Die Wohngemeinschaft
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Über dieses E-Book
Namen und Figuren sind der Phantasie entsprungen. Ähnlichkeiten sind daher dem Zufall geschuldet.
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Buchvorschau
Die Wohngemeinschaft - Alexander von der Decken
Alexander von der Decken
Die Wohngemeinschaft
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VerlagslogoInhaltsverzeichnis
Titel
Die Wohngemeinschaft
Impressum neobooks
Die Wohngemeinschaft
1
Ruhig setzt die Maschine Amsterdam-Barcelona auf dem Rollfeld auf. Vor zwei Stunden hatte sie in Amsterdam abgehoben. Langsam rollt sie aus. Sie erhebt sich von ihrem Sitz und geht den Gang in Richtung vorderem Ausgang. Seltsam wieder hier zu sein, denkt sie, während sie das Flughafengebäude betrachtet. Ihre Gedanken gleiten in die Vergangenheit, sie merkt, sie ist machtlos. Bilder werden klar, ihr ist, als blicke sie in Wasser, alles ist zu sehen, doch nichts zu erkennen. Erst als sie den Blick vom Gebäude losreißt, beruhigen sich ihre Gedanken. Die letzten Wochen waren vergangen, als sei nie etwas geschehen. In den Zeitungen hatte nichts gestanden und ihre Leute hatten nicht versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Sie haben nicht weitergemacht, nein, ganz bestimmt nicht.
Wie in Trance geht sie auf das Flughafengebäude zu. Es gibt kein Zurück. In der Falle! Ich sitze in der Falle, ihre Gedanken hämmern. Ihr wird warm. Schweißperlen bilden sich auf der Stirn. Bleib ruhig, denkt sie. Ganz ruhig, du musst jetzt ruhig bleiben. Alles ist in Ordnung. Du darfst nicht auffallen. So wie du dich aufführst, hält dich jeder an und sei es, um dein Gepäck genauer zu kontrollieren – und wer weiß, wie es dann weiterginge. Ruhig, ganz locker, noch fünf Minuten und alles ist vorbei, versucht sie sich zu beruhigen. Und wenn doch, nein, unmöglich, wie denn, sie haben ganz bestimmt aufgehört. Sie war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie versucht ihrem Schritt etwas Energisches zu verleihen, merkt aber, dass es unecht wirkt. Ich mache mich verrückt, denkt sie. Es ist doch überhaupt nichts, es kann gar nichts sein! Keine Zeitung hat berichtet, keiner hat versucht, sie zu benachrichtigen. Sie hatte einmal bei Marissa angerufen, sie hatte nichts gesagt. Ich steh das nicht durch, ihre Gedanken wirbeln durcheinander. Wenn nun doch alles aufgeflogen ist und mich gleich jemand anspricht? Die Zweifel lassen sich nicht niederringen. Sie verzieht ihr Gesicht zu einem gequälten Lächeln. Sie betritt das Gebäude. Man oh man, nun beruhige dich endlich, über die Sache ist längst Gras gewachsen, alles ist okay. Endlich! Ihre Selbstsicherheit kehrt zurück. Ein angenehmes Prickeln durchzieht ihre Adern. Wärme durchströmt ihren Körper. Sie fühlt sich gut und geborgen. Ein komisches Gefühl, denkt sie. Mit ruhiger Hand gibt sie dem Beamten ihren Pass. Der guckt beiläufig auf das Dokument. Dann die Gepäckkontrolle. Zu verzollen hatte sie nichts, wäre ja auch blöd gewesen, denkt sie und geht weiter zum Tisch, auf dem der Koffer geöffnet wird. In Sicherheit, nun kann nichts mehr passieren. Ich hab es doch gewusst, denkt sie und fühlt sich besser. Der Beamte durchsucht gelangweilt, aber zeitraubend ihr Gepäck. Die Panik ist weg. Ihr ist, als durchdringe die aufgehende Sonne den Morgennebel.
„Darf ich bitte noch einmal Ihre Papiere sehen?", fragt der Beamte freundlich.
Sie reicht ihm den Pass, vermeidet aber jeden Blickkontakt.
„Würden Sie mir bitte zu einer Leibesvisitation folgen!", sagt nun eine Beamtin freundlich, die wie aus dem Nichts aufgetaucht ist und ihren Pass in der Hand hält. Sie folgt der Beamtin. Das schwere Klacken, mit dem die Tür ins Schloss fällt, weckt sie schlagartig auf. Irgendetwas stimmt hier nicht, schießt es ihr durch den Kopf. Zweifel legen sich wie ein schwerer Umhang um ihre Schultern. Die Personen in dem Raum, der auf sie einen kalten und sterilen Eindruck macht, sehen aus wie Wachsfiguren. Ihre Gesichter unnahbar, kalt und ohne jede Regung. Nichts mehr von Freundlichkeit. Ein Tisch trennt sie von diesen Personen. Sie beginnt zu verstehen, ohne es glauben zu können. Ohnmacht und Leere unterdrücken ihre Angst. Es ist das Unabänderliche, Endgültige des Augenblicks. Ihr ist alles klar, dennoch ist da die verzweifelte Hoffnung auf Rettung. Doch auch sie beginnt zu schwinden, zu lange dauert das Schweigen in dem Raum. Warum sagt denn keiner was, denkt sie. Es war aus. Sie fühlt die stechende Klarheit im Kopf. Sie wissen es – sie wissen alles! Ihr Puls hämmert. Wieder dieses Prickeln, diesmal jedoch völlig anders. Sie fühlt sich wie betrunken, irgendwie weit weg, sie glaubt nicht, in dem Raum zu sein, sondern alles nur zu beobachten, nicht selber betroffen zu sein. Sie will etwas sagen, aber ihr Hals ist zugeschnürt, sie will schreien, einfach nur etwas sagen, irgendetwas, Hauptsache, etwas sagen. Doch das Hämmern in ihrem Kopf zertrümmert jeden klaren Gedanken.
„Heißen Sie Gimena Hernandez", fragt eine der Personen.
Sie nickt, unfähig zu reden, zaghaft mit dem Kopf. Es ist ihr unmöglich zu erkennen, wie viele Personen vor ihr stehen, ob sie Uniform tragen und was sie tun. Vor ihren Augen beginnt sich die Welt zu drehen.
„Sie sind verhaftet!"
Sie fragt nicht warum. Wozu auch, sie wissen alles. Ich bin verloren! Dieser Gedankte wächst zu riesengroßen Buchstaben.
„Mein Kind", sagt sie kaum vernehmbar.
„Dafür ist gesorgt", antwortet eine der Personen.
Jemand beginnt in kurzen abgehackten Sätzen so etwas wie ein Gedicht aufzusagen, zumindest scheint es ihr so. Sie wird auf etwas hingewiesen. Sie ist wie in Trance, sie versteht nichts von alldem. Warum nur, denkt sie immer und immer wieder. Warum gerade jetzt, wo doch alles wieder gut zu sein schien. Warum bin ich bloß zurückgekommen? Erst jetzt beginnt sie zu begreifen, die Vergangenheit drängt in die Gegenwart, schiebt alle Zweifel beiseite und lässt keinen Raum für Spekulationen. Ihr ist, als schöben sich die Wände auf sie zu, dichter, immer dichter – bis sie sich nicht mehr bewegen kann. Die Gedanken türmen sich auf, Gedanken an das, was geschehen war, an ihre Leute, an all die vielen Jahre, die vor ihr liegen und an ihr Kind. Ich bin einsam, die Wucht dieses Gedankens schleudert sie aus dem Hier und Jetzt, sie befindet sich im freien Fall in einen endlos tiefen Brunnen, wild um ihre eigene Achse rotierend. Ist das alles nur ein Traum? Ihr wird schlecht, der Puls rast, sie bebt vor Panik, bis sie das Gleichgewicht verliert. Alles dreht sich – ihr wird schwarz vor Augen.
Sie spürt einen festen Griff in der Achselhöhle. Jemand setzt ihr ein Glas mit einer kalten Flüssigkeit an die Lippen. Instinktiv nimmt sie einige Schlucke. Es hört auf sich zu drehen und sie fühlt sich klarer. Zurück bleibt die Angst. Angst vor dem, was kommt. Sie blickt starr auf den Fußboden. Die kleinen Steine des Bodenmosaiks formen sich zu Figuren. Sie glaubt einen Kopf zu sehen und Landkarten zu erkennen, die in dem Moment verschwimmen, in dem das Starren einem Betrachten weicht. Sie reißt den Blick vom Boden los und schaut in die Leere des Raumes. Jemand sagt etwas zu ihr, sie versteht es nicht. Dann fühlt sie einen sanften Druck in der Achselhöhle. Zwischen zwei Personen verlässt sie das Gebäude durch einen Hinterausgang. Sie riecht die Luft, kann sie fühlen, saugt sie ein und versucht, sie zu schmecken. Die letzten Luftzüge in Freiheit, denkt sie. Am liebsten würde