Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Familie Kuckuck wandert aus: Roadtrip mit zwei Frauen, drei Kindern und einem Stinktier
Familie Kuckuck wandert aus: Roadtrip mit zwei Frauen, drei Kindern und einem Stinktier
Familie Kuckuck wandert aus: Roadtrip mit zwei Frauen, drei Kindern und einem Stinktier
eBook306 Seiten4 Stunden

Familie Kuckuck wandert aus: Roadtrip mit zwei Frauen, drei Kindern und einem Stinktier

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein Praktikum in Australien zum beruflichen Wiedereinstieg, ein halbes Jahr Sommer, Sonne, Sonnenschein - das ist Jule Kuckucks Traum. Doch dann schaltet sich Freundin Bea ein, und statt im australischen Bundesstaat Victoria landen die beiden Frauen in der gleichnamigen Stadt an Kanadas verregneter Westküste. Was folgt, ist ein Roadtrip mit zwei Frauen, drei Kindern und einem Stinktier im Gepäck.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Juli 2018
ISBN9783742729385
Familie Kuckuck wandert aus: Roadtrip mit zwei Frauen, drei Kindern und einem Stinktier

Ähnlich wie Familie Kuckuck wandert aus

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Familie Kuckuck wandert aus

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Familie Kuckuck wandert aus - Sabine Engel

    Impressum

    Copyright 2018

    © Sabine Engel

    Text: Sabine Engel

    Kirchstraße 20, 14532 Stahnsdorf

    engel@sabineengel.com

    Umschlaggestaltung: Sabine Engel

    Bilder: zfmbek/Fotolia & Sabine Engel

    Alle Rechte vorbehalten.

    Für meinen Mann,

    in Erinnerung an unsere Jahre in Vancouver,

    der schönsten Stadt der Welt.

    Sorry, not Australia

    „Nix Kanada! Australia! Wir wollen nicht durch den Zoll, wir reisen weiter nach Australien!"

    Ich stehe mit meinen drei Kindern fröstelnd vor einem künstlichen Wasserfall und zwei riesenhaften Holzkriegern in der grün getünchten Ankunftshalle des Vancouver International Airports. Sogar der Teppichboden ist grün. Er schluckt die Schritte und die Gespräche der wartenden Menschen, sodass das melodische Plätschern des Wassers jeden Reisenden freundlich willkommen heißt. Idylle pur, bis auf Beas Stimme, die quer durch die Halle schallt. Meine beste Freundin steht in ihrem alten Parker und zerschlissenen Jeans vor mir am Pult des kanadischen Grenzbeamten und redet mit gebrochenem Englisch, dafür aber umso mehr Temperament auf den armen Mann in seiner ebenfalls grünen Uniform ein. Der Gute scheint unter seiner Jacke zu schwitzen, was angesichts der arktischen Temperaturen, die die Klimaanlage durch den Raum pustet, beachtlich ist. Bea jedoch hat wenig Mitleid. Ihr bunter Schal flattert mit jeder Bewegung ihrer Hände dicht vor seiner Nase auf und ab, und ihre nach dem Überseeflug widerspenstig abstehenden Locken zittern bedrohlich. Sie erinnert mich an eine explosive Mischung aus Pippi Langstrumpf und Orlando Bloom.

    „Victoria, Aus-tra-li-a!", wiederholt sie zum dritten Mal und klopft dazu im Takt auf unsere Flugtickets, die neben den Pässen auf dem Pult liegen.

    „Mami, ich bin müde", quengelt Tim an meiner Hand. Mit seiner anderen drückt er den Plastikhai an seine Brust, den er letzte Woche von Björn zu seinem fünften Geburtstag bekommen hat. Die blaue Schirmmütze, ebenfalls ein Geschenk seines Vaters, hängt ihm ein wenig schief über den Augen.

    „Wieso müssen wir unsere Pässe zeigen?, fragt Stina und versucht vergeblich ein paar Haare, die sich in ihrer Brille verfangen haben, zu entknoten. „Ich dachte, wir steigen nur um.

    „Bea hat es verbockt!", zischt Jana. Mit ihren dreizehn Jahren spricht sie bereits so viel Englisch, dass ich mir jede alternative Erklärung sparen kann.

    „Ich will zu Papa!" Die Panik in Stinas Stimme ist nicht zu überhören. Vielleicht ist es an der Zeit einzuschreiten.

    „Stina, nimm deinen Bruder. Es ist bestimmt nur ein Missverständnis. Ich schließe Jana kurz in meine Arme und streichle über ihren Kopf. Wie alle meine Kinder, hat sie glänzende honigblonde Haare. Woher, ist mir ein Rätsel. Björn hat dunkle Stoppeln, und meine Haare erinnern eher an Sand, in Farbe und Konsistenz. „Mach dir keine Sorgen, mein Schatz. Heute Abend sitzen wir alle zusammen in Australien am Strand und lachen darüber, flüstere ich beschwörend, auch um mir selbst Mut zu machen.

    Seufzend schiebe ich mich zum Pult des Grenzbeamten vor, dabei würde ich mich am liebsten verkriechen. Ich bin seit über zweiundzwanzig Stunden auf den Beinen. Die Haut in meinem Gesicht spannt wie sprödes Gummi. Mir ist kalt. Ich bin hundemüde. Und ich will endlich in die Sonne. Trotzdem versuche ich ein verbindliches Lächeln: „Wo ist denn das Problem?"

    „Ma’am, your tickets are issued to Victoria."

    Ja, das weiß ich. Unsere Tickets sind bis Victoria ausgestellt. Da wollen wir schließlich hin. Ab in die Wärme. In den südlichsten Süden Australiens. Wir müssen nur noch klären, wie wir den Anschlussflug erreichen. Langsam drängt die Zeit.

    „Sir, would you help us, please?", probiere ich es höflich.

    „Der versteht uns nicht! Sagt immer nur ‚sorry‘ und ‚not Australia‘, flüstert Bea hinter meinem Rücken. „Das weiß ich auch, dass hier Kanada ist. Ich bin ja nicht blöd.

    „Vielleicht würde er uns besser verstehen, wenn wir es mal mit Englisch versuchen", wispere ich zurück und wende mich wieder an den Mann am Pult.

    „Kann ich aber nicht!" Bea ist offensichtlich verstimmt.

    „Yes, sir, I understand. Victoria. Könnten Sie uns nur zeigen, wie wir zum Gate kommen", bitte ich in meinem allerbesten Englisch.

    Der gute Mann atmet tief durch, als würde er einem Kleinkind zum fünften Mal erklären, dass es nie, wirklich niemals die ganze Rolle Toilettenpapier in die Kloschüssel werfen darf. Ich kenne das Gefühl, immerhin habe ich schon meine eigenen Kinder durch dieses Alter manövriert, finde aber, dass er hier maßlos übertreibt. Bea kann ziemlich anstrengend sein. Ihr Englisch ist eine Katastrophe. Aber wahrscheinlich ist sie in ihrer Euphorie nur in die falsche Richtung gestürmt, sodass wir statt am Gate vor der Einwanderungskontrolle gelandet sind. Das kann schließlich jedem passieren.

    „Ms … Der Mann wirft einen Blick in meinen Pass. „Ku…, Kuku…

    „Kuckuck. Jule Kuckuck."

    „Yes, Ms Kuckuck. Sie müssen zuerst hier, in Vancouver, durch die Immigration, dann mit ihrem Gepäck durch den Zoll und weiter zum Terminal für Inlandsflüge", erklärt er.

    Zumindest glaube ich, dass er das sagt, nur macht es keinen Sinn. Meines Wissens ist Australien, abgesehen von einem gemeinsamen Königshaus, unabhängig von Kanada und dem restlichen Commonwealth, weshalb ich unser Gate bei den internationalen Flügen erwarte. Irgendetwas läuft hier schief. Ich versuche es also noch einmal.

    „Aber wir möchten nach Australien."

    „Dann hätten Sie besser auch Tickets nach Australien gebucht." Täusche ich mich oder huscht gerade ein Grinsen über sein strenges Gesicht? Dieser Staatsdiener muss einen eigenartigen Humor haben. Sicher kanadisch.

    „Das habe ich doch!"

    Mein Gegenüber schüttelt langsam den Kopf, tippt auf ein paar Buchstaben auf dem Flugticket und sagt mit einem beunruhigenden Glucksen in der Stimme: „YYJ, sehen Sie das?"

    Ich nicke verunsichert.

    „Das ist der Buchstabencode für Victoria Airport, ein kanadischer Flughafen. Das erkennt man sofort am Y. Ihre Tickets enden in Kanada."

    „Victoria in Kanada?!"

    „Yes, Ma’am, Victoria BC, die Hauptstadt der Provinz British Columbia. Und Sie sollten sich beeilen. Ihr Flug geht in 30 Minuten." Er grinst tatsächlich.

    Verwirrt drehe ich mich zu Bea um, die plötzlich merkwürdig unbeteiligt ihre Hände betrachtet.

    „Ich glaube, ich habe mir eben einen Nagel eingerissen", murmelt sie.

    „Mami, was sagt der Mann?", piepst Tim.

    „Das ist jetzt nicht wahr, oder? Mam! Ich habe allen erzählt, dass ich nach Australien ziehe", kreischt Jana.

    „Geht es dir nicht gut, Mami?", höre ich Stinas Stimme durch das Geschrei ihrer großen Schwester.

    „Doch, doch, mein Schatz, antworte ich tapfer und zwinge meine plötzlich butterweichen Knie zur Ordnung. „Jana, mach dir keine Sorgen. Alles wird gut!

    Der Grenzbeamte ist nun offensichtlich in bester Stimmung. „Mit deutschen Pässen dürfen Sie sich ein halbes Jahr im Land aufhalten, verkündet er gut gelaunt. Das Grinsen auf seinem Gesicht erreicht fast seine Ohrläppchen. Sogar sein Bauch zuckt verdächtig. „Welcome to Canada, Ma’am! Er schnalzt laut, knallt seinen Stempel auf die Papiere und schiebt uns unsere Pässe zurück. Dann winkt er die Nächsten heran.

    Ein betagtes amerikanisches Pärchen, beide mit weißen Stirnkappen und Turnschuhen, walzt sich eine Entschuldigung murmelnd an mir und den Kindern vorbei.

    „Du, Jule, lass uns mal einen Schritt weitergehen. Ich glaube, wir stehen hier im Weg, flötet Bea und winkt den Kindern, ihr zu folgen. „Ich muss auch mal dringend wohin.

    Entgeistert trotte ich hinter meiner Freundin her, die bereits voran zum Gepäckband rauscht.

    „Wie schön, da sind schon meine Koffer!, ruft sie begeistert. „Wie schnell die hier sind in Kanada. Da kann man nicht meckern. Jana, kannst du ein Auge auf mein Gepäck werfen? Ich bin gleich wieder da. Damit düst sie davon.

    Doch mittlerweile habe auch ich mich wieder gefangen. „Jana, Stina, Tim, ihr wartet hier", rufe ich knapp und stürme Bea hinterher.

    Kurz vor den Kabinen der natürlich grün gekachelten Damentoilette hole ich sie ein.

    „Ach, Jule, musst du auch?" Bea schaut mir aus großen blauen Augen entgegen.

    „Kanada?, schreie ich so laut, dass mir sofort die Kehle brennt. Vielleicht liegt das aber auch an der schrecklichen Klimaanlage. „Das ist wohl ein Scherz!

    Eine zierliche Frau in einem blauen Sari lugt erschrocken aus einer der Türen und stürzt dann, ohne sich die Hände zu waschen, ins Freie.

    „Was meinst du?" Bea versucht tatsächlich, ihre Unschuldsnummer durchzuziehen.

    „Wieso hast du unsere Flüge umgebucht?"

    „Aber das weißt du doch! Damit wir alle zusammen reisen konnten."

    „Nur wollten wir, die Kinder und ich, nach Australien!"

    „Du, ich hatte mich auch schon gewundert, warum die Tickets plötzlich nur noch halb so teuer waren. Aber ich habe gedacht, es liegt an der Verbindung."

    „Tut es auch! Weil die Verbindung nach Victoria, Kanada, nämlich nur halb so weit ist wie die nach Victoria, Australien."

    „Ja, das könnte der Grund sein. Bea sieht sich im Waschraum um. Offensichtlich sucht sie nach einer guten Rückzugsstrategie. „Dann hast du ja die Antwort. Warum regst du dich also auf? Das macht ganz fürchterliche Falten.

    „Ich rege mich auf, weil ich Pläne habe. Ich will ein Praktikum machen, ich will endlich wieder in meinen Beruf einsteigen."

    „Der hat dir doch schon vor den Kindern nicht gefallen."

    „Darum geht es nicht."

    „Ach, Bea strahlt mich an. „Dann machst du das Praktikum einfach hier, in Kanada.

    „Pharmatec sitzt aber in Australien."

    „Weißt du, das ist wirklich dein Problem. Du bist unglaublich unflexibel."

    „Ich? Unflexibel?"

    Bea schweigt und schenkt mir ein nachsichtiges Lächeln.

    „Natürlich bin ich unflexibel. Ich muss mich auch um alles kümmern. Deswegen brauche ich eine Auszeit, ein bisschen Sonne und eine gute Chance. Du glaubst immer, es wäre alles so einfach. Lebst von diesem oder jenem Job, tingelst von einem Mann zum nächsten, wann immer dir seine Nase nicht passt oder die Zeitung, die er liest."

    „Du, Jule, jetzt wirst du aber gemein! Ich wollte auch nach Australien und mir einen schnuckeligen Surfer angeln. Aber meckere ich so rum? Nein, ich sehe es positiv und denke jetzt einfach mal über einen kanadischen Holzfäller nach. Im Übrigen ging es bei Jo nicht um die Zeitung, sondern um den Wirtschaftsteil." Bea sieht tatsächlich ein bisschen gekränkt aus.

    „Was macht das für einen Unterschied?"

    „Einen großen. Mir ist egal, was für eine Zeitung ein Mann liest, Hauptsache er interessiert sich für mehr als nur für den Wirtschaftsteil. Bea schiebt sich energisch eine dunkle Locke aus dem Gesicht. „Niemand, der ein einigermaßen netter Mensch ist, liest ausschließlich den Wirtschaftsteil.

    „Björn liest nur die Politikseiten."

    „Okay, mit Björn hast du auch das große Los gezogen. Wie der es mit dir aushält, ist mir echt ein Rätsel."

    Das ist wieder so typisch Bea, dass mir die Luft wegbleibt. Es geht hier doch nicht um mich.

    „Du solltest mal wieder atmen, Jule. Sonst erstickst du noch. Und was sage ich dann den Kindern?"

    Innerlich zähle ich bis drei, dann sicherheitshalber noch weiter bis fünf und sage schließlich betont ruhig: „Richtig, und mein großes Los steht in zwei Monaten am Flughafen von Melbourne und sucht seine Familie."

    „Dann sag ihm doch, dass wir jetzt hier sind", schlägt Bea in versöhnlichem Ton vor.

    „Du verstehst es einfach nicht!"

    „Sieh es mal als Chance. Kanada! Das klingt doch aufregend, so nach Abenteuern und Wildnis. Und wenn es dir nicht gefällt, können wir immer noch nach Australien fliegen."

    „Wir? Falsch! WIR fliegen nirgendwohin. Die Kinder und ich reisen gleich weiter nach Australien. Aber du, du bleibst hier! Seit fünfunddreißig Jahren, seitdem ich dich kenne …" Ich will gerade loslegen, als ich hinter mir eine zarte Stimme höre.

    „Mama, die Koffer sind da, und Tim muss mal, und Jana schreit ihn an und …" Stina lässt sich schluchzend in meine Arme fallen. Auch das noch!

    „Ist schon gut, meine Kleine, ich komme sofort", flüstere ich.

    Dann drehe ich mich wieder zu Bea um, die sich voller Verständnis zu Stina hinabbeugt. „Mach dir keine Sorgen. Deine Mami ist ein bisschen gestresst. Das ist ganz natürlich. Geht ihr beide ruhig schon vor. Ich komme auch alleine zurecht."

    Angeblich soll Grün ja beruhigend wirken. Doch jetzt, in diesem Moment, mitten in der grün gekachelten kanadischen Damentoilette, unweit der bewaffneten Grenzbeamten in ihren grünen Uniformen, brodeln sehr beunruhigende Gefühle in mir auf. Am liebsten würde ich Bea erwürgen. Stattdessen nehme ich Stinas Hand, streichle sie sanft und gehe mit ihr zurück zu Tim und Jana. Bea folgt in sicherem Abstand.

    „Mam, ich glaube, unser Anschlussflug ist weg", schluchzt Jana. Ihre dreizehn Jahre sind von ihr abgefallen, und vor mir steht nur noch ein verzweifeltes kleines Mädchen neben ihrem Bruder und einem Berg Koffer.

    Dann ist der Flug eben weg. Das ist jetzt auch egal. Seufzend hocke ich mich hin und nehme meine drei Kinder fest in den Arm.

    „So, wir werden jetzt unsere Koffer auf einen Wagen packen, zum Schalter der Airline gehen und den Kuckucks, dabei sehe ich bewusst an Bea vorbei, „neue Flugtickets nach Australien besorgen.

    „Und was macht Bea?", fragt Stina.

    „Bea ist eine erwachsene Frau. Sie kann mit der nächsten Maschine nach Victoria weiterreisen oder tun und lassen, was sie mag. Es ist mir egal."

    Der letzte Satz ist mir nur herausgerutscht. Eigentlich will ich vor den Kindern nicht so bissig klingen. Es tut mir auch prompt leid, nicht wegen Bea, sondern wegen Tim, in dessen Augen sofort eine dicke Träne glänzt. Streit kann er nicht vertragen, besonders nicht, wenn es um Bea geht, die er aus irgendeinem Grund in sein kleines Herz geschlossen hat.

    „Aber …", schnieft er.

    Bea ist natürlich gleich zur Stelle. „Nein, ich bleibe selbstverständlich bei euch, mein Herzchen. In so einer Situation würde ich meine beste Freundin und ihre Kinder nie allein lassen."

    Ich schnaube, muss aber widerwillig feststellen, dass meine Wut bereits nachlässt. So ist es immer mit Bea. Sie bringt mich in die unmöglichsten Situationen, und nachher bin ich diejenige, die sich schlecht fühlt.

    Ohne ein weiteres Wort hole ich einen Gepäckwagen, lade die Koffer auf und schiebe sie gefolgt von den Kindern und Bea an einer Gruppe gelangweilt gähnender Zöllner vorbei, hinaus in die Halle.

    Vor dem Service-Schalter der Air Canada wartet bereits eine ganze Reisegruppe darauf, die Wut über ihr verlorengegangenes Gepäck an irgendeinen Mitarbeiter loszuwerden. Daher dauert es eine Weile, bis ich dem Mann am Schalter endlich unser eigenes Problem erklären kann.

    Mit unbewegtem Lächeln wartet er geduldig, bis ich ihm die ganze Situation erklärt habe.

    „We need to get there, schließe ich. „Mein Praktikum beginnt zwar erst im September, aber wir wollen vorher noch Urlaub machen. Und das Apartment ist bereits bezahlt. Sogar das Auto steht schon in der Garage.

    Das Lächeln muss in seinem Gesicht festgefrorenen sein, vermutlich liegt es an der kanadischen Kälte. Trotz meiner dramatischen Geschichte hat es sich nicht einmal um einen halben Millimeter bewegt.

    „The next flight to Melbourne leaves, er tippt etwas in seinen Computer, „heute Abend um elf Uhr fünfundfünfzig.

    „Wunderbar, den nehmen wir."

    „Good, who is traveling?"

    Wer nach Australien reisen möchte? Ich lasse meinen Blick über meine drei Kinder schweifen und bleibe an Bea hängen, die Tim und Stina gerade mit irgendeiner abstrusen Geschichte über eine Maus, die jahrelang unter dem Küchenschrank ihrer Mutter gehaust hat, unterhält. Wie schafft sie es nur, sogar meinen kleinen Zappelmax zur Ruhe zu bringen?

    Ich seufze. „Wir alle. Meine drei Kinder, meine Freundin und ich."

    Das Gesicht des Air Canada Mitarbeiters klart für einen winzigen Moment auf. „Sind das Ihre gemeinsamen Kinder?"

    „Was?" Vielleicht hängt meine Leitung nach dem langen Flug ein wenig durch. Habe ich den Mann richtig verstanden? Hält er uns, also Bea und mich, für ein Paar?

    „Good heavens, no!, rufe ich erschrocken. „Mein Mann, also der Vater der Kinder, ist noch in Deutschland. Eine lesbische Beziehung ist das eine. Aber Bea als Partnerin würde mich in den Wahnsinn treiben. Trotzdem hätte ich mich vielleicht lieber, zumindest für fünf Minuten, dem trauten Glück mit Bea hingegeben. Doch dafür ist es jetzt zu spät.

    Das warme Lächeln meines Gegenübers ist bereits wieder auf unter Null abgekühlt. „In diesem Fall brauche ich alle Pässe, Geburtsurkunden für die drei Kinder, auf denen jeweils die vollständigen Namen des Vaters und der Mutter angegeben sind, sowie eine Einverständniserklärung des Vaters mit Beglaubigung von einem Amt oder Notar."

    „Wie bitte?"

    „Einen Vordruck für den letter of consent können Sie auf der Webseite der Regierung unter travel.gc.ca herunterladen."

    Etwas verwirrt reibe ich mir den Nacken, drehe mich auf der Suche nach Hilfe zu Bea um, erkenne, dass sie noch nicht aus ihrer Maus-Geschichte aufgetaucht ist, und wende mich wieder an den Service-Mitarbeiter.

    „Äh, aber …"

    Abgesehen von seinem tiefgekühlten Lächeln verschwendet er keine weitere Mühe an mich.

    „Aber wieso?, stammle ich. „Ich meine, natürlich ist mein Mann einverstanden. Wir sind ja auf dem Weg nach Australien. Dass wir hier gelandet sind, ist nur ein Missverständnis.

    „Natürlich. Dann wird es ja kein Problem sein, die Dokumente zu bekommen."

    „Kein Problem? Natürlich ist es ein Problem. Die Geburtsurkunden der Kinder sind in Deutschland. Mein Mann ebenfalls. Dort ist es jetzt … Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Doch die zeigt bereits die kanadische Zeit. „Keine Ahnung. Nachts jedenfalls.

    „Wenn Sie Tickets haben möchten, brauche ich die Dokumente."

    Wenn ich nicht eben einen Anfall von Sympathie in seinen Zügen entdeckt hätte, wäre ich spätestens jetzt davon überzeugt, mit einem menschen-ähnlichen Roboter zu sprechen, der mittels moderner Technik seine Lippen zu einer Computerstimme formt.

    „Kann mein Mann die Unterlagen e-mailen?"

    Der Roboter schüttelt den Kopf.

    „Faxen?"

    „Sorry. Wir brauchen die Originale."

    „Und wie sollen wir bis heute Abend die Dokumente beschaffen?"

    „Das ist Ihre Sache, Ma’am. Ohne die Dokumente kann ich Ihnen keine Tickets verkaufen."

    „Aber …"

    „Am besten klären Sie das in Ruhe. Air Canada bietet jeden Tag einen Flug nach Melbourne an. Sobald Sie die nötigen Dokumente beisammen haben, können Sie die Tickets ganz bequem über unsere Hotline buchen."

    Im Gegensatz zum Grenzbeamten winkt der Air Canada Mitarbeiter nicht sofort die nächsten Kunden heran, sondern wartet mit der Geduld einer Maschine, bis ich meinen Verstand zumindest soweit unter Kontrolle gebracht habe, dass ich meine Zettel einsammeln und mich selbstständig von seinem Schalter abwenden kann.

    „Was ist los, Mam?, erkundigt sich Jana. „Wann geht der Flug?

    „Heute Abend."

    „Aber?", erkundigt sich Bea.

    „Aber er geht ohne uns", quetsche ich mühsam hervor, weil ich mich gleichzeitig bemühe, vor den Kindern möglichst zuversichtlich zu erscheinen. Sie sollen sich keine Sorgen machen. Mami hat alles im Griff.

    „Oh. Bea überlegt kurz, dann strahlt sie. „Super. So haben wir noch ein bisschen Zeit, uns in Vancouver umzusehen und den kanadischen Sommer zu genießen.

    Genießen? Das kann auch nur von Bea stammen. Schweigend dränge ich mich an ihr vorbei, übernehme den Gepäckwagen und schiebe ihn, gefolgt von meinen Kindern, zum Ausgang.

    „Also, wer kommt gleich mit zum Strand?", höre ich Bea von hinten rufen, als sich vor mir die Türen öffnen und den ersten Blick auf das sommerliche Vancouver freigeben.

    Viel sehen kann ich allerdings nicht. Denn draußen regnet es in Strömen.

    „Soweit zur kanadischen Sonne", denke ich laut und sehe mich nach dem Taxistand um, während der einmal ins Rollen geratene Gepäckwagen mich hinter sich her die Straße hinab zieht.

    „Hier drüben", ruft Bea. Als ich es endlich schaffe, den Wagen zu stoppen, und mich umdrehe, entdecke ich sie etwa fünfzig Meter zur anderen Richtung vom Ausgang entfernt. Sie hat die Tür eines dunklen Mini-Busses aufgerissen und Tim samt seinem Hai bereits auf einen der hinteren Plätze verfrachtet.

    Der Fahrer des Großraumtaxis, ein Inder mit orangefarbenem Turban, steht etwas hilflos neben seinem Wagen, während ein junger Mann mit offenbar asiatischen Wurzeln und einer obligatorisch grünen Uniform an einer Schlange wartender Menschen und Koffer vorbei auf Bea zu eilt.

    Oh, nein! Leider bin ich mit dem schweren Gepäckwagen nicht ganz so wendig wie meine Freundin. Bevor ich den Wagen auch nur gewendet und durch die nächste Pfütze gewuchtet habe, hat der Taxi-Stand-Beauftragte Bea erreicht.

    „I need you to wait for your turn", ruft er laut.

    Bea starrt ihn kurz und verständnislos an und wendet sich dann ab, um auch Stina in den Wagen zu helfen.

    „Ich glaube, wir müssen uns hinten anstellen." Janas Blick irrt verunsichert zwischen Bea, dem Mann in Uniform und mir hin und her.

    „Es tut mir leid, wir kommen aus Deutschland", versuche ich eine Entschuldigung, als ich meine Familie endlich erreiche. Damit überlasse ich Bea den Gepäckwagen und mache mich daran, meine Kinder wieder aus dem Taxi zu befreien.

    „Ah, sagt der Mann und sein Gesicht leuchtet auf. „Germany. Autobahn. Er nickt wissend und mimt mit den Händen ein Lenkrad.

    „Genau, Autobahn." Bea strahlt.

    „Fahrvergnügen. German Fahrvergnügen auf Autobahn. 250 kilometers per hour."

    „Nee, nicht mit Jule. Sie deutet auf mich. „Sie ist immer ein bisschen vorsichtiger. 130 maximal.

    „Ja, und dafür komme ich an. Und zwar dort, wo ich hin will", fauche ich.

    „So ist es", stimmt Bea bestens gelaunt zu und begibt sich artig auf den letzten Platz der Warteschlange, die unter einem langen Baldachin verläuft. Gegen Regen und Wind geschützt beobachtet sie geduldig, wie ich erst Stina, dann Tim aus dem Wagen hebe, mich mit dem Hals im Sicherheitsgurt verfange und fluche, weil ich bei dem Versuch mich zu befreien mit dem rechten Fuß ins Rinnsal neben dem Bordstein trete. Völlig überflüssig, wie sich herausstellt. Denn zehn Minuten später sitzen wir genau in demselben Großraumtaxi, aus dem ich Stina und Tim gerade herausgezogen habe, und folgen dem Verkehr vom Flughafen in Richtung Innenstadt.

    „Tja, das hätten wir einfacher haben können, kommentiert Bea und verzieht das Gesicht. „Und jetzt?

    Ich habe keine Ahnung. „Wir brauchen eine Unterkunft bis Björn die Unterlagen geschickt hat. Kennen Sie ein kleines Hotel, vielleicht am Strand?", frage ich den Fahrer auf Englisch.

    Der Mann wiegt seinen Turban.

    „Nur nicht zu teuer." Da ich das Apartment in Melbourne bereits für die vollen sechs Monate vorab bezahlen musste, gleicht mein Bankkonto einer Wüste.

    „Ich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1