Was für ein Film könnte hier spielen?: Ein nicht ganz ernst gemeinter Berlin-Guide
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Buchvorschau
Was für ein Film könnte hier spielen? - Wolfgang Kirchner
Vorwort
Im April und Mai 2011 stellte die Berliner Morgenpost
ihren Lesern fast täglich eine andere Straße der Hauptstadt vor; jeder Straße wurde eine ganze Seite reserviert. Zwei Monate lang sahen Morgenpost-Leser - vermutlich mit ungläubigem Staunen – überall nur hübsch aufgeräumte Marktplätze, zufrieden lächelnde ältere Menschen, vergnügte Teenies und gesittet umhertollende Kinder, die stets Positives von ihrer Straße zu berichten wussten. Niemand in Hektik, von Not keine Spur, alle vereint in dem Bemühen, den Kiez von der besten Seite zu präsentieren. Selbst die Sonne spielte mit - auf allen Straßenszenen lag ein goldenes Licht. Zwei Monate lang war in ganz Berlin das schiere Lebensglück zu Hause.
Um der allzu positiv gezeichneten Realität durch ein wenig Fiktion mehr Glaubhaftigkeit zu geben, wurde ich von der Redaktion eingeladen, mir in einer satirischen Kolumne bei jeder Straße die Frage zu stellen: Was für ein Film könnte hier spielen?
31 Drehorte waren zu beschreiben - 31 Filmvorhaben ließ ich mir einfallen. Welche Regisseure könnten diese Geschichten realisieren – und wie würden sie die Produkte meiner Phantasie umsetzen? Oft kam es mir beim Erkunden einer Straße so vor, als seien hier die Dreharbeiten schon im Gange - ich blieb stehen und schaute den Machern über die Schulter. Je verrückter die Idee, die mir durch den Kopf schoss, um so mehr hoffte ich, sie auf der Leinwand oder dem Bildschirm verwirklicht zu sehen.
Liebe Kollegen aus der Filmbranche, wenn ich euch beim Schreiben der Kolumne gelegentlich auf die Schippe nahm, so geschah dies nicht aus Versehen...
Beinahe-Katastrophe mit Cessna und Cayenne
Kaiserdamm (Charlottenburg)
„Es geschah am 28. Mai 1987, erzählt Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen, „da setzte die Cessna des 19-jährigen Mathias Rust inmitten von Hunderten Touristen bravourös auf Moskaus Rotem Platz auf und rollte vor der Basilius-Kathedrale aus.
Unter Petersens Regie entsteht in Babelsberg zurzeit ein Film über die tollkühne Landung des Sportflugzeugs. Moskau verweigerte die Drehgenehmigung. „Den Ärger wünschen wir uns nicht noch einmal", soll Putin gesagt und die Diskussion mit einem Mutterfluch beendet haben. Deshalb wird die spektakuläre Landung auf Berlins Kaiserdamm nachgestellt: Anflug vom Ernst-Reuter-Platz, Landung kurz vor dem Theodor-Heuss-Platz.
Filmtechnisch kein Problem, erläutert Petersen. „In der Postproduktion werden die realen Straßenbilder von Berlin gelöscht und Moskau wird hineingekeyt." Organisatorisch allerdings kommen auf die Berliner Polizei allerlei Probleme zu. Was macht man mit den vielen Ampelmasten? Unmöglich können sie alle abmontiert werden. Der Pilot, ein bewährter Stuntman aus Hollywood, ist bereit, die Cessna an der Straßenkreuzung Sophie-Charlotte-Straße über den Ampelmast zu steuern und an der Kreuzung Messedamm dicht unter der Ampel hindurchzufliegen.
Von dem mit vielen Monitoren gespickten Kommandostand im Wundt-Park steuert Wolfgang Petersen den Dreh. Vier Kamerateams warten entlang des Kaiserdamms auf das Zeichen zum Einsatz. Der Verkehr wird gestoppt. Die Cessna ist im Anflug – da geht im letzten Moment etwas schief: Vom Messedamm kommend, braust ein Cayenne mit der für diese Wagenklasse üblichen überhöhten Geschwindigkeit auf die Kreuzung zu, überfährt die rote Ampel und droht in die zur Landung ansetzende Cessna hineinzukrachen. Tausend Zuschauerkehlen entringt sich ein Schrei des Entsetzens, doch die Berliner Verkehrspolizei nimmt es gelassen: „Wenn wir uns jedesmal aufregen wollten, sobald ein Cayenne bei Rot über die Ampel fährt, hätten wir alle bald Bluthochdruck...!"
Weinflaschen, in Wilhelm Piecks Garten vergraben
Majakowskiring (Pankow)
Die Tür des Hauses Nr. 28 öffnet sich, und vor uns steht ein grimmiger Walter Ulbricht... „Stop! ruft Regisseur Gunther Scholz. „Ein bisschen volksverbundener, bitte!
Noch einmal wird die Klappe geschlagen. Scholz, bekanntgeworden durch die Filme Sag mir, wo die Schönen sind und Heute war damals Zukunft, dreht für den MDR einen Film, der das Jahr 1945 wiederaufleben lässt. Walter Ulbricht erhält Besuch vom Besitzer der Villa, die wie alle Häuser am Majakowskiring von den Sowjets beschlagnahmt wurde. Der Besucher bittet um seine Einweckgläser und Möbel. Ulbricht gibt die Gläser heraus, die Möbel nicht – „Lotte" könne sich davon nicht mehr trennen...
Später dreht man am Majakowskiring Nr. 29 eine Szene im Garten des Hauses, das Wilhelm Pieck zugewiesen wurde. Leutselig gestattet der spätere Staatspräsident der DDR seiner ehemaligen Hausherrin, im Garten vergrabene Weinflaschen aus der Erde zu holen.
Drehpause. Darsteller und Techniker versammeln sich am Catering-Wagen. Es gibt Bouletten, Currywurst, Soljanka und Cornetto-Eis. Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, von den Dreharbeiten ausgehungert, drängen sich an die Theke. Otto Grotewohl, angelockt vom Duft der Pommes, kommt aus seinem Haus in der Stillen Straße. Ihm schließt sich, begleitet von zwei Schoßhündchen, Johannes R. Becher an, der Dichter von Auferstanden aus Ruinen und spätere Minister für Kultur, wohnhaft Majakowskiring Nr. 34.
Unvollständig wäre die Runde ohne Wladimir Semjonow, den eigentlichen Herrscher über das Städtchen. Als der Statthalter der Freunde eintrifft, wird er ehrerbietig begrüßt. Alkohol ist am Drehort verboten,