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Annäherung
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eBook312 Seiten4 Stunden

Annäherung

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Über dieses E-Book

Wilfried hat sein oberstes Ziel erreicht: er ist endlich schlank! Der Mann, der ihm nun aus dem Spiegel entgegenblickt, ist überraschend attraktiv. Er genießt sein neues Leben. Zwar interessieren ihn seine Sex-Partner nicht sonderlich, die er im Internet auftut, er betrachtet sie lediglich als 'Übungs-Partner' für den Beziehungsernstfall, den er mit Jan plant. Leider erfahren seine Annäherungsversuche an seinen Traum-Mann permanent Störungen durch unvorhergesehene Ereignisse. Da ist zum Beispiel Kerstin, die eines Abends beim ihm aufkreuzt und Unvorstellbares von ihm verlangt oder Tobias, der ihn belagert und nicht begreifen will, dass Wilfried keine ernsten Absichten hegt. Erneut sieht er sich in der unangenehmen Lage, dass in gewissen Situationen offenbar nur ein Ausweg existiert, um sich nachhaltig und endgültig zu befreien: Mord!
SpracheDeutsch
HerausgeberHimmelstürmer
Erscheinungsdatum1. Jan. 2011
ISBN9783863610739
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    Buchvorschau

    Annäherung - Nick Zachries

    1

    Wenn man auf dem Dorf wohnt, hat man – entgegengesetzt der Meinung vieler Städter – allerlei Vorteile. Mal abgesehen vom größten Problem, welches der Städter tagtäglich und allabendlich zu bewältigen hat: die permanente Suche nach einem Parkplatz in der Nähe des Arbeitsplatzes oder Wohnblocks, in dem er haust, entgehen dem Stadtbewohner darüber hinaus noch einige andere Bequemlichkeiten, die unsereins zur Verfügung stehen.

    Wir Landbewohner aalen uns im Sommer im eigenen Garten – keine zehn Schritte vom Kühlschrank entfernt, aus dem man sich in regelmäßigen Abständen ein kaltes Getränk holen kann. Der Städter dagegen muss voluminöse Picknick-Taschen mit Kühl-Aggregaten bepacken und sich mit anderen Freilufthungrigen ein schattiges Plätzchen im überlaufenen und zudem von Hundekot kontaminierten Stadtpark teilen. Die Sonnenanbeter liegen dicht gedrängt wie die Ölsardinen an einem Urlauberstrand auf der Liegewiese.

    Intimität ist nahezu nicht möglich, es sei denn, man möchte sich eine Anzeige wegen Exhibitionismus gönnen.

    Und da ich selbst nicht scharf darauf bin, rüge ich den jungen Mann an meiner Seite auch sofort.

    „Tobias, lass das. Hier ist der falsche Ort, um an Dummheiten zu denken!" Behutsam schiebe ich seine Hand, die sich vorwitzig in meine Shorts stehlen wollte, beiseite.

    Ein unwilliges Knurren ist zu hören, doch er unterlässt weitere Annäherungen.

    Ich fühle mich im Grunde geschmeichelt. Tobias kenne ich seit dem gestrigen Abend und entgegen meiner üblichen Gewohnheit habe ich bei ihm übernachtet. So spontan bin ich normalerweise nicht, aber unser Zusammensein war ungemein befriedigend und keiner von uns wollte den Abschied.

    Ich hatte schon lange keine reale Liebesbegegnung mehr gehabt, von daher war ich bereitwillig auf die Fragen meines Chatpartners „Top77 angesprungen, die da hießen: „Sex? Heute noch? Wir tauschten kurz Fotos aus und stellten fest, dass das Gegenüber tageslichttauglich war und anderthalb Stunden später wälzten wir uns bereits lustvoll in seiner Studentenbude auf seiner nächtlichen Ruhestätte. Die Fußbodendielen in seiner kleinen Dachwohnung knarren genauso wie der Lattenrost seines von Tante Hildegard geerbten französischen Bettes, aber unter ihm wohnt eine alte Dame mit einer Katze, die schon ziemlich taub ist. Wohlgemerkt die Dame, nicht die Katze. Er füttert die Katze, die – angeblich – auf den Namen Scarlett o’Hara hört, wenn die Dame bei ihren Kindern zu Besuch ist. Frau Huber war Ende der dreißiger Jahre zum ersten Mal im Kino und hatte sich „Vom Winde verweht" angeschaut. Offenbar hielt die Faszination für diesen Film lebenslang, denn seitdem war es ihr eine liebe Gewohnheit geworden, ihre Katzen stets mit Namen aus diesem Bürgerkriegsepos zu versehen. Rhett Butler, der Gefährte der Katze, war leider einer mit überhöhter Geschwindigkeit fahrenden Kurierfahrerin aus Stade unter die Reifen geraten.

    Eigentlich sind das alles Dinge, die ich gar nicht wissen will von einem Liebhaber. Diese Dinge sind es, die aus einem Liebhaber womöglich einen Freund machen und genau den suche ich nicht.

    Meine Prioritäten diesbezüglich sind klar, ich weiß, was ich will und vor allem, wen.

    Ich tauche ab in meine private Gedankenwelt, schwelge in Zukunftsvisionen und lasse das Geschrei und Gequengel der Kinder auf der Liegewiese um uns herum einfach abprallen.

    Jan Grewe heißt mein Auserwählter, er wohnt in meiner unmittelbaren Nachbarschaft und ist schon seit einigen Jahren das – wie es in einem Filmtitel so wunderbar treffend heißt – obskure Objekt der Begierde. Er ist schätzungsweise Anfang vierzig und lebt seit über einem Jahr von seiner Frau getrennt. Sie fuhr nicht mit in den letztjährigen Sommerurlaub, sondern nutzte die Wochen der Abwesenheit der Familie, um auszuziehen. „Unerhört!" erregte sich Frau Melzer seinerzeit, als sie mir davon berichtete. Sie ist eine ältere Nachbarin, die in unserer kleinen Straße wohnt. Durch sie habe ich die ganze Geschichte erfahren, später konnte ich mir selbst alles zusammenreimen. Jan Grewe fuhr also allein mit den drei Kindern davon und brachte einen jungen Mann mit (einen Kunststudenten!), der schon kurze Zeit später bei der Familie einzog. Die Gerüchte kochten hoch im Dorf. Anfangs glaubte die naive Frau Melzer, es müsse sich um eine Art Au-pair-Jungen handeln, der nach dem Rechten sieht und sich während der Abwesenheit des Vaters um die Kinder, insbesondere die Kleinste, kümmert. Sehr schnell kam jedoch heraus, dass der angeblich männliche Babysitter als Partnerersatz für die ausgezogene Frau Grewe diente. Der beliebte Familienvater hatte die Seiten gewechselt und lebte nun mit einem Mann zusammen![1]

    Seitdem hat er sich ziemlich verändert. Ich mochte ihn zwar schon immer, aber früher sah er nicht halb so gut aus wie heute. Bis vor zwei Jahren hatte er etwas Durchschnittliches an sich, sowohl Kleidung und Frisur waren gänzlich unauffällig, ja nahezu belanglos. Seitdem er den blondierten Jüngling an seiner Seite hat, ist eine langsame und stetige Wandlung an ihm zu verzeichnen.

    Er trägt jetzt seine Haare kürzer und frecher und seine Klamotten wirken nicht mehr bieder.

    Wir weisen da durchaus Parallelen in der Entwicklung auf.

    Früher war ich selbst ein Modemuffel – allerdings mehr aus Hilflosigkeit denn aus Unvermögen. Ich hatte starkes Übergewicht.

    Diese Zeiten liegen hinter mir. Endgültig. Bei meiner Größe von 1,75m wiege ich heute 72 kg. Vor zwei Jahren waren es noch 125 kg. Ich habe seit dem Abspecken mein Gewicht gut im Griff, meine Ernährung umgestellt und bin zum fanatischen Jogger geworden. Wenn meine Narben endgültig verheilt sind, werde ich regelmäßig Krafttraining machen.

    Vor zwei Monaten war ich in einer kleinen Privatklinik in der Nähe von Berlin, um mich „straffen" zu lassen. Nach meinem raschen Gewichtsverlust hatte ich ein wenig Hautüberschuss!

    Der Schönheitschirurg hat fabelhafte Arbeit geleistet. Ganz besonders im Brust- und Bauchbereich kann ich mich jetzt sehen lassen. Nachdem meine Körperbehaarung wieder nachgewachsen ist, sieht man kaum noch etwas!

    „Kennen Sie den Film Das Schweigen der Lämmer?, hatte er mich gefragt, als er mit Hilfe eines grünen Eddings „Maß nahm am Morgen der Operation. „Also aus ihrer überschüssigen Haut könnte sich dieser Perverse noch ein hübsches Kleidchen schneidern!" Einen bizarren Humor hatte er. Mir war das egal, was er für Sprüche machte. Er verstand sein Handwerk – das war auschlaggebend.

    Kein Mensch würde vermuten, dass der schlanke und braungebrannte Mann, der ich heute bin, einmal eine Art Mauerblümchen war.

    Mein Leben hat erst mit 31 Jahren begonnen. Als Mutter starb.

    „Wollen wir nicht wieder zu mir gehen?, raunt mir Tobias dicht ins Ohr. „Ich hätte großen Bock ...

    Ich registriere die interessante Ausbuchtung in seinen Badeshorts und bekomme ebenfalls Lust. Warum nicht?

    Entspannt und gut gelaunt fahre ich am späten Nachmittag liebesgesättigt nach Hause. Aufs Land. Keine Parkplatzsorgen werden mich plagen. Ich besitze ein eigenes Haus und natürlich eine Garage.

    Obwohl es bereits Anfang Oktober ist, herrschen noch spätsommerliche Temperaturen. Der Wetterumschwung ist jedoch bereits angekündigt. Nächstes Wochenende soll es kühler werden. Und wenn es dann draußen so richtig ungemütlich ist und die Menschen sich in ihre behaglichen Wohnzimmer zurückziehen, ist der ideale Zeitpunkt gekommen, um ein kleines Vorhaben zu erledigen. Die sterblichen Überreste der vergrabenen Alice Schwarz sollen – um es in Behördendeutsch auszudrücken – einer thermischen Behandlung unterworfen werden. Sonst dreht uns der gute Karl noch durch und muss wieder auf die Geschlossene. Das wollen Kerstin und ich unbedingt verhindern und haben aus diesem Grund einen gemeinsamen Plan geschmiedet, welcher vorsieht, dass der Kaminofen im Schwarzschen Hause eine außergewöhnliche Aufgabe erhält.

    In einem Dorf ist eben so etwas machbar.

    Ich sollte ein wenig ausholen, was es mit Alice Schwarz auf sich hat.

    Sie war Kundin meines Lebensmittelhändlers, für welchen ich regelmäßig Waren ausliefere. War – bis zu jenem Abend, an dem ich sie mit einem Liebhaber beobachtete und kurz darauf relativ spontan beschloss, mich von ihrer unsäglichen Aufdringlichkeit für immer zu befreien. Ich war – obschon bereits dreißig Jahre alt – noch gänzlich unerfahren in Liebesdingen und hatte mich von Alice in eine erotische Verstrickung ziehen lassen, aus der ich keinen Weg mehr herausfand. Ihr zu sagen, dass ich keine Lust mehr hätte, wäre mit unendlicher Peinlichkeit für mich verbunden gewesen. Womöglich hätte sie überall herumerzählt, dass ich ein Schlappschwanz sei, der keinen mehr hochkriegen würde, bloß weil ich bei unserer letzten Begegnung versagt hatte! Dabei erfreue ich mich einer sehr gesunden und vitalen Potenz. Mein Gespiele hat noch nie seinen Dienst versagt, wenn ich wirklich erregt war. Alice jedoch war eine verhängnisvolle Affäre und vor allem: eine Frau. Sicher, es war mein Fehler gewesen, auf ihre Signale einzugehen und ihrer Verführung zu erliegen, aber man bedenke bitte auch meine damalige Not, in der ich mich befand! Ich war gänzlich unerfahren, hatte noch nie realen Sex gehabt und schämte mich obendrein meines unförmigen und übergewichtigen Körpers. Alice Schwarz musste keine große Anstrengung leisten, um mich in ihr übergroßes Bett zu zerren – wie ein liebestoller Rüde die läufige Hündin wittert, war ich nur allzu bereit gewesen, mich fleischeslustig auf sie zu stürzen.[2]

    Einmal die Woche trafen wir uns und unsere Vereinigung lief nach einem bestimmten Muster ab, welches sie vorgab. Es ödete mich schon nach kurzer Zeit an und ich empfand immer stärkeren Widerwillen, sie zu sehen, geschweige denn anzufassen und mehr noch: in sie einzudringen.

    Der letzte Versuch war folglich ein Fiasko. Sie machte sich lustig über mich – stattdessen hätte sie sich besser fragen sollen, ob es nicht an ihr gelegen hätte. Von Selbstzweifel jedoch keine Spur. Typisch Frau eben.

    Frauen haben niemals Schuld, das habe ich zur Genüge von Oma und Mutter gelernt. Für alles gibt es eine Ausrede, einen Anderen – einen Mann! – der für die Misere ihres Lebens verantwortlich ist, niemals haben sie einen eigenen Anteil daran. Läuft der Typ weg, war er ein Taugenichts, ein schlechter Kerl, ein Macho, der sie nur ausgenutzt hat. Für sämtliche Widrigkeiten lässt sich ein Grund finden, sie selbst bleiben die armen, ausgebeuteten Geschöpfe, die sie von jeher waren. Vom Anfang bis in alle Ewigkeit. Amen.

    Was also außer Mord hätte ich tun sollen? Es ergab sich halt. Es war eine günstige Gelegenheit, die passte. Ihr Liebhaber war vor wenigen Minuten davongefahren und schon umsurrte sie mich bereits wieder in ihrer Unersättlichkeit wie die Biene den Honig.

    Auch in dieser Hinsicht – oder sollte ich besser sagen – gerade in dieser Hinsicht? – sind Frauen wahrhaft grandiose Lügner vorm Herrn! Hätte sie tatsächlich ein befriedigendes Liebeserlebnis gehabt, dann wären doch nach so kurzer Zeit nicht schon wieder Gelüste entstanden oder täusche ich mich da? Sind Frauen da gänzlich anders als Männer? Ein Mann braucht seine Regenerationszeit. Sicherlich gibt es allerlei schlüpfrige Lektüre und anschauliches Bild- und Filmmaterial, welches einem suggeriert, dass dem nicht so ist, aber das entspricht nicht annähernd der Realität! Hand aufs Herz: welcher Mann kann ständig und immerzu? Stundenlang anhaltende Erektionen, ein Orgasmus jagt den nächsten und nicht zu vergessen: eimerweise meterweit herausspritzendes Sperma, dass einem Normalmann angst und bang wird beim Vergleich.

    Bei Frauen weiß man nie, ob der zurückliegende Akt ebenso erfreulich war wie bei einem selbst. Spitze Schreie und lautes Aufstöhnen können von ihrem Talent zur Schauspielerei ein beredtes Zeugnis ablegen, was daran echt ist, weiß man(n) nicht. Ein letzter Zweifel bleibt.

    Wie einfach ist der Umgang dagegen mit einem Mann! Offensichtlich ist er erregt oder nicht. Dann kann man entsprechend agieren. Mit der Lust oder Unlust ist es auch konkreter. Ein Mann will selten bis überhaupt nicht „nur kuscheln". Das hatte ich Gott sei Dank nur ein einziges Mal mit Alice. Ob sie da ihre kritischen Tage hatte? Haben Frauen mit Mitte fünfzig noch ihre Menstruation?

    Dieses „nur kuscheln" hatte etwas unerhört Intimes und für meine Bedürfnisse unerträglich Grenzüberschreitendes. Der sexuelle Akt als solches war dagegen etwas, auf das ich mich seelisch eingestellt hatte. Danach war definitiv Schluss mit der Anfasserei, doch jenes ominöse Kuscheln hatte keinen richtigen Anfang und erst recht kein vorhersehbares Ende. Ich mochte es nicht, gestreichelt und liebkost zu werden oder gar diese Spielchen mit dem Zerzausen der Haare und das Kitzeln und Zwicken in meine speckigen Hautfalten. Sie selbst war auch übergewichtig – aber ihr schienen diese Art von Berührungen sehr gut zu gefallen. Oder spielte sie mir das am Ende auch nur vor? Sie gurrte und schnurrte und verlangte nach Nackenmassage und Rückenkratzen. Bei ihrem Wunsch nach Fußmassage allerdings habe ich mich taub gestellt, das hätte ich nicht über mich gebracht. Füße haben mich noch nie interessiert! Es täte ihr unheimlich gut, seufzte sie, stundenlang könne sie das genießen, was mich bedauern ließ, dass ich – leider! – nicht so viel Zeit hätte. Meine Mutter, sie wüsste ja über meine Lebenssituation Bescheid.

    Mutter lebte damals noch. Und wurde mit jedem Tag übellauniger und galliger. Eine boshafte Alte war sie. Aus der hübschen Frau, die ich als kleiner Junge bewundert hatte, war eine an allem herummäkelnde Giftzwergin geworden.

    Ein Psychiater mag den realen Mord an Alice gewiss als gewünschten Mord an meiner Mutter interpretieren – mir ist es gleich. Ich werde ganz sicher nicht einen Seelenklempner aufsuchen, um mir von ihm in meiner Psyche herumstochern zu lassen.

    Letztendlich können einem derartig geschulte Leute auch nicht helfen bei wirklichen Problemen. Ist doch alles nur Schönrederei und Schubladen einordnen.

    Typischer Fall von pathologischem Mutterhass, würde der Psychoexperte vermutlich mit erhobenem Zeigefinger diagnostizieren. Meine zwanghafte Wut auf Frauen hätte mich zum Mord an einer Unschuldigen getrieben.

    Bloß: Wie würde er die Sache mit Diether König erklären?

    Womöglich stellvertretend als Rache an einem Vater, den ich nie gehabt habe?

    Mein Vater hatte gewiss keine Ähnlichkeit mit Diether. Mutter war stets sehr auf Äußerlichkeiten bedacht, dass ihr ein mickriger Geselle wie Diether niemals untergekommen wäre! Selbst im heftigsten Suff nicht. Mutters Liebhaber waren allesamt stramme, prächtige Burschen und dafür bin ich ihr heute dankbar.

    Ich weiß, dass ich mich zu einem sehr gutaussehenden Mann entwickelt habe. Die Blicke der Frauen zeigen mir das. Als ich noch mein Übergewicht mit mir herumschleppte, sahen einige förmlich durch mich hindurch. Als sei ich unsichtbar oder mit ansteckender Krankheit behaftet. Andere wiederum verhielten sich betont auffällig und übertrieben freundlich wie zu einem Kleinkind oder einem Behinderten. Letzteres Verhalten traf mich härter als das Ignoriert-Werden. Es ließ mich den Zustand der Erniedrigung erst recht spüren und mein Gefühlserleben pendelte in solchen Situationen zwischen mordlustiger Aggression und suizidaler Depression.

    Männer taxieren anders. Zumindest heterosexuelle. In Gegenwart von einigermaßen ansehnlichen Frauen benehmen sie sich wie Hunde, deren Fressnapf man zu nahe kommt; ist man mit ihnen allein, wollen sie einem zeigen, was für Supertypen sie sind. Sie geben an und schneiden auf und schauen einen im Anschluss erwartungsvoll an. Meine Art, damit umzugehen, ist amüsiertes Lächeln und – konsequentes Schweigen. Nichts zu sagen ist die sicherste Methode, sich nicht in die Karten schauen zu lassen und wirklich nichts von sich preiszugeben.

    Schwule Männer erkenne ich an der Länge des Blickkontaktes. An gewissen Örtlichkeiten – wie in Hamburg Sankt Georg z.B. ist die Wahrscheinlichkeit natürlich höher, auf Gleichgesinnte zu treffen als in der Stader oder Buxtehuder Innenstadt!

    Ach, was sage ich! Gleichgesinnte gibt es leider Gottes viel zu selten, Spinner existieren auch hier!

    Ich stehe beispielsweise überhaupt nicht auf Typen, denen man schon aus fünfzig Meter Entfernung ansieht, dass sie schwul sind. Ein bestimmtes stereotypes Outfit – die Frisur (wenn man überhaupt noch von Frisur sprechen kann. Einige bevorzugen einen nahezu kahl rasierten Schädel, andere wiederum tragen ihre Haare dermaßen kurz und gegelt, dass es schwierig ist, etwas Individuelles zu entdecken), ihre Kleidung, die Art und Weise, sich zu bewegen und sich zu geben – stößt mich ab.

    Mir gefallen die, denen man es ganz und gar nicht ansieht.

    Typen wie Jan eben.

    Bei ihm würde man niemals auf die Idee kommen, dass er schwul sein könnte. Nun, bis vor einem Jahr war er es wohl auch nicht. Zumindest nicht offensichtlich. Was ihm in all den Jahren zuvor durch den Kopf gegangen ist, welche Sehnsüchte, Träume und Hoffnungen er hatte, werde ich hoffentlich eines Tages einmal von ihm erfahren. Wenn ich sein Partner bin.

    Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man, wenn man sehr beharrlich ist, zu seinem Ziel kommt.

    Ich kenne mich aus mit dem Erreichen von Zielen.

    Es funktioniert. Das hätte ich nie vermutet. Laurent ist der Star meiner letzten Filme. Seitdem ich ihn einsetze, hat sich mein Einkommen verdoppelt. Ich beteilige ihn zu einem Viertel – er hat noch nicht richtig durchschaut, wie viel ich für unsere privaten „Inszenierungen" bekomme. Für ihn ist das ganze ein Spiel. Er muss nur den Hengst geben und gut aussehen – das beherrscht er aus dem Effeff. Mir kommt es vor, als hätte er all die Jahre zuvor nur darauf gewartet, endlich seine Qualitäten ausspielen zu können. Er ist eine perfekte Liebesmaschine. Vor der Kamera. Als Mensch ist er charakterlich mies, ein widerlicher Ausnutzer, ein verachtenswerter Zeitgenosse. Ausgerechnet ich muss das sagen. Was bin ich denn? Der Typ, der die Schwächen anderer ausnutzt und sich dumm und dämlich daran verdient. Dem Himmel sei Dank, dass die Menschheit roh und verkommen ist! Wäre ich doch auch so gestrickt wie Laurent, dann würde es mir besser gehen. Wenn ich doch einfach nur all das genießen könnte, was mir momentan widerfährt. Mein Konto war noch nie so prall gefüllt. Seltsamerweise macht es mich nicht wirklich glücklich. Eigentlich ist es mir total egal. Aber aufhören geht auch nicht mehr.

    Als das mit Alex passierte, war ich noch ein Anderer. Damals hat sich alles geändert. Es war ein Unfall, eine schlimme Sache, ich war danach total fertig. Ich hatte einen Menschen getötet. Einen Menschen, der mir sympathisch war. Es war Notwehr, ganz      klar, ich musste mich selbst schützen, aber die Sache mit      Katrin wäre nicht nötig gewesen. Andererseits habe ich sie      von Anfang an gehasst. Das war echter Mord gewesen. Und wenn ich ehrlich bin – es hat mir nichts ausgemacht. Diese dämliche Tussi. Einen wie Alex hatte sie einfach nicht verdient. Es hat mich nahezu verrückt gemacht, dass sie kurz nach seiner Beerdigung schon wieder Ausschau nach einem Anderen gehalten hat. Katrin hat den Tod verdient. So eine wie sie kann man nicht leben lassen. Manche Menschen sind eine Belastung für die Gesellschaft. Sie gehörte auf jeden Fall dazu. Ich bereue es nicht, sie getötet zu haben.[3]

    2

    Jan war mit seiner Familie im vergangenen Urlaub in Kroatien. Das heißt nur mit seinen Töchtern – und natürlich mit dem blonden Studenten Nick – der Sohn war auf irgendeiner Ferienfreizeit, einer Art Fußballcamp. Noch erfahre ich alles aus zweiter Hand von meiner Nachbarin Frau Melzer, aber ich denke, es ist bald an der Zeit, selbst Kontakt zu Jan aufzunehmen.

    Ich will nichts überstürzen, alles soll sich ganz natürlich entwickeln.

    Den ersten Schritt habe ich bereits gemacht, indem ich begonnen habe, in seinem Baumarkt, in welchem er als Marktleiter tätig ist, regelmäßig einzukaufen.

    Nach Mutters Tod war es dringend notwendig, das Haus auszumisten und mich von alten Scheußlichkeiten und den damit verbundenen Erinnerungen zu trennen. Nahezu das gesamte Mobiliar habe ich entweder verkauft oder als Sperrmüll entsorgt. Wochenlang hauste ich in einem fast leeren Haus und schlief auf einer Matratze. Inzwischen sind die Zimmer im Erdgeschoss frisch tapeziert oder gestrichen und mit einem neuen Fußboden versehen. Natürlich habe ich es sehr geschickt angestellt im Baumarkt und mich von ihm beraten lassen, welcher Bodenbelag am geeignetsten ist. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an das Gespräch, es war sozusagen die erste Annäherung. Ob er sich später auch daran erinnern wird und wir dann gemeinsam darüber lachen, dass es bei unserem ersten Zusammentreffen darum ging, ob ich nun besser Laminat oder doch Landhausdielen für mein Haus kaufen soll?

    Ich habe mich dann für die Landhausdielen entschieden. Geld spielt keine Rolle, Omas Erbe half mir dabei. Wie bereits bei der Schönheits-OP.

    Es ist angenehm, sich versorgt zu wissen und seinen Neigungen nachgehen zu können. Den Fahrerjob bei Kaufmann Dahle habe ich eigentlich nicht mehr nötig, aber ich wollte dieses Jahr noch nicht kündigen. Es würde keinen guten Eindruck machen bei den Leuten im Dorf. Allzu sehr sähe es nach glücklichem Erbe aus – erst im nächsten Jahr, wenn meine zwei Bücher erscheinen, werde ich Herrn Dahle mit Bedauern mitteilen, dass ich mich nur noch auf meine Schriftstellerei konzentrieren möchte.

    Die Leute wissen, dass von mir ein Buch erscheinen wird, welches meine persönliche Gewichtsgeschichte behandelt und sind sehr neugierig. Von dem zweiten Roman, der im Schwulen-Milieu spielt und in einem anderen Verlag produziert wird, ahnen sie selbstverständlich nichts. Auch hier muss ich sehr vorsichtig agieren und alles langsam angehen lassen – schon wegen Kerstin und Karl, die keinen blassen Schimmer haben, welche Neigungen ich habe!

    Dass ich mich sexuell zu Männern hingezogen fühle, ahnen sie nicht im Traum!

    Kerstin ist die Nichte von Alice Schwarz. Sie und ihr kräftiger Freund Karl wohnen seit fast einem Jahr in dem Häuschen der Tante. Zwei Tage nach ihrem Ableben kurz vor Weihnachten rückten sie an, entdeckten die Tote und glaubten, sie hätte sich während der Selbstbefriedigung stranguliert. Das, so versuchten sie mir später weiszumachen, sei ihnen derartig peinlich gewesen, dass sie es vorzogen, die Tante in ihrem eigenen Garten zu verscharren anstatt es der Polizei zu melden! Im Nachhinein erfuhr ich, dass Kerstin gute Gründe gehabt hatte, die Begegnung mit der Polizei zu meiden. Sie war krankhaft kleptomanisch und wurde wegen diverser Vergehen gesucht.

    Sie stahl einfach alles, wenn sich die Gelegenheit ergab. Man durfte sie nirgends unbeaufsichtigt allein lassen. Von Karl hatte sie Einkaufsverbot. Er kümmerte sich darum, die Lebensmittel zu besorgen. Ab und an allerdings hatte sie „frei" und dann zog sie los, meistens nach Hamburg. Karl hatte sie darum gebeten, sich möglichst weit entfernt vom Wohnort zur Diebestour zu begeben. Negative Erfahrungen in der Vergangenheit werden ihn zu Vorsichtsmaßnahmen dieser Art angehalten haben, vermute ich.

    Ich lernte beide kennen, als ich die Weihnachtspäckchen von Kaufmann Dahle auslieferte.

    Mir fuhr gehörig der Schrecken in die Glieder, als ich an jenem Morgen klingelte in der sicheren Annahme, dass niemand öffnen würde – ich wusste ja genau, dass Frau Schwarz es nicht konnte! – und Kerstin die Tür aufriss! Kurzzeitig verlor ich tatsächlich die Besinnung. Das war mir noch nie passiert! Ich hatte geglaubt, das gäbe es nur in schlechten Filmen.

    Geklingelt hatte ich nur deshalb, weil ich alles korrekt

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