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Five Nights at Freddy's: Durchgeknallt
Five Nights at Freddy's: Durchgeknallt
Five Nights at Freddy's: Durchgeknallt
eBook296 Seiten4 Stunden

Five Nights at Freddy's: Durchgeknallt

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Über dieses E-Book

Band 2 der offiziellen Romanreihe zum kultigen Survival-Horror Überraschungserfolg Five Nights at Freddy's. Seit den unheimlichen Geschehnissen in Freddy's Pizzeria ist ein Jahr vergangen. Charlie versucht den Horror zu vergessen, doch gerade als sie neuen Mut schöpft, werden in der Nähe ihrer Schule ein paar Leichen entdeckt, deren Zustand ihr nur allzu vertraut ist. Die animatronischen Killerpuppen scheinen wieder auf der Jagd zu sein ...
SpracheDeutsch
HerausgeberPanini
Erscheinungsdatum21. Juni 2018
ISBN9783736799776
Five Nights at Freddy's: Durchgeknallt

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    Buchvorschau

    Five Nights at Freddy's - Scott Cawthon

    FIVE NIGHTS AT FREDDY’S

    Die Romanreihe von Scott Cawthon

    Band 1: Die silbernen Augen

    ISBN 978-3-8332-3519-1

    Band 2: Durchgeknallt

    ISBN 978-3-8332-3616-7

    Nähere Infos und weitere spannende Romane unter

    www.paninibooks.de

    Roman

    Von Scott Cawthon &

    Kira Breed-Wrisley

    Aus dem Englischen

    von Robert Mountainbeau

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Amerikanische Originalausgabe: „Five Nights at Freddy’s: The Twisted Ones" by Scott Cawthon and Kira Breed-Wrisley published in the US by Scholastic Inc., New York, 2017.

    Copyright © 2017 Scott Cawthon. All rights reserved.

    Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart.

    Geschäftsführer: Hermann Paul

    Head of Editorial: Jo Löffler

    Head of Marketing: Holger Wiest (email: marketing@panini.de)

    Presse & PR: Steffen Volkmer

    Übersetzung: Robert Mountainbeau

    Lektorat: Tom Grimm

    Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

    Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

    YDFIVE002E

    ISBN 978-3-7367-9977-6

    Gedruckte Ausgabe:

    ISBN 978-3-8332-3616-7

    1. Auflage, Juni 2018

    Findet uns im Netz:

    www.paninicomics.de

    PaniniComicsDE

    1

    „Trauen Sie niemals Ihren Augen."

    Dr. Treadwell ging auf der Bühne des Auditoriums auf und ab. Ihre Schritte waren langsam und gleichmäßig, fast hypnotisierend. „Ihre Augen täuschen Sie jeden Tag, indem sie die Lücken in dieser Welt der Reizüberflutung für Sie füllen."

    Auf der Leinwand hinter ihr erschien ein Bild, das eine Fülle schwindelerregender geometrischer Details zeigte.

    „Wenn ich ‚Reizüberflutung‘ sage, dann meine ich das wörtlich. In jedem Augenblick strömen weit mehr Informationen auf Ihre Sinne ein, als Sie gleichzeitig verarbeiten könnten, deswegen ist Ihr Hirn dazu gezwungen auszuwählen, welchen Signalen es seine Aufmerksamkeit schenken will. Das tut es, basierend auf Ihren Erfahrungen und darauf, was Sie für normal halten. Die Dinge, die uns vertraut sind, sind die Dinge, die wir – in der Regel – ignorieren können. Ganz einfach können wir das an der sogenannten olfaktorischen Ermüdung sehen: Ihre Nase nimmt einen Geruch nicht mehr wahr, wenn Sie ihm eine Zeit lang ausgesetzt waren. Unter Umständen sind Sie für dieses Phänomen äußerst dankbar, je nach den Gewohnheiten Ihres Mitbewohners."

    Die Studenten lachten pflichtschuldig, verstummten aber sofort wieder, als das Bild eines weiteren, vielfarbigen Musters auf der Leinwand erschien.

    Die Professorin zeigte die Andeutung eines Lächelns und fuhr fort.

    „Ihr Hirn erkennt Bewegung, wo keine ist. Es ergänzt Farben und Linien, die auf dem basieren, was Sie zuvor schon einmal gesehen haben, und berechnet, was Sie jetzt sehen sollten."

    Ein weiteres Bild erschien auf der Leinwand.

    „Würde Ihr Hirn diese Arbeit nicht leisten, würde es Sie schon all ihre mentale Energie kosten, einen Baum zu betrachten. Sie wären dann zu nichts anderem mehr in der Lage. Um in dieser Welt funktionieren zu können, füllt Ihr Hirn die Lücken in diesem Baum mit seinen eigenen Blättern und Zweigen." Hundert Stifte kratzten gleichzeitig über Papier und erfüllten den Hörsaal mit einem Geräusch, das wie umherhuschende Mäuse klang.

    „Das ist der Grund, warum Ihnen, wenn Sie ein Haus zum ersten Mal betreten, kurz schwindelig wird. Ihr Hirn muss mehr als gewöhnlich verarbeiten. Es zeichnet einen Grundriss, entwirft eine Farbpalette und speichert einen Vorrat an Bildern ab, aus dem es sich später bedienen kann, damit Sie nicht jedes Mal erneut so viele Informationen aufnehmen müssen. Wenn Sie dasselbe Haus erneut betreten, wissen Sie bereits, wo Sie sich befinden."

    Charlie!" Eine drängende Stimme flüsterte ihren Namen, nur Zentimeter von ihrem Ohr entfernt. Charlie schrieb weiter. Sie blickte starr auf das, was sich auf dem Podium des Hörsaals abspielte.

    Während Dr. Treadwell fortfuhr, wurden ihre Schritte schneller, und gelegentlich deutete sie auf die Leinwand, um zu verdeutlichen, worauf sie hinauswollte. Ihre Worte schienen mit dem Tempo ihrer Gedanken nicht mithalten zu können. Bereits am zweiten Tag des Kurses war Charlie aufgefallen, dass ihre Professorin manchmal einen Satz in der Mitte abbrach, um dann einen völlig anderen zu beenden. Man hatte den Eindruck, sie würde den Text in ihrem Kopf überfliegen und hier und dort ein paar Worte laut vorlesen. Die meisten Teilnehmer des Studiengangs für Robotertechnik machte das wahnsinnig, aber Charlie gefiel es. Dadurch wurde die Vorlesung zu einer Art Puzzle, das erst zusammengesetzt werden wollte.

    Wieder erschien ein neues Bild auf der Leinwand. Es zeigte verschiedene mechanische Bauteile und die schematische Darstellung eines Auges. „Und das ist es, was Sie nachbauen müssen. Dr. Treadwell trat ein paar Schritte zurück, um gemeinsam mit den Studenten das Bild zu betrachten. „Bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz geht es zu Beginn ausschließlich um die Verarbeitung von Reizen. Sie haben es nicht mit einem Hirn zu tun, das diese Dinge von ganz allein filtern kann. Sie müssen Programme entwerfen, die einfache Formen erkennen und dabei unwichtige Informationen aussortieren. Sie müssen für Ihren Roboter das tun, was Ihr eigenes Hirn für Sie tut: eine vereinfachte und geordnete Zusammenstellung an Informationen kreieren, die sich danach richtet, was tatsächlich relevant ist. Sehen wir uns einmal ein paar Beispiele für einfache Formenerkennung an.

    „Charlie", zischte die Stimme erneut, und sie versuchte mit einer ungeduldigen Handbewegung die Gestalt fortzuscheuchen, die ihr über die Schulter spähte. Es war ihr Freund Arty. Die Unterbrechung kostete sie einen Moment ihrer Aufmerksamkeit, und sie fiel etwas hinter die Ausführungen der Professorin zurück. Schnell versuchte sie wieder aufzuholen, weil sie keinen einzigen Satz verpassen wollte.

    Das Papier, auf dem sie schrieb, war bedeckt mit Formeln, Randnotizen, Skizzen und Diagrammen. Sie wollte alles gleichzeitig niederschreiben. Nicht nur die mathematischen Fakten, sondern auch all die Dinge, die ihr dazu einfielen. Wenn es ihr gelang, die neuen Erkenntnisse mit ihrem bereits vorhandenen Wissen zu verknüpfen, würde sie sich alles leichter merken können. Sie hungerte geradezu nach dem, was sie hier hörte, und wartete voller Spannung wie ein Hund unter dem Esstisch auf all diese informativen Leckerbissen.

    Ein Junge, der weiter vorn saß, hob eine Hand, um eine Frage zu stellen, und Charlie spürte, wie eine Welle der Ungeduld sie überlief. Jetzt würde der ganze Kurs warten müssen, während die Professorin noch einmal einen ganz einfachen Begriff erklärte. Charlie ließ ihre Gedanken schweifen und zeichnete abwesend kleine Skizzen an den Rand ihres Notizblocks.

    John würde in – unruhig warf sie einen Blick auf ihre Uhr – einer Stunde hier sein. Ich habe ihm gesagt, dass wir uns vielleicht eines Tages wiedersehen werden. Ich schätze, heute ist dieser Tag. Er hatte sie völlig überraschend angerufen: „Ich komme nur kurz vorbei", hatte er gesagt, und Charlie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu fragen, woher er wusste, wo sie war. Natürlich wusste er es. Und es gab keinen Grund, sich nicht mit ihm zu treffen. Doch sie schwankte zwischen einer gewissen Aufregung und ebenso starker Furcht. Während sie kleine Rechtecke an den unteren Rand ihres Notizblocks zeichnete, zog sich ihr Magen zusammen. Es kam ihr vor, als habe sie John seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Manchmal hatte sie das Gefühl, ihn erst gestern getroffen zu haben, als sei inzwischen kein ganzes Jahr vergangen. Aber das stimmte natürlich nicht, und für Charlie hatte sich wieder einmal alles verändert.

    In jenem Mai, in der Nacht vor ihrem achtzehnten Geburtstag, hatten die Träume begonnen. Charlie war an diese Albträume gewöhnt, in denen die schlimmsten Erlebnisse ihrer Vergangenheit wie bittere Galle in ihr aufstiegen, verzerrte Erinnerungen dessen, was allein schon zu schrecklich war, um es sich noch einmal vor Augen zu führen. Sie hatte diese Träume am folgenden Morgen immer verdrängt, doch sie wusste, sobald die Nacht anbrach, würden sie zurückkehren.

    Doch diese neuen Träume waren anders. Wenn sie aufwachte, fühlte sie sich stets körperlich vollkommen erschöpft. Sie war nicht nur ausgelaugt, ihr tat auch alles weh, und ihre Muskeln besaßen keine Kraft mehr. Ihre Hände waren steif und schmerzten, als hätte sie stundenlang die Fäuste geballt. Diese Träume suchten sie nicht jede Nacht heim, doch wenn sie kamen, drängten sie sich in ihre gewöhnlichen Albträume. Es war egal, ob sie gerade rannte und um ihr Leben schrie oder ziellos durch ein düsteres Sammelsurium der verschiedenen Orte irrte, an denen sie schon die ganze Woche gewesen war. Ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, spürte sie ihn dann: Sammy, ihren verschwundenen Zwillingsbruder, und er war ganz in der Nähe.

    Sie wusste, dass er genauso gegenwärtig war wie sie. Und in welchem Traum auch immer sie sich gerade befand, alles löste sich in diesen Momenten einfach auf – Menschen, Orte, Licht, Geräusche. Dann suchte sie Sammy in der Dunkelheit, rief seinen Namen. Er antwortete nie. Sie ließ sich auf alle viere nieder und ertastete sich in der Dunkelheit ihren Weg, während sie sich von seiner Gegenwart leiten ließ, bis sie auf ein Hindernis stieß. Es war immer glatt und kühl. Metall. Sie konnte es nicht sehen, aber sie schlug mit der Faust dagegen, und ein hohles Echo erklang.

    „Sammy?", rief sie und schlug noch fester zu. Sie stand auf und tastete die glatte Oberfläche ab, um herauszufinden, ob sie daran hinaufklettern konnte, doch das Ding ragte noch weit über ihren Kopf empor. Mit den Fäusten trommelte sie auf das Hindernis ein, bis es schmerzte. Sie schrie den Namen ihres Bruders, bis sie heiser war, bis sie zu Boden sank und sich gegen das Metall lehnte, wobei sie ihre Wange gegen die kühle Oberfläche presste und hoffte, von der anderen Seite ein Flüstern zu vernehmen. Er war dort. Das wusste sie so sicher, als sei er ein Teil ihrer selbst.

    In diesen Träumen gab es keinen Zweifel daran, dass er anwesend war. Doch sobald sie wach war, wusste sie, dass er nicht da war.

    Im August hatten Charlie und Tante Jen ihre erste Auseinandersetzung gehabt. Ihr Verhältnis war immer zu distanziert gewesen, um wirklich in Streit zu geraten. Charlie hatte nie das Bedürfnis gehabt zu rebellieren, da Jen für sie keine wirkliche Autoritätsperson darstellte. Und Jen nahm nie etwas persönlich, das Charlie tat, versuchte nie, sie von irgendetwas abzuhalten, solange sie sich nicht in Gefahr begab. An dem Tag, als Charlie mit sieben Jahren zu ihr gezogen war, hatte Tante Jen ihr sofort gesagt, dass sie kein Ersatz für Charlies Eltern sei. Inzwischen war Charlie alt genug, um zu verstehen, dass Jen es als eine Geste des Respekts gemeint hatte, um Charlie zu versichern, dass ihr Vater nie in Vergessenheit geraten, dass sie immer sein Kind bleiben würde. Aber damals war es ihr wie eine Ermahnung vorgekommen. Erwarte nicht, dass ich dich wie mein Kind behandele. Erwarte keine Liebe. Und deswegen hatte Charlie das auch nicht getan. Jen hatte sich immer um Charlie gekümmert, sie mit Essen und Kleidung versorgt, ihr das Kochen beigebracht, sie gelehrt, wie man einen Haushalt führt, wie man mit Geld umgeht und das eigene Auto repariert. Du musst unabhängig sein, Charlie. Es ist wichtig, dass du auf dich selbst achtgeben kannst. Du musst stärker sein als … Sie hatte sich unterbrochen, aber Charlie wusste, wie der Satz enden würde. Als dein Vater.

    Charlie schüttelte den Kopf, um diese Erinnerungen abzuschütteln.

    „Was ist?", fragte Arty, der neben ihr saß.

    „Nichts", flüsterte sie. Immer wieder fuhr sie mit ihrem Bleistift dieselben Linien nach: hoch, runter, zur Seite. Die Striche wurden immer dicker.

    Charlie hatte Jen gesagt, dass sie nach Hurricane zurückfahren würde. Jen hatte sie mit versteinerter Miene angesehen und war ganz blass geworden.

    „Wieso hast du das vor?", fragte sie mit einer gefährlichen Ruhe in der Stimme. Charlies Herz schlug schneller. Weil ich ihn dort verloren habe. Weil ich ihn mehr brauche als dich. Der Gedanke zurückzukehren, war jetzt schon seit Monaten in ihrem Kopf und wurde mit jeder Woche, die verging, stärker. Eines Morgens dann war sie aufgewacht und hatte ihre Entscheidung getroffen, endgültig, tief in ihren Gedanken verankert.

    „Jessica geht aufs St. George College, sagte sie ihrer Tante. „Sie fängt zum Sommersemester an, deswegen kann ich bei ihr wohnen, während ich dort bin. Ich möchte das Haus noch einmal sehen. Es gibt immer noch so viel, was ich nicht verstehe. Ich habe einfach das Gefühl … es ist wichtig, beendete sie ihren Satz lahm und schrumpfte unter dem Blick aus Jens dunkelblauen Augen, die wie Murmeln wirkten, in sich zusammen.

    Eine ganze Weile schwieg Jen, dann sagte sie nur: „Nein."

    Wieso nicht?, hätte Charlie früher vielleicht entgegnet. Du hast mich doch sonst auch hinfahren lassen. Aber nach dem, was letztes Jahr geschehen war, als sie und Jessica und die anderen zum Freddy’s zurückgekehrt waren und die entsetzlichen Dinge entdeckt hatten, die sich hinter den Morden in der alten Pizzeria ihres Vaters verbargen, hatte sich ihr Verhältnis verändert. Charlie hatte sich verändert. Jetzt hielt sie Jens Blick entschlossen stand. „Ich fahre", sagte sie, bemüht, dass ihre Stimme nicht zitterte.

    In diesem Moment geriet die Situation völlig außer Kontrolle.

    Charlie wusste nicht mehr, wer von ihnen beiden zuerst angefangen hatte zu schreien, aber sie brüllte, bis ihre Kehle brannte, und warf ihrer Tante jeden Schmerz an den Kopf, den sie ihr jemals zugefügt hatte, jeden Schmerz, den sie nicht verhindert hatte. Jen schnauzte zurück, dass sie immer nur für Charlie hatte sorgen wollen, dass sie immer ihr Bestes gegeben habe, doch die Worte troffen irgendwie vor Gift.

    „Ich fahre!", erklärte Charlie entschieden, ohne noch irgendeinen Widerspruch zu dulden. Sie lief zur Tür, aber Jen packte sie am Arm und riss sie heftig zurück. Charlie verlor das Gleichgewicht und stürzte fast, bevor sie sich am Küchentisch festhalten konnte, und Jen ließ erschrocken los. Einen Augenblick sahen sich die beiden schweigend an, dann ging Charlie hinaus.

    Sie packte eine Tasche und hatte das Gefühl, irgendwie aus der Wirklichkeit hinausgetreten zu sein, in eine ihr völlig fremde Parallelwelt. Dann stieg sie in ihr Auto und fuhr davon. Sie erzählte niemandem, wohin sie wollte. Die Freunde, die sie hier hatte, standen ihr nicht besonders nah, und keinem schuldete sie eine Erklärung.

    Als Charlie Hurricane erreichte, wollte sie eigentlich direkt zu dem Haus ihres Vaters fahren, um die nächsten paar Tage dort zu verbringen, bis Jessica auf dem Campus eintreffen würde. Doch als sie die Stadtgrenze erreichte, hielt sie irgendetwas zurück. Ich kann es nicht, dachte sie. Ich kann niemals dorthin zurückgehen. Sie drehte um, fuhr direkt zum St. George und schlief eine Woche lang in ihrem Auto.

    Erst nachdem sie geklopft hatte und Jessica überrascht die Tür öffnete, begriff Charlie, dass sie ihrer Freundin gegenüber nichts von ihren Plänen erwähnt hatte. Also erklärte sie Jessica, was sie vorhatte, und die bot ihr zögernd an, zu bleiben. Bis zum Ende des Sommers hatte sie dann auf dem Boden geschlafen, und als das Herbstsemester näher rückte, bat Jessica sie nicht darum, zu gehen.

    „Es ist schön, jemanden hier zu haben, der mich kennt", hatte sie gesagt, und Charlie hatte ihre Freundin umarmt, obwohl das sonst eigentlich überhaupt nicht ihre Art war.

    Die Highschool war Charlie immer egal gewesen. Sie hatte im Unterricht nie besonders aufgepasst, trotzdem bekam sie gute Noten. Auch die Fächer hatte sie weder besonders gemocht noch gehasst, obwohl es manchmal dem einen oder anderen Lehrer gelang, für eine gewisse Zeit einen Funken von Interesse bei ihr zu entzünden.

    Über das Ende des Sommers hatte Charlie sich nicht wirklich Gedanken gemacht, doch als sie träge das Vorlesungsverzeichnis durchblätterte und Aufbaukurse für Robotik entdeckte, war ihr plötzlich klar, was sie tun wollte. St. George gehörte zu den Colleges, bei denen sie Anfang des Jahres angenommen worden war, obwohl sie nie vorgehabt hatte, eins davon zu besuchen. Jetzt allerdings wurde sie im Sekretariat vorstellig und trug ihr Anliegen vor, bis man ihr erlaubte, sich einzuschreiben, obwohl sie die dafür notwendige Frist eigentlich um Monate versäumt hatte. Es gibt immer noch so viel, was ich nicht verstehe. Charlie wollte lernen, und die Dinge, die sie lernen wollte, waren sehr speziell.

    Natürlich gab es Dinge, mit denen sie sich beschäftigen musste, bevor es Sinn machte, an Vorlesungen über Robotik teilzunehmen. Mathematik war für Charlie immer sehr direkt, funktionell, fast wie ein Spiel gewesen. Man tat einfach, was nötig war, und bekam ein Ergebnis. Trotzdem war es nie ein besonders interessantes Spiel gewesen. Natürlich machte es Spaß, etwas Neues zu lernen, aber dann musste man sich wochenlang und bis zum Erbrechen damit beschäftigen. Doch schon während ihrer ersten Vorlesung in Analysis war etwas geschehen. Es kam ihr vor, als habe sie seit Jahren Stein um Stein eine Mauer hochgezogen und nichts gesehen außer dem Mörtel und ihrer Kelle, bis sie nun jemand einen Schritt zurück zog und sagte: „Sieh nur, dieses Schloss hast du gebaut. Du kannst jetzt hineingehen und darin spielen!"

    „Das wäre es für heute", erklärte Dr. Treadwell schließlich. Charlie blickte auf das Stück Papier vor ihr und bemerkte, dass sie die ganze Zeit darauf herumgekritzelt hatte. Sie hatte dabei das Papier durchgedrückt und die Striche schon auf den Schreibtisch gemalt. Halbherzig versuchte sie, den Grafit mit ihrem Ärmel von der Platte zu reiben. Dann öffnete sie eine Mappe, um ihre Notizen zu verstauen. Arty schob seinen Kopf über ihre Schulter, und hastig klappte sie den Aktendeckel zu, doch er hatte genug gesehen.

    „Was ist das? Ein Geheimcode? Abstrakte Kunst?"

    „Nur Mathe", erwiderte Charlie ziemlich knapp und schob die Mappe in ihre Tasche. Arty war in seiner verpeilten Art irgendwie niedlich. Er hatte ein angenehmes Gesicht, dunkle Augen und lockiges braunes Haar, das ein Eigenleben zu führen schien. Er hatte ebenfalls drei ihrer vier Kurse belegt und und tapste seit Semesterbeginn wie ein verirrtes Entenjunges hinter ihr her. Charlie bemerkte zu ihrer eigenen Überraschung, dass es ihr absolut nichts ausmachte. Während Charlie den Hörsaal verließ, nahm Arty seinen inzwischen angestammten Platz an ihrer Seite ein.

    „Und hast du eine Entscheidung getroffen, was das Projekt angeht?", wollte er wissen.

    „Das Projekt?" Nur vage erinnerte sich Charlie daran, dass er gerne gemeinsam mit ihr an einem Projekt arbeiten wollte. Er nickte kurz und wartete darauf, dass sie wieder wusste, worum es ging.

    „Erinnerst du dich? Wir müssen für Chemie einen Versuchsaufbau machen. Ich dachte, wir könnten das zusammen tun. Du weißt schon, mit deinem klugen Kopf und meinem Aussehen …" Er verstummte grinsend.

    „Ja, das klingt … Ich muss mich mit jemandem treffen", unterbrach sie sich dann selbst.

    „Du triffst dich nie mit jemandem, entgegnete er überrascht und wurde knallrot, kaum waren die Worte über seine Lippen. „So habe ich es nicht gemeint. Es geht mich ja eigentlich nichts an, aber wer ist es denn? Er strahlte sie an.

    „John", sagte Charlie, ohne näher darauf einzugehen. Arty wirkte einen Augenblick lang geknickt, aber er fing sich schnell wieder.

    „Klar, John. Toller Typ, neckte er. Fragend hob er eine Augenbraue, aber sie lieferte ihm keine weiteren Einzelheiten. „Ich wusste ja nicht, dass du … dass ihr … das ist cool. Arty bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Charlie musterte ihn verwundert. Sie hatte nicht andeuten wollen, dass John und sie ein Paar waren, aber sie wusste auch nicht, wie sie das jetzt wieder aus der Welt schaffen sollte. Es gab keine Möglichkeit, Arty zu erklären, in welchem Verhältnis sie zu John stand, ohne ihm mehr zu verraten als sie eigentlich wollte.

    Eine Minute lang gingen sie schweigend nebeneinander über den Campus.

    „Stammt John aus deiner Heimatstadt?", erkundigte sich Arty schließlich.

    „Meine Heimatstadt liegt eine halbe Stunde von hier entfernt. Das College ist praktisch nur eine Erweiterung von ihr, meinte Charlie. „Aber ja, er stammt aus Hurricane. Arty zögerte, dann beugte er sich zu ihr herüber und blickte sich um, als könne jemand sie belauschen.

    „Das habe ich dich schon immer fragen wollen", begann er.

    Misstrauisch blickte Charlie ihn an. Frag mich nicht danach.

    „Bestimmt fragen dich die Leute das ständig, aber du kannst es mir nicht verdenken, dass ich neugierig bin. Die ganze Sache mit den Morden, das ist hier in der Gegend so etwas wie eine moderne Legende. Ich meine, nicht nur hier. Überall. Freddy Fazbear’s Pizzarestaurant …"

    „Hör auf." Charlies Gesichtszüge fühlten sich plötzlich an, als seien sie zu Stein erstarrt. Es kam ihr vor, als bedürfe es einer geradezu übernatürlichen Fähigkeit, die ihr längst verloren gegangen war, um auch nur einen Muskel darin zu bewegen. Artys Gesichtsausdruck hatte sich ebenfalls verändert. Sein scheinbar ungezwungenes Lächeln erlosch. Fast wirkte er ein wenig ängstlich. Charlie zwang ihren Mund, sich zu bewegen, und biss sich auf die Unterlippe.

    „Als all das passiert ist, war ich noch ein Kind, sagte sie leise. Arty nickte, schnell und hektisch. Charlie rang sich ein Lächeln ab. „Ich treffe mich mit Jessica, log sie. Ich ertrage deine Nähe nicht. Arty nickte weiter wie ein Wackeldackel. Sie drehte sich um und ging in Richtung des Studentenwohnheims davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

    Charlie blinzelte ins Sonnenlicht. Immer wieder blitzten vor ihrem geistigen Auge Bilder von dem auf, was letztes Jahr im Freddy’s geschehen war, Erinnerungen, die mit kalten, eisernen Fingern an ihr zerrten. Der Haken erhoben, bereit zum Schlag – kein Entkommen. Eine Gestalt, die hinter der Bühne aufragte, rotes, verfilztes Fell, das die metallenen Knochen der mörderischen Kreatur kaum bedeckte. Auf den Knien in absoluter Dunkelheit, unter ihr der kalte, geflieste Boden der Toilette, und dann – das riesige Plastikauge, das sie durch den Spalt anstarrte, der Pesthauch leblosen Atems auf ihrem Gesicht. Und die andere, die ältere Erinnerung: der Gedanke, der ihr in einer Weise Schmerzen bereitete, die sie nicht in Worte fassen konnte, Leid, das sie erfüllte, als wäre es in ihr Mark gehämmert worden. Sie und Sammy, ihr anderes Selbst, ihr Zwillingsbruder, spielten lautlos in der vertrauten Wärme der Kostümkammer. Dann erschien die Gestalt in der Tür und blickte auf sie herab. Plötzlich war Sammy fort, und ihre Welt stürzte zum ersten Mal ein.

    Charlie stand vor ihrem Studentenzimmer und wusste kaum, wie sie dorthin gekommen war. Langsam zog sie die Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss auf. Es brannte kein Licht. Jessica saß also noch in einer Vorlesung. Charlie drückte die Tür hinter sich zu und überprüfte sicherheitshalber zweimal das Schloss. Dann lehnte sie sich gegen das Türblatt. Sie holte

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