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Zapfenstreich für Österreich: Die Byzantinische Mutter
Zapfenstreich für Österreich: Die Byzantinische Mutter
Zapfenstreich für Österreich: Die Byzantinische Mutter
eBook906 Seiten11 Stunden

Zapfenstreich für Österreich: Die Byzantinische Mutter

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Über dieses E-Book

Ein österreichisches Pulp-Fiction!
Die LeserInnen werden Zeugen eines Thrillers, durchzogen von österreichischen Trivialmythen. Sie erleben schmerzhafte Auswüchse eines unversöhnlichen Geschlechterkampfes, politische Verschwörungen und gesellschaftlichen Aufruhr in einem neoliberalen Umfeld.
Wesentliche Handlungsstränge berichten vom Bemühen christlich-fundamentalistischer Kräfte, einen die halbe Welt umspannenden christlichen Gottesstaat zu konstituieren.
Der Roman präsentiert ein pittoreskes Panoptikum unseres Kulturkreises.
Bösartiger Humor sowie die Missachtung politisch korrekter Imperative sind charakteristische Wesenszüge dieser reißerischen Chronik.
Dies wird auch durch die Verwendung sprechender Namen in der Tradition Nestroys, Schwabs oder Herzmanovsky-Orlandos offenbar.
Ralos Znarf: Mit "Zapfenstreich für Österreich" wollte ich der menschlichen Selbstgerechtigkeit ans Bein pinkeln.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Feb. 2020
ISBN9783750238565
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    Buchvorschau

    Zapfenstreich für Österreich - Ralos Znarf

    Inhalt

    Zapfenstreich

    für

    Österreich

    oder

    Die Byzantinische Mutter

    Ein Ralos Znarf-Reißer

    Impressum

    Texte: © Copyright by Franz Solar

    Umschlag: © Copyright by Franz Solar

    Verlag: Franz Solar

    ralosznarf@gmail.com

    Druck: epubli, ein Service der

    neopubli GmbH, Berlin

    Printed in Germany

    Vorbemerkung

    Die Chronik

    Anhang

    Vorbemerkung

    Hinterher tat es natürlich allen leid.

    Aber da war es zu spät!

    Viele behaupten, der `Große Schlag´ sei eine historische Notwendigkeit gewesen - die Zeit hätte danach geschrien:

    Angestachelt von den schockierenden Meldungen der Medien, entlud sich die Streitsucht der Menschen bei jeder Gelegenheit.

    Von der Regierung verraten, von den Behörden im Stich gelassen, vom verhassten Ausland bedroht - ließ man jenen Optimismus vermissen, der einst nach den großen Kriegen den Wiederaufbau vorangetrieben hatte.

    Im öffentlichen Empfinden erwies sich der Ruf nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit als weltfremdes Ansinnen.

    Philanthropische Aufrufe zu 'Solidarität' und 'Mitgefühl' provozierten nur noch geifernde Hassreflexe.

    Die größten Verkaufsschlager waren Alarmanlagen; lukrative Stellen bei geringem Bildungsniveau boten nur mehr private Security-Unternehmen.

    Es brodelte und drängte zur großen Entladung - doch das Gewitter sollte keine Reinigung im erhofften Sinne bringen.

    Und eines ist klar: ein paar Leute haben dabei ganz schön gut verdient.

    Kapitel 1

    Aus dem Radiowecker drang die Stimme einer prominenten Fernsehschauspielerin, die soeben ein Buch mit dem Titel 'Glücklich durchs Leben' veröffentlicht hatte - und die heute bei der Sendung 'Morgengespräche' zu Gast war:

    „Ja! Es ist so, wie ich es sage: Es gibt keine bessere Lebensform, als die der Partnerschaft. Eine volle Entfaltung des Menschen ist nur möglich, wenn er Teil eines Paares ist."

    Diese Worte schlugen in Sonjas Halbschlaf ein und ließen sie aufschrecken.

    Die Radioreporterin fragte nach: „Aber ist es nicht oft so, dass Partnerschaften auf fragwürdigen Kompromissen beruhen? Etwa beim Sex?"

    Die beliebte Fernsehschauspielerin: „Nein nein nein! Menschen sind dazu geschaffen, mit einem Partner ein Leben lang zusammenzubleiben. So stellt sich Vertrauen ein….und das ist Liebe. Und so kann man auch nach dreißig Jahren Beziehung immer noch mehrmals wöchentlich leidenschaftlichen Sex miteinander haben. Und ich bin so glücklich und dankbar, dass ich diese Überzeugung und diese Erfahrung mittels meiner Rollen im Fernsehen an mein Publikum weitergeben kann."

    Sonja stieß einen gepressten Schrei aus und riss sich an den Haaren.

    Neuerlich fragte die Reporterin nach: „Aber worauf beruht denn die Skepsis, die von manchen Leuten der 'Partnerschaft als Lebensform' entgegengebracht wird?"

    Die berühmte Fernsehschauspielerin: „Auf ihrer Unfähigkeit. Die sind die ja nur neidisch, weil sie Pech gehabt haben, weil sie nicht fähig sind eine Beziehung zu führen. In Wirklichkeit wünscht sich jeder Mensch nichts sehnlicher, als Teil eines Paares zu sein."

    Sonja schlug den Hinterkopf gegen das Betthaupt.

    Die Reporterin: „Jetzt eine ganz provokante Frage: sind Partnerschaften nicht einfach ein Vehikel um ganz vordergründig der Einsamkeit zu entfliehen?"

    Die prominente Fernsehschauspielerin: „Nein nein nein! Ich habe die Erfahrung gemacht: wenn man den richtigen Partner gefunden hat, dann sind damit sämtliche Wünsche erfüllt. Auf allen Ebenen. Und erst recht im Bereich der Erotik."

    Sonja krallte die Fingernägel in die Innenseite ihrer Oberschenkel.

    Die prominente Fernsehschauspielerin: „Wenn man den richtigen Partner hat, dann ist man im siebenten Himmel angekommen, dann funktioniert alles im Leben…."

    Begleitet von schmerzhaftem Aufstöhnen, schleuderte Sonja den Radiowecker zu Boden, wo er zertrümmert und stumm liegenblieb .

    Sie hatte eine quälende Nacht hinter sich: stundenlang wachliegend, waren die Gedanken um ihre unbefriedigende, ja zutiefst bedrohliche Lebenssituation gekreist.

    Nach kurzen Phasen eines seichten Schlafes war sie immer wieder hochgeschreckt und unruhig schlagenden Herzens durch die dunkle Wohnung geirrt. Übermannt von Übelkeit, hatte sie sich übergeben - wie schon so oft während der letzten Wochen. Das seidene Nachthemd war dermaßen durchschwitzt gewesen, dass sie es angeekelt vom Leib riss. Ein paar Schluck Slivowitz, gierig gesoffen, brachten kurze Beruhigung. Splitternackt war sie dann auf dem Bett gelegen; eine kitzelnde Morgenbrise umspielte ihren Leib und ließ die Qual der Sehnsucht wieder aufbrennen…da flüsterte sie mit der selben Zermürbtheit, mit der ein Gefangener nach wochenlanger Folter ein Verbrechen zugibt, das er gar nicht begangen hat:

    „Ja, ich gehöre ganz Dir, Bruno! Wo bist Du? Erlöse mich! Bruno! Ich mach‘ alles was Du willst! Und wenn ich dafür sterben müsste!"

    Ja aber…was bitte faszinierte sie so an diesem Bruno? Was brachte Sonja dazu, sich ihm in derartig vorbehaltloser Weise auszuliefern? Warum war ihr Selbstbewusstsein dermaßen zerschmettert?

    Sie war doch eine wunderschöne Frau – die geradezu bestürzend makellosen Rundungen des Leibes, vermittelten in Gemeinschaft mit ihren klugen, ebenmäßigen Gesichtszügen ein Bild berührender Anmut!

    Auch beruflich hatte sie großen Erfolg; als Chefkorrespondentin im „Ministerium zur Überwindung kultureller Gegensätze" war sie allgemein respektiert und ihre Karriere verlief vielversprechend!

    Wie konnte sie also in ein so tiefes Schlamassel geraten?

    Gehen wir dieser Frage auf den Grund.

    Sonja hatte Bruno vor einem knappen Monat kennengelernt. Ihr Leben war zu jenem Zeitpunkt von einem lähmenden Überdruss bestimmt gewesen; von einer profunden Unzufriedenheit, die immer stärker und stärker zu rumoren anfing. Ein immer spürbarer werdendes Gefühl der Einsamkeit, schleichend wie Metastasen, wurde dadurch begünstigt, dass es keinen Menschen gab, dem sie sich in tieferer Weise verbunden fühlte. Sie war knapp dreißig, Single, der Vater längst tot, die Mutter ausschließlich mit sich beschäftigt, Geschwister gab es keine.

    Ihre Freundinnen aus der Schul-und Studentenzeit steckten mittlerweile in festen Beziehungen – und wenn sie nicht schon zwei Kinder hatten, so waren sie zumindest schwanger. Aus den ehemals aufgeschlossenen und abenteuerlustigen Spießgesellinnen hatten sich mit der Zeit betuliche und kindfixierte Nervensägen entwickelt. Alles drehte sich in überprotektiver Weise nur mehr um die 'Kleinen'. Wollte sie jemanden abends besuchen, hieß es: „Nein, bitte nicht. Die Kleine ist gerade am Einschlafen und ihr Rhythmus darf nicht gestört werden."

    Oder, als eine Freundin sie eines Nachmittags besuchte, musste sich Sonja drei Stunden lang nonstop anhören, was für Probleme der Kleine mit dem Zahnen hatte....wie schlecht es doch sei, Kinder zu impfen....dass sie gestern beim Kinderarzt war, weil der Kleine schon zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen Durchfall gehabt hatte… und und und.

    Richtig unangenehm wurde Sonja zumute, als ihre Freundin den Kleinen am Küchentisch zu wickeln begann. Zu diesem Zwecke musste Sonja drei große Pölster herbeischaffen, die ein Herunterfallen des Kindes vom Küchentisch verhindern sollten. Es überrascht nicht, dass die Tischplatte zunächst mit einem antiseptischen Mittel abgesprüht wurde und Sonja die Pölster mit dem Staubsauger reinigen musste. Als die Mutter die Stoffwindel des kleinen Buben dann öffnete, rollte sie vor Entzücken die Augen und sagte mit begeisterter Ernsthaftigkeit, es gäbe „kein beglückenderes Gefühl, als wohlgeformten Babykot zu riechen."

    Es versteht sich von selbst, dass die junge Mutter es für unnötig hielt, den Küchentisch nach dem Wickelvorgang zu säubern.

    In signifikanter Weise gingen diese Hochämter der Mütterlichkeit stets mit einem diffusen Zorn auf den jeweiligen Kindsvater einher. Es gab definitiv keine von Sonjas ehemals lebenslustigen Freundinnen, die sich im Laufe eines Gesprächs nicht über ihren Mann zu beklagen begann und sehr bald in weinerliches Jammern darüber verfiel, wie wenig Aufmerksamkeit der Mann doch den Kindern – und vor allem I h r entgegenbrächte. Wie in einer immer wiederkehrenden Litanei, gipfelten die Klagen der Frauen in den beiden Sätzen: „Er redet nicht mit mir! und: „Er hört mir nicht zu!

    Aus Frustration darüber, sprachen sie ihrem Partner jegliche Kompetenz in Kinderfragen ab und kommentierten jede Fütter-, Wickel- oder sonst irgendwie kindbezogene Handlung des Mannes nur mit herablassender Verachtung und zänkischen Kommentaren.

    Die Männer verstanden meistens gar nichts. Ihnen fehlte der Durchblick. Sie erlebten aus ihrer Sicht nur Geringschätzung, die ihnen von den Frauen her entgegenstrahlte; dazu Vorwurfskaskaden und sexuelle Ablehnung.

    Und schlussendlich fanden sich beide Partner in einer frustrierend einsamen Lebenssituation wieder.

    Haarsträubend waren auch die Berichte über Familienväter, die hinten und vorne bedient werden wollten (wie sie es halt von i h r e n Müttern her gewohnt waren) - obwohl ihre Frauen ebenfalls einen 8-Stunden Arbeitstagtag zu bewältigen und sich zwischendurch auch noch um die Belange der kränkelnden Schwiegermutter gekümmert hatten (ohne deshalb von deren übler Nachrede verschont zu bleiben).

    Irgendwann regte sich in Sonja der Verdacht, dass all ihre nun in festen Beziehungen lebenden Freundinnen nur aus einem gesellschaftlichen Imperativ heraus eine Bindung eingegangen waren, der da hieß: Wenn Du keinen Mann hast, bist Du keine vollwertige Frau.

    Oder dass die Menschen womöglich gar nicht aus freiem Willen handeln, sondern nur unter dem Diktat der Evolution; und die individuelle Befindlichkeit war der Evolution letzten Endes wurscht - Hauptsache: fortgepflanzt!

    Andererseits....wozu es leugnen, ja, Sonja wünschte sich ein Kind!

    Gelegentlich begann sie sich selber zu misstrauen; besser gesagt, die Tatsache, dass sich in dieser Angelegenheit immer ein kritisches Aufbäumen in ihr breit machte, verleitete sie allmählich zu dem Gedanken, sie sei vielleicht gar keine 'richtige Frau'.

    Aber w e r oder w a s sollte sie denn sein? Eine herzlose Mutation? Eine Supernova im menschlichen Kosmos? Oder war sie vielleicht gar nicht real? War sie nur die Traumgestalt eines gemeinen Gottes? Oder die unausgeklügelte Kunstfigur eines originellen Romanciers?

    Dieser Mangel an Gewissheit darüber, wer sie denn eigentlich sei und was sie sich eigentlich w ü n s c h t e, bildete den dissonanten Grundakkord ihres Bewusstseins.

    Sie fühlte sich so hilflos.

    Bevor wir uns jetzt dazu verleiten lassen, ihr wohlmeinende Ratschläge zuzurufen - indem wir etwa auf die unendliche Freiheit des Single-Daseins verweisen - sollten wir bitte eines nicht übersehen: eigentlich suchte sie ein ernstzunehmendes Vis-á-vis, ein respektvolles Gegenüber dem sie vertrauen und an das sie sich anlehnen könne; jemanden, der sie verstand und akzeptierte wie sie war, dessen Gedanken sie fesselten, dessen Anblick sie beglückte, dessen Töne sie berauschten und dessen Gerüche sie erregten - kurz: sie suchte die große Liebe!

    Und das bedeutet, der Weg war bestens geebnet für Bruno, den Erlöser.

    Auch die Gegebenheiten im beruflichen Umfeld unterliefen den Wunsch nach Geborgenheit.

    Sonjas Anstellung als ‚Chefkorrespondentin im Ministerium zur Überwindung kultureller Gegensätze‘ erforderte ihre Anwesenheit etwa bei Vernissagen oder festlichen Theaterpremieren.

    Ursprünglich brachte sie derartigen Veranstaltungen großes Interesse entgegen; konnte man doch dort mit gebildeten und hochkultivierten Menschen zusammentreffen.

    Sie hatte diese Aufläufe der Eitelkeiten aber bald satt. Die meisten Künstler waren eine Enttäuschung: entweder redeten sie in manischer Ich-Bezogenheit alles in Grund und Boden; oder sie saugten in depressiver Egomanie ihre Umgebung aus.

    Auch war es mit der Kultiviertheit der Besucher nicht weit her; wenn der kostenlose Alkohol den Leuten zu Kopf stieg, konnte sie über die geschmacklosen Übergriffigkeiten der internationalen Eliten nur staunen.

    Sie beging den Fehler, dass sie einmal auf einen charmanten französischen Kulturattaché hereinfiel, der (so wie alle Welt) von ihrem betörenden Geruch vereinnahmt war. Er umgarnte sie mit „Savoir vivre und „Toujour l´amour, war äußerst galant und einfühlsam.....und pries sie danach in der diplomatischen Szene als seine „Süßeste Trophäe". Die indiskreten Erläuterungen untermalte er stets mit einem obszönen Züngeln. Seitdem konnte sie sich der Fluten unsittlicher Anträge kaum mehr erwehren; fand sich ständig in einem unfreiwilligen Abwehr-Modus wieder; und die von ihr abgelehnten Männer, gekränkt in ihrer Eitelkeit, verschafften ihr erst recht eine üble Reputation.

    Ein Abend in Sonjas Leben scheint uns dafür besonders repräsentativ zu sein, erläutern doch die damaligen Vorgänge ihre Situation auf plastische Weise:

    Vor etlichen Jahren kam sie bei einem Empfang in der russischen Botschaft an der Tafel neben einem etwa sechzigjährigen Kunstkritiker aus St. Petersburg zu sitzen. Mit leichtem Akzent sprach dieser ein derbes Deutsch.

    Schon vor dem ersten Gang hatte er durch zahlreiche Anekdoten und Indiskretionen aus dem höchsten politischen und kulturellen Milieu dokumentiert, wie weltgewandt und wohlinformiert er sei. Andauernd lieferte er Kostproben seiner kosmopolitischen Eloquenz und kulinarischen Bewandertheit ab. Dabei war es für Sonja offensichtlich, wie er ihr auf penetrante Weise zu gefallen versuchte.

    Zum „Hors d ´Ouevre" gab es Austern. Dazu servierte man Zitronenspalten. Diese wurden von drei bildhübschen und ebenso schüchternen blutjungen Russinnen gereicht, die, die Kristallschalen mit den Zitronenspalten auf den Händen balancierend, sich im Hintergrund hielten und auf Wunsch zum jeweiligen Gast traten, um mit einer kleinen vergoldeten Zange eine Zitronenspalte auf dessen Teller zu legen.

    Dies war für den Kunstkritiker aus St. Petersburg - der in einer peripheren Plattenbausiedlung östlich von Samara aufgewachsen war (sein Vater stand zeit seines Lebens am sozialistischen Fließband der Autofabrik 'Lada') - ein willkommener Anlass, um sich durch die Kenntnis vornehmer Sitten hervorzutun.

    Mit zaristischer Eleganz winkte er das nächststehende Zitronenmädchen herbei. Sonja fiel auf, dass das lange Herumstehen in den viel zu hohen Stöckelschuhen selbige schmerzte und der linke Arm, mit dessen Hand sie die schwere Kristallschüssel balancieren musste, immer mehr krampfte.

    Entsprechend unlocker und mit dem aufgesetzten Lächeln einer minderjährigen Eiskunstläuferin trat sie heran und wollte eine Zitronenspalte reichen. Dabei näherte sie sich dem Galan von links hinten.

    „Aber Babuschka! rief dieser auf Deutsch mit lauter Stimme - für alle hörbar. „Weißt Du denn nicht, dass man nurr von rrechts serrvierrt? Das Mädchen blickte ihn eingeschüchtert an.

    „Schau nicht mich an wie eine Jungfrrau, sonst ich värlierä Behärrrrschung!" und lachte wie der erste Bassist des Don-Kosaken-Chors. Dabei blinzelte er Sonja schmierig zu.

    Das Mädchen wechselte schweren Fußes die Seite.

    Da der Kunstkritiker aus St.Petersburg sehr breite Schultern hatte und rechts von ihm eine ebenfalls sehr ausufernde Person saß, war der Zwischenraum für die Serviererin ziemlich eng. Sie musste sich extrem strecken, um ihre Aufgabe ausführen zu können. Dabei kam sie mit der Achsel dem Gesicht des Kulturjournalisten in spürbare Nähe.

    „Ich kann rriechen Du hast Angst, mein Kind. Keinä Sorrgä, mein Wahlsprruch ist: ‚Läben und läben lassen!‘ Oder, wie die Ungarn sagän: ‚Liebärr Gulasch als Gulag‘!" Er lachte laut und versicherte sich durch einen Seitenblick Sonjas Aufmerksamkeit.

    Als das Mädchen sich zurückziehen wollte, fuhr der Russe fort: „Halt! Ich will noch einä zweitä Spaltä von Dirr!" Und abermals folgte ein zwischentonreicher Lachschwall.

    Sie beugte sich also wieder vor und legte eine zweite Zitronenspalte auf seinen Teller.

    Doch bevor sie zurücktreten konnte, fasste der Kulturkritiker aus St.Petersburg sie mit energischer Intensität um die Hüften.

    Dies brachte das übermüdete Mädchen buchstäblich aus dem Gleichgewicht. Ein Schwall übersäuerten Eiswassers schwappte über den kristallenen Rand der Zitronenschüssel und klatschte auf die künstlerhaft wildgepflegte Dichthaarfrisur des Erzählers. Auch strauchelte das Mädchen und verfing sich mit der goldenen Zange in dessen durchnässter Haarpracht, was er aber nicht bemerkte.

    Ein Schreckensschrei ließ die Hörergemeinde mit offenen Mündern dasitzen. Doch wider Erwarten verfiel der Kulturkritiker nicht in eine Haltung der Empörung gegenüber dem Mädchen, um sich als 'Angeschütteter' auf diese Art Respekt zu verschaffen. Nein, das hatte er doch gar nicht nötig! Bot sich ihm doch jetzt eine weitere Gelegenheit, seine Weltgewandtheit zu demonstrieren!

    Er nahm die unverkrampfte Haltung des Chaos-erprobten Weltmannes ein, breitete die Arme aus, ein Ivan Rebroff in Spendierlaune, und rief:

    „Keine Angst, Babuschka, mein Spaltenprinzesschän, ‘Shit ‘äppens‘!"

    Wieder blinzelte er Sonja zu.

    Allerdings bemerkte er nicht, dass sein peinlichstes Geheimnis vor der Welt nunmehr gelüftet war – nämlich, dass seine Haare nicht echt waren! Durch die Nässe-Einwirkung und den gleichzeitigen Goldzangen-Zug, hatte sich die voluminöse Perücke gelöst und zwischen Haaren und Kopfhaut ein Zwischenraum gebildet; von vorne betrachtet bot sich der Eindruck eines behaarten gleichschenkeligen Dreiecks, mit der kahlen Kopfhaut als gewölbter Basis.

    Nichtsahnend gab der Kritiker nun ein paar schlüpfrige Anekdoten aus seinem Leben zum Besten – dabei keine Gelegenheit auslassend, Sonja zu betätscheln.

    Schließlich blickte der Russe selbstzufrieden in die Runde. Er war so sehr vom eigenen Charisma betört, dass ihm gar nicht auffiel, wie die Reaktion auf seine Geschichten deutlich unter den zu erwartenden Ovationen blieb. Die Wertschätzung der eigenen Person brodelte in der Ursuppe seines Seins wie ein unendlich ergiebiger 'Tafelspitz'

    So registrierte er auch nicht die verschämten Blicke, die an seinem Haaransatz hafteten.

    Der Hauptgang wurde serviert – es gab 'Boeuf Stroganoff'.

    Der Kritiker sah nun den Moment gekommen, seine ganze Aufmerksamkeit der links neben ihm sitzenden Sonja zu widmen. Die ganze Zeit schon hatte er Seitenblicke auf den wohlrasierten Glanz ihrer aristokratischen Waden geworfen. Auch in das seidenmatte Rot der sorgfältig lackierten Fingernägel, die Krönung ihrer zartgliedrigen Hände, hätte er sich stundenlang mit ganzem Leib versenken können. Für Sonja war das so spürbar wie der Zugriff eines erotomanischen Gynäkologen.

    „Ich liebä die österreichischä Musikk! begann er unverfänglich und schob sich genießerisch einen Bissen in den Mund. „Ich fühlä mich auch der leichten Musä verbundän. Meinä Lieblingsoparrettä stammt von Frranz Leharr - ‚Der Zaräwitsch‘! Kennen Sie den ‚Zaräwitsch‘? Wissen Sie, worrum es darrin gäht? (Anmerkung des Verfassers: Die Inhaltsangabe des 'Zarewitsch' finden sie im Anhang.)

    Sonja antwortete mit professioneller Höflichkeit: „Ich habe zwar einmal als Kind mit meiner Mutter den 'Zarewitsch' gesehen, kann mich allerdings nicht mehr so genau erinnern."

    Sie hatte immer mehr Mühe einen Lachkrampf zu unterdrücken: die Spalte zwischen dem sich ablösenden Toupet und dem kahlen Schädel glich immer deutlicher dem offenen Schlund eines algenvertilgenden Riesenkarpfens.

    „ ‚Zaräwitsch‘ – ein wunderschönäs Stick iber die Liebä zweiär Menschän zueinandärr."

    Er blickte Sonja tief in die Augen und fuhr mit sanfter Stimme fort:

    „Der jungä Zaräwitsch ist alleinä, er fiehlt sich einsam, er ist tott-traurig, er sieht im Lebän keinän Sinn, weil er im goldenän Kchäffig sitzt... ‚Es stäht ein Soldatt am Wolgastrrand…‘ - so singt er. Jedäs Mal wenn ich in Oper sitzä, wird mirr warrm ums Chärz…"

    „Ja? sagte Sonja, „mir geht es so bei Tschaikowski.

    „Ja? griff er ihre Worte auf. „Ich kann Ihrrä Wärrmä spierän. Sie habän ein guttäs Chärrz…

    Bei den letzten Worten strich er mit den Fingerkuppen zärtlich über Sonjas Handrücken.

    In Sonja stieg erneut ein Lachreiz auf, den sie gerade noch unterdrücken konnte. Dadurch erweiterten sich ihre Augen und begannen zu glänzen. Das interpretierte der Kunstkritiker falsch. Er wurde mutiger:

    „Ich chabä mich glaich zu Ihnen chingezogän gäfiehlt. Sie missän wissän, die Gäliebte des Zarewitsch cheißt so wie Sie; sie cheißt ‚Sonja‘."

    Wieder glänzten Sonjas Augen, der Russe legte nach.

    „Ich fiehlä mich wie der Zarräwitsch. Bei Ihnän spierrä ich Wärrmä, chierr in diesäm kchaltän goldenän Kchäfik."

    Mittlerweile hatten sich in Sonjas Augen Tränen gebildet; und der Kunstkritiker war nun endgültig enflammiert! Er griff mit penetranter Zärtlichkeit nach ihrer Hand, führte sie an sein Herz und sang in intensivstem 'Belcanto'-Ton eine berührende Stelle aus dem ´Zarewitsch´:

    „Deine Lippen! Sonja! Ich liebe Dich! Ich liiiiiiiebe Dich!!"

    Das „iiiiiiie des zweiten „Ich liebe Dich! war ein hoher Spitzenton, den er, ein 'Seriöser Bass', im Falsett sang. Dabei brach aber die Stimme und ein peinlich kicksendes Krächzen drang an die Ohren der Gäste.

    Nun war es mit Sonjas Beherrschung vorbei.

    Lautes Lachen, in das auch die anderen Gäste verfielen, platzte aus ihr heraus und es schüttelte sie in einem nicht endenwollenden Krampf.

    Von wildem Zorn ergriffen sprang der Russe auf: „Ich chabä mich in Ihnän getäischt, Gnädickste! stieß er hasserfüllt hervor und fuhr fort: „Ich chabä Ihnän noch nicht errrzählllt, wie die Gäschichte von Zarräwitsch weitarrrgäht: err darrf Sonja nichchtt cheiratten, weill alle Wällt waiß, dasss sie 'durrrch unzääählige Chände gegangen' ist! Eine Schlammpä vom Laaand!

    Allmählich wurde es stiller und Betroffenheit machte sich breit.

    Mit wütend erhobener Stimme hetzte er weiter: „Offenbarr chabän Sie mit diesärr ‚Sonja‘ nicht nurr den Namän gemainsam; wie mann mirr in därr franzäsischen Bottschaft erzälllt chatt, sind Sie ja ein gannz schän ibarzuckertes Frrichtchen!" Und, für alle sichtbar, kam er ihrem Gesicht ganz nahe und machte die wohlbekannten obszönen Züngelbewegungen.

    Sonja blieb ganz ruhig. Sie nahm eine Damastserviette zur Hand und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Dann fixierte sie ihn und sprach:

    „Ja, Sie haben recht – meine Früchte sind süß. Und ich würde niemals zulassen, dass sie von der galligen Bitterkeit Ihrer Präpotenz besudelt werden. Und auch wenn Sie von sich glauben Sie wären der 'Spalten-Zar' oder der 'Austern-Prinz', so muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie in meinem Königreich höchstens den Rang eines glatzerten 'Klomuschel-Kadetten' innehätten!"

    Einige Damen an der Tafel - inklusive der Gastgeberin, der Frau des Botschafters - standen auf und begannen laut zu klatschen. Besonders letztere fühlte tiefe Genugtuung, hatte doch der Kulturkritiker vor acht Jahren eine abfällige Bemerkung über ihre Tochter gemacht. Auch die Zitronenmädchen, die nun Feigen für’s Dessert balancieren mussten, kicherten hemmungslos.

    Der Kulturkritiker wurde blass. Sein Atem ging schwer. Es trieb ihn plötzlich auf die Toilette. Außer sich stieß er seinen Stuhl um und wankte hinaus.

    Als er die Klomuschel erblickte, wurde ihm die Beleidigung, die er durch Sonja erfahren hatte, noch unerträglicher. Trotz heftigen Erbrechens fühlte er keine Befreiung.....schienen sich doch die am Muschelrand klebenden Austernstückchen alle in Prinzessinnen zu verwandeln, die ihn auslachten.

    Um dieses unerträgliche Bild loszuwerden, wandte er die Augen nach oben - doch der Blick fiel auf die glattpolierte Oberfläche des silbernen Spülkastens.

    Und in diesem Spiegel sah er sein blasses, zerfurchtes Altmännergesicht...gekrönt vom sich ablösenden haarigen Kunstwerk – einer Sonderanfertigung des Chefmaskenbildners am 'Chirow-Theater'. Der ovale Schlund gewährte ihm Einblick in die Tiefe seiner erbärmlichen Lächerlichkeit. Er riss sich in aufflammendem Selbsthass das Haarteil vom Kopf.

    Der unverzeihliche Makel der Kahlheit stach erbarmungslos in seine blutunterlaufenen Augen. Enthaart........ein Samson, gleichsam entmannt von einer verhurten Delilah, die in diesem Falle Sonja hieß.

    So dermaßen blamiert, könnte er sich nie wieder unter die Leute wagen.

    Und ganz langsam, während er in der Sakkotasche sein Taschenmesser umfasste, formten sich die blassen Lippen zu einem verderbenbringenden Fluch, der Sonja verfolgen sollte....... er begann einen speziell auf sie zugeschnitten Racheplan zu entwerfen - denn im Gegensatz zu Sonja, kannte er das Geheimnis ihrer Abstammung und wusste, wer sie wirklich war.

    °°°°°

    Kapitel 2

    Karl saß vor dem Computerbildschirm und erfreute sich an einem phantastischen Spiel, auf das er vor einer Woche im Netz gestoßen war.

    Es hieß 'Sexy Crush'.

    Um darin das jeweils nächste 'Level' zu erreichen, musste man an den oberen Rand einer hohen Mauer gelangen. Dort stand eine erregende Frau in verführerischem Outfit: die riesigen Brüste - die aus einer glänzenden Korsage quollen, der wohlgeformte Hintern - kaum verdeckt vom winzigen Slip, die endlos langen Beine - die in hochhackigen Stiefeln steckten, das wallende Haar, sowie das schmollmündige Gesicht......das alles stachelte den Eroberungswillen des Spielers an.

    Während der 'Conquerer' (so wurde der Spieler genannt) an der Mauer hochkletterte, warf ihm das Girl von oben Süßigkeiten zu. Das Ambiente wirkte so echt, dass sich der Spieler tatsächlich in jenem 'Space' wähnte und die sinnlichen Eindrücke wie in der Wirklichkeit spürte.

    Man musste danach trachten, möglichst große Mengen der Zuckerln und Bonbons mit dem Mund zu fangen und zu 'verzehren'. Die Illusionskraft des Designs war so eindringlich, dass sie dem Spieler ein reales Sättigungsgefühl suggerierte.

    Während des Kletterns rief das Mädchen dem Conquerer aufmunternde Sachen zu, etwa: „Wann kommst Du endlich! oder „Ich kann Dich kaum erwarten! oder „Du machst mich heiß!"........Ihre Lockrufe waren so aufgeilend und ihre Bewegungen so aufregend, dass sie die Begierde des Kletternden ins Unermessliche steigerten und die Wollust ihn seines Willens beraubte.

    Nach dem erfolgreichen Erklimmen der ersten Oberkante, dem ersten Level, begann sich das Girl zu entkleiden. Auch das war so erregend, als sei es ‚wirklich‘. Der Spieler war dann bereit, alles zu geben, um mehr zu bekommen. Allerdings löste sich die Frau nach kurzer Zeit plötzlich in Nichts auf und eine neue Mauer stand da, auf deren Oberkante eine neue Schönheit lockte.

    Mit jeder Ebene wurde die Frau freizügiger in ihren Entblößungen, allerdings auch deutlich gemeiner und fordernder während des Aufstiegs.

    Wenn es dem Spieler nicht gelang, genügend Süßigkeiten zu fangen, dann schrie ihm die Frau beim Erreichen der Mauer-Oberkante mit schriller Stimme entgegen: „Was? Dir schmecken meine Zuckerln nicht!?!" und versetzte ihm einen Tritt, was einen schmerzhaften Sturz nach sich zog und ein 'Leben' kostete.

    Was die Conquerer auf dem höchsten Level erwartete, war nicht bekannt, da diejenigen, die es dorthin geschafft hatten, nicht mehr mit der Welt kommunizierten.

    Karl war begeistert. Er hatte die letzten Tage und beinahe die ganzen Nächte durchgespielt und befand sich bereits auf Level 199. Dies hatte ihn einiges gekostet, da er unzählige ´Leben´nachzukaufen gezwungen war; die dreihundert Euro, die er von seiner Tante Lintschi Anfang des Monats zum dreißigsten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, waren fast aufgebraucht; sein Vermögen belief sich nun auf knapp 40 Euro.

    Aber das war ihm im Augenblick egal: nur noch e i n Level, und er befände sich ganz oben auf 200!

    Schon erschien auf der letzten Maueroberkannte die schönste Frau, die er je erblickt hatte. Sie war blond; die geradezu bestürzend makellosen Rundungen des Leibes, vermittelten in Gemeinschaft mit ihren klugen und ebenmäßigen Gesichtszügen ein Bild berührender Anmut. Der wohlrasierte Glanz ihrer aristokratischen Waden entfachte in ihm unermessliche Begierde...die Erfüllung war so nah´.............da läutete das Handy.

    Seine Mutter!

    Schon während der letzten Tage hatte sie ihn mehrmals zu erreichen versucht, er war aber nie bereit gewesen, abzuheben. Da Karl, sollte er neuerlich unerreichbar bleiben, mit einem ihrer Überraschungsbesuche zu rechnen hatte, unterdrückte er seinen Spieldrang und nahm den Anruf an.

    „Gott sei Dank!!! Ich hab mir schon solche Sorgen gemacht!!!"

    Karl musste das Telefon vom Ohr weghalten; die gequälte Resonanz ihrer Stimme stellte eine ernsthafte Gefahr für sein Trommelfell dar.

    „Warum hebst Du denn nie ab?! Bitte Karli, so was darfst Du nicht machen! Das macht mich wahnsinnig! Ist irgendwas Schlimmes passiert?! Ich war schon drauf und dran zu Dir zu fahren…aber der Papa hat gesagt, Du sollst mit Deinen Problemen selber fertig werden.....wir haben gerade wieder furchtbar gestritten! Wegen Dir! Bitte Karli, ich hab‘ Dir doch schon tausend Mal gesagt, Du musst zuverlässiger werden. Karli wirklich, ich mach mir solche Sorgen um Dich! Warum hast Du denn die Inge nicht angerufen?! Du hast mir doch hoch und heilig versprochen, dass Du dich bei ihr meldest!"

    Inge war eine langjährige Freundin seiner Mutter. Sie arbeitete in der Filiale eines großen Einrichtungshauses und zwar in der Abteilung für Haushaltsstoffe und Bettwäsche. Dort wurde dringend ein Mitarbeiter gesucht; ganz gegen den Trend der Zeit, sollte es sich dabei nicht um eine Frau, sondern um einen jungen Mann handeln; man versprach sich davon höhere Umsätze, da die Kundschaft hauptsächlich aus Damen fortgeschrittenen Alters bestand und eine interne Studie ergeben hatte, dass deren Kauflust bei charmanten Verkäufern signifikant höher war als bei weiblichen Angestellten.

    „Bitte Karli, das wäre doch so eine tolle Sache für Dich.....Du hast ja so tolle Umgangsformen! Du könntest da richtig Karriere machen! Ich habe mich erkundigt: es gibt da die Möglichkeit, dass Du gleichzeitig auf der FH ein berufsbegleitendes Studium machst! Nach drei Jahren hast Du Deinen 'Bachelor' und wenn Du fleißig bist, kannst Du es ganz locker zum Abteilungsleiter schaffen. Ich mein‘ das hat sogar die Inge geschafft - und die hat nicht einmal eine Matura! Du könntest es sogar zum Filialleiter bringen, da hast Du dann ein wirklich gutes Einkommen. Aber bitte melde Dich bei der Inge, ich flehe Dich an! Sonst ist diese Chance weg! Karli bitte, Du musst was tun! Du bist jetzt schon dreißig! Es wird mit jedem Jahr schwieriger!"

    Von außen betrachtet, waren ihre Sorgen durchaus berechtigt, hatte es Karl doch bisher wirklich nicht weit gebracht. Außer einem abgebrochenen Studium und immer wieder aufflammenden, völlig abstrusen Geschäftsideen, hatte er nichts vorzuweisen.

    Vor allem letztere hatten einen tiefen Riss im ohnehin schon brüchigen Familiengefüge verursacht, da sie mit horrenden finanziellen Verlusten einhergegangen waren.

    Das Problem dabei bestand immer darin, dass Karls Ideen allzu weltfremd waren, weil er von der Art s e i n e r persönlichen Lebensführung, auf die Bedürfnisse aller anderen schloss.

    Da er es zum Beispiel für unnötig befand, mindestens einmal pro Woche staubzusaugen und er andererseits zur Kenntnis nehmen musste, dass sein Billigstaubsauger mit den großen Dreckmengen überfordert war, wenn er alle drei Monate zum Einsatz kam, etablierte sich in ihm der Gedanke, es wäre doch viel klüger, gar keinen Staubsauger zu besitzen, sondern nur bei Bedarf ein Gerät zu mieten. Und da es eine derartige 'Sharing'-Einrichtung nicht gab, beschloss er, eine solche zu gründen.

    Seine Eltern, froh dass er überhaupt etwas auf die Beine stellen wollte und in denen die Hoffnung wuchs, Karl könne so allmählich zur finanziellen Selbständigkeit finden, unterstützten diesen Plan, indem sie ihm das Geld zur Anschaffung von hundert (!) höchstpreisigen Sauggeräten zur Verfügung stellten.

    Sie werden nun denken: „Ja bitte, aber wenn ich so viel investiere, dann muss ich mir doch vorher überlegen, ob sich das alles rechnet und ob wirklich Nachfrage besteht!"

    Ja natürlich sollte man das. Dass Karls Verhältnis zur Wirklichkeit ein wenig getrübt war… na gut. Aber auch die Eltern?! Wie sind solche Leute denn bitte zu einem Wohlstand gekommen, der es ihnen erlaubt, den längst erwachsenen Sohn durchzufüttern und derartige Investitionen zu tätigen?

    Nun, Karls Großvater mütterlicherseits hatte nach dem zweiten Weltkrieg eine Fleischkonservenfabrik aufgebaut; anfangs belächelt, hatte er es geschafft, ein Millionenvermögen zu lukrieren. Seine Tochter, also Karls Mutter, das einzige Kind des Konservenkönigs, war in teuren Internaten erzogen worden und in keinster Weise fähig gewesen, in der Geschäftswelt Fuß zu fassen. Ständig in den besten Kreisen unterwegs, hatte es sich zu ihrem Lebensinhalt entwickelt, eine Fassade von Gediegenheit und Solidität zu behaupten.

    Da ihr neureicher Papá kein wirklicher Experte in Stilfragen war, legte sie ganz besonderen Wert auf geschliffene Umgangsformen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sie sich als Debutantin am Opernball in einen galanten Hilfstanzlehrer verliebte, der ihr die besonderen Geheimnisse der 'Quadrille' eindringlich zu vermitteln verstand. Es ist schwer zu sagen, wie zielgerichtet der junge Mann seine Absichten tatsächlich verfolgte; Faktum ist allerdings: als die Konservenprinzessin schwanger wurde, gratulierten ihm seine Kollegen ganz offen zum ´Goldenen Schuss´.

    Dem Seniorchef blieb nichts anderes übrig, als den Schwiegersohn zu akzeptieren.

    Das fiel ihm auch gar nicht so schwer, da dieser ja an der damaligen 'Hochschule für Welthandel´studierte.

    Es stellte sich allerdings heraus, dass der junge Mann über absolut kein unternehmerisches Gespür verfügte, dafür aber über ein solches, um seine empfindsame Frau in kritischen Situationen beruhigend zu beraten.

    Als nämlich der Seniorchef starb und seine Tochter nun von ihrem Mann erwartete, er möge sich der Firma in gleich gewinnbringender Weise widmen, wie ihr Vater, überzeugte sie der Gatte davon, es wäre viel besser, das Unternehmen zu verkaufen; das Geld, „g'scheit angelegt", brächte genügend Rendite, um sorglos leben zu können. Außerdem war es zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass sie ihrerseits über nur einen Erben, also Karl, verfügten, der bis dato auch kein gesteigertes Interesse an Fleischkonserven gezeigt hatte.

    Allerdings hatte die Mutter ein substantielles Problem: die Kinder aller ihrer Freundinnen verfügten mittlerweile über Studienabschlüsse an den besten internationalen Universitäten, waren stinkreiche Hedgefond-Manager, Derivatenhändler oder in gehobenen Leitungspositionen internationaler Konzerne - und ihr Sohn, der artige Karli, der von seinem Vater zwar das gewinnende Wesen, aber halt leider nicht den kalkulierenden Charakter geerbt hatte, war bis jetzt nicht imstande gewesen, auch nur einen Euro selbständig zu verdienen.

    Da dem Vater das Wehklagen seiner Frau, angesichts der Ausweglosigkeit von Karls Leben, immer unerträglicher wurde, war er sofort bereit, die Geschäftsidee des Sohnes in ähnlich unreflektierter Weise zu begrüßen, wie sie.

    Seit der Bestellung der Geräte hatte Karl mit seinen Freunden Bertl und Sebastian Brainstorming betrieben. D.h., man hatte unter dem Einfluss von „StiffyDicki", einer besonders gehaltvollen Cannabissorte, beieinander gesessen und sich dem Gedanken hingegeben, was man mit den zu erwartenden satten Gewinnen aus dem Staubsaugerprojekt denn anfangen könne.

    Es überrascht nicht, dass bei der Belebung ihrer Luftschlösser auch Frauen eine große Rolle spielten. Eigentlich die Hauptrolle. In freudiger Erwartung gönnten sich die jungen Männer in dieser Phase etliche Live-Chats.

    Allerdings trat bei Karl dabei wieder jenes Problem zutage, das ihn schon seit frühester Kindheit verfolgte:

    Damals wurden er und seine AltersgenossInnen im Kindergarten von einer aufregenden 'Tante' betreut. Sie trug stets hellfarbige, enganliegende Rollkragenpullover aus synthetischem Material. Deutlich zeichneten sich darunter ihre Brüste ab, deren Form durch den BH (oft schwarz, man konnte es durch den Rollkragenpullover hindurch ungehindert ausmachen) noch hervorgehoben wurde. Ihre enganliegenden Röcke rutschten beim Spielen mit den Kindern ständig über die Knie hoch und gaben die Aussicht auf ihre Beine frei, die meist von schwarzen Nylonstrumpfhosen bedeckt waren. Karl drängte es stets, einen Blick dorthin zu ergattern, wo unter dem Rock das transparente Schwarz der Strumpfhose sich noch weiter zu verdunkeln schien. Eine dumpf-schwüle Welle strömte ihm von dorther entgegen.

    Die 'Tante' hatte eine leichte Neigung zu transpirieren, was sich beim Spielen mit den Kindern gerne bemerkbar machte. Und so vereinten sich die rundlich weichen Gerüche, die unter dem Rock hervorwallten, gemeinsam mit den würzig scharfen Düften, die dem enganliegenden Synthetik-Rollkragenpullover entströmten zu einer vereinnahmenden Geruchsglocke, die dem kleinen Karli die ersten Erektionen bescherte, derer er sich erinnern konnte.

    Dass diese in seinem Gedächtnis so gut abgespeichert waren, verdankt sich allerdings weniger der Erinnerung an das infantile Begehren, als vielmehr der Tatsache, dass letzteres stets mit einem äußerst unangenehmen Nebeneffekt einherzugehen pflegte: die rotlackierten Zehennägel, die unter der schwarzen Nylonschicht hervorschimmerten....das spitz-schweißige Pulsieren unter der Synthetik-Faser…die rundlichen Formen, die sich im Schatten des Rockes in einem verlockenden Sumpf verloren......all das provozierte im Zusammenwirken mit seiner Erektion eine Art Rückstoß - und seinem rektalen Bereich entwich ein feuchter Wind, dessen übelriechende Partikel Karls Unterhose nässend beschmutzten und dafür sorgten, dass die anderen Kinder sich angewidert von ihm abwandten.

    Nachdem dies öfters vorgekommen war, wurden Karls Eltern in den Kindergarten gebeten, wo das „Verdauungsproblem" in seiner Anwesenheit besprochen wurde. Dabei zeigte sich die 'Tante' besonders liebevoll, was ihre Geruchsentladung noch steigerte und Karli abermals einen nassen Rückstoß bescherte.

    Sein Vater, der sich für den Sohn in unübersehbarer Weise schämte, versuchte die Peinlichkeit durch einen Witz auf Karls Kosten zu applanieren, indem er mit komischem Gestus die Nase zuhielt und näselnd sagte: „Falsche Freunde stempeln seinen Weg."

    Diese Eigenheit Karls sollte sich während der Kindheit weiter manifestieren und verging auch nicht nach der Pubertät. Sämtliche Anstürme weiblicher Reize, die ihn in der wirklichen Welt überrollten (Gerüche, Anblicke, Wortkombinationen, sowie ein entsprechender Tonfall), waren untrennbar mit der Unkontrollierbarkeit des Schließmuskels verbunden.

    Dies war umso bedauerlicher, da Karl über ein geradezu manisches Sensorium bezüglich erotischer Potentiale verfügte: es drängte ihn, jeder Frau unter den Rock zu schauen, die Beschaffenheit Ihrer Wäsche zu ergründen und die Geheimnisse ihrer Wölbungen und Vertiefungen zu erörtern.

    Sein Sehnen nach Frauen und sein Trachten nach ihrer Hingabe war so intensiv, dass er gar nicht anders konnte, als sich in schutzloser Durchlässigkeit der Welt zu stellen.

    Die Live-Chats während der Brainstorming-Phase bezüglich des Staubsaugerprojektes, hatten ihn wieder regelmäßig mit seinem 'Problem' konfrontiert; und das Projekt selbst bescherte ihm keine Befreiung hin in die finanzielle Selbständigkeit. Es bestand nicht die geringste Nachfrage nach hochpreisigen Leih-Staubsaugern und die Geräte wurden im Keller des elterlichen Hauses ohne weiteren Plan zwischengelagert.

    War diese Geschäftsidee Karls verlustbringend, so erwies sich die nächste als geradezu ruinös.

    Es ging dabei um den Vertrieb eines portablen Vulkanisierungs-Systems für platte Autoreifen. Das Produkt stammte aus Indien.

    Diesmal bereitete er sich besser vor; das Feedback auf seine Website und die Werbung im Internet bestätigten Karls Vermutung eines großen Bedarfs. Dies überzeugte auch die Eltern, neuerlich in seine Geschäftsidee zu investieren.

    Tatsächlich gestaltete sich der Absatz vielversprechend.

    Allerdings ließ der Tiefschlag nicht lange auf sich warten: beim Gebrauch der batteriebetriebenen Pumpe, die das Gummi-Kunststoff-Gemisch aus biologisch unbedenklichen Harzen und Ölen ins Reifeninnere pressen sollte, verstopfte sich jedes Mal das Ventil, die extrem klebrige Masse gelangte auf die teuren Leichtmetallfelgen der Anwender, von wo sie nur durch den Einsatz extrem giftiger Chemikalien entfernt werden konnte – und sie verteilte sich auch mit erschütternder Verlässlichkeit auf die sensiblen Bremsscheiben, die nun nicht mehr ihrer Aufgabe gewachsen waren. Kostspielige Schadenersatzforderungen der mühsam zusammengekeilten Kunden waren die ebenso traurige Folge, wie horrende Prozess- und Anwaltskosten - sowie Haftpflichten nach Unfällen, die die unbremsbaren Autos verursacht hatten.

    Karls Eltern waren veranlasst gewesen, die großelterliche Altbauwohnung im Stadtzentrum zu verkaufen, deren beträchtliche Mieteinnahmen ein wesentliches Standbein ihres Budgets dargestellt hatten.

    Karls Mutter war der Notverkauf vor den Leuten äußerst peinlich und ihre chronische Niedergeschlagenheit hatte eine neue Stufe erreicht. Karls Taschengeld wurde um ein Drittel reduziert und die Suche seiner Mutter nach was 'G‘scheitem' für den Buben intensiviert.

    Nun sprach sie also am Telefon: „ Weißt Du, die Inge hat mir so ins Gewissen geredet: Du musst jetzt Verantwortung übernehmen! Bitte mach das! Du würdest mir so eine große Freude machen! Weißt Du, ich muss so viel weinen… – sie begann jetzt tatsächlich zu schluchzen – „jedes Mal vor dem Einschlafen....der Papa ist dann immer ganz bös....aber ich kann nicht anders. Ich lieg auch immer ganz lange wach…gestern hat mich die Friseurin gefragt ob ich krank bin, weil ich auf einmal so viele Falten hab‘… und der Papa sagt, wir sollen Dir den Geldhahn völlig zudrehen, aber das kann ich nicht… verstehst Du mich Karli?... dafür hab ich Dich viel zu lieb… bitte lass mich nicht hängen! Und bitte lass auch Dich nicht so hängen! Ich meine, wie sollst Du denn sonst einmal eine Familie ernähren.....ich hab' übrigens vorgestern die Karin getroffen, weißt eh, die Tochter von der Pipsi Hübelberg, die mit mir in der Schule war....also die ist so ein blitzg‘scheites Mädl. Die hat ihr Jusstudium vor drei Jahren fertiggemacht, BWL hat’s auch studiert.....und die hat jetzt einen unglaublich gut bezahlten Job in Brüssel… irgendwas in der Finanzkommission… die soll schauen, dass die Ausgaben von den Staaten weniger werden… halt irgend sowas… und da hab‘ ich mir gedacht, das wär eine Frau für Dich! Die ist zielstrebig und das würde dann auch auf Dich abfärben, das weiß ich genau….

    Um derartige mütterliche Anrufungen zu ertragen und zu überstehen, hatte Karl in den Jahren seines Heranwachsens eine Haltung der Durchlässigkeit kultiviert. Es lag außerhalb seiner charakterlichen Möglichkeiten zu widersprechen.....die elterlichen Töne und Wunschvorstellungen zwangen ihn nicht zur Opposition.....ihm drängten sich keine Gegenreden auf, etwa, dass er ein Recht auf Selbstbestimmung habe – was ja auch seiner finanziellen Abhängigkeit und der gescheiterten Geschäftsideen wegen schwer zu argumentieren gewesen wäre. Vielmehr hatte er sich einer Strategie anheim gegeben, die daraus bestand, in derartigen Situationen zu einer Entspanntheit zu finden, die sogar außerhalb der Vorstellungskraft der fortgeschrittensten Yoga-Meister lag: die destruktive Energie, die von außen auf ihn eindrang, verfing sich in keiner Faser seines Bewusstseins oder auch Unterbewusstseins, sondern floss ungehindert weiter in irgendeinen imaginären Boden, wo sie wohl irgendwelche arme Seelen drangsalierte, die, zur Buße verdammt, dort jämmerlich vegetierten.

    Allerdings hatte diese Strategie auch ihren Preis: während die Leidensgeschosse der Mutter durch den Gehörgang auf ihn einprasselten und er in meditativem Gleichmut verharrte, verstärkte sich seine Bereitschaft, jegliche Angriffe - seitens der Eltern oder des Schicksals im Allgemeinen - schlichtweg zu ignorieren und eventuelle Zusammenhänge zwischen der Unbill des Lebens und einem Fehlverhalten s e i n e r Person völlig auszublenden. Gerade in den letzten sechs bis sieben Jahren hatte er, unterbrochen nur von den Verwirklichungsphasen seiner halbgaren Geschäftsideen, sich zunehmend in das Schneckenhaus der virtuellen Welten zurückgezogen, in deren Regeln und Gesetzen er das Gefüge einer wahren Heimat fand. Neuerdings faszinierte ihn der Gedanke eines völligen Aufgehens im Cyberspace immer mehr....eines Lebens in der Matrix.....der Möglichkeit eines Schlafzustandes, eines Heruntergefahrenseins der realen körperlichen Funktionen.....des nahezu ausschließlichen Existierens im Traum, wie man es aus Hollywood-Blockbustern kennt.

    Vor allem aber war er im Cyber-Space nicht den rektalen Rückstößen ausgesetzt; erotische Reize brachten sein Gedärm dort ebenso wenig zum Revoltieren, wie in der bloßen Vorstellung.

    Und so wollte er, kaum dass das Telefonat mit der Mutter beendet war, sich sofort daran machen, endlich das ersehnte Level 200 zu erklimmen.

    Es kribbelte in ihm und eine verheißungsvolle Erregung drang durch sämtliche Leitwege des Körpers und Geistes vor, bis in die entferntesten Peripherien und die verstecktesten Hohlräume seines Seins. Eine wohltuende Erektion beulte vergnügt Karls Hose und verlieh ihm jene Zielgerichtetheit der Konzentration, die die Eltern sonst so sehr bei ihm vermissten. Der Pulsschlag stieg, doch gerade als er das Feld 'Weiterspielen' anklicken wollte, läutete abermals das Handy.

    In der Absicht den Anruf wegzudrücken, spielten ihm die Finger aber einen Streich - welch seltsame Fügung des Schicksals! - die Verbindung ward hergestellt… und eine weibliche Stimme drang dünn aus dem Fernsprechgerät:

    „Hallo? Ist dort jemand? Können Sie mich hören? Hallo…?"

    Diese Stimme…! Ihre Schwingung umfing ihn geisterhaft, ein anschmiegsames Futteral, ein williges Klanggefäß, in das sein erregtes Sehnen nun schmachtend strebte.

    Karl hob das Handy ans Ohr und sagte erwartungsfroh: „Ja bitte?"

    Glucksend tönte es retour: „Ja Gott sei Dank hab‘ ich Sie erwischt! Hier Kfz-Werkstatt Huber!"

    Sofort formte sich vor Karls innerem Auge das zur Stimme gehörige Bild und er sah die begehrenswerte Büroangestellte jener Autowerkstatt vor sich, die er damit beauftragte hatte, den Kühler seines VW Golf auszuwechseln.

    Er musste dies aus folgendem Grunde machen lassen: seine schon erwähnten Freunde Bertl und Sebastian, hatten ihm zum dreißigsten Geburtstag die Gallionsfigur eines Rolls Royce geschenkt. Die Statuette war gegenüber dem Original allerdings leicht modifiziert: die Flügelgestalt verfügte über Riesenbrüste, und zwar in einer Deutlichkeit, dass dieser Umstand auch dem unkundigen Auge sofort entgegensprang. Die drei jungen Männer hatten sich daran gemacht, das silbrige Teil auf der Motorhaube des VW Golf zu montieren. Allerdings unterließen sie es dabei, die lange Schraube, die die Kunstfigur mit der Motorhaube verband und die auf der Unterseite derselben mehrere Zentimeter weit hervorragte, mangels einer Eisensäge zu kürzen; als Karl die Motorhaube mit sattem Schwung schloss, bohrte sich die überlange Schraube in die schmale Oberseite des rostigen Kühlers. Durch das so entstandene Loch strebte das Kühlwasser nun nach außen und die Suche nach einem leistbaren Ersatzkühler begann.

    Für Karls Selbstempfinden war es unerlässlich, über ein intaktes Fahrzeug zu verfügen. Er war ein hervorragender Autofahrer und verfügte dabei über eine Souveränität, wie sie ihm in sämtlichen anderen Bereichen des Lebens verwehrt war. Vor zehn Jahren hatte er mit dem Auto halb Europa bereist. In eigenbrötlerischer Manier mied er keine Schotterstraße.....die steilsten Anstiege waren kein Hindernis....er campierte wild....und die so gelebte Naturverbundenheit bescherte ihm Erfahrungen jenseits der Interventionswut der Mutter und der Herablässigkeit des Vaters.

    Allerdings war er von deren finanziellen Zuwendungen abhängig; es fehlte ihm an Energie und Entschlossenheit, um unterwegs irgendwelche Gelegenheitsjobs anzunehmen, die ein Leben als unabhängiger Globetrotter ermöglicht hätten.

    Und so war ihm nichts anderes übriggeblieben, als immer wieder in die Sphäre der Rechtsfertigungs-Zwänge zurückzukehren. Irgendwann hatten die Eltern dann eine Art Reiseverbot ausgesprochen, in der Hoffnung, er würde - seiner Fluchtmöglichkeiten beraubt - mit einer sinnvollen Ausbildung anfangen, was sich ja, wie wir bereits wissen, als Trugschluss erwies.

    Aber vom geliebten VW Golf wollte er dennoch nicht lassen und so begann die Suche nach einem Ersatzkühler.

    Doch woher die nötigen Mittel nehmen? Weder wollte er sich an Tante Lintschi wenden (diese war übrigens die kleine Schwester des verstorbenen Fleischkonserven-Großvaters und somit eigentlich Karls Großtante), noch an die Eltern; die Aussicht auf das Wehklagen der Mutter hatte eine ebenso abschreckende Wirkung, wie die zu erwartenden Boshaftigkeiten des Vaters in gereimter Form, etwa:

    Legt Karli Hand an seinen Wagen - so geht’s dem Kühler an den Kragen!

    Oder :

    Schnell, legt um den Kühler ‘ne Manschette/

    Schaut er tropft, wie sonst nur Karls Rosette.

    Auch Bertl und Sebastian konnten nicht helfen. Beide hatten ihre Mittel bereits in eine eigene Geschäftsidee investiert: im Keller des ehemaligen Lebensgefährten von Bertls Mutter, hatten sie mit viel Akribie und Know-how begonnen, eine Plantage zur Zucht von ´StiffyDicki´ anzulegen. Dies versprach hohe Gewinne und Karl verdross es erheblich, dass er kein Geld hatte auftreiben können, um bei diesem Projekt miteinzusteigen.

    Als letzte Möglichkeit war ihm nur Onkel Georg, ein wohlhabender Orthopäde, der Bruder seines Vaters, geblieben. Dieser zeigte sich sofort hilfsbereit: er stellte das Geld sowohl für das Ersatzteil als auch den Einbau zur Verfügung. Allerdings erinnerte er Karl mit großer Eindringlichkeit an einen Deal, der zwischen ihnen bestand:

    Der Onkel war ein lebensfroher Mensch, der sich spezielle Schlupflöcher in seiner kinderlosen Ehe offenhielt; besonderes Vergnügen bereitete es ihm, mit seinen Eroberungen ins Autokino zu fahren. Da sein eigener Wagen, ein top ausgestatteter 'Jaguar' zu auffällig war, lieh er sich zu diesem Zwecke gerne Karls 'Golf'. Die Verschwiegenheit des Neffen war ihm durchaus etwas wert und so fing er auf diese Weise gleich zwei Fliegen mit einer Klatsche; einerseits blieb sein Inkognito im Autokino gewahrt - andererseits konnte er so dem bedrängten Neffen, den er übrigens sehr gerne mochte, aus der ärgsten Not helfen.

    Onkel Georg war es auch, der Karl die Kfz-Werkstatt Huber empfohlen hatte. Der Besitzer, Herr Huber, war ein Patient von ihm. Dieser sei beim Preis äußerst entgegenkommend, da er solche Sachen in hilfsbereiter Weise gerne ´schwarz´ mache.

    Die begehrenswerte Büroangestellte fuhr fort: „Bitte, Sie müssen unbedingt kommen!"

    Karl glaubte einen geheimniskrämerischen Unterton herauszuhören: „Ja, äh, ist das Auto schon fertig?" fragte er gehemmt.

    „Bitte kommen Sie schnell. Es ist nur in Ihrem Interesse!" lautete die kryptische Antwort.

    Sein Interesse? Was meinte sie wohl? Ein frivoler Wunschtraum ließ ihn reflexartig den Schließmuskel anspannen. Die Luft im Zimmer geriet in eigenartige Bewegung und aus den Wirbeln formte sich die dreidimensionale Erscheinung der verlockenden Anruferin: eine falsche Blondine, Minirock, schwarze Strumpfhose, schwarze hochhackige Stiefeletten aus Wildlederimitat. Rosarote Bluse aus Kunstseide. Der frischschweißige Geruch der von ihr ausging legte die Vermutung nahe, dass auch der spitzenbesetzte (schwarze) PushUp-BH, sowie das unter dem Rock sich abzeichnende Tangahöschen aus Kunststoff waren. Diese individuelle Körperausdünstung in Kombination mit BIPA-Parfum, sowie der etwas dick aufgetragene blaue Lidschatten komplettierten den Liebreiz dieser Frauensperson.

    „Ja Fräulein…äh…also ich soll kommen?" stammelte er.

    „Ja bitte, kommen Sie sofort!"

    War da wirklich ein schlüpfriger Unterton, ein unanständiges Schmunzeln in ihrer Stimme wahrnehmbar?

    Er nahm alle ihm zur Verfügung stehende Eloquenz zusammen und flüsterte mit trockener Kehle: „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Fräulein."

    Sie kicherte zunächst unverschämt und sagte dann: „Mmmh, was für ein Kavalier. Bis daaann!"

    Ihrer Stimme eignete etwas Anschmiegsames, zart Schmeichlerisches. Von derselben Sanftheit, wie prall und cremig auf das Frühstücksbrot geschmierte ´Nutella´.

    Gerade schaffte es Karl noch aufs Klo, wo er sich bebenden Gemüts und stechenden Gedärms von den Folgen seiner Erregung befreite. Die Provokation des langgezogenen „a („bis daaann!) hallte im Gehörgang nach - eine verführende Sirene. Doch verfügte er über keine List, sich deren Locken zu entziehen. Seine Lebens-Irrfahrt spülte ihn wieder und wieder in die gefährlichsten Zonen....die wohlgeformten Bäuche der bunten Stuten bargen versteckte Gefahren.....hielten ihn fern vom Gestade der heimatlichen Einkehr.....eine Barrikade aus weißem Fleisch und verschlungenen Aromen; stets ward er zurückgeworfen aufs offene Meer, wo der feindliche Ansturm die Segel blähte…eine Blähung, die im günstigsten Falle ins endliche Weiß der Klomuschel mündete, wo sich die magischen Töne der Sirenen im Echo von Karls furzender Kakophonie entzauberten.

    Die salzigen Rückstände in Karls Gesicht hatten ihren Ursprung nicht in der Gischt des Ägäischen Meeres, sondern waren Zeugnis der Tränen, welche die Explosionen seines Unterleibes zum Fließen gebracht hatten.

    Die schwefeligen Dämpfe des Orkus stiegen an ihm empor und in resignierter Schwermut wäre Karl am liebsten so sitzen geblieben, in Ruhe v e r - harrend, einer Auflösung e n t g e g e n - harrend.

    Jedoch nach mehrmaliger Betätigung der Klospülung drang ein neuer Geruch in den Vordergrund....die WC-Ente, ein Mitbringsel der besorgten Mutter; sie schien in burlesker Manier zu quaken; und siehe da: wie eine Handpuppe, die durch die einschlüpfenden Finger des Spielers zum Leben erwacht, stellte sich auch Karls Kasperl wieder auf und rief:

    „Rawuzikapuzi, die Prinzessin hat mich gerufen!"

    Schlagartig war Karls Trübsinn verflogen und er traf, jegliche Vernunft und Einsicht verleugnend, die Vorbereitungen, um sich den lockenden Rufen der begehrenswerten Büroangestellten zu stellen. Mit nahezu neurotischer Sorgfalt säuberte er die zuletzt so heftig in Anspruch genommene Region seines Leibes – und machte sich dann auf die Suche nach frischer Wäsche.

    Als gelernter Junggeselle pflegte sich Karl nie die Mühe zu machen, die ungebügelten Kleidungstücke im Schrank übersichtlich zu stapeln. Vielmehr erkennen wir in ihm einen Experten in der Kunst des 'Stopfens'.

    Zwischen losen Socken, Hemden und T-Shirts fand sich bald auch eine Unterhose, die, so wie ihre Artgenossen, aus naheliegenden Gründen schwarz war. Zu den Jeans wählte er ein beiges Hemd von fragwürdiger, verknitterter Eleganz. Wegen der überflüssigen Mühsal waren die Socken auch nicht paarweise gelagert und so zupfte er aus dem Textilienhaufen Einzelstücke von ähnlicher Farbe - der eine war dunkelblau, der andere dunkelgrau.

    Nach hektischem Suchen fand er auch seine Schuhe, es waren Sportschuhe, ein Paar hochfunktionaler 'Cross-Trainer', für die er im Frühjahr unsinnige zweihundertvierzig Euro bezahlt hatte.

    Schließlich warf er den braunen Wollpulli über die Schultern, steckte die schmale Geldbörse in die Gesäßtasche, nahm Handy und Schlüssel an sich und krönte das Antlitz zuletzt mit einem 'RayBan'-Sonnenbrillen-Imitat.

    Im Stiegenhaus überfiel ihn wieder der gewohnte bestialische Gestank.

    Ein Stockwerk tiefer lebte eine frühpensionierte Putzfrau - keine Kinder, keine Enkel. Alleine. Nicht ganz: immerhin, so wurde erzählt, hatte sie in ihrer Wohnung ein Aquarium, drei Vogelkäfige (inklusive Papagei) und – einen Zwergpudel (grau). Da sie dem Hundefutter aus dem Supermarkt misstraute, pflegte sie Knochen- und Fleischreste beim Fleischhauer zu besorgen. Am liebsten Kutteln. Diese kochte sie in der Kochnische ihre Zimmer-Küche-Kabinett Wohnung.

    Über die üblen Gerüche hatten sich die anderen Hausparteien oft beschwert.

    Da Frau D. aber ein Sozialfall war – in ihrer Kindheit war sie Missbrauchsopfer gewesen (Vater), wurde geschlagen (Mutter) und später bestohlen (der geliebte Neffe) – gestand die Hausverwaltung ihr besondere Freiheiten zu. So mussten die Hausbewohner es auch hinnehmen, vom grauen Zwergpudel der Frau D. regelmäßig und gehässig angebellt zu werden.

    Als Ingenieur Hauser aus dem zweiten Stock einmal den Hund grob zurechtwies, erlitt Frau D. einen Heulkrampf, der zwei Tage andauerte. Schließlich erschienen, herbeigerufen von den zwei politisch bewusst lebenden Studentinnen aus der WG im ersten Stock, drei Mitarbeiter des Tierschutzvereins, gemeinsam mit dem Kamerateam eines TV Privatsenders. Die Hausbewohner wurden vor laufender Kamera mit ihrem „inhumanen Verhalten" gegenüber Frau D. und vor allem gegenüber dem grauen Zwergpudel konfrontiert. Fast alle Interviewten verhielten sich verlogen einsichtig und anbiedernd.

    Nur Ing. Hauser vertrat vehement, stur und beharrlich seinen Standpunkt: man hat ja als erwachsener Mann und Steuerzahler schließlich ein Recht darauf, respektvoll behandelt zu werden.

    Die Konsequenzen ließen nicht lange auf sich warten: nach Ausstrahlung der Sendung gab es hunderte Leserbriefe in den unterschiedlichsten Printmedien; auch die öffentlich-rechtlichen Sender nahmen sich des Vorfalles an; zahlreiche Internetforen erhoben Tierschutz- und Menschenrecht zum Hauptthema. Und überall der gleiche Tenor: Ing. Hauser ist ein faschistoides Schwein!

    Als nach einigen Tagen 40 Vertreterinnen des Vereins „Gender und Tier" (abgekürzt: GuT) Ing. Hauser vor der Haustür auflauerten und ihn zunächst laut weinend und schließlich brutal anpöbelnd zur Rede stellten, erlitt der 62-jährige einen Schlaganfall.

    So gut seine Ehefrau ihn auch pflegte, Ing. Hauser blieb an den Rollstuhl gefesselt und konnte auch nicht mehr sprechen. Obwohl ihr dringend davon abgeraten worden war, strengte Frau Hauser einen Prozess an. Die zuständige Richterin sah aber keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Verhalten von ´GuT´ und Ing. Hausers „Malheur". Und schließlich müsse das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit gewährleistet bleiben!

    Für die zweite Instanz fehlten Frau Hauser die Nerven. Auch waren die Gerichtskosten unbezahlbar. Die Ersparnisse waren weg, der Offenbarungseid musste geleistet werden, Ing. Hauser verließ die Wohnung nie wieder und der graue Zwergpudel bellte weiter gehässig vor sich hin.

    Karl hatte sich am Tag der TV Interviews eine Kostprobe von 'StiffyDicki' genehmigt. Das war gut: denn die roten, tränenden Augen wurden allgemein als Zeichen großen Mitgefühls interpretiert. Auch erschien er den Zusehern als sehr „zerbrechlich und „einfühlsam. Die Redakteurin des TV Privatsenders schloss ihn sofort ins Herz. Dummerweise verspielte er seinen Bonus und die Aussicht auf einen Redaktions-Job sehr schnell: er verkaufte der Redakteurin und dem Kameramann je eine indische Vulkanisierungspumpe.

    °°°°°

    Kapitel 3

    Werfen wir einen Blick auf jenen Tag, der für Sonja die Bekanntschaft mit Bruno, dem Erlöser, bereithielt.

    Widerstrebend begab sie sich zur Ausstellungseröffnung eines wohlhabenden Kunstsammlers.

    Schon die Fahrt im Taxi war mühsam.....der Taxifahrer - ein BWL-Student, der ihr auf lästige Weise zu imponieren versuchte. Er trug ein enganliegendes T-Shirt, das die im Fitness-Studio geformten Muskeln betonte.

    So wie alle Menschen die Sonja begegneten, nahm auch er sofort ihre auffallende persönliche Geruchsnote wahr; ein olfaktorischer Reiz, der an das Aroma reifer Mangos und ähnlicher Tropenfrüchte denken ließ.

    Während der quälend langen Fahrt - es gab einen Verkehrsstau - brachte er das Gespräch, anknüpfend an Sonjas wohlriechende Besonderheit, auf die Unverzichtbarkeit moderner Körperpflegeprodukte. Er zählte ihr auf, welche Körperlotions 'For men' er schon ausprobiert hatte....überdies war er sehr froh, dass die Produzenten endlich auch Anti-Aging Gesichtscremen für Männer auf den Markt gebracht hätten; schließlich wolle er mit fünfzig nicht so aussehen wie Mutter Theresa. Sein größter Stolz war sein Waschbrettbauch. Er berichtete von seinen Sommerurlauben, die er stets in Los Angeles am Venice Beach verbringe.....wenn er dort mit nacktem Oberkörper auf der Strandpromenade jogge, käme es immer wieder vor, dass die superscharfen Girls auf ihren Rollerblades ihn umkreisten und versuchten, sich in seinen Body zu verkrallen....genauso wie hier zuhause, würde er auch dort nur selten alleine ins Bett gehen....er liebe die super gestylten Leute in L.A…überhaupt liebe er alles was „schön" ist....er würde auf Urlaub nie in ein Schwellenland oder gar Entwicklungsland fahren; denn dort könne man den Menschen nicht trauen...und überhaupt, die wären dort alle so grindig; und bei den Frauen dort hole man sich auch alles Mögliche....nach seinem Studium hätte er durch super Beziehungen einen super bezahlten Job am Hajek-Institut. Dort seien d i e Leute daheim, die den Durchblick hätten und das sei eine Institution wo was weitergeht.....seine Zukunft sehe er in London oder in New York, denn Wien sei ja letzten Endes doch nur ein Kuhdorf. Die paar Autos und trotzdem ständig ein Stau! Er selbst stammte übrigens aus Wels.

    Er begann wild zu hupen. Schließlich wurde es ihm zu bunt; er überfuhr die doppelte Sperrlinie, überholte in rasendem Tempo und quetschte sich knapp vor dem Gegenverkehr in eine Lücke. Als Sonja darauf hinwies, dass er „ganz schön selbstbewusst gegen die Gesetzte verstoße, drehte er sich um und sagte: „Yeah, that's the New York-Style!.....und überhaupt, wenn ihm ein Polizist blöd käme, dann würde er ihn zur Sau machen - rein rhetorisch! Gesetze wären nur was für reglementierungsgeile Mitläufer.....er sei für die totale Freiheit; für seine totale Freiheit und für die Freiheit der Märkte!

    In der Zwischenzeit hatte sich eine Biene durch die geöffneten Fenster ins Wageninnere verirrt und während der letzten Worte des Taxifahrers auf dessen rechte Wange gesetzt. Da sich die Biene in seinem toten Winkel befand, erkannte er nicht um welche Art von Insekt es sich handelte; er dachte es sei eine Gelse. Und mit dem überdrüssigen Gestus eines GI in Vietnam holte er zum Schlag aus.

    Sonja rief: „Nein, nicht!"

    Doch er antwortete cool: „Nur net wehleidig sein, Lady!" und schlug zu.

    Der Bienenstachel drang tief in seine Wange, direkt unter dem rechten Backenknochen.

    Er jaulte auf: „Au Scheiße! Nein! Scheiße! Scheiß Biene! Au! Au!" Und wimmerte erbärmlich.

    Zum Glück hatte sich der Vorfall ereignet, als der Wagen im Stau stillstand. Da das Fahrtziel auch schon fast erreicht und Sonja des Taxifahrers nun endgültig leid war, reichte sie ihm genau die 14 €, die der Taxameter anzeigte und sagte aussteigend:

    „Nur net wehleidig sein!"

    Der BWL-Student glotzte wortlos zurück, dann betrachtete er sein Gesicht im Spiegel und betastete die riesige Beule, die sich rapide im Gesicht bildete.

    Sonja wandte sich ihm noch einmal zu und sagte zum Abschied:

    „Na, wie die Mutter Theresa schaun'S ja zum Glück wirklich nicht aus; wohl schon eher wie der Elefantenmensch!"

    Dann schritt sie von dannen.

    Die Ausstellung hatte den Titel 'Kunst–Brücke'.

    Die Werke bedeutender Barockmaler fanden sich unmittelbar neben provokanten Installationen zeitgenössischer Künstler; zarte Aquarelle des späten 19.Jahrhunderts neben repräsentativen Objekten der 'Konzeptkunst'; und ein raffiniert labyrinthisches Spiegelkabinett setzte sich mit der „Zurückgeworfenheit des Individuums auf die unvermeidlichen 'Letzten Fragen' " auseinander.

    Mit professioneller Distanziertheit erfüllte Sonja ihre gesellschaftlichen Pflichten. So war es ihr auch möglich, die schamlosen Blicke der zahlreichen Kunstfreunde zu ignorieren, die an ihr klebten, als wäre sie eine Erscheinung.

    Der sinnesfreudige Literaturblogger Guy de Maulprassant hätte ihr wohl folgende Zeilen gewidmet:

    Seidenknistern ziert die weiche Pracht

    Die schon so oft durch meinen Traum gewandelt.

    Ihr sternenklarer Blick erhellt die Nacht

    Und weist den Weg mir zur Erfüllung -

    Oh Venus, weißer Schaum, von der mein Loblied handelt.

    Tauchst durch tiefe Meere Du

    Dort wo kaum mehr Licht sich bricht

    Strebst doch stets dem Hellen zu

    Haltlos Dich der Welt zu schenken

    Auf bunter Blüten weicher Schicht.

    Wenn dann der Schlaf Dein Auge schließt

    Und Bilder nur das H e r z noch malt

    Wenn B a u c h und B r u s t den Liebsten kiest

    Ein Buch, aus dem die Ahnung liest,

    Dann findest drüben Du den Halt

    Sodass der Traumgott ewig prahlt!

    Gleich in der Nähe der Catering-Tafel erblickte sie ihren Chef, Herrn Hofrat Weisungsknecht. Vom Scheitel bis zur Sohle ein Diplomat altösterreichischer Schule, war er stets bemüht, mögliche Konflikte durch charmante Konzilianz schon im Keime zu ersticken.

    Er befand sich im Gespräch mit einem teuer gekleideten, weißhaarigen Mann seines Alters. Dessen edler Zweireiher kaschierte elegant den gewaltigen Bauch.

    Sobald der Hofrat Sonja erblickte, winkte er sie pflichteifrig herbei und stellte die beiden einander vor. Bei dem Herren handelte es sich um ein Vorstandsmitglied jener Bank, die zu einem Drittel die Ausstellung mitfinanzierte. Es ging dabei um einen beachtlichen Betrag; allein die Versicherungskosten für die Artefakte gingen in die Hunderttausende. Ebendies erfuhr Sonja vom Bankier in einer kurzen Vorstellungsreplik. Er bediente sich dabei eines beiläufigen Understatement-Tons, der ihn gleich noch wichtiger erscheinen ließ.

    Hofrat Weisungsknecht war um gehaltvollen Smalltalk bemüht. Wie immer, wenn er mit jemand Wichtigem sprach, so sparte er auch heute gegenüber diesem nicht mit Komplimenten und der Bereitschaft, ihm in allem recht zu geben.

    Anwesend war übrigens auch seine Frau. Diese, eine höchst distinguierte Dame, konnte nur schwer ihre angesäuerte Verfassung verbergen, die wegen der Beflissenheit ihres Mannes, die sich im Laufe der Jahrzehnte als dessen grundlegende Charaktereigenschaft herausgeschält hatte, bereits in ein chronisches Stadium übergegangen war. Des Weiteren hegte sie Zweifel an der Treue des Gatten.

    Diese beiden Gegebenheiten prägten im Wesentlichen die Einstellung und somit auch den Grundton, mit dem sie, eine an sich kluge und in ihrer Eleganz auch durchaus attraktive Frau, ihrem Mann begegnete.

    Ihre Angesäuertheit äußerte sich bei gesellschaftlichen Anlässen in einem stummen und unbeteiligten Danebenstehen. Allerdings verfügte sie über die Angewohnheit, ihrem Mann, wenn sie durch dessen Verhaltensweisen besonders enerviert war - völlig unbemerkbar für die Umstehenden - einen schmerzhaften Tritt ins Schienbein, einen boshaften Zwicker in den Oberarm oder einen gemeinen Rempler in die Rippen zu versetzen. Wenn seine Gemahlin anwesend war, konnte man also beim Hofrat nicht selten ein leichtes Humpeln oder eine schmerzverkrümmte Körperhaltung bemerken.

    Dass sie heute überhaupt mitgekommen war - sie hasste derartige Veranstaltungen, die ihrem Mann immer die peinlichsten Verhaltensweisen entlockten - ist auf die bereits erwähnten Zweifel an der Treue desselben zurückzuführen, die eigentlich mehr schon der Überzeugung von seiner Untreue entsprachen. Ihre Verdächtigungen bezogen sich dabei in keinster Weise auf Sonja, die sie wegen ihrer 'offenen Art' und dem nicht Vorhandensein einer wie auch immer zutage tretenden 'Anlassigkeit' respektierte und mochte; vielmehr nährte sie ihre Gewissheit aus einer Aversion, die sie gegenüber einer anderen Mitarbeiterin ihres Mannes hegte; dabei handelte es sich um das Fräulein von Mötzendorff, der Ururenkelin eines berühmten Generals.

    Der Gastgeber dieser Veranstaltung, jener millionenschwere Kunstsammler, wurde von aller Welt als 'Herr Konsul' angesprochen; ein großzügiger Mann, der sich über die kleinkarierten Trends der Gegenwart hinwegsetzte - deswegen war bei dieser Ausstellung auch das Rauchen erlaubt.

    Der Bankier hatte damit nicht gerechnet und keine Zigaretten eingesteckt. Dies nahm der Hofrat zum Anlass, in eifrigem Habitus Hilfestellung zu leisten. Er rief:

    „Aber bitte, bedienen Sie sich von mir! Hier, nehmen Sie doch eine herrliche ´Winston´!" und

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