Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Meuchler
Der Meuchler
Der Meuchler
eBook270 Seiten3 Stunden

Der Meuchler

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Dieser spannungsgeladene Thriller spielt während des 2. Weltkriegs in der Schweiz, direkt an der Grenze zum damaligen Deutschen Reich. August Golaz, ein skurriler Einzelgänger mit Klumpfuss und auf dem einen Auge blind, betreibt ein heruntergekommenes Fahrradgeschäft. Ab und zu ist er für einen ominösen Auftraggeber als Spitzel tätig. Eines Tages dringt er unbemerkt in ein Haus ein, das er nur von aussen zu beobachten hat, und belauscht dort heimlich zwei Deutsche, die einen Plan besprechen. Es geht um Gelder, die konspirative Kreise illegal in die Schweiz bringen wollen, als Putschfond für und nach einem möglichen Sturz Hitlers. Das Geld soll in mehreren Teilen in Basel über die Grenze gebracht werden, in Säcken unter einem Laster versteckt, wobei der Fahrer nichts von der wertvollen Fracht weiss. In einem weiteren Schritt sollen diese Gelder – Millionenbeträge – in einer Schweizer Bank in Gold umgetauscht werden. Golaz witterte das grosse Geschäft. Doch unvorhergesehene Ereignisse treiben ihn in eine verzweifelte Suche nach dem Geld. Er wird zum gefährlichen Täter, der meuchelnd seine Spuren hinterlässt. Unter seinem langen, schwarzen Ledermantel versteckt eine selbstgefertigte Waffe – eine stabile und vorne zugespitzte Fahrradspeiche, an der er unten einen hölzernen Griff befestigt hat. Doch er verstrickt sich mehr und mehr in einem Netz von Zusammenhängen, die er immer weniger durchschaut und wird so vom gnadenlosen Jäger zum Gejagten von undurchsichtigen Personen, die selber zu allem bereit sind …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. Nov. 2013
ISBN9783847660767
Der Meuchler

Mehr von Jon Pan lesen

Ähnlich wie Der Meuchler

Ähnliche E-Books

Krimi-Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der Meuchler

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Meuchler - Jon Pan

    Kapitel 1

    Der Feldweg war vom Regen aufgeweicht, und die Dunkelheit stahl den vielen Pfützen den Glanz. Kein Licht, nichts, nur das Geräusch von zwei Rädern, die sich unruhig ihre Bahn im matschigen Untergrund suchten. Weiter oben saß, mit krummem Rücken, den Kopf eingezogen, ein Mann auf dem Sattel und trat schnell und kräftig in die Pedale. Der Regen prallte gegen seinen schwarzen Ledermantel, der durch die Nässe an Festigkeit verloren hatte. Die wollene, mit Wasser vollgesogene Mütze, die der Radfahrer auf dem Kopf trug, hing ihm vorne ins Gesicht, war schwer wie dicker Brei. Aber er kam gut voran, sehr gut sogar.

    Etwa zehn Kilometer hatte August Golaz nun hinter sich. Es musste nach acht Uhr sein. Fünf Kilometer lagen noch vor ihm. Das war in einer Viertelstunde zu schaffen. Er durfte einfach nicht stürzen. Und niemandem begegnen.

    Wie immer hatte er die Anweisung an der vereinbarten Stelle abgeholt. Ein Zettel, auf dem in knappen Worten der Auftrag stand, dazu eine Zwanzigfrankennote, alles durch ein Stück Zeitung geschützt. Man schien inzwischen Vertrauen zu ihm zu haben. Sie wussten eben, dass sie sich auf August Golaz verlassen konnten!

    Der Regen verstärkte sich. Windböen fegten in die Wasserfäden, peitschten sie auseinander. Golaz schnaubte vor Anstrengung. Die Beine bewegten sich in gleichmäßigem Tempo, immer an der Grenze zur Hast. Er tauchte in gefährlicher Schräglage in ein kleines Waldstück ein, trat weiter in die Pedale, obwohl der Weg nun abwärts führte. Die Lenkstange vibrierte durch die Erschütterungen, die der nun härtere Boden verursachte. Golaz hielt sie mit eisernem Griff umklammert. Was er einmal in den Händen hatte, ließ er nicht mehr so schnell los.

    Schon befand er sich wieder auf einem freien Feld. Er kannte die Strecke genau. Von hier aus hätte er nun die Lichter der Ortschaft, in die er unterwegs war, sehen können. Doch kein Schimmer drang zu ihm durch. Und das lag nicht am Unwetter. Es war Krieg, was ohne Verdunkelung der Fenster, nahe an der deutschen Grenze auf Schweizerseite des Rheins, kritisch hätte werden können.

    Golaz erreichte die ersten Häuser. Er hatte absichtlich einen kleinen Umweg gemacht, um nicht bei zwei Bauernhöfen vorbeifahren zu müssen. Dort gab es Hunde, und er durfte um nichts in der Welt auffallen. Wie ein Schatten schoss er durch Nacht und Regen. Bremste ab. Schob das Rad hinter eine Mauer, wo er es auf den Boden legte. Dann richtete er sich auf und blieb stehen, lauschte, trat hinter der Mauer hervor.

    Kein Mensch war zu sehen. Die Fenster der Häuser verschmolzen mit der Nacht, verdunkelt, sollte hinter ihnen Licht brennen. Golaz machte einige Schritte. Das eine Bein zog er leicht nach, die Folge eines Klumpfußes, unter dem er seit seiner Geburt litt. Seine Hand griff in die Tasche des Ledermantels und umschloss die Pistole vom Kaliber 6,35 Millimeter.

    Golaz schlich die Friedhofsmauer entlang, verließ sie, überquerte einen Schulhof. Noch immer regnete es.

    Das Haus lag seitlich des Dorfausgangs. Eine hohe Hecke zäumte es ein. Es handelte sich um eine Villa. Wer hier wohnte, war nicht arm. Doch wer wohnte hier? Golaz wusste es nicht. Das gehörte nicht zu seinem Auftrag.

    Noch immer hielt er die Pistole in der Manteltasche umschlossen. Jetzt wurde genaues Beobachten von ihm gefordert, was ihm nicht leicht fiel, denn Golaz war auf dem einen Auge fast blind, das ebenfalls seit seiner Geburt. Er schaute sich um, suchte eine geeignete Stelle, die ihm Schutz, aber auch eine gute Aussicht bot. Er entschloss sich, hinter einem der auf der anderen Straßenseite stehenden Kastanienbäume Posten zu beziehen.

    Sein Auftrag lautete: Haus observieren ab 20.30 Uhr. Genaue Uhrzeit, wann männliche Person, vermutlich mit Wagen unterwegs, das Haus verlässt. Auch andere Vorkommnisse wie zusätzliche Personen, die kommen oder gehen, musste er aufschreiben. Diese schriftliche Anweisung hatte Golaz natürlich längst verbrannt.

    Es konnte eine lange Nacht werden, das war er sich bewusst. Warum bekam er nicht endlich bessere Aufträge, vor allem welche, die mehr Geld einbringen würden? Doch gab es solche Aufträge überhaupt? Golaz zog sich die Nase hoch, schob sich die klatschnasse Wollmütze aus der Stirn. Warum tat er das hier? Weil er sein Land von den Nazis beschützen wollte? Weil er ein Patriot war, einer, dem etwas an seinem Vaterland lag? Oder tat er es bloß wegen des Geldes? Ja, es ging ihm finanziell nicht gut. Sein kleines Fahrradgeschäft brachte kaum etwas ein. Die Zeiten waren eben schlecht. Doch allein daran lag es nicht. Schon als er vor acht Jahren aus seiner Geburtsstadt Genf hierher an den Rhein gezogen war, hatte er nichts als Schulden gehabt. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, zwei Jahre später ein eigenes Fahrradgeschäft zu eröffnen und bis heute zu behalten. Wie lange noch? Die Generalmobilmachung hatte ihn nicht erfasst. Und trotzdem arbeitete er nun für sein Land.

    »Merde!«, fluchte er, was er immer auf Französisch tat. Mit der einen Hand stützte er sich am Kastanienbaum ab. Das Haus schien zwischendurch gar nicht vorhanden zu sein. Und wenn sich seine Umrisse für Golaz Auge aus dem Regendunkel herausschälten, wirkte es unbewohnt.

    Zwei Stunden verstrichen. Golaz hatte zwischendurch einige wenige Schritte zur Entlastung seiner Beine unternommen, vom einen Kastanienbaum zum anderen und wieder zurück. Sollte er denn die ganze Nacht hier stehen? Für zwanzig Franken! Er wusste ja nicht einmal, um was es hier ging! Wenn schon, dann wollte er weiterkommen, mehr wissen, um mehr unternehmen zu können. Ewig den kleinen Spitzel zu spielen, lag ihm nicht. Er war doch kein Idiot, den sie für ein paar lumpige Franken ausnützen konnten und den sie dann im entscheidenden Moment so oder so fallen ließen.

    Golaz trat hinter dem Kastanienbaum hervor und schritt auf die Hecke zu. Dort angekommen, bückte er sich. Der Ledermantel gab mit wässerigem Knirschen nach. In geduckter Haltung schlich er die Hecke entlang, was mit seinem Klumpfuß nicht einfach war. Mit der einen Hand tastet er ins Gebüsch hinein und suchte nach einer Stelle, an der er durchschlüpfen konnte. Als er eine Öffnung fand, zwängte er sich auf die andere Seite.

    Jetzt musste er besonders vorsichtig sein. Einen Moment lang zögerte Golaz sogar, überlegte, ob er nicht besser zurückkriechen sollte. Seine Hand holte jedoch die Pistole aus der Tasche. Er entsicherte sie. Es war nicht auszuschließen, dass hier ein Hund zur Bewachung des Hauses gehalten wurde. Nur hätte der sich längst bemerkbar machen müssen! Golaz zielte mit der Pistole in die Dunkelheit, verharrte in gebückter Stellung, horchte die Gegend nach einem verdächtigen Geräusch ab. Dann erhob er sich und eilte mit schnellen Schritten auf das Haus zu, presste sich dort gegen die Wand.

    Direkt neben ihm war ein Fenster. Golaz kauerte sich darunter, ging mit dem Kopf höher, suchte nach Ritzen, durch die Licht schimmern könnte. Dunkelheit. Sofort beschäftigte er sich mit weiteren Fenstern, die im Parterre alle vergittert waren. Auch hier: Dunkelheit. Golaz kam auf die hintere Seite des Hauses und wandte sich dort den unteren Fenstern zu. Es gab auch eine große Veranda, der er sich besonders vorsichtig näherte. Vom Garten her führte keine Treppe in sie hinein. Verdammt verlassen wirkte das alles. Golaz störte es nicht, dass er bei seiner Sucherei in die Rosenbeete trampelte. Die Pistole hielt er schussbereit in der Hand.

    Warum versuchte er nicht, ins Haus zu gelangen? Das entsprach zwar nicht seinem Auftrag. Doch wieso sollte er stundenlang im Regen stehen und auf etwas warten, das möglicherweise gar nicht passierte.

    Golaz bog um die Hausecke und entdeckte die freistehende Garage, zu der von vorne die Einfahrtsstraße führte. Er schlich sich näher heran. Auf dem Vorplatz stand kein Wagen. In der Seitenwand der Garage ertastete Golaz eine kleine, vergitterte Öffnung, die als Lüftung diente. Er bückte sich, und hob einen leichten Kieselstein auf. Nachdem er sich nochmals vergewissert hatte, dass alles um ihn herum still war, warf er den Stein zwischen dem engmaschigen Gitter ins Innere der Garage, wo er gegen Blech traf, das ganz nach der Karosserie eines Autos klang. Genau das hatte Golaz wissen wollen. Es befand sich also ein Wagen in der Garage.

    Nachdem er sich wieder dem Haus zugewandt hatte, drückte er mit der Hand gegen eines der Kellerfenster, zuerst schwach, dann stärker. Es gab etwas nach, ließ sich aber nicht öffnen. Vielleicht sollte er versuchen, es mit den Schuhen aufzustemmen. Auf jeden Fall würde das weniger Lärm als das Einschlagen der Scheibe machen. Golaz holte aber sein Taschenmesser hervor und schob die stabile Klinge zwischen die Rahmen der beiden Flügel, wo er das Schloss vermutete. Zu seiner Überraschung schnappte das Fenster auf, die Flügel klappten seitlich weg. Golaz schaute hinter sich, wartete einige Sekunden, steckte dann den Kopf durchs Fenster und horchte. Stille, und das offenbar im ganzen Haus. Also stieg er ein.

    Der Raum roch nach Waschküche, Golaz schloss das Fenster hinter sich zu. Er hatte Streichhölzer bei sich, in der Brusttasche seines Hemdes, unter Ledermantel und Wollpullover, also bestimmt trocken. Aber er zündete keines an. Ohne große Mühe fand er die Tür, drückte die Klinke. Sie war unverschlossen.

    Sollte er wirklich weitergehen? Das gehörte längst nicht mehr zu seinem Auftrag. Er könnte Schwierigkeiten bekommen. Nein, das interessierte ihn nicht. Was er jetzt tat, gehörte zu seiner Mission. Er war entschlossen, die Sache nun selber in die Hand zu nehmen. Hier bot sich ihm eine Chance, die er ergreifen musste. Vielleicht hätte er sich vorher darüber informieren sollen, wer hier wohnte. Doch das hatte ja nicht zum Auftrag gehört.

    Einzig die Uhrzeit aufzuschreiben, wann eine Person das Haus verlässt, und sonst ein bisschen den Wachhund spielen! Mehr wurde von ihm nicht erwartet. Merde! Dazu brauchte er doch nicht die halbe Nacht im Regen zu stehen. Jetzt nahm er die Dinge selber in die Hand. Und das gleich richtig.

    Golaz zündete ein Streichholz an, um sich zu orientieren. Er befand sich dicht vor einer hölzernen Treppe, die nach oben führte. Vorsichtig setzte er den einen Schuh auf die erste Stufe und entlockte dieser damit ein leises Knarren. Als sein ganzes Gewicht folgte, ging ein unüberhörbares Ächzen durchs Holz. Er ließ sich davon nicht verunsichern und stieg die Treppe hoch.

    Die nächste Tür war ebenfalls nicht verschlossen. Golaz schob sie etwas auf und zog sie gleich wieder zu, weil ihm Licht entgegen fiel. Die Tür verband die Kellertreppe mit dem Flur. Er richtete seine Pistole nach vorne, öffnete mit der anderen Hand die Tür wieder einen Spalt breit. Nichts war zu hören. Doch er wartete einige Sekunden ab, um dann plötzlich die Tür ganz aufzumachen und hinauszutreten.

    Er war im Flur. Und er fixierte schon die nächste Treppe, die ins Obergeschoss führte. Mehrere geschlossene Türen kreisten ihn ein. Warum diese ihn nicht interessierten, wusste er nicht. Die Treppe zog ihn an. In der Mitte der Stufen lag ein Läufer, persischer Stil, mit dünnen Messingrohren der Unterlage angepasst. Trotzdem knarrte das Holz, wie Golaz mit leicht hinkendem Gang eine Etage höher stieg.

    Er würde sofort schießen. Da räumte er sich keine Verzögerung ein, keine Sekunde, nichts. Einfach abdrücken. Die Gefahr war zu groß, um sich auf einen Kompromiss einzulassen. Golaz hatte zwar noch nie einen Menschen getötet. Das bedeutete für ihn aber nichts. Es war eben nie nötig gewesen, sonst hätte er es schon lange getan.

    Da war eine Stimme. Da sprach jemand. Ein Mann. Undeutlich, weil nicht nah genug. Golaz blieb auf den letzten Stufen stehen. Im oberen Stockwerk brannte ebenfalls das Licht im Flur. Fünf Türen zählte Golaz, zwei davon halb offen. Er wusste sofort, von wo die Stimme kam. Keinesfalls durfte er sich selber eine Falle stellen. Der Rückweg musste offen bleiben. Schießen und dann fliehen, so sah für ihn der Notfall aus. Die Frage lautete also, ob sich im Parterre niemand aufhielt, der ihn während der Flucht behindern könnte? Sicher, er würde auch hier nicht zögern, seine Waffe abzufeuern. Die Vorstellung, im entscheidenden Moment noch unerwartet aufgehalten zu werden, behagte ihm trotzdem nicht.

    Was sprach diese Stimme? Mit wem sprach sie?

    Golaz löste sich aus seiner starren Pose und näherte sich der halb offenen Tür, hinter der Licht brannte. Der Fußboden knarrte einige Male schwach. Golaz drückte sich gegen die Wand, die Pistole auf den Türspalt gerichtet.

    Nun konnte er jedes Wort verstehen. Die Stimme gehörte keinem Schweizer, sondern einem Deutschen.

    »Das Risiko dürfen wir nicht unterschätzen«, sagte dieser, »aber es bleibt uns schlussendlich nichts anderes übrig, als diesen Weg zu gehen. Das Netz ist gespannt. Wir brauchen im Grunde nur noch die Beute einzuholen.«

    »Wenn uns nichts durch die Maschen schlüpft«, sagte eine andere Stimme, die ebenfalls einem Deutschen gehörte.

    Golaz atmete kaum und lauschte angestrengt.

    »Was oder wer soll uns durch die Maschen schlüpfen?«, fragte der erste Deutsche. »Wer sich in unseren Kreisen für die Konspiration gegen Hitler entschlossen hat, steigt nicht mehr aus. Wesentliche Stellen sind von uns durchsetzt, wir haben einen entscheidenden Mann aus der Berliner Zentrale im Rücken, ohne den die geplante Transaktion undurchführbar wäre. Da schlüpft uns nichts und niemand durch die Maschen.«

    »Und von Aesch?«, wurde gefragt.

    »Der weiß ja nicht, was wirklich gespielt wird.«

    »Liegt nicht gerade in dieser Tatsache ein Risiko?», fragte der zweite Deutsche.

    »Von Aesch darf nicht wissen, was wir mit dem Geld wirklich vorhaben. Eine größere Sicherheit gibt es für uns nicht. Als ehrgeiziger Bankier ist er der ideale Partner für unser Vorhaben. Zudem arbeitet er ja ohnehin schon als Mittelsmann für die deutsche Abwehr und verschiebt in deren Auftrag Gelder ins Ausland.«

    »Und wenn er Wind von unserem Plan bekommt, alarmiert er gleich Berlin.«

    »Nein. Von Aesch ist ein eingefleischter Opportunist. Er wird sich hüten, unnötig Staub aufzuwirbeln, solange es ihm selber gut geht.«

    »Hoffen wir, dass du Recht hast.«

    »Die Sache ist bestens vorbereitet. Am nächsten Dienstag kommt die erste Lieferung, die wir bei Basel über die Grenze bringen.«

    Golaz wäre am liebsten näher getreten, um einen Blick durch die halb offen stehende Tür zu werfen. Er wollte die beiden Männer sehen, hielt sich aber zurück.

    »Außer uns beiden weiß nur noch Bosse und Reitzel von der Transaktion jenseits der Schweizergrenze», fuhr der eine Deutsche weiter. »Es war für Reitzel nicht leicht, Weidl, dem die geheimen Fonds unterstehen, zu überzeugen, dass wir Geld für einen Reservefond von zwei bis drei Millionen Dollars in der Schweiz anlegen wollen.«

    »Das kann ich mir vorstellen«, stimmte der andere zu und vergewisserte sich dann: »Am Dienstag ist es also endlich soweit?«

    »Ja.. Das Geld wird per Kuriersack direkt zu von Aesch gebracht. In US-Dollars. Von Aesch wechselt dann natürlich in Gold, was am sichersten ist.«

    »Und du allein kannst bei Bedarf eine entsprechende Summe – oder auch alles – abrufen?«

    »Richtig, nur ich als Abwehrsonderführer habe einen Zugriff auf diesen geheimen Fond.«

    »Schön eingefädelt, dass muss man dir lassen«, lobte der zweite Deutsche.

    »Das Lob gehört Reitzel.«

    »Und wer bringt die Kuriersäcke über die Grenze?«

    »Eine kleine Speditionsfirma aus Basel«, erklärte dieser Abwehrsonderführer.

    »Du hast doch nicht etwa vor, eine Speditionsfirma in die Sache einzuweihen?«

    »Nun hör mal, wofür hältst du mich! Das geschieht natürlich ohne das Wissen dieser Speditionsfirma. Ich habe alles bestens arrangiert. Der Fahrer hat keine Ahnung, dass er zusätzlich drei Kuriersäcke mit über einer halben Million Dollar mitführt.«

    »Und das Risiko?«

    »Ohne Risiko geht in diesen Zeiten nichts«, meinte der Abwehrsonderführer. »Aber ich halte es möglichst gering.«

    Mehr als eine halbe Million Dollars sollte am nächsten Dienstag illegal über die Grenze geschafft werden! Golaz lehnte staunend an der Wand und konnte kaum glauben, was er hörte.

    »Und die Einzelheiten?«, fragte der zweite Deutsche.

    »Bosse bringt das Geld persönlich von Berlin nach Lörrach«, wurde ihm erklärt. »Wir verfügen über genaue Informationen, wann und wo der Fahrer der erwähnten Speditionsfirma seine übliche Fracht in Deutschland abholt. Bosse wird die Kuriersäcke in einem Hohlraum unter der Ladebrücke verstecken. Die Gewohnheiten des Fahrers helfen uns dabei, denn er besucht in Lörrach am Dienstagnachmittag immer eine Prostituierte. In dieser Zeit versteckt Bosse die Säcke. Gegen Abend, etwa um sieben Uhr, erreicht der Laster die Schweiz, genauer gesagt, er steht dann vor der öffentlichen Badeanstalt im St. Johanns Quartier, einem Stadtteil von Basel in der Nähe der französischen Grenze. Dort erfrischt sich der Fahrer jeweils eine gute Stunde im Bad und wäscht sich vermutlich die Sünden des Nachmittags vom Leib. Das gibt unserem Kurier hier in der Schweiz die Möglichkeit, die Säcke unbemerkt unter der Ladebrücke hervorzuholen. Er wird das Geld anschließend gleich nach Zürich zu von Aesch bringen.«

    »Diese Fahrt übernimmt wohl Stämpfli?«

    »Ja, Stämpfli macht den Kurier nach Zürich. Auf ihn ist Verlass.«

    «Und woher hast du die Informationen über den Fahrer der Speditionsfirma?«, wollte der zweite Deutsche wissen.

    «Eine Büroangestellte gab den Tipp, was aber völlig risikolos ist, da sie absolut nichts über unser weiß. Sie glaubt, es handle sich um eine private Angelegenheit des Fahrers, wegen der Gewohnheit, die Prostituierte zu besuchen – na ja, du kannst dir ja vorstellen, was ich meine.«

    Kurzes Schweigen.

    »Wir werden den Putschfond zusammenbekommen», sprach dieser Abwehrführer weiter. »Wie ich die Situation abschätze, lässt sich über von Aesch ein gewisser Spielraum schaffen. Das Gold muss in Zürich deponiert bleiben, damit es uns im entscheidenden Moment, nach Hitlers Sturz, zur Verfügung steht. Die neue Regierung wird Geld brauchen. Aber auch in der Vorbereitungsphase sind wir auf Finanzmittel angewiesen.«

    Golaz, der die ganze Zeit mit starrem Blick und zielgerichteter Pistole dagestanden hatte, entdeckte plötzlich die Wasserlache, die sich um seine Füße gebildet hatte. Seitlich des Flurbodens gab es nämlich keinen Teppich, und das versiegelte Parkett saugte das Wasser nicht auf. Er versuchte, seine klobigen Schuhe, einer nach dem anderen, hochzunehmen, als würde sich dadurch die Lache auflösen. Doch weiteres Wasser tropfte vom Ledermantel herunter. Mit einer schnellen Bewegung holte sich Golaz die klatschnasse Mütze vom Kopf und steckte sie in die Manteltasche. Dabei knarrte der Boden leicht.

    »Was war das?«, hörte Golaz einen der Deutschen fragen. Sein Herz pochte heftiger. Die Hand mit der Pistole zitterte nicht mehr. Er war bereit, und er würde abdrücken!

    Das Geld! Mehr als eine halbe Million US-Dollars! Sollte sich Golaz ein solches Geschäft entgegen lassen! Er wusste doch längst, was er zu tun hatte. Wenn er nun also die beiden Deutschen umlegte, dann fand der illegale Geldtransport wohl nicht mehr statt.

    »Mach dich nicht verrückt!«, sagte der Abwehrführer. »Da kommt niemand rein. Das Haus ist ringsum dicht.«

    Und doch, Golaz vernahm nun Schritte.

    Merde! Weg von hier! Wohin? Und die Wasserlache! Golaz handelte blitzschnell und verschwand in der anderen, halb offen stehenden Tür. Einige Sekunden lang war er überzeugt, dass man ihn nun gehört haben musste. Abwartend stand er in einem dunklen Zimmer, den hellen Türspalt vor sich.

    »Mach dich nicht verrückt!«, wiederholte der Abwehrführer.

    Golaz hielt es nicht mehr aus und neigte sich zum Türspalt vor. Er sah, dass die beiden Männer nun im Flur standen. Der eine hatte die Hand am Kinn und wirkte nachdenklich. Er hatte dunkles, dichtes Haar mit einigen grauen Strähnen und trug einen schmalen, gepflegten Oberlippenbart. Der andere Mann war schmächtiger, mit blondem, sehr kurzem Haar, dessen Ansatz in der Stirn zu weit hinten lag.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1