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Lass die Vergangenheit ruhen: Eifelkrimi
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eBook290 Seiten3 Stunden

Lass die Vergangenheit ruhen: Eifelkrimi

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Über dieses E-Book

Die Eifeler Miss Marple und ein jahrzehntealter Fall

Ein alter Kollege klopft eines Nachts an die Haustür der pensionierten Kriminalkommissarin Frederike Suttner, um sie zu warnen: Der Prostituiertenmörder, den sie vor dreißig Jahren ins Gefängnis gebracht hat, ist wieder auf freiem Fuß. Er hat Rache geschworen, und er weiß, wo sie wohnt. Der Fall ruft bei Frederike bittere Erinnerungen wach, denn bei Thomas Wilhahns Verhaftung hatte sie dafür gesorgt, dass er übel zusammengeschlagen wurde. Das hat zwar ihre Karriere beschädigt, doch sie hatte damals ihre Gründe.

Tatsächlich taucht Wilhahn schon bald in der Eifel auf, und plötzlich ist Frederikes Nichte Angela spurlos verschwunden. Selbstverständlich hat Frederike sofort ihren alten Widersacher im Verdacht, doch so einfach ist die Sache nicht. Wilhahn versteht es perfekt, Menschen zu manipulieren und zu instrumentalisieren. Es dauert eine Weile, bis Frederike erkennt: Er nimmt Rache, doch er wird sich nicht die Finger schmutzig machen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Aug. 2023
ISBN9783954416707
Lass die Vergangenheit ruhen: Eifelkrimi
Autor

Andrea Revers

Andrea Revers wurde 1961 in Brühl/Rheinland geboren. Sie ist Diplom-Psychologin, studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften und machte eine Ausbildung zur Journalistin und Marketing-Beraterin. Sie lebt in der Eifel und widmet sich nach langjähriger Tätigkeit als Management-Trainerin und Coach nun voll und ganz dem Schreiben. Sie verfasste Bücher, Fachartikel und zahlreiche Kurzkrimis. 2011 wurde sie für den »Deutschen Kurzkrimipreis« nominiert. Ihre Romanreihe um die Ex-Kommissarin Frederike Suttner hat der Palette der Eifelkrimi-Literatur eine neue Farbe hinzugefügt und umfasst nun bereits vier Bände.

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    Buchvorschau

    Lass die Vergangenheit ruhen - Andrea Revers

    PROLOG

    Er saß mit geschlossenen Augen auf seinem Bett und meditierte. Seine Atmung war langsam und regelmäßig. In Gedanken saß er am Strand, nahm das Rauschen des Meeres wahr, Wellen, die auf den Strand auf- und wieder zurückliefen. Diese Übung hatte in den vergangenen Jahren geholfen, die Ruhe zu bewahren und die Zeit zu ertragen. Auch heute entwickelte sie ihre Kraft. Ein und aus … ein und aus …

    Die Augen öffneten sich – kalte, blaue Augen – und fixierten die gegenüberliegende Wand. Er kannte diese Wand, jeden einzelnen Zentimeter, jeden Kratzer, jede Verunreinigung, jedes Graffiti, gleichermaßen vertraut wie verhasst. Ja, er hasste diese Zelle, hasste sie inbrünstig. Wie viele Minuten und Stunden hatte er damit verbracht, die Wände und die Decke anzustarren. Das Einzige, was ihn in den Jahren aufrecht gehalten hatte, war der Plan.

    Wie oft hatte er sich ausgemalt, Rache zu üben, doch war er hier eingesperrt bis zum Sankt Nimmerleinstag. Aber er hatte nie zugelassen, dass ihn die Resignation überkam. Er war kein Opfer, er nicht. Und so hatte im Laufe der Jahre sein Plan Gestalt angenommen und eigentlich Unmögliches möglich gemacht. Bald war es so weit.

    Die Tür zur Vergangenheit würde geöffnet werden. Sie hatte ihm die Gegenwart gestohlen, er würde ihr die Zukunft rauben.

    14. März

    Frederike

    Bumm, bumm, bumm! Jemand hämmerte wie wild an die Haustür. Frederike war verwirrt. Sie hatte sich gerade bettfein gemacht und kam aus dem Badezimmer. Ein Blick auf die Uhr – es ging auf Mitternacht zu. Wer wollte um diese Uhrzeit noch etwas von ihr? Und warum, zum Teufel, klingelte derjenige nicht einfach?

    Entschlossen schnappte sie sich den Besen, der im Badezimmer hinter der Tür stand, stapfte zur Haustür und riss sie auf. »Was zum Teufel …« Sie erstarrte kurz, dann verzog sich ihr Mund zu einem breiten Lächeln.

    »Klaus Wieland! Mit Ihnen hätte ich ja nun überhaupt nicht gerechnet.«

    Der stämmige Mann blickte sie erleichtert an.

    »Gott sei Dank! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, als niemand auf das Klingeln reagierte.« Er schob sich an ihr vorbei und ging rasch ins Haus. Dabei beäugte er misstrauisch den Besen. »Sind Sie am Fegen oder wollten Sie noch weg?« Frederike schaute ihn erbost an. »Sind Sie etwa gekommen, um mich zu beleidigen? Ich kann Ihnen gerne mal demonstrieren, was so ein Besen alles kann.«

    Doch Wieland grinste nur schief. »Los, schließen Sie die Tür.« Er ging in Richtung Küche.

    »Was ist denn bloß los?« Frederike blickte verwirrt hinter ihm her, schloss dann aber die Tür und folgte ihm. Wenn ihr alter Kollege von der Düsseldorfer Mordkommission so forsch unterwegs war, hatte das sicher seine Gründe.

    »Ich habe bestimmt fünfmal geklingelt. Zuerst dachte ich, Sie würden schon schlafen, aber ich sah noch das Licht. Da habe ich angefangen, mir richtig Sorgen zu machen. Wenn Sie die Tür jetzt nicht aufgemacht hätten, wäre ich reingegangen.«

    Reingegangen! Frederike wusste, was damit gemeint war. Klaus Wieland war einer von den Handfesten. Ein Tritt, und das Schloss wäre nur so rausgeflogen. Zumindest war das früher so gewesen. Sie betrachtete ihren alten Kollegen. Na ja, vielleicht hätte er heute doch einige Tritte mehr gebraucht. Die Muskelpakete waren inzwischen einigen Fettpölsterchen gewichen.

    »Ich habe mir gerade die Zähne geputzt. Bei dem Krach der elektrischen Zahnbürste höre ich nichts. Los, kommen Sie in die Küche. Da ist es gemütlicher.« Sie schob ihn entschlossen vor sich her. »Ich mache uns einen Kaffee!«

    »Gerne!«, schnaufte Wieland und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er griff in die Manteltasche, holte eine in ein Tuch gewickelte Waffe hervor und legte sie auf den großen Eichenküchentisch. Frederike zog die Augenbrauen hoch. Was sollte das jetzt? Doch sie beschloss, sich zunächst einmal eine Koffeindröhnung zu gönnen, bevor sie nachfragte. Irgendwie war sie mental schon im Halbschlaf. Wo zum Teufel hatte sie die Filtertüten hingetan?

    Als der Kaffee fertig war, schob sie Wieland eine volle Tasse hin und setzte sich ihm gegenüber. »Heraus mit der Sprache! Warum überfallen Sie mich zu später Stunde und bringen eine Waffe in mein Haus?«

    Wieland blickte seine alte Chefin besorgt an. »Weil Sie in Gefahr sind!«

    Zwei Tassen später war Frederike hellwach und unternehmungslustig. Sie griff nach der Pistole, packte sie aus dem Tuch und zerlegte sie fachmännisch.

    »Sie glauben also, dass Wilhahn es auf mich abgesehen hat?«

    Die seit nunmehr sieben Jahren pensionierte Kriminalkommissarin konnte sich noch gut an Thomas Wilhahn erinnern. Ein echter Womanizer, gut aussehend und eloquent, dabei ein liebender Familienvater wie aus dem Bilderbuch, gut situiert, Einfamilienhaus, Frau und zwei hübsche Kinder. Doch das war nur Fassade. Denn Wilhahn hatte die wirklich üble Angewohnheit, Prostituierte zu vergewaltigen und anschließend zu erwürgen. Das war jetzt mehr als dreißig Jahre her. Frederike war zu jener Zeit noch im Dienst und hatte den Fall als Kriminalhauptkommissarin geleitet. Klaus Wieland war gerade frisch von der Polizeischule gekommen. Die Morde gingen groß durch die Presse. Nach der dritten Leiche hatte es Vorwürfe gehagelt, dass sich die Kripo nicht genügend kümmere. Nach der fünften Leiche stand der Stadtdirektor persönlich in ihrem Büro. Dabei gab es so gut wie keine Anhaltspunkte. Man hatte das Opferprofil und wusste, dass zwei der Opfer in der Nähe des Unterbacher Sees auf dem Straßenstrich gearbeitet hatten, aber das war es auch schon. In der Szene redete man nicht gerne mit der Polizei. Frederike hatte beschlossen, mit einem Köder zu arbeiten. Sie hoffte, den Täter auf frischer Tat zu ertappen. Und weil Klaus Wieland und die anderen Kollegen so gar nicht dem Opferprofil entsprachen, war sie selbst aktiv geworden. Netzstrümpfe, Stöckelschuhe, ein roter Ledermini mit einem passenden Bustier, das sie vorsichtshalber noch ein wenig ausgestopft hatte, die damals braunen Haare verwegen gestylt und stark geschminkt – so ausstaffiert, hätte die eigene Mutter sie nicht erkannt. Wieland hatte bei ihrem Anblick gepfiffen, was ihm eine Kopfnuss eingebracht hatte.

    »Schade, dass wir damals kein Foto gemacht haben.« Anscheinend konnte Wieland immer noch ihre Gedanken lesen. Sie grinste.

    »Vor allen Dingen nach der Schlägerei!«

    Ihr Einsatz hatte nur vier Tage gedauert beziehungsweise vier lange Nächte, in denen sie sich von zahlreichen Freiern anbaggern ließ. Es war nicht immer leicht gewesen, die Einzelnen davon zu überzeugen, dass heute kein guter Tag für sie war. Manch einer hatte ihre Polizeimarke für eine Fälschung gehalten und das Ganze für ein sexy Rollenspiel. Irrtum! Doch dann war es plötzlich ernst geworden. Ein Mann war auf den Parkplatz gefahren, hatte sie kurz gemustert und zu sich gewunken. Doch statt mit ihr zu verhandeln, hatte er versucht, ihr ein mit Chloroform getränktes Tuch aufs Gesicht zu halten. Doch nicht mit Frederike! Sie war eine hervorragende Zweikämpferin und hatte Thomas Wilhahn fachgerecht zerlegt. So sehr, dass er anschließend zwei Wochen im Krankenhaus lag und sein gutes Aussehen deutlich gelitten hatte. Frederike hatte das ein Disziplinarverfahren eingebrockt wegen übermäßiger Gewaltanwendung, doch man war so froh gewesen, den Serienmörder gefasst zu haben, dass sie glimpflich davonkam. Oder vielleicht doch nicht ganz so glimpflich, denn für den weiteren Verlauf ihrer Karriere war das ein deutlicher Dämpfer gewesen. Sie wurde bei Beförderungsrunden übergangen, und jemand steckte ihr, dass man an ihrer emotionalen Stabilität zweifelte und sie nicht geeignet für weitere Führungspositionen hielt. Sie hatte damals überlegt, ob sie kämpfen sollte, letztendlich war ihr aber die Aussicht auf einen Leitungsposten am Schreibtisch mit den ganzen politischen Spielchen nicht wirklich erstrebenswert erschienen, und so hatte sie es gelassen.

    »Er ist draußen und hat noch eine Rechnung mit Ihnen offen.« Klaus Wieland unterbrach Frederikes Gedankengänge.

    Sie schüttelte die Erinnerungen ab und blickte ihn erstaunt an. »Aber wieso? Er hatte doch lebenslänglich. Und wurde nicht sogar die besondere Schwere der Schuld festgestellt?«

    »Stimmt. Aber er hat einen guten Anwalt. Es gab letzte Woche wieder eine Bewährungsanhörung. Er ist ein Vorzeigehäftling, hat im Knast nach seiner Therapie sogar noch eine Ausbildung zum Sozialarbeiter gemacht, pflegt regelmäßigen Kontakt mit seinen Kindern und Enkeln – ja, selbst seine Frau hat sich damals nicht von ihm scheiden lassen und will ihn wieder aufnehmen. Eine Resozialisation wie aus dem Bilderbuch.«

    »Na ja, vielleicht ist er ja wirklich resozialisiert«, äußerte Frederike hoffnungsvoll. Irgendwie hatte sie gerade überhaupt keine Lust auf Mörder, die es auf sie abgesehen hatten.

    »Dachte ich zuerst auch. Aber heute früh rief mich der Anwalt eines früheren Zellengenossen an, den ich persönlich gut kenne. Er wollte wohl für seinen Klienten etwas rausschlagen. Wilhahn hat seinem Zellenkumpel akribisch seinen Plan dargelegt, wie er sich an dieser Kriminalkommissarin rächen will, die ihn damals reingelegt hat.«

    Frederike winkte ab. »Das ist doch bloß Gequatsche. Warum sollte er seine Freiheit gleich wieder aufs Spiel setzen? Ich bin in Rente.«

    »Das war auch mein Gedanke.«

    »Und wieso sind Sie jetzt hier?«

    »Weil Thomas Wilhahn weiß, wo Sie wohnen!«

    Frederike hatte sich einen Whisky geholt. Klaus Wieland hatte abgewunken. »Würde ich gerne, aber ich habe noch einen langen Heimweg.«

    »Wie zum Teufel ist dieser Typ an meine Adresse gekommen?« Frederike konnte sich gar nicht beruhigen. Durch diese Information war die Bedrohung plötzlich real geworden. Sie wohnte noch nicht so lange hier in der Eifel. Erst nach ihrer Pensionierung hatte sie beschlossen, das alte bäuerliche Elternhaus wieder aufzumöbeln und dort ihren Ruhestand zu verbringen. Wenn Wilhahn sich die Mühe gemacht hatte, sie während der letzten dreißig Jahre weiter zu beobachten, und selbst nach ihrer Pensionierung nicht damit aufgehört hatte – dann war die Sache ernst.

    »Ich lasse Ihnen die Waffe da. Bitte schließen Sie sie ein. Sind Sie noch aktiv?«

    Frederike betrachtete die SIG Sauer. »Nein, eigentlich nicht. Aber ich werde mein Schießtraining wiederaufnehmen. Irgendwo gibt es sicher in der Nähe einen Schützenverein.«

    Kurz danach verabschiedete sich Klaus Wieland, aber nicht, ohne darauf zu bestehen, dass sie sich täglich bei ihm meldete. Irgendwie süß, fand Frederike. Sie ging zu Bett, konnte aber nicht verhindern, dass Thomas Wilhahn sie in ihren Träumen besuchte. Immer wieder schreckte sie schweißgebadet auf, und sobald sie die Augen schloss, waren die Bilder wieder da. Die toten Frauen, sein lächelndes Gesicht mit diesen kalten Augen, die Angst, die sie bei seinem Angriff verspürt hatte, das Blut. Wieso war dieser Typ wieder auf freiem Fuß? Wieso war sein geplanter Rachefeldzug gegen sie kein Grund gewesen, ihn in Haft zu behalten? Manchmal konnte man am Rechtswesen wirklich verzweifeln. Sie hatte die Waffe in ihrem Nachttisch versteckt. Gleich morgen würde sie als Erstes nach einem Schießplatz in der Nähe googeln. Mit diesem Gedanken fiel sie endlich in einen traumlosen Schlaf.

    15. März

    Am nächsten Morgen drehte Frederike ihre morgendliche Runde ums Dorf, um auf dem Schützenplatz ihre Tai-Chi-Übungen zu absolvieren, doch sie war in Gedanken mit Thomas Wilhahn beschäftigt. Hatte er wirklich den Plan, sich an ihr zu rächen? War er schon in der Eifel? Beobachtete er sie vielleicht sogar gerade? Möglicherweise war es keine gute Idee, so früh am Morgen schon unterwegs zu sein. Es war nicht viel los auf den Straßen, war es eigentlich nie im Dorf, aber selbst für die morgendlichen Hunderunden war es noch zu früh. Sie fröstelte. Als ein leichtes Rascheln im Gebüsch hinter ihr ertönte, fuhr sie erschrocken herum und spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Definitiv nicht die richtige Stimmung für Tai Chi! Seufzend machte sie sich auf den Rückweg. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie beobachtet wurde, und beschleunigte ihren Schritt. Meine Nerven sind auch keine Drahtseile mehr, dachte sie frustriert. Eher Seidenfädchen! Vielleicht sollte sie sich irgendetwas mit Baldrian aus der Apotheke besorgen.

    Zu Hause angekommen, stand ihre Nichte Angela in der Tür, bepackt mit einer Brötchentüte und frischem Aufschnitt vom Nohner Metzger. Frederike schaute sie erstaunt an.

    »Du heute hier? Es ist doch gar nicht Sonntag!« Normalerweise hatten die beiden die Angewohnheit, sonntags gemeinsam zu frühstücken und die Woche Revue passieren zu lassen, wenn Angelas Dienst es zuließ. Sie arbeitete inzwischen als Krankenpflegerin im Dauner Krankenhaus.

    »Ich kann Sonntag nicht. Gerade hat man mich angerufen, ob ich meinen Dienst tauschen kann. Eine Kollegin hat sich den Fuß verstaucht und muss ein paar Tage aussetzen. Da dachte ich, ich gucke mal bei dir vorbei, ob du heute Zeit und Muße hast für ein gemeinsames Frühstück. Wenn es nicht passt, nehme ich die Sachen einfach mit in die Klinik.«

    »Nein, das ist prima. Komm rein. Da kannst du mich gleich auf andere Gedanken bringen.«

    »Was ist los?« Angela blickte Frederike, die sich bereits in Richtung Küche aufgemacht hatte, erstaunt hinterher. »Ist was passiert? Du siehst angespannt aus.«

    »Kann man so sagen!« Frederike machte sich daran, Wasser aufzusetzen. Angela beäugte erstaunt die beiden leeren Tassen auf dem Küchentisch.

    »Hattest du schon Kaffee heute Morgen?«

    »Nein, in dieser Nacht. Ich hatte unerwarteten Besuch.«

    »Erzähl!«

    »Hol schon mal Tassen aus dem Schrank und deck den Tisch. Ich bin gleich fertig.«

    Endlich saß Frederike Angela gegenüber, die sie schon ungeduldig betrachtete.

    »Jetzt leg los. Wer besucht dich des Nachts und bringt dich so aus dem Gleichgewicht?«

    »Sieht man mir das an?« Frederike strich sich verlegen die Haare aus dem Gesicht.

    »Hör auf, an deinen Haaren zu zubbeln«, rügte Angela sie. »Das machst du immer, wenn du dich massiv unwohl fühlst. Jetzt siehst du aus wie ein Wischmopp.«

    Frederike blickte sie erbost an. »Hallo? Mal ein bisschen Respekt! Ich habe die Haare schön!«

    »Nicht wirklich! Aber jetzt mal Klartext – was ist los?«

    »Klaus Wieland war gestern hier.«

    »Der Name sagt mir jetzt nichts – oh, warte, ist das nicht ein alter Kollege von dir aus deinen Düsseldorfer Zeiten?«

    Frederike nickte nur.

    »Was wollte der denn?«

    »Anscheinend hat es jemand auf mich abgesehen. Wieland wollte mich warnen.«

    »Warum locht er denn den Betreffenden nicht einfach ein?« Angela biss angriffslustig in ihr Brötchen.

    »Gar nicht so einfach! Der Betreffende wurde von mir vor rund dreißig Jahren eingebuchtet – lebenslänglich. Aber jetzt wurde die Strafe auf Bewährung ausgesetzt, und er darf raus.«

    »Lebenslänglich sogar? Und wieso ist er dann draußen?«

    »Weil lebenslänglich halt nicht lebenslang heißt, sondern nur ziemlich lange. Manchmal sogar nur fünfzehn Jahre. Danach gibt es eine Anhörung. Bei ihm wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Aber anscheinend hat man den Eindruck gewonnen, dass er inzwischen vollständig resozialisiert ist.«

    »Ein Eindruck, den dein alter Kollege anscheinend nicht teilt?«

    »Nein, tut er nicht.« Frederike verschwieg Angela, dass Wieland es sogar für nötig befunden hatte, ihr eine Waffe vorbeizubringen. Ihre Nichte machte sich auch so schon genug Sorgen.

    »Nun, ich sage auf jeden Fall Frank Bescheid.« Angela war mit Frank Junge, einem Kriminalkommissar von der Wittlicher Polizei, liiert.

    »Wie geht es Frank eigentlich?«, wollte Frederike angelegentlich wissen.

    »Tu nicht so! Ich weiß genau, dass du nur wissen willst, ob er schon bei mir eingezogen ist.« Angela grinste sie an und schob ihr den Brötchenkorb hin. »Hier! Iss noch was.«

    Frederike grinste zurück und griff sich ein Croissant. »Stimmt. Und? Ist er oder ist er nicht?«

    »Nein, ist er nicht. Du kannst es anscheinend gar nicht abwarten, mich unter die Haube zu bringen.«

    »Was für eine charmante Redewendung!« Frederike beließ es dabei und widmete sich gemütlich der Lektüre der Tageszeitung. Doch so schnell ließ Angela nicht locker.

    »Und? Macht dir das jetzt Angst? Was wirst du tun?«

    »Was ich eigentlich immer tue: Ich halte die Augen offen und passe auf mich auf.«

    »Na, dann sollte ja nichts schiefgehen!«, entgegnete Angela vorsichtig optimistisch.

    Frederike lächelte sie an, doch tief in ihrem Inneren teilte sie Angelas Zuversicht nicht. Wenn Klaus Wieland sich extra aus Düsseldorf auf den Weg zu ihr machte, durfte sie die Bedrohung nicht auf die leichte Schulter nehmen, doch wollte sie das Thema mit Angela auf keinen Fall vertiefen. Stattdessen würde sie mit Frank Junge reden und sich gleich nach Angelas Abfahrt auf die Suche nach einem Schießstand begeben.

    Angela blätterte in der Zeitung, während sie mit der anderen Hand nach einem Croissant tastete.

    »Das ist jetzt schon dein drittes Brötchen!«, rügte Frederike.

    Angela hob den Blick. »Zählst du etwa mit? Du gönnst mir aber auch gar nichts.«

    »Doch, tue ich! Ich frage mich nur, wo du das hintust.« Frederikes Blick fuhr über Angelas schlanke Figur. »Ich mache mir schon Gedanken, mit welchen Übungen ich das Fett wieder von meinen Rippen kriege.«

    »Ach, das macht mir nichts. Ich habe hohle Beine.« Angela widmete sich wieder der Zeitungslektüre, als ihre Augen auf einmal an einer Stelle hängen blieben.

    »Sag mal, hier ist ein ganz interessanter Vortrag von den Landfrauen: Heilpflanzen und ihre Nebenwirkungen. Das würde ich mir gerne anhören. Wäre das nicht auch was für dich?«

    »Wieso?«

    »Dann kommst du auf andere Gedanken, leistest mir Gesellschaft und lernst noch etwas dabei. Wer weiß, für was das gut ist. Außerdem hast du einen Garten. Vielleicht entdeckst du geheime Schätze in deinen Beeten und kannst dir zukünftig den einen oder anderen Gang zum Arzt sparen.«

    Frederike rollte mit den Augen. »Sehe ich schon so gebrechlich aus, dass du mich jetzt mit Tee und Naturheilkunde aufpäppeln musst?« Dabei fiel ihr ein, dass sie in der Früh selbst schon über Baldrian und Schafgarbe nachgedacht hatte, und sie errötete leicht.

    Doch Angela beachtete das gar nicht. »Mit vielen Heilpflanzen kannst du gepflegt Menschen ins Jenseits befördern. Die Menge macht das Gift. Interessiert dich das gar nicht?«

    Frederike nickte leicht. »Doch, die Nebenwirkungen finde ich tatsächlich wesentlich interessanter als die Hauptwirkung. Von Medizin verstehe ich nichts. Mir reicht ein Aspirin.«

    »Weidenrinde!«, grinste Angela. »Auch ein Naturheilmittel. Siehst du? Ist doch praktisch.«

    »Apropos Garten: Komm mal mit nach draußen und bewundere meine Krokusse!« Frederike stand auf und zerrte Angela von ihrem Stuhl. »Los! Den Kaffee kannst du mitnehmen. Draußen scheint die Sonne.«

    Angela ließ sich gerne mitziehen. Auch Hannelore, Frederikes schwarzer Kater, folgte auf dem Fuße. Das Wetter war viel zu schön, um drinnen zu sitzen. Außerdem gab es schon die eine oder andere dicke Hummel, die man jagen konnte!

    Thomas

    Der hochgewachsene, grauhaarige Mann bummelte die Dorfstraßen entlang und blickte sich neugierig um. Er war fasziniert davon, wie viele Menschen ihre Fensterbänke mit Orchideen schmückten. Ob die alle echt waren? Das war das Interessante an Orchideen, selbst die echten sahen irgendwie künstlich aus.

    Es war nicht viel los auf den Straßen. Die wenigen Menschen, denen man begegnete, grüßten freundlich und beäugten ihn neugierig, als wäre er die neue Dorfattraktion. Dabei hatte er nicht auffallen wollen.

    Er hob das Gesicht in die Sonne und genoss die Wärme mit geschlossenen Augen. Das hatte er vermisst.

    Thomas Wilhahn hatte lange mit sich gerungen, ob er diesen Weg einschlagen sollte. Eigentlich die letzten zehn Jahre. Die erste Zeit seiner Inhaftierung hatte ihn der Wunsch nach Rache aufrechterhalten. Gefängnis bedeutete nicht nur den Verlust von Freiheit, sondern gleichzeitig auch von jeglicher Autonomie. Privatsphäre gab es keine. Man verlor praktisch seine Identität, war nur noch eine Nummer. Er war sich entmenschlicht vorgekommen. Und natürlich war ihm auch klar, wem er das zu verdanken hatte: Frederike Suttner hatte ihm das eingebrockt. Sie hatte ihm sein Leben gestohlen und damit auch das Leben seiner Kinder. Geburtstage, Weihnachten und andere besondere Gelegenheiten – alle ohne ihn. Er hatte sie in den ersten Jahren nur einmal im Monat sehen können, für eine halbe Stunde. Später, als die beiden größer waren, war Alice öfter gekommen, doch Florian hatte sich rargemacht und war später nach Berlin gezogen. Wilhahn war heute nicht mehr Teil von Florians Leben. Und seit Alice ihr erstes Kind hatte, war er auch bei ihr abgemeldet. Jutta, seine Frau, war ein ganz besonderer Fall. Sie hatte ihm die Sache mit den Prostituiertenmorden übel genommen, sogar von Scheidung gesprochen. Er hatte seine ganze Überzeugungskraft aufbringen müssen, um sie davon abzuhalten. Ihre Einwilligung, die Füße stillzuhalten, kam erst, als es eines Abends an ihrer Haustür geklingelt hatte und ihr ein ehemaliger »Zimmergenosse« von Thomas Wilhahn deutlich

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