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eBook345 Seiten4 Stunden

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Über dieses E-Book

Neues von den "Jungsmusik"-Helden: Die Coming-of-Age-Saga um eine Clique sympathisch verpeilter Heavy-Metal-Fans geht in die nächste Runde. Mit Macht fallen Leben und Tod ein ins provinzielle Metal-Idyll.
Torben hat mal wieder Stress: Statt seiner Freundin Lucy eine gemeinsame Wohnung vorzuschlagen, macht er ihr aus Versehen einen Heiratsantrag. Aber ein echter Metaller macht keine Rückzieher. Doch wie plant man eigentlich ein Fest, auf dem die gutbürgerliche Verwandtschaft auf eine Horde Langhaariger trifft? Ist kirchlich heiraten true? Und wohin fährt man in die Flitterwochen? Auf ein Festival? Der Rest der Truppe schlägt sich mit eigenen Problemen herum: Matze und Katharina haben Ärger wegen Doro, die zwar nicht die Doro ist, aber trotzdem wirklich Doro heißt, Lara wird eine echte Starfotografin, und der sympathisch-tumbe Sven plant den nächsten großen Coup der Truppe: einen eigenen Zombiefilm! Doch unerwartet schlägt das fiese Monster Schicksal härter zu als der Drummer von Cannibal Corpse, und die Clique muss sich der Erkenntnis stellen, dass Höllenglocken nicht nur bei AC/DC erklingen ...
SpracheDeutsch
HerausgeberSatyr Verlag
Erscheinungsdatum1. Nov. 2013
ISBN9783944035222
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    Buchvorschau

    Höllenglöcken - Micha-El Goehre

    Micha-El Goehre

    HÖLLENGLÖCKEN

    MICHA-EL GOEHRE

    ist Jahrgang 1975 und kommt aus Ostwestfalen. Er liest vor (auf Lesebühnen, bei Poetry Slams), legt auf (Heavy Metal), schreibt und moderiert. Diverse Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien sowie Kolumnist des Rockmagazins Legacy.

    Mit »Jungsmusik«, dem ersten Band seiner Trilogie um eine Clique Heavy-Metal-Fans, landete er einen bei Publikum und Musikpresse viel beachteten Hit.

    1. Auflage November 2013

    © Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2013

    www.satyr-verlag.de

    Coverillustration: Markus Freise (www.markus-freise.de)

    Gestaltungskonzept der »Jungsmusik«-Trilogie: Endai Hüdl

    Autorenfoto Backcover: Sebastian Toenissen

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

    Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

    E-Book-Ausgabe

    ISBN: 978-3-944035-22-2

    Micha-El Goehre

    HÖLLENGLÖCKEN

    ['hœlənglọcken]

    Roman

    Dio.

    Pete.

    Jon.

    Jeff.

    Danke.

    R.I.P.

    WAS BISHER GESCHAH

    Es rummst laut. Sehr laut. Und auf einmal ist da ein Universum.

    Knappe 14 Milliarden Jahre später entwickelt sich der homo sapiens und Les Paul seine E-Gitarre, Lemmy Kilmister wird geboren, und Jim Marshall baut seinen ersten Verstärker. 1970 erscheint das Debütalbum von Black Sabbath. Bon Scott kotzt sich tot, die Hosen sind mindestens drei Nummern zu eng, Großbritannien hat die neue Welle, es folgen Speed, Thrash, Black und Death und der Tourbusfahrer von Metallica versaut es richtig amtlich, Mötley Crüe verursachen ein Ozonloch, Grunge killt angeblich alles und danach sich selbst, eine Metalzeitschrift erklärt sich selbst zum New-Rock-Hammer und The Prodigy ernsthaft zum neuen heißen Metalscheiß, Wacken beweist, dass man auch eine Kirmes hart beschallen kann. Slayer sind offiziell nicht böse, Hammerfall starten die Retropowermetalwelle, und MTV vergisst, wofür das M stand. Rob Halford findet Metal und seine Band scheiße, dann aber doch nicht, KISS gehen zum gefühlt elften Mal auf ihre wirklich letzte Tour, ebenso die grau melierten Hannoveraner Sonnenbrillenträger. Ein paar Mittelstandskiddies mit zu viel Taschengeld verstehen Hardcore gründlich falsch. Ein Torben macht sich zum Horst und startet seine Kolumne Jungsmusik, ein Konzert in der Kneipe Loch geht mehr schlecht als recht über die Bühne. Svens Bulldogge Lemmy spürt ein Nazivereinsheim auf, und es macht Bumm. Matze und Katharina bekommen ein Kind, aber nur aus Versehen. Torben benimmt sich komplett daneben, darf aber trotzdem mit aufs Rock’n-Festival. Es gibt Kloppe, und er kommt mit Lucy zusammen. Dio stirbt, beim With Full Force schlägt der Blitz ein. Okkult und Retro sind das neue Neu, und der Metalhipster besucht keine »Konzerte« mehr, sondern »Rituale«, und Lemmy kackt einen Haufen, von dem Sven behauptet, er würde exakt so aussehen wie das Profil von James Hetfield.

    Und hier steigen wir wieder ein ...

    PROLOG

    Ich hab sie gefragt, und sie hat »Ja« gesagt.

    Heute Morgen, am Frühstückstisch, da ist es über mich gekommen, hat mich gepackt und überrollt wie eine Welle. Dieses Gefühl, dass es der passende Zeitpunkt wäre, dass es jetzt weitergehen muss mit uns, auf einen nächsten Level. Lucy war in der Dusche, und vor mir, auf einem Stuhl, stand ihre Tasche, in der sie Klamotten zum Waschen mit nach Hause nehmen wollte, ihre Mädchenlektüren der letzten Wochen und ein paar CDs, die sie sich ausleihen wollte, um sie auf ihren Laptop zu ziehen. Und plötzlich empfand ich diese Tasche als etwas böses Blödes, als Sinnbild dafür, dass etwas falsch läuft oder fehlt.

    Wenn ich nicht bei ihr penne, schläft sie bei mir, und ich kann mich nicht entsinnen, wann wir das letzte Mal eine Nacht ohne einander verbracht haben.

    Und ich mag das.

    Mich selbst hat diese Erkenntnis am meisten erstaunt. Ich mache zwar gerne Party und bin mit Leuten unterwegs, aber im Großen und Ganzen hatte ich mich für einen Typen gehalten, der gerne seine Ruhe und Abstand hat, die Tür hinter sich schließen kann, in aller Ruhe ein bisschen meditiert, onaniert und dazu Iron Maiden hört.

    Und nun das.

    Wenn ich Lucy mal einen Tag lang nicht zu sehen kriege, bekomme ich nichts auf die Kette, fühle mich unvollständig und wie etwas sehr Unappetitliches, Flüssiges und Schleimiges, das der Straßenkehrer in der Gosse vergessen hat. Es war mir tatsächlich gelungen, mich selber zu verblüffen. Ich lag auf dem Bett und dachte darüber nach, als das Rauschen der Dusche im Nebenzimmer verstummte und Lucy kurz darauf ins Zimmer gestürmt kam, nur mit einem Badetuch bedeckt, das für ihren Körper erfreulicherweise eindeutig zu klein war. Sie sagte »Brrr, scheiße kalt«, zitterte, warf das Tuch zu mir aufs Bett und begann, sich hastig anzuziehen. Ich betrachtete sie und konnte dabei nicht verhindern, leicht lüstern und schwer verknallt zu grinsen.

    Sie stopfte ihren Kopf durch den Kragen ihres Pullis, sah mich an und guckte irritiert. »Was ist? Was grinst du so?«, fragte sie in der Tonart, die sie immer anschlägt, wenn sie den Verdacht hat, dass ich etwas angestellt habe. Und ich dachte in diesem Moment nur, dass ich das immer möchte, dass sie aus der Dusche kommt, »Brrr, scheiße kalt« sagt und ich ihr zusehen kann, wie sie sich anzieht. Oder dass ich ihr beim Aufwärmen behilflich sein kann.

    Also hab ich sie zu mir aufs Bettgezogen, in den Arm genommen und hab sie gefragt.

    Ich hab sie gefragt.

    Und sie hat Ja gesagt.

    Sie hat Ja gesagt.

    So ein Mist.

    1.

    THE ZOMBIES ARE COMING ...

    Sven sieht mich an, lacht mich aus und schüttelt den Kopf. »Du bist echt so ein Pfosten, ich fass es nicht.«

    Ich zucke mit der Schulter. Ich sitze bei ihm auf dem Sofa. Lemmy liegt zu meinen Füßen, hat seinen Bulldoggenkopf auf selbige gelegt und sabbert mir in die Schuhe. Ich gebe meiner eigenen Einschätzung nach ein Bildnis blühenden Elends ab.

    Sven fährt fort: »Und du Hoschi konntest sie nicht einfach erst mal fragen, ob ihr zusammenzieht?«

    Schulterzucken.

    »Du musstest ihr gleich einen verdammten Heiratsantrag machen?« Er benutzt einen Tonfall, in dem man auch Hitler hätte fragen können, warum er denn gleich Polen angreifen musste, das wäre doch ein bisschen übertrieben gewesen, man hätte doch auch erst mal probehalber Luxemburg überfallen oder Menschärgere-dich-nicht spielen können.

    »Tja«, sage ich nur. Was Schlaueres fällt mir grad nicht ein.

    »Und sie hat wirklich Ja gesagt?«

    Ich nicke. »Genau genommen hat sie gesagt: ›Ja, klar, wieso nicht?‹ Aber im Kern ist es dasselbe, oder?«

    Sven nickt. »Stimmt. Alter, was hast du dir dabei gedacht?«

    »Ich weiß auch nicht. Und eigentlich wollte ich sie wirklich nur fragen, ob wir uns nicht mal eine gemeinsame Wohnung suchen wollen, vielleicht nächstes Jahr. Aber irgendwie ist es mir dann ... entglitten.«

    »Ja ja. Entglitten.«, schnaubt Sven. »›Mir ist da was entglitten‹, sprach der Bombenentschärfer und machte Bumm! Mann, du hast dich selbst in Ketten gelegt. Am besten kriegt ihr nächste Woche gleich noch ein Kind, und dann bin ich mit Lemmy ganz alleine.«

    »Erzähl keinen Blödsinn. Vielleicht finden wir ja was mit einem Extrazimmer unterm Dach, wo ihr zwei wohnen und alt werden könnt.«

    »Ich hab schlechte Nachrichten für dich: Du bist nicht witzig.«

    »Aber mal im Ernst: Bis jetzt hatten wir es doch noch immer raus, trotz Freundinnen genug Zeit miteinander abzuhängen.«

    Er zuckt ratlos mit den Schultern. »Ja, schon, aber das ist ja eine ganz andere Liga. Bisher war es immer absehbar, dass es auch mal wieder vorbei ist und wir beide dann wieder wie vorher auf Tour gehen, nur die Jungs halt. Aber du willst heiraten, das ist so ... endgültig.«

    »Jetzt mach mal kein Drama. Ist ja nicht so, als würde ich wegsterben.«

    »Das macht vielleicht keinen großen Unterschied. Zumindest warst du vor nicht allzu langer Zeit genau dieser Meinung. Mann, wir hatten einen Pakt!«

    Ich grinse in mich hinein. Er hat recht, wir haben mal den Pakt geschlossen, immer Freunde und vor allem cool zu bleiben und niemals zu heiraten, was uns damals als das ziemlich Uncoolste erschien, das wir uns denken konnten. Aber da waren wir noch jung und dumm. Jetzt sind wir älter und zwar immer noch dumm, aber uns gehen allmählich die Entschuldigungen für Blödsinn aus.

    »Wir hatten auch mal den Pakt, niemals Kinder zu kriegen«, sage ich.

    Sven reißt die Augen auf. »Jetzt sag nicht, dass Lucy auch noch schwanger ist?«

    »Ich meinte eher dich.« Ich zeige auf Lemmy. »Und dein knautschiges Kind.«

    »Blödmann.«

    Ich muss lachen. Ich werde das vermissen, mit Sven zusammenzusitzen und dabei nur völlig sinnentleerten Blödsinn zu quatschen, denke ich. Und dann denke ich, dass es Blödsinn ist, so was zu denken. Ich heirate ja nur, das heißt ja noch lange nicht, dass ich nicht mehr mit Sven rumhängen kann, und »PUFF!« habe ich rechts einen Teufel auf der Schulter sitzen, der sagt: »Doch. Genau das heißt es!« Er grinst mich an, und ich finde, er hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem KISS-Sänger Gene Simmons. Es macht Doppel-»PUFF!«, und linkerhand säuselt ein Engel, dass die Ehe etwas Gutes für uns Männer und es durchaus nicht das Schlechteste sei, mal zur Ruhe zu kommen und mit der Frau des Lebens auf dem Sofa zu sitzen und Gameshows zu gucken. Der, ich sag mal, »Engel« nuschelt tierisch, sieht im Großen und Ganzen aus wie Ozzy Osbourne, und hinter ihm steht eine Miniaturausgabe von Sharon Osbourne mit einem Nudelholz in der Hand.

    Ich schüttele die Wesen von meinen Schultern. Ich kann Sven gut verstehen. Es ist im letzten Jahr tatsächlich schwieriger geworden, mit der ganzen Crew was zu unternehmen, das wird vermutlich durch die Hochzeit von Lucy und mir nicht einfacher. Matze und Katharina mühen sich zwar redlich, nicht allzu sehr in die Gewohnheiten üblicher Eltern zu verfallen, aber im vergangenen Sommer haben wir sie auf Partys kaum zu Gesicht gekriegt, beide zusammen schon gar nicht, weil dann doch wieder kein Babysitter zu finden war. Das einzige Festival, das sie mitmachen wollten, war das Rock’n vor zwei Monaten, und das mussten sie knicken, weil der Kleine sich eine Mittelohrentzündung* eingefangen hatte. Sogar Lara hat sich rar gemacht, seit ihr Job als Fotografin richtig brummt und sie immer häufiger Aufträge weiter weg bekommt.

    Wenn jetzt auch noch Lucy und ich eine amtlich beglaubigte Kleinstgemeinschaft eingehen, wird es endgültig richtig schwierig, unsere Truppe in der alten Form zusammenzuhalten. Zumindest bilde ich mir das ein. Eine Ehe ist schließlich was anderes als einfach nur »zusammen sein«. »Verliebt, verlobt, verheiratet« bezeichnet gesellschaftliche Aggregatzustände. Je tiefer man drinsteckt, desto weiter entfernt man sich vom alten Partyleben.

    Böse Visionen laufen vor meinem Auge ab: Pärchenabend um vier Uhr nachmittags mit Katharina und Matze auf dem einen Sofa, Lucy und mir auf dem anderen, unsere Kinder spielen mit Sven auf dem Teppichboden Doktor Bibber. Sven ist der Patient, und die Kleinen setzen ihn ab und zu unter Strom. Wir schlürfen milden, selbstverständlich fair gehandelten Kaffee aus der Bioabteilung des REWE und essen Dinkelvollwertkuchen. Nebenher läuft ein Fernseher und hält uns über den Vorentscheid des Eurovision Song Contest auf dem Laufenden, und wir diskutieren erhitzt, wer denn der heißeste Kandidat für den deutschen Startplatz ist. Mit einem milden Lächeln erinnern wir uns an die Zeiten, als wir noch Heavy Metal gehört und in so schäbigen Spelunken wie dem Loch herumgehangen haben. Kaum zu glauben, wie lange das schon her ist. Verrückte Zeiten waren das, und Lucy erzählt von einer neuen Bodega in der Innenstadt, da müssten wir »un-be-dingt« mal gemeinsam essen gehen. Währenddessen liegt Lemmy angeleint im Garten, vor ihm ein halb leer gefressener Napf Cesar-Futter. Die leicht rheumatische Bulldogge wird von einer Horde Eichhörnchen mit Nüssen beworfen. Es klingelt an der Tür, und kurz darauf kommt Lara hereingestürmt, ein Headset am einen Ohr, ein iPhone am anderen, während sie gleichzeitig hektisch auf ihr Touchpad eintippt. Sie begrüßt uns mit Küsschen, streichelt kurz den Kindern und Sven über den Kopf, gratuliert Katharina und Lucy zu ihren aktuellen Schwangerschaften und erzählt, wie sehr sie doch im Stress ist, sie musste ihre Assistentin feuern, weil die drei statt zwei Stück Zucker in ihren Espresso getan hat. »Ich meine, drei Stück Zucker, will die mich umbringen?«, fragt Lara, und wir haben alle vollstes Verständnis, und sie sagt: »Tschüssi, ich muss auch schon wieder los, ein Shooting für Lagerfeld in L.A.« Und dann rauscht sie wieder raus. Katharina räumt das Geschirr weg und kommt mit einem Spielekarton wieder zurück und jetzt ist Zeit für unsere monatliche Runde Activity ...

    »Fffff ...« Ich ziehe scharf Luft zwischen meinen Zähnen ein. Nein, so weit darf es nicht kommen.

    Sven sieht mich an und lächelt wissend: »Böse Vision?«

    Ich nicke.

    »Wundert mich, ehrlich gesagt, nicht. Das sind einschneidende Neuigkeiten, mein Lieber. Das wird dir die nächsten Tage mächtig im Hirn rumspuken. Ach, was sage ich ›Tage‹? Wochen. Monate. Jahre. Ewigkeiten! Bis zur Scheidung.«

    »Bleib mal auf dem Teppich.« Das meine ich wörtlich, denn zur Unterstreichung der Dramatik seiner Worte ist Sven auf einen Sessel gestiegen.

    Er klettert wieder runter und setzt sich. »Und wem habt ihr schon davon erzählt?«, fragt er.

    Ich winke ab. »Noch keinem. Wir wollen das machen, wenn die Truppe einigermaßen vollständig versammelt ist, im Loch oder Ruby, mal gucken.«

    Sven schürzt die Lippen. »Mach es doch beim Dreh nächste Woche.«

    Ich starre ihn einen Moment verständnislos an.

    »Du hast es ja wohl nicht vergessen? Den Zombieblockbuster des Jahres?!«

    Ich wedle abwehrend mit den Händen. »Nee, is schon klar, ich hab’s auf dem Schirm.«

    Das ist gelogen, natürlich hab ich es vergessen.

    Wir waren vor ein paar Wochen bei einer Party auf Attilas Hof und haben mit besoffenem Kopf über Zombiefilme gequatscht, und so ein Schwachmat war auf die grandiose Idee gekommen, wir könnten alle zusammen selber mal einen Slasher mit Unto-ten drehen.

    Der Schwachmat war ich.

    Bevor ich mich versah, waren die Planungen im Gange, vor allem Sven war mit Feuereifer dabei und baldowerte ein Wochenende aus, an dem uns möglichst viele Zombies zur Verfügung stehen würden. Er selbst wollte die Hauptrolle übernehmen (»So eine Art Rambo, aber wie ihn Daniel Craig spielen würde.«), Lucy mimt eine Art Ellen Ripley, nur sollte sie statt Aliens eben Zombies vermöbeln (»Nur damit das klar ist: Keine Szenen in Unterwäsche oder Dessous, das könnt ihr euch abschminken!«), Matze und Katharina wollten das verzweifelte Pärchen spielen (»Unverheiratet, mehr so platonisch.«), Lara würde uns Kameras organisieren und alles fotografisch dokumentieren, und ich sollte als der Kreative in unserem Haufen das Drehbuch verfassen.

    Sven sieht mich kritisch mit zusammengezogenen Augenbrauen an: »Das Skript ist doch fertig, oder?«

    »Öhm ...« Genau genommen existiert noch keine einzige Zeile. Geschweige denn auch nur die geringste Idee. »Nicht ganz. Ist aber in Arbeit. Bis zum Dreh bin ich fertig.«

    »Cool«, sagt Sven und klatscht glücklich in die Hände. »Ich wusste, dass auf dich Verlass ist.«

    Damit weiß er mehr als ich.

    Ich komme gerade nach Hause, als mir Lara auf der Treppe entgegenkommt. Fast hätte sie mich umgerannt, und ebenso fast hätte ich sie nicht erkannt. Sie hat ihren Klamottenstil in letzter Zeit stark verändert und wechselt ihre Frisur inzwischen öfter als mancher Kerl die Unterbuxe. Zudem trägt sie aktuell ständig eine dieser angeblich so angesagten riesigen Sonnenbrillen, die in mir stets den Eindruck erwecken, mich mit einem zu groß geratenen Insekt zu unterhalten. Frauen mit Brille sind schön, Frauen mit Sonnenbrille hingegen wirken immer muffelig. Ihr neuer Stil ist natürlich den immer besseren Modelabels geschuldet, für die sie fotografiert und von denen sie monatlich Klamotten im geschätzten Gegenwert eines Mittelklassewagens geschenkt bekommt. Ich arbeite eindeutig in der falschen Branche. Bis jetzt habe ich in meiner Eigenschaft als Webdesigner nur völligen Ramsch von meinen Kunden geschenkt bekommen. So viel kann man gar nicht anzünden, wie Feuerzeuge mit ebenjener Werbung, die ich selbst entworfen habe, zu Hause bei mir rumfliegen. Und wie viele Zollstöcke brauche ich eigentlich? Und was haben sich die Vögel von der Onlinedrogerie gedacht, als sie mir einen Jahresvorrat Tampons geschickt haben? Ein einziges Mal hat sich eine Konditoreikette mal ein paar Gedanken gemacht und mir für die doch recht aufwendige Neugestaltung ihrer Webseite einen Präsentkorb zukommen lassen. Alles darin war aus Marzipan. Ich hasse Marzipan.

    Außer ihrer Angebergarderobe hat Lara noch eine große Fototasche dabei und ein Stativ, das sie mir fast in die Visage rammt, als sie erschrocken vor mir abbremst.

    »Hua, Torben!«, begrüßt sie mich.

    »Arrh, Lara!«, grüße ich zurück.

    Komisch, wenn ich mich erschrecke, klinge ich immer wie ein Cartoonpirat. Ich huste kurz, dann frage ich: »Wohin geht’s?«

    Sie hebt ihre Fototasche an: »Arbeiten. Ein Shooting in London, danach noch ein Job in Hamburg.«

    »Wow. Na dann mal viel Spaß. London ist cool. Und Hamburg noch cooler.«

    Ich bin selbst von mir beeindruckt, wie weltmännisch das klingt. Dabei war ich bisher noch nie in London und in Hamburg nur zweimal und beide Male zu betrunken, als dass ich konkrete Eindrücke von der Hansestadt bekommen hätte. Ich fürchte, Lara weiß das, aber sie lässt es sich nicht anmerken.

    Sie winkt ab. Es sieht ein bisschen wie eine Grace-Kelly-Geste aus, zumindest, wenn Grace Kelly 1,55 Meter klein und bepackt wie ein anatolisches Maultier gewesen wäre.

    »Ach, ich krieg eh wieder nur den Set, den Flughafen und ein Hotelzimmer zu sehen. Totale Hektik. Es klingt immer so toll, wo ich hindüse, aber ich erleb weniger als eine Bürotante. Manchmal denk ich, dass ich den falschen Job hab.«

    Ich muss leise lachen. »Ja, aber im Prinzip ist es egal, was einer macht, den Satz lässt so ziemlich jeder vom Stapel. Arbeit nervt nun mal oft.«

    Lara nickt: »Ja, aber weißt du, wann ich das letzte Mal ein anständiges Konzert gesehen hab? Wenn ich mit diesen Modeleuten unterwegs bin, läuft immer nur völlige Kackmusik. Ich will mal wieder ordentlich headbangen.«

    »Kann ich verstehen. Manchmal muss man halt Opfer bringen.«

    »Ja, scheiße, hast schon recht. Also: Auf, auf und davon.« Sie quetscht sich an mir vorbei, und ich setze gerade an, die Treppe weiter nach oben zu gehen, da dreht sich Lara noch mal um: »Ach, fast hätte ich es vergessen ...«

    Ich bleibe stehen und drehe mich wieder zu ihr um. »Was denn?«

    Lara druckst etwas rum: »... Ich wollte es eigentlich schon früher sagen ... Ich ziehe nächsten Monat aus. Ich hab mir ’ne Wohnung in Köln besorgt, dann brauch ich nicht immer so lange zum Flughafen. Und meine Agentur hat ihr Büro da, das ist auch ganz praktisch.«

    »Oh«, sage ich und versuche, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

    »Jetzt guck nicht so enttäuscht«, sagt Lara. »Ist ja nicht so, dass ich aus der Welt wäre.«

    Doch, so ist es, denke ich, als ich meine Wohnungstür hinter mir zuziehe. Ich hab das schon oft erlebt. Die Leute gehen fürs Studium weg oder weil sie einen Job angeboten bekommen haben, und man verspricht sich gegenseitig hoch und heilig monatliche Besuche, stündliche Telefonate, und dann kann man froh sein, wenn man sich drei Monate später noch an die E-Mail-Adresse erinnert, um einen knappen und ziemlich förmlichen Geburtstagsgruß zu senden. Vielleicht trifft man sich noch mal auf einem Konzert oder einem Festival, und alles, was man sich dann noch zu sagen hat, ist: »Ach, du auch hier? Prost. Ja, ciao dann, ich muss mal wieder rüber zu meinen Leuten. Ich ruf dich die Tage mal an.«

    Wieder einmal verändert sich etwas elementar in meinem Leben, und ich finde so was nicht gut. Es reicht schon, dass Judas Priest keine vernünftigen Alben mehr machen, muss dann auch noch mein kleiner Freundeskreis kollabieren? Und warum machen Lucy und ich dabei auch noch mit?

    Ich lasse mich aufs Sofa fallen, schalte den Fernseher an, schalte ihn auf lautlos. Während auf dem Bildschirm das stumme und morbid-monströse Puppenspiel einer debilen Talkshow gegeben wird, angele ich mir mein Telefon und wähle Lucys Nummer.

    »Herr und Gebieter, was kann ich für dich tun?«, meldet sich mein Mädchen.

    »Herr und Gebieter? Schön wär’s«, nöle ich, und Lucy lacht dreckig. »Sag mal, wusstest du, dass Lara nach Köln ziehen will?«

    »Ja, wegen ihrer Arbeit. Und?«

    »Wieso erfahre ich das eigentlich wieder mal als Letzter?«

    Sie schnaubt. »Na, weil du immer darauf bestehst, dass du nix von Klatsch und Flurfunk hältst. Dann darfst du dich auch nicht beschweren, wenn ich dir nichts erzähle.«

    »Ja, aber ich bin Laras Halbmitbewohner.« Wir teilen uns keine Wohnung, aber Hausflur und Klo.

    »Genau deswegen dachte ich mir, dass sie es dir schon noch früh genug erzählen wird.«

    »Fuck ›früh genug‹. Du weißt, dass ich Veränderungen hasse wie die Pest.«

    »Oh Mann, du klingst manchmal wie eine totale Memme.«

    »Ey ...«

    »Na, wenn du Veränderungen so sehr hasst, werden dir die neuesten News über Matze ganz bestimmt auch nicht schmecken.«

    Ich bin echt nicht auf dem Laufenden. »Hä? Was für News?«

    »Er hat eine neue Freundin. Mehr sage ich dazu nicht, da musst du ihn schon selber fragen, du willst ja keinen Klatsch hören«, flötet meine Liebste fröhlich. »Ich muss jetzt los, noch was einkaufen. Kommst du heute Abend zu mir?«

    »Ja, klar, aber ...«

    »Dann bis später. Tschüss, schöner Mann!«

    Sie legt auf. Verfluchte Axt.

    Ich stelle das Telefon beiseite und mache den Fernseher aus. Dann ziehe ich meine Jacke an und mache mich auf den Weg zu Matze.

    Neue Freundin? Was ist da nur wieder los?

    Matze und Katharina haben sich ihr Zweck-WG-Nest in einem typischen Siebzigerjahre-Wohnblock eingerichtet. Sechs Parteien auf drei Stockwerken, zweckmäßigste Architektur. Ebenso zweckmäßig der Garten, dessen Rasenmonotonie manch einen Fußballplatz wie eine Feng-Shui-gerechte Wildwiese aussehen lässt.

    Früher waren diese Blocks eher was für finanzschwache Jungfamilien, Rentner auf der Suche nach einer übersichtlichen letzten Station oder britische oder amerikanische Soldaten. Inzwischen haben sich diese Blocksiedlungen zu ultraspießigen Hochburgen für den Mittelständler mit Eigentumsambitionen entwickelt. Um so mehr wundert es mich, dass die beiden noch nicht achtkantig rausgeflogen sind, denn Matze macht, was Lautstärke betrifft, keine Gefangenen. Ich bin noch vier, fünf Häuser entfernt, da höre ich schon, dass er seinen Sodom-Tag hat. Mit Orkanstärke ballert »Agent Orange« durch die ansonsten totenstille Straße.

    Natürlich muss ich bei dem Krawall ein Dutzend mal klingeln, bevor Matze mir endlich aufmacht. Die Haare stehen ihm wuschelig vom Kopf ab, und an seinen Händen trägt er gelbe Haushaltshandschuhe.

    »...!«, sagt er.

    »...!«, antworte ich.

    Er sieht mich dumm an, dann hebt er einen Finger zur »Moment mal!«-Geste, winkt mich rein und verschwindet in seinem Zimmer, während ich mich in die Wohnküche setze und mir einen Kaffee aus der bereitstehenden Maschine ziehe. Schlagartig endet der Kriegslärm.

    Matze kommt in die Küche und streift sich die Gummihandschuhe ab.

    »Neuer Fetisch von dir?«, frage ich.

    »Nee«, sagt er. »Bin mit Putzen dran.«

    »Aha«, sage ich und lasse ein ganzes Arsenal sarkastischer Bemerkungen unausgesprochen mitschwingen.

    »Nix ›Aha‹. Was muss, das muss. Würde deiner Bude auch mal guttun.«

    »Schon gut.«

    Er setzt sich mir gegenüber. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«

    »Na ja, ich hab gehört, du hättest spannende Neuigkeiten, die du mir verschwiegen hast. Arsch.«

    Er runzelt die Stirn, dann zieht er die Augenbrauen hoch, und sein Gesicht kriegt diesen »Aha«-Ausdruck. »Ach, du meinst Doro.«

    »Hä?« Ich schüttle den Kopf.

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