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Der Drang nach Freiheit: Das harte Leben bis zum Fall der Mauer
Der Drang nach Freiheit: Das harte Leben bis zum Fall der Mauer
Der Drang nach Freiheit: Das harte Leben bis zum Fall der Mauer
eBook520 Seiten7 Stunden

Der Drang nach Freiheit: Das harte Leben bis zum Fall der Mauer

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Über dieses E-Book

Wie lebte es sich in der DDR? Dieter wollte nichts anderes, als ein normales Leben führen. Seine Jugend war durchaus als interessant und spannend einzustufen. Doch mit dem Eintritt ins Berufsleben, begannen die zermürbenden Schikanen der Behörden. Auch die Liebesgeschichte mit seiner Doris, begann sehr romantisch und endete dramatisch. Bis zum Fall der Mauer musste sich Dieter gegen den Stasi und sonstige Behördenwillkür wehren.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Sept. 2019
ISBN9783748561859
Der Drang nach Freiheit: Das harte Leben bis zum Fall der Mauer

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    Buchvorschau

    Der Drang nach Freiheit - Geri Schnell / Dieter Thom

    Einleitung

    Der Drang nach Freiheit

    Eine wahre Lebensgeschichte erzählt von

    Dieter Thom

    ausgeschmückt von

    Geri Schnell

    Eine wahre Geschichte, erlebt von Dieter, die Namen der in die Handlung einbezogenen Personen wurden geändert.

    Im November 2011 sass ich mit meiner Frau im Restaurant Safety Stop in Tulamben an der Nordostküste von Bali. Wie es in Bali üblich ist, redet man mit den andern Gästen im Restaurant. So sprachen wir auch mit einem Mann aus Deutschland. Er stellte sich als Dieter vor und schon bald entwickelte sich ein intensives Gespräch. Als Schweizer hatte ich bisher wenig Kontakt mit Ostdeutschen. Ich merkte schnell, dass Dieter ein interessantes Leben hinter sich hatte. Zum Glück tauschten wir auch die Mailadressen aus.

    Zurück in der Schweiz, beschäftigte mich das Leben von Dieter weiter. Ich schickte ihm ein Mail und fragte ihn, was er davon halte, wenn ich sein Leben in einem Roman festhalten würde. Das Schreiben von Romanen ist seit einigen Jahren mein Hobby. Bis jetzt schrieb ich ausschliesslich Geschichten, welche in meiner Phantasie Gestallt annahmen und frei erfunden, respektive, erstunken und erlogen, waren. Ich fand, es würde mir gut tun, einmal eine wahre Geschichte zu schreiben.

    Schon nach wenigen Tagen schrieb Dieter, dass er an diesem Projekt interessiert sei. Gleichzeitig schickte er die ersten Zeilen, wie er in Halle in der DDR, aufgewachsen war. Damit stand fest, dass ich die Lebensgeschichte von Dieter schreiben werde.

    Wir kamen gut voran, er schickte mir einen kurzen Bericht und ich machte daraus eine ausführliche Geschichte. Die ausführliche Geschichte schickte ich Dieter und er machte einige Korrekturen. Das Team funktionierte ausgezeichnet und rund ein Jahr später war die Geschichte fertig geschrieben. Im Nachhinein ist es schwierig festzustellen, was sich genau ereignet hatte, ich identifizierte mich total mit Dieter. Vermutlich wagte er nicht immer, mich zu korrigieren, wenn ich ein Ereignis zurechtbog, so kann man nicht jede Einzelheit auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Das ist auch nicht nötig, wichtig ist, dass es beim Leser ein Mitgefühl auslöst. Für mich war es eine sehr spannende Zeit. Als Schweizer konnte man sich die Lebensbedingungen in der DDR nur schlecht vorstellen.

    So entstand eine Geschichte mit vielen Emotionen. Liebe, Trauer und Wut, wechselten sich mit teilweise banalen Ereignissen ab. Wie konnte man als direkt betroffene Person in einem solchen Umfeld leben, respektive überleben? Unglaublich, die Angst bei Demonstrationen, die bangen Stunden bei den Verhören mit dem Stasi, die Freude, als die Mauer endlich fiel, alles Erlebnisse, welche nur schwer in Worte zu fassen sind.

    Inzwischen ist die DDR Geschichte. Es bringt nichts mehr, wenn man sie kritisiert und brandmarkt. Wichtig ist, dass man die Lehren daraus zieht, dass ähnliche Tendenzen rechtzeitig erkannt werden und unterbunden werden, bevor Gruppierungen ihre Macht soweit ausgebaut haben, dass sie nicht mehr gestoppt werden können. Nicht alles in der DDR war schlecht. Ein Leben, in dem nicht nur Luxus zählt, kann auch sehr schön sein, setzt aber ein intaktes Umfeld voraus, in dem man sich wohl fühlt und sich gegenseitig respektiert.

    Die Menschheit wird in den nächsten Jahren viele Probleme lösen müssen. Die Sorge der Jugend um die Umwelt ist berechtigt, es kann nicht mehr lange so weiter gehen. Nur, wer bestimmt, wie die Probleme gelöst werden? Es braucht neue Vorschriften, wie man mit Abfall und Ressourcen umgeht. Es wird neue Gesetze brauchen und die müssen umgesetzt werden. Wie verhindert man, dass sie dazu benutzt werden, um die Bevölkerung zu berauben und zu unterdrücken? Eine schwierige Aufgabe, die viel Konfliktstoff beinhaltet. Trotzdem, es bleibt uns langfristig nichts anderes übrig! Ohne den Lebensstandard zu reduzieren, wird es nicht gelingen, den Raubbau an der Natur zu stoppen. Der Planet Erde, muss wieder sein Gleichgewicht findet.

    Mutti geht arbeiten

    «Guten Abend Maria», begrüsste Siegfried seine Frau, als er von der Arbeit im Zollamt nach Hause kam, «gibt es Neuigkeiten? Du hast so einen geheimnisvollen Blick?»

    «Ja, Schatz», bestätigte seine Frau, «im Lebensmittelladen haben sie mich gefragt, ob ich nicht aushelfen könnte. Die Frau Konrad muss ins Spital und fällt längere Zeit aus.»

    «Willst denn?», fragte Siggi, «wird es nicht zu viel? Und wer schaut zu Wolfi und vor allem zum Dieterchen?»

    «Das habe ich schon organisiert», erklärte Maria und gab Siggi einen Kuss, «Wolfi geht eh zur Schule und kommt allein zurecht. Im katholischen Pfarrheim haben sie neu einen Kindergarten eingerichtet. Auf dem Heimweg ging ich vorbei und frage wie viel das kosten würde, wenn Dieterchen dort betreut würde?»

    «Und – bleibt am Ende noch etwas übrig?»

    «Ja – Der Kindergarten wird vom Staat unterstützt. Dafür müssen sie sich an gewisse Auflagen halten.»

    «Du möchtest also arbeiten?», Siegfried war noch skeptisch.

    «Sicher, hier fällt mir die Decke auf den Kopf.»

    «Wenn du meinst», Siggi war immer noch unsicher, «was bedeutet das für mich?»

    «Du musst Dieterchen um 4 Uhr nachmittags beim Kindergarten abholen. Ich muss bis sieben Uhr arbeiten. Ich bringe ihn am Morgen und du holst ihn am Nachmittag ab. Mittagessen übernehmen die Ordensschwestern.»

    «Das scheint ja alles schon abgemacht», stellte Siggi fest, «gut, ich bin einverstanden, wir können es versuchen, du musst aber versprechen, wenn es zu anstrengend für dich wird, musst du wieder aufhören.»

    «Danke – du bist ein Schatz!»

    «Noch etwas», wendete Siggi ein, «was sagt Dieterchen dazu?»

    «Er weiss es noch nicht», Maria setzte einen unschuldigen Blick auf, «andere Kinder schaffen das auch. Es wird Zeit, dass er etwas selbständig wird.»

    Damit war das Thema erledigt. Maria kochte das Abendessen und Siggi beschäftigte sich noch im Garten, bis Maria zum Essen ruft.

    Am nächsten Morgen wunderte sich Dieterchen, warum er nicht seine normalen Hosen anziehen durfte. Er musste sich die Sonntagshosen anziehen.

    «Gehen wir zu Opa?», fragte er erfreut, denn die Sonntagshosen musste er immer dann anziehen, wenn sie Opa und Oma besuchten.

    «Nein, diesmal nicht», erklärte ihm Mutti und gab ihm einen Kuss, «du wirst schon sehen, es wird ein aufregender Tag für dich.»

    Kurze Zeit später verliess sie mit Dieterchen an der Hand das Haus im Holleber Weg. Dieterchen mag kaum mit ihr Schritt halten. Mutti hatte es eilig. Immer wieder schaute sie auf die Kirchenuhr.

    «Kannst du etwas rennen? Wir kommen sonst zu spät.»

    Rennen, das war das, was Dieterchen am liebsten macht. Er rannte sofort los, als ihm Mutti die Hand freigab. Jetzt konnte sie auch etwas schneller gehen. Die Turmuhr schlug eben acht Uhr. Die Ordensschwester erwartete sie bereits am Eingang.

    «Das ist also Dieter?», sagte die Frau freundlich und reichte Dieterchen die Hand, «du bist also der neue Bub?»

    Dieterchen verstand nicht, was sie damit meinte, gab ihr aber die Hand und lächelte sie an.

    «Warte hier auf der Bank, ich muss noch etwas mit deiner Mutti besprechen.»

    Brav setzte sich Dieterchen auf die Bank und sah wie die Mutti mit der Frau hinter einer Tür verschwand. Aus dem Zimmer links hörte er Kinder ein Lied singen. Als Mutti weg war, bekam er Angst und begann still zu weinen.

    Nach kurzer Zeit kamen die beiden Frauen aus dem Büro, sie gaben sich die Hand: «Also Frau Thom, nicht vergessen, der Bub muss um 16 Uhr abgeholt werden.»

    «Mein Mann Siegfried wird pünktlich da sein», versicherte Frau Thom und verabschiedete sich. Nun setzte sie sich neben Dieterchen auf die Bank, strich ihn lieb übers Haar und gab ihm einen Kuss.

    «Dieterchen, du darfst jetzt nicht weinen», erklärte sie ihm liebevoll, «sonst denken die andern Kinder, du bist noch ganz klein, das willst du doch nicht, - oder?»

    «Welche Kinder?», fragte Dieterchen.

    «Hörst du nicht, wie sie schön singen?», besänftigte in Mutti, «es wird dir gefallen, die haben viele Spielsachen. Ich muss jetzt gehen. Papi wird dich am Nachmittag abholen. Bis dann darfst du mit den andern Kindern spielen. Freust du dich?»

    «Ja», murmelte Dieterchen kaum hörbar, aber man sah ihm an, dass er es gar nicht lustig fand und Freude hatte er schon gar nicht. Schon wieder kullerte eine grosse Träne über seine Wange, die Mutti schnell wegwischte.

    Dieterchen schaute ihr traurig nach, mit dem Ärmel wischte er sich nochmals das Gesicht sauber. Mit fragendem Blick schaute er zu Schwester Hildegard auf: Wie geht es jetzt weiter? Warum lässt ihm Mutti hier allein zurück, sonst war sie doch immer dabei, was soll er nur ohne sie machen.

    «Los Dieter, komm mit, die andern haben schon angefangen.»

    Schwester Hildegard nahm ihn bei der Hand und ging auf die Türe zu, aus der er die singenden Kinder hörte. Als sie die Türe öffnete, verstummten die Sänger. Unter den Kindern entstand Aufregung, alle tuschelten miteinander.

    «Ruhe!», rief Schwester Hildegard, «habt ihr keinen Respekt, wenn eine erwachsene Person den Raum betritt?» mit einem vorwurfsvollen Blick, schaute sie zur andern Schwester, es wäre ihre Aufgabe, für Ruhe zu sorgen.

    «Dieter, das ist Schwester Ruth», erklärte sie, «das ist Dieter Thom, er gehört jetzt zu eurer Klasse, bitte zeigt ihm, an welche Regeln er sich halten muss!», erklärte sie an die staunenden Kinder gewannt, dann verliess sie das Zimmer.

    Jetzt stand Dieterchen alleine vor den andern Kindern.

    «Das wird jetzt dein Platz», sie zeigte auf einen Stuhl.

    Langsam setzte sich Dieterchen und schaute sich um. Die andern Kinder waren etwa gleich alt wie er. Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, wurde wieder gesungen. Dieterchen kannte das Lied nicht und sang deshalb nicht mit. Schwester Ruth warf ihm einen verärgerten Blick zu, sagte aber nichts, sie gab ihm Zeit. Er würde es schon noch lernen.

    Später nahm Schwester Ruth eine kleine Glocke in die Hand und läutete. Kaum war der erste Glockenton erklungen, stürmten die andern Kinder zur Türe. Dieterchen folgte ihnen etwas unsicher. Die andern Kinder rannten auf den Platz vor dem Kindergarten. Die Buben spielten mit einem Ball und die Mädchen hüpften mit einem Springseil. Dieterchen rannte den Buben nach und beteiligte sich am Fussballspiel.

    Schwester Ruth läutete schon wieder mit der Glocke. Widerwillig versammelten sich die Kinder wieder im Zimmer. Schon mussten sie wieder still sitzen.

    Dann lass sie aus einem Buch und nach unendlich langer Zeit, griff sie wieder nach der Glocke. Dieterchen wollte schon nach draussen rennen. Doch die andern Kinder erhoben sich nur langsam und statt nach draussen, schlenderten sie in einen grossen Saal. An einem langen Tisch waren Teller aufgereiht. Es war Essenszeit.

    Schwester Ruth wies Dieterchen einen Platz zu. Vor Dieterchen stand ein Teller Gemüsesuppe. Er tauchte bereits seinen Löffel in den Teller und erntete dafür missbilligende Blicke von den anderen Kindern. Zum Glück hatte Schwester Ruth es nicht bemerkt. Er legte den Löffel wieder neben den Teller und wartete. Als alle Kinder vor ihrem Teller sassen, begann Schwester Ruth zu sprechen. Mit erhobener Stimme bedankte sie sich bei einem Herrn und erzählte weitere Dinge, welche Dieterchen fremd vorkamen. Die andern Kinder sassen mit gefalteten Händen am Tisch und warteten, bis Schwester Ruth mit einem andächtigen, «Amen» ihre Rede beendete. Jetzt löffelten die andern Kinder die Gemüsesuppe aus. Auch Dieterchen begann zu essen. Die Suppe schmeckte nicht wie die von Mutti. Er hatte jedoch grossen Hunger und löffelte die Suppe aus. Danach standen die Kinder auf und stellten sich mit ihrem Teller an. Schwester Ruth schöpfte jedem Schüler einen Löffel Maisbrei aus einem Topf. Vorsichtig brachten die Kinder ihren Teller zurück an ihren Platz und begannen zu essen.

    Nachdem jedes Kind seinen Teller ausgewaschen hatte, trafen sie sich wieder draussen auf dem Platz. Das Fussballspiel ging weiter.

    Etwas später läutete Schwester Ruth wieder mit der Glocke. Sie mussten zurück ins Zimmer. Diesmal wurde gezeichnet. Jedes Kind erhielt ein Blatt Papier und einen Bleistift. Sie sollten ihre Eltern zeichnen. Der Vorteil beim Zeichen war, dass man nicht so still sitzen musste. Jetzt durften die Kinder miteinander reden. So erfuhr Dieterchen, dass sein Banknachbar Helmut hiess und am Falkenweg wohnte. Auf der andern Seite sass Hans, der am Fliederweg wohnte. Als die Glocke von Schwester Ruth läutete, war Dieterchen mit seiner Zeichnung noch nicht fertig.

    Hans zeigte ihm, wo er seine Zeichnung und den Bleistift wegräumen konnte. Alles kam in einen Schrank, welcher von Schwester Ruth abgeschlossen wurde. Danach rannten die ersten Kinder nach draussen.

    Einige wurden von ihren Müttern erwartet. Dieterchen war enttäuscht, er konnte seine Mutti nirgends entdecken. Die meisten Kinder waren schon weg, als er die Uniform von seinem Vater erkannte, welcher sich mit schnellen Schritten dem Kindergarten näherte.

    «Hallo Dieterchen, - wie war es?», fragte ihn Vater, erhielt aber keine verständliche Antwort.

    «Hallo Dieterchen! – kriegt Mutti keinen Kuss?», fragt Mutti, als sie nach Hause kam.

    Dieterchen erschrak. Er schaute vorsichtig auf, dann sah er Mutti. Er sprang auf und umarmte sie.

    «Das hast du gut gemacht, Dieterchen», lobte ihn Mutti, «ich bin stolz auf dich, nun bist du schon ein grosser Bub.»

    Es dauerte einige Wochen, danach hatte sie endlich das Gefühl, dass es Dieterchen im Kindergarten gefiel. Inzwischen war er an seiner Aufgabe gewachsen und selbständig geworden.

    Die Brille

    Als Mutti die Hosen von Vati flickte, gab sie wie immer Didi die Nadel zum durchziehen des Faden. Doch der hatte plötzlich enorme Probleme, den Faden durch das Nadelöhr zu ziehen. Immer wieder versuchte er es, doch es ging nicht, er verfehlte das Öhr.

    «Dieterchen», sagte Mutti, «schau mich mal an.»

    «Wieso?»

    «Mit deinen Augen war etwas nicht in Ordnung, du schielst plötzlich. Das ist sicher noch die Folge der Masernerkrankung von letzter Woche.»

    «Ich kann das Loch in der Nadel nicht sehen», bestätigte Dieterchen, «etwas stimmt nicht mehr, ich sehe alles doppelt.»

    Als Vati nach Hause kam, beschlossen sie, dass man mit Dieterchen zum Augenarzt musste. Am nächsten Tag konnten sie einen Termin für die folgende Woche vereinbaren. Das Schielen war immer noch da, es wurde eher noch schlimmer.

    Mit gemischten Gefühlen folgte Dieterchen der Mutti zum Augenarzt. Sie mussten mit der Strassenbahn in die Stadt fahren.

    «Die Masern hatten offensichtlich die Augen von Dieterchen angegriffen», stellte der Augenarzt, an Mutti gewannt, fest, «wir müssen es mit einer Brille versuchen.»

    «Eine Brille?», fragte Mutti.

    «Ja, ich gebe ihnen einen Termin beim staatlichen Optiker, der wird die Stärke der Brille festlegen und alles weitere erklären.»

    Vom Augenarzt gingen die beiden direkt zum Optiker. Mit einigen Tests bestimmte der die Stärke der Brille. Es war eine scheussliche Brille. Die Gläser waren dick und das Gestell passte überhaupt nicht zu Dieterchens Gesicht. Es half nichts, er musste sie tragen. Es bleib ihm auch nichts anderes übrig, denn ohne Brille sah er beinahe nichts mehr.

    Als er das erste Mal mit der Brille im Kindergarten auftauchte, lachten ihn die andern Kinder erbarmungslos aus. Es dauerte keine Woche und schon war die erste Brille zerbrochen. Beim Optiker bekam er eine Ersatzbrille, doch die sah noch schlimmer aus, als das erste Model.

    Mit der Zeit gewöhnte er sich an das lästige Ding. Mittlerweile hielt eine Brille beinahe zwei Monate, das war natürlich aus Sicht des Optikers immer noch zu oft und er verlangte für den Ersatz Geld. Vati musste seine Ersparnisse plündern, damit Dieterchens Augen besser wurden.

    Waschtag

    «Wolfi! – Dieterchen! Aufstehen!», rief die Mutter ins Kinderzimmer.

    Waschtag war der strengste Tag der Woche, da blieb wenig Zeit für die Kinder. Mutti konnte sich auf Wolfi verlassen, der siebenjährige würde dafür sorgen, dass der dreijährige Dieter sich richtig anzog.

    Als die beiden Buben kurze Zeit später in die Küche stürmten, hatte Mutti bereits den Malzkaffee gewärmt. Brot, selbst gemachte Marmelade und Rübensaft standen auf dem Tisch. Jeder setzte sich an seinen Platz. Die Tasse wurde mit Malzkaffee gefüllt.

    «Dieterchen, - Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du nicht auf den Handwagen aufspringen darfst?», rief die Mutter den beiden nach. Sie hatte bereits den ersten Korb voll Wäsche bereitgestellt. Sie winkte ab, sie wusste genau, dass es nichts nützte, wenn der Bub runterfiel, würde er es schon lernen. Sie drehte sich um und holte den zweiten Wäschekorb.

    Wolfi trug später den kleineren Korb aus dem Keller, während Dieterchen in der Küche den Sack mit den Abwaschtüchern holte. Die drei waren bereits ein eingespieltes Team, der Waschtag war bereits zur Routine geworden.

    Der Handwagen war voll beladen. Mutter und Wolfi zog den hölzernen Wagen an der Deichsel. Draussen war es bitter kalt, aber der Schnee war weg. Dieterchen sprang bereits wieder auf die Ladefläche. Jetzt konnte er nicht mehr stehen, kniend musste er darauf achten, dass keine Wäsche verloren ging. Beim Waschhaus stellten sie sich in die Reihe, es gab noch einige andern Frauen, die heute ihren Waschtag hatten.

    Es dauerte nicht lange und Mutti konnte den ersten Bottich füllen. Jetzt hatte Mutti Zeit für einen kleinen Schwatz mit den anderen Frauen. Am Waschtag erfuhr man immer die meisten Neuigkeiten. Tratschen war so schön, wenigstens einen Vorteil, den der Waschtag mit sich brachte.

    «Was sehe ich denn da?», fragte Bettina, die eine Strasse weiter hinten wohnte, «bist du schwanger?»

    «Bsst -, bis doch stille, - sieht man es denn schon?»

    «Nah, mir kannst du nichts vormachen», entgegnete Bettina stolz, «ich sehe das sofort.»

    Dabei dachte sie: Ha, wieder ein Volltreffer, es zahlt sich einfach aus, wenn man etwas spekuliert.

    «Aber ich habe doch noch nicht zugenommen», wehrte sich die Mutti.

    «Das sieht man an den Augen!», schwindelte Bettina.

    «Ich weiss es erst seit ein paar Tagen, bitte, hänge es noch nicht an die grosse Glocke, es müssen es noch nicht alle wissen, vor allem meine beiden Buben nicht», es war ihr peinlich.

    Nach einer halben Stunde wurde die Maschine abgestellt und die Wäsche aus dem Bottich geholt. Die Wäsche, nass wie sie war, war so schwer, dass selbst Wolfi sie nicht aus dem Bottich heben konnte, das musste Mutti alleine machen. Mit einem langen Holzstab, wurde Stück für Stück in die Wäscheschleuder umgeladen.

    «Genug, das reicht!» rief der Aufseher, «ihr macht mir die Schleuder noch kaputt, wenn ihr zu viel einfüllt.»

    Mutter zog den Holzstab zurück und warf das letzte Wäschestück zurück in den Bottich. Immer das Gleiche, der Aufseher nervt sie gewaltig. Dann wurde die Schleuder gestartet. Den Schalter durfte nur der Aufseher bedienen.

    Die Frauen beeilen sich, die Schleuder zu entleeren und wieder mit nasser Wäsche zu füllen. Jetzt waren die beiden Buben gefragt, sie mussten die geschleuderte Wäsche, möglichst ohne Falten auf Holzrollen aufziehen. Inzwischen wurde der Rest der Wäsche ebenfalls geschleudert. Jetzt noch den letzten Stapel auf die Rollen der Wäschemangel umwickeln und danach die Wäsche zusammenlegen, dann ging’s nach Hause.

    Als die drei in den Hollebergerweg einbogen bemerkten sie Frau Adler, die mit dem fegen der Strasse beschäftigt war.

    «Was kommt denn die an?», stellte Mutti fest und auch die beiden Buben wunderten sich, «das war ja ganz was neues, dass Frau Adler die Strasse fegt.»

    «Guten Tag Frau Thom», grüsste Frau Adler, «ich gratulier, wann ist es denn soweit?»

    «Los geht schon nach Hause!», befahl sie ihren beiden Buben. Dann, an die Nachbarin gewannt, «was meinen Sie?»

    «Die Frau Weber hat in der Bäckerei erzählt», begann sie vorsichtig, «also die Frau Weber hat gehört, dass es bei Thoms bald Nachwuchs gibt, stimmt‘s oder ist es nur ein Gerücht?»

    «Wenn es die Frau Weber sagt, wird es wohl stimmen», sie strich sich über den Bauch, «was glauben Sie, ich denke, ich habe nur etwas zugenommen. Kein Wunder, jetzt wo die Lebensmittelrationen erhöht wurden, da muss man ja fett werden?»

    «Es stimmt also nicht?», Frau Adler spielte die entrüstete, «was doch die Frau Weber immer für Gerüchte in die Welt setzte, unglaublich!»

    «Ja, da haben sie recht, unglaublich, um nicht zu sagen unverschämt!»

    «Also, ich wünsche einen schönen Abend Frau Adler», sie zog am Handwagen und ging weiter, «ich habe noch zu tun, die Wäsche muss weggeräumt werden, grüssen sie ihren Mann.»

    Als sie den ersten Wäschekorb weggeräumt hatte, kam ihr Mann Siggi nach Hause. Sie begrüsste ihn mit einem Kuss.

    «Ist es schon so spät?»

    «Ja, ich hatte allerdings nicht das Gefühl, dass der Tag sehr schnell vorbei ging. Formulare wälzen, ist ziemlich langweilig.»

    «Das ist der einzige Vorteil des Waschtags», stellte Mutti fest, «er geht so schnell vorbei, dafür ist man Abend todmüde.»

    «Du, Bettina hatte bemerkt, dass ich in andern Umständen bin», berichtete sie, «sicher würde es bald zum Gesprächsthema im Quartier.»

    «Stimmt ja!», meinte Siggi, «irgendwann hätten sie es sowieso herausgefunden.»

    «Schon, aber so früh ist es nicht nötig, es wird noch lange genug dauern.»

    Siggi nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuss.

    «Lass doch die Leute reden, ich freue mich riesig!»

    Nachwuchs bei Familie Thom

    Ende September begann für Dieterchen eine schöne Zeit. Der Bauch von Mutti war inzwischen so gross geworden, dass sie nicht mehr arbeiten konnte. Da Wolfgang in die Schule muss, hatte Dieterchen seine Mutti ganz für sich. Er musste nicht mehr in den Kindergarten, diese Kosten konnte man sich sparen, weil Mutti jetzt zuhause war.

    Da Mutti nicht mehr gerne weite Spaziergänge machte und ihr das Tragen von Taschen immer schwerer fiel, musste Dieterchen einspringen. Er erledigte in dieser Zeit alle Einkäufe.

    Mutti war sehr stolz auf ihren Kleinen.

    Eines Morgens, als Dieterchen beim Fleischer eine Wurst einkaufen musste, waren dort viele Leute versammelt und diskutierten aufgeregt. Er muss sich hinten anstellen, doch es ging kaum voran, der Fleischer war am diskutieren, Fleisch verkaufen schien heute zweitrangig.

    Aus den Gesprächen hörte er immer wieder das Wort Sputnik - was war das? Er hatte das Wort noch nie gehört.

    Schliesslich versuchte ein Mann es ihm zu erklären. Er erklärte Dieterchen, wie stolz die sozialistischen Länder sein konnten, sie hätten die Amerikaner geschlagen. Dieterchen interessierte das wenig, Sputnik hin oder her, er möchte seine Wurst und dann möglichst schnell nach Hause. Mutti ging es heute nicht gut, sie musste den ganzen Tag das Bett hüten. Vati hatte ihm gestern noch erklärt, er solle gut auf Mutti aufpassen. Wenn es ihr schlecht gehe, soll er sofort Frau Langer von unten rufen. Jetzt war Mutti wegen diesem blöden Sputnik allein zu Hause und machte sich sicher Sorgen, wo ihr Dieterchen blieb.

    Als er endlich seine Wurst erhielt, rannte er so schnell er konnte, nach Hause. Er war erleichtert. Die Mutti schlief und hatte nicht bemerkt, dass er zu lange weg war. Die nächsten Tage übernahm Vati die Einkäufe, so konnte Dieterchen auf seine Mutti aufpassen.

    Einige Tage später schien Mutti grosse Schmerzen zu haben. Dieterchen rannte zu Frau Langer.

    «Na Dieterchen!», sagte sie zu ihm, «ist es bald soweit? Bald wirst du einen neuen Bruder bekommen, dann kannst du mit ihm spielen. Freust du dich?»

    «Ich weiss nicht», Dieterchen wusste nicht, weshalb er sich freuen sollte. Für ihn zählte nur, dass es Mutti so schlecht ging.

    «Ich komme sofort nach oben», erklärte ihm Frau Langer, als er bei ihr anklopfte, «gehe zum Postamt, die sollen deinen Vati anrufen, er soll nach Hause kommen! - Machst du das?»

    «Bin schon weg.»

    Während Frau Langer nach oben ging, rannte Dieterchen so schnell er konnte zum Postamt. Die Frau am Schalter kannte ihn. Sie wusste, dass sie Herr Thom anrufen musste.

    «Danke Dieterchen, freust du dich auf deinen Bruder?»

    «Weiss nicht?», entgegnete Dieterchen, was soll er mit einem zweiten Bruder? Einer reicht ihm.

    Die Frau am Schalter erklärte ihm, dass sie Herr Thom erreicht hatte, er könne jetzt wieder nach Hause gehen. Dieterchen rannte den ganzen Weg zurück. Als er in die Strasse einbog, sah er vor dem Haus einen Krankenwagen stehen. Er kam noch rechtzeitig, um sich von Mutti zu verabschieden.

    «Du bleibst da», erklärte ihm Mutti mit schmerzverzerrtem Gesicht, «die Frau Langer kocht euch etwas zu Essen».

    Der Sanitäter drängte zur Eile, er wollte möglichst schnell losfahren. Eine Geburt im Krankentransporter wollte er nicht riskieren.

    Es war nach Mitternacht, als Vati nach Hause kam. Er schaute noch ins Kinderzimmer. Beide Buben waren schnell wach.

    «Es ist ein Mädchen!», erklärte ihnen Vati, «sie heisst Monika und ist gesund! Ein richtiger Schatz! Ihr habt jetzt ein Schwesterchen. Mutti geht es ebenfalls gut, sie wird in zwei Tagen wieder nach Hause kommen.»

    «Ein Schwesterchen?», fragten beide Buben fast gleichzeitig. Mehr hatten sie nicht zu sagen. Sie konnten das Gehörte noch nicht einordnen. Alle hatten immer von einem Bruder gesprochen und jetzt das, ein Mädchen in der Familie, wenn das nur gut ging!

    Zwei Tage später holte Vati die beiden im Krankenhaus ab, er leistete sich ein Taxi, um die beiden nach Hause zu bringen. Die beiden Buben schauten aus dem Fenster und rannten durchs Treppenhaus. Sie hatten sich mittlerweile damit abgefunden, dass das neue Familienmitglied ein Mädchen war. Beide freuten sich, endlich war Mutti wieder zu Hause.

    Besuch bei den Grosseltern

    Der 31. Oktober 1957 fiel auf einen Donnerstag. Vati hatte noch einige Tage Urlaub zu gut. So fuhr die ganze Familie Thom am Reformationstag nach Zörbig. Die kleine Monika musste unbedingt den Grosseltern vorgestellt werden. Die Fahrt mit der Strassenbahn zum Bahnhof dauerte fünfundvierzig Minuten. Danach noch eine ganze Stunde mit dem Zug. Am Bahnhof in Zörbig wurde Familie Thom von der gesamten Verwandtschaft begrüsst.

    Monika war sofort der Star und wurde von einem zum andern weitergereicht. Als sie zu schreien anfing, nahm sie Mutti in Obhut, die Besichtigung war vorerst abgeschlossen. Man machte sich auf den Weg zum Haus der Grosseltern.

    Die wohnten in einem riesigen Herrenhaus. Im Gegensatz zu früher, als es die Herrenfamilie allein wohnte, teilen sich jetzt fünf Familien das Haus. Während Oma mit Mutti in der Küche verschwand, zeigte Opa das Zimmer, in dem er für Vati und Mutti ein Bett eingerichtet hatte. Anschliessend stiegen sie auf den Dachboden, dort lagen zwei Matratzen für die beiden Buben bereit.

    Nun war Mutti an der Reihe und erzählte ausführlich, wie das mit der Geburt ablief. Dazu folgten die technischen Daten von Monika, Länge und Gewicht wurden auf Zentimeter und Gramm genau angegeben. Die Buben waren mit dem Essen fertig und Opa erlaubte Florian, und Henri, dass sie Wolfgang und Dieterchen, die Scheune des Bauernhofs zeigen durften.

    Das war ein Erlebnis. Die Scheune war als Spielplatz ein Traum.

    Gegen Abend halfen sie dem Bauer beim füttern der Kühe. Dieterchen erhielt ein Becher Milch frisch ab Zitze. Es schmeckte ausgezeichnet, in Halle gab es nie frische Milch.

    Nach dem Nachtessen waren die Buben so müde, dass sie sogar gerne schlafen gingen, die Matratzen auf dem Estrich versprachen eine spannende Nacht.

    Am Samstagmorgen waren die Buben schon früh wach und halfen dem Bauer beim Melken der Kühe. Es gab wieder frische Milch, köstlich! Plötzlich war vor dem Stall Lärm zu hören. Natürlich rannten alle nach draussen. Mit einem lauten Gedröhne, fuhr ein Auto vor. Es war ein Verwandter von Familie Schmitt, welche eine Stockwerk unter Opa wohnte.

    Alle Bewohner des Hauses versammelten sich auf dem Vorplatz. Dort stellte der Ankömmling sein Auto, ein VW Käfer ab. Ein Auto, welche Sensation. Dazu noch eines aus dem Westen. Mit erhobenem Kopf stieg der Fahrer aus und begrüsste als erstes seine Tante.

    «Das ist Onkel Hubertus», erklärte das Mädchen mit den langen Zöpfen dem Dieterchen, «er wohnt in Dortmund und kommt uns besuchen. Er bleibt eine Woche.»

    «Aus Dortmund?», fragte Dieterchen, «wo liegt das?»

    «Das liegt in Westdeutschland», klärte ihn das Mädchen auf, «er ist mein Onkel und arbeitet in der Autofabrik».

    Inzwischen begrüsste Onkel Hubertus auch die andern Familienmitglieder. Auch seine Nichte wurde umarmt.

    «Hallo Hilde, du wirst ja immer grösser und hübscher! Da habe ich was für dich.»

    Er überreichte Hilde ein Paket mit Schokolade. Sie bedankte sich mit einem Kuss bei Onkel Hubertus.

    «Für die 450 Kilometer habe ich sieben Stunden gebraucht», erklärte er stolz, «hier im Osten konnte man noch nicht so schnell fahren wie im Westen. Da gibt es Autobahnen.»

    Angeber, denkt Dieterchen.

    Dieterchen stand immer noch direkt neben Hilde. Als sie wegen einem sich vordrängenden Nachbar einen kleinen Schritt zur Seite machte, berührten sich die Hände von Dieterchen und Hilde einen kurzen Augenblick. Dieterchen erschrak, zog aber die Hand nicht weg. Die Berührung dauerte nur einige Sekunden, doch Dieterchens Herz begann wild zu schlagen. Sie hatte nicht sofort zurückgezogen. Nach endlos langen drei Sekunden, war der Nachbar vorbei und Hilde stand wieder an ihrem alten Platz, immer noch nahe bei Dieterchen, doch sie berührten sich nicht mehr.

    Allmählich verzogen sich die Leute vom Hof und gingen zurück zu ihrer Arbeit. Auch Dieterchen musste noch im Kuhstall helfen.

    Die drei Tage in Zörbig vergingen wie im Flug. Dann musste Familie Thom zurück nach Halle. Das verlängerte Wochenende war vorüber, morgen musste Vati wieder arbeiten. Opa und Günter begleiteten sie noch zum Bahnhof. Dieterchen war traurig, weil er Hilde nicht mehr gesehen hatte.

    Die Einschulung

    Der Tag der Einschulung war endlich gekommen. Dieter freute sich riesig darauf. Am frühen Morgen musste er nochmals in den Kindergarten. Dort wurden die Kinder verabschiedet, welche in die Schule wechselten.

    Alle Kinder, die nun in die Schule mussten, begleitete Schwester Ruth zur Schule. Im Klassenzimmer wurde jedem eine Schulbank zugeteilt. Danach verabschiedete sich Schwester Ruth, mit einer Träne in den Augen, von ihren Kleinen. Es war alle Jahre dasselbe, immer wenn ihr die Kinder ans Herz gewachsen sind, muss sie diese ziehen lassen.

    Die Lehrerin bedankte sich noch bei Schwester Ruth. Dann stellte sie sich vor. Ihr Name war Frau Müller. Dieter fand sie sympathisch, sie glich seiner Oma. Obwohl sie wusste, dass die Kinder noch nicht lesen konnten, schrieb sie ihren Namen an die Wandtafel.

    Danach musste sich jeder Schüler vorstellen. Die Lehrerin schrieb die Namen der Reihe nach an die Wandtafel, so konnte jeder sehen, wie man seinen Namen schrieb.

    «Das ist ja ausgezeichnet», erklärte die Lehrerin, «15 Mädchen und 15 Buben, es geht genau auf.»

    Nun bekam jeder Schüler ein Lese- und ein Rechnungsbuch, dazu eine kleine Tafel und zwei Stück neue Kreide.

    «Die Bücher und die Tafel bleiben noch in der Schule», erklärte die Lehrerin, «das ist für den ersten Tag schon alles, morgen beginnen wir mit dem ABC! – Ihr dürft jetzt gehen, eure Eltern warteten schon.»

    Etwas unsicher verliessen die Kinder das Schulzimmer. Draussen im Schulhof warteten ihren Eltern. Welche Überraschung, Vati hielt hinter seinem Rücken eine riesige Zuckertüte versteckt. War das möglich, die Augen von Dieter leuchteten. Stolz nahm er die Tüte in Empfang. Als Dieter feststellte, dass keiner seiner Mitschüler eine ähnlich grosse Tüte erhielt, war er mächtig stolz und glücklich.

    Am nächsten Morgen ging es mit der Schule richtig los. Frau Müller konnte sich gut in die Kinder hineindenken. Sie stellte die Aufgaben so, dass es den Kindern Spass machte diese zu erledigen.

    Am Wochenende war er mit seinen Freunden unterwegs. Sie hatten ein neues Spiel entdeckt und erst noch eines das sich bezahlt machte. Sie sammelten im Park die leeren Flaschen ein und brachten sie an die Sammelstelle. Als sie merkten, dass sie pro Flasche zehn Cent bekamen, wurde das Sammeln von leeren Flaschen noch interessanter. Sie lernten schnell, wo man am meisten Flaschen finden konnte. Die meisten Flaschen fand man am Sonntag auf dem Fussballplatz. Es waren natürlich nicht die Fussballspieler, die spielten manchmal auch wie Flaschen, nein sie merkten, dass die Fussballfans zu faul waren, ihre Flaschen zu entsorgen, also blieben sie am Spielfeldrand liegen. Der Ertrag vom Sonntag war so gross, dass sie sich am Kiosk Schleckereien kaufen konnten.

    Frau Müller kontrollierte am Montagmorgen die Hausaufgaben. Leider hatte Dieter die komplett vergessen. Dabei wären es nur drei Rechenaufgaben gewesen, doch Dieter hatte sie einfach vergessen.

    Frau Müller, an und für sich eine sehr liebe und geduldige Frau, hatte gar kein Verständnis. Dieter musste vor die Klasse treten und erklären, warum er die Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Da er nicht erzählen wollte, dass sie leere Flaschen eingesammelt hatten, weil sonst die andere Kinder womöglich auch damit angefangen hätten, erzählte er, sie seien mit der Familie in Zörbig gewesen und hätten den Zug verpasst.

    Natürlich merkte Frau Müller sofort dass Dieter nicht die Wahrheit sagte.

    «Gut, wenn du uns die Wahrheit nicht erzählen willst, dann kriegst du einen Eintrag. Dass man Hausaufgaben nicht macht, kann passieren, aber dass man seine Lehrerin anschwindelt, das geht zu weit, ich hoffe, das mit dem Eintrag wird dir eine Lehre sein! – Du kannst dich setzen.»

    In den folgenden Wochen hatte es Dieter schwer, das Vertrauen von Frau Müller wieder zu gewinnen. Er strengte sich noch mehr an als vorher. Als er ein Diktat mit null Fehlern überstand, was doch eher eine Ausnahme war, hatte Frau Müller wieder Vertrauen zu Dieter gefasst. Er wurde ein guter Schüler und dies, obwohl er an den Wochenenden mit dem Einsammeln von leeren Flaschen viel Zeit verbrachte.

    Wenn Dieter am Nachmittag frei hatte, besuchte er manchmal seine Mutti im Laden. Bald kannte er sich im Lager aus. Er half wo er konnte.

    Die meiste freie Zeit verbrachte Dieter mit seinen Freunden. Inzwischen hatten sie sich besser organisiert. Mit dem Handwagen zog sie von Haus zu Haus, um leere Flaschen einzusammeln.

    Am meisten Profit machten sie in den Häusern, in denen Rentner wohnten. Sie konnten ihre Flaschen, Gläser und Altpapier nicht selber wegbringen. Sie freuten sich immer, wenn die Buben kamen. Auch bei den reichen Leuten rentierte es, die hatten es nicht nötig, das Leergut zurück zu bringen.Die Frauen waren meistens allein zuhause und freuten sich über etwas Abwechslung. Hier gab es meistens noch einige Süssigkeiten oben drauf. Nebst den Süssigkeiten gefiel den Jungen auch, dass die Frauen sehr schön angezogen waren. Die trugen nicht Wollstrümpfe, sondern feine Nylonstrümpfe. Auch ihre Pullover und Röcke waren schön geschnitten.

    Einmal klopften Gerd und Dieter bei einem alten Haus an die Türe. Sie wussten, dass die alte Frau immer einige leere Flaschen hatte, welche sie ihnen gerne gab. Doch die Türe blieb zu. Sie klopften nochmals, diesmal etwas stärker. Sie wollte schon gehen, als sie im Innern des Hauses ein eigenartiges Geräusch hörten. Es klang wie Klopfzeichen.

    Sie pochten noch mal an die Türe und lauschten danach an der Türe. Wieder schien es, als ob jemand sich durch klopfen bemerkbar machen würde. Sie versuchten die Türe zu öffnen, doch sie war verschlossen. Sie gingen um das Haus und schauten zu den Fenstern rein. Dann sahen sie, dass die alte Frau am Boden lag und nicht mehr aufstehen konnte.

    Dieter schaute Gerd fragend an, sie mussten der Frau helfen, aber wie?

    Sie eilten ums Haus und versuchten jedes Fenster aufzukriegen. Beim dritten Fenster hatten sie Glück, es war nicht eingeklinkt und sie konnten es aufstossen. Gerd half Dieter beim hochsteigen zum Fenster. Er brauchte alle Kraft, um in das Haus einzusteigen. Sofort eilte er in das Zimmer, in welchem die Frau am Boden lag.

    «Hilfe!», flüsterte die Frau mit letzter Kraft.

    «Wie kann ich ihnen helfen?», fragte Dieter.

    «In der Küche im Schrank über den Herd, habe ich meine Tabletten, ich brauche sie, ich bekomme keine Luft!»

    Dieter fand die Schachtel mit den Tabletten, füllte in der Küche ein Glas mit Wasser und half der Frau die Tablette zu schlucken. Im Schlafzimmer holte er ein Kissen legte es der Frau unter den Kopf, damit sie es etwas bequemer hatte.

    «Mir wurde schwarz vor den Augen», erklärte die Frau, «dann bin ich hingefallen. Ich glaube, mein Bein ist gebrochen.»

    «Ich hole schnell meinen Freund», entschuldigte Dieter sich und eilte zur Haustüre um Gerd einzulassen.

    Gemeinsam versuchten sie die Frau so hinzulegen, dass ihre Beine nicht mehr so verdreht da lagen. Mit einem nassen Lappen tupften sie ihre Stirn ab, sie schwitzte stark.

    «Wir müssen Hilfe holen!», schlug Gert vor, «wir schaffen es nicht alleine.»

    «Haben sie ein Telefon?», fragte Dieter.

    «Nein im Haus habe ich kein Telefon», erklärte die Frau, «wenn ich anrufen muss, gehe ich zur Post.»

    «Gerd rennt du zur Post und ruft um Hilfe, ich bleibe solange bei ihnen.»

    Gerd wollte eben das Haus verlassen, als die Türe mit grosser Wucht aufgestossen wurde. Ein Polizist mit vorgehaltener Pistole stürmt herein und brüllt: «Hände hoch! Ergebt euch!»

    Die beiden Buben blickten ganz verwundert auf den Polizisten, welcher immer noch überzeugt war, dass er soeben Banditen auf frischer Tat ertappt hatte, welche sich eben daran machten, die Frau zu töten und anschliessend zu berauben. Dieter hob zögernd die Hände, wie er es schon mal in einem Film gesehen hatte. Gerd machte es ihm nach.

    Der Polizist war überrascht, dass er es mit zwei jungen Lümmeln zu tun hatte. Der Nachbar, hatte von zwei dunklen Gestalten gesprochen. Die Situation war immer noch verwirrend.

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