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Illuminas' Dämonen
Illuminas' Dämonen
Illuminas' Dämonen
eBook541 Seiten6 Stunden

Illuminas' Dämonen

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Über dieses E-Book

Dieses Buch ist für all jene, die gerne Geschichten über düstere Welten und schreckliche Kreaturen lesen! Fiese Dämonen, unheimliche Wälder, Jäger, die dem Wahnsinn anheim fielen... in diesem Buch gibt es mehr als nur eine dunkle Ecke, die auf den Leser wartet.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. Feb. 2016
ISBN9783738060720
Illuminas' Dämonen

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    Buchvorschau

    Illuminas' Dämonen - Lisa Hummel

    Ouvertüre

    Die Dämonen wohnen in jedem von uns. Die der meisten Menschen sind kleine Quälgeister, die fiese Dinge in die Ohren flüstern. Aber wenn man nicht aufpasst, werden sie zu riesengroßen Parasiten, die sich im Kopf und im Herzen einnisten, den Verstand vergiften und die Gefühle abtöten. Die ihren Wirt langsam von innen heraus leer fressen und aushöhlen, bis von ihm nur noch eine teilnahmslose, tote Hülle übrig bleibt, die mit der einstigen Person kaum noch etwas gemein hat. Manche von ihnen werden sogar so mächtig, dass sie sich manifestieren und zu unsagbaren Schreckgestalten heranwachsen, die sich nur schwerlich aufhalten lassen. Manche scheinen gar übermächtig, unbesiegbar...

    Einige mutige Jäger gibt es, die sich in den Dienst der Menschheit gestellt haben, um diesen Dämonen Einhalt zu gebieten, wenn sonst nichts mehr bleibt und sie sonst nichts mehr aufhalten kann. Tapfere Männer und Frauen, die über Gaben verfügen, die gewöhnlichen Menschen versagt bleiben.

    Die Jäger sind finstere Gesellen. Verschlossene Gestalten, die immer von einem Hauch Tod umgeben zu sein scheinen. Nicht viele sind von ihnen angetan, viele misstrauen ihnen oder wünschten sich gar, die Fremden, in ihre langen Mäntel und Umhänge gehüllt, würden von ihren Häusern fern bleiben. Und dennoch gibt es sonst niemanden, der die Menschheit von den unzähligen Dämonen erlösen kann, die in dunklen Nächten und an grauen Tagen durch die Lande streichen.

    Aus Blut gegossen.

    Aus Schatten geformt.

    Aus der Asche gewachsen.

    In der Nacht geschmiedet.

    In der Kälte geschaffen.

    Im Dunkeln geboren.

    Im Winter verließ ich die Stadt. Ich legte mich in den weißen, unberührten Schnee und sah den Flocken dabei zu, wie sie leise und sanft gen Erde schwebten. Es war absolut still.

    Noch nie war mein Herz so friedlich.

    Im Frühling sah ich die Welt. Wälder, Wiesen, Felder, Meere, Seen, Flüsse, Berge, Hügel, Bäume, Blumen. Alles war grün. Alles war bunt. Alles war frisch. Alles war jung.

    Noch nie war mein Herz so glücklich.

    Im Sommer verliebte ich mich. Im Sommer verliebte ich mich unsterblich. Im Sommer lernte ich die Bedeutung von „für immer" kennen.

    Noch nie war mein Herz so vollständig.

    Im Herbst trauerte ich. Ich sammelte die unzähligen kleinen Splitter meines Herzens auf und konnte nur einen Bruchteil finden. Mein Herz blieb kaputt, unvollständig.

    Noch nie war mein Herz so traurig.

    Im Winter kam ich zurück in die Stadt. Ich war wieder Zuhause. Zurück in der Hölle.

    Noch nie war mein Herz so leer.

    I

    1.

    „Weißt du, irgendwie mag ich dich."

    Manuela hatte dieses Lächeln aufgesetzt, das sie für verführerisch hielt, und warf Morten einen koketten Blick zu, während sie ihre Arme enger um seinen linken schlang. Er erwiderte ihr Lächeln kurz und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Holzkrug.

    In den ersten Stock des großen Gasthauses, der wie eine große dunkle Galerie aus Holz aufgebaut war, hatten sich einige Pärchen oder andere Grüppchen zurückgezogen. Über das Geländer konnte man hinunter in den Schankraum sehen, in dem sich viele Menschen um etliche Tische drängten, Bier und Wein und Met und andere Getränke in Strömen fließen ließen und kräftig miteinander anstießen. Viele lachten und unterhielten sich angeregt, manche waren dabei, sich zu küssen.

    Obwohl dort unten gute Stimmung herrschte, war es hier relativ leise. Nur noch die fernen Echos der Stimmen drangen nach oben. Ähnlich verhielt es sich mit dem Licht. War es unten noch einigermaßen hell, dank der vielen Kerzen, fanden sich hier überwiegend Schatten ein, die vom schwachen Schein genährt wurden und sich zwischen Balken, Tische und Nischen drängten.

    Morten kam es so vor, als beherbergte dieses Gebäude zwei verschiedene Welten. Unten die gewöhnlichen, feiernden Stadtbewohner und oben die dunklen Gestalten, die flüsternd Geheimnisse in der Finsternis tauschten oder Dinge mit Geld kauften, die anderswo unvorstellbar waren. Nur in der schützenden Anwesenheit der Nacht konnte man sich um solcherlei Dinge kümmern.

    Manuela begann, mit ihren Händen über seinen Arm zu streichen, durch sein straßenköterblondes Haar zu fahren, deren goldener Glanz nicht ganz vom Staub der Straße getilgt werden konnte.

    Morten nahm noch einen Schluck seines Bieres und sah zu seinem Kameraden Jacque, dessen massiger Körper im Dunkeln mit dem der Blondine zu verschmelzen schien, die er gerade wild und begierig küsste.

    Hinter ihm, wie in jeder Nische sonst auch in diesem Stockwerk, befand sich ein großes Fenster, das aus vielen kleinen Scheiben bestand. Morten hatte von hier aus einen weiten Blick über die Straße, die sich an dem Gasthaus vorbei durch die Stadt Manrhay schlängelte.

    Die Bewohner wussten es noch nicht, nein, dachten sogar, dass der Spuk sie heute Nacht vielleicht nicht heimsuchen würde, aber die Anzeichen der Schatten waren schon wahrnehmbar und bald würde es auf den Straßen nicht mehr sicher sein.

    Manchmal überraschten die normalen Menschen Morten. Manchmal trauten sie sich tagelang nicht aus dem Haus, aus Angst, sie könnten die Nacht – oder vielleicht sogar den Tag – nicht überleben und manchmal schoben sie jede Angst, jede Gefahr beiseite und feierten als gäbe es kein Morgen mehr.

    In gewisser Weise konnte Morten diesen plötzlichen Heißhunger auf Freude, Spaß, Glück sogar nachvollziehen, der die Menschen alle paar Tage, Wochen, Monate erfasste. Sie versuchten die Dunkelheit, in der sie den Großteil ihres Lebens verbrachten, mit Tanz und Musik und Lachen einfach mal beiseite zu schieben, wenn auch nur für kurze Zeit, und nicht daran zu denken, was ihnen in der Nacht oder am nächsten Tag widerfahren könnte.

    Heute war keine dieser Nächte, in denen es ratsam war, sich außerhalb seines Hauses herumzutreiben und durch Lärm auf sich aufmerksam zu machen. Heute war eine dieser Nächte, in denen man besser dran war, wenn man im eigenen Haus alle Lichter löschte und Türen und Fenster fest verschlossen hielt.

    Doch so war es nun mal im Leben, manchmal hatte man Glück, manchmal Pech.

    Manuela schien zu denken, dass er ihre Streicheleinheiten genoss. Doch Morten hatte sich nicht zurückgelehnt und die Augen geschlossen, um sich zu entspannen, sondern um sich zu konzentrieren. Er lauschte auf die Geräusche der Schatten. Auf ihr Flüstern, ihr Klirren, ihr Rascheln.

    Er fühlte praktisch, wie sich der Dämon draußen über die Straße schob. Mit langsamen Schritten kroch er beinahe wie eine Schnecke über das Kopfsteinpflaster. Als ein paar Wolken, den milchigen Mond freigaben, flutete das Licht über Straßen, Gebäude und über die massige Gestalt, die draußen umher streifte, hungrig, gierig nach Blut.

    Die Silhouette des Dämons wurde ins Haus geworfen und unten erstarb plötzlich jedes Geräusch. Ein Lächeln stahl sich auf Mortens Lippen. Jetzt hatte auch der Einfältigste begriffen, dass heute keine gute Nacht zum Feiern war. Manuela krallte sich in seinen Ärmel und starrte verängstigt aus dem Fenster hinter ihr.

    Die tosende Stille ermöglichte es Morten, die Geräusche zu analysieren, die die Schreckgestalt draußen erzeugte. Jacque mochte es nicht, wenn Morten dermaßen ruhig blieb und er konnte den brennenden, auffordernden Blick spüren, den er ihm zuwarf. Es fiel ihm schwer, das Grinsen zu unterdrücken, das sich anbahnte.

    Die Aufmerksamkeit des Dämons lag voll und ganz auf dem Wirtshaus. Das Licht und der Lärm hatten ihn angelockt wie eine Motte. Er witterte und näherte sich langsam aber beständig den Fenstern, um hineinzuspähen. Wären sie nicht direkt in der Gefahrenzone, würde Jacque Morten ansprechen oder ihn anstupsen oder sonst was machen, aber so zögerte er und beließ es dabei, ihn weiter anzustarren, in der Hoffnung, dass endlich einmal Leben in ihn kommen würde.

    Morten erlöste Jacque und öffnete endlich die Augen, um seinen verärgerten Blick mit einem entschuldigenden Lächeln zu beantworten. Morten wandte leicht den Kopf, um den Dämon in Augenschein zu nehmen.

    Eine hässliche, große Kreatur stand dort draußen. Er schien eine Mischung aus Bär und Werwolf zu sein, irgendwie falsch zusammengebaut, aber das war nicht unüblich, so sahen die meisten aus. Nicht alle, aber die meisten. Lange, spitze Zähne, Mundwinkel, aus denen der Geifer troff, reflektierten das helle Mondlicht.

    Heute Nacht stand der Erdtrabant beinahe voll und groß am Himmel. Ein Wunder, dass die Menschen nicht selbst darauf gekommen waren, dass heute Nacht die Geister Hunger hatten.

    Morten schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Sie selbst hatten auch Hunger, zwar nach Leben und Lachen und Feiern, doch waren sie selbst auch nur Geister in diesem Leben, das durch gefährliche Nächte bestimmt wurde.

    Der Dämon witterte, die schwarze Nase an der Spitze der langen Schnauze bewegte sich, als er versuchte, alle Gerüche der Umgebung aufzusaugen. Zähe Muskeln spannten unter der Haut. Den Dämon zu besiegen, würde kein Kinderspiel werden, aber Morten hatte schon Schlimmeres durchgestanden.

    Jacque und Morten tauschten ein paar Blicke. Mit der Zeit hatten sie gelernt, sich auch stumm zu verständigen. Endlich entspannte sich Jacque. Er schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück.

    Manuela neben Morten zitterte und krallte sich noch immer an seinen Arm. Sie wagte es nicht, sich zu rühren und konnte ihre vor Schreck aufgerissen Augen nicht von dem Ungetüm draußen wenden.

    Plötzlich wurden unten Stimmen laut. Ein Stuhl wurde umgeworfen, Menschen zur Seite geschubst, jemand rannte nach draußen und schlug dabei die Tür laut auf. Sobald sie wieder ins Schloss fiel, war es für endlos lange drei Sekunden totenstill. Die Stille, die eintrat, wenn ein Leben besiegelt war und alle es wussten.

    Neugierig wandten sich Morten und die anderen im oberen Stockwerk den Fenstern zu und blickten hinunter auf die Straße. Ein junger Mann stand mit zu Fäusten geballten Händen direkt vor dem Dämon. Morten konnte von oben aus sehen, wie sehr seine Beine zitterten. Dennoch war der Mann mutig, das musste er ihm lassen. Dumm, aber mutig.

    Für ein paar Augenblicke wusste das Ungeheuer selbst nicht, was es mit dem Mann vor sich anfangen sollte. Es war es nicht gewohnt, dass die Beute zu ihm kam, sonst musste es einiges dafür tun, um sich den Magen zu füllen.

    „Was zum-?", fragte Jacque verwirrt.

    Der Werwolf-Bär brüllte laut. Speichel flog aus dem weit aufgerissenen Maul. Er ließ eine der mächtigen Tatzen auf den Mann nieder sausen, der es beinahe geschafft hätte zur Seite zu springen, jedoch noch getroffen und in ein paar Fässer geschossen wurde, die an einer Hauswand standen. Manuela quiekte leise. Die Fässer barsten und der Junge blieb liegen. Kleine Blutflecke schmückten das Kopfsteinpflaster.

    „Ich wette um zehn Pfennige, dass der Bursche innerhalb der nächsten fünf Minuten seinen letzten Atemzug macht", raunte Jacque Morten zu.

    Morten begutachtete die Szenerie unten. Der Dämon wusste, dass der Junge nichts gegen ihn ausrichten konnte. Er hatte keinerlei Eile, seine Beute zu erledigen, er konnte es sich leisten, erst noch genüsslich mit ihr zu spielen, bis er seine riesigen Zähne in Menschenfleisch schlagen würde.

    „Hmm, damit könntest du Recht haben", antwortete Morten.

    Noch war der übermütige Junge am Leben, wenn auch kaum noch bei Bewusstsein. Mühsam rappelte er sich auf und fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Morten fragte sich, ob er wohl schon verstanden hatte, dass sein letztes Sekündchen jeden Moment schlagen könnte?

    „Ihr!", brüllte plötzlich jemand hinter Morten.

    Er und Jacque drehten sich irritiert um. Vor ihnen stand ein Mann mittleren Alters. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, sein ganzer Körper war angespannt und er atmete schwer, unterdrückte seine Wut.

    Morten begutachtete ihn neugierig, was jetzt wohl kommen mochte?

    Auch Jacque bevorzugte es zu schweigen und sah den Mann nur abwartend an.

    „Ihr!, wiederholte er. „Ihr seid ein Jäger, der es mit diesem Dämon aufnehmen kann, und dennoch sitzt Ihr hier oben und versteckt euch, während mein Sohn dort unten sein Leben riskiert!

    „Euer Sohn riskiert nicht sein Leben, er wirft es gedankenlos weg. Wieso zum Teufel ist er nur auf die Idee gekommen, er könnte es mit einem Dämon aufnehmen? Euer Sohn ist ein Tor", wandte Jacque ein.

    Der Mann lief vor Wut rot an. „Er ist kein Tor! Wir warteten darauf, dass Ihr etwas unternehmt, Eure Aufgabe erfüllt und den bösen Geist beseitigt. Wir haben Euch vorhin hier reinkommen gesehen. Es war uns nicht Recht, aber da Ihr der Stadt Euren Dienst erweist, tolerieren wir euch. Da Ihr Eurer Pflicht jedoch nicht nachkommt, musste es jemand anderes machen und da hat mein Sohn eben die Bürde auf sich genommen!"

    „Das könnt Ihr nicht wissen, erwiderte Jacque, „Wenn ihr euch nur alle ruhig verhalten hättet, wäre das Ungetüm vielleicht weitergezogen und ihr alle wäret verschont geblieben. Das habt ihr eurer eigenen Dummheit zu verdanken.

    „Ihn ignorieren und ihn dann andere Menschen fressen zu lassen?, spie er aus, „Habt Ihr denn gar keine Ehre in Eurem verdorbenen Leib?

    „Vorsicht", drohte Jacque.

    „Schon gut." Morten erhob sich, steckte seine Zwillingsklingen in den Gürtel, legte seinen schweren Umhang aus dunklem Leder an, schnallte die Armbrust um und setzte seinen Hut auf. Die Gäste im oberen Stockwerk beobachteten ihn bei jeder Bewegung. Als Morten fertig war, ging er an dem Mann vorbei, dessen Körper sich sofort anspannte, als er ihn passierte.

    Während er die Treppe hinunter stieg, fühlte er, wie die zahllosen Blicke der Gäste auf ihn gerichtet waren, die versuchten, nur mit ihren Augen in sein Inneres zu blicken, was ihnen mit Sicherheit schwer fiel; wegen des hohen Kragens und des Huts waren von Mortens Gesicht nur noch die dunkelbraunen Augen zu sehen. Er ignorierte die Blicke. Er war es gewöhnt.

    Seine festen Stiefel klangen laut in der herrschenden Stille.

    Er schob die Türe auf und trat in die kühle Nacht hinaus. Ein Wunder, dass der Dämon den Jungen noch nicht zerrissen hatte, aber der saß noch immer benommen am Boden. Das Ungetüm witterte und wurde sofort vorsichtig. Es schien zu wissen, was Morten war – ein Jäger.

    Morten hörte Jacque hinter sich auf die Straße treten.

    „Du hast jede Menge neugieriger Zuschauer", sagte er mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme.

    Morten zuckte mit den Achseln.

    „Das ist mir egal. Sollen sie doch."

    Jacque verschränkte die Arme vor der Brust und verlagerte sein Gewicht auf ein Bein. Morten schätzte die stumme, zurückhaltende Unterstützung, die er ihm leistete.

    Der Dämon taxierte ihn mit Blicken, die Morten entschlossen erwiderte. Einige Zeit standen sie sich einfach nur gegenüber, ohne dass einer von ihnen auch nur mit einem Muskel zuckte.

    Der junge Mann, der ursprünglich die Beute des Dämons hätte sein sollen, wurde endlich von seiner Benommenheit erlöst und verlor sogleich die Nerven. Er versuchte, sich aufzurappeln und geriet ins Stolpern. Der Werbär stürzte sich auf ihn und schlug mit seinen Pranken nach ihm. Morten sprang dazwischen und blockte die langen, spitzen Krallen mit seinen Zwillingsklingen ab.

    Mortens Sinne waren geschärft, in diesem Moment hätte er einen Schweißtropfen fallen hören. Er holte tief Luft, der Sauerstoff rauschte in seinem Körper, während er sich seinen Weg in Mortens Lunge bahnte, Morten holte aus und schnitt dem Dämon die Pulsadern der rechten Pranke auf.

    Umgehend schossen Ströme dunklen Blutes aus dem Bein, die das Kopfsteinpflaster besudelten. Der Dämon jaulte, es glitzerte gefährlich in seinen Augen und Morten wusste, dass es vorbei war. Mit jeder Sekunde, die verstrich, floss das kostbare Lebenselixier aus dem pelzigen Körper und schon bald würde das Ungetüm zu schwach sein, als dass es noch eine große Bedrohung darstellte.

    Während Morten darauf wartete, dass er dem Monstrum den Gnadenstoß geben konnte, wanderte sein Blick für einen Moment zu Jacque, der mit seinem stets mürrischen Gesichtsausdruck den jungen Mann verarztete. Die Fenster des Wirtshaus waren mit hellen Gesichtern der Leute gespickt, die dem Kampf folgten. Im ersten Stock konnte er Manuela und Jacques Blondine erkennen.

    Er widmete sich wieder dem Werbären, der keuchend dastand, unter ihm hatte sich das Blut schon in einer Pfütze gesammelt. Um ganz sicher zu gehen, dass der Bär keine große Gefahr mehr darstellte, sollte Morten zwar eigentlich noch warten, aber er wollte es hinter sich bringen.

    Er rannte auf den Dämon zu, der mit seiner unversehrten Pranke nach ihm schlug, wich dieser aus und durchtrennte ihm die Sehnen am linken Vorderbein. Der Koloss ging unter Heulen in die Knie und Morten rammte ihm die Klinge, die er in der rechten Hand hielt, in den Hals. Mit einem gurgelnden Geräusch brach das Ungetüm vollständig zusammen und Morten gab ihm den Gnadenstoß.

    2.

    Nach einem letzten Seufzen des Dämons war es still. Nur das sanfte Rascheln des Windes in den trockenen Blättern einiger Bäume war zu hören. Auf Mortens Klingen glitzerte das dunkle Blut des Ungetüms, das er soeben niedergestreckt hatte. Er wischte sie am Fell des Bären ab und schob sie zurück in die Scheiden.

    „Respekt. Und das ohne einen Kratzer", sagte Jacque, als Morten zu ihm trat.

    Morten schwieg und betrachtete den jungen Mann, der einst dem Glauben verfallen war, er könnte tatsächlich etwas gegen den Dämon ausrichten. Jacque hatte ihn als Tor bezeichnet. Morten fand diese Bezeichnung äußerst passend.

    „Was ist nur in dich gefahren?, fragte Jacque den Jungen. „Hast du im Ernst gedacht, du könntest gegen diesen Dämon bestehen? Ich sag dir jetzt mal was: Du bist ein schwächlicher Volltrottel und wenn du das nächste Mal meinst, du musst dich mit einem waschechten, ausgewachsenen Dämon anlegen, dann helfen wir dir nicht aus der Patsche und das schwöre ich dir bei all den verdorbenen Göttern, die du auch immer anbeten magst.

    Der Mann biss sich auf die Lippen und senkte den Kopf. Er beließ es dabei, nicht zu antworten, was wohl besser war.

    Zögerlich kamen nun auch andere Dorfbewohner aus dem Wirtshaus. Der Vater des jungen Mannes eilte zu ihm und untersuchte seine Blessuren. Als er feststellte, dass alles in Ordnung zu sein schien, entspannte er sich. Ohne ein weiteres Wort verließen sie den Ort des Geschehens, um nach Hause zu gehen.

    „Undankbares, von Maden zerfressenes Pack", murmelte Jacque.

    Seine Ärmel waren hochgekrempelt, dichtes schwarzes Haar bedeckte seine massigen Unterarme.

    Ein paar der Gäste, die sich nach draußen getraut hatten, scharrten sich um den Dämon.

    „Ganz schön groß...", murmelte einer.

    „Schau dir diese Zähne an...", raunte eine Frau.

    „Lasst ihn uns irgendwo aufstellen, dann dient er als Abschreckung", schlug ein alter Mann vor.

    Jacque schnaubte abfällig.

    „Wir sollten das morgen machen. Heute Nacht ist es nicht sicher", sagte eine Frau.

    Die Städter murmelten zustimmende Sätze. Sie ließen den Kadaver liegen und trollten sich. Die meisten von ihnen sahen weder zu Jacque noch zu Morten während sie gingen und auch die beiden Mädchen, die eher am Abend noch ihre Gesellschaft genossen hatten, machten sich auf, ohne ein letztes Wort.

    Morten war dies nur recht, aber er wusste, dass Jacque darüber nicht so glücklich war. Die Blondine war genau sein Typ gewesen.

    „Tut mir leid, dass ich dir den Abend versaut habe", sagte Morten.

    Jacque sah ihn an. Das mürrische Gesicht schreckte viele Leute ab, Morten wusste seinen Charakter und sein Können zu schätzen. Nicht nur als Unterstützung, die einige Vorteile mit sich brachte, sondern auch als Freund. Jäger hatten normalerweise keine Freunde.

    „Es war ja nicht deine Schuld, sondern die dieser ... Kreatur da. Außerdem gibt es Wichtigeres im Leben."

    „Dämonen töten?"

    Jacques Blick fiel auf den toten Werbären. „Muss ja."

    Für einen Moment betrachteten sie das niedergestreckte Biest, ohne etwas zu sagen.

    „Wollt ihr heute Nacht noch hier übernachten?, rief der Wirt ihnen von der Tür aus zu. „Entscheidet euch, ich verbarrikadier' jetzt die Tür.

    Jacque und Morten sahen noch einmal zu dem Dämon, dann wandten sie sich um und gingen auf ihre Zimmer, um in wohlverdienten Schlaf zu sinken.

    Als Morten am nächsten Vormittag – es war beinahe schon Mittag – in die Stube des Wirtshauses kam, um zu frühstücken, war Jacque noch nicht da. Obwohl Morten auch kein Frühaufsteher war, übertraf Jacque ihn noch. Morten störte sich nicht daran, er hatte nichts dagegen, Zeit alleine zu verbringen.

    Er setzte sich an einen Tisch am Fenster, damit er die Straße im Auge hatte. Ein paar Städter hatten sich zusammengefunden, um den Kadaver des Dämons an den dicken Stamm des Baumes zu nageln, der neben dem Wirtshaus wuchs.

    Der Wirt trat an seinen Tisch und brummte: „Kaffee?"

    In der Hand hielt er eine verbeulte Blechkanne, aus deren Öffnung Dampf stieg. Sein Hemd und die Schürze, die er um die Hüften gebunden hatte, waren fleckig.

    „Ja, bitte."

    „Frühstück?"

    Morten nickte, der Wirt schenkte ihm ein und verdrückte sich dann in einen anderen Raum. Morten nippte an seinem Becher, doch der Kaffee war noch sehr heiß und so widmete er sich wieder dem Geschehen draußen, während er das Getränk abkühlen ließ.

    Ein Mann etwa um die dreißig setzte sich zu ihm an den Tisch. Er war hoch gewachsen und ziemlich dünn. Er hatte kurzes hellbraunes Haar, war glatt rasiert und trug eine Brille.

    Steve Merchante. Er war ein komischer Kauz. Beim Sprechen riss er für gewöhnlich die Augen weit auf und viele Leute, die sich mit ihm unterhielten, fühlten sich in seiner Gegenwart unwohl. Er hatte etwas an sich, das die meisten Menschen daran erinnerte, dass sie eine Leiche im Keller hatten. Oder zwei.

    Morten lehnte sich zurück und betrachtete Steve, der ihn angrinste. Morten war sich nie sicher, ob Steve ihn mochte oder ob er ihm egal war. Steve war meistens freundlich, doch wusste er nicht, wann es besser war, den Mund zu halten.

    „Guten Morgen, Morten. Oder sollte ich guten Mittag sagen?"

    Der Wirt stellte Mortens Frühstück auf den Tisch und ging ohne ein Wort wieder. Die meisten zogen es vor zu verschwinden, wenn sie Steve sahen. Er war selten Bote guter Nachrichten. Eigentlich nie.

    „Oh, du frühstückst jetzt noch? Das hättest du dir eigentlich sparen können und gleich zum Mittagessen übergehen können." Er gluckste.

    „Steve, willst du etwas Bestimmtes von mir?"

    Morten nahm Gabel und Messer in die Hand und begann, seine Kartoffelröstis zu essen. Steve beobachtete ihn einen Moment dabei, ehe er antwortete.

    „Dein neuester Erfolg spricht sich in der Stadt schon rum. Ich bin gekommen, um es mir mit eigenen Augen anzusehen."

    Morten aß weiter ohne etwas zu erwidern. Bei Steve sagte er lieber zu wenig als zu viel.

    „Na ja, und wie man sieht, hast du Manrhay mal wieder um ein Übel erleichtert, fuhr er fort. „Glückwunsch. Gut gemacht.

    Morten zuckte mit den Schultern. „Du weißt doch, was man sagt: Alles, was einen nicht umbringt, macht einen härter."

    Steve grinste. „Du solltest dir schnell deine Belohnung abholen."

    „Ja, ja.", murmelte Morten.

    „Ich werde euch dann natürlich zurück begleiten... Wann habt ihr denn vor zu gehen?"

    Morten sah auf seinen Teller, der noch gut gefüllt war. Jacque war noch nicht einmal aufgestanden und auch er wollte mit Sicherheit noch etwas essen, ehe er das Wirtshaus verließ.

    „Kommt drauf an, wann Jacque aufsteht und gegessen hat."

    „Hmm, wollt ihr nicht schon eher losgehen?"

    Morten lehnte sich zurück. „Nur zu. Geh nach oben und weck ihn. Ich esse hier so lange fertig."

    Steve dachte kurz nach, entschied sich dann jedoch dagegen. Jacque war sehr groß und breit. Er wirkte auf andere mürrisch und schlecht gelaunt, weswegen er nicht oft von anderen Menschen wegen irgendwelcher Nichtigkeiten belästigt wurde. Eine Eigenschaft, die Morten zu schätzen wusste. Natürlich war Jacque bei Weitem nicht so fies, wie er aussah, doch das wussten die meisten nicht.

    „Na ja, vielleicht könnte ich auch eine Mahlzeit vertragen, während wir warten."

    Steve winkte den Wirt herbei und bestellte sich ein Gericht. Morten aß still weiter. Er hoffte, dass Jacque bald aufstehen würde. Es war unbehaglich, alleine mit Steve an einem Tisch zu sitzen und oberflächliche Konversation zu betreiben. Hoffentlich würde Jacque nicht auf dem Absatz kehrt machen und wieder in seinem Zimmer verschwinden, wenn er Steve sah...

    Einige Zeit später brachte der Wirt Steve grauen Haferschleim. Morten hätte sich nichts Faderes als diese unappetitliche Pampe bestellen können.

    „'Nen Guten", wünschte er Steve dennoch.

    „Danke. Steve probierte einen Löffel. „Oh, ich denke, da fehlt eine Prise Salz. Er erhob sich und ging zum Wirt an den Tresen.

    Morten lehnte sich zurück und beobachtete ihn dabei, wie Steve versuchte, die Aufmerksamkeit des Wirtes auf sich zu ziehen. Als er sie ergattert hatte, fragte er nach Salz. Der Wirt runzelte die Stirn und Morten fragte sich, ob er wohl in den nächsten Sekunden eine auf die Nase bekäme.

    Das Essen hier war ... in Ordnung. Eine Mahlzeit, von der man satt wurde, doch einen Gaumenschmauß fand man hier vergeblich. An schlechten Tagen war der Wirt beinahe noch mürrischer als Jacque und nach Salz zu fragen, war nicht gerade etwas Kluges, was man hier tun konnte.

    Während Morten noch immer Steve dabei beobachtete, wie er sich womöglich Hausverbot bis an sein Lebensende einhandelte, setzte sich Jacque zu ihm an den Tisch.

    „Morgen...", brummelte er.

    „Morgen."

    „Seit wann isst du denn Haferschleim?"

    „Das ist nicht meiner."

    Jacque hob fragend eine Braue, Morten nickte mit dem Kopf in Richtung Steve.

    „Was will der denn hier?"

    „Keine Ahnung. Er meinte, er wollte hier vorbeischauen, weil er von dem Dämon von letzter Nacht gehört hat. Du weißt ja, dass die Beamten der Kirche ab und zu Kontrollbesuche machen."

    „Vollkommen überflüssig, wenn du mich fragst."

    „Er will mitkommen, wenn wir die Belohnung abholen. Ich glaube, er hat Angst, alleine zurückzugehen."

    „Vielleicht frisst ihn ein Dämon."

    „Eine menschliche Version des Haferschleims?"

    Jacque lachte. „Nein, aber jetzt mal im Ernst. Wir gehen nicht mit ihm zurück, oder? Ist mir doch egal, ob der gefressen wird."

    „Zu spät, er hat uns gesehen. Den werden wir so schnell nicht mehr los."

    „Mist."

    „Guten Mittag, Jacque. Das ist ja schön, dich zu sehen!, flötete Steve, als er mit einem Salzstreuer zurück zum Tisch kam. „Wie ich sehe, brauchst du immer noch so lange, um in die Gänge zu kommen. Er gluckste.

    Jacque warf ihm einen tödlichen Blick zu, den Steve nicht bemerkte, da er damit beschäftigt war, seinen Haferschleim in Salz zu ertränken. Hinter seinem Rücken zog Morten eine Grimasse, die Jacque wenigstens ein bisschen aufheiterte und ihn daran hinderte, Steve den Kopf abzureißen, weil er ihm schon so kurz nach dem Aufstehen auf die Nerven ging.

    „Was darf's sein?", blaffte der Wirt in Jacques Richtung.

    Morten war sich nicht sicher, ob der Wirt so entnervt wegen Steve war, oder weil er wegen jedem von ihnen extra an den Tisch kommen musste, um die Bestellung aufzunehmen. Jacque entschied sich für ein sehr fleischhaltiges Gericht. Um die Stimmung ein wenig zu beruhigen, bestellte Morten einen weiteren Becher Kaffe.

    „Wie läuft's denn allgemein so mit der Dämonenjagd?", fragte Jacque Steve. Obwohl er ihn nicht wirklich mochte, interessierte diese Frage ihn brennend.

    Steve wurde ernst und hielt im Haferschleimlöffeln inne.

    „Na ja, ihr wisst es ja selber. Der Jägerberuf ist kein Zuckerschlecken. Jede Weile sterben mehr als gut ist..."

    „Hmm..." Morten nippte nachdenklich an seinem Becher.

    „Hast du manche dieser Lappen mal gesehen?, fragte Jacque. „Die eine Hälfte besteht aus ahnungslosen Tölpeln, die nur mit Glück überleben, die andere Hälfte aus selbstverliebten Psychopathen, die mehr darauf achten, den harten Hund heraushängen zu lassen, als Dämonen auszuschalten.

    „Du vergisst, dass sich die Leute nicht gerade darum reißen, Jäger zu sein., erwiderte Steve. „Jedes Jahr gibt es weniger Schüler an der Akademie. Wer Jäger ist oder es werden will, muss mit dem schlechten Ruf zurechtkommen, der an diesem Beruf haftet. Hinzu kommen noch das hohe Risiko, die enorme Belastung und die schier unendlichen Arbeitszeiten. Nur wenige entscheiden sich aus freien Stücken dafür, diesen Weg einzuschlagen. Viele tun es nur, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Manche fliehen gar nach der Ausbildung ganz aus der Stadt, sobald sie merken, was sie sich da wirklich eingebrockt haben. Wenn sie es überhaupt so weit schaffen, viele brechen schon viel eher ab. Und die Dämonen nehmen kein Ende. Jeden Tag hört man von neuen Sichtungen oder Vorfällen. Manche Leute sind sogar der Meinung, dass ihre Zahl wächst und sie uns in naher Zukunft alle vernichten.

    Alle drei schwiegen für einen Moment. Wenn Jacque auch selbst kein Jäger war, wusste er doch, was der Beruf für Entbehrungen mit sich brachte. Morten war in vielerlei Hinsicht verschwiegen und es gab sogar einige Bereiche seiner Persönlichkeit und seiner Vergangenheit, von denen Jacque nicht das Geringste wusste.

    Das war nicht ungewöhnlich, in seinen fünfunddreißig Lebensjahren war Jacque einigen Jägern begegnet und jeder von ihnen hatte mindestens ein Geheimnis, das er hütete wie seinen Augapfel. Sie wären töricht, wenn sie es nicht täten. Geheimnisse waren häufig auch Schwachpunkte.

    Die Tage – und vor allem die Nächte – die die Jäger durchlebten waren hart und gefährlich. Man konnte sich nie sicher sein, ob man den nächsten Morgen erlebte. Diese permanente Haftung des Todes, der an den Jägern hing wie eine schwarze Wolke, trieb viele in die Einsamkeit. Die meisten waren einsame Wölfe, die durch die Gegend streiften und ihr Leben im Dunklen riskierten, damit die undankbaren Bewohner von Manrhay und im Umland zumindest an manchen Tagen so tun konnten, als wäre alles normal, alles sicher und schön. Außer Morten gab es nur wenige, die in Gesellschaft ihrer Tätigkeit nachgingen.

    „Deswegen werden erfolgreich erlegte Dämonen auch einigermaßen gewinnbringend entlohnt, würde ich sagen, meinte Steve. „Damit es wenigstens einen Pluspunkt gibt, der die Leute dazu animiert, Jäger zu werden und den Menschen zu helfen.

    „Die Menschen hassen die Jäger", warf Jacque ein.

    Er beugte sich über seinen Teller und aß von der Schweinshaxe, die in Bratensoße schwamm.

    „Aber nein, so würde ich es nicht sagen, erwiderte Steve. „Die Leute fürchten sich vor den Jägern, weil sie die Dämonen niederstrecken, gegen die normale Menschen keine Chance haben. Dass Jäger hin und wieder auch Stadtbewohner ermorden, ist da nicht unbedingt ein Pluspunkt...

    „Menschen, die von Jägern umgebracht werden, wurden von ihren eigenen Dämonen überwältigt", sagte Morten.

    Steve runzelte die Stirn, er war nicht überzeugt. „Davon habe ich schon gehört, dass Menschen hin und wieder von Dämonen besessen sind. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Jäger wirklich in der Position sind, das ohne weiteres zu erkennen."

    „Es passiert öfter, als du denkst. Gram, Lügen, Hass, Verzweiflung, Trauer, Unzufriedenheit, Hunger, Begierde... All diese Gefühle nähren die Dämonen, die in jedem von uns wohnen. Wenn man einen schwachen Charakter hat und sich seinen dunklen Seiten hingibt, anstatt sie zu bekämpfen, wird man zu einer hohlen Hülle, zu einem Schatten seiner selbst, der immer hungrig durch die Straßen zieht und die Dämonen nur noch mächtiger macht. Egal ob intern oder extern."

    Steve kicherte leise. „Das ist einer der Gründe, warum ich dich mag, Morten. Du drückst dich immer so philosophisch aus."

    Morten zog die Brauen hoch und zog es vor, darauf nicht zu antworten.

    „Tja, aber deine Angst vor Dämonen scheint ziemlich ausgeprägt und real zu sein, dafür, dass du die Kompetenz der Jäger anzweifelst", mischte sich Jacque ein.

    Steve zuckte mit den Schultern. „Ich wäre ein Narr, wenn ich mich nicht von Dämonen fern halten und auf Nummer sicher gehen würde, was meinen Geleitschutz anbelangt."

    „Mit anderen Worten, wir sind für dich nur Mittel zum Zweck."

    „Ist nicht jeder, der einen Beruf ausführt, Mittel zum Zweck von irgendjemandem?"

    Jacque biss in die Haxe und starrte Steve nieder, der sich dann ziemlich schnell und ziemlich gründlich um die letzten Reste seines Haferschleims kümmerte, die noch auf dem Boden seines Tellers zu finden waren.

    Morten grinste Jacque an und sah abermals nach draußen zu den Städtern, die mit Hilfe eines Seilzuges und massiven Ketten dabei waren, den Kadaver des Dämons zu befestigen. Die meisten von ihnen waren blass – ihre Haut war gräulich – und hager. Ihre Kleidung war zerschlissen, manchen waren die Lumpen, die sie trugen, zu groß.

    Morten würde sich nicht wundern, wenn er irgendwann in naher oder ferner Zukunft den ein oder anderen von ihnen beseitigen müsste. Es gab viel zu viele Schrecken, die Jäger zu gut kannten, gewöhnliche Menschen jedoch noch nie gesehen hatten.

    Er wusste nicht einmal mehr, wann er das letzte Mal die Sonne gesehen hatte.

    3.

    Der Tag war grau und düster. So wie jeder andere. Irgendwo über den Nebelschwaden und den Wolken befand sich die Sonne, das wusste Morten, aber genauso wusste er auch, dass die wärmenden Strahlen auch heute nicht bis hier unten durchdringen würden.

    Steve plauderte ununterbrochen vor sich hin, während sie die langen, breiten Steintreppen zum Kathedralenplatz hochstiegen, der armen Menschen in Gefahr eine Zuflucht schenkte – wenn sie Glück hatten und sie es rechtzeitig hinter die schützenden Tore einer der Kirchen schafften. Nicht jedem gelang es, sich in Sicherheit zu bringen, ehe die dunklen Schatten sie ergriffen und mit Haut und Haar verspeisten...

    Jacque und Morten ließen Steve reden. Beide waren nicht gerade darauf versessen, sich mit dem Beamten auszutauschen. Sie waren eigentlich ganz glücklich über seine Monologe, die sie davor bewahrten, in nervenaufreibende Gespräche verstrickt zu werden.

    Entlang der vielen steinernen Treppen standen in regelmäßigen Abständen Statuen, die die Gestalt von vermummten Personen hatten. Die Stadt war so alt, dass Morten nicht wusste, wen diese Skulpturen darstellen sollten. Einige von ihnen wurden in so verrenkten Haltungen dargestellt, dass sie nur noch an verzerrte Ebenbilder von Menschen erinnerten.

    Manche von ihnen wurden von den Bewohnern, die sich selten aus ihren Häusern wagten, als Laternen oder als kleine Altäre verwendet, die Licht, und auf eine bizarre Art und Weise manchen Menschen sogar Hoffnung, spendeten. Auch wenn die Flammen der unförmigen Kerzen zumeist nur blass und schwach schienen und deshalb manche Statuen mit einer kleinen Armee der Lichtquellen gespickt waren.

    Dabei wusste Morten nicht einmal, ob diese Skulpturen schon lange toten Jägern huldigten oder gar Dämonen. In dieser gottverlassenen Stadt war alles möglich.

    Überall in Manrhay waren solche Plastiken zu finden, die sich

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