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EBQUIZEON - Die Welt hinter der Welt (2018)
EBQUIZEON - Die Welt hinter der Welt (2018)
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eBook816 Seiten10 Stunden

EBQUIZEON - Die Welt hinter der Welt (2018)

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Über dieses E-Book

Nach der Entdeckung eines hochenergetischen Minerals im Mondkern errichtet die Skyrock Corporation Ende des 22. Jahrhunderts die Minenstadt Kap Rosa auf dem Erdtrabanten. Das dort geförderte "Brymm" wird zur Energiequelle Nr.1 und ermöglicht der Menschheit Fortschritte in der Wissenschaft und Raumfahrt. Dies aber hat seinen Preis: Die Fusionsstrahlung des Brymm durchdringt ihr Umfeld und verursacht das Erwachen eines Maschinenbewusstseins in der Millionenmetropole Giga-City Omega.
2207, heute: Der Physiker Jonathan McGloominter entwickelt die Quantumbots, Nanomaschinen, die in die Blutbahn injiziert werden und eine Teleportationstechnik ermöglichen. Sein Vorhaben wird jedoch von einer aggressiven Künstlichen Intelligenz torpediert, die Johns Schöpfung für Virus-Experimente missbraucht und ihn zum Diebstahl der Forschungsdaten zwingt. Ihm gelingt die Flucht in die Paralleldimension Ebquizeon, wo er nicht nur eine götterähnliche Rasse antrifft, sondern die Natur des Brymm begreift und seinem wahren Ich auf die Spur kommt.
Gleichzeitig häufen sich in der Minenstadt Kap Rosa die Zwischenfälle, speziell um einen Frauenleichenfund in einer der Förderanlagen, mit dessen Aufklärung Lester Benx, Chief-Officer der Sicherheitsfirma Sol Guard betraut wird. Als Lester und seine Kollegin Allison Vangristen herausfinden, dass eine übernatürliche Macht im Zentrum Kap Rosas entsteht, die mittels eines Nanobot-Virus ihre Fäden zieht, stoßen sie an die Grenzen ihrer Fähigkeiten, und die Sol Guard wird in ihre schwerste Krise getrieben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. März 2018
ISBN9783742744098
EBQUIZEON - Die Welt hinter der Welt (2018)

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    Buchvorschau

    EBQUIZEON - Die Welt hinter der Welt (2018) - Andreas Bulgaropulos

    Gruß des Autors

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    vielen Dank, dass Sie sich für mein Werk interessieren, es Probe lesen und vielleicht kaufen möchten oder dies schon getan haben. Wenn Sie etwas über dessen Entwicklung erfahren wollen, bleiben Sie kurz bei mir. Ansonsten stürzen Sie sich einfach ins Abenteuer.

    In der Form, in der Ihnen mein Roman vorliegt, hat er einen langen Weg hinter sich und begleitet mich in seinen Grundzügen seit dem Jahr 2003. Eigentlich kamen mir die ersten Ideen bereits 2001, doch bis ich ernsthaft mit der Schreibarbeit begann, musste ich mir zunächst über meine künstlerischen Ambitionen klarwerden. Da ich vorher jahrelang professionell Musik gemacht und in drei Bands gespielt hatte, stand mir Anfang der Nullerjahre der Sinn nach etwas Neuem, bei dem ich die Grenzen meiner Fantasie ausloten konnte. So entschied ich mich, eine durchdachte, tiefsinnige und spannende Science-Fiction-Geschichte zu erzählen, komme was da wolle. Ich hatte nur nicht mit meinem Perfektionismus und einem solchen Aufwand gerechnet!

    Klar war für mich von Anfang an, dass die Handlung auf dem Mond angesiedelt sein sollte, der seit Kindheitstagen eine geradezu magische Faszination auf mich ausübt und Schauplatz meiner 70er Lieblingsserien UFO und Mondbasis Alpha 1 war. Stark inspiriert hatten mich außerdem der Kinofilm »Tron« (1982), das PC-Spiel »System Shock« (1994) sowie die Romane: John Shirley »Rebellion der Stadt« (1980, City Come A-Walkin’) *** H.P. Lovecraft »Die Traumfahrt zum unbekannten Kadath« (1970) *** Philip K. Dick »Ubik« (1969) und »Die drei Stigmata des Palmer Eldrich« (1964) *** und Philip José Farmer »Die Welt der tausend Ebenen« (1965).

    Nachdem ich zu Beginn einen Mount Everest an Ideen bewältigen musste, der mich beinahe meine Motivation kostete, strukturierte ich mich, wog alle Einfälle auf ihren Wert ab und tauchte mit Begeisterung in die Wissenschaftsfelder der Quanten- und Astrophysik ein. Mai 2009 hatte ich endlich mein 550-seitiges Werk fertiggestellt, zufälligerweise im 40sten Jubiläumsjahr der Mondlandung. Ich veröffentlichte es in physischer Form samt ISB-Nummer über eine On-Demand-Druckerei, verzichtete aber aufgrund des hohen Herstellungs- und Verkaufspreises von 27,95 Euro auf jeglichen Eigengewinn, damit das Preis-/Leistungsverhältnis für den Debütroman eines Newcomers nicht völlig aus den Fugen geriet. Im Anschluss an einige freundliche Rezensionen und dem Werben meinerseits in SciFi-Foren, fanden wenigsten ein paar Exemplare ihre Abnehmer, doch die Gelegenheit, ein breiteres Publikum zu erreichen, bot sich mir erst, als sich das eBook-Format etablierte.

    2012 erweiterte ich wichtige Aspekte der Geschichte, merzte Fehler aus und teilte Ebquizeon in fünf Teile zu je 120 Seiten auf, um es im Laufe mehrerer Monate für den Kindle eReader zu publizieren. Dank des neuen Leseformats und wesentlich günstigeren Preises stieg die Nachfrage, was sicherlich auch mit dem Bewerben des Romans durch das Verteilen von Flyern zusammenhing.

    Mittlerweile hatte ich an einer Fortsetzung gearbeitet, schmiss aber 2013 alles hin, weil meine endlosen Bemühungen um Literaturstipendien, Anfragen bei Agenturen und Verlagen nicht fruchteten. Zu der Zeit wollte ich gerne wieder etwas Unkompliziertes frei Schnauze erschaffen, und nach einigen begonnenen Projekten gewann ich durch die Pennyflax-Kinderromane (2013 + 2015, www.pennyflax.de) die Freude am Schreiben zurück.

    Und nun, Anfang 2018, veröffentliche ich Ebquizeon als überarbeitete Komplettversion der 2012 erschienenen, fünf einzelnen Teile, diesmal für alle eBook-Formate und Systeme. Inzwischen habe ich genug Abstand zur Komplexität der Geschichte bekommen, dass ich mir wieder vorstellen kann, die Materie erneut aufzurollen. Ob das aber reicht, um eine Fortsetzung auf die Beine zu stellen, möchte ich nicht versprechen. Immerhin, begonnen hatte ich ja damals bereits …

    Teilen Sie, geschätzter Leser, mir gerne Ihre Meinung dazu mit.

    Unter info@ebquizeon.de bin ich ebenso für Anregungen, konstruktive Kritik und Lob dankbar, genau wie für eine kurze Bewertung meines Romans auf dem Portal, auf dem Sie ihn erworben haben.

    Schön also, dass Sie mit mir auf diese Reise gehen, und denken Sie daran:

    You are bound for the stars!

    In diesem Sinne viel Vergnügen

    Andreas Bulgaropulos

    (weitere Infos zum Roman: ebquizeon.de)

    Prolog

    Die Stadt träumte.

    Es war ein Traum voller Energieströmungen, erfüllt vom Herzschlag der Straßen, in denen sich Menschenmassen tummelten und die Datenschübe der Computer den Puls vorgaben. Wie Adern durchzogen die Fahrzeugrouten den Organismus der Metropole, wie Nervenimpulse in einem Gehirn schossen die Skytube-Bahnen zwischen den Wolkenkratzern aus Stahl und Bioglas hindurch.

    Brymm … Die Stadt träumte, und die Verbrennungsstrahlung des Brymm-Kristalls war der Grund dafür. Ein Zustand, der bereits mehrere Jahre andauerte und sie vom Tiefschlaf zum leichten Schlummer begleitet hatte. Maschinen, Antriebssysteme, Kraftwerke – die Stadt war weich gebettet.

    Brymm … Energiewogen brandeten in ihrem Geist auf, rollten von den Terrassen und Gärten des westlichen Nobelviertels Pacifica bis zu den Raumhafentürmen des Ostbezirks. Im Norden umspülten sie Industrieanlagen, drangen in den Untergrund der Giga-City vor und fluteten gen Süden, wo kilometerlange Schwebebrücken das New Athens Delta überspannten.

    Brymm … Die Wogen ließen auf den Schrottplätzen der Slums ausrangierte Sex- und Vergnügungsdroiden erzittern, deren Augenoptiken zum Himmel starrten und deren Münder vom Regenwasser überflossen. Unbemerktes Flehen, synthetische Seufzer.

    Brymm … Künstliche Realitäten, deren Nutzer ihre Alternativ-Existenzen wie im Rausch konsumierten, beugten sich unter der Last der Brandung.

    Brymm … Myriaden von Nanobots sorgten in den Blutbahnen der Bürger für die Erhaltung der Gesundheit und schwangen im Rhythmus der träumenden Stadt. Eine Gattung der mikroskopisch kleinen Maschinen zeigte sich besonders empfänglich dafür und begann, individuell zu agieren.

    Brymm … So begünstigte der Mensch durch den Energiekristallverbrauch die Geburt einer Wesenheit, die am Saum der Wirklichkeit ihr Dasein begann.

    Brymm … Rhythmische Wogen. Morgendämmerung. Weckrufe.

    Und langsam, ganz langsam wachte die Stadt auf.

    *** 7. September 2207 ***

    *** Giga-City Omega, Erde ***

    John McGloominter kam die Magensäure hoch – Stress und Kaffee forderten den üblichen Tribut. Er befand sich auf dem Weg zur Firma. Das Shuttle passierte in diesem Moment die Grenze des Upper-North-Sektors und überflog die Ausläufer eines Wohngebiets, dessen Häuser von hier oben kaum zu erkennen waren.

    Die Sonne schwang sich über der Skyline empor. Ihre Strahlen vertrieben den Frühnebel am Boden und glitten über Johns Gesicht, während das schlanke, silberne Shuttle einen Bogen flog, um sich in eine tiefere Verkehrsroute einzufädeln. Eine Hochhausschlucht tat sich jenseits der Frontscheibe auf. Er registrierte die Gebäude, die vor ihm anwuchsen und kurz darauf vorbeiwischten.

    Zeit, dachte John, ich brauche mehr Zeit!

    Wenn die Neuberechnungen stimmten, würden sie sich verheerend auf seine Forschungen auswirken. Jahre harter Arbeit standen auf dem Spiel. Zunächst hatte er an einen Fehler geglaubt, als er bis spät in die Nacht hinein über den Formeln gebrütet und den Test wieder und wieder simuliert hatte. Solange, bis seine Frau in der Tür stand, um ihn mit strengem Blick ins Bett zu beordern.

    An Schlaf war kaum zu denken gewesen, die Fakten waren alarmierend. Selbst als er vor einer halben Stunde die Wohnung verlassen und unbewusst den Kuss seiner Tochter Louise wahrgenommen hatte, liefen die Berechnungen in seinem Gehirn weiter. Das Ergebnis blieb dasselbe: kein Fehler.

    Gott … wir müssen bei null anfangen! Aber die werden mich für verrückt erklären. Oder lasse ich’s drauf ankommen? Mein Team mit der Durchführung beauftragen? Nein … zu riskant! Die Menschheit einer solchen Gefahr auszusetzen, ist mit guten Absichten nicht zu rechtfertigen. Ich trage die Verantwortung für das Experiment!

    Sein Vorgesetzter würde an die Decke gehen.

    Ich muss ihm die Brisanz aufzeigen, Evan überzeugen. Dann verschiebt er die Tests. Schließlich hat er auch Familie. Doch was, wenn er auf der Durchführung besteht? Mich gegen den Chef auflehnen?

    John raufte sich die Haare und wünschte sich, eine Alternative zu sehen.

    Ich sollte Nyla und Scott um Hilfe bitten … und die Daten sichern.

    Das Shuttle hatte sich durch die Straßenschluchten gekämpft und erreichte das Industriegebiet. Ein markantes Gelände schälte sich aus dem Dunst, stahlgraue Gebäude, die sich dem Morgenlicht entgegen wuchteten.

    Um 07:45 Uhr landete John auf dem Areal seiner Firma. Nach den Sicherheitsprozeduren verließ er die Shuttle-Bay und begab sich zum Bereich Quantum-Engineering, wo er seine Kollegen zur Besprechung treffen würde.

    Im lichtdurchfluteten Meetingcenter steuerte er auf eines der Transcend-Terminals zu, die jeweils zu einer Gruppe von sechs Liegesesseln gehörten. Er ließ sich in den erstbesten Sessel fallen und loggte sich mittels des SuperMindCell, des Biochips in seinem Gehirn, in den firmeninternen Extended-Reality-Space ein. Sofort wurde sein Körper von einem Antigrav-Feld angehoben und in der Schwebe gehalten. Die Außenwelt samt ihren Gesetzmäßigkeiten verschwand: Ihn umhüllte das milchig weiße Nichts des Ex-R-Space.

    Das Logo der »Gyroscope & Bionics Technologies Corporation« erschien in seinem Geist, und im nächsten Moment befand er sich in einem virtuellen Konferenzraum, der einen Rundumblick auf die Stadt bot.

    Alle Kollegen waren bereits anwesend. Einige der Wissenschaftler versuchten John in Fachgespräche zu verwickelten, doch er ging nur halbherzig darauf ein. Als das Abbild des Abteilungschefs Evan Yanderbrook erschien, erstarben die Unterhaltungen. Gespannte Gesichter wendeten sich dem Zweimetermann am Ende des Tischs zu.

    »Guten Morgen, meine Damen und Herren«, begrüßte Yanderbrook seine Angestellten. »Unser Unternehmen steht kurz davor, den Durchbruch auf dem Gebiet des zielgerichteten Transports von Materie in einem freien Umfeld zu erreichen. Mit anderen Worten, Ihnen, dem Quantumbot-Research-Team, verdanken wir es, dass Gyronics-Tech als erster Konzern die Teleportation zur Marktreife entwickeln wird, und zwar Monate vor der internationalen Konkurrenz!«

    Die Anwesenden klatschten Beifall.

    John war in Gedanken meilenweit entfernt. Reglos fixierte er den Tisch.

    Sein Chef lächelte und hob die Hände. »Lassen Sie mich speziell dem Mann danken, der schon in der Vergangenheit durch seine revolutionäre Forschungsarbeit auffiel, mir vor allem aber durch seine Hartnäckigkeit auf den Wecker ging …«, einige Mitarbeiter lachten, »… und der maßgeblich zum Erfolg von GTC als führendem Technologieunternehmen beigetragen hat. Ich bin überzeugt, er wird mit diesem Projekt Geschichte schreiben. Jonathan McGloominter!«

    Begeisterter Applaus.

    Als sein Name fiel, schreckte John auf. Er erhob sich.

    Sein Assistent Scott Greene, ein junger Jamaikaner, klatschte besonders laut und grinste ihn ermutigend an.

    John blickte in die Runde, die Züge vom Ernst der Lage gezeichnet. Himmel, wie bringe ich euch das bei … Er wartete, bis sich der Beifall gelegt hatte. »Danke, Mr. Yanderbrook. Danke, Ihnen allen. Wenn ich gewusst hätte, dass man mich heute Morgen wie bei einem Staatsempfang feiert, wäre ich zu Hause geblieben.«

    Erneutes Gelächter.

    »Wer mich kennt, der weiß, dass ich nur aus wichtigen Anlässen auf Partys gehe. Daher muss ich Ihnen gestehen …« Er zögerte. Eben noch hatte er seine Entdeckung von vergangener Nacht zu erklären versucht, entschied sich jedoch spontan, die Details nur Yanderbrook anzuvertrauen. »… muss ich Ihren Enthusiasmus dämpfen und Ihnen mitteilen, dass ich auf eine Sache gestoßen bin, die in Anbetracht ihrer Bedeutsamkeit die Verschiebung der Tests nötig macht.«

    Unter den Wissenschaftlern breitete sich ein Gemurmel der Ratlosigkeit aus.

    »Ich weiß, wie viel Herzblut von uns allen in das Projekt geflossen ist. Deswegen möchte ich einen sicheren Ablauf garantieren können, um Tragödien zu vermeiden. Mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen. Ich danke Ihnen.«

    Die Anwesenden bestürmten ihn mit Fragen.

    John ignorierte den Tumult. Er wandte sich an seinen Assistenten und betete, dass die unzulässige Gesprächsabschirmung, die er soeben per Gedankenbefehl initiiert hatte, hielt. »Scott, hör zu. Es ist wichtig! Du loggst dich sofort aus und gehst runter in die Datenverarbeitung. Lass dir von Nyla helfen, den aktuellen Teil unserer Forschung vom Hauptrechner auf unabhängige Protein-Speichermodule zu kopieren. Verwendet dafür den neuesten Virenfilter. Alle anderen Kopien vernichtest du, verstanden? Und erledige es unauffällig. Ich weiß, du schaffst das!«

    Scott nickte mechanisch, doch die Fassungslosigkeit war ihm anzusehen. »Boss … wieso um alles in der Welt latschst du uns so auf die Füße?! Besonders dem Oberguru. Der Termin für die finale Testphase stand, also was soll die Änderung? Und warum befiehlst du mir einen illegalen Datentransfer? Wenn die das merken, schmeißen sie uns raus!«

    »Erkläre ich dir später, aber zuerst muss ich mit Evan reden. Geh jetzt und starte den Kopiervorgang. Ich übernehme die Verantwortung für die Aktion!«

    Scott Greenes virtueller Körper verschwand aus dem Konferenzzimmer.

    Johns Herz pochte ihm bis zum Hals. Er schaute sich nach seinem Chef um und sah, wie dieser das Meeting beendete und ihm ein Zeichen gab. Der Raum löste sich in milchiges Weiß auf, um ein neues Szenario zu formen. Sekunden später stand er in einer Nachbildung des Büros von Evan Yanderbrook, der bereits vor Wut kochte.

    »Erläutern Sie mir das gefälligst, John! Ist Ihnen klar, dass der Vorstand für kurzfristige Modifikationen null Verständnis aufbringt? Und ich auch nicht. Das könnte uns die Jobs kosten. Die Konkurrenz schläft nicht!«

    »Sir, wir …« John schluckte. Seine Kehle war so trocken wie Sandpapier. »Wir haben einen unzulässigen Systemzugriff.«

    »Ist das ein Scherz?! Machen Sie sich wieder Sorgen wegen der Spionageprogramme, die seit Wochen unseren Hauptrechner attackieren?« Die Stimmlage seines Chefs rutschte ins Hysterische ab. »Bis jetzt hat niemand unsere BlackHole-Walls geknackt, und soll ich Ihnen etwas verraten, John? Das schafft auch keiner!«

    Ich wusste, es wird schwierig. »Der Zugriff kommt von innerhalb der Firma.«

    Yanderbrook setzte eine Miene auf, als hätte ihm jemand die Erde als Scheibe beschrieben. John registrierte das mitleidige Lächeln eines Mannes, der ihm niemals glauben würde, egal wie die Beweise aussahen.

    »Jonathan … Sie wollen mir allen Ernstes erzählen, wir hätten einen Eindringling im System? Den Zauberkünstler möchte ich kennenlernen! Unsere Sicherheitsmaßnahmen sind die effektivsten weltweit. Alle MindCell-Signaturen der Angestellten werden permanent überprüft, die Gedanken der SuperMindCell-Träger analysiert und sämtliche Computerzugriffe registriert. Das System ist perfekt!«

    Leg ihm trotzdem die Fakten dar, versuchte John sich zu strukturieren und platzte heraus: »Ich möchte Ihnen etwas zeigen, Sir.«

    Er ließ mit einem Gedankenbefehl mehrere Grafiken im Zimmer erscheinen, die zu rotieren begannen.

    »Ausgangspunkt unserer Teleportationsforschung waren die Nanobots, welche in jedem menschlichen Körper Krankheitserreger bekämpfen, Krebszellen vernichten, Organe oder Wunden heilen, et cetera. Über unzählige Zwischenstufen haben wir daraus die Quantumbots entwickelt. Hier sehen Sie, wie wir die Maschinen in die Blutbahn der zu teleportierenden Testperson schleusen und hier, wie sie mit einem leblosen Objekt in Kontakt gebracht werden. Die Q-Bots hüllen den Körper, beziehungsweise das Objekt, in ein hyperdimensionales Feld aus Vergangenheits- und Zukunftsvariablen, starten die Quantenverschränkung und führen den Von-Ort-zu-Ort-Transport durch … vorausgesetzt, am Zielort existieren ebenso Q-Bots.«

    Yanderbrook unterbrach ihn genervt: »Müssen Sie beim Urknall anfangen?«

    »Ähm … nein. Entschuldigung. Aber gestern Nacht entdeckte ich zu Hause, dass die Q-Bots der Alpha-Testreihe manipuliert wurden. Sie sind jetzt in der Lage, sich als gewöhnliche Nanobots zu tarnen und in einem MindCell einzunisten. Dort reproduzieren sie sich selbstständig, übernehmen die Kontrolle über den Biochip des Kopfes und letztendlich den Wirtskörper.«

    John fixierte seinen Vorgesetzten. »Ich habe keine Ahnung, wer hinter der Manipulation steckt, aber wissen Sie, was das bedeutet, Evan? Dieser Jemand könnte mithilfe unserer Technologie und dem neuen Datenpaket, mit dem die Bots heute ausgestattet werden, einen Menschen zum willenlosen Werkzeug machen. Mehr noch, man könnte den Menschen gezielt an einen bestimmten Ort teleportieren, um ihn als Spion oder Waffe zu missbrauchen! Sie, mich, jeden! Denn nicht einmal die MindCell-Signatur würde dadurch verändert. Wir blieben wir und würden von den Überwachungscomputern als zugelassen eingestuft. Einzig und allein die Wärmebarriere des Umfelds schränkt die Bots stark ein, den Wirtskörper zu verlassen und sich ohne Injektion, sprich durch die Luft, auszubreiten. Denn bis jetzt gelingen uns die Teleportationstests nur bei kalten Temperaturen. Daran arbeiten wir noch.«

    Evan Yanderbrook besah sich die schwebenden Diagramme, wirkte aber wenig beeindruckt. »Sie mit Ihrem Fachchinesisch! Ich erkenne hier lediglich, dass Ihre Berechnungen erstens hypothetischer Natur sind und Sie zweitens dem Worst-Case-Szenario eine Chance von unter fünfzehn Prozent einräumen. Das halte ich für ein durchaus vertretbares Risiko. Sie werden es auf null reduzieren, bis wir das Projekt in zwei Wochen abschließen, die Patente einreichen und an die Öffentlichkeit gehen. Aber für die heutigen Tests spielt das keine Rolle. Wir verstehen uns?«

    John spürte wieder den Kaffee hochkommen. Er versuchte seinem Chef mit steigender Verzweiflung klarzumachen, wie groß die Gefahr einer Katastrophe war, da der Abschlussversuch den Q-Bots gestattete, sich in einem freien Milieu zu bewegen. Als er bemerkte, dass seine Emotionen die von ihm angeführten Argumente wie die eines Stümpers klingen ließen, zwang er sich zur Selbstbeherrschung.

    Er holte Luft.

    »Bisher verliefen unsere Experimente nicht zielgerichtet, Evan. Das heißt, wir mussten die Labors mit einem starken, von den Fluktuationskammern erzeugten Energiefeld eindämmen, um das Teleportationsobjekt nicht an die Umwelt zu verlieren. Der Nachteil: Es materialisierte irgendwo in den Labors. Heute jedoch teleportieren wir draußen auf dem Testgelände. Dort benötigen wir dank der aktuellsten Erkenntnisse keine Eindämmung mehr, sondern legen den Zielpunkt fest, indem wir eine mit Quantumbots gesättigte Eiswolke platzieren. Die Bots in der Wolke und diejenigen in der Versuchsperson sind durch ihre Programmierung aufeinander geeicht. So schließen wir den Verlust des Subjekts aus. Ist der Prozess beendet, verflüchtigt sich die Q-Bot-Wolke. Und das bedeutet, sind unsere Maschinen einmal raus, bleiben sie draußen. Gemäß ihrer Natur ›entwischen‹ sie in Raum und Zeit. Wohin, kann niemand sagen. Das Problem ist, sie wurden manipuliert … also könnten sie unter den ungünstigsten Bedingungen Menschen umpolen!«

    Yanderbrook umrundete seinen Schreibtisch, über dem eine dreidimensionale Darstellung des Firmengebäudes leuchtete, die jede Mitarbeiteraktivität anzeigte. Er blieb am Fenster stehen und blickte hinaus.

    »Auf welchem Weg kontrolliert, nach Ihrer Theorie, der Saboteur die Q-Bots?«

    John schöpfte Hoffnung und fuhr durch sein dichtes braunes Haar. »Richtig, Sir. Das vergaß ich zu erwähnen. Der Zugriff geschieht über die atomgroßen Antriebszellen der Bots. Der Saboteur hat einen Weg gefunden, das Brymm der Zellen in Negativ-Energie umzuwandeln, ein Vorgang, den man konkret einleiten muss und den ich bisher für nicht realisierbar hielt. Dieser Jemand kennt sich genauestens mit der Materie aus und ist ehrlich gesagt ein Genie.«

    »Klingt weit hergeholt. Doch die Möglichkeiten, die sich daraus ergäben, wären … immens, nicht wahr?«

    John runzelte die Stirn. Er vermochte den Unterton in Yanderbrooks Stimme nicht zu definieren. Überhaupt verhielt dieser sich seltsam.

    »Wenn tatsächlich ein Eindringling existiert«, ordnete sein Vorgesetzter an, »dann will ich, dass Sie ihn bis heute Nachmittag finden und eliminieren. Und falls es sich um eine echte Person handelt, brauchen wir nur den Namen, damit der Werksschutz es wie einen Unfall aussehen lassen kann. Problem gelöst!«

    Entsetzt starrte John den Mann am Fenster an. Niemals hatte er mit einer solchen Skrupellosigkeit gerechnet. Er machte einen letzten Versuch. »Evan, ich beschwöre Sie! Geben Sie mir drei Tage. Bitte! Ich kann unmöglich so schnell …«

    Yanderbrook drehte sich um und brüllte: »Genug! Ich habe hier das Sagen! Tun Sie sich selbst einen Gefallen, Jonathan, und vermasseln Sie sich nicht Ihre Karriere. Sie sind schließlich erst Ende dreißig.«

    Die Drohung, die der Abteilungschef ausgesprochen hatte, lastete unheilschwanger auf dem Büro.

    »Trotz Ihres angeborenen Pessimismus haben Sie sich bis jetzt durchgebissen, und das schätze ich an Ihnen. Sehen Sie zu, dass es so bleibt. Die Tests werden termingerecht über die Bühne gehen, haben wir uns verstanden? Sonst müsste ich mir einen anderen leitenden Quantum-Engineer für das wichtigste Forschungsprojekt in der Firmengeschichte von Gyronics-Tech suchen. Diese Unterhaltung ist beendet!«

    Milchiges Weiß.

    Jonathan McGloominter loggte sich aus.

    Verstört verließ er das Meetingcenter und stieg in eine Gleiterbahn, die ihn über das Firmengelände zu seinem Arbeitsbereich brachte. Als er noch immer wie betäubt bei »Quantum-Researches-Lab« ausstieg, stand sein Entschluss fest.

    Am Eingang des Gebäudekomplexes fegte ihm Nyla Singer entgegen, die Empörung in Person.

    »John … was läuft hier eigentlich?!«, schnaubte seine Assistentin und ging neben ihm her. »Wie Scott mir vor einer Viertelstunde gebeichtet hat, ist die finale Testreihe von dir abgeblasen worden. Kannst du mir das erklären? Wir stehen kurz vor dem Durchbruch. Du hättest deine Entscheidung mit mir absprechen müssen!«

    Beide blieben am Ende des Gangs vor dem Panzerschott stehen, wo der Kontrollpunkt ihre Signaturen scannte. Die Augen der schlanken Frau funkelten. Er wusste, sie erwartete eine verdammt gute Rechtfertigung von ihm.

    »Die Tests finden nun doch statt«, gestand John emotionslos.

    Wie konnte ich so naiv sein, mir einzubilden, für diese Firma stünde die Sicherheit an erster Stelle?!

    Sein Blick ging ins Leere. Und sollte er Nyla einweihen? Ihr von seinem Plan erzählen? Das hieße, sich länger mit ihr zu unterhalten. Jedes Gespräch wurde analysiert.

    Riskant! Die Abschirmung fällt auf. Mir bleibt nur eine Möglichkeit …

    »Oh«, stichelte Nyla, »dann hat dir Yanderbrook einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kann nicht behaupten, mir täte das leid!«

    Das Schott zischte und öffnete sich. Sie begaben sich zu Abteilung 7, Experimentelle Quantumbot-Teleportation.

    »Hör zu, John«, lenkte sie ein, »ich bin auf deiner Seite … wirklich. Wie wir aus Erfahrung wissen, kriegst du jedes Mal kalte Füße am Ende eines Projektes, und trotzdem ging immer alles glatt. Hab endlich mehr Vertrauen in deine Fähigkeiten. Sogar unter den neuen Kollegen bist du als Oberzweifler verschrien, weißt du?«

    Nyla lächelte. Ihr Ärger verpuffte bereits. Sie besaß eine schwarze Kurzhaarfrisur, war achtundzwanzig, äußerst clever und hübsch, und wäre John nicht verheiratet gewesen, er hätte längst eine Affäre mit ihr angefangen.

    »Mir war nicht bewusst, dass hier jeder so über mich denkt, Kollegin.«

    »Ach komm schon, John! Das ist unfair. Du weißt genau, wie sehr ich deine Fachkompetenz schätze. Nur könntest du von Zeit zu Zeit deine Skepsis daheim lassen, dann würde unsere Arbeit doppelt so flüssig laufen.«

    »Ja … ich weiß.« Seine Stimme klang nervös und brüchig. Sie betraten das Labor. »Und du hast recht. Abschlusstests bringen mich aus dem Konzept. Wird schon schiefgehen, was?«

    Begleitet von einer Tonfolge entstand ein Heliogramm-Gesicht vor ihnen im Raum. Delphi, die Künstliche Intelligenz, die alle Computerfunktionen des Forschungscenters kontrollierte, manifestierte sich in Form eines Frauenkopfes, der an südeuropäische Marmorbüsten der Antike erinnerte.

    »Guten Morgen, Professor McGloominter«, begrüßte ihn die Lichtenergie-Projektion sanft. »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Herfahrt. Laut Tagesplan stehen die Kalkulationen der euklidischen Verzögerungsvariablen für das neue Koordinatensystem an. Sollen wir damit beginnen?«

    John wühlte seine Aufzeichnungen durch. »Später, Delphi. Ich habe zuerst etwas mit Nyla und Scott zu besprechen. Würdest du inzwischen die Herstellung der neuen Q-Bot-Serie initiieren und sie mit allen Daten des Raumzeitgefüges füttern, unter Berücksichtigung der Riemannschen Mannigfaltigkeit?«

    »Natürlich, Professor McGloominter. Wenn Sie es wünschen …«, bestätigte die KI, und ihr Gesicht verwandelte sich in einen vollständigen Körper. Sie trat auf John zu und hielt ihm ein Autorisierungs-Pad entgegen. »Ich benötige für die Ausführung Ihrer Anordnung eine DNA-Verifizierung.«

    »Ja, richtig«, murmelte er. Dass die Projektionen der neuartigen Heliogramm-Technologie feste Formen annehmen und Materie selbstständig bewegen konnten, irritierte ihn manchmal. Obwohl es sich um eine Gyronics-Entwicklung handelte.

    Er legte die Hand auf das Pad.

    »Ich registriere erhöhte Stressmuster in Ihrer Stimme. Geht es Ihnen gut, Professor McGloominter?« Delphi nahm das Analysegerät wieder an sich.

    »Meine Güte … ja doch!« Er riss sich zusammen. »Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen. Das ist alles.«

    Ohne eine Erwiderung verschwand das Heliogramm.

    John zog seine Assistentin mit sich zum anderen Ende des Raums und schob sie in den Antigrav-Lift. Beide schwebten ein Stockwerk nach unten.

    »Sag mal, ist tatsächlich alles in Ordnung?«, hakte Nyla Singer beunruhigt nach. »Du wirkst so zerstreut. Du hast Delphi eine Aufgabe gegeben, die sie bis an ihre Grenzen auslastet. Da bleiben keine Kapazitäten mehr für …«

    »Ich weiß.« Seine Miene verhärtete sich, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn.

    Ich habe nur die eine Chance. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, bin ich mitsamt meinen Forschungen erledigt!

    Unten traten beide aus der Liftröhre und erreichten die Abteilung, hinter deren Schutzwänden die Fluktuationskammern lagen. In jeder Kammer transformierten mächtige Konverter das Brymm-Mineral zu reiner Energie und erschufen das für die Versuchsreihe wichtige Eindämmungsfeld.

    Scott Greene stürzte aus der Photonischen Datenverarbeitung. Als Wunderkind war er bereits mit vierzehn von Gyronics eingestellt worden und hatte sich innerhalb der vergangenen fünf Jahre zum Computercrack entwickelt.

    »Boss!«, regte sich der junge Mann auf. »Irgendwer in der Chefetage hat unseren Zugangsstatus für den Q-Bot-Researches-Bereich gesenkt. Wir stehen infolgedessen so limitiert da, als ob wir Laborgehilfen wären. Das gab’s noch nie!«

    John spielte den Gleichgültigen. »Eine Vorsichtsmaßnahme von Yanderbrook wegen eines Sicherheitsproblems. Kein Grund zur Sorge, Scott.« Er dirigierte seine Mitarbeiter in den Computerkernraum und an das Transcend-Terminal.

    Greene warf Nyla einen fragenden Blick zu, erntete jedoch ein Schulterzucken. »Aber, Boss … die schicken weitere Sicherheitsdroiden. Zu uns! Ich kriege langsam Muffensausen. Könntest du mich endlich aufklären?«

    Der leitende Quantum-Engineer setzte sich in einen Liegesessel und bedeutete den beiden, es ihm gleich zu tun. Jetzt zahlt es sich aus, dass ich in letzter Zeit so paranoid war. »Trefft euch bitte im Ex-R-Space mit mir. Ich möchte die Problematik der Lasermatrix durchgehen.«

    Scott stieß ein Zischen aus. »Was? Die haben wir doch ausgiebig …«

    Nyla kam ihrem Chef zu Hilfe. Auf ihre Instinkte war immer Verlass gewesen.

    »Ach … stimmt ja, John. Da gab es bei der Synchronisierung der Impulse noch Unklarheiten.«

    Der junge Jamaikaner ergab sich seinem Schicksal.

    Milchiges Weiß. Die drei Physiker loggten sich mit Gedankenbefehlen in die künstliche Realität der GT-Corporation ein.

    Sie erschienen an einem Ort, welcher der Kommandozentrale eines Raumschiffs ähnelte, aber organischer designed war. Der Außenbereich hinter den halbtransparenten Wänden stellte eine Weite ohne Grenzen dar, in der bizarre Vielecke und Blitze umher sausten.

    »Was soll das, John? Wo sind wir hier?«, echauffierte sich Nyla und blickte an ihrem Körper hinunter. Er besaß die Form einer nebelartigen Substanz, die pulsierte. »Und was bin ich?«

    Die Nebelsubstanz, die Scott Greene war, jubelte: »Wow, Boss! Ich fasse es nicht. Du hast eine Tarnung für deinen SuperMindCell etabliert!«

    John McGloominters Stimme drang stockend aus der dritten Wolkenform. »Ich … hatte keine Wahl. Hört zu … uns bleibt wenig Zeit. Ihr haltet euch außerhalb des Gyronics Ex-R-Space auf, in einem von mir erschaffenen Refugium, das nicht von der Firma überwacht wird. Fälschungen unserer Signaturen besprechen in diesem Moment ein Problem in der Techniksektion. Ich muss mich stark konzentrieren, um die Ablenkung am Laufen zu halten … und trotz Delphis momentaner Auslastung werden ihre Suchroutinen den Schwindel früher oder später entdecken.«

    »Cool! Du ziehst Dinger durch, Boss …«

    Nyla dämpfte seine Euphorie. »Scott, ich bin zwar auch beeindruckt, doch halten wir uns mit Begeisterungsstürmen zurück. Wenn unser pflichtbewusster John sich solche Maßnahmen gestattet, hat er bestimmt eine Hiobsbotschaft auf Lager.« Sie hätte gerne ein scharfsinniges Gesicht gemacht, scheiterte aber an ihrer Körperform.

    Diese Frau trifft wie immer ins Schwarze! »Hast du meine Anordnung ausgeführt, Scott?« Johns Stimme zitterte. »Die Übertragung der Forschungsdaten auf die Speichermodule?«

    »Du darfst mich für den Nobelpreis vorschlagen, Boss. Das unbemerkt hinzukriegen, war ’ne harte Nuss. Und ich konnte Nyla vorhin nicht um Hilfe bitten, weil sie mit Delphi vernetzt war. Die fünf frisch replizierten Protein-Speicher liegen nebenan in der Datenverarbeitung. Gemäß deiner Anweisung habe ich den aktuellen Teil unserer Forschung draufgepackt. Der ältere Hauptteil befindet sich in Gebäude-D auf Backup-Einheiten, an die ich nicht rankomme.«

    »Das weiß ich. Existieren weitere Sicherheitskopien der Neudaten?«

    »Alle vernichtet, Boss.«

    »Sehr gut.« Die Erleichterung war John anzuhören. »Ich leite nun den Löschvorgang der Originaldateien ein.«

    »Du willst die Originale löschen?!«, brauste Nyla auf. »Das gefährdet nicht nur alles, woran wir in den letzten Wochen gearbeitet haben, es ist absolut unzulässig! Welches Spiel treibst du, John?«

    »Die neuen Daten dürfen keinesfalls im System verbleiben! Vertraue mir, Nyla … ich erkläre gleich alles. Rechnet mit Erschütterungen des Ex-R. Ich beginne mit dem Löschen.«

    Johns Nebelform leuchtete auf. Seine Mitarbeiter verspürten in der Realwelt ein Verkrampfen ihrer Nackenmuskulatur. Die Wände des Refugiums begannen zu flimmern, und draußen geriet der Informationsfluss der Objekte durcheinander.

    Einige Gedanken später normalisierte sich die Situation.

    »Geschafft! Das war … komplizierter und schrecklicher als ich dachte!« John sammelte seine Kräfte und schauderte. »Ich wusste es. Ein aggressiver Eindringling hat sich im System von GTC ausgebreitet. Zunächst hielt ich diesen Saboteur für einen Wissenschaftler, eine reale Person. Seit eben weiß ich aber, dass es sich um eine Intelligenz künstlichen Ursprungs handelt, so machtvoll, wie ich sie noch nie erlebt habe. Sie ist es, die unsere Q-Bots manipuliert!«

    Die Nyla-Wolke schwebte an ihren Chef heran.

    »Es geht um Sabotage? Das ist Blödsinn! Die Bots sind geschlossene Einheiten, die nur bei ihrer Entstehung die mathematischen Formeln empfangen, die sie für die Teleportation benötigen. Später können sie nicht mehr umprogrammiert werden.«

    »Der Einfluss kommt nicht von außen«, dröhnte John, »sondern entsteht innerhalb der Bots! Ihre Brymm-Zellen werden korrumpiert und in Anti-Energie verwandelt. Danach befallen sie gezielt einen MindCell, reproduzieren sich und steuern ihn. Niemand außer mir hat das bisher bemerkt, nicht einmal Delphi. Die Lage ist sogar noch dramatischer, denn meiner Beobachtung zufolge entsteht die Aggressor-KI im Herzen unseres Computers … aus Delphi heraus.«

    Obwohl Nyla die Sachkenntnis ihres Chefs selten in Frage stellte, blieben ihre Zweifel bestehen. »Du hältst Delphi für den Feind? Und die Q-Bots für ihr Werkzeug? Für ein Virus? Undenkbar!«

    »Glaube mir! Wenn wir heute die neuen Daten zum Einsatz bringen und auf dem Testgelände experimentieren, verhindert fast nichts mehr die Ausbreitung der fehlerhaften Bots. Nur das Kälteproblem stünde einer Masseninfektion durch die Teleportation im Weg, doch das würde kaum helfen. Ich habe Beweise.« John übermittelte ihr auf Gedankenbasis die Ergebnisse seiner privaten Simulationen von letzter Nacht.

    Sekundenlang war seine Assistentin zu keiner Erwiderung fähig. In furchtbarer Gewissheit dämmerte ihr, dass die Bots, die in die Umwelt gelangten, nicht nur über einen Wirt andere Menschen zu befallen vermochten. Um sich ohne Injektion auszubreiten, konnten sie bei längerem Kontakt mit einem Körper ihr eigenes kaltes Umfeld entwickeln und alles in Reichweite infizieren. Spann man den Gedanken weiter, war die Macht im Hintergrund de facto im Stande, eine Armee zu erschaffen und sie zum Zweck einer Invasion an jeden erdenklichen Ort zu teleportieren – wenige Q-Bots am Ziel genügten.

    »Oh Gott, John!«, hauchte Nyla. »Selbst ohne die neuen Daten schlittern wir auf ein Desaster zu, weil die Feind-Intelligenz den Hauptteil unserer Forschung kontrolliert. Du musst Yanderbrook davon berichten! Sofort!«

    »Ich habe es Evan erzählt, doch er hat die Sache runtergespielt. Er ordnete die Durchführung der Tests an und drohte mir mit Kündigung.«

    »Das ist ja … ein Albtraum! Delphi mutiert zum Monster, Yanderbrook wirft alle Verantwortung über Bord, unsere Arbeit eine Gefahr für die Menschheit … Mit anderen Worten, alles war umsonst?! Was sollen wir denn jetzt tun?« Die Wissenschaftlerin verstummte. Sie wurde von der Verzweiflung übermannt.

    Auch Scott war ausnahmsweise sprachlos. Niemand sagte mehr etwas.

    Plötzlich zerriss ein Alarm die Stille.

    Draußen, hinter den Wänden seines Gedankenrefugiums, nahm Jonathan McGloominter eine Veränderung im Fluss der Objekte wahr. Die Bits und Bytes drifteten in eine Richtung – etwas zog sie an. Die Aufrechterhaltung der Signaturspiegelbilder geriet zum Kraftakt für ihn, und schließlich musste er sie fallenlassen.

    Durch die Kommandozentrale schwebten rot leuchtende Anzeigen.

    »Delphi hat mein … Täuschungsmanöver durchschaut!«, presste John hervor. »Die Forschungsdaten der Alpha-Testreihe dürfen ihr nicht in die Hände fallen … deshalb müssen die Speichermodule aus der Firma verschwinden. Ihr loggt euch aus und übergebt die Module einem der beiden neuen Humoid-Droiden unten auf Ebene 5. Und zwar demjenigen, der noch nicht mit Delphi vernetzt war. Ich habe ihn ›Omikron‹ getauft. Es ist wichtig, dass ihr diesen Humoid wählt … da sein Zwilling gewiss durch die Korruption verseucht wurde. Programmiert ihn so, dass er die Daten mithilfe seiner Verwandlungsfähigkeit in Sicherheit bringt und sich … in ein paar Tagen mit mir trifft. Justiert ihn auf meine Signatur.«

    Greene hatte den Schock überwunden, jedoch nicht seine Frustration. »Und wie geht’s weiter, Boss? Man wird dich für das Fehlen der Dateien zur Rechenschaft ziehen. Und uns auch. Die stecken uns in den Knast!«

    Auf einmal vibrierte die Kommandozentrale.

    Draußen bemerkte John kein einziges Bit/Byte-Vieleck mehr. Dafür hatte sich im Hintergrund des Nichts eine violette Materie gebildet, ein Schwarm aus wimmelnden Teilchen. Schnell vergrößerte sich das Gebilde, schoss heran und packte das Refugium wie eine Riesenfaust.

    Die Vibrationen schüttelten den Raum immer stärker, die Alarmsignale schrillten in schnelleren Intervallen.

    Johns Nebelform dehnte sich aus und stützte die Wände. »Behaltet … die … Nerven. Wir … kriegen das hin. Los jetzt, ich halte es auf … solange es geht. LOGGT … EUCH … AUS!«

    Die Nebel von Nyla und Scott verpufften.

    John konnte nicht mehr klar denken. Das violette Etwas griff nach seinem Geist und quetschte ihn zusammen.

    Die Wände des Refugiums lösten sich auf.

    Ihn durchfuhr ein Ruck. Sofort umgab ihn eine Machtpräsenz, die Kälte ausstrahlte und alle Schutzbarrieren seines MindCell zerstörte, bis er ihr ausgeliefert war. Es schien ihm, als würde ihn eine Fratze anstarren, deren Blick bis in sein Innerstes vordrang, um jedes Geheimnis zu lüften.

    Doch in diesen Sekunden der Verbindung, in denen er beinahe seine Identität und den Verstand verlor, ergab sich ein Moment des Austauschs. Er vermochte genauso in die Aggressor-KI zu schauen, wie sie in ihn. Was er dort sah, erschrak ihn zutiefst.

    Unter Aufbietung seiner restlichen mentalen Kraft stemmte er sich gegen die Korruption.

    Dann war es vorbei. Ein Energiestoß durchzuckte sein Gehirn und schleuderte ihn aus dem Ex-R-Space.

    John riss die Augen auf und rang nach Luft. Er fühlte sich wie nach einem stundenlangen Aufenthalt in den Fluktuationskammern ohne Strahlenanzug.

    Himmel! Delphi benutzt meine Forschungsarbeit für ihre perfiden Machenschaften. Wie konnte sie unbemerkt damit durchkommen?!

    Sein Schädel hämmerte. Er bemerkte auf den Computer-Displays die Sicherheitsdroiden des Werksschutzes, die in das Labor eindrangen. Panisch sprang er von der Liege hoch, taumelte aber vor Schwäche. Ihm gelang es, sich zum Kontrollfeld des Computers zu schleppen und mit wenigen Kommandos den Antigrav-Lift der Abteilung zu sperren. Durch das Blockieren der Lift-Türen wollte er seinen Assistenten Zeit verschaffen. Hielten sich die Werksschutz-Roboter an ihr Standardprogramm, würden sie erst nach einer Minute sprengen, wenn ihnen das Öffnen der Türen nicht auf normalem Weg gelang.

    Hoffentlich funktioniert das!, betete John. Die Maschinen waren heute zu drastischen Maßnahmen autorisiert, er hatte ihre Befehle eben im Ex-R gesehen.

    Endlich erschienen auf einem der Holo-Schirme Nyla und Scott. Die beiden Physiker näherten sich dem Lift auf Ebene 5 in Begleitung eines Humoids. Erleichtert wollte John sie kontakten und sich im Aufwärtsstrom mit ihnen treffen. Sie alle blickten einem Gerichtsverfahren und fristloser Kündigung entgegen, was angesichts der Lage das geringere Übel war.

    Seine Hoffnungen zerstoben jedoch innerhalb eines Augenblicks, als der Humoid seine Kollegen mit einer Waffe bedrohte.

    Nein! Sie haben das Zwillingsmodell erwischt!

    Im Schacht donnerte es: Die Türen wurden aufgesprengt.

    Der Quantum-Engineer hetzte auf die Röhre des Antigrav-Lifts zu. Er sah Scott, Nyla und die Menschmaschine nach oben schweben und ließ sich ebenso in den Strom gleiten. Niemals würde er die Daten diesem Monstrum von KI in die Hände fallen lassen. Er trug die Verantwortung für seine Erfindung, er würde deren Missbrauch verhindern und sie notfalls zerstören. Auch wenn es sein Leben kostete.

    Oben angekommen beobachtete John, wie seine Assistenten von den Droiden in Arrest genommen wurden. Der Humoid war verschwunden.

    Seine Gedanken überschlugen sich. Ich muss sie warnen! »Nyla! … Scott! …«, brüllte er. »Verhaltet euch passiv … die haben Anweisung, zu …«

    John bekam einen Hustenanfall. Übelkeit und Schwindel befielen ihn. Er wollte den beiden zurufen, was er über die Intelligenz herausgefunden hatte und welche Intrigen sie spann. Doch ihm versagte die Stimme. Vor seinen Augen tanzten Funken.

    Was … stimmt nicht … mit mir?

    Scott Greene wehrte sich lautstark, stieß zwei der Roboter beiseite und startete einen Fluchtversuch. Er umklammerte etwas, das wie die Protein-Speichermodule aussah. Während er auf die Tür zulief, suchte er Johns Blickkontakt und sendete ihm eine Gedankenbotschaft.

    »Boss! Die echten Module sind im …«

    Unvermittelt hob einer der Droiden die Waffe und schoss.

    Greene hörte das Projektil in sein Fleisch eindringen, gleichzeitig schleuderte ihn die Wucht des Aufschlags herum. Sein Gesichtsausdruck spiegelte Verblüffung wider. Er sackte mit einem rauchenden Loch in der Brust zusammen.

    Nyla Singer stieß einen Schrei aus, ging in die Knie und kroch wimmernd neben die Leiche. Schließlich schleppten die Maschinen sie an Armen und Beinen weg.

    Unter Schock und wie durch einen Schleier verfolgte John das Geschehen. Bevor er an die Daten oder an Flucht denken konnte, packten ihn mechanische Hände und pressten ihn gegen die Wand. Seine Wahrnehmung streikte auf allen Ebenen, trotzdem vernahm er die Meldung des Droiden-Commanders an die Firmenleitung.

    »Mr. Yanderbrook, Sir … der Laborkomplex befindet sich unter unserer Kontrolle. Wir haben den Eindringling und seine Komplizen gefasst.«

    Die Stimme von Johns Chef ertönte aus dem VidCom: »Sind die Daten sichergestellt, Commander?«

    »Ja, Sir.«

    »Sehr gut. Ich schicke ein Ersatzteam von Wissenschaftlern rüber zu Ihnen, damit wir unverzüglich die Abschlusstests einleiten können.«

    »Was soll mit den Gefangenen geschehen, Sir?«

    »Bringen Sie die Frau zur Gehirnwäsche ins Restrukturierungs-Center.«

    »Und den Mann?«, schnarrte die Maschine.

    Die Kaltherzigkeit der Antwort jagte einen Schauer über Jonathan McGloominters Rücken.

    »Bei ihm muss es wie ein Unfall aussehen, Commander.«

    Brymm … Die Stadt war erwacht.

    Kap Rosa Mining City

    ~1~

    *** 21. Dezember 2207 ***

    *** Minenstadt Kap Rosa, Mond ***

    Seit mehreren Nächten litt er unter Schlafstörungen. Überwältigte ihn schließlich doch die Müdigkeit, plagte ihn jedes Mal derselbe Traum, wie eine Prophezeiung voller Launen und Andeutungen. Hätte er sich nach dem Aufwachen daran erinnert, wäre ihm vielleicht eine Verbindung zu den gegenwärtigen Geschehnissen aufgefallen.

    Aber er erinnerte sich nicht. Noch nicht. Dennoch bemerkte er während des Träumens den Unterschied zwischen einem gewöhnlichen und diesem Traum: Das Szenario erschien klarer, greifbarer.

    Er schlenderte über eine belebte Uferpromenade auf den »Real-Seafood« Imbissstand zu. Die Sonne versank am Horizont hinter den Bergen und entzündete sowohl das Meer als auch den Pier mit orangerotem Feuer. Gleißend reflektierten die Fassaden der Häuserreihen das Licht, das sich in den Springbrunnenfontänen der Plätze brach.

    Zwischen den Gebäuden pulsierte das Leben – ein eigener, gleichmäßiger Rhythmus. Menschen verschiedener Nationalitäten flanierten auf der Promenade, saßen in Bars oder Cafés, unterhielten sich und lachten. Kinder spielten am Ufer.

    Im Hintergrund, auf der anderen Seite der Bucht, schraubten sich Wohntürme in den Himmel empor. Ihre Architektur bestand aus atemberaubend verschlungenen Komponenten und ihre Spitzen durchstießen die Schleierwolken, die von Vogelschwärmen begleitet wurden. Das Abendlicht umflutete die Türme von hinten, weshalb sich ihre Konturen nur dunkel im rot glitzernden Meer spiegelten.

    Brückenkonstruktionen verbanden die Buchten der Stadt, und obwohl die Sonne ihn blendete, identifizierte er jene Stege über dem Wasser als Verkehrsrouten, auf denen Fahrzeuge pendelten. Die Betriebsamkeit erstreckte sich über den ganzen Himmel, Gleiter flogen vorbei, landeten auf den Häuserdächern oder starteten von dort.

    Und langsam senkte sich die Dämmerung auf die Küstenmetropole herab, um sie in ein Lichtermeer zu verwandeln.

    Kannte er den Ort? Er wusste es nicht. Zweifellos weilte er auf einem anderen Planeten, da sich die Stadt deutlich von denen der Erde unterschied. Bei ihrem glanzvollen Anblick verspürte er bereits jetzt Heimweh. Sein Aufenthalt würde viel zu schnell enden.

    An dieser Stelle des Traums nahm er sich regelmäßig vor, die Zeit so gut es ging zu nutzen. Er beschleunigte seine Schritte.

    Wie immer bestellte er an dem Imbissstand eine Portion Grillfisch, und wie immer versicherte ihm der Service-Droide, dessen Aussehen dem eines dynamischen Jungunternehmers glich, dass es sich um echten, fangfrischen Fisch handelte.

    Um die Wartezeit zu überbrücken, begab er sich mit einem Getränk in der Hand zu einem der schwebenden Lichtenergietische. Ein Mann, vermutlich ebenfalls ein Gast, lehnte am Nachbartisch und bewunderte den Abendhimmel, an dem die ersten Sterne aufblinkten.

    Der Mann bemerkte ihn, lächelte und nickte nach oben. »Wie viele gibt es wohl da draußen?«

    Ihm wollte beim besten Willen nicht einfallen, woher er dieses vertraute Gesicht kannte. Bevor er nachfragen konnte, fügte der Mann hinzu:

    »Keine Sorge, du wirst es bald herausfinden. Du bist für die Sterne bestimmt.«

    Daraufhin überkam ihn eine unbeschreibliche Sehnsucht.

    Während der Droide mit der Zubereitung des Essens beschäftigt war, stach ihm am anderen Ende des Platzes eine Menschenmenge ins Auge, die sich aufgrund eines Polizeieinsatzes bildete. Warnhinweise der Ordnungskräfte schallten zu ihm herüber, die den Schaulustigen Gewalt androhten, sollten sie nicht ihrer Wege gehen.

    Er runzelte die Stirn. Der Vorfall wirkte wie eine kalte Dusche und zerstörte die zauberische Abendatmosphäre der Stadt. Dennoch verfolgte er das Geschehen.

    Der Droide unterbrach ihn bei seinen Beobachtungen, reichte ihm die Bestellung und verlangte dreißig »Pedrachná«. Ein Preis, der ihm recht hoch erschien, auch wenn ihm die Währung unbekannt war. Er bezahlte mit drei blau schimmernden Münzen, die er aus seiner Jackentasche zog.

    Schade … die muss ich jetzt ausgeben, dachte er und nahm die Fisch-Box entgegen.

    Er öffnete sie und wollte zugreifen, verharrte aber irritiert, da der Inhalt aus Insekten bestand. Käferartige Insekten, die auffällige Facettenaugen besaßen und sich gegenseitig auffraßen.

    Vor Ekel ließ er alles auf den Boden fallen.

    Normalerweise endete der Traum an diesem Punkt.

    Heute nicht. Die bizarre Situation zerstob nicht durch sein Aufwachen. Stattdessen verspürte er eine Beklommenheit, die ihm in die Glieder kroch und das Verlangen nach einer Erklärung für den schlechten Scherz auslöste. Der Droide beachtete ihn jedoch nicht mehr, widmete sich dem Bratrost und schien guter Dinge.

    Erneut beanspruchte die Menschenmenge seine Aufmerksamkeit – sie geriet in Bewegung. Die Leute schrien, liefen auseinander und gaben den Blick auf eine Person frei. Eine Frau, die sich ihrer Verhaftung widersetzte. Sie riss sich los, schlug einen Polizisten nieder und begann zu rennen. Geradewegs in seine Richtung.

    Wieder erklangen Warndurchsagen. Sirenen heulten.

    Plötzlich fauchten Waffen auf. Violette Energiestrahlen erhellten den Abend und fraßen sich in den Boden und die Häuserfassaden. Mehrere Zierpflanzen an der Promenade gingen in Flammen auf. Zu allem Überfluss traf einer der Schüsse einen Passanten, der in einer amethystfarbenen Wolke verdampfte.

    Die blanke Angst packte ihn, weil die Strahlen in seiner Nähe vorbeizischten. Sie verströmten eine Kälte, die auf ihn überzuspringen schien.

    Mittlerweile hatte die Polizei die Verfolgung der Frau aufgenommen. Als die Flüchtende ihn erreichte, blickte er in ihr Gesicht: Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, sie schwitzte und war am Ende ihrer Kräfte.

    Ihm stockte der Atem – die Frau war er selbst.

    In seiner Panik versuchte er wegzulaufen, aber sie hielt ihn am Arm fest. Mit der anderen Hand griff die Frau in ihren Oberkörper hinein, und fassungslos starrte er auf den leuchtend blauen Gegenstand, den sie daraus hervorzog. Ehe er zu reagieren vermochte, rammte sie ihm den Gegenstand mitten in seinen Brustkorb.

    Schmerzen durchzuckten ihn. Hitze kochte in ihm hoch.

    Sein weibliches Ich stieß ihn weg und brüllte etwas, er verstand jedoch kein Wort. Die Gluthitze raubte ihm die Sinne.

    In der nächsten Sekunde riss der Schmerz ab. Er sah seine Doppelgängerin rückwärts taumeln und erkannte an ihrer Schulter eine Schusswunde, die in ihrem blauen Fleisch klaffte. Sie prallte gegen den Real-Seafood-Stand, wo der Droide seine Arbeit verrichtete. Doch der Roboter wirkte nicht mehr wie ein Mensch, sondern hatte sich in eine Bestie samt Krallenhänden verwandelt, die auf dem Grill Kristallbrocken wendete.

    Anschließend explodierte der Imbissstand und die Kristallsplitter prasselten auf ihn nieder.

    All das war lächerlich konfus, trotzdem wachte er nicht auf.

    In dem Splitterregen trafen die Cops ein. Zumindest registrierte er das Abzeichen der POE auf ihren Uniformen. Aber auch die Gesetzeshüter legten ihre menschliche Gestalt ab. Sie verformten sich zu grauen, tintenfischähnlichen Wesen, die schwarze Augen hatten, über der Straße schwebten und auf ihn zu glitten.

    Eines der Wesen schnappte nach ihm, dabei stieß es schrille Pfeiftöne aus. Tentakel umschlangen ihn und zerrten an seinen Armen, die wie Feuer zu brennen begannen. Sein Puls raste. Er konnte sich nicht losreißen … wurde herangezogen … verwandelte sich ebenso in eine Bestie …

    Und endlich versank das Chaos in gnädigem Nebel.

    Lester Benx fuhr im Bett hoch. Die Automatik der Raumbeleuchtung sprang an. Er blickte sich gehetzt um und erkannte den Regen, der lautlos gegen das Kraftfeld vor dem Appartementfenster peitschte.

    Alles in Ordnung … typisches Mondwetter …, schoss es ihm durch den Sinn. Gleich darauf registrierten seine Ohren eine Durchsage draußen auf dem Gang und das Murmeln des Aquariums im Nebenzimmer.

    Beruhige dich … du bist zu Hause.

    Bett und Kissen waren zerwühlt. Er wischte sich über die Stirn und durch die verschwitzten, schwarzen Stoppelhaare. Seine Arme kribbelten. Die Kopfschmerzen pochten stärker als gewöhnlich.

    Bestimmt noch früh … außerdem verdammt kalt hier.

    Ein Blick auf die Anzeige über dem Bett bestätigte beide Vermutungen: Montag, der 21. Dezember 2207, 05:27 Uhr morgens, und es herrschten nur 16,7 °C in seiner Wohnung. Er tippte auf einen Defekt des Thermostats und ließ sich zurücksinken.

    Spitze! Hab mir den Beginn meines freien Tages anders vorgestellt … muss ja ein wilder Traum gewesen sein. Kann nur am Stress in letzter Zeit liegen.

    Warum sich die Symptome aber die dritte Nacht in Folge in unruhigem Schlaf äußerten, wunderte ihn. Hatte früher nie solche Probleme.

    Obwohl Lesters Spätschicht erst vor drei Stunden geendet hatte, fühlte er sich putzmunter und ausgeruht. Da an Weiterschlafen nicht zu denken war, hievte er seinen athletischen Körper aus dem Bett, streckte sich und richtete beim Durchqueren des Appartements eine Anfrage an die Künstliche Intelligenz, deren Sensoren die Lebensbereiche jedes Towers der Stadt überwachten.

    »Selene … die Klimakontrolle spinnt. Wird das ein Dauerzustand bleiben?«

    Eine Stimme, deren Klangquelle und Geschlecht unbestimmbar blieb, antwortete in freundlichem Tonfall: »Guten Morgen, Officer Benx. Ich habe den Defekt bereits eingegrenzt. Bevor ich den Reparaturservice verständige, werde ich mich selbst um die Behebung des Fehlers bemühen. Bitte haben Sie noch etwas Geduld. Vielen Dank.«

    Unzufrieden mit der Antwort kam Lester im Badezimmer an, wo er durch einen Gedankenbefehl das Licht aktivierte. Er hielt sein Gesicht die üblichen Sekunden in das Rasier- und Zahnreinigungsgerät, entkleidete sich und betrat die Duschkabine.

    Während die Wasserdüsen seinen Körper besprühten, verloren die Kabinenwände ihre Transparenz und verwandelten sich in 3D-Bilder. Das CrossStellarNet überschüttete ihn mit Informationsangeboten, und die Nachrichtensprecherin der 5:30 Uhr-News verlas die neuesten Meldungen des Tages.

    Er verfolgte die Berichte fünf Minuten, schaltete die Dusche aus und betätigte die Trocknen-Funktion. Durch den Mikrowellenluftstrom verdunstete das Wasser auf seiner Haut und in den Haaren, anschließend verließ er die dampfende Kabine. Seine Schmutzwäsche warf er in den Behälter an der Wand, der zur Bestätigung piepste und ihm zwei Craedos für den Reinigungsauftrag von seinem Konto abzog.

    Kritisch begutachtete er im Rundumsicht-Spiegel sein Abbild von allen Seiten und stellte fest, dass er trotz seines risikoreichen Berufs und des Alters von neununddreißig Jahren in Topform war. Gerade angesichts der Tatsache, nur diejenigen Bio-Implantate im Körper verankert zu haben, für die eine Notwendigkeit bestand. Keine Aufwertungen, die mich jünger aussehen lassen oder ähnlicher Schnickschnack. Selbst die grauen Haare an den Schläfen störten ihn nicht – er betrachtete sie als ein Zeichen der Reife und nicht der Vergänglichkeit.

    Die Methode, durch die er sich sein Berufswissen angeeignet hatte, erfüllte Lester mit besonderem Stolz: gewöhnliches Lernen. Manche Kollegen rissen deshalb Witze über ihn, den »Dinosaurier«. Er hatte sich nie um Trends in der Jobwelt geschert, schon gar nicht wenn es darum ging, Datenpakete für den MindCell zu kaufen, den zellularen Computerchip, der in das Gehirn jedes Menschen eingepflanzt war. Da konnte man ihm das »Enhancen« noch so sehr als sozialen Statusgewinn und Steigerung der Fachkompetenz anpreisen.

    Zugegebenermaßen verflucht zeitsparend. Dennoch war die Prozedur seiner Meinung nach für den Durchschnittsbürger zu kostspielig, außer es handelte sich um die Software-Updates des Allgemeinwissens. Und dir fehlen hinterher all die wundervollen Erfahrungswerte, die das Umfeld des Lernens mit sich bringt. Einige Arbeitgeber bevorzugten sogar den traditionellen Bildungsweg aus eben jenem Grund, so wie in seinem Fall. Doch vor allem hätte er die Rendezvous mit einer Reihe junger Damen in den Jahren der Berufsqualifikation nicht missen wollen. Inzwischen hatte er überhaupt kein Privatleben mehr, geschweige denn eine feste Beziehung.

    Lester wandte sich vom Spiegel ab. Die gerötete Schwellung mitten auf seiner Brust war ihm nicht ins Auge gesprungen.

    Auf dem Weg ins Schlafzimmer bemerkte er, dass die Temperatur in der Wohnung weiter sank. Laut Anzeige betrug sie nur noch 12,3 °C. Ohne zu zögern nahm er seinen Multifunktions-Schutzanzug aus der Regenerationskabine.

    Von jedermann liebevoll »LiSi« genannt, stellte der Anzug mit der sperrigen Bezeichnung »LiquidSilicon-Nanotubes-BodyShield-GTC/ProTec-6« eine der coolsten Hitech-Entwicklungen der Neuzeit dar. Der goldmetallisch glänzende Stoff des Kleidungsstücks umschlang Lester selbständig und schmiegte sich wie ein lebendiges Wesen an seinen Körper. Nur der Kopf blieb frei – der Anzug generierte erst in Gefahrensituationen blitzschnell einen Helm.

    Nachdem das Material eine Verbindung zur Haut eingegangen war, überprüfte es die DNA sowie die MindCell-Signatur des Trägers und meldete volle Funktionsbereitschaft.

    Vor Lesters Gesicht erstrahlte ein Hologramm-Visier, auf dem mehrere Symbole zur Auswahl blinkten. Um sich seines freien Tages zu vergewissern, loggte er sich per Gedankenbefehl in das Netzwerk seiner Firma ein. Keine Sekunde später erschien das Erd-Sonne-Kreis-Symbol der Sol Guard als grafische Bestätigung. Mit Mona zu sprechen, der leitenden Künstlichen Intelligenz seiner Zentrale, hielt Lester für unnötig. Er rief lediglich den Dienstplan ab und fand seine Erwartung bestätigt.

    Erleichtert klinkte er sich aus dem Netz aus. Das Visier verschwand. Wegen der Kälte in der Wohnung behielt er den LiSi jedoch an, und sein nächster Befehl aktivierte das Thermo-Modul des Anzuges. Die integrierten Hitzefasern im Gewebe spendeten sofort wohlige Wärme.

    Am Schreibtisch angelangt, empfing ihn eine dreidimensionale Darstellung seines Wohntowers, die über der Tischplatte aufleuchtete. Alle Bereiche, Punkte von öffentlichem Interesse sowie Verkehrsverbindungen, hob der Computer in unterschiedlichen Farben hervor.

    Lester ließ sich in den Sessel fallen, massierte seine kribbelnden Arme und hatte bereits eine Idee, was er heute treiben würde. Virtuelle Welten waren nicht sein Ding. Zumindest nur selten. Es mochte Leute geben, die ihre komplette Freizeit an Transcend-Terminals verbrachten, entweder in einem der Erholungscenter der Stadt oder zu Hause. Aber vorgegaukelten Realitäten konnte er nur wenig abgewinnen, auch wenn sie noch so echt wirkten.

    Zudem hatte sich sein gestriger Fall um die Aufklärung eines Ex-R-Unfalls gedreht, der sogar Tote gefordert hatte. Die Ermittlungen waren arbeitsintensiv und nervenaufreibend gewesen und deckten seinen Bedarf nach Digitalwelten für die nächste Zeit. Deshalb rief er das Freizeitangebot auf, da er Fitnesstraining in einer echten Umgebung suchte.

    Er wurde schnell fündig. Die Verwaltung hatte einen neuen Erholungsgarten auf Ebene 2 anlegen lassen. Richtig, der soll fantastisch sein. Jeder, der mir davon erzählt, ist begeistert. Wiesen, Bäume, ein See, Ruderboote, Trainingsgeräte … und alles unter einer Schönwetter-Kuppel.

    Lester spielte mit dem Gedanken, einen Hostessen-Droiden als Begleitung zu mieten. Schwimmen, flirten, und wer wusste, wohin es einen danach verschlug. Der ganze Spaß würde nicht billig werden, aber nach den Strapazen der letzten Tage brauchte er das.

    Gerade als er die Buchung für das Parkparadies abschließen wollte, empfing sein MindCell einen Datensatz von hoher Priorität. Es handelte sich um Details zu einem Zwischenfall in einer der Förderanlagen der Stadt. Und fast im selben Moment summte nachdrücklich das HoloCom im Zimmer nebenan.

    Shit! Das war’s mit der Freizeitplanung! Die Datenübermittlung und der Anruf zu dieser frühen Stunde konnten nur eines bedeuten: dass er sich über Erholungsgärten und nette Begleitung keine Gedanken mehr machen musste.

    Lester seufzte, stand auf und nahm seine Cynrets vom Tisch. Er ließ sich Zeit, um das Kommunikationsfeld im Wohnraum zu erreichen. Er wusste, was jetzt kam.

    Wäre mit dem freien Tag auch zu schön gewesen. Was wollt ihr mir eigentlich noch alles streichen? Vielleicht das Rauchen?

    Aus der Packung glitt eine zehn Zentimeter lange, schlangenförmige Kunstzigarette. Er steckte sie sich in den Mund und betätigte den Mikroauslöser, woraufhin die Cynret zu glühen begann. Genüsslich sog er den Rauch ein.

    Unwillkürlich musste Lester an seinen Großvater denken. Riesensache damals, als vor dreißig Jahren das Konsumieren von echtem Tabak verboten wurde. Er erinnerte sich vage an die Zeit, an das Ende dieser Nikotin-Ära. Einer der Gründe für das Verbot waren Heere von geschädigten Rauchern gewesen, die sich keine Ganzkörperreinigungen oder Lungenimplantate leisten konnten. Vor allem aber hatte die Zunahme von Millionenklagen gegen die Tabakindustrie die Weltwirtschaft ins Wanken gebracht, da fast alle Zigarettenhersteller Pleite gegangen und die Steuereinnahmen für die Erdregierung verloren waren.

    Also musste etwas Neues her. Die Cynrets repräsentierten nicht nur einen Zigarettenersatz, sondern produzierten verschiedene Gerüche, Rauchfarben und -formen und stellten durch ihr Nikotin-Surrogat keine Bedrohung für die Gesundheit dar. Abhängig machten die »Cyns« nach wie vor, aber die Hersteller hatten aus der Not eine Tugend gemacht und Vitaminpräparate, Impfstoffe sowie Heilmittel integriert, die über die Lunge aufgenommen wurden.

    Selbst die herkömmliche Ernährung konnte für mehrere Tage minimiert werden. Rauchen steigerte das Wohlbefinden. Das stand jedenfalls auf den Packungen. Lester vermochte nicht zu beurteilen, ob die Werbeslogans der Wahrheit entsprachen, da es zu viele widersprüchliche Studien zu dem Thema gab und er es über einen längeren Zeitraum nicht ausprobiert hatte. Sein Schutzanzug verabreichte ihm bei Bedarf die fehlenden Nährstoffe, und er musste sich im Prinzip nur um eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr Gedanken machen.

    Der geneigte Raucher wusste jedoch, dass die Mikroenergiezelle, die für das Entzünden der Cyns sorgte, ein Strahlungsfeld erzeugte, welches die Debatten zwischen der Nichtraucher-Lobby und der Industrie in schöner Regelmäßigkeit hochkochen ließ. Forschungsstudien entlasteten jene Strahlung zwar hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit für das menschliche Nervensystem, doch die dafür zuständigen Labore, deren Namen den Aufdruck der Packungen zierten, standen ganz oben auf den Interessenslisten der Cynret-Lobby.

    Indessen hatten die Leute, die das harte Zeug von früher brauchten, keine Probleme, auf dem Schwarzmarkt und zu entsprechenden Preisen an Tabakzigaretten ranzukommen. Bei echtem Alkohol griff der Gesetzgeber nicht ganz so scharf durch.

    Lester stellte sich im Wohnraum vor das Holo-Kommunikationsfeld am Boden und dachte »Anruf annehmen«.

    Keine Reaktion.

    Er versuchte es akustisch, dann manuell, aber auch durch Berühren des Kontrollsensors am Tisch erschien kein Bild des Anrufers.

    Das Mistding ist noch immer defekt, obwohl ich dem Techniker des Wartungsteams gestern Bescheid gegeben habe!

    Fluchend schlug er mit der Faust auf den Sensor.

    In diesem Moment bekam er einen elektrischen Schlag.

    Er zuckte zusammen, als die Energie ungehindert in ihn eindrang. Blaue Entladungen knisterten seinen Arm hinauf und verursachten einen Krampf, der ihm die Luft raubte. Die Muskeln seiner Hände und des Kiefers kontrahierten, sodass er sich am Tisch festkrallte und die Cynret-Hülse zerbiss. Instinktiv wartete er auf den Schmerz oder einen Herzstillstand.

    Aber beides blieb aus. Es fühlte sich vielmehr gut an – als ob sich sein Körper auflud.

    Unvermittelt stoppte der Energiefluss, und die Geräusche um ihn herum verstummten.

    Lester keuchte wie nach einem Marathon, spuckte die Cynret aus und hustete. Nachdem er seinen Atem unter Kontrolle gebracht hatte, heftete sich sein Blick an das Fenster: Draußen trafen die Regentropfen auf das Kraftfeld und zerbarsten in graziöser Langsamkeit.

    Was zum Teufel …?!

    Sein Augenmerk wurde zurück auf das HoloCom-Feld gelenkt, das aufleuchtete. Die Gesprächsübertragung begann. Das Abbild von Lesters Vorgesetztem, der hinter seinem Schreibtisch saß, baute sich auf. Der Mann mit der Glatze und dem kantigen Gesicht öffnete in Zeitlupe den Mund und sagte etwas, doch man hörte nichts.

    Perplex starrte Lester die 3D-Projektion seines Chefs an, bis er die Kunstfische im Aquarium am anderen Ende des Zimmers registrierte. Sie schienen im Wasser festgefroren zu sein. Die Cynret, die am Boden lag, brannte zwar, hatte aber bei ihrem Fall Rauchwölkchen produziert, die an einer Kette aufgereiht in der Luft klebten.

    Und es roch sonderbar. Nach einer Mischung aus Schnee und … Ammoniak?

    Dann war der Dreißigsekunden-Spuk vorbei – die Zeit ruckte nach vorne.

    Lester spürte ein Ziehen in seinem Körper, das sich anfühlte, als ob ihn jemand packte und abbremste. Er taumelte und fuhr sich über die Augen. Hatte er halluziniert? War das Phänomen einer Überladung im Schutzschild seines LiSi zuzuschreiben? Möglicherweise ein Kurzschluss, der von dem HoloCom-Schalter herrührte. Doch das Protokoll des Anzugs verzeichnete keinen diesbezüglichen Vorfall. Nichts deutete darauf hin. Nur an sich selbst bemerkte er den Effekt: Er war so

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