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Der Tote von Trévarez
Der Tote von Trévarez
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eBook314 Seiten4 Stunden

Der Tote von Trévarez

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Über dieses E-Book

Der Park von Trévarez, ein botanisches Kleinod im Finistère, besitzt die wohl bedeutendste Rhododendrenzüchtung der Bretagne. Kein Wunder, dass in jedem Jahr tausende von Besuchern in den Park strömen, um die Blütenpracht zu bewundern. Doch nicht nur die Freunde der Botanik zieht der Park an.
Besucher finden eine männliche Leiche im Park. Kommissar Kerber wird, an dem ersten sonnigen Wochenende seit Langem, aus der Beschaulichkeit seines Gartens, in den Park beordert. Der Tote liegt unter einem Rhododendronstrauch, ist bekleidet mit Anzug, Krawatte und Lederschuhen und gibt Kerber eine ganze Menge Rätsel auf. Mit Sicherheit war der Mann nicht auf dem normalen Weg in den Park gelangt. Er sieht aber auch nicht so aus, als sei er über den hohen Draht, der den Park umgibt, geklettert. Wer ist der Mann? Wie kam er zum Park, zumal ein Auto nicht gefunden wird?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Jan. 2016
ISBN9783738056501
Der Tote von Trévarez

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    Buchvorschau

    Der Tote von Trévarez - Jean-Pierre Kermanchec

    Kapitel 1

    Von l´Arcouest aus war er auf die Île de Bréhat gekommen und wollte im Hotel Belle-Vue drei ruhige Tage verbringen. Die nur etwas mehr als zwei Kilometer, die die Insel vom Festland trennte, reichten aus, um die Insel vor dem Autolärm zu schützen. Eine Insel mit völliger Ruhe hatte er gesucht.

    Autoverkehr gab es auf der Insel nicht. Sobald er das Boot verlassen hatte, standen nur noch Fahrräder als Fortbewegungsmittel zur Verfügung, wenn er von den Traktoren absah, die die Besucher mit ihrem Gepäck von der Fähre abholten und zu ihren Unterkünften brachten, falls sie nicht zu Fuß gehen wollten. Genau das hatte er sich aber vorgenommen. Er plante, die Insel zu Fuß zu erkunden, sich unter einen schattigen Baum zu setzen oder gemütlich ein Aperitif auf der Terrasse des Hotels einzunehmen.

    Sein Hotel lag direkt am Hafen, so dass er die wenigen Schritte mit seinem Trolley ohne Probleme zurücklegen konnte.

    Die Fähre war beinahe ausgebucht gewesen, als sie von l´Arcouest abgelegt hatten. Die zehnminütige Überfahrt begann. So hatte er sich einen ruhigen Aufenthalt jedoch nicht vorgestellt. Es war doch noch Vorsaison und die Touristenströme kamen üblicherweise in den Monaten Juni bis September. Auf der Insel angekommen, sah er schon Heerscharen von Besuchern, die sich den Weg zum Hauptort der Insel bahnten. Fast wäre er sofort wieder zurückgefahren. Dann entschied er aber zu bleiben.

    Sein Hotel verfügte über 19 Zimmer. Sein Zimmer hatte den Blick auf den Hafen, auf die 100 kleinen Felseninseln und auf das gegenüberliegende Festland. Er war beeindruckt.

    In seinem Zimmer lag eine Broschüre aus. Ihr entnahm er die Größenangaben der Insel und die Informationen zu den Sehenswürdigkeiten.

    Die Île de Bréhat bestand aus zwei Inseln, die durch eine Brücke verbunden waren, die noch Vauban errichtet hatte. Vom Hafen bis zur Nordspitze waren es 3,5 Kilometer. Auf der ungefähr 3 km² großen Insel gab es doch tatsächlich 30 km Wanderwege. Die 300 Einwohner waren über die ganze Insel verteilt, wobei der größte Teil im sogenannten le Bourg wohnte. Sogar ein Altersheim gab es auf der kleinen Insel.

    Er bezog sein Zimmer und machte sich gleich danach auf den Weg zu einem ersten Erkundungsgang über die Insel. An der Nordspitze stand der Leuchtturm, der Phare du Paon, ihn wollte er als erstes besuchen. Der Weg führte ihn durch enge Gassen, vorbei an Häusern, deren Mauern bis unters Dach mit herrlichen blühenden Pflanzen bewachsen waren. Es schien zu stimmen, dass die Blütenpracht auf der Insel der des Mittelmeerraumes entsprach. Das Wetter meinte es gut mit ihm. Die Temperaturen lagen bereits bei 20 Grad und die Sonne schien aus einem blauen, wolkenlosen Himmel. Er passierte die kleine Post und kam an die Vaubanbrücke.

    Beinahe wäre sie ihm nicht einmal aufgefallen. Es sah so aus, als ob er eine schmale Landverbindung beschritt. Rechts und links sah er den üblichen Sand, Schlick und die Algen, die bei Niedrigwasser zum Vorschein kamen. Dann bemerkte er die großen Steinquader, mit denen der Übergang gebaut worden war. Er stand auf der Vaubanbrücke. Gab es in Frankreich einen Ort, an dem der große Baumeister keine Spuren hinterlassen hatte?

    Er brauchte bis zur nördlichen Spitze der Insel beinahe eine Stunde. Er schlenderte gemütlich und verweilte hin und wieder an manchen Stellen, so verstrich die Zeit schnell.

    Als er dann am Phare du Paon angekommen war, setzte er sich am Fuße eines mächtigen Felsens auf den Boden und betrachtete das Meer, die Möwen und die vorbeifahrenden Boote. Er war ganz in Gedanken versunken, als eine feine Stimme ihn aus seiner Träumerei riss.

    „Hätten Sie Feuer für mich?"

    Ein hübsches Mädchen, vielleicht 20 Jahre alt, stand vor ihm. Ihr leichtes und fast zu dünnes Sommerkleid wurde von der sanften Brise etwas bewegt und flatterte um ihre schön geformten Beine. Ihr blondes Haar und ihr dezentes Make up fielen ihm auf, als er an ihr hochsah. Zwischen den Fingern der rechten Hand hielt sie eine Zigarette und lächelte ihn an.

    „Ich bedauere, aber leider habe ich keine Möglichkeit Ihnen ihre Zigarette anzuzünden. Ich bin Nichtraucher."

    „Auch nicht schlimm, dann lasse ich das Rauchen eben sein", sagte sie und steckte die Zigarette wieder in die Packung, die sie noch in der linken Hand hielt.

    „Darf ich mich zu Ihnen setzen oder würde ich Sie stören?"

    „Aber bitte", sagte er und machte eine einladende Handbewegung.

    Es schmeichelte ihm, dass ein junges und so schönes Mädchen sich zu ihm setzen wollte.

    „Sind Sie schon lange auf der Insel?" Das Mädchen sah ihn fragend an.

    „Nein, gerade einmal einige Stunden."

    „Mit einer der Fähren am Vormittag also angekommen", stellte sie fest und legte sich neben ihm ins Gras. Dabei rutsche ihr Kleid hoch und er konnte nicht nur ihre schönen Beine, sondern auch ein gutes Stück ihrer Oberschenkel sehen.

    „Ich lebe schon seit meiner Geburt auf dieser Insel. Die Touristen schwärmen von der Insel, von ihrer Blütenpracht, und ihrer Schönheit. Ich finde sie schlicht nur langweilig. Wenn ich einmal zum Tanzen gehen möchte oder in ein Kino, muss ich immer mit der Fähre zum Festland fahren und dort übernachten. In der Saison fährt das letzte Schiff bereits um 20 Uhr zurück zur Insel. Im Winter ist es noch schlechter. Dann muss man schon kurz nach 18 Uhr wieder zurückfahren. Das ist doch unmöglich für einen jungen Menschen. Aber die Insel verlassen kann ich auch nicht. Ich habe mein Haus hier und meine Arbeit."

    „Was arbeiten Sie denn, wenn ich fragen darf?"

    „Ich bin Pflegerin im Altersheim. Nach meiner Ausbildung habe ich versucht, eine Stelle in Paimpol zu finden, aber da sind keine freien Stellen gewesen. So bin ich auf die Insel gekommen, als man mir den Platz beim Arbeitsamt angeboten hat. Meine Eltern sind beide beim Fischen ums Leben gekommen. Sie haben es nicht mehr zurück in den Hafen geschafft, während eines Unwetters. Ihr Boot ist gekentert und sie sind ertrunken. Ich habe das Haus von ihnen geerbt und ich lebe jetzt hier. Was machen Sie?"

    „Zurzeit nur Urlaub, ansonsten bin ich Unternehmer."

    „Das ist gut, ich würde auch gerne viel unternehmen."

    Das Mädchen lachte laut über ihren kleinen Scherz. Der Wind frischte etwas auf und blies nun beständig das Kleid nach oben, so dass noch mehr von ihren schlanken Beinen und ihren Oberschenkeln vor seinen Augen sichtbar wurde.

    Er konnte später nicht sagen, warum er sich damals nicht im Zaum halten konnte und immer lüsterner wurde. Je länger sich das Gespräch mit dem Mädchen hinzog, umso begehrlicher wurde er. Er sah sich regelmäßig um und versuchte festzustellen, ob sich außer ihnen beiden noch andere Menschen in der Nähe aufhielten. Es war niemand zu sehen, so oft er seinen Blick auch schweifen ließ.

    Dann, nach etwa einer Stunde, drehte sich das junge Mädchen zu ihm um und sagte, dass sie sich jetzt wohl auf den Rückweg machen würde. Ihre Schicht begann um 18 Uhr und sie wollte noch eine Kleinigkeit essen, bevor sie zur Arbeit gehen würde.

    Wenn sie jetzt wegging, würde er sie nie wiedersehen. Sein Verstand sagte ihm, dass das auch gut so sei, während seine Lust sich darüber hinwegsetzte. Völlig unerwartet umfasste er mit seinen Armen die Taille des jungen Mädchens und zog es an sich.

    „Lassen Sie das sein!", schrie das Mädchen und wehrte sich gegen den Griff.

    Aber er war stärker und zog sie noch fester an sich. Sein Mund suchte ihre Lippen. Sie schüttelte den Kopf und rief immer wieder nein, nein! Sie versuchte sich aus der Umklammerung zu lösen und drehte sich zur Seite. Der sanfte Abhang auf dem sie saßen half ihr, sie rollten etwas den Abhang hinunter.

    Er griff ihr zwischen die Beine und versuchte ihren Slip herunterzustreifen. Er hatte seine Umklammerung lockern müssen und hielt sie nur noch mit einer Hand fest. Mit ihrer letzten Kraft stieß sie sich von ihm weg und versuchte aufzustehen. Es gelang ihr, sich seinem Griff zu entziehen und auf die Beine zu kommen. Schon sah sie, wie seine Hände wieder nach ihr griffen. Sie machte einen Schritt nach hinten und verlor das Gleichgewicht.

    Keiner von den Beiden hatte gemerkt, dass sie der Felsenkante gefährlich nahe gekommen waren. Das Mädchen taumelte und versuchte sich nach vorne zu werfen, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Es war zu spät, der Boden unter ihren Füßen war plötzlich verschwunden. Sie konnte nur noch schreien, als sie im freien Fall die 30 Meter hinunterstürzte. Der Aufschlag auf die spitzen Felsen konnte nur tödlich sein.

    Völlig entgeistert sah der Mann hinunter auf den Leichnam des Mädchens, dass vor einem Augenblick noch in seinem Arm gewesen war. Er sah sich erneut um. Hatte jemand den Schrei gehört? Sollte er einen Notarzt oder die Ambulanz rufen? Es war zu spät, helfen konnte man dem Mädchen nicht mehr. Es war tot. Was würde mit ihm passieren? Die Gendarmerie würde bestimmt Fragen stellen, wie es dazu gekommen war, in welchem Verhältnis sie zueinander gestanden hatten und so weiter. Konnte er sich herausreden oder würde er sich nur in Schwierigkeiten bringen? Er entschied, in sein Hotel zurückzugehen und alles Weitere dem Zufall zu überlassen. Bestimmt entdeckte ein Wanderer die Leiche, und die Feuerwehr oder wer auch sonst, würde sie bergen.

    Er schien ganz alleine an der nördlichen Spitze der Insel gewesen zu sein. Schnellen Schrittes machte er sich auf den Weg zurück. Als er hinter der Vauban-Brücke an eine Weggabelung kam, sah er den Pfeil, der den Weg zur Kapelle St. Michel zeigte. Er ging zur Kapelle. Sollte man ihn fragen, wo er den Nachmittag verbracht hatte, so würde er sagen, dass er an der Kapelle war.

    Die Kapelle thronte auf einem Bergkegel. Zahlreiche Stufen führten hinauf, es wimmelte nur so von Besuchern. Als er oben angekommen war, verstand er, warum die Besucher hierher kamen. Der Blick, der sich ihm von hier oben bot, reichte bis ans Festland, über die vielen kleinen Inseln um Bréhat herum und über das ganze Eiland. Die unterhalb der Kapelle gelegene Gezeitenmühle war ebenfalls gut zu sehen. Er setzte sich auf eine der beiden Bänke, die in westlicher Richtung aufgestellt waren, und genoss die Sonnenstrahlen. Das tote Mädchen schien ihn nicht mehr zu beschäftigen.

    Einige Stunden später machte er sich auf den Weg ins Hotel, setzte sich auf die Terrasse und bestellt einen Rotwein zum Aperitif.

    Es war schon gegen 20 Uhr, als er hörte, wie ein weiterer Gast aufgeregt ins Hotel kam. Er berichtete dem Portier, dass er die Leiche eines jungen Mädchens an der Nordspitze der Insel entdeckt hatte, und dass er schon die Gendarmerie informiert hatte. Schnell machte die Neuigkeit die Runde auf der kleinen Insel.

    Tagelang sprachen die Bewohner über den Fund. Die Gendarmerie ging von einem Unfall aus. Das Mädchen war wohl etwas zu nahe an die Felsenkante getreten und dabei abgestürzt. Jedenfalls wurden die Untersuchungen nach drei Tagen eingestellt.

    Er verließ die Insel am dritten Tag, so wie er es geplant hatte. Die Nordspitze der Insel suchte er nicht noch einmal auf. Für ihn war das Geschehene Geschichte. Er konnte nicht wissen, dass er an jenem Tag nicht ganz alleine war.

    Kapitel 2

    Christophe Kerdiles war den ganzen Sonntagvormittag damit beschäftigt, sein Auto vom Schmutz der vergangenen Woche zu befreien. Es blieb nicht aus, dass der Wagen jede Woche aussah, als habe er gerade die Rallye Paris Dakar hinter sich gebracht. Der Bauingenieur musste zu seinen Baustellen fahren, ganz gleich ob es trocken war oder ob ein Wolkenbruch den Boden in eine Schlammwüste verwandelt hatte.

    Er war es gewohnt und die Reinigungsprozedur war so etwas wie ein Ritual geworden. Seine Frau, Pascale, hantierte wie an jedem Sonntag in der Küche, um ein würdiges Sonntagsessen auf den Tisch zu bringen. Das gemeinsame Mittagessen war den Eheleuten wichtig. In den Halles von Quimper hatte es am Morgen frische Langoustinen gegeben, aus denen sie die heutige Vorspeise zubereiten wollte. Langoustinen im Kartoffelnest, mit Mango und Pfefferminze.

    Für den Nachmittag war ein Familienausflug geplant. In dem Ouest France war am letzten Wochenende ein Artikel über die Rhododendronblüte im Schlosspark von Trévarez erschienen. Über 700 verschiedene Spezies blühten in dem 85 Hektar großen weitläufigen Parkareal. Pascale liebte Rhododendren und hätte am liebsten auch in ihrem Garten alle 700 Arten angepflanzt. Nachdem sie den Artikel gelesen hatte, überzeugte sie ihren Mann, dass das genau das richtige Ziel für den Sonntagsausflug war.

    Christophe versprach, mit ihr und der Tochter Pierrette, zum Schloss von Trévarez zu fahren.

    Es war kurz vor Mittag, als er mit den Reinigungsarbeiten an seinem Audi A4 fertig wurde und den Eimer, Schwamm und die Reinigungsmittel wieder in die Garage stellte.

    Pierrette tollte mit dem Rauhaardackel im Garten herum. Stöckchen werfen war für den kleinen Hund immer nur für einige Minuten interessant. Dann wollte er gestreichelt werden und ein Leckerli bekommen oder sich mit den Katzen des Nachbarn anlegen.

    „Das Essen ist fertig!" Pascale rief beide ins Haus. Der kleine Hund war stets der erste, sobald er die Stimme von Pascale vernahm. Er wusste ganz genau, dass es auch für ihn etwas zu Fressen gab, wenn die Familie sich an den Mittagstisch setzte.

    „Ist der Wagen wieder so, dass wir uns damit zeigen können?", fragte Pascale ihren Mann.

    „Wie neu!", antwortete Christophe und setzte sich an den Tisch.

    „Darf Tecki auch mit?" Pierrette sah ihren Vater mehr bittend als fragend an.

    „Klar, Tecki darf uns begleiten. Aber er muss an der Leine bleiben. Im Park werden sich bestimmt sehr viele Menschen aufhalten und nicht alle mögen es, wenn ein Hund sie beschnuppert."

    „Ich darf ihn aber an der Leine führen", sagte seine Tochter, in einem bestimmenden und selbstsicheren Ton.

    „Geht klar", meinte Christophe.

    Pascale grinste über ihre achtjährige Tochter.

    Das Essen schmeckte köstlich. Die Vorspeise entsprach ganz den Vorstellungen von Christophe und Pierrette. Auch der Hauptgang und das Dessert kamen bei beiden gut an.

    „Wie immer ausgezeichnet", sagte Christophe, nahm Pascales Hand und küsste sie.

    „Jetzt helfen wir noch der Mami beim Abräumen und dann geht es los."

    Christophe stand auf und begann die Teller in die Spülmaschine zu stellen.

    Pierrette sammelte die Gabeln und Messer ein und brachte sie ebenfalls zur Spülmaschine.

    „Ich darf mich aber noch schnell umziehen?" Pascale sah ihren Mann an, der wie immer mit Jeans und einem Polohemd bekleidet war und nur selten bereit war sich etwas feiner anzuziehen.

    „So viel Zeit werden wir noch aufbringen."

    Christophe sah seine Frau liebevoll an.

    Nach einer weiteren halben Stunde war es dann soweit. Die Familie bestaunte das blitzsaubere Auto und lobte Christophe für seine gute Arbeit, auch das war schon fast ein Ritual, dann ging es in Richtung der Voie Express. Die Fahrt führte sie über Kerlez und Briec zum Château de Trévarez. Christophe steuerte den Audi auf den Parkplatz und suchte eine Parklücke. Der Park schien das Sonntagsausflugsziel des halben Finistères an diesem Wochenende zu sein.

    50 Meter vor dem Eingang reihten sie sich in die Schlange der Wartenden ein. Es ging dann doch ganz zügig und Christophe bezahlte die sechs Euro Eintritt für seine Frau und sich und einen Euro für Pierrette.

    Kaum hatten sie das kleine Kassenhäuschen hinter sich gelassen, als Pierrette auch schon mit Tecki losrannte. Sie folgten dem Rundweg. Er führte an den ehemaligen Pferdeställen vorbei, die jetzt ein kleines Café beherbergten, und ging dann weiter in Richtung des Schlosses.

    Der ganze Weg war gesäumt von den herrlichsten Rhododendren, in allen nur erdenklichen Farben. Manche Sträucher waren nur wenig niedriger als die sie umgebenden Bäume, andere schienen sich wegducken zu wollen, weil sie sich ihrer geringen Größe schämten.

    Pascale blieb an jeder neuen Variation stehen und bewunderte die Farben, die Blüten und die teilweise enorme Größe der Sträucher. Christophe bemerkte, welche Freude Pascale über den Besuch zeigte. Pierrette dauerte alles viel zu lange. Sie rannte lieber mit Tecki in Richtung des Schlosses, kehrte immer wieder um, rannte zurück und begann das Spiel erneut. Der Hund hielt gut mit und schien keine Müdigkeit zu entwickeln.

    Nach ungefähr 700 Metern erreichten sie das prachtvolle Schloss Trévarez. Sie standen vor einer monumentalen Fassade. Links und rechts begrenzten Türme den Bau. Der Eingang war nach links verschoben, von der Mitte aus gesehen. Sie betraten das Schloss und hatten spontan den Eindruck, sich auf einer der Baustellen von Christophe zu befinden. Der Besuch der Innenräume ließ erahnen, welche Pracht vor etwa 100 Jahren hier geherrscht haben musste.

    Den ausliegenden Broschüren entnahm Christophe, dass das Gebäude zwischen 1893 und 1907 erbaut worden war. Im zweiten Weltkrieg diente es der deutschen Besatzung als Kommandozentrale und wurde 1944 von der britischen Luftwaffe bombardiert. Das völlig zerstörte Gebäude blieb bis 1968 sich selbst überlassen. Danach begann der neue Besitzer mit der sukzessiven Restaurierung. Die Arbeiten in den Innenräumen hatten erst vor einigen Jahren begonnen und es würde wohl noch lange dauern, bis alles wieder wie vor über 100 Jahren aussah.

    Der Blick aus dem großen Salon führte weit ins Land hinaus. Bis an den Horizont waren es bestimmt an die 20 Kilometer. Das Schloss lag auf der Spitze eines Hügels. Unterhalb des Hügels lagen eine kleine alte Kapelle und ein großer Teich.

    Christophe und Pascale verließen das Gebäude. Pierrette war mit Tecki vor dem Schloss geblieben. Sie hatte sich auf den Rasen gesetzt, um sich vom Herumtollen zu erholen. Als sie ihre Eltern herauskommen sah, stand sie auf und rannte mit ihrem Hund auf sie zu.

    „Wohin gehen wir jetzt?", fragte sie ihren Vater, der mit der Hand nach rechts zeigte.

    „Wir folgen einfach dem Rundweg, mein Kleines."

    „Ich geh schon voraus", rief sie und eilte davon.

    Christophe und Pascale folgten dem Rundweg und betrachteten die unglaublich schönen Rhododendren, Kamelien, Azaleen und viele weitere Pflanzen, die in dem Park wuchsen. Nachdem der Weg eine Rechtskurve beschrieb und langsam von der Höhe, auf der das Schloss lag, hinunter zur Kapelle und dem Teich führte, den sie vorhin vom Fenster des großen Salons aus gesehen hatten, kamen sie an einem kleinen Bachlauf vorbei. Das Wasser hatte eine unwirkliche grüne Farbe und bildete einen schönen Kontrast zu dem rosa und violett der Rhododendren und Azaleen.

    Christophe blieb stehen und machte einige Fotos von Pascale, die sich zwischen die Blüten stellen musste.

    Pierrette war schon ein gutes Stück weitergelaufen.

    Das Bellen von Tecki und ein Angstschrei ihrer Tochter ließen Christophe und Pascale sofort innehalten. Christophe rannte in die Richtung aus der das Bellen kam.

    Nach wenigen Schritten sah er bereits Pierrette auf ihn zulaufen.

    „Papa, Papa, da liegt ein Mann!"

    Christophe nahm seine Tochter in den Arm und beruhigte sie.

    „Wo liegt ein Mann, Kleines?"

    Pierrette zeigte mit der Hand den Weg hinunter. Pascale war inzwischen bei den beiden eingetroffen. Sie nahm ihre Tochter an die Hand und blieb stehen. Christophe ging langsam den Weg weiter hinunter und achtete sehr genau auf alles was sich links und rechts befand. Er war etwa 200 Meter weitergegangen, als er zwei Schuhsohlen sah, die steil nach oben zeigten. Christophe trat näher heran und konnte jetzt auch eine graue Hose erkennen. Das Sakko des Mannes der hier vor ihm lag war geöffnet und das blaue Hemd darunter blutverschmiert. Die früher einmal blaue Krawatte war blutverschmiert und schmutzig und hing quer über seine rechte Schulter. Die Augen waren weit aufgerissen und in seiner Schläfe klaffte ein Loch.

    Es gab keinen Zweifel, hier lag ein Mordopfer. Christophe hörte, wie Pascale und Pierrette näherkamen. Er wandte sich um und rief Pascale zu:

    „Bleib mit Pierrette stehen, kommt bitte nicht näher."

    Dann griff er zu seinem Handy und wählte die Notrufnummer.

    Kapitel 3

    Ewen Kerber genoss den Nachmittag in seinem Garten. Carla lag auf ihrer Liege und sonnte sich genussvoll.

    In den letzten drei Wochen war das Wetter regnerisch und kalt gewesen. Das Frühjahr zeigte sich nicht unbedingt von seiner schönsten Seite. Im Januar und Februar waren fast täglich gewaltige Stürme über die Bretagne hereingebrochen. Windgeschwindigkeiten zwischen 100 und 180 Km/Std hatten das Meer aufgepeitscht und gewaltige Wellen waren mit zerstörerischer Wucht gegen die Küste gestürzt. Täglich wurde in den Nachrichten von neuen Schäden berichtet und die Bevölkerung war aufgerufen worden die Küste zu meiden. Drei Menschen hatten ihre Neugierde bereits mit dem Leben bezahlt. Sie waren an den Stränden unterwegs gewesen und von den gewaltigen Wellen erwischt und hinaus aufs Meer gezogen worden. Manche Wellen waren weit über zehn Meter hoch und hatten teilweise die Befestigungen entlang der Küste zerstört. Da war es kein Wunder, dass die Menschen sich nach Sonne und Wärme sehnten und die ersten Boten genossen.

    Ewen las ein Buch über die Geschichte der bretonischen Sprache, das er vor einiger Zeit zufällig gefunden hatte, Carla genoss einen Kriminalroman. Einen kleinen Sommervorrat hatte sie bereits vor einigen Tagen gekauft. Die friedliche Stille in ihrem Garten, die von dem Gezwitscher der Vögel begleitet wurde, war ein Genuss. Es ist ein Stück vom Glück dachte sie sich, als sie von ihrer Lektüre aufsah und in den strahlend blauen Himmel blickte.

    „Wir haben es sehr schön hier, Ewen! Meinst du nicht auch?"

    Ewen sah von seinem Buch auf und nickte zustimmend, als er Carla ansah.

    „Die Bretagne kann sehr schön sein, nur mag sie sich nicht immer so zeigen."

    „Ach, Ewen, was wäre die Bretagne ohne die Stürme und ohne den Regen? Zu der Wildheit gehört eben auch das rasch wechselnde Wetter. Ich liebe es so."

    Das Klingeln des Telefons brach fast wie ein Gewitterdonner in diese harmonische Situation ein. Ewen nahm

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