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Lethal Vacation: Der Anfang vom Ende
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eBook256 Seiten3 Stunden

Lethal Vacation: Der Anfang vom Ende

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Über dieses E-Book

Die vierunddreißigjährige Ivy und ihr Mann befinden sich mit ihrer Reisegruppe auf den Rückflug ihrer USA Rundreise, als ihr Flug aufgrund eines unbekannten Virus und dem daraus resultierenden internationalen Flug Verbots, abgebrochen wird. Untergebracht mit tausenden anderen Passagieren müssen sie in einem Flüchtlingscamp in Dallas ums nackte Überleben kämpfen. Nur durch Corporal Railey gelingt ihnen die dramatische Flucht und eröffnet ihnen eine grauenhafte Welt, die nun von Toten beherrscht wird. Einzig das Evakuierungszentrum in Albany, New York, weckt in ihnen die Hoffnung zurück zu ihren Kindern zu kommen. Doch der Weg ist lang und die Verluste hoch. Schon bald müssen sie erkennen, dass nicht nur die Kreaturen eine Bedrohung dar-stellen, denn auch Umwelteinflüsse und mensch-liche Abgründe gefährden ihren Weg nach Europa.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Mai 2020
ISBN9783752953930
Lethal Vacation: Der Anfang vom Ende

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    Buchvorschau

    Lethal Vacation - Josephine Lessmann

    Kapitel 1  

    San Francisco, Hotelzimmer

    27. August 2012, 08:00 Uhr

    San Francisco war die letzte Station ihrer Amerika-Reise. Die Sonne erhellte das schlicht eingerichtete Apartment. Ivy schlief tief und fest, während Sebastian unter der Dusche stand.

    Sie waren spät ins Bett gekommen. Es war der letzte Abend vor dem Abflug und er sollte gebührend gefeiert werden.

    Die Sonnenstrahlen schienen ihr ins Gesicht. Nach einer Weile öffnete sie zaghaft die Augen. Sie reckte und streckte sich, setzte sich auf und ihre müden Augen wanderten umher. Die Räumlichkeit gefiel ihr, mit der kleinen Theke, den tiefen Fenstern und der Schiebetür, die zum Balkon hinausführte, von dem aus man das Meer sehen konnte.

    Ivy stand auf, richtete ihre Boxershorts und ging zur Balkontür. Sie seufzte. Dass der Urlaub so schnell vorbei ging, hätte sie nie gedacht. Anfangs war sie skeptisch so lange von zu Hause und den Kindern weg zu sein. Und nun war schon alles vorbei. Das Plätschern der Dusche hörte auf und ließ sie aufhorchen. Sie beschloss, sich einen Kaffee zu machen, bis Sebastian zu ihr kam. Hinter der Theke gab es einen Wasserkocher sowie Instantkaffee. Er war nicht schlechter, als der im Speisesaal des Hotels.

    Nachdem sie sich etwas Granulat unter dem aufgekochten Wasser mit Milch und Zucker verfeinert hatte, setzte sie sich auf die Terrasse und zündete sich eine Zigarette an. Es erinnerte sie an das vorherige Hotel in Las Vegas, welches an einer viel befahrenen Hauptstraße lag.

    Auch wenn sich das Jetzige ebenfalls an einer Hauptverkehrsader befand, so war es doch bedeutend leiser.

    Für einen Boulevard ist aber recht wenig los heute, dachte sie und runzelte die Stirn.

    Sie sah die Strandpromenade entlang und vernahm das intensive Rauschen der Wellen – je nachdem wie der Wind wehte.

    Dabei trieb die leichte Brise den typisch salzigen Geruch zu ihr herüber. Plötzlich ging die Schiebetür hinter ihr auf und Sebastian trat mit nassen Haaren aus dem Zimmer.

    Er gab ihr einen Kuss, setzte sich und streichelte behutsam ihre Hand. Sein Blick wanderte zum Meer, dessen Rauschen ihn kurzzeitig nachdenklich stimmte.

    »Wie spät ist es eigentlich?«, fragte sie.

    Er schaute auf die schwarze Lederarmbanduhr, welche er von ihr zum fünfzehnten Jahrestag geschenkt bekam. »8:15 Uhr. Wir sollten unser letztes Hotelfrühstück genießen! Das Essen im Flugzeug war bis jetzt nicht der Renner«, bemerkte er und schmunzelte vor sich her.

    »Wann geht der Flug?«, erkundigte sich Ivy, während sie die Zigarette im Aschenbecher ausdrückte.

    »Um zwei, aber wir müssen zwei Stunden eher da sein«, erwiderte er.

    Ivy nickte, zündete sich einen zweiten Glimmstängel an, nachdem sie einen Schluck Kaffee getrunken hatte.

    Auch Sebastian nahm sich eine aus der auf dem Tisch liegenden Schachtel und inhalierte genüsslich den ersten Zug. »Wahnsinn, wie die Zeit vergangen ist. Sind wirklich schon achtzehn Tage um?«, staunte er nach einer Weile, ohne seinen verträumten Blick vom Meer abzuwenden.

    »Ja, verrückt, oder?«, stutzte sie ungläubig. »Ich rufe meine Mutter an. Bei ihr sollte es jetzt schon Nachmittag sein, oder?«

    Sebastian nickte.

    »Die Kinder freuen sich bestimmt schon, dass wir bald wieder da sind«, fügte sie hinzu.

    »Ja, aber du weißt, dass sie auf Werkseinstellung zurückgestellt sind«, lachte er. »Das wird eine harte erste Woche, wenn wir wieder da sind.«

    Ivy lächelte. »Ja, das wird es«, bemerkte sie amüsiert. Sie holte ihr Handy hervor, scrollte im Telefonbuch und wählte die Nummer. Es klingelte ein paar Mal, doch dann brach der Anruf ab. Verwundert schaute sie auf ihr Smartphone und versuchte es erneut. Wieder klingelte es einige Male und wieder brach der ausgehende Ruf ab.

    »Hmm, es geht nicht«, stellte sie verwundert fest. »Ich schreibe ihr mal eine Nachricht.«

    Jetzt nahm Sebastian sein Mobiltelefon zur Hand und versuchte es mit der Nummer seiner Eltern. Bei ihm klingelte es ein paar Mal, und auch in seiner Verbindung wurde es plötzlich still. Er versuchte es erneut, aber diesmal klappte es endlich.

    »Seger«, meldete sich seine Mutter, als sie den Hörer abnahm.

    »Hey, Mutter! Wie geht’s euch?«, fragte er, sichtlich erleichtert.

    »Hallo, Basti! Uns geht es gut. Müsst ihr heute wieder zurück?«

    »Ja, der Flieger geht um zwei Uhr. Wir gehen jetzt gleich Frühstücken und dann packen wir zusammen. Nur gut, dass wir nicht alles mitgenommen haben, was wir eigentlich wollten.«

    »Das glaube ich!« Am anderen Ende war ein Lachen seiner Mutter zu hören. »Ich war bei den Kindern. Die freuen sich schon riesig auf euch! Konrad hat fast jeden Tag ein Bild für euch gemalt.«

    »Oh, da war er aber fleißig! Ivy hat versucht, ihre Eltern anzurufen, aber sie kommt nicht durch.«

    »Das ist schon seit einigen Tagen so. Irgendwie ist da der Wurm drin! Und … stell‘ dir vor: Wir haben wieder eine Spanische Grippe, … oder so ähnlich!«

    »Hä, was meinst du?«, reagierte er verwundert.

    Ivy sah ihn stutzig an.

    »Na, hast du davon noch nichts mitbekommen?«

    »Entschuldige mal! Wir sind im Urlaub! Da beschäftige ich mich nicht mit Nachrichten«, hielt er lachend dagegen. »Erzähl mal!«, forderte er seine Mutter auf.

    »Es hat plötzlich so viele Leute erwischt. Ist wohl eine Krankheit, die sich wie eine Epidemie rasend ausbreitet. Erst waren nur Spanien und Frankreich betroffen, jetzt auch Österreich. Und in China und Japan soll es ganz übel aussehen! Dort hat man schon die Flughäfen gesperrt. Außerdem wurden Quarantänezentren eingerichtet, um die Erkrankten zu isolieren!«, erzählte seine Mutter aufgebracht. »Mehrere Zeitungen schreiben, dass diese Seuche schon viel länger grassieren soll, als man uns glauben machen will! Stell‘ dir das mal vor!«, echauffierte sich Trude.

    »Also wie Ebola?«, hakte Sebastian nach, während er sich nachdenklich am Kopf kratzte.

    »Wird wohl so was Ähnliches sein«, mutmaßte sie. Ein schweres Seufzen bahnte sich seinen Weg durch die Leitung.

    »Hmm, das werde ich mal recherchieren. Wir werden jetzt erstmal in aller Ruhe frühstücken, und dann sind wir schon bald wieder zu Hause!«

    »Alles klar! Und passt mir beide gut auf euch auf!«

    »Was soll schon passieren, wir fliegen doch nur. In Washington haben wir einen längeren Aufenthalt, aber da verlassen wir das Terminal nicht.«

    »Dennoch! Passt auf euch auf! Hab euch lieb!«

    »Wir dich auch! Bis bald!«

    Er beendete das Gespräch, sah seine Frau an, die ihn verwundert anschaute und begann zu lächeln.

    Sie erhob sich schulterzuckend, drückte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange und begab sich ins Bad.

    Währenddessen sie unter der Dusche stand, googelte er auf seinem Smartphone die aktuellen Nachrichten. Ganz oben in der Liste fand er einige Berichte, die sich mit einer Krankheit befassten, die in Spanien, China, Japan, Frankreich, Kanada, USA und Afrika grassierte. Die Betroffenen klagten über extrem hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Er zuckte kurz mit den Schultern und legte sein Handy beiseite ohne den Artikel bis zum Ende gelesen zu haben. An seinem letzten Urlaubstag wollte er sich seine gute Laune durch derartige Nachrichten definitiv nicht verderben lassen.

    Seufzend schaute er wieder auf das Meer und trank den letzten Schluck Kaffee aus Ivys Tasse. Er schüttelte sich. Viel zu süß, und wie immer hatte sie die Hälfte stehen gelassen, sodass er kalt geworden war. Am liebsten hätte er ihn sofort weggeschüttet, aber das war ein No-Go. Sie trank das Zeug selbst dann, wenn er eiskalt war. So war sie eben. Er kannte es nicht anders, seit fünfzehn Jahren. Und nicht nur dafür liebte er sie: Ohne ihren morgendlichen Kaffee war sie kein Mensch! Übel gelaunt und ungenießbar!

    Er hatte sie damals während der Arbeit kennengelernt. Die Firma, in der er beschäftigt war, deckte das Dach des Kindergartens neu ein, indem Ivy als Sozialpädagogin ihre Anstellung hatte.

    Sie hatte ihm auf den ersten Blick gefallen und er hatte es gewagt sie anzusprechen. Nach einigen Telefonaten und unzähligen Kurznachrichten war mehr daraus geworden. Er mochte ihre langen dunkelbraunen Haare und liebte die weiblichen Rundungen an ihr. Sowie ihre Grübchen, die sich bei jedem Lächeln auf ihren Wangen zeigten. Zwar hatten zwei Schwangerschaften ihren Körper nachhaltig verändert, aber an seiner innigen Zuneigung zu ihr hatte sich nicht das Geringste geändert – völlig gleichgültig, dass sie keine Konfektionsgröße achtunddreißig mehr trug.

    Sebastian dachte über die letzten achtzehn Tage nach und schwelgte schmunzelnd in großartigen Erinnerungen. Und nun war dieser tolle Urlaub zu Ende, ohne dass die Kinder dabei waren. Wenngleich das einige ihrer Arbeitskollegen und Freunde nicht begrüßt hatten. Der Reisetermin war in die Schulzeit gefallen, und ihre Kleinen aus dem Unterricht zu nehmen war nicht möglich gewesen.

    Während ihres Auslandsaufenthaltes hatten sie ihren Nachwuchs bei Sebastians und Ivys Eltern einquartiert – zeitweilig mal bei den einen, dann bei den anderen.

    Er stand auf und ging dazu über die Koffer zu packen.

    Ivy trocknete sich die Haare ab, als sie aus dem Bad kam. Auf dem Weg um das Bett herum, legte sie das Handtuch ab und zog sich ihre bereitgelegten Sachen an. Schmunzelnd beobachtete sie ihren Mann für einen Moment. »Das können wir doch nachher machen«, kam es von ihr gedämpft, als sie das T-Shirt anzog.

    Er hob den Kopf und sah ihr verträumt dabei zu, wie sie ihre Haare kämmte. Die T-Shirts in seiner Hand legte er in den Koffer. Langsam schritt er um das Bett herum, um sie lange und innig in seine Arme zu schließen.

    Sie sah in seine braunen Augen und grinste verschmitzt. Da war dieser sanftmütige Blick von ihm, in den sie sich verliebt hatte.

    Er hatte sich im Laufe der Jahre ebenso verändert. Zwei Schwangerschaften hinterließen bei ihm merkbare Spuren: eine kräftigere Figur mit kleinem Bauchansatz. Ivys Gelüste auf Süßes und Deftiges, als sie in anderen Umständen war, sind regelrecht auf seine Hüfte übergesprungen.

    Ivy liebte es, wenn sie des Abends ihren Kopf daran kuschelte und er mit ihren Haaren spielte. Ein Leben ohne ihn konnte sie sich nicht mehr vorstellen, denn so wie es lief, war es perfekt. Auch wenn es ihr auf die Nerven ging, dass er stets seine Sachen auf den Boden warf und es nie schaffte, den Müll rauszubringen. Oder dass er die Wurst und den Käse nicht wegräumte, nachdem er sich zum Frühstück für die Arbeit Brote geschmiert hatte. Aber all diese kleinen Laster vervollständigten das Ganze.

    »Ich freue mich auf zu Hause«, seufzte er und küsste sie.

    »Ich mich auch. Lass uns frühstücken.«

    ***

    Kapitel 2  

    San Francisco, Frühstückssaal des Hotels

    27. August 2012, 9:15 Uhr

    Im Frühstückssaal des Hotels saß ihre Reisegruppe an einer für sie eigens gestellten großen Tafel.

    Sebastian und Ivy gingen erst an das üppige Buffet und suchten sich etwas aus.

    Sie gönnte sich Rührei und Speck, mit etwas Obst dazu, wie jeden Morgen auf dieser Reise. ›Low Carb‹, erinnerte sie sich still an ihren Ernährungsvorsatz. Zumindest am Morgen. Sie fühlte, dass sie dadurch schon das eine oder andere Kilo abgenommen hatte.

    Zusammen gesellten sie sich zu der Gruppe, die bester Laune war.

    Es wurde ausführlich über den gestrigen Abend gelacht, den sie vorzeitig verlassen hatten.

    »Hallo ihr Zwei! Ihr hättet gestern Abend ruhig noch etwas bleiben können. Ihr habt was verpasst!«, begrüßte Rupert lachend die beiden und trank seinen Kaffee.

    »Ja, Christoph hat nackt im Pool gebadet und der Typ von der Bar hat ihm damit gedroht die Cops zu holen, wenn er da nicht augenblicklich rauskommt«, platzte es aus Elmar heraus, und die Gruppe verfiel in allgemeines Gelächter.

    »Scheint ja wirklich ein lustiger Abend gewesen zu sein. Aber wir waren echt müde«, erwiderte Sebastian und schmunzelte Ivy zu.

    *

    Sie lernten die Gruppe über ein Reiseportal im Internet kennen. Sebastian war dagegen mit unbekannten Leuten in den Urlaub und auch noch in ein fremdes Land zu fliegen.

    Ivy war da offener. Sie brauchte lange, um ihren Mann zu überreden.

    Sie fanden am Ende neue Freunde unter den Unbekannten.

    Jerome und Ava kamen aus Frankreich und studierten beide in Berlin. Sie waren auf ihrer sehr untypischen Hochzeitsreise.

    Ava, die einunddreißigjährige Französin, hatte eine Modelfigur und war eher der zurückhaltende Typ. Jedoch konnte auch sie zur Furie werden, vor allem wenn Jerome ihr durch den blonden Bob fuhr. Penibel frisierte sie jeden Morgen ihre Haare und schminkte dezent ihre zarten Gesichtszüge, bevor sie zum Frühstück gingen. Sie legte stets großen Wert auf perfekt sitzende, modisch abgestimmte Kleidung. Schlabberlook kam für sie nie in Frage. Nicht mal am Wochenende. Neben ihrem Studium der Wirtschaftsinformatik modelte sie für kleine Modezeitschriften.

    Jerome trug einen ›Undercut‹ als Frisur und seine schwarzen Haare stets zum Zopf zurückgebunden. Der zweiunddreißigjährige Franzose, der sich erst spät für ein Studium von Sozialmanagement entschieden hatte, mochte am liebsten enganliegende Jeans in dunkelblauem ›Used-Look‹ und seine schwarz-weißen ›Convers Chucks‹. Scheinbar hatte er sich im Laufe der Jahre den modischen Geschmack seiner Frau angeeignet. Seine Oberteile passten stets zum Gesamtkonzept seines Kleidungsstils. Auf seinen Unterarmen konnte man großflächige Tätowierungen im japanischen Stil bestaunen. Vom Äußeren schienen sie nicht zueinander zu passen. Sie, das feine Supermodel und er ein gepflegter ›New Metal‹-Verschnitt á la ›Linkin Park‹. Aber charakterlich ergänzten sie sich in jeglicher Weise. Es bedürfte nur ein Blick und beide wussten, wie es dem anderen ging.

    Ivy hörte den beiden unheimlich gern beim Erzählen zu. Sie mochte deren französischen Akzent.

    Rupert und Evelyn waren ein älteres Ehepaar, welches sich die Reise nach Jahren harter Arbeit endlich gönnten. Ivy schätze beide auf Anfang sechzig. Seit dreiundvierzig Jahren waren sie verheiratet und vor zwanzig Jahren wanderten sie nach England aus. Rupert war dort als Hausarzt tätig und seine Frau war Apothekerin. Er war für Ivy der Inbegriff eines Hausarztes. Da war zum einen sein markantes Gesicht, mit dem ergrautem Vollbart, zu dem der peppige Kurzhaarschnitt so gar nicht passen wollte. Seine gütig dreinblickenden Knopfaugen verbarg er hinter einer Hornbrille. Zum anderen der nicht unerhebliche Bauchumfang, der, in Verbindung mit seinem drolligen Gang, alle zum Lächeln brachte. Es erinnerte an einem vom Stolz aufrecht marschierenden Gänserichs, wenn er umher watschelte.

    Seine Frau Evelyn, liebevoll Evi genannt, hätte genauso gut in einem Märchen der Gebrüder Grimm das alte Mütterchen spielen können. Ihre weißen Locken saßen stets perfekt und ihre Kleidung war modern und spritzig. Ihr Gang war elegant und vornehm und ihre Figur für das Alter bewundernswert. Neben Rupert wirkte sie wie ein schlankes junges Reh. Sie avancierte schnell zu einer Art Mutter-Figur in der Gruppe. Das warmherzige Mütterchen, welches immerzu ein offenes Ohr für alle Sorgen hatte, die an sie herangetragen wurden.

    Ivy bewunderte die Ehe der beiden. Sie nahm sich vor, auch mit Sebastian in dem Alter noch so jugendlich zu sein.

    Ivys Blick wanderte zu den aus Nürnberg stammenden Klaas und Elmar. Die beiden waren seit mehr als zehn Jahren zusammen und vom Äußeren her vollkommen gegensätzlich. Klaas war ein kleiner schüchterner Mann, ein Mittdreißiger, zierlich, beinahe drahtig, der mit seinem kurzen, blonden Haaren wie ein kleiner frecher Schuljunge wirkte. Elmar war gut zehn Jahre älter. Ein kräftig gebauter Hüne mit sanftem Gemüt, neckischem Kinnbart, der für jeden Blödsinn zu haben war. Der Schalk saß ihm wahrlich im Nacken.

    In ihrer Beziehung zueinander hatte Klaas den Part des Besonnenen angenommen. Er war die Stimme der Vernunft, damit Elmar sich nicht in allzu große Schwierigkeiten brachte. Für manch einen war es offensichtlich, wer den Platz des weiblichen Parts eingenommen hatte. Der zierliche ›Bodyguard‹ wurde auf der Reise schon des Öfteren belächelt, wenn er seinen Partner wieder einmal zurückhalten musste.

    Melanie war eine pragmatisch eingestellte Single-Frau, die mit ihrer feurigen, temperamentvollen Art schon so manchem in der Gruppe Paroli bieten konnte. Ihre halblangen rötlichen Haare passten zu ihrem Charakter wie die Faust aufs Auge. Die vierunddreißigjährige war ein sportlicher Typ, gönnte sich im Urlaub den einen oder anderen Hamburger mit Pommes, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

    Scheinbar zählten Ava, Melanie und Sarah zu den Frauen, die bedenkenlos schlemmen konnten, ohne gleich zuzunehmen.

    Wenn ich mir das doch auch mal leisten könnte. Einfach nur genießen, was ich jetzt gern essen möchte. Aber ich brauche ja nur hinzusehen und habe schon drei Kilo mehr auf den Rippen!, beneidete sie Ivy.

    Thomas war einer der ruhigen Personen in der Reisegruppe. Ein stiller Beobachter, der schon kurz vor seinem Vierzigsten eine Halbglatze sein Eigen nannte, was ihn aber keinen Deut scherte. Er wirkte introvertiert und überließ Entscheidungen, die die Reise betrafen, lieber den anderen. Man merkte es ihm an, wenn der Tag anstrengend für ihn war. Er zog sich zurück in sein Hotelzimmer und wollte für sich sein.

    Ivys Blick schwenkte zu dem zweiunddreißigjährigen Sven, der großen Wert auf perfekt sitzendes Haar legte. So stand er stundenlang im Badezimmer, um seine Matte zu frisieren. Penibel legte er jede einzelne Strähne in Form und sein Fundus an verschiedenen Haarpflege-

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