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Achtung, MÄNNERABEND!: RENE WALTHER lernt die Liebe
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Achtung, MÄNNERABEND!: RENE WALTHER lernt die Liebe
eBook534 Seiten7 Stunden

Achtung, MÄNNERABEND!: RENE WALTHER lernt die Liebe

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Über dieses E-Book

Der Mittvierziger Rene trifft sich mit seinem langjährigen Kumpel Andy Strauch zum üblichen Männerabend. Die beiden kennen sich seit der Teenagerzeit. Sie lernen sich kennen, als Rene damals als Sechzehnjähriger von seiner kleinen Provinzschule nach Hamburg wechselt. Von nun an wird sein vorher eher beschauliches Teenagerleben ganz schön aus den Angeln gehoben. Neue Freunde, Drogen, Subkultur und erste sexuelle Erfahrungen prasseln auf den jungen Rene ein. Genau in dieser Phase lernt er in einem Kurzurlaub auf Fehmarn Kirsten kennen. Er verliebt sich Hals über Kopf! Schlägt auch ihr Herz für ihn? Die Erinnerungen an ihren holprigen Weg zum Erwachsenwerden und die Frage nach dem Geheimnis der glücklichen Liebe macht den gewöhnlichen Männerabend der beiden Freunde zu einer Reise in die Vergangenheit.

Achtung, Männerabend! macht den Auftakt zu einer mehrteiligen Reihe, die Rene Walthers Suche nach der großen Liebe in humorvoller Art nachzeichnet und dabei Einblicke in sein Seelenleben gewährt. Es geht dabei um Freundschaft, Liebe, Sex, Mut, Loyalität, ein bisschen um Fußball und ganz viel Rock & Roll! Und natürlich um die immerwährende Frage nach der Essenz unseres Lebens.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Sept. 2014
ISBN9783847696346
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    Buchvorschau

    Achtung, MÄNNERABEND! - Mick Rainer

    Widmung

    für meine Großeltern:

    Vielen Dank für die Zeit, die ich mit Euch verbringen durfte. Habt Spaß, wo auch immer Eure Seelen jetzt wandeln mögen.

    für Hermann Rieger:

    Burschi, wir vermissen Dich! Die gute Seele unseres Vereins ist leider für immer von uns gegangen. In unseren Herzen lebst Du aber ewig weiter!

    Die gute alte Zeit

    Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist."

    Johann Wolfgang von Goethe

    Freitag, 18:47 Uhr: Andy und ich sitzen auf dem Balkon seiner Wohnung und beobachten bei einem kühlen Blonden, wie die Hauptzutat unseres Abendessens langsam Farbe bekommt. Die Aromen verbreiten sich rasch und steigern schnell die Vorfreude auf eine schöne deftige Männermahlzeit. Es ist bisher ein recht sonniger und milder Tag im September. Ideale Voraussetzungen also, um auf Andys in die Jahre gekommenen Grill leckere Burger zu brutzeln.

    „Hey Rene, willst du noch ‘ne Hopfenkaltschale?" Andy deutet dabei auf mein leeres Glas.

    „Ach weißt du, auf einem Bein kann man ja nicht stehen!"

    „Prima, dann mal her mit dem Humpen!"

    „Andy, das wird wohl heute ein Spiel, das wir uns wieder schön trinken müssen."

    „Das befürchte ich auch! Kannst du mal schauen, wie weit unsere Burger sind?"

    Ich werfe einen Blick auf den Grill und wende diese leckeren 250 Gramm schweren Hackfleischteile, dessen Rezeptur wir über die Jahre immer weiter verfeinert haben. Im Freundeskreis erhalten wir für unsere Burger die größte Anerkennung.

    „Wow, die sehen echt gut aus! Ich packe jetzt den Käse drauf. Du kannst schon mal die Brötchen in den Ofen schieben!"

    Apropos Andys Backofen, der hat seine ganz eigene Geschichte und führt quasi ein autarkes Dasein. Ich bin der festen Überzeugung, dass seine Backröhre seit seinem Einzug vor inzwischen 18 Jahren nie ernsthaft von ihm gereinigt wurde. Dieser Ofen hat nicht, wie gewöhnlich eine Klappe, sondern kann wie eine Schublade auf und zu geschoben werden. Über die Jahre hat sich unten in der Lade so einiges angesammelt. Dort liegen schätzungsweise mehrere Lagen Aufbackpommes, Generationen von verbrannten Käseresten, Brotkrümel mit unterschiedlichem Bräunungsgrad und so einiges Undefinierbares aus nunmehr drei Jahrzehnten. Andy glaubt wahrscheinlich durch die Hitze des angeschalteten Ofens an einen Selbstreinigungsprozess, bei dem die gesammelten Exponate nach jedem weiteren Backgang irgendwann verbrennen, so dass sie sich wieder in Luft auflösen. Nach dem Motto: „Asche zu Asche und Staub zu Staub!"

    Freitag, 18:51 Uhr: „So, in zwei Minuten ist das Fleisch fertig. Haben wir alle Zutaten und Saucen auf dem Tisch?" Ich schaue zu Andy herüber, der mit gehobenen Daumen meine Frage beantwortet und sich danach voller kindlicher Vorfreude die Hände reibt.

    „Sieht gut aus! Die Gläser sind gefüllt, die pappigen Burgerbrötchen sind aus dem Ofen, nun fehlen nur noch die fleischigen Hauptdarsteller."

    „Na Andy, dann reich mal deinen Teller rüber, es geht jetzt los", meine ich und packe ihm den Traum eines jeden Hackfleischliebhabers mit einer doppelten Schicht geschmolzenen Edamer auf seinen Teller.

    Während wir den Ersten, unserer jeweils zwei Mega-Burger, vertilgen, wird das genüssliche Schweigen ab und an durch herzhaftes Rülpsen unterbrochen. Das ist einer der Vorteile, wenn Männer unter sich sind und sich zudem sehr lange kennen. Wir müssen kein rücksichtsvolles Benehmen vorheucheln oder eine abgehobene Konversation über gesellschaftspolitische Themen führen. Wir verstehen uns auch ohne Worte. Wir sind aber durchaus in der Lage, besonders bei erhöhtem Alkoholpegel, gerne auch ausschweifend über das Leben zu philosophieren.

    Freitag, 19:23 Uhr: „Wie lange haben wir noch bis zum Anpfiff?", will ich wissen und nehme den letzten Bissen.

    „Etwa eine Stunde!"

    „Puh, jetzt bin ich aber echt satt! So ein saftiger Burger ist schon etwas Feines."

    „Allerdings, ich liebe Hack in allen Variationen", meint Andy immer noch begeistert von dem verputzten Abendschmaus.

    „Apropos Hack, kennst du diesen Song, der momentan auf YouTube die Runde macht?"

    Andy schaut mich interessiert an „Nö, wie heißt der denn?"

    „Der hat den grandiosen Titel: „Alles wird aus Hack gemacht. Den Link hat mir neulich ein Kumpel über WhatsApp geschickt. Ich hab mich fasst bepisst vor Lachen. Warte mal, ich zeig dir das Video!

    Ich hole mein Smartphone heraus und öffne den Clip.

    „Hier, schau mal!"

    Schon ertönt es aus dem Lautsprecher meines mobilen Alleskönners: „Entschuldigen Sie, haben Sie Cevapcici. Tut mir leid, wenn ich glotze... schöne Königsberger Klopse... hey was geht... haben Sie Hacksteak... mach mir Chili con Carne... ich will ‘ne Hackfahne... in Blankenese... essen sie Bolognese... hör mal zu du Klappsparten... ich will jetzt ‘nen Hackbraten... oder Frikadelle... sonst kriegst du ‘ne Schelle... ich werd gleich zum Attentäter... und aus Hackepeter wird Tage später... alles wird aus Hack gemacht... Oh Baby, alles wird aus Hack gemacht..."

    Im Video sind zwei Typen frontal am Steuer eines Autos zu sehen, die voller Inbrunst ihren Hack-Song singen.

    „Guck dir die beiden Spastis an!, sagt Andy lachend und ergänzt: „Hey Rene, der Linke hat die gleiche Frisur wie du früher, vorne kurz und hinten lang.

    „Dafür sieht der Rechte mit seinem Milchbubi-Gesicht deinem damaligen Konterfei ziemlich ähnlich", kontere ich.

    „Naja, gewöhnungsbedürftig sahen wir früher beide aus, allerdings jeder auf seine eigene Weise."

    „Aber wir hatten damals mindestens genauso viel Spaß, wie die beiden Verstrahlten hier!"

    „Stimmt, liegt wahrscheinlich daran, dass man so vieles zum ersten Mal ausprobiert hatte und unser Freundeskreis ein ziemlich schräger Haufen war."

    „Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir in der ersten Zeit an den Wochenenden mit dem himbeerroten Golf deiner Mutter unterwegs waren?"

    Andy schmunzelt bei dem Gedanken an unsere Spritztouren.

    „Ich erinnere mich, Rene! Auch an die schrägen Mixtapes bei unseren Partyausflügen, die waren echt legendär. Einige davon müsste ich noch in irgendeiner Schublade herumliegen haben. Leider ist mein alter Kassettenrecorder kaputt, um die Dinger abzuspielen."

    „Das wäre echt witzig! Die Achtziger waren musikalisch der absolute Hammer! Das finde ich heute noch."

    „Für mich das vielseitigste Jahrzehnt in Sachen Mode, Musik und Lifestyle!" Ich teile Andys Ansicht zwar, schaue ihn aber etwas verwundert an, weil er damals, als wir uns kennenlernten, alles andere als eine Stilikone war.

    „Naja, dein Musikgeschmack war anfänglich genauso mies, wie die Klamottenkombis, die du getragen hast", lästere ich.

    „Ich pflegte halt einen ganz eigenen Stil."

    „Genau Andy!" Ich schüttle schmunzelnd den Kopf.

    „Jaja, grinst Andy und lümmelt sich lässig in einen Stapel Kissen auf seiner Couch. „Ist halt alles Geschmackssache, Rene!

    Freitag, 19:31 Uhr: „So lass mal kurz abräumen, bevor die Vorberichterstattung zum Spiel beginnt", sage ich mit einem Blick auf den vollgemüllten Tisch und einem zweiten auf die Uhr gerichtet.

    „Du hörst dich ja an, wie meine Mutter!"

    „Du musst hier ja nachher auch nicht pennen", begründe ich meinen plötzlichen Anflug von hausfraulichem Pflichtbewusstsein. Andy schaut mich nur missmutig an.

    „Ich hab keinen Bock!", weigert er sich und lässt sich demonstrativ noch tiefer in die Kissen sinken.

    „Los jetzt, du fauler Sack! Ich mach das nicht alleine. Außerdem habe ich kein Bedürfnis danach, morgen früh aufzuwachen und von den stinkenden Essensresten begrüßt zu werden. So, auf geht’s! Solange wir noch nüchtern sind!" Schwerfällig erhebt sich Andy von seinem Platz und folgt meiner nachdrücklichen Bitte, ohne weitere Widerworte abzusondern. Er zeigt mit dieser großzügigen Geste, dass er doch ein liebenswerter Gastgeber sein kann.

    In guter, alter Tradition hat es sich über die Jahre eingebürgert, dass ich bei Andy auf dem Sofa übernachte, wenn wir einen unserer Männerabende bei ihm abhalten. Die Fahrerei nach Hause verlege ich lieber nach einem ordentlichen Frühstück auf den nächsten Tag. Außerdem wäre es etwas mühsam, aufgrund des vorangegangenen Alkoholkonsums mit öffentlichen Verkehrsmitteln nachts die Heimreise anzutreten. Andy wohnt noch immer in dem netten Vorort, wo er auch aufgewachsen ist. Sein Wohnort Wentorf liegt direkt an der südöstlichen Hamburger Stadtgrenze und ich muss nach Winterhude. Alleine das ewige Umsteigen macht die Fahrt nach Hause mit Bus und Bahn äußerst umständlich und ein Taxi ist auf dem Dorf mitten in der Nacht am Wochenende auch schwer zu bekommen. Also ist das Sofa für die Nacht die beste Alternative.

    Noch ein Wort zu meinem Kumpel Andy! Er ist schon ein eigenwilliger Charakter, aber stets ein loyaler Freund. Mittlerweile sind wir beide jenseits der Vierzig und wir kennen uns seit dem Teenageralter. Unsere aufrichtige Männerfreundschaft entwickelte sich während der gemeinsamen Zeit auf dem Wirtschaftsgymnasium. Zunächst konnten wir sehr wenig miteinander anfangen. Die Schnittmenge unserer Gemeinsamkeiten war sehr überschaubar und unsere Ansichten stimmten so gar nicht überein. Ich kam aus der Mittelschicht – beide Eltern arbeiteten, waren SPD-Stammwähler und wir lebten in einem modernen Reihenhaus. Andy stammte hingegen aus recht betuchten Verhältnissen, was man ihm heute im positiven Sinne aber überhaupt nicht anmerkt. Sein Vater war – schon wie der Großvater - zu seiner aktiven Zeit Direktor einer sehr erfolgreichen Hamburger Privatbank und hält noch heute einige Anteile an dem Unternehmen. Seine Mutter war eine herzensgute Frau, die sich als Oberklassenhausfrau - dank entsprechendem Personal – mehr um die gesellschaftliche Stellung der Familie als den eigentlichen Haushalt kümmerte, hingebungsvoll ihren Hobbys frönte und ihren einzigen Sprössling nur so mit Mutterliebe überhäufte, was Andy insbesondere als Heranwachsenden wenig behagte.

    Freitag, 19:47 Uhr: Trotz Andys kurzzeitiger Intervention befreien wir den Wohnzimmertisch rasch von den Überresten unseres üppigen Abendessens. Anschließend setzen wir uns wieder auf seine gemütliche Eckcouch. Jeder nimmt seinen angestammten Platz ein und wir prosten uns mit einem frischgezapften Bier in der Hand zu. Wir trinken einen kräftigen Zug unseres herrlich kühlen Gerstensaftes.

    „Du Andy, ich glaube, das wird mein letztes Bier für heute."

    „Was schwebt dir denn als Alternative vor?"

    „Ich steige nachher auf Cuba Libre um!"

    „Gute Idee! Meine Geschmacksknospen sehnen sich auch nach einem frischen Impuls." Es ist unstrittig, dass ein schöner Rum mit Cola, einem kleinen Schuss Lemon Squash, einer Viertel Limette und vielen Eiswürfeln wesentlich aufregender schmeckt als einfaches Bier.

    „Was gibt dein Sortiment denn heute so her. Hast du irgendeinen neuen Knaller dabei?"

    „Hey Rene, ich glaube schon! Obwohl es immer schwieriger wird, dich mit seltenen Schätzen aus der spirituellen Welt des Hochprozentigen zu überraschen."

    „Na mein Lieber, stell dein Licht mal nicht unter den Scheffel!"

    „Vielleicht habe ich da diesmal wirklich ein schönes Schlückchen für uns. Kennst du den Blue Mauritius?"

    „Nein, von dem habe ich noch nie etwas gehört."

    „Der wird dir richtig gut gefallen."

    „Da bin ich aber neugierig. Andy, zeigst du mir mal die Flasche, bitte!"

    Andy holt den edlen Tropfen aus der Barabteilung seiner 30 Jahre alten, aus feinstem Kirschholz gearbeiteten, Schrankwand. Er gibt ihn mir und ich ziehe den Korkverschluss aus der Flasche. Fruchtige Noten von tropischen Früchten und Schokolade steigen mir in die Nase.

    „Wahnsinns-Bouquet, schöne Aromen!", sage ich begeistert.

    Andy lächelt und meint: „Der schmeckt auch so vollmundig, wie er riecht, da können wir uns nachher wirklich auf ein feines Tröpfchen freuen."

    Die Begeisterung für hochwertigen Rum begann bei uns vor mehr als 15 Jahren nach einer gemeinsamen Reise in die Karibik. Seit dieser Zeit haben wir eine Menge unterschiedlicher Rumsorten verkostet und können mit Fug und Recht behaupten, dass wir auf diesem Gebiet ein ansehnliches Wissen und einen feinen Gaumen entwickelt haben.

    Freitag, 20:11 Uhr: Während wir uns fachmännisch in die Analyse des destillierten Zuckerrohrsaftes begeben, kommt mir ein spontaner Gedanke und ich fange an, zu lachen.

    „Du Andy, wie wir hier mit unseren Probiergläsern sitzen und den Rum verkosten, merkt man echt, dass wir älter geworden sind. Früher war uns scheißegal, wie der Stoff geschmeckt hat. Hauptsache, er hat ordentlich geknallt."

    „Oh Gott ja, was waren wir für ignorante Arschlöcher. Selbst guten Alkohol haben wir nur in uns reingeschüttet."

    „Stimmt! Wenn ich da an die Plünderung der Hausbar deines Vaters denke. Hihi! Genuss war damals für uns wirklich ein Fremdwort!"

    „Das erinnert mich an die legendären HP-49-Parties", grinst Andy.

    HP-49 war kein Club oder irgendeine Disco. Nein, es war die Abkürzung für Hansa Pils zu 49 Pfennig, das es beim Aldi gab. Es war eine sehr günstige Alternative, große Mengen Bier für wenig Geld zu bekommen, da wir nicht immer unbemerkt die Bierkisten unserer Eltern plündern konnten.

    „Oh ja, und diese netten Trinkspiele auf der Oberstufenfahrt waren auch sehr spaßig, besonders mit den Mädels", schwelge ich in meinen Erinnerungen.

    „Stimmt! Aber, eins muss ich sagen, wir waren damals echte Gentlemen und haben solche Situationen mit besoffenen Mädchen nie in irgendeiner Hinsicht ausgenutzt."

    „Das stimmt Andy, da gab es üblere Typen als uns."

    Wir waren als Jugendliche in Bezug auf Mädchen ziemlich schüchtern. Was sich allerdings relativ schnell gelegt hatte, weil wir rasch lernten, wie wir unsere Hemmungen in den Griff bekamen. Die einfache Formel hieß für uns: „Alkohol!" Normalerweise waren es die Sprücheklopfer und Draufgänger, die damals bei den Mädchen punkteten. Wir hatten nie begriffen, warum die größten Hohlbratzen die hübschesten Mädels abbekamen. Diese Typen hatten weder Witz, noch Intellekt und besonders gut sahen sie in unseren Augen auch nicht aus. Allerdings mussten wir zugeben, dass sie eines hatten, was wir halt nur angetrunken aufbringen konnten. Sie hatten den Mut, einfach drauflos zu quatschen und waren ihre Anmachsprüche noch so plump. Im nüchternen Zustand waren wir viel zu ängstlich, einen Korb zu riskieren oder wir haben einfach zu lange gewartet. In diesen Situationen kamen uns die Nebenbuhler meist zuvor.

    Als pubertierender und hormongesteuerter Teenager fiel es mir sichtlich schwer, richtig einzuordnen, welches Mädchen sich ernsthaft für mich begeisterte. Die Signale mussten schon sehr eindeutig sein. Eine typische Situation aus meiner Jugend hatte ich mit einer Freundin von mir. Sie hatte eigentlich einen festen Lover, war aber heimlich in mich verliebt und ich in sie. Keiner von uns beiden war sich allerdings sicher, ob der andere genauso empfand. Als eigentlich alles passte, verzettelten wir uns in Streitereien und keiner von uns hatte den Mut, seine Gefühle dem anderen zu offenbaren. Die Erkenntnis darüber kam uns beiden viel zu spät. Ein klarer Fall von „hätte ich bloß...". So schlimm, wie ich es jetzt beschreibe, war es übrigens nicht immer. Ich durfte dann auch als Teenager noch manche Erfahrungen mit Mädchen sammeln. Darunter waren sehr viele schöne, ein paar abgefahrene und einige schwierige Momente.

    Andy und ich pflegen in der Nachbetrachtung unserer Jugend gerne das Image der unverstandenen Antihelden. Diese Betrachtungsweise entbehrt zwar jedweder Realität, aber wen interessiert das schon, wenn sich in der Erinnerung die Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit langsam verklärt. Letztlich war und ist es für jeden in dieser schönen Welt nicht einfach, die wahre Liebe für sich ausfindig zu machen. Naja, bei Andy hat die Suche auch in der Gegenwart noch nicht aufgehört, endlich Mrs. Right zu begegnen. Vielleicht erfahre ich ja heute noch etwas Neues über seinen Liebesstatus. Bei den ganzen Online-Dating-Portalen heutzutage ist die Wahrscheinlichkeit doch um einige Prozentpunkte gestiegen, die Frau fürs Leben zu finden. Obwohl ich mir häufiger die Frage stelle, ob der Mensch von seinem Naturell her für eine monogame Beziehung eigentlich geschaffen und Treue nur aus Mangel an Alternativen oder wirtschaftlichen Erwägungen ein viel beschworenes Lebensmodell ist? Aber ich merke gerade, dass ich abschweife.

    Freitag, 20:23 Uhr: „Du Rene, kannst du mir mal eine Frage beantworten?"

    „Und die wäre?"

    „Warum ist es so schwierig, eine Frau zu finden, bei der sich alles richtig anfühlt und es auch so bleibt, selbst nach vielen Jahren? Für mich sind Frauen einfach undurchschaubar. Diejenigen von ihnen, die ich unbedingt wollte, bekam ich zu selten und wenn doch, dann entpuppten sie sich zu meist als Nieten. Andere hingegen waren wie die Kletten, wenn man ihnen nur einmal den kleinen Finger reichte. Irgendwie zieht sich das bis heute wie ein roter Faden durch."

    „Naja, darauf eine passende Antwort zu geben, ist wirklich schwierig. Bei mir hat es ja auch viele Jahre gedauert." Ich zucke nur mit den Schultern, weil es aus meiner Sicht keine generelle Antwort zu dem Thema gibt.

    „Tja!, stöhnt Andy. „Die Romantikvorstellungen der Frauen, wie sie in diesen billigen Hollywood-Schmonzetten dargestellt werden, konnte ich noch nie nachvollziehen. Das Frauen immer gleich einen Ring an den Finger gesteckt haben wollen, nur wenn man mal ein bisschen Spaß hat, ist für mich völlig unverständlich und unverhältnismäßig.

    „Vielleicht erwischt es dich eines Tages doch noch einmal. Ich habe eigentlich immer nur das bereut, was ich nicht gemacht habe", entgegne ich Andy und trinke den letzten Schluck aus meinem Bierglas. Er grinst.

    „Mir fällt da spontan eine Sache ein, die dir bestimmt leidgetan hat. Andy schaut mich herausfordernd an und legt los: „Was war damals kurz vor dem Abi mit der komischen Grit? Du hattest zwar versucht, die Affäre in der Schule zu verheimlichen, aber es wusste trotzdem jeder. Ich konnte nie begreifen, was an der so toll war. Im übrigen konnte das keiner.

    „Andy, vielleicht erzähl ich dir irgendwann mal, warum ich auch diese Erfahrung nie bedauert habe. Wenn du die Hintergründe kennen würdest, fiele dein Urteil vielleicht anders aus."

    „Trotzdem, wenn ich an die denke, fällt mir fast das Essen aus dem Gesicht! Aber ich bin gespannt, ob ich heute, 25 Jahre später, von dir über Grit etwas erfahre, was mich umstimmen würde."

    „Ja, ja! Die guten alten Zeiten. Wie sagte schon ein anderer großer Dichter: Erfahrungen sind dazu da, um gemacht zu werden. Und wenn du mir heute brav ganz viele leckere Drinks einschenkst, erzähle ich dir unter Umständen die wahre Geschichte über Grit und mich."

    „Naja, dann bin ich mal gespannt. Ich hätte die trotzdem nicht mal mit der Kneifzange angefasst."

    „Jetzt lass die Kirche aber mal im Dorf! So schlimm war sie nun auch nicht."

    „Ich meine ja auch nicht unbedingt optisch, aber ihre Art mochte ich gar nicht."

    „Mag sein, dass sie ein wenig verschroben war."

    „Naja, ist ja auch egal. Das ist so lange her."

    „Stimmt, und wer weiß, ob es unter anderen Gegebenheiten jemals zu dieser kurzen Liaison gekommen wäre! Es war damals eine sehr bewegte Zeit."

    Freitag, 20:29 Uhr: Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens holt Andy uns prompt wieder in die Gegenwart zurück.

    „Gleich fängt das Spiel an!"

    „Na, dann mach mal bitte den Ton lauter, damit ich auch den Kommentator hören kann."

    „Wieso? Hauptsache du kriegst meine wichtigen Anmerkungen zum Match mit."

    „Ich freu mich schon auf deine Sabbelei und unqualifizierten Zwischenrufe!" Wir grinsen uns gegenseitig an.

    Wenige Momente später ertönt der Anpfiff und wir beide schauen voller Spannung und mit großer Erwartung auf den Bildschirm.

    Glanz der Großstadt

    Das Leben an einem Ort ist erst dann schön,

    wenn die Menschen ein gutes Verhältnis zueinander haben."

    Konfuzius

    „Beep... Beep... Beep... Beep...", dröhnte mein elektronischer Wecker um 6:33 Uhr. Reflexartig ging meine Hand in die Richtung des nervtötenden Geräusches und suchte die Taste, um den sirenenartigen Alarm auszuschalten. Ich war es nach zweimonatiger Auszeit gar nicht mehr gewohnt, mich so früh aus dem Bett zu bewegen. Anfang Juni hatte ich meinen letzten Schultag an der Geesthachter Realschule absolviert. Nun begann ein neuer Lebensabschnitt für mich. Ich entschied mich für drei Jahre Verlängerung auf der Schulbank und schrieb mich im Sommer am Wirtschaftsgymnasium im Hamburger Stadtteil Bergedorf ein.

    Bevor meine Aufweckmaschine die zweite Runde einläutete, quälte ich mich aus den Federn und tapste schlaftrunken ins Bad. Es war jetzt zwanzig vor sieben und im Hause Walther herrschte schon Hochbetrieb. Meine Eltern saßen schon in der Küche und frühstückten. Mein jüngerer Bruder Philipp erledigte gerade seine Hausaufgaben, weil er am Wochenende seine Zeit sinnvoller verplant hatte. Mit fast dreizehn Jahren vertrat er die Auffassung, dass ihm die Sams- und Sonntage heilig waren. Philipp hatte schon damals das richtige Gespür für die perfekte Work-Life-Balance.

    Ich klappte den Klodeckel hoch und hockte mich auf die Schüssel, dort pennte ich etwa eine Viertelstunde weiter. Der frühe Morgen war die einzige Tageszeit, zu der ich mein kleines Geschäft im Sitzen ausführte. Anschließend freute ich mich auf die warme Dusche. Während ich mir mit mechanischen Bewegungen meine Haare wusch und den restlichen Körper einseifte, schweiften meine Gedanken wieder ins Träumeland ab.

    Mein Unterbewusstsein freute sich riesig, endlich dem Kleinstadtmief zu entfliehen und die Luft der großen weiten Welt einzuatmen. Ich beendete meine Morgentoilette mit Zähneputzen und zog mich danach an.

    Kurz bevor meine Eltern sich auf den Weg zur Arbeit begaben, überreichten sie mir eine kleine selbstgebastelte Schultüte und wünschten mir, für meinen ersten Tag, viel Glück. Ich freute mich sehr über ihre Geste, obwohl sie anfangs nicht gerade davon begeistert waren, mir drei weitere Jahre Taschengeld zu bezahlen. Außerdem hatten sie noch die Mehrkosten für die Busfahrkarte zu tragen. Vorher fuhr ich ja immer mit dem Fahrrad zu meiner alten Schule.

    Nun stand ich also mit meinem gewöhnungsbedürftigen Look - ein im Sixties-Style anmutendes Jackett, weite Karotten-Jeans, schwarze Dreiloch-Martens und ein schlichtes schwarzes T-Shirt - an der Bushaltestelle und wartete. Wir hatten Montag, den 11. August 1986. Ich war viel zu früh dran. An meinem ersten Tag wollte ich nicht gleich zu spät kommen. Als der Bus endlich kam und ich einstieg, entdeckte ich einige bekannte Gesichter. Durch den regen Austausch während der 25-minütigen Bustour wusste ich schon, dass es aus meiner alten Schule keinen Mitschüler in meiner neuen Klasse gab. „Naja, dachte ich: „Vielleicht taucht doch noch ein bekanntes Gesicht aus meiner Vergangenheit auf. Aber auch diese Hoffnung starb, nachdem unsere Klassenlehrerin Frau Förster das Klassenzimmer zu Stundenbeginn betrat.

    Kurz vor unserer Lehrerin stürzte Nils in die Klasse und setzte sich mangels Alternativen auf den freien Platz rechts neben mir. Nils und ich hatten eine Gemeinsamkeit, wir hatten beide von allen Mitschülern die längsten Anfahrtswege zur Schule. Allerdings kam Nils mitten aus Hamburg, aus dem Stadtteil Bramfeld. Er hatte sich zu spät angemeldet, so blieb für ihn nur noch ein Schulplatz in Bergedorf. Damit hatte er mit öffentlichen Verkehrsmitteln jeden Tag eine ziemlich beschwerliche Anreise. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, obwohl uns Welten trennten. Er war der trendige City-Boy und ich das Landei.

    Da ich etwa zehn Kilometer östlich von Hamburg entfernt wohnte, nannten mich später viele aus Spaß „Zoni. Das Vorurteil wurde durch meinen unkonventionellen Kleidungsstil quasi noch verstärkt. Tatsächlich war die Innerdeutsche Grenze – der sogenannte eiserne Vorhang – nur etwa 20 Kilometer von Geesthacht entfernt. „Na, heute wieder ‘nen Visum für einen schönen Abstecher in den Westen bekommen? Bist du eigentlich bei der Stasi oder warum lassen sie dich täglich raus?, bekam ich morgens öfters von meinen lieben Klassenkameraden zu hören. Ich dachte mir, wenn die es so wollen, dann gebe ich dem Ganzen noch ein wenig Futter und trug am Revers meiner Jacke fortan einen roten Stern mit Hammer und Sichel. In einem Laden im Schanzenviertel besorgte ich mir einen knallroten Kapuzenpulli mit dem Aufdruck CCCP. Es war damals, zu Zeiten des kalten Krieges, das Länderkürzel der größten Ostblock-Nation, der Sowjetunion. Danach verstummten die morgendlichen Witze relativ geschwind und ich hatte wieder meine Ruhe.

    Unsere Klassenbezeichung lautete WG 11C und wir waren zu Beginn insgesamt 24 Schüler. Das übliche Einschulungsritual ließen wir im Haupttrakt der Schule über uns ergehen. Nach einer etwa zweistündigen Einführung, bei der wir unseren Stundenplan bekamen und uns gegenseitig vorgestellt hatten, wechselten wir in ein vom restlichen Schulgelände abgelegenes Gebäude, um unseren tatsächlichen Klassenraum zu beziehen. Der Bau stammte aus der Jahrhundertwende und hatte auch den Charme eines altehrwürdigen Gemäuers. Gegenüber war gleich die Waldorfschule. Für unsere weitere Schulzeit erwies sich der Auszug in die Dependance als wirklicher Volltreffer für eine kreative Pausengestaltung.

    Unser Klassenverband zeigte sich ziemlich schnell als sehr heterogener Haufen, was Ansichten, soziale Herkunft, Modestil, Musikgeschmack, Altersstruktur, Charakter und Leistungsniveau anging. Es war daher unvermeidbar, dass sich unterschiedliche Gruppen zusammenfanden. Durch Nils hatte ich das Glück, zunächst bei den coolen Kids zu landen. Bis zu den Herbstferien verschoben sich die Gruppen aber noch einige Male. In den ersten zwei Monaten erhielt die Klasse durch einige Ab- und Zugänge nochmals ein neues Gesicht. Die einen begannen kurzfristig dann doch eine Ausbildung oder hatten gemerkt, dass Wirtschaft nicht unbedingt ihre Obsession war.

    Ich hatte weiterhin auf der einen Seite Nils neben mir sitzen und auf der anderen Michael Hellmann. Dieser Michael war 17 Jahre alt und hatte etwas längere in der Mitte gescheitelte blonde Haare, einen dezenten Schnurrbart und war trotz seiner leichten O-Beine etwas größer als ich. Michael trug immer enge Jeans, hohe Turnschuhe, eine schwarze Lederjacke und stand auf Hardrock und Heavy Metal. Diese Tatsache brachte ihm unvermittelt den Spitznamen „Mettel" ein. Andy saß zu diesem Zeitpunkt neben dem charismatischen Ernst direkt vor dem Lehrerpult. Ernst und Andy waren die beiden Senioren in unserer Klasse. Andy war zu dem Zeitpunkt bereits 18 und Ernst sogar fast 19 Lenze jung. Die beiden hatten dadurch den Vorteil, dass sie sich für Fehltage und permanentes Zuspätkommen selbst die Entschuldigungen schreiben konnten, weil sie beide volljährig und damit nicht mehr schulpflichtig waren. Besonders Ernst nutzte diesen Umstand des Öfteren aus.

    Ernst war schon ein sehr spezieller Typ. Wir nannten ihn Ernie, damit hatte er auch überhaupt keine Probleme. Von den Lehrern mit Ausnahme von Frau Förster erwartete er allerdings, gesiezt und mit „Herr Meinhardt" angesprochen zu werden. Darauf wies Ernie den Lehrkörper auch in aller Regelmäßigkeit und mit entsprechendem Nachdruck hin. Er gehörte zu der Jugendgruppierung der Mods und stand auf Musik und Lifestyle der sechziger Jahre. Mit seinen guten Beziehungen war er auch unsere Bezugsquelle für nicht ganz legale Highmacher.

    Andy hingegen kleidete sich zu der Zeit wie ein 40-jähriger Banker mit Buntfaltenhosen, Poloshirts, feinen Lederslippern und er trug seine Haare relativ kurz mit einem schmierigen Seitenscheitel. Die Frisur wirkte aber alles andere als modern. Den Anspruch hatte Andy zu der Zeit ohnehin nicht. Es wirkte immer so, als ob Mutti ihm morgens noch die Klamotten für den Tag herauslegen würde. Die Verbindung, die Ernie, Mettel und ich hatten, war die Liebe zur Musik. Auch, wenn wir auf unterschiedliche Richtungen standen, so hatten wir doch eine Basis. Wir interessierten uns nicht für den Mainstream. Ich mochte sowohl die Musik aus den Sechzigern und Siebzigern aber auch Independent, Punk, New Wave und elektronische Musik. Meine Lieblingsbands zu der Zeit waren Depeche Mode, The Cure, U2, INXS, The Smiths, Deep Purple, Black Sabbath, Eric Burdon & The Animals, The Who, Queen, The Ramones, Pink Floyd, The Clash, Beastie Boys, Billy Idol, The Doors, The Yardbirds, Thin Lizzy, Gary Moore und die Rolling Stones, um mal einige bekanntere Beispiele meiner damaligen Helden zu nennen.

    Tja, wie passte Andy da jetzt hinein? Der Andy, der mir, mehr als 25 Jahre später, schräg gegenüber auf dem Sofa sitzt und sich tierisch über ein unnötiges Gegentor unseres Vereins in der 35. Spielminute ärgert. Sein Musikgeschmack beschränkte sich damals weitestgehend auf die Charts. Er stand ganz besonders auf Nena und Samantha Fox, aber nicht weil die beiden so wunderschön sangen, sondern weil sie ganz andere Vorzüge hatten. Ein Argument, das wir anderen durchaus nachvollziehen konnten. Außerdem war Andy der Einzige unserer Combo, der einen Führerschein und Zugriff auf einen fahrbaren Untersatz hatte. Mettel und ich durften altersbedingt noch nicht und Ernie sah für sich keinen Nutzen darin. Womit die Straßen für die anderen Verkehrsteilnehmer definitiv sicherer waren, da er ohnehin andauernd breit war.

    Schon verrückt, wie sich aus vier ganz unterschiedlichen Typen ein absolut eingeschworener Haufen formieren konnte. Wobei ich sagen muss, dass Ernie sehr häufig sein eigenes Ding durchgezogen hatte und wir an den Wochenenden oft nur zu dritt unterwegs waren. Es gab allerdings auch einige Mädchen aus unserer Klasse, mit denen wir öfters loszogen. Diese Abende gestalteten sich natürlich ganz anders, als unsere reinen Jungstreffen und hatten meistens nicht den erhofften Verlauf.

    Es gab zwei Mädchen in der Klasse, die ich beide unheimlich cool fand, obwohl sie total unterschiedlich waren. Die eine hieß Barbette. Sie hatte braun gelocktes, schulterlanges Haar, haselnussbraune Augen und einen besonders knackigen Hintern. Aufgrund ihres umwerfenden Aussehens und als gute Hockeyspielerin war sie äußerst selbstbewusst. Ihre Art sprach mich einerseits an, aber andererseits schüchterte sie mich auch unheimlich ein. Meine andere Favoritin war Friederike. Im Gegensatz zu Barbette hatte sie blonde lange Haare und blaue Augen. Friederike war sehr kommunikativ und offen. Sie hatte eine einnehmend freundliche Art im Umgang mit ihren Mitmenschen und ging vorbehaltlos auf jeden zu. Aufgrund der Tatsache, dass wir in der Schule ziemlich nahe beieinander saßen, kamen wir sowohl im Unterricht als auch in der Pause diverse Male ins Plaudern. Es entwickelte sich rasch ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns. Meine Wahl war getroffen.

    In der ersten Woche nach den Herbstferien saßen Andy, Friederike und ich auf dem Pausenhof zusammen und redeten darüber, am Wochenende mal gemeinsam auszugehen. Plötzlich tauchte Friederikes Sitznachbarin Marion aus dem Hintergrund auf und meinte mit einem vielsagenden Blick: „Na ihr, alles klar? Was für ein Thema habt ihr denn gerade am Wickel?"

    „Wir hatten uns überlegt, am Freitag mal gemeinsam ins Madhouse zum Tanzen zu gehen, strahlte Friederike. „Da bin ich doch dabei!, meinte Marion kurz entschlossen. Andy und ich warfen uns einen gequälten Blick zu. Marion war für uns natürlich nicht gerade die erste Wahl für einen netten Discoabend. Wir hatten eigentlich darauf spekuliert, dass Friederike eine Freundin von sich mitnimmt. „Klasse, das wird sicherlich ein schöner Abend, freute sich Friederike. Andy meinte nur: „Okay! Dann wäre das geklärt. Wo wollen wir uns zum Vorglühen treffen?

    „Kommt doch gegen acht bei mir vorbei, dann können wir noch ein schönes Sektchen köpfen", lud Friederike uns ein.

    „Das hört sich ja hervorragend an, sagte ich mit leicht ironischem Unterton und fügte flapsig hinzu: „Gibt es auch Bier bei dir, oder sollen Andy und ich noch etwas mitbringen?

    „Nee, Bier hat mein Vater auch immer da!"

    Andy grinste: „Wunderbar!"

    Als die Mädchen außer Hörweite waren und sicherlich schon über ihre Outfits für Freitagabend redeten, meinte Andy zu mir: „Lass uns um halb sieben bei mir treffen, meine Eltern gehen Freitag mit Freunden essen, dann können wir schon mal vorlegen, falls es bei Friederike nichts Vernünftiges zu saufen gibt. Die knallen sich doch bestimmt das süße Kopfschmerzwasser von Aldi rein und wir dürfen das lauwarme Bier von ihrem Alten schlürfen. Du kannst dann auch bei mir pennen, damit du nicht zurück in dein Dorf musst!"

    „Super, das hört sich gut an. Für die beiden im Doppelpack brauchen wir auch echt ‘n Bier mehr", wagte ich, zu prognostizieren.

    Marion war ein wirklich nettes und unkompliziertes Mädchen. Mit ihrer burschikosen Art, den etwas zu vielen Pickeln im Gesicht und ihren komisch geschminkten Augen stand sie nicht unbedingt im Verdacht, unsere Traumfrau zu sein. Wir mochten allerdings ihren Humor und ihre ungezwungene Art, daher versprach der Abend durchaus vergnüglich zu werden. Nur die von uns erträumte Knutscherei und Fummelei konnten wir uns in dieser Konstellation abschminken. Marion sendete zu wenig sexuelle Anziehungskraft aus und Friederike war eigentlich vergeben. Wir hatten uns eigentlich so schön ausgemalt, mit Friederike und ihrer Freundin Susi auszugehen. Die beiden wollten wir mit unserem unbändigen Charme und weltmännischer Coolness für uns begeistern, um anschließend ein wenig körperliche Zuwendung zu erhalten. So strichen wir diese Option - jedenfalls für den anstehenden Freitagabend -aus unseren Köpfen. Wir trösteten uns mit dem Gedanken, dass es im Madhouse sicherlich genügend brauchbares Material geben würde, wie Andy damals zu sagen pflegte.

    Um halb sieben erreichte ich das Haus von Andys Eltern.

    „Na, alles senkrecht?", begrüßte er mich.

    „Auf jeden! Ich hab dir eine Kleinigkeit mitgebracht."

    „Da bin ich mal gespannt. Hoffentlich keine elektrische Handmuschi von Beate Uhse, die sich anhört wie ein Rasierapparat aus den sechziger Jahren?!"

    „Nö, ich weiß ja, dass du so ein Teil schon dein Eigen nennst!"

    Ich kramte eine Musikkassette aus meiner Tasche hervor und gab sie Andy. „Hier bitte, als kleiner Opener für einen geilen Abend. Außerdem hast du damit endlich mal vernünftige Musik am Start. Mit dem Mixtape kannst du sogar bei Ernie und Mettel punkten!"

    „Das Ding hau ich gleich mal rein. Bier ist übrigens kaltgestellt."

    „Na, dann lass uns mal keine Zeit verlieren, in knapp einer Stunde müssen wir los!"

    Andy machte uns zwei Bier auf und wir lauschten dem ersten Titel meines Tapes, es war „Panic" von The Smiths.

    „Was für ein geiler Sound!, posaunte ich heraus, als die Lautsprecher die ersten Klänge absonderten. Andy meinte nur ganz trocken: „Das sollte ich von einer Stereoanlage für zehn Riesen erwarten können.

    Die Hifi-Komponenten von Andys Vater waren echt der pure Luxus und der Traum meiner schlaflosen Nächte. Ich hatte extra eine Leerkassette mit 120 Minuten Aufnahmekapazität verwendet, weil ich Andy ein ziemlich breites Spektrum meiner derzeitigen Lieblingsstücke näher bringen wollte. Er hatte wirklich null Ahnung von guter Musik, ließ sich aber sofort begeistern. Das Band war so aufgebaut, dass ich zum Einstieg einige softe und aktuelle Stücke aufgenommen hatte. Die meisten von ihnen klangen allerdings schon etwas gitarren- und basslastig. Im weiteren Verlauf kamen immer härtere Titel hinzu, ohne es allerdings auf die Spitze zu treiben. Ich wollte den guten Andy ja nicht gleich verschrecken und blieb bei zeitlosen Klassikern. Zum Ende der Kassette wählte ich etwas ruhigere Titel aus den Sixties und ein paar nette Blues-Stücke.

    „Spul mal bis Lied elf vor. Da kommt „Waterfront von Simple Minds! Der Titel hat ‘ne unheimlich geile Bass-Sequenz!, rief ich begeistert.

    Das Tapedeck von Andys Vater hatte die Funktion von Titellücke zu Titellücke zu spulen, ohne dass das Band lange vor und zurücklaufen musste, um den Liedanfang zu erwischen. „Wow, das klingt super!, begeisterte sich Andy. „Jetzt versteh ich auch, warum Ernie, Mettel und du so auf handgemachte Musik abfahrt. Der Bass knallt richtig rein! Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, dass Andy so positiv darauf reagieren würde. In der Folge verbrachten wir zahlreiche Musikabende miteinander, tauschten Platten und Kassetten und besuchten gemeinsam einige Konzerte. Er entwickelte sich zu einem richtigen Freak und war ein Meister im Luftgitarrespielen.

    Mixtape für Andy Oktober 1986:

    Seite 1:

    1 Panic 2:22 - The Smiths

    2 Fight for Ourselves 4:24 - Spandau Ballet

    3 Shout 6:34 - Tears for Fears

    4 Shout To The Top 4:20 - The Style Council

    5 Don't leave me this way 4:32 - The Communards

    6 The Swing 3:52 - INXS

    7 Pride 3:50 - U2

    8 Wild Boys 4:17 - Duran Duran

    9 Money for nothing 3:31 - Dire Straits

    10 That Was Yesterday 3:46 - Foreigner

    11 Waterfront 4:50 - Simple Minds

    12 Town Called Malice 2:54 - The Jam

    13 Rebel Yell 4:48 - Billy Idol

    14 The Final Countdown 5:08 - Europe

    Seite 2:

    15 Don't Break My Heart Again 4:04 - Whitesnake

    16 I Was Made for Lovin' You 4:31 - Kiss

    17 Should I Stay or Should I Go 3:08 - The Clash

    18 La Grange 3:52 - ZZ Top

    19 Paranoid 2:49 - Black Sabbath

    20 T.N.T. 3:34 - AC/DC

    21 Smoke on the Water 7:32 - Deep Purple

    22 Empty Rooms 4:17 - Gary Moore

    23 Rock 'n' Roll Rebel 5:28 - Ozzy Osbourne

    24 Mannish Boy 2:54 - Muddy Waters

    25 Paint It Black 3:46 - The Rolling Stones

    26 My Generation 3:19 - The Who

    27 When I Was Young 3:00 - Eric Burdon & The Animals

    28 Boom, Boom 2:27 - The Yardbirds

    29 Break On Through 2:28 - The Doors

    30 Gotta Move 2:32 - Alexis Korner & Blues Incorporated

    Nach drei Bier machten wir uns gut gelaunt auf den Weg zu Friederike, die etwa eine Viertelstunde fußläufig von Andy entfernt wohnte.

    „Ich bin mal gespannt, was das heute für ‘n Abend mit den beiden Mädels wird", meinte Andy mit einer gewissen Vorfreude.

    Wir bogen in die Straße ein, in der Friederike wohnte.

    Nach etwa hundert Metern kamen wir bei Hausnummer 48 an. „So, da sind wir auch schon!", sagte ich erleichtert, weil es etwas zu regnen begann.

    Wir standen vor einem schlichten Einfamilienhaus, das nicht besonders groß wirkte und wahrscheinlich irgendwann in den sechziger Jahren mehr oder weniger in Eigenregie gebaut wurde.

    „Dann lass uns mal klingeln", regte ich an, nachdem wir die Gartenpforte hinter uns ließen und nach 15 Metern eine schmale kurze Treppe hinaufschritten.

    „Hier wohnt Familie Jahn", stand auf dem selbstgebastelten Türschild über der Klingel. Andy drückte den Klingelknopf und nach knapp einer halben Minute öffnete sich die Tür. Vor uns stand eine Frau von etwa 45 Jahren und begrüßte uns freundlich.

    „Hallo, ihr seid also Andreas und Rene aus Friederikes Klasse."

    „Ja hallo, ich bin der Rene", sagte ich etwas schüchtern und Andy stellte sich ebenfalls kurz vor.

    „Ich werde Friederike gleich mal holen. Sie hat sicherlich das Läuten nicht gehört. Marion ist auch schon da. Aber nehmt doch erst einmal Platz, Jungs."

    Sie führte uns in ein kleines Wohnzimmer, wo bereits Friederikes Vater saß und uns argwöhnisch beäugte. Wir schüttelten ihm die Hand und stellten uns höflich vor. Andy und ich fühlten uns ein wenig deplatziert. Der kleine Raum erdrückte uns förmlich mit der dunklen im Gelsenkirchener Barock gehaltenen Einrichtung, die zudem völlig mit Nippes überladen war. Soviel schlechter Geschmack überforderte uns total. Ich dachte nur: „Hoffentlich kommt Friederike gleich runter und befreit uns aus dieser Situation."

    Ihr Vater war auch nicht gerade gesprächig und verspürte, nach meiner Einschätzung, ebenso ein Unbehagen, dass plötzlich zwei wildfremde Jungs in sein spießiges Refugium eindrangen und durch ihre bloße Anwesenheit seinen Feierabend störten. Schließlich lief gerade die Tagesschau und er wollte sicherlich

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