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Krieger der Friedwelt
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eBook325 Seiten5 Stunden

Krieger der Friedwelt

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Über dieses E-Book

Nicoletta ist vierundzwanzig Jahre alt als ihre Großmutter stirbt. Als Nic auf die Farm kommt, ist sie übergewichtig, ihre Haut ist unrein und egal, was sie versucht, sie sieht immer ungepflegt aus. Schon nach kurzer Zeit stellt sie aber fest, dass sich ihr Aussehen auf der Farm verbessert. Trotzdem möchte sie verkaufen, doch ihre Großmutter verfügt im Testament, dass sie ein Jahr dort leben muss. Nicolettas Onkel Luis will unter allen Umständen die Farm für sich. Schnell merkt Nic, dass es auf der Farm nicht mit rechten Dingen zugeht. Kleine blaue Flämmchen erscheinen, wenn sie in Gefahr ist. Sie lernt Balko kennen, der ihr hilft und sie ohne ihr Wissen beschützt. Als Nic bei einem Kampf verletzt wird, hat Balko keine Wahl, er schickt sie in die Friedwelt. In ihrer Welt vergehen drei Stunden, doch in der Friedwelt sind es drei Tage. Nic begreift, all die schlechten Gedanken von dieser Welt nehmen dort Gestalt an, sie werden zu Dämonen, die die Friedwelt zerstören. Sie verliebt sich in den Elfen Terates, doch ihr Herz verliert sie an Sarolf, den Clansherren der Canagans. Die Zeit wird knapp, denn die Dämonen finden ihren Weg auch in ihre Welt zurück. Für das menschliche Auge unsichtbar, beginnen sie ihr Gemetzel.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. März 2014
ISBN9783847678472
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    Buchvorschau

    Krieger der Friedwelt - Annette Philipp-Bickel

    Großmutters Tod

    Schon als sie zurück in ihr Bett fiel, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Reflexartig rollte sie sich zur Seite und fiel dabei auf den Boden. Keine Sekunde zu früh, denn dort, wo sie gerade eben noch gelegen hatte, fiel etwas Großes, Schwarzes herunter. Trotz der Dunkelheit im Raum erkannte sie, dass es ein Pachnoda war, eines jener hässlichen, riesigen, käferartigen Wesen. Dieses Exemplar war sehr groß: vom Kopf bis zum Körperende war er bestimmt zwei Meter lang. Ein schwarzglänzender Panzer schützte seinen Leib, an seinen dünnen Beinen hatte er lange Widerhaken, an seinem Maul bewegten sich gierig zwei starke Zangen.

    Esmeralda Vielfalt wusste: bekäme er sie damit zu packen, hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. Aber sie hatte nicht vor, zu sterben, trotzdem krampfte sich ihr altes Herz vor Angst zusammen. Noch nie war ihr ein Wesen aus der anderen Welt gefolgt, wahrscheinlich hatte sie ihn mitgezogen, als sie zurückgeglitten war. So schnell sie konnte, sprang sie auf die Beine und ergriff die Flucht. Ihre Hoffnung bestand darin, dass die Energielinien, die das Haus schützten, erwachten und angreifen würden, denn sie allein konnte den Pachnoda nicht töten. Als sie den Treppenabsatz, der nach unten führte, erreicht hatte, war er schon dicht hinter ihr - sie konnte ihn fauchen hören. In seiner plumpen Schnelligkeit krachte er seitlich von ihr an die Wand und verfehlte sie nur knapp. Bevor er sie packen konnte, kamen die ersten Energiewellen. Blaues Licht sprang förmlich aus dem Boden und hüllte für einen kurzen Moment den Pachnoda ein. Er schrie vor Schmerzen, und Esmeralda Vielfalt hörte es knistern und knacken. Dann verschwand das blaue Leuchten, und der Pachnoda kam wutentbrannt wieder auf seine acht Beine. Aus seinem Maul tropfte übelriechender Speichel, und er torkelte stark. Aus Erfahrung wusste sie, dass es bis zu zwei Minuten dauern konnte, bevor der nächste Angriff der Kraftlinien kommen würde. Es galt, Zeit zu gewinnen, und so schnell sie konnte, rannte sie die Treppen hinunter. Doch noch bevor sie die letzte Stufe erreicht hatte, war der Pachnoda von oben gesprungen. Er erwischte sie an der Schulter und riss sie mit zu Boden. Sein Gewicht lag schwer auf ihr und die Stacheln an seinen Beinen bohrten sich ihr schmerzhaft ins Fleisch. Widerstrebend legte sie, vor Schmerzen wimmernd, die Hände auf seinen Panzer, sammelte all ihre Kraft und murmelte einen Abwehrzauber. Für einen Augenblick hob sich der Pachnoda mit seinem Gewicht von ihr, doch dann verpuffte die Magie. Dieser kurze Moment hatte gereicht, um Zeit zu schinden - die Kraftlinien starteten ihren zweiten Angriff. Der hässliche Käfer wurde förmlich von ihr heruntergerissen, das blaue Licht umfloss seinen ganzen Körper, es zischte und brutzelte. Esmeralda Vielfalt kam wankend auf die Beine - sie musste nach oben auf den Speicher gelangen. Dort lag, sicher versteckt, das Schwert der Elfen: mit diesem würde sie den harten Panzer wie Butter durchdringen können. Sie schleppte sich die Treppe wieder nach oben, von unten hörte sie den Pachnoda brüllen. In ihrem Innersten hoffte sie, dass er diesen Angriff nicht überleben würde. Doch sie wusste es nicht genau, da ja noch nie ein Dämon in ihre Welt eingedrungen war. Ihre Hoffnung zerfiel, als sie ihn unten in der Küche wüten hörte - er lebte also immer noch. Der Pachnoda hatte nicht gesehen, dass sie die Treppe wieder hinauf geflüchtet war. Esmeralda hatte den Treppenabsatz zum Speicher schon erreicht, da hörte sie ihn kommen. Mehrere Treppenstufen auf einmal nehmend, kam er ihr nach. Sie sah, dass er schon sehr gelitten hatte. Aus mehreren Wunden tropfte eine grüne, glibberige Substanz, sein Panzer war an mehreren Stellen aufgerissen; das ganze Wesen stank fürchterlich. Sie hatte die Hand schon an der Klinke zur Speichertür, als der Pachnoda sie erneut ansprang, und für sie gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr. »Verdammt. «, murmelte sie, denn ihr wurde klar, dass sie jetzt sterben würde. Sie hatte sich ihr Ableben immer anders vorgestellt. Wer würde Nic von nun an schützen? Wer würde ihr helfen und sie auf die Dinge vorbereiten, die kommen würden? Warum hatte sie dem Kind nicht schon längst die Wahrheit gesagt? Weiter kamen ihre Gedanken nicht mehr. Der Pachnoda hatte an seinem Hinterleib einen Stachel ausgefahren - spitz war er und sah aus wie die Borste eines Stachelschweines. Doch er war gefüllt mit einem todbringenden Gift. In einer fast eleganten Drehung stieß er ihn Esmeralda direkt ins Herz. Dann kam die dritte Angriffswelle der Kraftlinien, das Fleisch des Pachnodas wurde förmlich gekocht. Die Wucht dieses Angriffs schleuderte ihn gegen die Speichertür, die sich krachend öffnete. Sein Körper rutschte weiter, schob Kisten und alte Möbel zur Seite, bis er schließlich in einer dunklen Ecke liegenblieb. Der Pachnoda war tot, aber auch leider Esmeralda Vielfalt, und fast sofort zerfiel sein Körper zu Staub. Die hell- und dunkelblauen Flammen der Kraftlinien umzüngelten den leblosen Körper der alten Frau; die Wunden, die der Käfer ihr ins Fleisch geschlagen hatte, heilten ab. Aber was sie auch versuchten, sie konnten das Herz von Esmeralda nicht mehr zum Schlagen bringen. So blieben sie bei ihr, bis sich die Seele aus ihrem Körper löste. Liebevoll nahmen die blauen Flammen Esmeraldas Seele in sich auf. Hell und stark leuchtete das Licht, als es durch die Ritzen der Holzbretter zurück in den Boden verschwand. Am nächsten Tag fand sie ein Nachbar. Der herbeigerufene Notarzt konnte bei Esmeralda Vielfalts Leiche nur einen Herzinfarkt als Todesursache feststellen.

    Nic hob den Kopf, sie saß noch immer am Klavier, doch der Nachmittag war verstrichen und hatte der Nacht Platz gemacht. Sie schleppte sich zur Scheune, holte das Pferd und die Kuh von der einen Weide und die Schweine und die Schafe von der anderen. Ohne daß sie viele Worte machen musste, folgten ihr die Tiere; als letztes kamen auch die Hühner freiwillig in den Stall. Nic verschloss die große Stalltür und ging erschöpft und müde auf ihr Zimmer. Angezogen wie sie war, fiel sie aufs Bett, das quietschend unter ihrem Gewicht nachgab. Zwei Atemzüge später war sie auch schon tief und fest eingeschlafen. Unerbittlich klingelte der Wecker um fünf Uhr am Morgen. Sie torkelte müde in das kleine Bad, duschte sich, kämmte sich das noch nasse Haar, und band es lieblos im Nacken zusammen. Einen Blick in den Spiegel vermied Nic, sie hasste ihr Äußeres. Als nächstes suchte sie die blaue Latzhose, die sie immer anhatte, wenn sie ihre Großmutter besuchte, um ihr im Stall und im Garten zu helfen. Ihre Laune sank ins Bodenlose, als sie in die Hose schlüpfte, denn sie wusste genau, vor ein paar Monaten hatte sie noch gepasst. Jetzt musste sie die Knöpfe an der Seite offenlassen. Frustriert registrierte sie, dass sie noch fetter geworden war. In der Küche aß sie einen Apfel zum Frühstück und trank dazu ein Glas Milch. Sie hatte nicht viel Zeit zum Trödeln, es wartete viel Arbeit auf sie. Als erstes molk sie die Kuh, schleppte die schweren Kannen in die Kühlkammer und schöpfte den Rahm ab. Aus ihm würde sie später am Tag Butter schlagen müssen. Dann ließ sie die Tiere auf die Weide - und als ob sie wussten, was geschehen war, folgten sie ihr und standen mit hängenden Köpfen ratlos auf der Wiese. Als nächstes mistete sie die Ställe aus. Um elf Uhr ging sie ins Haus und aß zwei Karotten, da ihr vor Hunger schon schlecht war. Als sie langsam die Karotten knabberte, überlegte sie, wie ihre Großmutter die ganze Arbeit nur hatte allein bewältigen können. Ihr schmerzte jetzt schon jeder Muskel. Sie beeilte sich, suchte die Eier der Hühner zusammen und brachte auch diese in die Kühlkammer. Danach ging sie auf die große Wiese; das Gras war vor einigen Tagen geschnitten worden. Um es richtig zu trocknen, musste sie es wenden, und ein Blick zum Himmel sagte ihr, dass es nicht regnen würde.

    Gegen Nachmittag ging sie zum Brunnen und trank gierig zwei große Gläser des kühlen und erfrischenden Wassers. Der erste Besucher rief nach ihr, und sie verkaufte zwei Liter Milch. Da sie nun nah beim Haus bleiben musste, um Eier und Milch zu verkaufen, entschloss sie sich, das Unkraut im Gemüsegarten zu jäten und diesen auch gleich zu gießen. Zwischendurch lief sie hin und her, verkaufte Eier, Milch und Butter. Als sie aufblickte, sah sie, dass es schon früher Abend geworden war. Von der ungewohnten Arbeit wankte sie fast vor Erschöpfung, als sie die Tiere von der Weide holte. Ihr Körper schrie nach Ruhe, doch noch war der Tag nicht zu Ende. Als sie um neunzehn Uhr ins Haus stolperte, schaffte sie es gerade noch, sich zwei Scheiben Toastbrot zu machen und zu duschen. Sie fiel erschöpft auf ihr Bett und war sofort eingeschlafen.

    Nach dem Klingeln des Weckers am nächsten Tag, blieb Nic bewegungslos im Bett liegen; sie war sich sicher, nicht aufstehen zu können. Ihr Rücken schmerzte, und wenn sie versuchte, sich zu bewegen, brannten ihre Muskeln wie Feuer. Sie schloss die Augen und wünschte sich fort, sie war sich sicher: das war nicht ihr Leben. Wenig später hörte sie den großen Hengst wiehern, und die Angst um die Kreaturen trieb sie aus dem Bett. Flugs war sie angezogen und eilte zum Stall, doch als sie das große Tor öffnete, sahen die Tiere sie nur erwartungsvoll an. Der gleiche Trott wie am Tage zuvor erwartete sie. Wie zum Teufel hatte Großmutter es noch fertiggebracht, Brot und Kuchen zu backen? Woher hatte sie die Kraft genommen, das Farmhaus noch zu reinigen und die Wäsche zu waschen? Dies waren Fragen, die Nic durch den ganzen Tag begleiteten. Sie war einfach nicht in der Lage, sich abends noch etwas Warmes zu essen zu bereiten. Sehr früh am Abend fiel sie ausgebrannt ins Bett. Als sie den achten Tag überstanden hatte, überlegte sie, dass es wohl besser wäre, die Farm zu verkaufen. Sie würde in die Stadt fahren müssen, um die Farm zum Verkauf in die Zeitung zu setzen. Noch hatte Nic eine Woche Urlaub, danach würde sie wieder zu ihrer ruhigen Büroarbeit zurückkehren können. Sie würde wieder einsame, langweilige Abende in ihrem kleinen Zimmerchen verbringen, das sie angemietet hatte.

    Als sie am Abend schon auf dem Weg ins Schlafzimmer war, klingelte das alte Telefon. Ihre Freude war groß, als sie hörte, dass am anderen Ende der Leitung Onkel Luis war. »Wie geht es meiner Lieblingsnichte? «, fragte er liebevoll. Nic begann fast zu weinen; stockend erzählte sie ihm von ihren vollgestopften, anstrengenden Tagen auf der Farm. »Ich habe mich entschlossen, die Farm so schnell es geht zu verkaufen, « sagte sie mit zittriger Stimme. « »Du wirst die Farm nicht an irgendeinen dahergelaufenen Fremden verkaufen«, hörte sie die Stimme ihres Onkels. »Wenn du die Farm loswerden willst, dann gefälligst an mich«, sagte ihr Onkel mit schneidender Stimme. Nic war wie vom Donner gerührt, so hatte sie ihren Onkel noch nie sprechen gehört. Ihre Nackenhaare hatten sich gesträubt, etwas Gefährliches schwang in seiner Stimme. »Entschuldige«, sagte er, »ich wollte nicht so schroff sein. « Seine Stimme war wieder einschmeichelnd. »Mir sitzt auch der Tod deiner Großmutter noch im Herzen. Wie wäre es, wenn wir uns morgen nachmittag in der Stadt zu einem Kaffee treffen würden? «, fragte er versöhnlich.

    »Morgen kann ich leider nicht«, antwortete Nic zögerlich, »ich muss dringend das Heu in die

    Scheune bringen. «

    »Ach, komm schon«, sagte er drängend, »es wird schon nicht regnen. « Doch Nic ließ sich nicht überreden - irgendetwas sagte ihr, dass es doch Regen geben würde.

    »Gib deinem Herzen einen Ruck«, lockte Onkel Luis sie, »du wirst doch mal eine Stunde für deinen

    alten Onkel übrig haben. « Sie musste lächeln und meinte: »Also gut, wir treffen uns übermorgen um drei im Café in der Stadt. « »Das freut mich sehr. « Onkel Luis‘ Stimme klang hocherfreut. »Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. «

    Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte das Telefon erneut, sie glaubte, dass Onkel Luis etwas vergessen hatte. Doch als sie sich meldete, hörte sie am anderen Ende eine alte, männliche Stimme. »Hallo, spreche ich mit Nicoletta Vielfalt? Mein Name ist Alois Grisham, ich bin der Rechtsanwalt und Notar Ihrer verstorbenen Großmutter. Ich würde gerne mit Ihnen über das Testament Ihrer Großmutter sprechen. « »Großmutter hat ein Testament? «, fragte Nic überrascht. »Aber ja«, bestätigte Alois Grisham, »sie wollte, dass ich es ein paar Tage nach ihrem Ableben für Sie eröffne. « »Für mich? «, fragte Nic ungläubig. »Liebes Fräulein Nicoletta, Sie sind der alleinige Erbe ihrer Großmutter«, sagte der Notar. »Oh«, hauchte Nic in den Hörer; mehr fiel ihr dazu nicht ein.

    »Wann hätten Sie denn Zeit? «, fragte Alois Grisham.

    »Ich bin übermorgen in der Stadt, «, meinte Nic, »vielleicht können wir uns so um siebzehn Uhr

    treffen? « »Nein«, meinte der Notar, »das geht bei mir leider gar nicht, aber am Freitag bin ich in Ihrer Nähe, da könnte ich bei Ihnen vorbeikommen. « Nic überlegte kurz. »Also gut, wenn Sie mir versprechen, dass es nicht so lange dauern wird«, meinte sie dann. »Ich verspreche Ihnen, dass die Formalitäten schnell erledigt sind«, sagte Alois Grisham. »Ich danke Ihnen«, sagte er noch und legte auf. Nic stand noch einige Minuten am Telefon, und ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie an ihre Großmutter dachte; ein Gefühl von Sehnsucht übermannte sie. Ganz plötzlich hatte sie Lust, einen Keks zu essen, das erste Mal seit Tagen brauchte sie etwas Süßes. Hatte Großmutter überhaupt noch welche? In der Küche wühlte sie sich durch die Schränke, und sie wollte schon aufgeben, da entdeckte sie in der hintersten Ecke des Schrankes eine weiße Dose. Erwartungsvoll öffnete sie diese schnell, aber außer einem dicken Briefumschlag war die Dose leer. Neugierig zog sie ihn heraus und war mehr als erstaunt, dass, in der Handschrift ihrer Großmutter, auf dem Umschlag ihr Name stand. Wieder überflutete sie eine Welle der Sehnsucht, und sie dachte, du weißt gar nicht, wie sehr ich dich vermisse, Großmutter. Nic ließ sich auf einen Stuhl gleiten und öffnete erwartungsvoll den Brief. Als sie ihn auseinanderfaltete, wunderte sie sich, dass nur ein Bogen beschrieben war. Die anderen drei Bögen waren jungfräulich weiß. Sie begann zu lesen.

    Meine Liebste Nic,

    wenn du diesen Brief findest, kann es nur eines bedeuten, ich, Esmeralda Vielfalt, bin verstorben.

    Ich weiß, dass du hier im Haus wohnst und dich um alles kümmerst. Mit der Zeit wirst du feststellen, dass das Haus seinen eigenen Charakter hat. Ich möchte dich noch einmal daran erinnern, dass du mir das Versprechen gegeben hast, Onkel Luis nicht ins Haus zu lassen. Vor allem aber, egal was er dir schenkt, lass es draußen vor der Tür, bring es auf keinen Fall mit hinein! Du hast immer über meine Fähigkeiten gelächelt. Nun, meine Liebe, dies ist ein „selbstschreibender" Brief. Immer, wenn du etwas nicht verstehst oder seltsame Dinge geschehen, werde ich diesen Brief für dich weitergeschrieben haben. Er soll dir helfen, zu verstehen. Also, schau bitte ab und zu mal nach, es könnte hilfreich sein.

    Nic schüttelte den Kopf. Sie hatte den Brief sinken lassen, war denn Großmutter schon so verkalkt gewesen, dass sie das glaubte, was sie da schrieb? Eigentlich war der Brief ja schon zu Ende gewesen, doch als Nic noch einmal darauf schaute, sah sie, dass zwei Zeilen dazugekommen waren. Ungläubig las sie:

    Nein, ich bin nicht verkalkt, mein Liebes, und ich flehe dich an, verkaufe die Farm nicht, hab ein wenig Geduld.

    Eine Gänsehaut kroch Nic über den Körper - schnell stopfte sie den Brief zurück in die Dose, schob sie wieder in den Küchenschrank und flüchtete in ihr Bett. Die Lust auf Kekse war ihr nachhaltig vergangen.

    Als sie am nächsten Morgen müde und lustlos in ihre Arbeitshose schlüpfte, stellte sie erstaunt fest, dass sie die ersten beiden Knöpfe an der Seite wieder schließen konnte. Das konnte nur bedeuten, dass sie abgenommen hatte. Ihre Laune hob sich schlagartig. Irgendwo musste sich die Plackerei ja auch auszahlen, dachte sie. Als sie sich die Zähne putzte, wagte sie einen genaueren Blick in den Spiegel. Ihre Haut war besser geworden, weit und breit keine Pickel mehr. Nics Gesicht und ihre Arme waren leicht gebräunt und verliehen ihr ein gesundes Aussehen. Auch ihre Haare wirkten frisch gewaschen und glänzten in goldenem Braun. Nic schüttelte skeptisch den Kopf und fragte sich, ob es wohl an dem Wasser der Farm lag, das ihr Äußeres sich so verbesserte.

    Gutgelaunt ging ihr die Arbeit an diesem Tag viel leichter von der Hand. Um das Heu von der Wiese in den Stall zu bekommen, hatte sie es zu handlichen Bündeln zusammengebunden und es auf eine alte Holzkarre geworfen. Großmutter hatte auf der Farm wie vor hundert Jahren gearbeitet, sie hatte sich immer geweigert, Maschinen einzusetzen. Am Nachmittag kamen aus dem Nichts große Gewitterwolken, sie musste sich beeilen.

    Als sie die alte Karre bewegen wollte, stellte sie fest, dass er beladen viel zu schwer für sie war. Hilflos schaute sie sich um. »So ein verdammter Mist! «, fluchte sie laut, »ich kann doch nicht die ganzen Bündel einzeln in den Stall tragen. «

    Der große schwarze Hengst stand am Gatter seiner Koppel und schaute zu ihr. Als Nics Blick an ihm hängenblieb, wieherte er laut und stampfte mit den Vorderhufen. Fast kam es ihr so vor, als würde er rufen: »Hey, ich bin auch noch da, lass mich helfen. « Warum nicht, fragte sich Nic und ging zu ihm. Als sie das Gatter öffnete, galoppierte er an ihr vorbei und stellte sich wie selbstverständlich vor die Karre. Sie hielt die hölzerne Deichsel vor seine Brust, und, wie auf Befehl, zog das Pferd die Karre in die Scheune.

    Als die ersten großen Regentropfen fielen, hatten sie das Heu schon im Stall. Nic holte noch die anderen Tiere von der Weide und war froh, heute nicht in die Stadt gefahren zu sein. Sie nutzte den Rest des Tages, um das Haus aufzuräumen und endlich auch die Wäsche zu waschen.

    Als sie am nächsten Nachmittag das Café betrat, wartete Onkel Luis, schon an einem Tisch sitzend, auf sie. Er sprang auf und drückte sie fest an sich. »Mein Gott, Mädchen, du siehst aber gut aus«, rief er überschwänglich. Er zauberte einen Blumenstrauß hervor und legte eine kleine Schmuckschachtel dazu. »Ist das für mich? «, fragte sie begeistert. »Ja, mein Liebes, ich wollt mich für den Patzer am Telefon entschuldigen«, sagte er.

    Freudig öffnete Nic die Schachtel - vor ihr lag eine zarte Kette mit einem goldenen Herzen.

    »Oh, die ist aber schön! «, hauchte sie ergriffen. »Komm, ich lege sie dir gleich an«, meinte Onkel Luis mit glänzenden Augen. Einige Minuten später begann Nics Magen zu knurren. Luis tätschelte ihre Hand und meinte: »Lass uns schnell Kuchen bestellen, ich habe sowieso das Gefühl, als hättest du ganz schön abgenommen. «

    Leider war es mit einem Stück Kuchen nicht getan. Als die Bedienung das vierte Stück mit einem missbilligenden Blick vor ihr abstellte, schämte sich Nic doch sehr. Sie versuchte, langsam zu essen, doch aber auch nach diesem Stück Kuchen hatte sie das Gefühl, noch immer nicht satt zu sein. Onkel Luis hatte ihr begeistert beim Essen zugesehen, dann fragte er: »Wie ist das mit der Farm, willst du sie immer noch verkaufen? « Nic zuckte mit den Schultern und nuschelte mit vollem Mund:

    »Weiß nicht so genau. « Luis lächelte verschlagen und meinte: »Ich sag dir, was wir jetzt machen: ich kauf uns noch ein paar Stückchen als Wegzehrung, dann fahren wir zur Farm raus. Ich fahre, du kannst die alte Klapperkiste von deiner Großmutter hier stehenlassen, wir holen sie die Tage ab. Ich möchte mir das alles wenigstens mal anschauen. «

    Nic war das alles irgendwie egal, in ihrem Kopf drehte sich plötzlich alles nur noch um Kuchen und Essen. Sie zuckte wieder nur mit den Schultern und kaute weiter. Als Luis an der Kuchentheke stand, betrachtete ein Teil von ihr sich ihn genauer. Er war wirklich eine seltsame Erscheinung. Wie sie es kannte, war er nur in Schwarz gekleidet. Er war ein Stück kleiner als Nic, schob aber einen enormen Bauch vor sich her. Seine schwarzen Haare klebten ölig an seinem Schädel, und um seine vordere Glatze zu bedecken, hatte er sie von der linken Seite zur rechten herüber gekämmt. Seine Augen waren klein, schwarz und listig. Er hatte Hängebacken wie eine Dogge; und die etwas weiter vorgeschobene Unterlippe war ständig feucht von Speichel.

    Wie immer trug er seinen ausgefallenen Spazierstock mit sich, das Holz war vielfach um sich selbst gedreht. Der silberne Knauf war geformt wie ein Drachenkopf, auf dem sich seltsame Zeichen und Symbole befanden.

    Der andere, hungrige Teil von Nic sah wieder auf den Teller und stellte erschrocken fest, dass sie soeben das letzte Stück Kuchen in den Mund schob. Onkel Luis hatte eine große Tüte in der Hand als er zurück an den Tisch trat. »Komm, mein Täubchen, lass uns fahren. «

    Bis sie die Farm erreichten, hatte Nic noch drei weitere Stückchen verdrückt. Trotz ihrer Fresssucht erinnerte sie sich an ihr Versprechen, das sie ihrer Großmutter gegeben hatte. Sie hörte förmlich ihre Worte, »lass Luis auf keinen Fall ins Haus; alles was er dir schenkt, lass vor der Tür. « Nic überlegte angestrengt, welchen Sinn das haben sollte. Onkel Luis streckte die Hand nach ihr aus und sie ließ sich mitziehen. Er sagte: »Ich will mir erst mal die Stallungen ansehen. « Als er das große Tor aufschob und die Tiere ihn sahen, veränderten sie ihr Verhalten. Die Kuh machte sich klein und drängte sich ängstlich an die Holzwand, an deren anderer Seite der große schwarze Hengst stand. Der Hengst legte die Ohren flach an den Kopf und bleckte die Zähne, als er Luis sah. Unruhig stampfte er in der Box und versuchte, nach ihm zu schnappen. Unbeirrt ging Luis weiter. Als er vor den Schweinen stand, zogen sich diese in die hinterste Ecke zurück - dicht aneinandergedrängt schienen sie vor Angst fast zu zittern.

    »Gott, Kind, was willst du denn mit den Viechern«, stöhnte Luis, »die machen doch nur Arbeit.

    Also, wenn ich die Farm kaufen sollte, gehen die gleich am nächsten Tag zum Schlachter. «

    Nic wäre vor Schreck das Stückchen fast aus der Hand gefallen, an dem sie gerade genüsslich nagte. Die Schafe, die sich sonst in vornehmer Zurückhaltung übten, sprangen, als Luis sich über den Verschlag beugte, in ihrem Stall hoch und versuchten, ihm mit ihrer Stirn einen Hieb zu versetzen. Die Hühner waren auf einmal ganz verschwunden.

    Nic war wie in Trance. Als sie den Stall verließen, schnappte der Hengst nach ihr.

    »Au, verdammt, das tut jetzt aber weh! «, rief sie erschrocken. »Was ist denn in dich gefahren! «,

    schimpfte sie mit dem Pferd. Sie rieb sich die schmerzende Stelle. Es war aber der Schmerz, der sie in die Realität zurückholte. Luis war schon voraus in Richtung Haus gelaufen. Sie musste sich beeilen, um ihn einzuholen. »Warte auf mich, Onkel Luis, ich kann dir die Farm nicht verkaufen! «, rief sie.

    Er blieb, wie vom Donner gerührt, stehen und drehte sich langsam zu ihr um, jede Freundlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen. »Was sagst du da? «, fragte er scharf. Nic begann zu stottern.

    »Ich kann nicht verkaufen, weil, weil«, sie überlegte fieberhaft, »morgen kommt der Notar von

    Großmutter. Ich muss erst warten, was er zu sagen hat. « Sie wusste, dass das etwas dünn klang. Luis lächelte wieder.

    »Ach, papperlapapp! «, sagte er. »Da du die Farm so oder so an mich verkaufst, kann ich sie mir ja

    auch heute schon genau ansehen«, stellte er fest.

    Er drehte sich um und ging weiter auf das Haus zu. In Nics Kopf hämmerten jetzt wieder Großmutters Worte, »lass Luis auf keinen Fall ins Haus. «

    Plötzlich begann sich alles zu drehen, sie rief nach Onkel Luis. »Was ist denn jetzt schon wieder? «, meinte er unwillig und drehte sich erneut zu ihr um. Nic wurde übel, sie hatte das Gefühl, sich jeden Augenblick erbrechen zu müssen. In dem ganzen Chaos bildete sie sich ein, auf dem Boden um das Haus kleine blaue Flämmchen zu sehen. Nic sah, wie sie auf Onkel Luis zuschossen, über seine Schuhe krochen und an seinen Hosenbeinen leckten. »Ich fantasiere«, sagte sie zu sich selbst, ihr Kopf fühlte sich an, als sei ihr Gehirn aus Watte.

    Luis war außer sich vor Wut; die Alte hatte sich die Kraftlinien zunutze gemacht - das machte die ganze Sache sehr viel schwieriger als gedacht. Nun, er würde schon noch einen Weg finden, um in das Haus zu gelangen, wenn nicht heute, dann ein anderes Mal. Schlechtgelaunt eilte er zu Nic und zerrte sie mit sich. Auf der Veranda ließ er sie recht unsanft in einen Stuhl plumpsen. Er hatte es nun sehr eilig, zu verschwinden, denn, je näher er am Haus war, umso höher und schmerzhafter leckten die blauen Flammen an ihm. Die Kraftlinien würden Ruhe geben, wenn Nic ihn in das Haus einlud. Schon fast im Gehen fragte er: »Soll ich dich nicht lieber ins Haus bringen und mich um dich kümmern? « Doch Nic gab ihm keine Antwort mehr, sie sah ihn nur mit glasigen Augen an und schüttelte verneinend den Kopf.

    Diese verdammten Flammen bissen ihn jetzt so schlimm, dass er am liebsten laut aufgeschrien hätte. Nic sah, wie er mit steifen Beinen zu seinem Wagen ging und, mit durchdrehenden Reifen, davon schoss.

    Auf den Tisch vor ihr hatte Onkel Luis lieblos den schönen Blumenstrauß geworfen. Eine neue Welle der Übelkeit raste durch sie hindurch, und sie schaffte es gerade noch, sich seitlich über das Geländer zu beugen, um zu erbrechen. Schwach ließ sie sich zurück in den Stuhl fallen; die Welt um sie herum verschwamm im Nebel, und dann verlor sie ihr Bewusstsein.

    Auf diesen Augenblick hatten die Flammen der Kraftlinien gewartet, sie schossen aus dem Boden und krochen vorsichtig an Nic hoch, bis sie die Kette erreichten. Ohne Mühe schmolzen sie den Verschluss auf, so dass die Kette auf die Erde fiel, dann machten sie sich mit ihrer ganzen Kraft darüber her.

    Als Nic kurze Zeit später erwachte, fühlte sie sich erstaunlicherweise gut. Der Nebel in ihrem Kopf hatte sich verzogen, sie konnte wieder klar denken. Als sie aus dem Stuhl aufstehen wollte, blieb ihr Blick am Blumenstrauß von Onkel Luis hängen. Erstaunt riss sie die Augen auf - vertrocknet lag er auf dem Tisch. Ungläubig streckte sie die Hand aus, um ihn zu berühren: Die Blumen zerfielen zwischen ihren Fingern zu Staub. Sie sah etwas Goldenes auf dem Boden, das bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzen war. Als sie es aufhob, war es noch warm. Ihre Hand suchte nach dem

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