Harry L: Fall 3 und Fall 4
Von Miriam Lanz
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Buchvorschau
Harry L - Miriam Lanz
Fall 3.
San Francisco, 1978:
Und hast du das von Amy gehört? Sie hat mit Steve Schluss gemacht, weil….
Ein rothaariges Mädchen mit lockigen Strähnen, die ihr auf der schweißnassen Stirn klebten, keuchte nach Luft. Ihre Freundin verdrehte die Augen und erhöhte die Laufgeschwindigkeit.
Cindy, jetzt konzentrier dich doch einfach mal aufs Laufen. Einfach mal nur atmen und nicht reden! Meine Ohren bluten schon!
, stieß sie aus, verfiel jedoch ohne Schwierigkeiten wieder in ihren Atemrhythmus. Die Rothaarige japste und versuchte mit ihrer Freundin Schritt zu halten.
Wenn ich gewusst hätte, wie schnell du bist, wär ich sowieso nicht mitgekommen, Lynn.
Ein kurzes Lächeln zuckte um Lynns Lippen. Sie hob den Blick und konzentrierte sich auf die Brücke. Sie war früh losgelaufen - nicht so früh, wie gewöhnlich, weil Cindy nur wenig motiviert war. Auf der Brücke war kaum Verkehr – zumindest für Frisco-Verhältnisse. Nebel stieg vom Meer auf und umwaberte die Pfeiler der roten Brücke. Sie wirkte erhaben, beinahe mystisch und Lynn wusste, dass es dieser Anblick war und die für die Stadt ziemlich ungewöhnliche Ruhe, die sie fünfmal in der Woche zu ihrer morgendlichen Joggingrunde antrieb. Und seit heute wusste sie auch, wieso sie bisher immer nur alleine gelaufen war. Cindy zerstörte die Ruhe - und zwar so nachhaltig wie eine Abrissbirne ein Gebäude.
Lynn, jetzt wart doch mal!
Die blonde junge Frau wandte sich im Laufen um. Cindy war etwa 50 Meter hinter ihr - nicht weit genug, denn ihre Stimme konnte sie noch deutlich hören.
Jetzt komm schon. Ich dachte, du wolltest ne schöne Strandfigur!
, rief Lynn. Sie war beinahe unter der Brücke. Der Lärm der wenigen Autos, den man bis vor einem Augenblick noch nicht gehört hatte, hallte laut unter der Eisenkonstruktion. Die blonde Frau trabte rückwärts und versuchte ihre Freundin anzutreiben, als sie plötzlich gegen irgendetwas stieß und rücklings nach hinten kippte. Mit dem Kopf schlug sie gegen den Sand. Sie konnte Cindy aufschreien hören. Sie kreischte. Lynn drehte benommen den Kopf. Nie wieder würde sie sich breit schlagen lassen, mit ihrer Freundin zu laufen. Als sie die Augen öffnete, glaubte sie, ihr Herz hätte einen Schlag ausgelassen. Neben ihrem Gesicht lag eine Hand - gelblich, unnatürlich, tot.
Cindy kreischte noch immer. Lynn sprang auf die Beine. Sie lag auf einem Menschen. Einem Mann. Seine Augen waren halb geöffnet. Die Augäpfel hatten sich gelb verfärbt. Er war tot.
Scheiße!
, stieß Lynn hervor und sah sich hektisch um. Dann sprintete sie die Böschung hinauf zur Straße. Sie musste Hilfe holen!
-0-0-0-0-
Ben?
Harry drückte die Tür zu Bens Zimmer auf. Wenn es für Leute wie ihn eine sinnvolle Methode gab, Türen zu öffnen, hatte er sie noch nicht herausgefunden – nicht, dass ihn das besonders störte. Nur mit Schwierigkeiten schob er sich in den Raum. Er hatte Ben den ganzen Morgen nicht gesehen - nie ein gutes Zeichen.
Ben? Bist du hier?
Harry sah sich um; starrte für einen Augenblick direkt in die hässliche große Kamera in der oberen Zimmerecke, die den Raum überwachen sollte, tatsächlich jedoch nur einen kleinen Teil einfing. Nathan hatte längst ausgearbeitet, wo die Kamera ihren toten Winkel hatte.
Harry wendete den Rollstuhl, als er ein Scheppern im Bad hörte.
Scheiße!
Er drückte sich gegen die Tür - in der Psychiatrie gab es glücklicherweise keine Schlösser. Die Badtür schwang geräuschlos auf; Harry rutschte aus dem Rollstuhl und zog sich in das Bad.
Ben kauerte zitternd neben der Dusche. Der Kopf dunkelrot angelaufen, ein T-Shirt um seinen Hals gewickelt.
Ben! Nein! Das ist ganz schlecht. Ganz schlecht!
Harry griff nach dem Stoff um seinen Hals, lehnte sich gegen die Wand und zog den blonden Mann zu sich.
Sie haben gesagt…. ganz schlecht? Ich bin schlecht!
Harry schüttelte den Kopf. Er würde sie erschlagen - wenn er könnte, würde er ihre dämlichen Schädel einschlagen.
Mr. Bennet!
Nancy trat in das Zimmer - hatte vermutlich erst durch Harry Lunte gerochen. Livingston konnte das nervtötende Quietschen der Gummisohlen hören. Bei ihrer Stimme zuckte Ben zusammen. Harry drückte ihn enger an sich. „Schon gut. Alles gut, Ben!"
Mr. Bennet?
Die betagte Schwester steckte den Kopf durch die Tür. Noch bevor sie die Szene vor ihren Augen richtig begriff, sah sie sich Harrys stechendem Blick gegenüber.
Halten Sie den Mund, verdammt!
Nancy riss die Augen auf. Sie öffnete den zu stark geschminkten Mund, wollte protestieren, doch Harry ließ sie nicht zu Wort