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Der Spielzeughändler
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eBook503 Seiten7 Stunden

Der Spielzeughändler

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Über dieses E-Book

Daniel Graham ist ein ehemaliger Soldat des Navy SEAL Team Six, der härtesten und schlagkräftigsten Eliteeinheit der Welt. Jetzt arbeitet er für eine streng geheime Operativeinheit der CIA, die unter dem Deckmantel eines internationalen Spielzeugkonzerns in Santa Monica agiert. Um seine Liebsten zu schützen, lässt er seine Frau Sally und seine Tochter Dilan im Glauben, ein einfacher Spielzeughändler zu sein.
Als er gerade mit seiner Familie am wunderschönen Pier zu Abend isst, findet er durch Zufall heraus, dass ein Anschlag auf ihn geplant ist. Es bleiben ihm exakt drei Minuten Zeit, um Sally und Dilan aus dem Hotel zu schaffen. Ein aussichtsloses Vorhaben, das nicht nur all sein Können abverlangt, sondern auch das Lügengerüst, das er ein Leben lang um sich aufgebaut hat, wie ein Kartenhaus einstürzen lässt. Nachdem er Sally nicht retten kann und es seiner Tochter verheimlicht, beschwört er ein emotionales Drama herauf, das alles, wofür er einst kämpfte, infrage stellt. In seiner Hoffnungslosigkeit und der Wut, die er den Attentätern entgegenbringt, trifft er eine folgenschwere Entscheidung: Mit Hilfe seines Vorgesetzten Miles Cabrol und der Assistentin Erica sucht er nach den Tätern und entfacht dabei ein nahezu beispielloses Katz-und-Maus-Spiel ...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Sept. 2015
ISBN9783738040555
Der Spielzeughändler

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    Buchvorschau

    Der Spielzeughändler - Volker Bond

    Vorwort

    Ein Dankeschön an alle, die mich bei der Erarbeitung dieses Buches unterstützt haben!

    Dies ist ein fiktionaler Text. Namen, Charaktere, Unternehmen, Schauplätze und Ereignisse werden entweder fiktional verwendet oder sind Fantasieprodukte des Autors. Jegliche Ähnlichkeiten zu realen Personen, ob lebend oder tot sind daher rein zufällig.

    Muss gesagt werden

    Für dieses Buch habe ich eine große Anzahl von Techniken verwendet, die auch in der Realität funktionieren (zb. Unkrautbombe, Faradayscher Käfig, Australische Maus etc.). Aufgrund meines strengen Gewissens habe ich diese „teilweise" in ihrer Funktionalität verfälscht.

    Die Sarracenia-Grube und das Aragonische Katapult sind meine eigenen Erfindungen.

    Volker Bond

    >>Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat, aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt!<<

    Mark Twain

    PROLOG

    Das Osterei

    Santa Monica Pier, Kalifornien, USA

    Hotel Lotario, Zimmer 013, 19:55 Uhr

    Ein Mann bequemte sich gerade in einen antiken französischen Salonsessel und deponierte das Funkgerät auf die gepolsterte Armlehne. Sein Blick fiel auf die Fotos, die auf dem dunklen Sheesham-Tisch lagen. Das schwarzweiße Interface spiegelte die typischen Assoziationen geheimdienstlicher Aufnahmen wider – Satellitenfotos, Bilder von Überwachungskameras und Restlichtverstärkern. Der Mann fischte drei Aufnahmen aus dem Bündel und prägte sich nochmal die Gesichter der drei Zielpersonen ein. Auf dem linken war ein einsfünfundachtzig großer Mann zu erkennen, ungefähr Mitte Vierzig, dunkle Haare, Dreitagesbart und kräftige muskulöse Statur. Das mittlere Foto zeigte eine Frau, einsfünfundsechzig groß, ungefähr im selben Alter, attraktiv, lange pechschwarze Haare und einen unverkennbaren mexikanischen Teint. Das äußere Bild zeigte eine Teenager-Lady, die der Frau verblüffend ähnlich sah.

    Eine Bilderbuchfamilie, dachte der Mann. Dann stapelte er die Fotos wie Spielkarten und legte sie neben das PC-Tablet. Er griff nach der zerknitterten Zigarettenpackung in der Hosentasche und zündete sich eine davon an. Mit einem tiefem Brustzug drückte er sich entspannt in die Rückenlehne und blies den blauen Dunst genussvoll Richtung Decke.

    „Erledigt!", kreischte das Funkgerät.

    Der Mann drückte die Call-Taste. „Was wollte der Typ?"

    „Mich auf eine Tour nach WeHo einladen."

    „West Hollywood?, grinste er. „Dann hat er geglaubt, dass du vom rosaroten Ufer bist. Echt süß.

    „Das ist nicht witzig!"

    „Verhielt er sich verdächtig?"

    „Nein."

    Plötzlich piepte das Tablet auf dem Tisch und das Mikrofon begann zu rauschen.

    „Was sind das für Störgeräusche?"

    „Was schreibt der Display?"

    „Nichts!"

    „Okay! Er warf einen Blick auf das Tablet, das eine Fehlermeldung des Signals anzeigte. „Die Frequenz moduliert!

    „Was jetzt?"

    „Moment, suche eine neue Signalspur! Der Mann steckte die Zigarette in eine Aschenbecherkerbe, nahm das Tablet zur Hand und rief eine Satellitenkarte auf. In der Mitte blinkte das Inselfunknetz - ein grün markierter Bereich mit einem gesicherten Funkkanal. Am nordöstlichen Rand überschnitt sich die markierte Zone mit der Linse eines Spionage-Satelliten. Jetzt kannte er den Grund der Störung. „Donald, es ist soweit! Die Hexe ist da! Die Flintstones werden jeden Moment eintreffen!

    „Kommt das Rauschen von ihr? Benutzen sie etwa phasengesteuertes Radar?"

    „Nein!", stöhnte er ungehalten. Wie dumm ist der Typ eigentlich?

    „Können sie uns abhören?"

    „Warte!" Er rief das System mit dem Netzwerklogin auf, dann eine weitere Maske, auf der sich eine lange Liste mit verschiedenen Kanälen befand. „Ich aktiviere jetzt Dark-Train. Wechsle Kanal Sat Four auf Six!"

    „Verstanden!"

    Er öffnete ein Programm, das die Abbildung einer Trieblok als Logo hatte, und tippte am rechten unteren Rand auf das Feld Start. Die Maske klappte zusammen und öffnete einen Ladestreifen, der sich längs verlaufend grün einfärbte. Es dauerte kaum eine halbe Minute, bis das Programm fertig war und sich von selbst schloss. Der Mann öffnete erneut die Satellitenkarte, die nun den Inselbereich in roter Farbe mit einem goldenen Vorhängeschloss präsentierte. Dann blinkte der Display auf dem Funkgerät und der Mann änderte den Frequenzkanal von Four auf Six.

    „Donald, kannst du mich wieder einwandfrei hören?"

    „Ja!, meldete dieser. „Zwischenzeitig hat sich etwas geändert. Charly Chaplin hat endlich den Platz verlassen.

    Der Mann blickte auf seine Uhr. „Gerade rechtzeitig. Hat er das Osterei entdeckt?"

    „Schätze nicht."

    „Ja oder nein?, murrte er. „Was sagen die anderen?

    „Track sagt, dass er einen French Toast mit Pommes gegessen hat … reichlich Pommes. Dazu hat er ein Bier getrunken. Er hat kein einziges Mal unter den Tisch gesehen."

    „Also ist er kein Spook?"

    „Ich denke nicht!"

    „Was macht er jetzt?"

    „Er geht nach hinten, die Brücke entlang!"

    „Verlässt er das Pier?"

    „Keine Ahnung!"

    „Was macht ein Kerl in einer lauen Sommernacht mit einer gefütterten Lederjacke auf dem Piersteg?"

    „Vielleicht ist ihm kalt?"

    „Kalt? Er runzelte die Stirn. „Könnte es sich doch um einen Informanten handeln? Einen Kerl, den wir nicht kennen? Trägt er vielleicht Ausrüstung unter der Jacke?

    Das Funkgerät blieb stumm.

    „Donald! Er nahm noch einen kräftigen Brustzug, bevor er den Glimmstängel im Aschenbecher zerquetschte. „Donald! Verdammt! Antworte!

    „Bin doch da!", meldete Donald.

    Der Mann atmete vor Erleichterung auf. „Wir befinden uns in der heiklen Phase! Du musst erreichbar bleiben!"

    „Schon gut, Dietbert hat mir etwas Wichtiges mitgeteilt."

    „Was kann jetzt wichtiger sein?", fragte er erbost.

    „Er glaubt, ich hätte etwas mit dem Unfall zu tun!"

    „Unfall? Meinst du Silver Spring?"

    „Ja, Tabira wurde gezielt ausgeschaltet. Es war kein Unfall. Es steht sogar in den Nachrichten."

    „Verdammt, keine Echtnamen per Funk!, regte er sich auf. „Und sagte ich nicht, dass ihr eure Handys im Auto lassen sollt?

    „Warte! Er ruft gerade an! Melde mich gleich wieder!"

    „Donald!, brüllte er und stieß genervt Luft aus. „Du strapazierst gerade meine Geduld!

    Erneut griff er nach der Zigarettenpackung und spielte damit auf seinem Oberschenkel. „Verdammter Scheißkerl!", fluchte er. Dann blickte er auf seine Armbanduhr und schüttelte den Kopf. Er konnte nicht fassen, dass sein Partner ausgerechnet jetzt ein Gespräch über eine Sache führen musste, die sich längst erledigt hatte. Und das während ein Satellit über seinem Kopf kreiste und vermutlich imstande war, auf das lokale Handynetz zuzugreifen. Er schwor sich insgeheim, nie wieder mit ihm zu arbeiten.

    „So, erledigt!", antwortete Donald nach etwa einer Minute.

    „Willst du mich verarschen?", ärgerte er sich.

    „Bleib jetzt ruhig!"

    „Sag mir nicht, dass ich ruhig bleiben soll, verdammt! Die Sache muss problemlos über die Bühne gehen!"

    „Die Flintstones sind gerade eingetroffen.", meldete Donald.

    Er hielt kurz inne bevor er antwortete. „Wann?"

    „Vorhin!"

    Vorhin ist keine Antwort auf meine Frage!"

    „Gott … dann eine halbe Minute eben!"

    „Kannst du sie sehen?"

    „Ja, Pebbles hätte mich beinahe gerammt!"

    „Was?, zischte er. „Aufpassen, verflucht! Du versaust gerade die Operation! Vor Aufregung steckte er sich erneut eine Zigarette in den Mund. „Hat sie dich gesehen? Haben dich Fred und Wilma gesehen?"

    „Nein."

    „Beziffere die Nein-Wahrscheinlichkeit!"

    „Hundert Prozent."

    „Wo hat sich das gerade zugetragen?"

    „Neben dem Riesenrad. Pebbles ging etwa einen halben Meter an mir vorbei. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig wegdrehen."

    „Die Hexe ist über dir! Ich hoffe, sie hat dein Gesicht nicht aufgezeichnet."

    „Ich habe mich nach Norden gedreht!"

    Er warf einen Blick auf das Tablet. Das Sichtfeld des Satelliten befand sich direkt über Donald. Wenn er sich nach Norden drehte, zeigte er der Linse den Rücken. „Wenigstens etwas, dass du richtig gemacht hast!"

    „Die Flintstones bewegen sich zum südöstlichen Eingang und werden in Kürze auf dem Osterei sitzen!"

    „Kannst du Tick, Trick und Track sehen?"

    „Nein, draußen ist zu viel los. Sie haben aber bestimmt schon ihre Positionen bezogen."

    „Überzeuge dich davon!"

    „Kann ich nicht, weil mich sonst die Hexe entdeckt. Außerdem halte ich externen Funkkontakt mit ihnen. Mach dir keine Sorgen, es läuft alles nach Plan! Ich werde das Hotel durch den Hintereingang betreten und mich im Gastraum vergewissern, dass die Flintstones am richtigen Platz sitzen."

    „Pass bloß auf! Fred kennt dich!"

    „Er wird nicht mehr wissen, wer ich bin. Das liegt zu viele Jahre zurück."

    „Warte bis sie essen! Dann sind sie beschäftigt und werden dich nicht bemerken. Platzier dich so, dass du den Gastraum schnell wieder verlassen kannst. Dann holst du dir den Ei-Picker!"

    „Aye, aye, Onkel Dagobert!"

    Keine Zeit zu sterben

    Während wir auf unser Essen warteten, blickte ich aus dem Fenster des Hotels und bewunderte die wunderschönen endloslangen Sandstrände, über die gerade die kraftvolle Sonne eintauchte.

    „Woran denkst du gerade, Danny?", fragte Sally.

    „An dich natürlich!", antwortete ich.

    „Lügner!, schmunzelte sie verlegen. „Jetzt mal ehrlich, woran denkst du wirklich?

    Ich nahm ihre Hand und drückte sie. „Wie viele Abende wir hier schon verbracht haben.", sagte ich und bemerkte den melancholischen Klang meiner Stimme erst hinterher.

    „Trotzdem waren es zu wenige.", seufzte sie und schenkte mir ein vielsagendes Lächeln.

    „Seid ihr jetzt fertig?", fragte Dilan, die es wieder einmal glänzend verstand, die Romantik des Abends mit wenigen Worten zunichte zu machen.

    „Wie wär's, wenn wir nach dem Essen eine Runde mit dem Riesenrad fahren?", fragte ich.

    „Sei nicht kindisch, Dad!", antwortete Dilan.

    „Früher bist du oft mit uns gefahren."

    „Gott, Dad! Wen interessiert es, was früher war?"

    Sally grinste mich verstohlen an. Ich wusste, was sie gerade dachte. Die Launenhaftigkeit unserer achtzehnjährigen Tochter glich einem Geigerzähler in Prypjat. Sie wollte lieber zuhause bleiben, aber weil wir auf ihre Gesellschaft nicht verzichten wollten, nervte sie uns nun. Sie beharrte darauf, dass, wenn sie mitfahren musste, unbedingt im Innenbereich sitzen möchte. Sie meinte, dass ihr der Wind zu kalt wäre und sich eine Mittelohrentzündung holen könnte. Unser Nesthäkchen hatte sich entgegen unserer Erziehungsziele zu einer eitlen penetranten Muster-Zicke entwickelt, die alles bemeckerte und kritisierte, das nicht ihrem Karma entsprach. Statt draußen zu sitzen, den romantischen Doo-Wop-Klängen einheimischer Hobbymusiker zu lauschen, die Sally so liebte, oder die unzähligen Touristen zu beobachten, wie sie die sunbaked T-Shirt-Läden stürmten, saßen wir in einer völlig überfüllten Räucherkammer, in der es neben dem eintönigen Gemurmel der Gäste nur stickige Umluft aus Deckenventilatoren gab.

    Ich senkte den Blick und starrte auf das handgeflochtene Körbchen am Tischrand, das randvoll mit Nachos gefüllt war. Im Hintergrund hetzten Kellner in weißen Anzügen umher und servierten Clam-Chowder. Dabei fiel mir ein Kellner auf, der ständig Probleme mit einem Kinderwagen hatte. Er donnerte gerade zum dritten Mal dagegen. Das Paar, das zwei Plätze neben uns saß, hob das Kleinkind zur Sicherheit aus dem mobilen Transporter und ließ es auf der Bank zwischen ihnen umherkrabbeln. Als ich wieder zu Sally blickte, streifte sie sich gerade verführerisch ihr sandfarbenes Seidenjäckchen ab. „Den stickigen Dunst hält kein Mensch aus!", stöhnte sie.

    Ich nickte mit einem schmalen Grinsen.

    „Mum, du weißt, dass ich es hasse, wenn mir die Leute in das Essen starren!", rechtfertigte sich Dilan und strich sich die goldblonden Strähnchen über ihre langen dunklen Haare.

    „Die Leute?, fragte ich etwas verblüfft. „Du sagtest, dass dir der Wind Ohrenschmerzen bereiten könnte.

    „Der Wind und die Leute! Vor allem aber die Leute! Und dann noch die Möwen, die alles zuscheißen! Das Pier gleicht einem Dalmatinerfell!, meckerte sie genervt. „Ich verstehe nicht, warum ihr ausgerechnet heute Abend ausgehen müsst! Ausgerechnet heute, wo ich auf Antwort von Billy Morgan warte!

    „Wer ist Billy Morgan?, fragte ich. „Ein neuer Freund?

    „Das geht dich nichts an!, fauchte sie. „Wärst du öfters zuhause, wüsstest du es!

    „Da hat sie recht.", lachte Sally.

    „Ich habe momentan viel um die Ohren und … aber ... jetzt bin ich Schuld, weil ich euch zum Essen eingeladen habe?", stotterte ich etwas irritiert.

    „Ja, und weil du immer in dieses dämliche Hotel am Pier gehen musst! Kann es nicht einmal eines in der Innenstadt sein? Das Tender Greens zum Beispiel, oder Amelias, oder Misfit? Nein, es muss immer das Lotario sein!"

    „Jetzt ist es aber genug, Dilan!, herrschte Sally sie an. „Wir sehen Daddy nicht oft und wenn er uns zum Essen einlädt, wünsche ich mir ...

    „Das Lachs-Quiche?", unterbrach ein Kellner.

    Ich hob die Hand, murrte ein unverständliches Yep und bekam sogleich den Teller vor die Nase gesetzt.

    „Zuckerrübensalat mit Kartoffelbrei und Spargel?"

    „Ich!", vermeldete Dilan und schnippte dem Kellner mit den Fingern zu.

    „Das Burrito Mojado kommt sofort!", sagte der Kellner und huschte wieder davon.

    Als ich gerade dabei war, mein köstliches Gericht zu inspizieren, entging mir Dilan's provokantes Verhalten nicht. Wie eine Royal Lady nahm sie eine aufrechte Sitzposition ein, schob angewidert das in einer Papier-Serviette eingerollte Essbesteck zum Tischrand und tauschte es gegen ihr blaues Plastikbesteck aus der Handtasche.

    „Dilan, was soll das?", fragte ich verärgert.

    „Hast du vergessen, dass ich eine Nickelallergie habe?"

    „Nein, aber musst du das Besteck derart arrogant zur Seite legen, als ob es dir nicht gut genug ist?"

    „Wie soll ich es deiner Meinung nach machen, ohne dass mir Ballongeschwülste, so groß wie Hühnereier, wachsen?, fragte sie provokant. „Ich bin dann wieder diejenige, die tagelang wie ein Zombie durch die Stadt irrt und tonnenweise Neomycin schmieren muss!

    „Schluss jetzt, Dilan!, mischte sich Sally ein. „Hör auf in diesem Ton mit deinem Vater zu reden! Dann wandte sie sich mir zu. „Und du auch, Danny! Provoziere sie nicht! Du kennst sie doch!"

    „Mum hat recht!, stimmte ich ihr zu. „Machen wir uns einen gemütlichen Abend und genießen das leckere Essen!

    „Genau, Dad!, grinste Dilan hämisch. „Dein Fisch enthält mehr Jod als die gesamte Stadtapotheke! Wenn du dir noch Scallops bestellst, würde dir ein Kropf in der Größe einer Bowling-Kugel aus dem Hals wachsen!

    „Dilan, verdammt!, zischte Sally und stoppte damit die Verbalattacke, zu der ich gerade ansetzte. „Du entschuldigst dich sofort bei deinem Vater, sonst dreh ich dir für die nächsten Wochen das Internet ab!

    „Das ist nicht dein Ernst, oder?, wehrte sich Dilan entgeistert. „Billy Morgan … Du weißt schon … Das geht nicht!

    „Entschuldige dich!, forderte sie sie auf. „Sofort!

    „Ich habe nichts Unrechtes gesagt, Mum!"

    „Dilan!" Sally war jetzt richtig sauer. Ich konnte aus ihrem Blick lesen, dass unserem Engelchen bloß wenige Sekunden blieben, bevor sie ihre Drohung in die Tat umsetzte.

    „Fisch ist ungesund! Ich habe das nicht böse gemeint!"

    Sally verschränkte die Arme an der Hüfte und blickte sie giftig an. Dilan wusste, dass ihre Ausflüchte keinen Erfolg erzielen würden. Somit blieb ihr keine Wahl als nachzugeben. Beschämt wie ein kleines Kind rollte sie ihre Augen zu meiner Wenigkeit. „Sorry, Dad!", murmelte sie leise, ohne dabei ihre Lippen zu bewegen - fast wie ein Bauchredner, aber ohne Puppe.

    Ich atmete kräftig durch, würzte den Lachs mit Salz und Pfeffer nach und trank einen Schluck edlen Cabernet Sauvignon aus dem heimischen Napa Valley. „In Ordnung! Lasst uns jetzt essen!"

    Plötzlich fielen die Blicke der beiden hinter mich. Ich drehte mich um und sah den Kellner. Sein Blick sagte mir, dass er bereits die ganze Zeit hier stand und den letzten Teil unserer Auseinandersetzung mitbekam. Er wartete bloß auf den richtigen Moment, um das Essen zu servieren. „Das Burrito Mojado!", sagte er sodann und platzierte den Teller unter Sally's Nase. Nachdem er wieder gegangen war, hätte ich beinahe gelacht. Aber Sally verstand es perfekt, der peinlichen Situation keinen heiteren Aspekt abzugewinnen. Sie rückte näher zu Tisch, rollte das Besteck aus der Serviette und wünschte uns Guten Appetit.

    Sally war eine hochanständige und impulsive Frau, die stets wusste, was sie wollte. Dieses Temperament verdankte sie großteils ihren mexikanischen Genen. Sie boten ihr eine riesige Bandbreite an Charaktereigenschaften, die sie nacheinander miteinander zu verknüpfen wusste. Zuerst diese ungeheure Ausstrahlung, diese Bodenständigkeit, der feurige Ausdruck in den Augen, die pechschwarzen Haare, die großen Brüste und die bis ins Detail perfektionierten Kurven. Man könnte meinen, Gott hatte die mexikanische Frau anders geschaffen, die Bauteile mit mehr Liebe zum Detail gewählt und die Gussmasse so verteilt, dass alles an den richtigen Stellen Platz fand. Mit ihr hatte ich auch nie einfachen Sex. Mit ihr hatte ich ausschließlich Sex bis zur Ekstase! Wo andere Frauen bereits abwinkten, legte sie erst richtig los. Nach den ersten Malen musste ich meinen Schwanz mit Eisbeutel kühlen, damit er nicht verglühte. Ich betrachtete es als himmlische Notwendigkeit, diese unglaubliche Leidenschaft an mich zu binden. Sie war die Quintessenz meiner Partnervorstellung! Deshalb heiratete ich sie auch. Diesen Schritt habe ich bis heute keinen einzigen Tag bereut. Ihr richtiger Name war übrigens Seda, nur nannte sie niemand so. Alle nannten sie Sally. Ihre Eltern, Jose und Erendira Valleres, stammten aus Tijuana, einer Grenzstadt nahe San Diego. In jungen Jahren wanderten sie zwecks besserer Verdienstmöglichkeiten nach Sorrento Valley aus, einem Vorort von San Diego. Jose fand einen Job als Lagerarbeiter, arbeitete sich bis zum stellvertretenden Abteilungsleiter hoch, während sich Erendira um Sally kümmerte. Ich lernte sie in den Neunzigern kennen, kurz vor dem ersten Golfkrieg. Gerade zu einer Zeit, als ich mich auf einer Selbstfindungsexpedition befand. Ich hatte das College hingeworfen und damit auch meinen Kindheitstraum, später einmal im Fernsehen Wetterfrosch zu spielen. Den Entschluss fasste ich aber nicht aus Faulheit oder irgendeiner anderen Form von Unlust. Ich war in einer depressiven Phase und kämpfte mit dem Verlust meiner Eltern. Ich werde wohl nie den Tag vergessen, als ich während des Unterrichts zum Direktor zitiert wurde, der mir schonend beizubringen versuchte, dass sie bei einem Einkaufsbummel in Westwood Village brutal überfallen und ermordet wurden. Und das wegen einem Paar Esprit-Schuhe, einer italienischen Import-Lederjacke und hundertfünfzig Dollar. Die Polizei sagte mir, dass es sich um ein paar zugedröhnte Jugendliche handelte, die schnelles Geld für ihren nächsten Trip suchten. Beschaffungskriminalität nannten sie das. Die Tat geschah mitten am Tag, während der Hochsaison. Ohne ein Wort zu sagen, stachen sie mit Taschenmessern auf Mum und Dad ein, schnappten sich die Utensilien, ließen die Opfer auf dem Bürgersteig verbluten und ergriffen die Flucht. Schon zwei Gassen weiter wurden sie von Streifenpolizisten aufgegriffen und widerstandslos verhaftet. Zurückgelassen haben sie ein paar schockierte Passanten und einen pubertierenden Teenager, der im Tränenmeer erstickte. Und das für hundertfünfzig Mäuse und ein paar mittelmäßige Klamotten.

    Daraufhin fand ich Unterschlupf bei Onkel Bob und Tante Vicky. Mangels Lebensmut und einer vernünftigen Zukunftsperspektive warf ich das College hin. Es folgten drei Jahre nicht enden wollender Hoffnungslosigkeit und Selbstmitleid, bis mir mein Onkel den gutgemeinten Ratschlag gab, mich bei der Army zu melden. Nach reiflicher Überlegung tat ich es. Jedoch meldete ich mich nicht bei der Army, sondern bei den Navy-SEALs in Coronado. Nach der Hochzeit und den Flitterwochen zog ich mit meinen Waffenbrüdern in den Krieg. Sally wusste zwar immer, wo ich gerade war, aber nicht, was ich tat. Aus Sicherheitsgründen verschwieg ich ihr meine wahre Berufung und behauptete für den Nachschub der Army zuständig zu sein. Nach meiner Beförderung zur SEAL-Elite wurde ich nach Virginia beordert, woraufhin wir umziehen mussten. Dilan war bereits auf der Welt und Sally gefiel es dort überhaupt nicht. Sie vereinsamte, vermisste ihre Heimat und wollte wieder zurück nach Kalifornien. Also gab ich nach und verließ die Navy. Mit Hilfe meines damaligen Befehlshabers kam ich bei einem Spielzeugriesen in Santa Monica unter. Wir kauften uns ein bescheidenes Haus in der Kensington Road und Sally war wieder glücklich und zufrieden.

    Ich war immer der Hauptverdiener der Familie gewesen und die meiste Zeit unterwegs. Offiziell arbeitete ich im Fernhandel der Spielzeugkette TRAVUS in der Mills Street. Mit sechzehntausend Mitarbeitern und unzähligen Zweigstellen in ganz Amerika setzte die Firma jährlich weltweit mehr als achtzig Milliarden Dollar um. Neben Spielwaren aller Art erzeugten wir noch Puppen in aufwendiger Handarbeit. Wenn man das Gewerbe nicht kannte, hatte man keine Ahnung, welchen Aufwand das darstellte. Man brauchte Drücker, Drechsler, Schnitzer, Gelenkmacher, Stopfer, Augenmacher, Puppenschuhmacher, Perückenmacher und Puppenfriseure. Dazu kamen die neuen elektrischen und feinmechanischen Errungenschaften, die beinahe gänzlich die früheren Bossierarbeiten ersetzten. Und nur die Wenigsten wussten, dass wir teilweise auch für die Rüstungsindustrie arbeiteten, insbesondere für die Bekleidung. Das rückte unsere Branche in ein ganz anderes Licht und war auch der eigentliche Grund, warum ich dort arbeitete. Aber davon hatte meine Familie auch keine Ahnung ...

    Während ich gerade mein leckeres Gericht genoss, ließ ich den Blick unbewusst durch das Lokal schweifen. Dabei fiel mir ein Mann auf, der am Tresen stand und gerade den Blick von mir abwandte. Ich wusste nicht, woher ich das Gesicht kannte, aber mein Gedächtnis begann zu rattern. Die spitze Nase, der struppige Flokati-Haarschnitt, dazu der Blick und das Gehabe … all das formte sich zu einem Bild, das mir bekannt vorkam. Nur wusste ich nicht woher.

    Der Mann stemmte sich gelassen vom Tresen weg und verschwand Richtung Toiletten. Ein drückendes Unwohlsein machte sich in meiner Bauchgegend breit und ließ meine Alarmglocken läuten. Ich hatte zwar ein gutes Gedächtnis, aber es war leider nicht so gut, dass ich mir jedes Gesicht merken konnte. Was aber immer funktionierte war mein Bauchgefühl. Es sagte mir augenblicklich, ob es sich um eine gute oder schlechte Bekanntschaft handelte. Und bei diesem Mann spürte ich deutlich, dass ich ihm hier niemals begegnen durfte. Dazu kam sein jetziges Verhalten, dass er mich beobachtete und dabei unauffällig wirken wollte. Er tat so, als blickte er nur zufällig zu mir. Nachdem ich ihn bemerkte, sah er schnell weg und verließ seelenruhig seinen Platz – so ruhig, dass er am liebsten gelaufen wäre. Hier war etwas faul! Und dem musste ich nachgehen. Ich legte das Besteck zur Seite und erhob mich vom Platz.

    „Was ist los, Schatz?", fragte Sally.

    „Ich muss kurz auf die Toilette.", antwortete ich und machte mich auf den Weg.

    Hinter dem Tresen führte eine Doppelflügeltür in den Sanitärbereich, der im dahinterliegenden Flur lag. Rechts der Flügeltür befand sich eine Treppe zu den Gästezimmern und auf der rechten Seite lag der Eingang zur Küche. Ich betrat die Herrentoilette. Bis auf ein Pissoirbecken waren alle besetzt. Drei Männer standen vor den Waschbecken und die Kabinen waren alle, bis auf zwei, besetzt. Es war ein ungünstiger Zeitpunkt, um vor all den Notdürftigen die Türen einzutreten, um herauszufinden, ob der Typ gerade auf einem der Töpfe saß. Wenn er sich tatsächlich vor mir versteckte, dann würde er sicher noch eine zeitlang dort hocken bleiben. Da war es wichtig, den Gang im Auge zu behalten. Ich verließ die Toilette und ging zum Ende des Flurs. Auch hier kein Hinweis auf den Verbleib des Mannes, nur ein paar Gäste, die sich ein wenig umsahen. Ich ging zurück zur Treppe und begab mich in den ersten Stock. Auch hier dasselbe Bild. Eine Treppe, die in ein weiteres Stockwerk führte und dann der Flur, der um die einzelnen Gästezimmer führte. Hier war es im Gegensatz zum Erdgeschoß enorm ruhig. Kein Wunder, denn es war acht Uhr abends und die Gäste saßen im Speisesaal. Als ich gerade dabei war, die Treppe zum nächsthöheren Stockwerk zu nehmen, sah ich, wie der Mann vom Tresen gerade in ein Zimmer schlich und die Tür hinter ihm versperrt wurde. Als ich mich nähern wollte, verließ ein Zimmermädchen das benachbarte Zimmer und blickte mich fragend an. Ihr folgte ein Mann in einem dunklen Anzug, der das Schild mit der Aufschrift Bitte Zimmer reinigen vom Türknauf nahm. Vermutlich ein Hotelmanager.

    „Mr. Engels?", fragte er mich.

    Ich überlegte kurz und bejahte schließlich. Ich wollte mir alle Optionen offen halten, bevor ich mich zu einer weiteren Vorgehensweise entschloss.

    „Die Kaffeeflecken auf dem Teppich und der Wand wurden gesäubert."

    „Danke!, antwortete ich freundlich. Das Zimmer grenzte direkt an jenes, in das soeben der Mann vom Tresen ging. Wenn ich schlau war … „Blöderweise habe ich den Schlüssel im Speisesaal vergessen. Könnten Sie mir ausnahmsweise die Tür für ein paar Minuten offen lassen?, fragte ich.

    „Selbstverständlich Mr. Engels! Dann wandte er sich an das Zimmermädchen. „Hast du verstanden, Bibi?

    „Ja., murmelte die etwas mollige Südländerin mit der weißen Schürze. „Ich gieße noch schnell die Blumen und lasse dann offen.

    „Später, bitte!, mischte ich mich ein. „Ich muss nur kurz etwas holen und dann können Sie die Blumen gießen.

    „Aber der Putzkarren steht noch im Zimmer."

    „Kein Problem, er stört mich nicht. Ich brauche nur ein paar Minuten!"

    „Kein Grund zur Eile!, sagte der Mann im Anzug. „Bibi, du kannst zwischenzeitig Tracy mit Zimmer Zweiundzwanzig helfen!

    Schnell huschte ich mit einem freundlichem Lächeln an ihnen vorbei ins Zimmer. Links standen große dunkle Holzkleiderkästen, danach folgte die Tür zum Badezimmer und auf der anderen Seite befand sich die Toilette. Anschließend gelangte ich in einen großen Wohnraum, wo links hinter der Mauer ein Doppelbett stand und rechts gegenüber eine bequeme Wohnzimmernische mit einem kleinem Tisch, Sesseln und einem Flachbildfernseher. Dahinter war die Wand, die ans Nachbarzimmer grenzte. Ich lehnte mein Ohr an diese, um vielleicht etwas von nebenan mitzubekommen. Die Wand war zum Glück nicht dick und ich konnte tatsächlich jemanden sprechen hören. Leider verstand ich kein Wort. Ich musste einen Weg finden, um mithören zu können. Wenn man sich in einem geschlossenem Raum unterhielt, selbst wenn man dies leise tat, breitete sich das Gesagte in Form von Schallwellen im ganzen Raum aus und brachte Wände sowie Glasfenster zum Vibrieren. Das nannte sich Festkörperschwingung. Ich musste ein Hilfsmittel finden, um diese Spannungsimpulse zu verstärken. Am besten eignete sich dafür ein hundsordinäres Wasserglas. Also schaute ich mich um. Auf dem Tisch standen viele Utensilien - Aschenbecher, Zigarettenpackung, Feuerzeug, Zuckerdose und eine Thermoskanne. Neben der vorderen Mauerkante stand der Putzkarren von Bibi mit jeder Menge Putzmitteln, Handtücher, Kübeln, Besen, Putztücher und einem Set zur Pflanzenpflege. Ich eilte ins Badezimmer und hatte Glück. Statt der üblichen Zahnputzbecher aus Plastik standen hier welche aus Glas. Ich schnappte mir eines und lief zurück. Ich drückte das Glas an die Wand und mein Ohr gegen den Glasboden.

    „... bin mir sicher!", sagte eine Männerstimme.

    „Na gut!", antwortete eine andere Stimme, die sich von der ersten durch eine tiefere Tonlage unterschied.

    „Wo hast du ihn?", fragte die erste Stimme.

    „Hier!"

    Dann wurde es kurz leise und ich konnte nur ein undeutliches Murmeln verstehen.

    „ … falls Enbi die Explosion überlebt, werden sie ihn mit Blei vollpumpen!", sagte wieder die erste Stimme.

    „Wahrscheinlich wird es auch Kollateralschäden geben., sagte die zweite Stimme. „Aber je mehr dabei umkommen, umso besser für uns. Die Polizei wird länger damit beschäftigt sein, wem der Anschlag gegolten hat.

    „Wann soll ich sie hochjagen?"

    „In drei Minuten!"

    „So früh?"

    „Er hat dich am Tresen gesehen. Du weißt, dass er einen guten Riecher hat und wozu er imstande ist!"

    „Aber sie haben das Essen erst vor ein paar Minuten bekommen! Sie werden jetzt nicht aufstehen und abhauen! Falls doch, werden Joe, Will und Tony dafür sorgen, dass sie nicht weit kommen!"

    „Nein! Kein Risiko! Ich kenne Enbi! Drei Minuten, verstanden? In genau drei Minuten jagst du sie hoch!"

    „Drei Minuten, okay!"

    Ich hörte Schritte und dann, wie jemand die Tür auf und zu machte. Schnell begab ich mich zurück zur Eingangstür und blickte durch den Türspion. Ich sah den Mann vom Tresen, wie er gerade die Treppe nach unten ging und dabei einen kleinen Schalter mit ausziehbarer Antenne in der dunkelbraunen Jackentasche verschwinden ließ.

    Verdammt! Meine Befürchtungen bestätigten sich! Die Typen meinten mich! Enbi war mein Deckname! Die beiden wussten, wer ich war. Sie hatten mich hier am Pier gefunden und heckten den Plan aus, meine Familie und mich zu töten. Aus dem letzten Teil des Gesprächs konnte ich schließen, dass sie eine Bombe unter unserem Tisch platzierten und mit drei Männern die Ausgänge sicherten. Ich hatte keine Zeit mir Gedanken darüber zu machen, wer diese Typen waren! Ich musste mir Gedanken machen, wie ich Sally und Dilan retten konnte.

    Ich atmete kräftig durch und bereitete mich geistig und mental auf einen Einsatz vor. Das Vergnügen war vorbei! Ich sammelte mich, dann stellte ich die Zeitstopp-Funktion meiner Armbanduhr auf zwei Minuten und fünfzig Sekunden. Zwei Minuten und fünfzig Sekunden verblieben mir jetzt, meine Familie und mich aus dem Gefahrenbereich zu schaffen. Das Problem war, dass ich nicht einfach zurückspazieren konnte, um Sally in zwei kurzen Sätzen zu erklären, dass mein gottverdammtes Leben eine Lüge war und sie sich in Gefahr befanden. Die beiden würden mir kein Wort glauben, egal wie ich es ihnen zu erklären versuchte. Sie würden mir die Wahrheit nicht einmal ansatzweise abkaufen. Schon gar nicht in drei Minuten!

    Zwei Minuten und dreißig Sekunden.

    Langsam sollte mir etwas einfallen! Das Problem war, dass der Mann vom Tresen bereits weg war und die Zeit zu knapp, ihn erneut zu suchen. Ich musste unbedingt zum Tisch zurück, bevor die Kerle vor dem Hotel misstrauisch wurden. Würde ich nicht zurückkehren, wüssten sie, dass ich von ihrem Vorhaben erfahren hatte und würden meine Familie gleich töten. Kehrte ich zurück, wären meine Familie und ich tot. Es gab kein Entrinnen! Auch konnte ich Sally und Dilan nicht einfach schnappen und die Lokalität verlassen. Dadurch, dass sie alle Ausgänge sicherten und ich unbewaffnet war, blieb mir keine Wahl, als wieder zum Tisch zurückzukehren und wenn möglich ... Verdammt, mir musste etwas anderes einfallen!

    Ich stellte das Glas auf dem Putzkarren ab und blickte mich um. Ich fand aber nichts, das mir behilflich war.

    Noch eine Minute und fünfundfünfzig Sekunden.

    Ich verließ das Zimmer. Dabei zog ich Bibi's Generalschlüssel ab, der noch im Türschloss steckte, und verstaute ihn in der Hosentasche. Wenn nicht alles schiefging, blieb mir zumindest eine Fluchtmöglichkeit. Aber soweit musste ich es vorerst einmal schaffen. Ich überlegte wieder. Der Funkschalter war klein, viel kleiner als ein Walkie Talkie, und hatte Kippschalterfunktion, mit der die Zündung per Funk ausgelöst wurde. Das bedeutete, dass die Bombe unter dem Tisch den dazu nötigen Empfänger besaß. Vielleicht kam ich da irgendwie heran, um die Verbindung zu unterbrechen? Aber dazu müsste ich mich bücken und die Typen hätten es bemerkt. Dann würden sie sofort zünden! Nein, das war viel zu auffällig.  Aber selbst wenn ich es unbemerkt bewerkstelligen könnte, was würde es mir nützen? Ließe sich die Bombe nach Ablauf der Frist nicht fernzünden, verschafft mir das maximal ein Zeitfenster von einer weiteren Minute, bevor die Männer das Hotel stürmten und mich und meine Familie erledigten. Verflucht! Ich bekam den Kopf nicht frei und konnte den sintflutartigen Adrenalinschub nicht stoppen, der mich momentan durchströmte. Ich blickte nach links und rechts, in der Hoffnung, dass ich etwas entdecken würde … sinnlos, da war nichts!

    Eine Minute und dreißig Sekunden.

    Ich ging zurück ins Erdgeschoß. Nach dem Passieren der Doppelflügeltür stand ich wieder im Speisesaal. Ich blickte kurz über die Tische, den Tresen und zu den Leuten. Dann blickte ich zu den Fenstern, aber das reflektierende Licht an den Glasscheiben verdunkelte mir die Sicht nach draußen. Auch von dem Mann mit dem Funkschalter war nichts mehr zu sehen. Er hatte sich bestimmt irgendwo verkrochen, um nicht von der Detonation getroffen zu werden.

    Ich ging weiter. Sally und Dilan aßen seelenruhig vor dem Tisch und hatten keinen blassen Schimmer, was sich im Moment abspielte.

    Einerseits sagte mir eine Stimme, dass ich nicht weitergehen soll und andererseits eine andere, dass ich es tun musste. Obwohl sich mein Verstand noch nicht entschieden hatte und mir unaufhörlich Warte noch! durch die Gedanken trommelte, bewegten sich meine Beine von selbst. Ich bog um den Tresen. Die Zielgerade! Es trennten mich nur mehr wenige Meter von der Bombe. Ein Blick auf die Uhr.

    Achtundvierzig Sekunden.

    Verdammt, wo war die Zeit hingekommen? Ich ging knapp am Kinderwagen vorbei. Da fiel mir ein Gurt auf, der über dem Schieber hing. Aus den Gurttaschen schaute die Antenne eines Babyfons. Ich blieb stehen. Als Dilan noch ein Baby war, besaßen wir auch so ein Teil. Ich erinnerte mich, dass diese Dinger gerne die Frequenzen anderer Geräte störten – besonders Funkwellen! Das wars! Vielleicht gewann ich bloß eine Minute damit, aber besser als in dreißig Sekunden tot zu sein. Ich platzierte mich vor dem Kinderwagen und beugte meinen Oberkörper zu der Familie.

    „Entschuldigen Sie bitte!", sagte ich und kramte unauffällig nach dem Gurt. Damit es von hinten niemand sehen konnte, platzierte ich mich geschickt davor.

    „Ja?", fragte der etwa fünfundzwanzigjährige Mann.

    „Ihr Kinderwagen steht sehr ungünstig. Soll ich ihn vor das Hotel stellen?"

    Der Mann sah mich erbost an. „Nein, er bleibt wo er ist!"

    „Schon gut, war nur ein Vorschlag! Mittlerweile hatte ich den Empfänger aus der oberen Gurttasche gezogen und heimlich in meine Hosentasche verschwinden lassen. „Wenn sich einer der Kellner die Beine bricht, ist das Ihre Schuld!

    „Meinetwegen! Jetzt lassen Sie uns in Ruhe!", antwortete der Mann genervt und wandte sich von mir ab, während mich seine Frau mit einem tödlichen Blick in Stücke riss.

    Ich beugte mich weiter nach vorne, griff nach der Funkstation und aktivierte sie. „Ich wollte nur freundlich sein.", sagte ich abschließend.

    Bevor ich mich umdrehte, warf ich noch einen kurzen Blick auf den Gurt und sah das Leuchten des Kontrolllämpchens an der Station. Dann folgte ein weiterer Blick auf die Uhr.

    Acht … sieben … Schnell aktivierte ich den Empfänger in der Hosentasche und begab mich zurück zum Tisch.

    „Was ist los?", fragte Sally.

    „Nichts.", entgegnete ich angespannt ruhig.

    „Kennst du die Familie?"

    „Nein."

    „Was wolltest du von dem Mann?"

    „Den Kinderwagen zur Seite schieben."

    Mein Herz pumpte wie ein Presslufthammer. Jeder Muskel und jede Faser meines Körpers zog sich zusammen, um sich auf den bevorstehenden tödlichen Schlag vorzubereiten. Ich hatte keine Ahnung, ob die Funkwellen des Babyfons reichten, um den Kanal des Auslösers zu stören. Ich konnte es nur hoffen.

    Ich blickte zu Sally und Dilan. Würden wir alle in den nächsten Sekunden von der Wucht der Detonation zerfetzt werden?

    Sally blickte wieder zu mir hoch. „Isst du nicht weiter?"

    Dann blickte mich auch Dilan an. „Du siehst blass aus, Dad. Sagte ich nicht, dass dir das viele Jod nicht gut bekommt?", grinste sie unverschämt.

    Ich saß nur da und wartete auf den Schlag. Den brachialen lauten Knall, der uns alle innerhalb einer Sekunde in Stücke riss. Ich war so angespannt, dass die Unterarmmuskeln derart zu schmerzen begannen, als ob ich gerade Dreißig-Kilo-Hanteln gestemmt hätte. Aber je länger ich wartete, umso mehr Zeit verstrich. Ich blickte wieder auf die Uhr. Unser Tod war exakt eine halbe Minute überfällig! Der Mann vom Tresen musste den Zündschalter längst gedrückt haben.

    „Danny?", fragte Sally wieder.

    Es hatte den Anschein, dass ich unser Leben für eine weitere Minute verlängerte. Natürlich konnte ich falsch liegen und die Bombe jeden Moment explodieren, aber trotzdem durfte ich nicht warten. So lange sie nicht explodierte, musste ich handeln. Also stellte ich die Stoppfunktion erneut - dieses Mal auf exakt eine Minute. Bis dahin muss ich meine Familie aus der Schusslinie bringen! Und das, wenn möglich, so unauffällig wie möglich!

    „Was ist das für ein Rauschen?", fragte Dilan.

    Scheiße, der Empfänger in der Hose! Ich hantierte blind nach dem Lautstärkenregler und rollte ihn schnell nach unten.

    Dilan blickte auf meinen Schoß. „Was hast du da eingesteckt? Du hast es gerade leiser gedreht, oder?"

    „Mir ist schlecht! Ich glaube, dass du recht hattest. Der Fisch ... das Jod ...", entgegnete ich.

    „Dad, was hast du in deiner Hosentasche?", fragte sie misstrauisch.

    „Das Handy.", antwortete ich rasch, ohne nachzudenken. Daraufhin fiel ihr Blick sofort zu dem Weinglas, das unglücklicherweise links von meinem Handy stand. Auch Sally sah mich ganz verdattert an. Beide wussten, dass ich log, aber sie saßen nur da und starrten mich an. Aber es kam noch schlimmer. Auch der junge Vater von nebenan blickte gerade abwechselnd zu mir und zum Kinderwagen.

    Die ganze Situation lief aus dem Ruder. Bevor Dilan weitersprechen konnte, beugte ich mich nach vorne und tat so, als wollte ich mit der Hand in die Hosentasche greifen und dabei unvorsichtigerweise das Weinglas umstieß. Der Inhalt bespritzte ihr schwarzes Bench-Top, woraufhin sie wie ein aufgescheuchtes Huhn vom Sessel sprang. „Dad! Verflucht! Pass doch auf!"

    „Danny!", rief Sally empört.

    Mittlerweile zog ich mehrere Blicke auf mich, was überhaupt nicht gut war. Der junge Vater stand auf und inspizierte den Kinderwagen.

    Ich blickte zu Dilan. „Komm, ich mache es sauber!"

    „Nein! Fass mich nicht an!, zischte Dilan. „Mum wird es tun!

    „Komm mit!, seufzte Sally und warf mir einen bösen Blick zu. „Ich mache es sauber!

    Die beiden standen auf und gingen Richtung Toilette. Dabei streiften sie den jungen Mann, der  wild am Gürtel des Kinderwagens kramte. Ich zog den Empfänger aus der Hosentasche, deponierte ihn unauffällig neben meinem Teller, verhüllte ihn mit der Serviette, schnappte mein Handy und folgte den beiden.

    „Halt!", sagte der junge Mann und hielt mich am Arm fest. „Der Funk für das Babyfon fehlt!

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