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Lethal Vacation: Ursprung der Apokalypse
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eBook367 Seiten4 Stunden

Lethal Vacation: Ursprung der Apokalypse

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Über dieses E-Book

Der Traumurlaub in den Staaten ist vergessen und die langjährige Odyssee durch die USA zu Ende, als Ivy wieder deutschen Boden betritt. Die Hoffnung, ihre Angehörigen wiederzufinden, schwindet schnell. Denn die Zustände sind nicht besser als auf der anderen Seite des Großen Teichs. Die Hinweise eines Virologen auf den Verbleib ihrer Familie wecken neuen Mut in ihr.
Mit ihren Freunden begibt sie sich auf den beschwerlichen Heimweg. Ein Unglück trennt die Gruppe und Ivy ist schwerverletzt dem Tode nahe. Einzig die Hoods, die ihr das Leben in letzter Sekunde retten, können ihr auf ihrem Weg helfen. Doch etwas liegt zwischen den Kolonien, was die Existenz aller in große Gefahr bringt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum12. Dez. 2020
ISBN9783753132730
Lethal Vacation: Ursprung der Apokalypse

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    Buchvorschau

    Lethal Vacation - Josephine Lessmann

    Kapitel 1

    Berlin Schönefeld

    20.November 2014, 7:30 Uhr

    Ivy sah ein letztes Mal auf das in Rauch stehende Flugzeug, mit dem sie vor wenigen Minuten eine Bruchlandung hingelegt hatten. Ein ungutes Gefühl schlich sich in ihre Gedanken. Wenn es so beginnt, wie wird es enden?

    Die anderen liefen mit schnellen Schritten auf das Terminal vor ihnen zu. Die schwarzen Rauchschwaden wurden immer mehr.

    Machʼ, dass du verschwindest!, drängte sie eine innere Stimme und trieb sie voran.

    Die ersten zaghaften Sonnenstrahlen tauchten das rauchende Wrack in ein bedrohliches Orange.

    »Ivy!«, rief Klaas energisch und riss sie aus ihrer kurzen Phase der Lethargie heraus.

    Der eiskalte Wind peitschte in ihr Gesicht und sie schnellte mit dem schweren Gepäck voran.

    Elmar stieß die Tür auf und trat in eine leere Wartehalle ein. Die Sitzgelegenheiten waren mit zahlreichen Gepäckstücken bedeckt.

    Die Schalter waren unbesetzt.

    Ruben schaute ängstlich von den wackelnden Gepäckwagen zu Elmar und Mac auf. Der Hund wollte endlich wieder festen Boden unter seinen Tatzen haben. Mac hob ihn behutsam vom Wagen und stellte den Hund auf seine zitternden Beine.

    Ivy schloss hinter sich die Tür. Das Geräusch hallte in der Wartehalle. Niemand war zu sehen. Der kleine Kiosk war verschlossen, der Kühlschrank mit den Getränken leer.

    Elmar und Klaas zückten aus den Taschen die Lampen heraus und reichten sie an die anderen weiter. Nichts und niemand war zu sehen. Suchend leuchteten sie herum.

    »Wir müssen den Gang nach oben«, drängte Ivy und schritt auf Ruben zu, der auf wackeligen Beinen und schwanzwedelnd sein Frauchen begrüßte. Behutsam strich sie auf dem Kopf der Fellnase entlang und lockte ihn, ihr zu folgen.

    »Wo gehen wir denn hin?«, fragte Rupert nach und folgte ihr.

    »Wenn wir dem Gang folgen, geht es nach oben zum Gate. Von dort aus kommen wir auf die andere Seite zu den Parkplätzen«, erklärte sie und ging voran.

    Ermüdet hielt Mac einen Moment inne, bevor er sein Gepäck auf den Rücken schwang und den anderen folgte. Er hatte Kopfschmerzen. Eine Nachwirkung des Alkohols, während des Fluges.

    Durch die Glasfronten des Ganges hatten sie einen Überblick über den verlassenen Flughafen. Neben dem qualmenden Flugzeug standen ein paar Airlines auf dem Rollfeld. Nur würde dort niemand mehr einsteigen.

    Gemeinsam mit Elmar und Klaas zog Ivy die sperrige Tür des Gates auf und lauschte einen Moment. Die unbequemen harten Bänke, auf denen die Passagiere auf ihren Flug warteten, standen in reih und Glied. Achtsam trat die Gruppe hinein. Ivy warf einen Blick auf die schwarze Anzeigentafel. Schon lange zeigte diese keine Ankünfte oder Abflüge an.

    Na, realisierst du gerade, dass dich niemand abholen wird? Hast du etwa gedacht, dass hier alles beim Alten sei?, zischte ihre innere Stimme zynisch.

    Mac drückte die Tür ins Schloss und sah sich schnaufend um. »Könnten wir uns erst einmal einen Plan machen, bevor wir sinnlos durch die Gegend laufen?«, brummte er mürrisch vor sich hin und schmiss den Seesack auf die Sitzreihe.

    Rupert und Alice sahen Ivy fragend an, die ebenso rat- und planlos im zweiten Wartebereich stand.

    »Ich stimme Mac zu«, meinte der Arzt und legte die schwere Tasche nieder. »Draußen ist es schweinekalt und ohne Plan werden wir wohl erfrieren.«

    Zustimmend nickte Ivy und ließ die Tasche von ihren Schultern rutschen. Ein unzufriedenes Schnaufen war zu hören, als sie sich setzte.

    Klaas begutachtete die Gepäckstücke, die herum lagen, und kicherte leise vor sich her. »Irgendwie ist das witzig. Wir sind genau da angekommen, wo es angefangen hat. Auf einem Flughafen«, sagte er mit einem aufgesetzten Lächeln.

    Kurzzeitig dachten Rupert, Elmar und Ivy über seine Worte nach und nickten ihm zu.

    »Ich bezweifle, dass uns die Bundeswehr abholen und in ein Camp bringen wird«, wandte Ivy sarkastisch ein und blickte zur Einkaufspassage. Entschlossen griff sie zu dem Seesack, in dem die Waffen verstaut waren und kramte ihre Machete heraus.

    »Wo willst du denn hin?«, hakte Klaas neugierig nach.

    »Shoppen. Vielleicht finden wir noch irgendwas essbares«, erwiderte sie und lief ohne ein weiteres Wort los.

    Seufzend blickte Alice Rupert an, der diesen Augenaufschlag genau kannte. Bewegʼ deinen Hintern und folge ihr!

    Der Doktor schnaufte. »Ja, du hast recht.« Mit schnellen Füßen folgte er Ivy zur Einkaufsmeile.

    Ihre Schritte hallten in den leeren Gängen. Die Aufmerksamkeit galt den verlassenen Läden, an denen sie vorbei schlenderte. Es war schon eine Weile her, als sie das letzte Mal in Berlin Schönefeld in ein Flugzeug gestiegen war. Einige kleine Geschäfte waren nicht passierbar. Die Gitter waren runtergelassen.

    Die Regale im ›Pocketshop‹ waren reich gefüllt. Tageszeitschriften gab es nicht mehr. Dafür aber Romane, Rätsel und Frauenmagazine. Nichts, was Ivy interessieren würde.

    Im ›Heinemann Duty-Free‹ sah es da schon etwas anders aus. Angespannt blieb sie auf dem Flur stehen und starrte in den Laden hinein. Im Augenwinkel sah sie Rupert auf sich zu eilen. Die kleine Wohlstandsplauze wiegte auf und nieder.

    »Was haben wir zum Alleingang gesagt?«, wollte er japsend wissen und stützte sich auf seine Oberschenkel.

    Genervt dreinschauend sah sie ihn an.

    »Alles okay?«, fragte der Halbgott in Weiß besorgt nach und runzelte die Stirn.

    »Ich … weiß nicht, was ich tun soll«, raunte sie leise vor sich hin und fühlte sich schuldig. »Ich habe alles riskiert … drei Menschen sind tot und … ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.« Schwer seufzend presste sie die Luft aus ihren Lungen und rieb sich zweifelnd die Stirn.

    »Dass die Crew gestorben ist, ist doch nicht deine Schuld«, versuchte er sie zu beruhigen und legte mitleidend die Hand auf ihre Schulter.

    »Vielleicht hatte Jerome recht und es ist wirklich so, dass wir eine Nadel im Heuhaufen suchen.«

    »Nein, nein, nein! Er hat überhaupt nicht recht! Du hast irgendwo in deinem Kopf einen Plan … Du bist nur geschafft von der Reise. Schon vergessen, dass wir vor wenigen Minuten einen Flugzeugabsturz überlebt haben?! Uns wird schon etwas einfallen«, versicherte er. Gemeinsam traten sie in den Laden ein.

    Vorbei an Kuscheltieren, verdorbenen Snacks, vergammeltem Obst und Spirituosen aus allen Herren Länder, blieben sie vor einer Stiege Gebäck stehen.

    Rupert musterte Ivy mit strengem Blick. »Wenn du jetzt aufgibst, werde ich dir mit voller Wucht in den Hintern treten!«, drohte er ihr mit erhobenem Finger.

    Ivy begann herzlich zu kichern. Du kriegst dein Bein gar nicht so hoch.

    »Schön, dass du mich auslachst«, grinste er und Ivy schüttelte lächelnd den Kopf. »Also, atme tief durch und erzähl mir, wie dein Plan aussieht.«

    Sie schloss die Augen, atmete tief ein und aus und stemmte die Arme in die Hüfte.

    »Hailey und Konrad waren bei meinen Eltern und ich bat sie, sich mit meinen Schwiegereltern zusammenzuschließen. Ich wäre zu ihnen gefahren«, erklärte sie zögerlich.

    »Na siehst du! Du hast einen Plan. Und so werden wir es auch machen. Fertig.«

    Mutmachend strich er ihr über den Rücken, doch ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen.

    »Das wird ein verdammt langer Weg ohne Auto. Keiner versteckt seinen Ersatzschlüssel in der Sonnenblende, wenn du verstehst, was ich meine, Rupert.«

    Zustimmend nickte er und verzog den Mund zu einer kurzweiligen Fratze. »Aber auch das kriegen wir hin. Und jetzt nehmen wir uns einen edlen Tropfen und stoßen darauf an, dass wir lebend angekommen sind. So viel Zeit muss sein.«

    Der Doktor schlängelte sich zwischen den Regalen entlang zur Sektabteilung und suchte mit strengem Blick nach einem edlen Tropfen. Er griff eine schwarze, edelverzierte Flasche und begutachtete sie kritisch. »Evi wollte den schon immer mal trinken«, verkündete er und hielt ihr das Gefäß hin. »Aber ich vermute eher, dass es um die Verzierung an sich ging. Der Name ist mit kleinen Brilliantsteinen verziert.«

    Behutsam legte er die Flasche in die Armbeuge, als wäre es ein Säugling.

    »Mac ist Alkoholiker«, platzte es aus Ivy heraus und sah in das wenig verblüffte Gesicht des Arztes.

    Nickend schritt Rupert mit einer weiteren Flasche auf sie zu und blickte ihr in die Augen. »Es war ein paar Tage, nachdem er bei uns eingezogen war. Ich ging mit Alice spazieren und fand seinen … naja … Flaschencontainer … Er entsorgte seine Reste in einem Schacht unterhalb der Mauer.«

    »Meinst du, dass das zum Problem werden könnte?«

    Rupert zuckte mit den Schultern. »Er ist teils sehr labil. Ich könnte für ihn nicht die Hand ins Feuer legen. Solange er die Trinkerei unter Kontrolle hat, billige ich das. Was anderes bleibt uns eh nicht übrig.«

    Ivy nickte und legte eine Packung Kekse, Kaugummis und Zigaretten in den Einkaufskorb, der an der Kasse stand.

    Gemeinsam schlenderten sie zurück zu den anderen, die auf sie warteten.

    *

    Rupert präsentierte die Sektflaschen und stellte sie auf einen kleinen Tisch.

    Argwöhnisch sahen Elmar, Klaas, Alice und Mac den Doktor an.

    »Auch wenn es sich komisch anhört, sollten wir darauf anstoßen, dass wir heil gelandet sind und denen gedenken, die dabei leider Gottes drauf gegangen sind«, verkündete Rupert etwas schnippisch und fummelte das Papier vom Flaschenhals.

    Verwundert beobachteten die anderen den Doktor.

    »Wissen wir jetzt, wie es weiter geht?«, hakte Klaas nach.

    »Wir werden zu mir nach Hause gehen«, antwortete Ivy und setzte sich auf die Sitzreihe.

    »Fahren«, schnippte Mac dazwischen.

    »Nein. Gehen«, erwiderte Ivy bestimmend. »Die Chancen stehen echt schlecht, einen fahrbaren Untersatz zu finden.«

    »Mit viel Glück finden wir ein älteres Modell, das könnten wir kurzschließen«, überlegte Klaas.

    »Ja, Vincent hat uns das gezeigt«, bestätigte Elmar nickend.

    Mit einem lauten Knall schoss Rupert den Korken an die Decke, versetzte die anderen in Schrecken und schenkte zufrieden jedem einen Schluck in die Plastikbecher ein.

    Zögernd sahen sie sich gegenseitig an und erhoben langsam die Becher. Rupert erhob sein Gefäß und trank einen Schluck. Das prickelnde Gesöff schmeckte nicht so verheißungsvoll, wie er erwartet hatte. Eher muffig und pelzig auf der Zunge. Er verzog sein Gesicht zu einer angewiderten Fratze. Die Mienen der restlichen Gruppen taten es ihm gleich.

    Ivy stellte ihr Getränk auf den Boden. Was für ein ekelhaftes Gesöff. Wer gibt für so was Geld aus?

    »Teilen wir uns auf und suchen Autos«, schlug Klaas vor und schüttete die Tasse im Mülleimer aus.

    Schnaufend erhob sich Mac aus dem Sitz, griff gezielt in den Waffenseesack und zog seine Sniper heraus. Nach Überprüfung des Magazins nickte er Ivy bereitwillig zu. »Lasst uns loslegen. Ich möchte ungern hier schlafen. Es ist kalt und der Tag hat erst begonnen.«

    Stumm nickte sie und verteilte die Waffen.

    ***

    Kapitel 2

    Berlin Schönefeld, Terminal A

    20. November 2014, 9:00 Uhr

    Die Gruppe lief durch den langen, teils verwinkelten Gang in Richtung Sicherheitskontrolle. Über den Duty-Free Shop gelangten sie zu einer Rolltreppe, die am unteren Ende zu den Kontrollen führte. Doch die Fahrtreppe war außer Betrieb und der Raum darunter finster.

    Mit langsamen Schritten stiegen sie die Stufen herab und leuchteten den kurzen Weg aus. Ruben blieb derweil oben stehen und zögerte. Er kläffte von der oberen Stufe aus nach Ivy.

    »Na, komm runter!«, rief sie und klopfte sich auf die Oberschenkel.

    Wieder kläffte er schwanzwedelnd und tippelte nervös auf der Stelle.

    Grinsend erbarmte sich Mac, die beschwerlich langen Rolltreppenstufen erneut hoch zu steigen. Schwanzwedelnd sah der Hund ihn an. Mac nahm das schwere Tier auf den Arm und stieg vorsichtig die Stufen hinab. Seine Beine schmerzten unter dem zusätzlichen Gewicht.

    Dankend lächelte Ivy den Amerikaner an, als er den Vierbeiner nach unten ließ.

    Auf den Förderbändern standen die Kisten, in denen die Passagiere das Handgepäck legen mussten. Die Gepäckwagen waren voller Koffer, die auf ihre Besitzer warteten.

    »Wir sollten nicht durch die Sicherheitsschleusen gehen. Nicht, dass der Alarm losgeht«, warnte Rupert und schlängelte sich zwischen den Gängen hindurch.

    »Ist euch schon aufgefallen, dass es hier keine Infizierten gibt?«, bemerkte Alice und stieg über Taschen.

    »Das stimmt. Wer weiß, wo die alle sind?«, wunderte sich Klaas und sah die große Tür, die zum Check In führte.

    Wieder folgten sie einem kleinen Gang und blieben vor einer Fensterfront stehen, von der aus sie auf den Parkplatz sehen konnten.

    Einige Autos standen auf den Stellplätzen. Transferbusse, die die Passagiere zum Flughafen brachten, warteten in den Einbuchtungen.

    »Mit viel Glück können wir mit einem der Busse von hier verschwinden«, hoffte Elmar und sah sich um.

    Gemeinsam liefen sie an den Check Ins der verschiedenen Airlines vorbei. Die Absperrstangen lagen vor den Schaltern verstreut auf den dreckigen Fliesen. Auf den Förderbändern lagen Gepäckstücke. Die Wechselstuben und Automaten waren versperrt und geschlossen. Selbst der einst prunkvolle Kaffeeladen hatte schon lange keine koffeinhaltigen Köstlichkeiten mehr hergestellt.

    Plötzlich spürten sie eine Detonation, die den breiten Gang erschütterte. Dreck rieselte von der Decke herunter.

    »Was war das?«, wunderte sich Alice.

    »Das Flugzeug. Vielleicht sind die Tanks explodiert«, mutmaßte Ivy gleichgültig und stand vor dem zertrümmerten Fenster der automatischen Eingangstür.

    Der eiskalte Novemberwind pfiff ihnen in die Gesichter und das zersplitterte Glas knisterte unter ihren Schuhen, als sie vorsichtig nach draußen gingen.

    Keine Menschenseele war auf dem Parkplatz zu sehen.

    Schwarze Rauchwolken stiegen auf der anderen Seite der Rollbahn empor. Wortlos sahen sie zum Himmel den Zeichen hinterher.

    »Vielleicht gibt es ja hier irgendwo eine Gemeinschaft, die das sieht …«, hoffte Elmar, als er zum Himmel emporsah.

    »Meinst du, dass welche kommen werden?«, fragte Klaas unglaubwürdig.

    Elmar zuckte mit den Schultern, überquerte die Straße und ging vorbei an den kleinen Kassier- und Toilettenhäuschen zu den Transferbussen.

    Innerlich hoffte der sanfte Hüne auf ein kleines Wunder. Der erste Bus war fest verschlossen. Weder die Heckklappe, noch die Schiebetüren waren zu öffnen. Hoffnungsvoll schritt er zum nächsten Fahrzeug. Die Beifahrertür war verriegelt, doch die Fahrertür war offen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Erwartungsfroh stieg er ein, durchsuchte die Sonnenblenden und das Handschuhfach, ohne Erfolg.

    Klaas kam auf ihn zu und sah ihn mit fragenden großen Augen an.

    »Vielleicht finden wir irgendwo Werkzeug … Ohne das, können wir die Karre nicht kurzschließen«, bemerkte Elmar und kletterte nach hinten. Doch weder unter den Sitzen, noch in einer Bodenklappe fand er Werkzeug, das ihnen hätte nützen können.

    Seufzend sprang er aus dem Fahrzeug aus und schüttelte missmutig den Kopf.

    »Teilen wir uns auf. Irgendwo müssen wir doch fündig werden …«, grummelte Rupert und zog den Reißverschluss seiner Jacke ein Stück höher. »Zu zweit. Wir dürfen nichts riskieren.«

    Während Elmar mit Klaas und Rupert mit Alice ihre Runde drehten, wanderten Ivy und Mac zwischen den Fahrzeugen umher. Ruben folgte seinem Frauchen auf Schritt und Tritt.

    Ivy drehte sich zum Gebäude um und sah die schwarzen Qualmwolken nach oben steigen. Sie seufzte schwer.

    »Wenn es Überlebende sehen, dann vielleicht auch die Infizierten … Meinst du, sie werden davon angelockt?«, fragte Mac verunsichert.

    Keine Ahnung, Mac. Ich bin hin und her gerissen von dem, was ich denken soll, dachte sie und war wie in einen Bann gezogen. Es faszinierte sie, wie der Wind mit der dunklen, aufsteigenden Gestalt einen Tanz vollführte. In diesem Moment vergaß sie die Suche nach einem Fahrzeug und Mac, der sie verwundert anstarrte.

    »Hey«, brummte er und tippte ihr auf die Schulter. »Träumst du?«

    Verlegen schmunzelte sie und lief weiter. Sie lugten in die wenigen Autos, die auf dem Parkplatz standen, zogen an den Türgriffen, die nichts bewirkten. Ivy entdeckte einen 1.2 Renault Clio und prüfte die Tür. Sie war verschlossen.

    »Hattest du echt gehofft, wir passen da rein?«, witzelte Mac und zeigte auf den silbernen Elefantenschuh.

    »Ich hatte früher einen und du würdest staunen, was da alles reinpasst.«

    »Auch wenn ich ein paar Pfund losgeworden bin, würde ich mir da drin die Ohren mit den Knien zuhalten«, erwiderte er lachend und trank unbekümmert einen Schluck Havanah. Im Augenwinkel sah er ihren maßregelnden Blick. »Alles okay?«

    Ivy schüttelte den Kopf. »Anfangs hast du das nicht gemacht.«

    »Was?«

    »Vor unseren Augen getrunken. Jetzt trinkst du, wenn du es brauchst«, erklärte sie und steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel.

    »Mach‘ mir keine Vorwürfe, sonst fange ich mit deinem Zigarettenkonsum an«, erwiderte er und stapfte an ihr vorbei. »Wie ich dir schon einmal sagte. Jeder hat seine eigene Methode, damit umzugehen. Ich hab‘ meine, du hast deine.« Lässig lehnte er am Kotflügel eines VW Golfs und prostete ihr mit der Flasche zu. Nachdem er einen kräftigen Schluck vernichtet hatte, schüttelte er sich einen Augenblick.

    Spüre ich eine Art Verbindung zwischen uns? Haben wir genau das Gleiche verloren und fühlen denselben Schmerz in uns? Du erinnerst mich an einen guten Freund, der mir sehr fehlt. Und damit meine ich nicht Sebastian. Er war mein bester Kumpel. Er hatte ebenso diese Art an sich. Groß, kräftig, loyal und bodenständig. Er stand immer hinter seiner Meinung und den Leuten, die ihm wichtig waren.

    Grübelnd lehnte Ivy neben dem Amerikaner, der auf sie herabblickte, wie ein Vater auf seine Tochter. Er hielt ihr die Flasche hin, aber sie lehnte dankend ab.

    »Ich kenne diese Blicke nur zu gut, Ivy. Lois hat mich auch immer so angesehen. Sie hasste es, wenn ich trank … Und ich trank viel. Aber ich bin ihr gegenüber nie ausfallend geworden, habe ihr nie wehgetan oder sie gar geschlagen.«

    »Warum machst du es?«

    Nachdenklich sah er auf die Flasche. Die klirrende Kälte stach in seinen Pranken. »Anfangs habe ich den Schmerz damit runtergespült. Dann wurde es zur Gewohnheit und es ging mir einfach besser damit. Befriedigung. Genau wie beim Rauchen.«

    Sie schaute an ihm empor und blickte in seine dunklen Augen. Sie sah den Schmerz, aber sie konnte ihn nicht deuten. Es war ein älterer Seelenschmerz.

    »Was ist passiert?«, hakte sie nach.

    Mac sah sich auf dem Parkplatz um, beobachtete die anderen, die die Fahrzeuge checkten. Er erspähte den Rauch, der mal mehr und mal weniger wurde. Er nahm einen kräftigen Schluck und signalisierte ihr mit einem Kopfnicken, weiter zu gehen.

    »Lois und ich wollten keine Kinder. Sie hatte einen Gendefekt, der auch auf das Kind übergegangen wäre. Wir richteten unser Leben danach und kümmerten uns um die Kinder an unserer Schule.«

    Zwischenzeitlich prüften sie immer wieder die Türen und merkten gar nicht, dass sie sich weiter vom Flughafen entfernten, als ihnen lieb war.

    »Eines Tages hatte sie diese Kontrolluntersuchungen und kam vollkommen aufgelöst nach Hause. Sie war schwanger und das im fünften Monat.«

    Erstaunt riss Ivy die Augenbrauen hoch. Wie kann man das so lange nicht merken? Mir ging es bei Konrads Schwangerschaft die ganze Zeit vollkommen mies.

    Mac kreuzte die Arme auf dem Rücken, hielt dennoch seine Flasche fest in der Hand und schlenderte weiter zu den parkenden Autos. »Nächtelang sprachen wir über dieses Wunder. Wir freuten uns auf dieses Kind, auch wenn wir ein hohes Risiko eingingen. Wir richteten ein Kinderzimmer ein. Ich hatte nie damit gerechnet, Vater zu werden, und dennoch war ich es, auch wenn das Würmchen noch im Bauch war.« Warmherzig blickte er sie an und seine Augen leuchteten voller Liebe. »Am Tag ihrer Geburt war ich der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt. Diese kleinen Hände, diese Nase und dieses Engelslächeln, wenn sie auf meiner Brust lag und ich ihre Wange streichelte.«

    Sein verträumtes Lächeln verblasste plötzlich und er blieb stehen. Das Funkeln hatte aufgehört, als er zu Ivy schaute. »Sie war schwer nierenkrank. Und ich … wir fühlten uns verdammt hilflos … Wir hofften, dass es doch noch eine Heilung gab und Lois betete jeden Abend dafür ... Als sie drei Monate alt war, fand ich sie morgens in ihrem Bettchen.« Mac schloss seine Augenlider und pausierte, bevor er Ivy tränenerfüllt ansah. »Sie schlief so lange und ich sah nach ihr. Doch … da war nichts mehr … Sie sah aus wie eine kleine Puppe, die schlief.« Der Amerikaner atmete tief ein und aus und versuchte sich zu sammeln. »An diesem Morgen verloren wir unser größtes Glück. Lois war noch bei ihrer Mutter. Ich war noch nicht mal in der Lage, den Krankenwagen zu rufen. Ich legte unser Wunder in die Babyschale und brachte sie ins Krankenhaus. Sie konnten nichts mehr für sie tun.«

    Mitleidig schritt Ivy auf ihn zu und nahm ihn tröstend in die Arme, wobei sie sich auf Zehenspitzen stellen musste.

    »Ich höre manchmal Lois verzweifelte Schreie, als sie ins Krankenhaus kam und sie tot im Bettchen liegen sah. Und ich begann mich zu betäuben, bis es zur Gewohnheit wurde.«

    Seine Umarmung wurde fester, als stünde nicht Ivy vor ihm, sondern seine Frau. Die, der er nicht sagen konnte, was er fühlte. Plötzlich ließ er von ihr und sah Ivy tief in die Augen. »Ich suchte mir einen Fluchtpunkt. Viele wussten es, doch ich konnte es nicht ändern … Weil ich es nicht wollte. Und sie akzeptierten es. Ich hoffe, dass ihr es auch einfach hinnehmen könnt.«

    Es tut mir wahnsinnig leid, was ihr durchgemacht habt. Niemand sollte solch ein Schicksal ereilen.

    »So lange niemand deswegen in Gefahr kommt, akzeptiere ich das. Aber ich verspreche dir, dass, wenn jemand dadurch in Lebensgefahr kommt, du der Letzte sein wirst, der Hilfe erwarten kann«, sprach sie mit fester Stimme.

    Mac bäumte sich vor ihr auf, um tief Luft zu holen. »Ich denke, dass ich damit leben kann.«

    Beklemmend nickte Ivy ihm zu und lief zu einem weiteren Auto. Doch auch diese Tür war fest verschlossen. Laut vor sich her prustend sah sie sich um. »Vielleicht haben wir in der Stadt mehr Glück«, mutmaßte sie und sah zu Mac auf, der seinen wuchtigen Schädel in die kalte Luft emporhob und innehielt. Skeptisch runzelte sie die Stirn. »Was ist los?«

    »Hast du das gehört?«

    Ivy horchte und vernahm einen Aufschrei, der zwischen den Hotels am Flughafen vom Wind zu ihnen getragen wurde.

    Sie schnellten zwischen den parkenden Fahrzeugen zur Pension auf der gegenüberliegenden Seite des Airports. Und hörten wieder die Hilfeschreie.

    ***

    Kapitel 3

    Berlin-Schönefeld, InterCity Hotel

    20.November 2014, 11:30 Uhr

    Auf der Kreuzung stehend, erspähten sie eine Person, die in das Hotel flüchtete, dicht gefolgt von einer Horde.

    Ivy sah zu Mac, der seine Sniper entsicherte und auf das Gebäude zu schnellte. Ivy sprang über das von Unkraut überwucherte Blumenbeet und sah, wie sich die Horde durch die Tür drängte.

    Der Amerikaner hockte nieder, zielte mit der Waffe und schoss nacheinander drei Infizierten zielsicher in den Schädel. Vorsichtig und mit schnellem Atem näherten sie sich dem Gebäude, welches sich wie ein unheimliches weißes Wesen aufbäumte.

    Sie stiegen über die Leichen und blieben in der Tür stehen. Die kleine Horde hatte sich vor einer Tür versammelt. Sie schlugen ihre verfaulten Gliedmaßen gegen den Rahmen und das Türblatt, schmierten im Wahn das Blut überall herum.

    Mac tippte Ivy an und zeigte zum Rezeptionstresen. Auf leisen Sohlen schlichen sie sich dahinter. Stumm zeigte der Amerikaner auf die Klingel und setzte das Gewehr an.

    Ivy tippte darauf und einige der Kreaturen drehten sich zu ihnen um. Wankend und mit offenem Maul stürmten sie auf die beiden los.

    Mac schoss einen nach dem anderen nieder, bis die Horde auf null dezimiert worden war.

    Sichtlich beeindruckt blickte Ivy auf die zahlreichen Toten.

    Langsam senkte er seine Sniper und schlich um den Tresen herum. Er sah sich die Kreaturen näher an. Es waren Zivilisten.

    Ivy schritt auf die Tür zu, die durch das Blut ein unansehnliches Aussehen hatte. Der Gestank der Fäulnis lag in der Luft. Wachsam horchte sie an der Tür und hörte ein aufgeregtes Atmen.

    »Es ist vorbei. Du bist in Sicherheit«, sagte sie und hörte etwas rumpeln. Hast du das jetzt wirklich in Englisch gesagt? Hast du nicht realisiert, dass wir in Deutschland angekommen sind? Wie auch? Sieht ja genauso aus wie in den USA. Alles ist zerstört und menschenleer.

    Doch Mac hielt sein Gewehr immer noch schussbereit vor der Brust.

    Die Tür öffnete sich ein Stück nach außen. Doch sie stockte. Eine Leiche versperrte ihr den Weg.

    Ivy packte diese beherzt am Kragen und zerrte

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