Perfekt: David Millers 1. Fall
Von Miriam Lanz
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Über dieses E-Book
Doch Davids Gedanken kreisen nicht nur um das blutrünstige Phantom. Seine Verlobung steht bevor. Als er seiner Verlobten - seinem 'Zuckerpüppchen' - eines Abends von den Fällen erzählt, sieht sie Parallelen zu einem Groschenroman. Von Neugier ergriffen, beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln. Aber warum soll ausgerechnet sein kleines Püppchen in der Lage sein, den Mörder zu finden, während Scotland Yard in diesem Fall praktisch nur auf der Stelle tritt? Der Gedanke ist einfach lächerlich...
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Buchvorschau
Perfekt - Miriam Lanz
Miriam Lanz
Perfekt
David Millers 1. Fall
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VerlagslogoInhaltsverzeichnis
Titel
Perfekt
Impressum neobooks
Perfekt
London, Februar 1895:
I.
Der graue Schleier des kalten Morgens hing über der Metropole und sammelte den Lärm der Menschen, Droschken und Kutschen unter sich. Trotz der frühen Stunde herrschte geschäftiges Treiben. Die Hauptstraßen waren mit gesichtslosen Menschen gesäumt, die im ewig gleichbleibenden Rhythmus ihrem Alltag nachgingen.
Zwei Jungen, kaum zehn Jahre alt, trotteten an der Themse entlang. Nur ihre kleinen, dürren Körper ließen vermuten, dass sie Kinder waren; ihre Augen bargen eine Anstrengung und Last schwer Arbeitender in sich und verbannten jeden Rest Kindheit aus ihren Gesichtern. Ihre alten Kappen waren zu groß und rutschten ihnen über die Augen. Ihre Hände hatten sie in die Hosentaschen gesteckt, die Köpfte waren gesenkt. Die Glieder der Kinder schmerzten und ihre Mägen knurrten, doch sie liefen wie menschliche Apparaturen ihren Weg zur Fabrik, in der sie jede Stunde des Tages verbrachten ohne nur einmal frische Luft atmen zu können.
Der kleinere der beiden Jungen, dessen Hose über seinem rechten Knie aufgerissen war, trat gegen einen Stein. Er rollte die Böschung hinunter zum Ufer der Themse. Als der Stein ins Wasser fiel, zuckte ein kurzes Lächeln über sein verhärmtes Gesicht.
Doch so schnell dieser ungewohnte Anflug von Kindlichkeit in ihm aufgekeimt war, so schnell verschwand er wieder.
Er blieb stehen und zog sich die große Kappe aus dem Gesicht.
Was is' das denn?
, fragte er langsam seinen Freund ohne sich ihm zuzuwenden.
Was?
Der größere Junge war nur widerwillig stehen geblieben, trat aber - nachdem Neugier in ihm aufgeflammt war - näher heran.
Na, das Ding? Das ist doch kein Holz, oder? Was is' das?
Keine Ahnung?
, erwiderte der größere Junge und stieg die Böschung hinab.
Der Kleinere folgte ihm und beobachtete mit einer für ihn ungewohnten Spannung und Neugier wie sein Freund den Gegenstand aus den trüben Wasser der Themse fischte.
Als sich der größere Junge den Gegenstand besah, wobei er ihn in alle Richtungen drehte, weiteten sich seine Augen.
Weißt du, was das is'?
, fragte er langsam und ließ den Gegenstand wieder sinken. Sein Freund wich einen Schritt zurück und nickte.
Das is' n Arm. Ein verdammter Arm!
, rief er aus und hastete die Böschung hinauf. Er war noch nicht wieder oben, als ein uniformierter Polizist vor sie trat und die beiden Jungen mit strengen Augen musterte.
Der kleinere Junge stolperte nach hinten und rutschte die Böschung wieder hinunter.
Was macht ihr denn da?
, fragte der Mann. Als sein Blick auf das Objekt fiel, das der Größere aus der Themse gefischt hatte und noch immer in den Hand hielt, verstummte er. Mit großen Schritten eilte er zu den beiden Kindern, die nach hinten wichen.
Wir haben nichts getan, Sir. Wir war'n das nich'
, versicherte der Größere und versuchte den menschlichen Arm hinter seinem Rücken zu verstecken.
Na, schon gut
, meinte der Polizist und seine Stimme barg nur einen Hauch väterlichen Wohlwollens.
Zeig mir das mal!
Er hielt dem Jungen die Hand entgegen. Ohne den uniformierten Mann anzusehen, übergab der Junge das Objekt.
Der Polizist wurde bleich, als er sich den fahlen, beinahe grünlich schimmernden Arm besah. Die Finger waren tiefblau angelaufen, die Nägel hatten sich teilweise gelöst.
Wir war'n es nicht, Sir. Der trieb im Wasser. Wirklich, wir haben nichts getan.
Der Polizist reagierte nicht auf die Jungen und erst als die beiden Kinder die Böschung hinauf gehastet und verschwunden waren, löste er sich langsam aus seiner Starre.
II.
Uniformierte Polizisten versuchten beinahe erfolglos den Fundort des Körperteils von den Schaulustigen abzuschirmen.
Ein junger Mann mit haselnussbraunem, zerzaustem Haar, das ein Bowler zu bändigen versuchte, schob sich grob durch die Menge. Ein untersetzter, kleinerer Mann folgte ihm.
Die Polizisten traten respektvoll zur Seite und ließen die beiden Männer passieren.
Der untersetzte Mann - Inspektor John Dawson - blieb beim Anblick des bleichen, wie eine Artrappe wirkenden, Leichenteils abrupt stehen und suchte nach dem Blick eines in die Jahre gekommenen Polizisten, der seine Bestürzung nicht verbergen konnte.
Der jüngere Mann war bleich geworden; seine Augen waren in fassungslosem Entsetzen auf den abgetrennten Arm gerichtet.
„Ihr verdammten Schweine! Das ist eure Schuld! Verdammte Bastarde!", schrie ein bärtiger Mann plötzlich auf und spuckte vor Inspektor Dawson auf den Boden. Er hatte sich durch die Menge geschoben und wurde nur durch die Sperre der Polizisten davon abgehalten, auf den untersetzten Inspektor loszugehen, dem der Ekel deutlich anzusehen war.
„Smith, schafft ihn weg!" Ein großer, hagerer Mann in dunkler Polizeiuniform nickte knapp und griff nach dem Oberarm des Unruhestifters.
Der junge Sergeant David Miller starrte noch immer auf den grässlich aufgedunsenen Arm. Der Oberarmknochen war deutlich zu erkennen, die weißen Hautfetzen legten die Vermutung nahe, dass der Arm grob, gewaltsam abgetrennt worden war.
Doch nicht die deutlichen Anzeichen des barbarischen Aktes, der durch die vielen dunklen Flecken noch verstärkt wurde, die über dem Arm verteilt und Zeuge der sagenhaften Kraft des Verantwortlichen waren, ließen David stocken.
Er trat näher an die Extremität heran und zog ohne den Blick von ihr zu nehmen sein Taschentuch aus der Hosentasche.
Als er damit nach dem Arm griff, sog sich der dünne Stoff voll Nässe und David spürte deutlich die weiche, kalte Haut, die unter seiner leichten Berührung nachgab.
Direkt unter dem Handgelenk auf der Innenseite des Arms und auf den Hautfetzen am Oberarm zeichneten sich beinahe schwarze Flecken ab, die auf den ersten Blick wie weitere Verletzungen aussahen. Bei näherer Betrachtung stellte David allerdings fest, dass es sich um Tätowierungen handelte. Die eine oberhalb der Handfläche war etwa daumengroß - ein verschlungener Schriftzug, wie ein Emblem, doch die Tinte wirkte auf dem aufgeschwemmten Arm verwischt, undeutlich.
Miller, was in Gottes Namen, tun Sie da?
Dawson musterte den Sergeant mit hochgezogenen Augenbrauen skeptisch, beinahe angewidert.
Erst nach einigen Sekunden reagierte David, erhob sich und hielt seinem Vorgesetzten das Leichenteil entgegen.
Sagen Sie, haben Sie sich den Arm eigentlich angesehen?
Was gibt es da zu sehen? Ein abgetrennter Arm, wie wir ihn in den vergangenen Wochen schon häufiger gefunden haben. Vermutlich stammt er von einer Frau.
"Sicher bezweifle ich nicht Ihren Scharfsinn, aber offensichtlich ist das ein und andere Ihrem so scharfen Blick wohl entgangen. Wenn Sie sich vielleicht bemühen wollen, einen Blick hierauf zu werfen?"
David deutete auf das sonderbare Emblem.
Dies ist eine Tätowierung. Interessanter als diese zweifelhafte Verschönerung ist allerdings der Rest der Tätowierung, den wir hier erkennen.
Er nahm Dawson den Stift aus der Hand und hob damit die Hautfetzen an, auf denen die Tätowierung zu erkennen war.
Dawson musterte Miller fragend. Ein hochmütiges Lächeln erschien auf Davids Lippen.
Die Zeichnung muss sich ganz ohne Frage auf dem Torso fortsetzen.
Der Blick seines Vorgesetzten war noch immer fragend.
Mag sein. Deshalb wissen wir aber noch lange nicht, wer die Frau - geschweige denn ihr Mörder- war!
Sir, nichts liegt mir ferner, als Ihnen zu widersprechen
, Dawson schnaubte bei dieser Bemerkung; einige Polizisten, die das Gespräch aufmerksam verfolgten, lachten auf. „Doch ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Frau, deren Körper mit diesen fragwürdigen Verschönerungen überzogen ist, niemandem bekannt war. Besonders, wenn man bedenkt, dass das Gewerbe, welchem sie mit aller Wahrscheinlichkeit nachging, nicht gerade für seine Keuschheit bekannt ist."
"Und was gedenken Sie nun zu tun?