Die Freiheit der Waagen
Von Michael Tycher
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Buchvorschau
Die Freiheit der Waagen - Michael Tycher
1. Christoph
Die Geschichte dieses Romans ist frei erfunden. Personen, Namen, Handlungen, Orte und Ereignisse sind das Produkt der Fantasie des Autors. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen, lebenden oder verstorbenen Personen bzw. Ereignissen ist rein zufällig.
Es ist wichtig, die Vorgänge von Anfang an zu erzählen. Sonst kämen die mir gemachten Vorwürfe in ein irreführendes Licht. Man wirft mir manch Böses vor, doch am Ende geschah alles nur aus einer reinen und tiefen Liebe, die ihres Gleichen in der Geschichte suchen wird. Ich bin unschuldig an all den Dingen, die passierten und würde in der Zukunft niemals – falls sich dieses Leben noch einmal so für mich ergeben würde – alles genauso machen. Also jetzt von vorne:
Einschulung war an einem Samstag, alle Kinder waren neu, scheu und kannten niemanden außer ihren Eltern, die sich bald verzogen. Ein Wink der zukünftigen Klassenlehrerin sorgte dafür. Ich begegnete das erste Mal Theresa. Wir beide sind kaum den verschiedenen Kitas entronnen und hatten uns gerade ein paar Sekunden gesehen, wir mussten in Zweierreihen Aufstellung nehmen. Wir schauten uns an. Ihre ersten Worte zu mir waren:
„Ich hab’ dich lieb!"
Ich kann mich verdammt gut daran erinnern und habe es nie vergessen, es strömte so unglaublich viel Wärme durch meinen Kinderkörper. Ihre strohblonden zu einem Zopf gebundenen Haare und ihre tief blauen Augen verfolgen mich bis jetzt, in diesem Moment, wo ich mich aus freien Stücken dazu entschlossen habe, dies alles staatlichen Stellen anzuvertrauen.
Es macht Sinn für alle Leser, die Ereignisse mit Theresa und meinen Weg bis zu den angeblichen Missverständnissen von Anfang an zu erzählen, genau wie sie sich bis zum heutigen Tag entwickelt haben. Ich möchte damit die Vorkommnisse erklären, aber nichts entschuldigen oder rechtfertigen, aber doch an der Aufklärung der Ereignisse mitwirken. Auch verschweigen werde ich nichts. Ich möchte endlich in Ruhe gelassen werden. Das, was passierte war nicht meine Schuld. Ich werde die reine Wahrheit hier wiedergeben und schwöre, dass ich nichts Wesentliches weglassen werde.
Während wir die ersten beiden Schuljahre durchliefen hing mein Blick ständig auf Theresa. Ihre Fröhlichkeit steckte mich an. Bei uns in der schmalen Elternwohnung war es immer dunkel und erdrückend wie in einem Käfig. Lachen war verboten und das Leben der Kinder schien eine Belastung zu sein. Ich kam mir überflüssig, ja gar nicht gewollt oder behütet vor.
Als ich Theresa sah wollte ich ihr vor der gesamten Schulklasse beweisen, dass ich der Mensch bin, der für sie auserwählt worden ist. Ich fühlte mich unendlich zu ihr hingezogen. Warum, wusste ich damals noch nicht, irgendeine innere Botschaft sagte es mir: Dieses Wesen und kein anderes ist meine Zukunft. Heute bin ich mir sicher, dass sie für mich bestimmt ist. Ich warb um sie, erzählte davon, wie ich sie von bösen Geistern aus dem Netz befreien könne. Sie hielt sich für unschuldig und bedeckt, schäkerte fast frühreif mit anderen Jungs herum. Ich war fassungslos, sie sagte doch zu mir:
„Ich hab’ dich lieb!"
Mich alleine.
In meinen Träumen rettete ich sie vor Verbrechern und bösen Geistern, sie war der kleine Mensch, der mir plötzlich etwas bedeutete bis heute wo sie nicht mehr da ist. Meine Phantasie uferte bis ins Unvorstellbare aus. Ich war der Ritter, der Theresa von miesen Gestalten befreite, nicht nur in den Spielen im Internet. Doch sie wollte meinen Einsatz für sie nicht erkennen. Nicht jetzt, erst später sprachen wir darüber.
Quälend erschienen mir die Unterrichtsstunden in den Jahren, ich sah zu Theresa rüber. Erwiderte sie meinem Blick, durchzog mich ein intensiver Wärmeschwall. Ich war den ganzen Tag wie elektrisiert, blickte sie weg, wollte ich nicht mehr leben. Es mag für einen jungen Menschen heute lächerlich klingen, aber genau so war es. Und ich kannte damals keine Kitschromane und las keine Love Stories, die in den Weiten des digitalen Wahnsinns auch ihre Leser fanden.
Theresas Ignoranz mir gegenüber, wenn sie anderen Mitschülern ihre Aufmerksamkeit schenkte, traf mich wie ein Speer des Teufels. Plötzliche Lähmungswellen warfen sich über mich. Mein Herz schlug nicht, bombardiert von Artillerieeinschlägen verlor es den Rhythmus. Rasend vor Wut verfolgte ich ihre Blicke im Klassenraum, unschuldiges verträumtes Suchen nach Anerkennung strahlte sie aus, sie hat sich schon als Kind in den Mittelpunkt des Geschehens gespielt. Und sie hat gewonnen, die, die mich liebte.
Von den Kids kam auf ihre Provokation vielleicht ein Zwischenruf, ich weiß nicht mehr was es war, sie gab etwas zurück, ich verstand es nicht, alle lachten über das Geschehene, nur ich nicht. So war es damals, ich schluckte alles runter.
Wir Jungs spielten Fußball, es gab Klassenspiele, unser Team trat gegen das der Nachbarklasse an oder sogar gegen ältere Jahrgänge. Dann holten wir uns schwere Prügel ab, ganz schlimm, sie waren körperlich überlegen. Die Spiele fanden nach dem Unterrichtsschluss auf dem Sportplatz der Schule statt. Unsere Aufregung zog sich schon den ganzen Tag bis zum Spiel hin, den Unterrichtsstunden folgten wir bis zum Tageshöhepunkt schon lange nicht mehr, das Klassenspiel stand im Mittelpunkt. Ja,