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Kiana - Zukunft beginnt jetzt
Kiana - Zukunft beginnt jetzt
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eBook324 Seiten4 Stunden

Kiana - Zukunft beginnt jetzt

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Über dieses E-Book

"Zukunft, was ist das?", wollten Rainir und Lukas von ihrem Großvater Sebastian wissen.
"Zukunft", antwortete Sebastian bedächtig. "Zukunft ist die nächste Sekunde. Der nächste Wimpernschlag. Zukunft beginnt jetzt."
Und ihre Großmutter Leona setzte hinzu.
"Zukunft ist Veränderung. Manchmal sind diese Veränderungen nötig und gut. Und manchmal ..."
Um zu erfahren, was Zukunft ist, wollen Rainir und Lukas mehr von der Zeit der großen Veränderung durch den langen Winter und der Seuche Corana erfahren.
Dieses Buch ist eine Mischung aus Fantasy mit Engeln und Halbengeln, Zukunftsvisionen und einem Krimi.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum1. März 2021
ISBN9783753169262
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    Buchvorschau

    Kiana - Zukunft beginnt jetzt - Bettina Bäumert

    Bettina Bäumert

    Kiana

    Zukunft beginnt jetzt

    Dieses Buch

    ... ist eine Mischung aus fiktivem Klimawandel, einer todbringenden Seuche, Engel und Halbengel und einem Krimi.

    Was, wenn ein Mann alle Macht der Welt hätte? Eine Macht, geboren aus der Not? Geboren aus seinem Wissen und seinem Können? Wie würde die Zukunft dann aussehen?

    Nach dem langen Winter überlebte nur ein Teil der Menschheit eine verheerende Hungersnot und eine todbringende Seuche. Corana. Und das nur durch einen Mann: Jerome Mureni. Sein Medikament gegen diese Krankheit heilt nicht nur. Es verspricht ein ewiges Leben. Als in sein Labor eingebrochen wird, wirft das viele Fragen auf. Wollten die Einbrecher wirklich nur Jeromes Wundermittel gegen Corana stehlen? Oder steckt mehr dahinter, so wie es Kiana vermutet. Auf der Suche nach Antworten ...

    Autor

    Bettina Bäumert, Jahrgang 1959, ist gelernte Kinderkrankenschwester. Mit ihren Mann und ihren Eltern lebt sie in Strullendorf. Ihr erstes Buch ‚Ich bin Ich‘ schildert das Leben eines behinderten Kindes mit seiner Familie. Geschrieben aus der Sicht des Kindes. Dieses Buch entstand im Jahre 2013 und war ursprünglich nur für seine Großeltern gedacht.

    Kiana

    Zukunft beginnt jetzt

    1. Buch

    Für meine Familie

    2. Auflage, 1. Buch, 2020

    © Bettina Bäumert – alle Rechte vorbehalten

    © Copyright by Bettina Bäumert

    Umschlaggestaltung: © Copyright by Bettina Bäumert

    Texte: © Copyright by Bettina Bäumert

    Verlag:

    Bettina Bäumert

    Danziger Str. 12

    96129 Strullendorf

    Telefon: 09543 3064

    Bettinabaeumert@gmx.de

    www.leseecke-bettinabaeumert.de

    Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Namen und Handlungen sind frei erfunden.

    Damit es nicht so kompliziert wird

    Mureni-Clan

    > Jerome Mureni: Oberhaupt aller Clans

    > Mother Sarem: seine Frau

    > Tikon: 1. Sohn – Mutter: Sybill Kinor

    > Jarin: 2. Sohn – Mutter: Ida Rosala

    > Kiana: Tochter

    Sarem-Clan

    > Kiron: Oberhaupt

    > Shanie: seine Frau

    > Mother: Tochter, Jerome Murenis Frau

    > Jorge Sohn – seine Frau: Shalin Lotana

    > Fenur: Sohn

    > Rainir: Tochter von Jorge

    Rosala-Clan

    > Chrow: Oberhaupt

    > Salki: seine Frau

    > Crosek: Sohn

    > Ida: Tochter – Mutter von Jarin Mureni

    Kinor-Clan

    > Store: Oberhaupt

    > Stine: seine Frau

    > Sybill: Tochter – Mutter von Tikon Mureni

    > Sarte: Tochter

    > Lokem: Sohn

    Lotana-Clan

    > Lonschär: Oberhaupt

    > Broke: seine Frau

    > Rainir: Tochter

    > Fran: Tochter – mit Jarin Mureni zusammen

    > Shalin: Tochter – Frau von Jorge Sarem

    Samuel Testan

    > Shökin kasegi – Kopfgeldjäger

    > Norlo: Vater; Cousin von Lonschär Lotana

    Thai Wong

    > Sicherheitschef – Sekyuritichifu – Samurai

    Zukunft, was ist das?

    Das ist es, was der Himmel wünscht.

    Wer Kraft hat, soll anderen helfen.

    Wer Weisheit besitzt, soll andere lehren.

    Wer Reichtum erwirbt, ihn mit anderen teilen.

    (Alte chinesische Weisheit)

    Der Unterricht hatte wieder einmal viel zu lange gedauert. Jetzt rannten Lukas und Rainir so schnell sie nur konnten durch die Gänge des Mureni-Hauses in den alten Teil des Gebäudes. In den Teil, der von Leona und Sebastian, ihren Ur-Großeltern bewohnt wurde.

    Bevor das Geschwisterpaar an die Tür zu Großvaters Reich klopften, warteten sie einen Augenblick, bis sich ihr vom Laufen angestrengter Atem etwas beruhigt hatte. Erst nachdem sie die Aufforderung zum Eintreten erhielten, öffneten sie die Tür. Wie von ihnen erwartet, saß Großvater Sebastian hinter einem von Büchern und Schriften überladenen Schreibtisch. Uralte Schätze aus einer Welt, die es schon lange nicht mehr gab. Kostbarkeiten, die Lukas und Rainir völlig unbekannt waren. In der Welt, in der sie lebten, gab es schon lange kein geschriebenes Wort mehr. In ihrer Welt war alles digital.

    Sebastian schmunzelte. Oh ja, er musste zugeben, er freute sich immer wieder aufs Neue, kamen die Kinder zu ihm. Er sehnte sich nach ihrer innigen Begrüßung und Umarmung. Und er war stolz auf ihre Wissbegierde und darauf, dass er mit ihnen in alten Zeiten schwelgen konnte.

    Rainir und Lukas nahmen, wie stets waren sie hier, auf dem altertümlichen Sofa im gemütlichen Wohnzimmer ihrer Ur-Großeltern Platz.

    „Na, wie war es in der Schule?", erkundigte sich Großvater Sebastian gewohnheitsmäßig, wobei er sich wie üblich den Kindern gegenüber in einen antiken Ohrensessel fallen ließ.

    „Och ja ... wie immer ...", murmelte Rainir mit geröteten Wangen.

    „Langweilig", setzte Lukas hinzu.

    „Hhmm", brummte Großvater Sebastian.

    Er wusste, die Kinder hatten gute Noten. Sie lernten schnell und gerne. Allerdings wurde in der Schule nicht das unterrichtet, was Lukas und Rainir ernsthaft interessierte, auf was sie neugierig waren. Die beiden wollten wissen, wie das Leben war, bevor sich alles veränderte. Sie waren neugierig, von der Zeit zu hören, in der er selbst und Leona vor langer, langer Zeit gelebt hatten. Genau wie vor vielen Jahren Kiana, wollten auch sie wissen, wie das Leben vor dem langen Winter war. Und sie wollten von dem Nephilim erfahren, der die Welt in eine neue, eine bessere Bahn gelenkt hatte.

    „Großvater? Was ist Zukunft?", wollte Rainir plötzlich wissen.

    Sebastian sah seine Ur-Enkelin versonnen an. Sie hatte das Haar ihrer Mutter geerbt, rot und lockig. Nicht aber ihr Temperament. Das hatte Lukas, der Ältere der beiden von ihr. Lukas war, genau wie seine Mutter, ständig in den Wäldern unterwegs. Er hatte eine schnelle Auffassungsgabe und war ein kleiner Rebell. Sein Aussehen, seine Kraft und Ausdauer hatte er jedoch von seinem Vater. Rainir war bedächtig, wie ihr Vater. Sie überlegte erst, bevor sie sprach. Allerdings hatte sie die Gabe ihrer Mutter geerbt. Und ihre Liebe für asiatische Kampfkünste.

    „Zukunft, wiederholte er bedächtig. „Zukunft, mein Kind, ist die nächste Sekunde. Der nächste Wimpernschlag. Zukunft beginnt jetzt.

    Leona hatte die Frage ihrer Ur-Enkelin noch gehört.

    „Zukunft, sagte sie, wobei sie mit einem Tablett ins Wohnzimmer kam, das sie vorsichtig auf dem Tisch abstellte. „Zukunft ist Veränderung, Rainir. Manchmal sind diese Veränderungen nötig und gut. Und manchmal ...

    Rainir half ihrer Großmutter, die Leckereien auf den Tisch zu stellen. Milch und Kekse. Darauf freuten sich Rainir und Lukas, denn niemand konnte so lecker wie Leona backen. Nachdem Leona sich neben ihre Enkelkinder gesetzt hatte, redete Rainir weiter.

    „Als die Engel auf dem Berg waren hat sich vieles verändert, nicht wahr Großmutter Leona?", wollte sie wissen, bevor sie einen weiteren Keks in den Mund steckte.

    Sebastian schüttelte mit dem Kopf.

    „Nein. Nein. Nicht erst da, sagte er bedächtig. „Die große Veränderung fand schon vorher statt. Lange vorher. Nur hatte niemand die Vorzeichen erkannt. Niemand hat sich etwas dabei gedacht, als der lange Winter die Welt in eisigem Griff hatte. Damals dachten wir noch ...

    Leona räusperte sich.

    „Sebastian, unterbrach sie ihren Mann sanft. „Beginne mit den Engeln. Du hattest sie schon bei Rainirs und Lukas letztem Besuch angesprochen. Glaube mir, niemand will einen wissenschaftlichen Vortrag hören.

    Großvater Sebastian schmunzelte.

    „Richtig. Die Fünf. Damals standen sie auf dem Berg ..."

    Was ist Weisheit?

    Die Menschen kennen.

    Was ist Menschenwürde?

    Die Menschen lieben.

    (Konfuzius)

    1

    Sebastian erzählt

    Unbeeindruckt von Regen, Wind und Donner standen die FÜNF auf dem Gipfel des Berges. Schweigend und scheinbar gleichgültig sahen sie zu, wie Flüsse und Seen über die Ufer traten. Selbst als der Sturm mit tiefem Donnergrollen an Stärke zunahm und grelle Blitze die Verwüstung des Landes zu ihren Füßen deutlich machten, zeigten sie keine Regung.

    Bis hinauf auf den Berg vernahmen die FÜNF den Herzschlag der Menschen. Sie sahen ihre Angst und sie hörten deutlich das Weinen der Kinder, die zitternd den Schutz ihrer Eltern suchten. Emotionslos beobachteten sie Väter und Mütter, die verzweifelt versuchten, ihre Familien zu schützen. Für die FÜNF waren es leise und seltene Töne und Unterfangen, die in dieser Welt immer schwächer und leiser wurden und mehr und mehr verloren gingen.

    Wesentlich lauter und häufiger drang dagegen das Kampfgeschrei aus den Straßen zu ihnen. Sie sahen in den Gesichtern der Menschen unberechenbare Wut, Gier und Missgunst. Das Streben nach Macht und Unsterblichkeit hatte die Menschheit vergiftet. Machthunger und Neid hatten sich einem bösen Geschwür gleich in ihren Seelen festgesetzt. Die Folge war Folter, Hass und Unterdrückung. In dieser kranken, sterbenden Welt gingen Liebe und Mitgefühl immer mehr verloren.

    „Warum hat sich die Menschheit derart verändert?"

    Malafach, der Engel der Wahrheit, stellte diese Frage, die sich jeder der FÜNF stellte, mit nur gedachten Worten.

    „Nicht alle Menschen sind böse, flüsterte Tanael, die Beschützerin der Kinder. „Es gibt so viele unschuldige Söhne und Töchter.

    Raphael, der Engel der Hoffnung, ging nachdenklich in die Hocke. Angestrengt fixierte er einen winzigen Punkt in weiter Ferne. Die anderen Engel folgten seinem Blick.

    Metatron, der Engel der Liebe und der Einigkeit, schüttelte mit dem Kopf.

    „Sie kann ihn nicht halten. Dazu fehlt ihr die Kraft. Er wird ins Bodenlose fallen. Genau wie der Mann vor ihm. Der, den er verfolgt hatte. Nein, sie kann ihn nicht retten", murmelte er.

    Raphael sagte nichts. Er sah schweigend zu dem über den Abgrund hängenden Mann und zur Frau, die doch, zumindest für den Moment, fest annahm, sie könne ihn retten.

    „Sie könnte überleben. Dazu muss sie nur seine Hand loslassen. Tut sie das nicht, reißt er sie mit in die Tiefe und in den sicheren Tod", seufzte Uriel, der Engel des Lichts Gottes.

    Raphael rührte sich nicht.

    1.1

    Es war beileibe nicht das erste Mal und würde auch nicht das letzte Mal sein, dass sich Kiana unbemerkt aus dem Haus geschlichen hatte. Schon vor über einer Stunde war sie in die Wälder außerhalb der geschützten Zone geflüchtet. Und das, obgleich es strengstens untersagt war. Aber heute brauchte sie einen freien Kopf. Denn heute Abend fand das von ihr verhasste Familienessen statt. Vor diesen einmal im Monat stattfindenden Abendessen mit der gesamten Familie graute ihr. Sie hasste die Falschheit, mit der alle Familienmitglieder scheinbar vereint um den großen, ovalen Tisch in Jerome Murenis Esszimmer saßen. Obwohl doch jedem Anwesenden vollkommen klar war, dass es unter der nach außen hin intakten Oberfläche, gewaltig brodelte.

    Kiana stöhnte.

    Irgendetwas lag in der Luft. Das ahnte sie. Etwas Bedrohliches, Angsteinflößendes. Womöglich lag ihr komisches Gefühl in der Magengegend auch nur daran, dass Jerome Mureni seit einiger Zeit die Angewohnheit hatte, bei diesen Zusammenkünften seine Macht zu demonstrieren.

    Kiana lachte bitter auf.

    Die eigene Familie hatte Angst, vom Clan-Oberhaupt vor versammelter Mannschaft vorgeführt und bloß gestellt zu werden. Was in letzter Zeit auch in schönster Regelmäßigkeit passierte. Kein Wunder, dass nicht nur Kiana diese Essen abgrundtief verabscheute. Und doch machte jeder in der Familie gute Miene zum bösen Spiel. Im Endeffekt waren sie alle auf Jerome Murenis Wohlwollen angewiesen. Und zudem war Anwesenheit bei diesem Essen Pflicht.

    Heute, das war Kiana vollkommen klar, musste sie sich mit ihren Äußerungen zurückhalten. Was ihr leider nicht leicht fiel. Sie äußerte stets offen und ehrlich ihre Meinung, die nicht unbedingt auch die Ansichten Jeromes waren. Bei ihrem letzten Disput mit ihm hatte sie den Bogen eindeutig überspannt. Weitere Differenzen mit dem Oberhaupt des Clans konnte und durfte auch sie sich nicht leisten.

    Dermaßen in ihr Grübeln versunken hatte Kiana die Zeit vergessen. Und weit schlimmer, sie hatte nicht auf das Wetter geachtet. Mittlerweile regnete es in Strömen. Kleine Bäche traten bereits über die Ufer. Nicht mehr lange und das Gebiet jenseits der Fabriken würde unter Wasser stehen. Im Grunde nichts Neues. Und beileibe nichts Ungewöhnliches. Seit dem langen Winter wechselte sich miserables Wetter und Hochwasser in schönster Regelmäßigkeit ab.

    Kiana kehrte um. Nach wenigen Schritten blieb sie stehen. Auf dem Weg, den sie gekommen war, konnte sie unmöglich zurück. Hier war bereits alles überschwemmt und versank im Morast. Besorgt sah sie zum Himmel. Zu allem Überfluss türmten sich am Horizont schwarze Wolken auf, aus denen schon vereinzelt, grelle Blitze schossen. Es war nicht mehr zu übersehen, dass ein heftiger Sturm aufzog. Höchste Zeit, nach Hause zu kommen. Wofür ihr jetzt nur noch zwei Möglichkeiten blieben. Wählte sie den sicheren Weg, würde sie bis nach Hause weitere drei Stunden brauchen. Angesichts des nahenden Unwetters und des bevorstehenden Familienessens war das keine ratsame Option. Womit ihr nur der Weg über die Schlucht blieb. Was bei diesem Wetter kein leichtes Unterfangen war, da über den Abgrund nur ein schmaler, unsicherer Steg führte.

    Kiana atmete tief durch. Im Moment hatte sie nur diese eine Alternative. Wenn sie weiterhin zögerte, würde sie mit Sicherheit ins Auge des Sturms geraten. Und weit schlimmer, sie würde sich zum traditionellen Essen und Jeromes Machtdemonstration verspäten. Oder ... weit tragischer, sie würde dort erst gar nicht erscheinen. Daraus resultierende Folgen wollte sie sich erst gar nicht ausmalen.

    Mit einen tiefen Seufzer band sie ihre langen, rotgelockten Haare im Nacken zusammen. Dann rannte sie los.

    Erst an der Waldgrenze blieb sie im Schutze der Bäume stehen. Vor ihr lag eine kurze freie Fläche. Dahinter kam besagte Schlucht, dessen Verbindung zur anderen Seite nur dieser glitschige Steg war. War dieses Hindernis geschafft, führte ein von Felswand und Abgrund beengter Pfad bis zu den von dichtem Wald umgebenen Fabriken der Clans. Aber auch dieser Weg hatte so seine Tücken. Uneben und voller Wurzel, Steine und glattem Fels war er nicht nur bei schlechtem Wetter gefährlich. In den unterhalb des Abgrundes gelegenen, reißenden Fluss waren schon viele Menschen bei weit besseren Wetterverhältnissen gestürzt.

    Kiana holte tief Luft und rannte los.

    Vor dem Steg blieb sie zögernd stehen. Nicht aus Angst, nein. Was sie am Weitergehen hinderte, war ihr überaus empfindliches Gefühl für ihre Umgebung. Noch bevor sie etwas sehen konnte, wusste sie, dass jemand oder etwas direkt auf sie zukam. Um nicht sofort entdeckt zu werden, kauerte sich Kiana vor dem Steg auf den Boden. Sie hatte sich kaum geduckt, als auch schon ein Mann aus dem Wald der Murenis kam. Er schien es äußerst eilig zu haben. Ohne sein Tempo zu drosseln, rannte er auf dem schmalen Pfad Richtung Steg.

    Kiana bewegte sich nicht. Unwillig schüttelte sie mit dem Kopf. Dieser Mann schien vor irgendetwas oder jemanden auf der Flucht zu sein. Und das, ohne auch nur im Geringsten auf seinen Weg zu achten. Auch seine Art, sich fortzubewegen war seltsam. Womöglich lag es an seiner untersetzten Gestalt und daran, dass er seinen Oberkörper ungewöhnlich weit nach vorne beugte. Geradeso, als ob er mit dem Kopf durch eine Wand wolle.

    „Mach langsam und achte auf deinen Weg", warnte Kiana leise, da der Mann mit unverändertem Tempo über den glitschigen Fels lief.

    Wie von Kiana befürchtet, stolperte er und stürzte. Als er unbeholfen aufstand, sah er sich ängstlich um.

    „Wirst du verfolgt?", überlegte Kiana.

    Der Mann lief weiter. Dabei drehte er sich immer wieder um. Kiana beobachtete ihn kopfschüttelnd. Sie hatte es kommen sehen. Dadurch, dass er sich ständig umdrehte, achtete er noch weniger auf die Bodenbeschaffenheit. Er fiel erneut auf den Boden. Dieses Mal schlug er hart und dicht am Abgrund zur Schlucht auf. Sein Schmerzensschrei war weithin zu hören. Eine Weile blieb er reglos liegen.

    Kiana stand besorgt auf. In dem Moment, in dem sie den Steg überqueren wollte, kam ein weiterer Mann aus dem Unterholz des Mureni-Waldes. Kiana duckte sich erneut. Dieser Mann war wesentlich größer als der, den er augenscheinlich verfolgte. Er war schlank und wirkte durchtrainiert.

    Kiana blieb unschlüssig in der Hocke. Auch der Große hielt kurz inne. Er sah sich suchend um. In dem Moment stand der Flüchtende schwerfällig und gefährlich schwankend auf. Dabei drückte er seinen rechten Arm mit schmerzverzerrtem Gesicht an sich. Er sah sich nervös um und kam erneut ins Rutschen. Um sein Gleichgewicht zu halten, ruderte er mit dem unverletzten Arm wild durch die Luft.

    Kiana rannte zeitgleich mit dem großen Mann los. Er erreichte den Unglücksraben in dem Moment, in dem er zu Boden fiel. Ohne zu Überlegen hielt sich sein Verfolger mit der einen Hand an einem herausragenden Ast fest, mit der freien Hand erwischte er den Kleinen genau in dem Moment an seiner Jacke, in dem er über den Abhang rutschte. Für einen Augenblick hing der Flüchtling frei in der Luft. Auch Kiana war jetzt nur noch wenige Schritte von der Unglücksstelle entfernt. Entsetzt sah er seinen Helfer an. In seinen Augen lag die Gewissheit, dass er dem Tode geweiht war. Noch bevor Kiana helfen konnte, riss die Jacke des Kleinen und er stürzte ins Bodenlose. Er schrie nicht. Er rief nur einen Namen. Manee.

    Einen Moment blieb der große Mann fassungslos über den Abgrund gebeugt. Als er sich umdrehte und in Kianas erschrockenes Gesicht sah, wurde ihm erst bewusst, dass er nicht alleine war. Er stöhnte leise und zog sich am Ast hoch. Kaum, dass er sicheren Boden unter den Füßen hatte, kam der vom Regen durchtränkte Hang ins Rutschen. Der Fremde verlor den Halt und stürzte. Im Fallen drehte er sich geistesgegenwärtig um die eigene Achse, wodurch er sich mit einer Hand an einem freigespülten Felsen festhalten konnte. Mit der anderen Hand suchte er nach einem weiteren Halt. Kiana griff zu und umschloss fest seine Finger.

    Der Fremde sah Kiana erstaunt an.

    „Lass los!, rief er gegen den stärker werdenden Wind. „Du kannst mich nicht halten!

    Kiana schüttelte mit dem Kopf. Sie selbst hielt sich an einem dünnen Stamm fest. Was nicht gerade der sicherste Halt war. Sie sah den Fremden wütend an.

    „Suche etwas, worauf du dich mit den Füßen abstützen kannst!, schrie sie. „Dann kann ich dich halten!

    Der Fremde lächelte. Regen peitschte ihnen ins Gesicht und der Wind zerrte an ihren Haaren. Der Sturm kam näher. Mit einer Hand klammerte er sich am Fels fest, und mit der anderen hielt er Kianas Finger umschlossen. Er hatte nur mit den Fußspitzen einen unsicheren Stand finden können. Etwas Bequemeres und Stabileres gab es nicht. Was diese zierliche Frau mit Sicherheit wusste, was sie allerdings nicht wahrhaben wollte. Der Fremde lächelte gequält. Lange war es ihn sowieso nicht mehr möglich, sich an diesem schmalen Felsvorsprung festzuhalten. Eine Tatsache, die diese bezaubernde Frau einfach ignorierte. Wäre er jetzt alleine, würde er vor Wut schreien. Er war unvorsichtig gewesen, und er hatte versagt. So sah er ihr nur unverwandt in ihre ausdrucksstarken, dunklen Augen.

    ‚Gott, wenn es dich gibt, dann bitte, lass mich noch einen kleinen Moment am Leben‘, dachte er. ‚Schenke mir noch einen Blick in ihre Augen. Und bitte, lass meine Hand noch ein bisschen länger in der ihren. Diese Frau ist etwas Besonderes. Sie hat Mut und sie gibt schwer auf.‘

    Er lächelte. Genauso hatte er sich seine zukünftige Frau vorgestellt. Nur etwas größer. Diese Frau mit den roten, lockigen, vom Wind zerzausten Haaren, die ihr mit Sicherheit bis zur Taille reichten, schien doch ein bisschen klein zu sein. Es war verdammt mutig von ihr, ihn, einen Fremden retten zu wollen. Er lockerte seinen Griff, mit dem er sich instinktiv an ihre Hand geklammert hatte.

    „Wage es nicht!, zischte Kiana mit funkelnden Augen, die den Blitzen in der Ferne wahrhaft Konkurrenz machen konnten. „Wage es nicht, und lass meine Hand los!

    In ihrer Stimme lag etwas, das keinerlei Widerspruch duldete. Weshalb er, ohne zu überlegen, fester zugriff. Er, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen, wagte es nicht, dieser Frau zu widersprechen. In dem Moment, in dem ihm das bewusst wurde, schmunzelte er. Sie hatte keine Wahl. Das war nicht nur ihm, das war auch ihr klar. Früher oder später musste sie ihn loslassen. Ihre Kräfte schwanden bereits. Das war ihm nicht entgangen. Er wollte diesen wundersamen Augenblick nur noch ein kleines bisschen hinauszögern. Das waren die letzten Minuten seines Lebens. Er würde sie nicht gefährden, aber er wollte diesen wunderbaren Moment so lange hinauszögern und auskosten, solange es ging.

    Mit einem Male hatte der Fremde den Duft von frisch gebackenem Apfelkuchen in der Nase. Eine Erinnerung aus einer längst vergangenen Zeit. Eine Geschichte aus vergessenen Kindertagen. Er atmete tief ein. Ein Backwerk seiner verstorbenen Großmutter aus besseren Zeiten. Aus einer Epoche, als alles noch annähernd normal war. Er schüttelte unmerklich mit dem Kopf. Seltsam doch, wie real eine Empfindung sein konnte, die er einzig und alleine aus wirklichkeitsgetreuen und äußerst lebhaften Schilderungen seiner Großmutter kannte. Ein Duft aus Zimt und Äpfeln. Zutaten, die es in seinem Leben nie gegeben hatte. Er hatte nie Apfelkuchen gegessen. Es war die Erinnerung aus einem Leben, das es vor dem langen Winter gegeben hatte. Und genau wie damals, als seine Großmutter von diesem Kuchen schwärmte, konnte er auch jetzt, im Angesicht des Todes, den Geschmack auf der Zunge spüren, ohne ihn jemals wirklich gekostet zu haben.

    Der Fremde stöhnte leise.

    In seinem Fuß hatte er einen schmerzhaften Krampf. Lange konnte er sich in dieser Stellung nicht mehr halten. Und auch die Hand dieser geheimnisvollen Frau rutschte langsam aber sicher aus der seinen. Er sah sie liebevoll und bewundernd an.

    ‚Dafür, Gott, dafür lohnt es sich zu sterben. Diese Frau einmal im Leben gesehen zu haben ist ein Geschenk. Wenn es dich gibt, dann danke ich dir für diesen Augenblick.‘

    „Lass los, befahl er. „Sonst reiße ich dich mit in die Tiefe. Und das will ich nicht. Heute sind schon genügend Menschen gestorben. Du sollst leben. Du bist schließlich wesentlich hübscher und mutiger, als ich es bin. Lebe. Die Welt braucht etwas Erfreuliches. Dich. Also lebe.

    Sein leises Lachen spiegelte sich in seinen Augen.

    „Halt die Klappe!", zischte Kiana wütend.

    Trotz ihrer Wut war ihr klar, dass er recht hatte. Ihre Schulter schmerzte höllisch. Sie hatte das Gefühl, als ob ihr der Arm jeden Moment aus dem Gelenk reißen würde. Ihrer beiden Hände rutschten. Lange konnte weder sie ihn, noch er sich selbst halten. Wie um alles in der Welt sollte sie ihn hochziehen können? Ihr fehlte die nötige Kraft dazu. Was sie dringend brauchten, war Hilfe.

    Kiana lachte bitter.

    Selbst wenn bei diesem Wetter zufällig jemand vorbeikommen würde, bezweifelte sie stark, dass dieser Jemand auch helfen würde. Die Zeiten hatten sich geändert. Sie waren mehr als nur schlecht. Und die Menschen waren nicht besser. Jeder war sich selbst der Nächste. Achtlosigkeit und Egoismus waren traurige Tatsachen.

    Kiana weinte. Nicht mehr lange und dieser Mann wird in den Tod stürzen. Und sie war nicht fähig, das zu verhindern.

    ‚Oh Gott! Er ist ein Mensch! Bitte hilf ihm!‘

    2

    Sebastian und Leona erinnern sich

    Nachdem sich die Kinder verabschiedet hatten, setzte sich Sebastian wieder in seinen Sessel. Leona stellte nachdenklich Teller und Tassen auf ihr Tablett. Mit einem Seufzer ließ auch sie sich wieder

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