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Muttis Bester
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eBook261 Seiten2 Stunden

Muttis Bester

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Über dieses E-Book

"Meine Altersgenossen spielten noch Ticken, Fangen oder Cowboy und Indianer. Lächerlich! Ich dagegen hatte Bock auf Ringkämpfe und bereits zwei handfeste Kloppereien hinter mit. Ich wollte Klingelstreiche und Mutproben haben, Kaugummi oder Streichholzschachteln klauen und heimlich rauchen. Ich wollte die Gefahr, erwischt zu werden, im Nacken spüren. Kurz – ich wollte Scheiße bauen!"
Die Jugend eines Hamburg-Rahlstedter Jungen in den 70er-Jahren
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum11. Aug. 2016
ISBN9783741837753
Muttis Bester

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    Buchvorschau

    Muttis Bester - Jochen Werner

    Jochen Werner

    Muttis Bester

    Inhalt

    Prolog

    Scheiße

    Pille platt

    Testosteron

    Bismarck lebt!

    Stau

    Minka

    Schwindelig

    Rot-Weiß

    Sprötze

    Unerhört!

    HH – RP 368

    Katschi

    Wohin?

    Kein Ernteverlust

    v = s:t

    Pyromanie

    Silvester. 15 Uhr

    Zeven

    Geil! Oder?

    1 100 PS

    Hochsitz

    Wie du mir …

    Britta

    »Du masturbierst doch, oder?«

    Scham

    Vollgas

    Buße

    Impressum

    Prolog

    Ich lauschte.

    »Er gehorcht überhaupt nicht, egal, was ich ihm auftrage! Mal sein Zimmer aufräumen oder den Müll runterbringen? Nichts! Hausaufgaben? Pah! Ich musste schon zweimal zu seiner Schule hin, weil er wieder nichts dabei gehabt hatte. Und dann diese Lügen! Klar hätte er dies und das erledigt! Natürlich hätte er sich gekümmert! Und? Nichts, aber auch gar nichts hatte er erledigt!«, beklagte sich eine Nachbarin. »Klauen tut er auch! Das müssen Sie sich mal vorstellen! Er bekommt doch Taschengeld! Und wird beim Klauen erwischt! Drüben beim Spar-Markt! Und ich musste ihn dann da abholen! Ich! Die kennen mich doch! Da wird doch jetzt über uns geredet! Kriminelles Diebespack und so!« Sie schien den Tränen nahe. »Geraucht hat er auch schon! Das hab ich gerochen! Nach Qualm hatte er gestunken! Und wie! Er ist gerademal 14! 14! Das müssen Sie sich mal vorstellen! Und dann erzählt er immer, er war nur dabei! Die anderen hätten geraucht! Diese ewigen Lügen! Nichts als Lügen! Das bringt uns noch zur Weißglut!« Ihre Stimme bebte. »Wir geben uns allergrößte Mühe, glauben Sie mir! Alles tun wir für ihn! Und er? Er tritt unsere Gefühle mit Füßen! Er wechselt sogar die Straßenseite, wenn ich ihm entgegenkomme! Lungert im Dunkeln noch draußen rum, kommt nicht zur verabredeten Zeit nach Hause!« Tiefes Durchatmen, dann mit zittriger Stimme: »Wir überlegen schon, ihn in ein Heim zu geben! Für Schwererziehbare!«

    »Nein, das müssen Sie sicher nicht. Der wird schon noch!«, versuchte meine Mutter, sie zu beruhigen. »Das ist sicher nur so ’ne Phase. Da muss er halt erst mal durch und dann kommen auch wieder Einsicht und Vernunft zurück! Ganz sicher!«

    »Meinen Sie wirklich?« Die Stimme der Nachbarin klang etwas fester. »Aber es geht schon eine ganze Weile so! Viel zu lange schon! Von manchen Eltern kenne ich zwar ähnliche Probleme mit ihren Kindern, aber bei Weitem nicht in dem Maße, wie unser Junge sie uns zurzeit bereitet! Wir wissen schon nicht mehr weiter! Er war doch vorher nicht so!« Resignation. »Haben Sie denn auch mit Ihrem Jungen Theater?«

    »Nein, kann ich nicht sagen!«, antwortete meine Mutter. »Bisher ist alles in Ordnung. Er ist zuverlässig, fleißig und freundlich. Klar, er wird sicher auch den einen oder anderen Streich spielen, aber bisher ist mir noch nichts Schwerwiegendes zu Ohren gekommen. Er ist ­eigentlich ein ganz feiner Junge!«

    Ein breites Grinsen überzog mein Gesicht.

    Scheiße

    Im Sommer 1969 wurde ich an meiner Grundschule in Hamburg-Rahlstedt, einem nordöstlich gelegenen Stadtteil, eingeschult. Wir, meine Eltern und ich, hatten wenige Jahre zuvor ein Reihenmittelhaus in einer riesigen Neubausiedlung bezogen, die sich bis an den Rand der umliegenden Feldmark erstreckte. Die Straße, an der unser Haus lag, dehnte sich zwischen einem kleinen Einkaufszentrum auf der einen sowie einem Teich und dem Gelände der Grundschule auf der anderen Seite aus. Im weiteren Verlauf zog sie sich zwischen Sozialbaublöcken, Hochhäusern, unserer Reihen­haussiedlung und einigen noblen Bungalows hin. Die Terrasse unseres Hauses zeigte in die Richtung meiner Grundschule und lag keine 200 Meter vom Schultor entfernt. Unsere Hauszeile zählte zwölf Eingänge, einschließlich meiner Person wohnten darin 13 Kinder im schulpflichtigen Alter. Die Reihenendhäuser wurden jeweils von Lehrer-Ehepaaren bewohnt, deren Grundstücke wohl mehr als dreimal so groß waren wie unsere Reihenmittelhausgrundstücke und von dichten Büschen sowie immergrünen Hecken sichtdicht eingefriedet waren. Der größte Teil der übrigen ­Grundstücke war weder durch Hecken noch Büsche begrenzt. Das bescherte uns Kindern eine ordentliche Spielfläche, die allerdings vom Platz hinter Haus g jäh unterbrochen wurde. Die ­Alten von Haus g, sie waren bestimmt schon 40 Jahre alt oder noch älter, schnitten mit ihrer saublöden Einfriedung unsere Reihenmittelhaus-heckenfreie-Spielwiese nahezu genau in der Mitte durch. ­Außerdem war Frau Haus g eine Zicke! Sie pochte darauf, dass die Mittagsruhe von 13 bis 15 Uhr eingehalten wurde. Und die Nachtruhe. Und dass die Feiertage respektiert wurden. Und die Fahrräder müssten ja nun nicht an der Hecke lehnen. Und in die Hecke pinkeln müsse man ja auch nicht – das hätte sie nämlich ganz deutlich gesehen! Sie meckerte keineswegs nur mit uns Kindern, auch die Erwachsenen bekamen ihr Fett weg: »Herr Haus a, Ihre Mülltonne war wieder nicht geschlossen. Die ganze Siedlung stinkt!«, »Frau Haus c, Ihre Wäsche hängt nun schon den dritten Tag hintereinander auf Ihrer Wäschespinne!« oder »Herr Haus k, müssen Sie immer so auf den Parkplatz rasen? Es kommt noch wer zu Tode bei Ihrem Fahrstil!« Da musste einfach im Laufe der Zeit irgendjemand aufbegehren, oder?

    Zwei Tage vor Silvester 1972 war es so weit. Ich ging in die vierte Klasse und hatte mich meist den älteren Kindern aus den umliegenden Reihenhäusern oder Sozialbauwohnungen angeschlossen. Und der eine oder andere von ihnen hatte noch ältere Geschwister. Daher kamen wir in den Besitz von Verheißungsvollerem als nur Stinkbomben oder Wunderkerzen – nämlich von D-Böllern, Kanonenschlägen und Bienenkörben. Unser Feindbild stand ja bereits fest – nun gab es Krieg mit Haus g. Und wir hatten einen Plan! Wir trafen uns nachmittags im Fahrradkeller des Sozialbaublocks, in dem mein Freund Holger wohnte, und bestaunten unser Sprengstoff-Arsenal. Gerd hatte von seiner großen Schwester Susanne zwei D-Böller und einen Bienenkorb bekommen. Bernd schleppte fünf Raketen, mindestens 20 Böller und Kanonenschläge sowie Unmengen an Knallfröschen an. Und Holger besaß einen halben Schinken D-Böller. Ich konnte nichts beisteuern, aber das machte niemandem etwas aus. Ein wenig mulmig war mir wegen der Sprengkraft der Feuerwerkskörper schon zumute, aber der Reiz des Verbotenen überlagerte letztlich alles. Holger drehte die Lunten von drei D-Böllern zusammen und verlängerte sie mit zwei weiteren Lunten bereits geöffneter Böller. Dann schickte er Gerd und mich los, um Hundehaufen zu sammeln. »Mindestens drei ordentliche Kavenzmänner«, meinte er. Bernd sollte eine Bild-Zeitung oder Ähnliches aus dem Müll holen. Wir fanden im Keller einen kleinen Plastikeimer und eine ­Blumenschaufel. Ich rannte mit Gerd los.

    Damals durften Hunde ihr Geschäft noch unbehelligt am Straßenrand verrichten. Gerd und ich wurden daher schnell fündig: drei granatengroße Stücke Hundescheiße. Mit ausgestrecktem Arm und spitzen Fingern schob Gerd die Schaufel unter die braunen Haufen, um sie dann unsicher in unseren Eimer zu bugsieren. Nachdem wir die prächtigen Gebilde geborgen hatten, musste ich unseren stinkenden Eimer zu Holger befördern. Als wir im Lagebesprechungszentrum Fahrradkeller ankamen, zeigt gerade Bernd Holger seine Beute. Eine Hörzu, eine Hamburger Morgenpost und ein Versandkatalog. Eine Bild-Zeitung war nicht dabei. Holger entschied sich für die Morgenpost. Selbstsicher hielt ich Holger meine Tretminen entgegen, worauf er seine Nase blitzartig aus der Gestankszone drehte und mich des Kellers verwies. »Bring die Kacke bloß raus«, rief er. »Aber perfekte ­Größe!«, gab er noch hinterher. Ich verließ den Keller und wartete vor der Haustür, stolz wie Oskar. Wenig später kamen meine Kameraden aus dem Fahrradkeller. Holger erläuterte seinen Plan noch einmal, wir anderen grinsten, nickten und zogen gespannt in Richtung Reihenhäuser – bewaffnet mit drei zusammengedrehten D-Böllern, der alten Morgenpost, der Blumenschaufel und den vor sich hin muffelnden Kavenzmännern.

    Wenige Meter vor unserem Einsatzort lag eine Gemeinschaftswiese, begrenzt von einer mannshohen Buchenhecke, die uns hervorragend vor unerwünschten Blicken schützte. Wir bezogen dahinter Stellung und bereiteten uns vor. Bernd zerknüllte einige Seiten der Morgenpost, aus denen Holger dann kunstvoll eine Wanne zusammenfügte. Anschließend durfte ich Holger den Eimer mit den verdauten Chappi- und Frolic-Mahlzeiten reichen. Er bediente sich mit der Schaufel und legte vorsichtig einen stinkenden Haufen nach dem anderen in das Papier. Dabei wog er die Wanne immer wieder in seinen Händen, um ihre Tragfähigkeit zu prüfen. Er hörte erst auf, sie weiter zu befüllen, als er der Meinung war, mehr Gewicht könne die Operation gefährden. Nun bohrte er die zusammengebundenen Böller in die breiige Hundescheiße und betrachtete sein Werk. Es stank bestialisch, sah aber erheblich kunstvoller aus als die Papierdrachen, die wir im Werkunterricht gebaut hatten.

    »Wer macht ’s?«, fragte Holger in die Runde und blickte uns der Reihe nach an. Keiner machte Anstalten, sich zu melden. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich hatte die Hosen gestrichen voll, wollte aber gern zeigen, dass ich dazugehörte.

    »Einer muss, anders geht ’s nicht!«, mahnte Holger.

    »Ich!«, schoss es aus mir heraus. »Ich mach ’s!« Ich konnte kaum glauben, was ich soeben übereifrig von mir gegeben hatte.

    »Okay!«, übertönte mich Holger. Mir war übel und das hatte nichts mit dem Gestank der Hundescheiße zu tun. »Dann machen ’s wir beide!«

    Er wiederholte noch einmal den Ablaufplan und dann ging es los. Holger hob die Morgenpost-Hundescheiße-­Böller-Atombombe vorsichtig an und schlich an der Hecke entlang. Wir anderen folgten ihm leise, bis wir bei Haus g angekommen waren. Durch die schneeweiße, im oberen Bereich verglaste Haustür drang ein Lichtschein aus dem Flur ins Dämmerlicht des Winternachmittags. Auch bei den umliegenden Straßenlaternen flackerten nun die Beleuchtungen auf. Gerd und Bernd zogen ein paar Büsche auseinander, sodass in der ­Hecke ein schmaler Durchlass entstand. Ich lugte hindurch und überprüfte, ob der Weg rechts und links frei von Zeugen oder Feinden war. Dann gab ich das Zeichen, dass alles klar war, und schlüpfte durch die Hecke. Holger folgte. Die Haustür zu Haus g lag maximal fünf Meter von uns entfernt: vier Meter Plattenweg, drei Stufen, Waschbetonpodest mit Gitterrost. Ängstlich und aufgeregt schaute ich mich jede Sekunde um – keine Menschenseele war zu sehen. Wir schlichen voran. Im Haus, im erleuchteten Flur regte sich nichts. Kurz bevor ich die Haustür erreichte, konnte ich durch die verglasten Kassetten zwei Paar Schuhe erkennen, die auf einer Fußmatte abgestellt waren. An der linken Wand hing eine Garderobe mit dunklen Mänteln. Den Fußboden bedeckte helle Teppichauslegeware. Holger setzte die stinkende Hundescheiße-Bombe vorsichtig auf dem Gitterrost etwa 50 Zentimeter vor der Haustür ab und fingerte ein Feuerzeug aus seiner Jackentasche. Er versuchte, das Ende der verlängerten Lunten zu entzünden, doch der Wind löschte die Flamme immer wieder. Ich bekam langsam Panik. Am liebsten wäre ich weggerannt, doch dann entzündeten sich endlich die Lunten in orange-rote Funken.

    »Jetzt!«, schrie Holger und ich drückte den Klingelknopf.

    Schon tauchte im Haus am Ende des Flurs ein Schatten auf. Ich hechtete Holger, der die Hecke schon beinahe erreicht hatte, hinterher. Wie abgesprochen hatten Gerd und Bernd wieder einen Durchlass in die Hecke gezogen, durch den Holger und ich nun nacheinander durchschossen, um unmittelbar nach der Landung Schutz in der Dunkelheit direkt hinter dem Gebüsch zu suchen und am Boden liegend das Geschehen zu beobachten. Herr Haus g hatte die Haustür gerade einige Zentimeter geöffnet, als die Funkenwut der Lunten in einen ohrenbetäubenden Knall überging und die präparierten Hundescheiße-Haufen über – so schien es uns – ganz Norddeutschland verteilt wurden. Die eben noch weiße Haustür war schmutzig braun gesprenkelt, ebenso Brief­kasten und Klingelknopf. Eine ordentliche Ladung war auch auf Herrn Haus g gelandet, hatte ihn allerdings nur halb­seitig getroffen, da die Tür ihm teilweise noch Schutz geboten hatte. Hunderte von Scheißespritzern schossen in unsere Schutzhecke, einige auch hindurch, sodass wir eine – wenn auch recht geringe – Streuladung abbekamen. Frau Haus g stürmte kreischend in den Flur. »Diese Drecksbande!«, schrie sie, als sie das neue Muster an ihrer rechten Flurwand, an der Klotür und im Teppichboden erkannte. »Klaus! Schnapp dir diese Idioten!«, trieb sie ihn an. Herr Haus g sprang in seine bereitstehenden Schuhe, warf sich einen Mantel über und stand gleich darauf an der Hecke – uns genau gegenüber. Seine Schuhe hatten den Anschlag scheißefrei überstanden und glänzten keinen Meter von mir entfernt im Laternenlicht.

    Wir lagen leichenblass, leichenstill, leichengleich hinter der Hecke auf dem Boden. Jeder von uns hatte unglaubliche Angst, obwohl wir uns liebend gern schlappgelacht hätten. Frau Haus g rief ihrem Mann Anweisungen zu, als Herr Haus g begann, unsere Schutzhecke auseinanderzuziehen und, soweit es ihm möglich war, hindurchzusehen. Es gelang ihm nicht wirklich. Dann hörte ich Frau Haus g aus dem Haus kommen mit Worten, die uns die reine Panik einflößten: »Hier, nimm die Taschenlampe!« Herr Haus g versuchte erneut, einen Spalt in die Hecke zu ziehen, und nun half ihm Frau Haus g dabei. Schon fiel ein tagheller Lichtschein auf Holgers rote Jacke und die weißen, wie Leuchtraketen reflektierenden Streifen von Gerds neuen Sport­schuhen.

    »Ich hab sie!«, schrie Herr Haus g.

    Mittlerweile öffneten sich die Türen weiterer Reihenhäuser, unter anderen unsere. »Was ist denn hier los?«, hörte ich die Stimme meines Vaters.

    »Weg!«, schrie Holger und wir rannten über die Gemeinschaftswiese fort von unserer Reihenhauszeile. Wir schlugen Haken wie Karnickel, sprangen über Zäune und flache Hecken der nächsten Grundstücke, schossen durch die Gärten. Drei oder vier Erwachsene versuchten, uns zu folgen. Sie brüllten uns Schimpfwörter hinterher, die wir Kinder niemals hätten straffrei äußern dürfen, sodass sich immer mehr Haustüren und Fenster öffneten. Im Augenwinkel sah ich Holger und sprintete ihm nach. Wir peitschten über die Straße und erreichten atemlos, aber unversehrt unseren Rumgammel-Scheiße-verzapfen-Fahrradkeller. Keine zwei Minuten später traf Gerd erschöpft ein, nach weiteren fünf Minuten auch Bernd. Wir waren begeistert von unserer Aktion und blieben so lange im Fahrradkeller, wie jeder von uns draußen sein durfte. Wir feierten unsere erfolgreiche Operation und erzählten uns das Erlebte in allen Einzelheiten immer wieder von Neuem.

    Als ich dann glücklich und pünktlich nach Hause kam, fragte mich mein Vater, wie mein Tag gewesen sei. Ich antwortete: »Och, war ganz lustig. Wir waren im Fahrradkeller.«

    »Hättest mal lieber hierbleiben sollen! Hast ganz schön was verpasst!«

    »Echt? Erzähl mal!«

    Pille platt

    1973 begannen die Frühjahrsferien schon Mitte März. Hamburg war mal wieder das erste Bundesland, in dem die Schulferien eingeläutet wurden. Die letzten Tage des Winters und die nun anbrechenden Frühlingstage waren trocken und warm, teilweise stieg das Thermometer auf knapp 20 °C. Die Älteren wie Holger, Gerd und Bernd hielten meist den Sportplatz unserer Schule besetzt, sodass wir Jüngeren auf unsere Gemeinschaftswiese auswichen, um Fußball zu spielen. Die Wiese lag zwischen der ersten Reihenhauszeile der Straße, in der ich wohnte, und der ersten Zeile der parallel verlaufenden Nebenstraße. Die etwa 40 Meter lange und 20 Meter breite Fläche trug die Bezeichnung Gemeinschaftswiese zu Recht: Diverse Grillabende, Sportaktivitäten, Iglu-Bauwettbewerbe im Winter oder Aufräumaktionen im Frühjahr hatten auf ihr bereits stattgefunden. Sie war Treffpunkt für Kinder, Eltern und Großeltern, Verwandte und Freunde. Wir waren gut 20 Familien und Dutzende Kinder rund um die Wiese, unsere Wege kreuzten sich häufig eben dort – vielleicht nicht wie bei einer großen Familie; auf jeden Fall aber wie in einer ­großen Gemeinschaft.

    Nur hatte auch diese Gemeinschaft Dauer-Nörgler! Und diese ließen sich ruck, zuck lokalisieren! Zunächst waren da in der zweiten Reihe in meiner Straße die Bewohner des Reihenendhauses, das an die Südseite der Gemeinschaftswiese grenzte. Das Lehrer-Ehepaar war in den Ferien meist im Italien-Urlaub. Zumindest in dieser Zeit blieb das andauernde Gemecker aus, das es wegen der Bälle, die über ihren Zaun flogen und in ihre Blumenbeete einschlugen, anstimmte. Außerhalb der Schulferien saß Herr Lehrer bei gutem Wetter meist auf seiner Terrasse und las das Hamburger Abendblatt. Frau Lehrerin hörte gern etwas lauter Musik und pfiff oder trällerte dann einige Lieder mit. Herrn Lehrer war dies wohl unangenehm, da sie nicht alle Töne sauber traf, oder es störte ihn beim Lesen. Denn dann erhob er sich häufig und drückte seine Terrassentür ins Schloss,

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