bemerkungen und wechselt gern mal die Haarfarbe.

    Jupp Esch: Heins Lebenspartner, der mit ihm und dem Pferd Jumbo im nahe gelegenen Losheim wohnt. Ein sanftmütiger Riese, der als genialer Handwerker alles reparieren kann, als Waldarbeiter oft unterwegs ist, nebenbei Zeit für feine Handarbeiten findet und für alles und jeden Verständnis aufbringen kann.

    David Quirk: Die Mutter des Texaners, Mathilde Quirk, stammt von der Kehr, weshalb es ihn vor Jahren dorthin verschlagen hat. Der wenig entschlussfreudige Koch der Einkehr führt eine wechselhafte Beziehung zu Gudrun, derzeit ist aber sogar von Hochzeit die Rede.

    Daniel Seifenbach: Der junge Mann liebt alle Kreaturen, auch seinen Vater David Quirk, den er erst unter dramatischen Umständen als Halbwüchsiger auf der Kehr kennengelernt hat. Ganz besonders liegt ihm Linus am Herzen, der Labrador-Staffordshireterrier, den Katja geerbt hat und dem mehr als einmal eine lebensrettende Rolle zugekommen ist.

    Wie als Erstes jemand viel zu früh dort landet,

    wo letztendlich jeder hinkommt,

    Herzlosigkeit erleichternd wirkt

    und Radieschen unerwähnt bleiben.

    Herzpastete mit Forellenmousse:

    Forellenfilets pürieren, Frischkäse, Sour Creme, feingehackte Salatgurken und Radieschen darunter rühren, mit Limettensaft, Zitronensenf und Dill abschmecken und vorsichtig in herzförmige Blätterteigtaschen füllen.

    Auf dem Friedhof liegt ein Toter!«

    Kreidebleich und schwer atmend klammert sich Gudrun an den Türrahmen der Einkehr.

    »Nur einer? Wo sind denn die anderen alle hin?«, fragt Hein, ohne von seinem Laptop aufzublicken.

    »Nein, nein, Hein! Ein richtiger, da ist ein toter Mann …« Gudrun krümelt auf der Schwelle zusammen.

    Ich eile ihr zur Seite. »Wie, ein Toter auf dem Friedhof? Wer?«

    Gudrun schüttelt nur den Kopf und weist mit dem Daumen dahin, wo die Sonne aufgeht und unser Friedhof an Rheinland-Pfalz grenzt. Tränen strömen ihr über das Gesicht.

    Verwirrt kratzt sich Jupp mit der Häkelnadel die Stirn. »Ein Toter? Wieso? Heute ist doch niemand begraben worden.«

    »Ist er ja auch nicht«, schluchzt Gudrun. »Der Mann liegt …« Verzweifelt breitet sie die Arme aus, lässt sie aber gleich wieder kraftlos sinken.

    »… etwa oberirdisch?« Hein springt auf und packt mich am Arm. »Komm, Katja, wir schauen mal nach!«

    Jupp hat unsere verstörte Küchenfee bereits behutsam von der Schwelle gehoben und trägt sie jetzt durch den Gastraum.

    »Ruf David an!«, schreie ich dem sanften Riesen hinterher.

    »Sie muss sich erst mal hinlegen«, flüstert er. »Ist das Beste gegen den Schock.«

    Ich werfe mir den Anorak über. »Sie hat ganz bestimmt nur Gespenster gesehen«, sage ich, als wir außer Hörweite sind.

    »Einen Zombie«, versetzt Hein dumpf. »Ich hätte ihr nie The Walking Dead empfehlen dürfen.«

    Zwei Minuten später stehen wir auf unserem kleinen Friedhof. Die Frage, ob mir eine durchgeknallte Gudrun lieber wäre als eine echte Leiche scheint sich zu erübrigen. Von Gräbern umrahmt, mitten auf dem sattgrünen Rasen liegt ein schlanker schwarzhaariger Mann lang ausgestreckt mit dem Gesicht nach unten.

    Meine Knie beginnen zu schlottern. »Vielleicht … schläft er ja nur …«, stottere ich wenig hoffnungsvoll.

    »Ja«, sagt Hein. »Aber wenn es nun doch für immer ist?«

    Wir sehen einander verzweifelt an. In Jeans und rosa Hemd liegt der Mann friedlich zwischen zwei Maulwurfshügeln. Um seinen Kopf brummelt eine Hummel. Für eine Gewalttat gibt es keinerlei Anzeichen. Kann man denn nicht von Trauer übermannt ohnmächtig auf dem Friedhof zusammenbrechen, ohne gleich tot zu sein? Oder war es doch ein Herzinfarkt?

    Ich gebe mir einen Ruck und trete entschlossen näher heran. »Erste Hilfe«, sage ich forsch, bücke mich und lege meine rechte Hand an den Hals des Mannes. Augenblicklich ziehe ich sie mutlos wieder zurück. In diesem eiskalten Körper pulsiert kein Leben mehr.

    »Ins Gras beißen ist Mist«, murmelt Hein grimmig. »Wir müssen ihn umdrehen.«

    Vorsichtig rollen wir den Körper auf den Rücken. Als wir in das Gesicht mit den geschlossenen Augen blicken, schütteln wir gleichzeitig die Köpfe. Der erste Schreck weicht beschämender Erleichterung: Zumindest kennen wir den Toten nicht. Und doch …

    »Irgendwas an ihm kommt mir bekannt vor«, sage ich rätselnd.

    »Dass er tot ist«, gibt Hein bitter zurück. »Das haben wir hier ja schon oft genug gesehen. Armer Kerl. Welch eine Verschwendung! So jung und so hübsch. Wäre uns ganz bestimmt aufgefallen. Der ist nicht von hier.«

    Mein Blick wandert weiter nach unten. »Was ist das?«, frage ich erschrocken. Auf der linken Brusttasche des hellen Hemdes zeichnet sich ein winziger, hellroter Fleck ab. »Nicht anfassen, Hein!«

    Er hat das Hemd schon aufgerissen.

    Ein Knopf schnellt auf mein linkes Oberlid und trübt mir kurzzeitig den Blick. Als ich wieder klar sehen kann, traue ich meinen Augen nicht: In der unbehaarten Brust des Mannes prangt ein Loch.

    »Erschossen. Mitten ins Herz«, flüstert Hein.

    »Jagdunfall?« Mehr als ein heiseres Röcheln bringe ich nicht zustande.

    »Auf dem Friedhof? Wer schießt schon auf Maulwürfe und trifft dann einen Mann unterm Hemd?« Hein steht auf und zieht sein Handy aus der Tasche.

    Ich atme dankbar aus, als ich ihn mit Roland Kölln sprechen höre. Der Oberkommissar aus Schleiden kennt sich in unserem Dreiländereck Kehr gut aus. Da entfallen mühselige Erklärungen, wo Belgien aufhört und NRW oder Rheinland-Pfalz anfangen und wer für was zuständig ist. Unser Friedhof kennt keine Grenzen, hier liegen Leute aus allen drei Ländern, möglicherweise auch Atheisten. Und sogar Protestanten.

    »Roland ist schon auf dem Weg, komm, Katja, wir warten im Restaurant.« Hein richtet sich auf, stemmt die Füße ins Gras, winkelt die Knie leicht an und holt tief Luft. Er will sich ja nicht den Rücken beschädigen, wenn ich meinen Doppelzentner an seinen beiden ausgestreckten Armen hochziehe.

    Doch ich wehre ab. »Nein, ich bleibe hier.«

    »Wozu?«

    »Ich möchte ihn nicht allein lassen.«

    »Gut, dann halte du Totenwache, Katja, ich sage den anderen Bescheid. So eine Scheiße!«

    Ich bleibe neben dem Toten im feuchten Gras hocken und grübele. Wo nur habe ich diesen Mann schon mal gesehen?

    Als Roland Kölln eine knappe halbe Stunde später eintrifft, ist es mir immer noch nicht eingefallen.

    »Fundort ist nicht Tatort«, verkündet er knapp, nachdem er sich die Schusswunde angesehen hat und den Vorwurf losgeworden ist, dass wir die Leiche umgedreht haben. »Keine Ausweispapiere. Er ist hier abgelegt worden. Die Klamotten müssen ihm der oder die Täter später angezogen haben. Das wird die Spurensicherung …«

    »Klamotten!« Endlich ist der Groschen gefallen. Jetzt weiß ich, woher mir dieser Mann so bekannt vorkommt. Ich deute auf die schneeweißen Sohlen der Sneaker. »Damit ist er keinen Schritt gelaufen, Roland! Das ist der Mann aus dem Flyer. Hemd, Hose, Schuhe …«

    »Welcher Flyer?«

    »Der vom Discounter, Roland. Letzte Woche.«

    »Jemand hat das Model vom Discounter erschossen?«

    »Nein, nein, der Mann hat nur die gleichen Sachen an. Guck mal, alles nagelneu.«

    Roland zupft am Kragen des Hemdes herum. »Gut beobachtet, Katja, da hängt sogar noch das Schildchen dran! Jemand wollte also ganz sichergehen, dass wir den Mann nicht so schnell identifizieren können.«

    »Hoffentlich haben sie ihm nicht die Zähne rausgebrochen.«

    Vorsichtig sieht Roland nach. »Nee«, sagt er, »sieht okay aus. Gutes Gebiss. Vielleicht helfen uns Zahnstatus und Mageninhalt weiter.« Er richtet sich auf und sieht mich unglücklich an. »Und ich bin heute noch gar nicht zum Essen gekommen.«

    Eine Leiche auf nüchternen Magen ist sicher schwer zu verdauen. Ich mache den Mund auf, klappe ihn aber sogleich wieder zu. Nein, ich werde dem Kommissar kein Butterbrot vorbeibringen. Wir sind ja nicht in einem Fernsehkrimi, wo der Gerichtsmediziner neben der Leiche ständig irgendwas in sich hineinmampft.

    Der Kommissar liest meine Gedanken und nickt. »Besser, ich komm nachher bei euch vorbei, wenn die Mordkommission aus Bonn und all die anderen wieder weg sind. Oder macht ihr zu?«

    Ich wiege mein Haupt. Kann ich unser Schild Wegen Trauerfalls geschlossen hervorkramen, wenn wir nicht einmal wissen, um wen wir trauern sollen? Sind wir nach diesem morgendlichen Schock überhaupt in der Lage, unseren Gästen Suppe zu servieren, ohne sie vor lauter Händezittern zu verschütten? Zehn Leute wollen heute bei uns eine Goldene Hochzeit feiern. Wo sollen die so schnell Ersatz finden, wenn wir schließen?

    »Du kriegst bei uns immer was zu essen«, sage ich. »Gudrun hat eine hervorragende Herzpastete gebacken.«

    »Herz?« Entgeistert deutet der Oberkommissar auf die Brust des Toten.

    »Nein, nein, da ist kein Herz drin«, sage ich schnell. »Ist nur Blätterteig in Herzform ausgestochen. Forellenmousse mit Gürkchen und Ra…« Ich breche ab. Jetzt Radieschen zu erwähnen, wäre pietätlos. »Und radikal reinem Frischkäse«, setze ich hinzu. »Für eine Goldene Hochzeit. Kann ich schlecht absagen. Oder sollte ich das doch tun?«

    »Natürlich nicht«, erklärt Roland, »Ihr kanntet den Mann ja nicht. Das Leben geht weiter.«

    Das Sterben leider auch.

    Als Zweites läuft anfangs

    zwei alten Freunden etwas über die Leber,

    die als solche schließlich

    in gänzlich unerwartetem Zusammenhang

    ein scheinbar unlösbares Rätsel aufgibt.

    Kalbsleber auf Sellerie mit Birnen und Ingwer:

    Sellerieknolle schälen, in Scheiben schneiden, in kochendem Salzwasser weich werden lassen und in Butter anbraten. Zwiebel und ein Stück Ingwer klein hacken und in Olivenöl anrösten.

    Mit Zucker karamellisieren, ein paar Pinienkerne dazugeben und mit Weißweinessig ablöschen.

    Birnen schälen und würfeln, Birnensaft hinzufügen und bei moderater Hitze kurz köcheln lassen.

    Die mit Salbei gebratenen, gesalzenen und gepfefferten Leberscheiben auf die Sellerie legen und die Zwiebel-Birnen-Ingwermasse darauf anrichten.

    Am Nachmittag

    Anders als bei manchen früheren Gewaltverbrechen auf der Kehr war die Polizei diesmal relativ schnell mit uns fertig. Meine Befürchtung, die Einkehr wieder als vorübergehendes Hauptquartier an die Staatsmacht zu verlieren, erwies sich zum Glück als unbegründet. Die Beamten notierten alle unsere »Neins« auf Fragen zum Mordopfer, nahmen Abdrücke von unseren Autoreifen, beauftragten uns, weiterhin Augen und Ohren offenzuhalten, jede Auffälligkeit sofort zu melden – und zogen dann ab.

    Nur Roland Kölln konnte sich nicht so schnell von unserer Gesellschaft und den Herzpasteten trennen. Er sitzt immer noch kauend am runden Tisch und sinniert laut über diesen mysteriösen Todesfall.

    »Was hast du überhaupt auf dem Friedhof gewollt?«, fragt er Gudrun, die gerade mit Hingabe die beiden zusammengeschobenen Tische für die Goldene Hochzeit mit Holzpolitur bearbeitet.

    Wenn ihre Hände beschäftigt sind, beruhigt sich ihr Geist. Um seelische Erschütterungen abzufedern, hat sie auch darauf bestanden, Gläser zu polieren, während die Beamten aus Bonn ihre Aussage aufgenommen haben.

    »Meinem Vater Blumen aufs Grab gebracht«, murmelt sie und malträtiert grimmig eine Stelle am Tischrand. »Das ist aber ein ganz gemeiner Kratzer!«

    »Oh, tut mir schrecklich leid, Gudrun«, erwidert Roland, der mit unserer Vorgeschichte noch nicht sehr vertraut ist. »Wann ist er denn gestor…?«

    »Schon viele Jahre her«, unterbreche ich unwirsch, um die Frage abzuwürgen, bevor sie zum unerquicklichen Thema wird. Nicht nur, weil sich Gudruns Vater einst direkt und indirekt am Tod mehrerer Menschen schuldig gemacht hat und später ebenfalls einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Sondern weil wir grundsätzlich nicht über jene Ereignisse sprechen, die dazu geführt haben, dass Gudruns Elternhaus heute David gehört und die beiden ein Paar geworden sind. Insgeheim denken wir aber oft daran, vor allem seit Davids Mutter Mathilde aus Texas nach Deutschland zurückgekehrt ist. Sie wohnt jetzt tatsächlich wieder in jenem Haus, in dem sie geboren wurde und aus dem die Nazis sie einst vertrieben hatten.

    Mathildes Mutter, also Davids Großmutter, wurde in Auschwitz ermordet, weil Gudruns Vater Hitlers Schergen das Versteck der jüdischen Familie verraten hatte. Zwar war er selbst noch ein Kind gewesen, doch die Frage, ob sein bösartiger Charakter da schon ausgeprägt war oder sich erst in dieser dunklen Zeit so richtig hatte entfalten können, ist heute müßig.

    Da die junge Mathilde vor dem Verrat bei einer Familie in Prüm untergetaucht war, hat sie das Grauen des Dritten Reichs überlebt. Sie ist nach dem Krieg einem amerikanischen Soldaten in die USA gefolgt und war schon über fünfzig, als sich wie durch ein Wunder David, ihr einziges Kind, angemeldet hat. Späte Mutterschaft hält offenbar fit, denn Mathilde, die im nächsten Monat die Hundert vollendet haben wird, geht zwar am Stock, ist aber geistig noch äußerst rege und uns allen eine hoch geschätzte Ratgeberin.

    »Eine wirklich schreckliche Sache«, sage ich und beziehe mich auf den jüngsten Mord, »aber sie hat mit uns überhaupt nichts zu tun.«

    »Stimmt«, bemerkt Hein. »Der Mann kann sonst wo umgebracht worden sein. Der Täter hat sich wohl gedacht, auf einen Mord mehr oder weniger kommt es auf der Kehr nicht an. Daher hat er die Leiche auf unserem Friedhof abgelegt.«

    »Kein Wort darüber heute Abend!«, schärfe ich meinen Mitarbeiterfreunden ein. »Wir wollen unseren Stammgästen doch nicht die Goldene Hochzeit versauen.«

    »Keep on dreaming«, versetzt David. »So was spricht sich hier doch immer schnell rum. Die Leute werden über nichts anderes sprechen.«

    »So ein Mord macht

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