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Obscuritas: Wenn das Dunkel kommt.....
Obscuritas: Wenn das Dunkel kommt.....
Obscuritas: Wenn das Dunkel kommt.....
eBook397 Seiten4 Stunden

Obscuritas: Wenn das Dunkel kommt.....

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Über dieses E-Book

Jedes Jahr wenn der Herbstwind die Blätter von den Bäumen weht, treibt die Dunkelheit die Schwachen und Ängstlichen fort aus Angeltown...
Diese Dunkelheit ist keine gewöhnliche Dunkelheit. Niemand weiß, warum es ausgerechnet in dieser Stadt passiert. Es war schon immer so. Die Menschen nahmen es hin. Forschten nicht, wollten es gar nicht wissen.
Anfangs dauert die Dunkelheit nur wenige Stunden, doch von Tag zu Tag erobert das Dunkel mehr Zeit und Raum. Aus Stunden werden Tage und schließlich Wochen. Wochen der Dunkelheit, eine Welt in Schwarz.
In der Finsternis geschehen Dinge...Dinge, die die Menschen vor Angst zittern ließen. Um sie zu schützen schickte man die Schwachen, die Frauen und Kinder fort. Aber einige Männer blieben, sie wollten ihre Stadt nicht der Dunkelheit preisgeben. Irgendwann kehrte das Licht wieder zurück und mit ihm die Geflohenen. Sie blieben. Bis zur nächsten Dunkelheit.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum1. Aug. 2018
ISBN9783742727664
Obscuritas: Wenn das Dunkel kommt.....

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    Buchvorschau

    Obscuritas - Jutta Pietryga

    Obscuritas

    Wenn das Dunkel kommt......

    Fantasy-/Mysterieroman von

    Jutta Pietryga

    Inhaltsverzeichnis

    Der Traum 4

    Die Kinder 15

    Der Ort 22

    Betty und Jane Carter 27

    Auf dem Friedhof 34

    Rick 45

    Die Martinez 47

    Im Wald 54

    Noah Wheiley 68

    Der Fremde 73

    Joseph Finley 76

    April 78

    Rick 124

    Mary 130

    Unter der Sakristei 137

    Der Bus 151

    Noah 154

    Mary 167

    Die Anderen 171

    Joseph Finley 174

    Jason Farlow 177

    Joseph Finley 180

    Die Kirchenchronik 183

    Der Bus 185

    Die Kirchenchronik 196

    Noah und Sarah 200

    Ava 204

    Der Bus 218

    Bud Spencer 225

    Hilda 227

    Steve Harrison 229

    Der Bus 231

    Alpha et Omega 237

    Steve Harrison 244

    Robert Jones 248

    Im Bus 252

    Aufbruch zur Stadt 257

    Obscuritas 269

    Marshall Grant 283

    Luke Butler 290

    Rick 293

    In der Kirche 301

    Die Turnhalle 305

    Noah 310

    Evakuierung 317

    Emilio Sanchez 319

    Philipp Marlow 321

    Die Turnhalle 324

    In der Kirche 327

    Noah 329

    Philipp Marlow 331

    In der Kirche 336

    Joseph Finley 346

    Aaron 350

    Das Licht 353

    Das Hotel 361

    Auf dem Weg zur Stadt 369

    Der Leuchtturm 376

    In der Bar 377

    Exorzismus 385

    Auf dem Leuchtturm 393

    Sarah 398

    Der Traum

    Die Kleinstadt lag im Dunkeln. Lichtlose Fensterhöhlen schauten auf verwaiste Straßen. Schwer summend schwebte der Ton der Kirchturmuhr durch den Ort, unbeirrt davon, ob jemand ihm Beachtung schenkte.

    Den braunen Teddy im Arm durchlief das Kind soeben die Tiefschlafphase:

    Im Traum sah es auf die Siedlung herab:

    Es erfasste den Weg, der aus dem Ort herausführte. Dunst wabte außerhalb der schlafenden Stadt, über den Feldern und Wiesen, da, wo die Schafe weiden. Trotz des Nebels erkannte der Junge deutlich den Pfad, der sich hinauf bis in den Forst schlängelte. Das Kind schauerte im Schlaf, es mochte den Wald nicht, kam ihm bedrohlich vor, als wollte er ihn verschlingen.

    Oberhalb der Baumwipfel wurde es zögerlich heller, behäbig stieg der Mond über den Baumkronen empor. Es war Vollmond. Und heute zeigte er sich zum letzten Mal.

    Ein Luftstrom streichelte die Bäume, erzeugte sanftes Rauschen, fuhr in das gefallene Laub, das den Waldboden bedeckte. Der Wind ließ die Blätter auf dem Boden tänzeln. Knisternd rieb das trockene Blattwerk gegeneinander.

    Bezeugt vom bleichen Auge des Erdtrabanten schälte sich aus dem Dunkel des Unterholzes eine Gestalt. Suchend sah sie umher, stellte sich unter die uralte Eiche. Schwarzes Haar flatterte in dem Lüftchen, das allmählich an Stärke gewann.

    Dem Jungen kam diese Erscheinung bekannt vor. Er wusste, er hatte sie bereits einmal gesehen.

    Das Wesen erweckte einen düsteren Eindruck, wie es da stand und auf den Ort starrte. Irgendetwas beschäftigte es unmäßig.

    Nach einer Weile reckte sich das Geschöpf, stellte sich dabei auf die Zehenspitzen. Anschließend ging es in die Hocke, stieß sich ab, sprang in die Höhe und verschwand. Die Blätter der Eiche raschelten heftig. Protestierend breitete eine Eule, die dort Posten bezogen hatte, ihre Schwingen aus. Krächzend flog sie davon. Das Blattwerk des knorrigen Baumes sah deutlich dunkler aus.

    Der Mond, der über den Wipfeln leuchtete, warf einen bizarren Schatten auf die Erde. Eine Zeitlang verharrte er, schickte gelbes, kaltes Licht auf das Land. Schließlich wanderte er weiter, hinunter zum Ort.

    Sein kühler Schein streifte die Gebäude, die unbelebt in der Dunkelheit standen. Forschend schien er mal in jenes, mal in ein anderes Fenster.

    Ein Haus mit hellblauen Schindeln, schützend von einem weißen Lattenzaun umgeben, ließ ihn innehalten. Zielbewusst kletterte er die blaue Hauswand empor. Am Sprossenfenster des ersten Stockes hielt er inne, betrachtete die Gestalt im Bett. Der Mond lächelte triumphierend. Suchend tastete sein Schein im Zimmer umher, verharrte erneut auf dem Antlitz des Kindes.

    Die Helligkeit störte den Kleinen nicht. Er schlief den Schlaf der Unschuldigen.

    Nach geraumer Zeit verschwand der Mond hinter bleischweren Wolkenklumpen.

    Von irgendwoher ertönte jämmerliches Fiepen, steigerte sich zum Winseln, um in verhaltenes Bellen umzuschlagen, das zu drohendem Knurren wuchs.

    Das von der Sommersonne gebräunte Gesicht des Jungen erbleichte. Kalkweiß, wie die Zimmerwände, sah es aus, fortgewischt, der friedliche Gesichtsausdruck. Gleich einer Statue lag er da. Die vor Kurzem lächelnden Lippen aufeinander gepresst, lediglich nur als Strich zu erkennen. Unruhig zitternd fuhren zarte Armee auf der Bettdecke umher. Die zu Fäusten geballten Hände hämmerten verzweifelt auf die Zudecke. Abwehrend streckte der Junge die Arme vor, sein Leib zuckte. Er drückte den Körper nach oben, als wollte er etwas abschütteln. Das geschah dermaßen heftig, dass der geliebte Teddy auf den Boden fiel. Erschrocken glotzten die Glasaugen des Teddys zur Zimmerdecke.

    Unverständliche Worte flossen über die bläulichen Lippen des Jungen. Regungslos lag er auf dem Bett, öffnete dann ruckartig die Augen. Grauen erfüllt starrten sie nach oben. Die schmächtige Kinderbrust hob und senkte sich heftig.

    Er hörte sie noch, diese flüsternden Stimmen, sah noch ihre grässlichen Gesichter, ihre grauenhaften Gestalten, die um ihn herum tanzten:

    Komm mit uns. Du gehörst zu uns, raunten sie ihm zu.

    Die Wesen ließen nicht von ihm ab, zerrten an ihm. Sie sollen endlich damit aufhören!

    Der Junge steckte in dem eigentümlichen Moment zwischen Wachsein und Schlafen. Er wusste, ein Traum hielt ihn gefangen und er war nicht im Stande, diesen zu ändern. Wenn er sich aber konzentrierte, war es vielleicht möglich, das Geschehen zu manipulieren. Er musste die Realität herbeizwingen. Abrupt setzte er sich auf, als würde es passieren, wenn er es inbrünstig wünschte. Schutz suchend beugte er den Oberkörper vor, riss den verkniffenen Mund auf. Dann schrie er. Schrille, panische Schreie bahnten sich ihren Weg. Warm lief es seine Beine entlang. Das war ihm egal. Er wollte nur schreien!

    Mit besorgten Gesichtern stürmten die Eltern, April und Rick Falcon ins Zimmer. Bei den ersten Aufschreien wussten sie, Norman plagte wieder einen dieser Albträume. Dessen ungeachtet fragte Rick:

    Was ist los? was ist passiert!

    Forschend huschten seine Augen durch das Kinderzimmer. Mit gewollt lässigen Schritten trat er zum Fenster, überprüfte es betont auffällig.

    Selbstverständlich war es verschlossen, dachte, wusste er, kontrollierte es jedoch trotzdem, wie er es immer tat. Er setzte sein Es-ist-alles-in-Ordnung-Gesicht auf, checkte, wie stets die Schränke. Norman sollte sich behütet wissen. Das unter-dem-Bett-Gucken unterließ er heute. Das Vorherige musste zur Beruhigung ausreichen.

    Rick war hundemüde, wollte zurück ins Bett. Ein schlechtes Gewissen beschlich ihm augenblicklich bei diesem Wunsch. Aprils Miene bestärkte das Gefühl zusätzlich. Sie drehte ihr Gesicht beiseite, hob indigniert eine Augenbraue, wie immer, wenn sie ungnädig war. Ihr vorwurfsvoller Blick malträtierte ihn. Schließlich bückte sie sich, holte das Versäumte nach:

    Niemand unter dem Bett, Liebling, versicherte sie.

    Tränen stiegen in Normans graue Augen auf. Rasch setzte sie sich auf die Bettkante, nahm ihn tröstend in die Arme. Zärtlich strich sie ihm die feuchten, blonden Haarsträhnen aus dem verschwitzten Gesicht, lächelte ihn liebevoll an. Während sie beruhigend auf ihn einredete, wiegte sie ihn sanft. Die besorgten Augen der Eltern trafen einander:

    Wann hören diese Albträume endlich auf, dachten sie.

    Eine Weile genoss Norman die Geborgenheit der mütterlichen Arme. Dann strebte er fort, wollte zum Vater,überlegte:

    Dad war stärker als Mama, würde ihn besser beschützen. Außerdem ist Dad der Sheriff.

    Normans Lippen zitterten. Zaghaft lächelte er, in der Hoffnung, dies könnte die Furcht vertreiben. Über Ricks Schultern gewahrte er Linny. Zitternd stand seine ältere Schwester in der Tür. Ihre braune Augen schauten sie verängstigt an. Die blonden Haare, vom Schlaf zerzaust, umgaben wirr ihren Kopf. Norman staunte:

    "Linny hatte ja Angst!"

    Nie zeigte sie sich ängstlich, tat immer erfahren und unerschrocken.

    Was ist los? Warum seid ihr alle auf? Fragte sie.

    Dein Bruder hat schlecht geträumt, antwortete Rick.

    Ach, so.

    Linny dehnte das so, ungerührt sollte es klingen, Ihre bebende Stimme widersprach dem.

    Rick nahm Norman auf den Arm, schritt mit ihm zur Tür. Der Junge hoffte, bei den Eltern übernachten zu dürfen.

    Heute Nacht schläfst du bei uns, entschied sein Dad im selben Moment.

    April bemerkte den nasse Pyjama:

    Einen Augenblick Rick. Norman braucht einen frischen Pyjama.

    Irritiert musterte Linny den Raum. Etwas war anders, aber was? Sie sah auf den Boden, hob den Teddy auf. Sie umklammerte das Plüschtier, sah beklommen umher, entdeckte nichts Ungewöhnliches. Doch dieses ungute Gefühl blieb. Eisig kroch es ihr über den Nacken, wie eine Raupe, die sich zu ihrem Kopf vortastete. Erstaunliche Kälte beherrschte den Raum. Schaudernd umfasste das Mädchen ihre Oberarme. Merkten die Anderen das nicht? :

    Komisch diese Eiseskälte. Heute war es doch warm!

    Ein erneuter Kälteschauer rollte ihren Rücken entlang, schüttelte ihren Oberkörper. Die eigentümliche Kühle haftete nicht nur an der Oberfläche ihres Körpers, sondern füllte das Innere ihres Bauches, stieg empor bis zum Hals. Ein Druck lastete auf ihrer Brust. Das Druckgefühl nahm zu. Das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer. Namenlose Angst, sie wusste nicht weshalb, packte sie:

    Ich muss mich verstecken, dachte sie, rannte auf dem Flur. Zögerlich folgte sie der Familie:

    Eigentlich bin ich zu groß, um im Bett von Mum und Dad zu schlafen.

    Es beruhigte sie unendlich, dass ihr Vater sagte:

    Komm her Linny, wir wollen zusammen kuscheln.

    Geborgen lagen die Kinder zwischen den Eltern:

    Dad, ich habe nicht geträumt. Sie sind in echt da gewesen. Die Monster wollten mich holen, murmelte Norman, bereits halb im Schlaf.

    Alles gut!

    Rick

    Obwohl Rick übermüdet war, fand er keinen Schlaf. Gern wäre er aufgestanden, umhergewandert, um seine Gedanken zur Ruhe zu zwingen. Er wagte hingegen nicht, sich zu bewegen, aus Sorge, die Kinder zu wecken, die sich rechts und links an ihn klammerten. Neidisch registrierte er Aprils gleichmäßige Atemzüge, die Beneidenswerte schlief.

    Es lauschte dem Säuseln des Windes. In der Stille hörte er selbst die Zweige der Kletterrosen, wie sie sanft gegen die Hauswand schlugen. Von irgendwo durchdrang das Rufen eines Käuzchens die nächtliche Ruhe. Später schloss er aus dem Rauschen der Bäume, dass der Wind an Stärke zunahm. Es war soweit! Der Indian Summer verabschiedet sich. Wehmut schlich in sein Herz. Mit Riesenschritten eilte der Herbst vorbei, den Winter auf den Fersen.

    Er wünschte, er hätte seine Familie überreden können, dieses Jahr auch zu verreisen. In glühenden Farben versuchte er, ihnen Florida schmackhaft zu machen, übertraf sich selbst war richtig gut, fand er. Die Erinnerung ließ ihn grinsen. Großmutter blieb stur! April stand ihr da in nichts nach. Dabei war sie seine Granny! Erneut überflog ein Lächeln sein Gesicht. Gern hätte er die Liebste jetzt angesehen, sie gestreichelt. Leider lagen die Kinder zwischen ihnen.

    Ricks Gedanken kehrten zurück zu Normans Ängsten. Sanft lockerte er dessen Arm von seinen Hals, schob ihn behutsam beiseite. Nur zu gut verstand Rick die Furcht des Sohnes. Als Kind litt er gleichfalls unter garstigen Träumen. Es war stets der gleiche Albtraum, der ihn quälte. Er überlegte, was er damals träumte, wovor er sich fürchtete. Es fiel ihm einfach nicht ein. Er fühlte sich wie nach einer Gehirnwäsche. Es ist eben schon zu lange her, schlussfolgerte er. Obwohl, vergaß man solche Träume je?

    Irgendwann hörten die Albträume auf. Wann war das gewesen? Genau, nach dem ungeklärten Unfalltod der Eltern, damals, als es geraume Zeit so dunkel war.

    Seine Großeltern, indianischer Abstammung, nahmen den Zehnjährigen auf. Der Großvater, trotz seiner Herkunft, Bürgermeisters von Angeltown, verstarb vor knapp zwanzig Jahren. Bisweilen vermisste Rick ihn auch heute noch.

    Granny, ja, er würde die Großmutter wegen Norman um Rat fragen.

    Ein schnarrender Laut aus seiner Nase ließ ihn zusammenzucken. Das Geräusch verwunderte ihn, ließ ihn grinsen. Er stand wohl im Begriff endlich einzuschlafen. Entspannt drehte Rick sich auf die Seite, knuffte das Kopfkissen zurecht und genoss das Herannahen des Schlafes.

    Schlaftrunken, in dicken Bademänteln gehüllt, hockten April und Rick, am Küchentisch vor den weiß gerahmten Sprossenfenstern, hinter denen zögerlich die Schwärze der Nacht dem Licht des Morgens wich.

    Die aus Kiefernholz gefertigten Möbel verliehen der Küche ein gemütliches Aussehen. Das spärliche, aber sanfte Licht der Dunstabzugshaube verstärkte die anheimelnde Atmosphäre zusätzlich. Das alles jedoch nahmen die Beiden momentan nicht zur Kenntnis, zu sehr damit beschäftigt, müde zu sein. Schwer stützten sie die Ellenbogen auf dem Tisch, das Kinn ruhte auf den Handkanten, die Handflächen an den Wangen.

    Das Blubbern der Kaffeemaschine verkündete, das durchgelaufene Wasser. Aromatischer Duft von frischem Kaffee zog durch die Küche.

    April strich die blonden Locken hinter die Ohren. In rosafarbenen Plüschpantoffeln, ein Geschenk der Kinder, schlurfte sie zum Kaffeeautomaten, goss das ersehnte Getränk in die bereitstehenden Tassen. Die Augen minimal geöffnet gab sie Zucker sowie Milch hinzu. Energielos schlappte sie zurück zum Esstisch.

    Die Morgenmuffel umklammerten ihre Kaffeebecher, als fürchteten sie, sie könnten ihnen abhandenkommen. Ungeduldig pusteten sie in den heißen Wachmacher, tranken genüsslich den ersten Schluck. Angestrengt versuchten sie, munter zu werden.

    Bei Rick lief das Trinken nicht ohne Geräusch ab. April beschloss, diese Töne zu ignorieren, noch fehlte ihr die Kraft, das zu kommentieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit hoben beide den Kopf. Die Lebensgeister kamen in Gang, Energie fing an zu pulsieren. Sie lächelten einander zu.

    Normans Albträume sind erschreckend, seufzte April schließlich.

    Hmhm, ja, das macht uns alle fertig.

    Einige Schlucke Kaffee später fügte Rick hinzu:

    Wir sollten mit Granny sprechen. Bestimmt weiß sie Rat, kennt ein Mittel, das ihm hilft, besser zu schlafen.

    Seine Großmutter, Mary Falcon, obwohl weit in den Achtzigern, noch sehr agil, gehörte zum Stamm der Abnakis. Ihr Vater, Schamane des Stammes und die Ältesten lehrten Mary viel über die Natur. Die Indianer glauben, dass jede Kreatur, jeder Stein, jeder Baum und jeder Berg eine Seele besitzen. Aus diesem Grund sollten die Menschen im Einklang mit der Natur leben, sie achten und respektieren.

    Die Einwohner des Ortes verehrten seine Großmutter, da sie allerhand über die Natur, deren Geheimnisse und Heilkräfte wusste. Oft baten sie Mary um Hilfe. Manche bezeichneten sie liebevoll als ihre Kräuterhexe.

    Der schrille Ton des Telefons störte die morgendliche Stille. Das Ehepaar zuckte zusammen. Auf der Stelle eilte April zum Apparat, bevor das Geläut die Kinder weckte. Auf den Weg dorthin stöhnte sie, wünschte sich noch ein bisschen Ruhe, ehe die Hektik des Tages losging:

    Es ist für dich.

    So früh ... na das kann nur eines bedeuten.

    Aufmerksam lauschte Rick dem aufgeregten Anrufer. Im Zeitlupentempo legte er das Telefon zurück in die Aufladestation, verharrte einen Moment und wandte sich schließlich mit einem deutlichen Fragezeichen im Gesicht um. Fahrig fuhr er mit beiden Händen durch sein schwarzes, kurzgeschnittenes Haar. Stockend, mit den Gedanken beim Telefonat, erklärte er:

    er fort:

    Auf dem Friedhof haben irgendwelche Idioten Grabsteine umgeworfen und anderen Quatsch. Ich muss gleich los.

    April bekam einen raschen Kuss, bevor Rick Richtung Hausflur hastete. Noch ehe er die Haustür erreichte, rief sie lachend:

    So!! Vielleicht solltest du erst einmal duschen und dir was Anständiges anziehen Chief. Das macht sich besser.

    Der Hüter des Gesetztes grinste verlegen:

    Auch wieder wahr. Was bist du doch für eine kluge Frau.

    Nur gut, wenn du das ab und zu einsiehst, mein Liebster.

    Die Kinder

    Verabschiedend winkte April Rick vom Küchenfenster zu, eilte dann umgehend zur Kaffeemaschine, um ihre Tasse aufzufüllen.

    Ein paar Minuten noch, bitte.

    Sie schaffte genau vier, da hörte sie Norman und Linny von oben. Sie lauschte:

    Gut, sie toben im Badezimmer. Da habe ich noch eine Galgenfrist.

    Den lebhaften Stimmen nach schienen die Kinder zu streiten. Morgens fehlte ihr dafür einfach noch die Geduld. Erfreulicherweise begann ihr Dienst heute erst zur dritten Stunde, Zeit, den Tag entspannt zu starten. Steve Harrison, der neue Kollege, erteilte vorher Sport.

    Grübelnd runzelte sie die Stirn, als sie an den Lehrer dachte. Seit knapp sechs Wochen unterstützte er sie jetzt. Sie war froh über seine Hilfe, wurde gleichwohl einfach nicht warm mit ihm. Bisher kannte sie Probleme in dieser Richtung nicht. Ihr aufgeschlossenes Naturell nahm jeden sofort für sie ein.

    Unaufhaltsam rückten die Geräusche der lärmenden Kinder näher. Schon hörte sie die Beiden die Treppe hinunter poltern und beschloss, die Ohren auf Durchzug zu stellen. Ergeben seufzend stand sie auf, um die Schalen mit den Cornflakes zu füllen.

    Ihre Tochter stieß die Küchentür auf und brüllte:

    Mama, Norman will Halloween als Cowboy gehen. Wie doof ist das denn! Cowboys sind doch kein bisschen gruselig!

    April verzog ihr Gesicht ob dieser lautstarken morgendlichen Begrüßung.

    Denn eben als Sheriff! maulte ihr Bruder nicht ganz so laut, aber laut genug.

    Ein Sheriff ist auch nicht gespenstisch. Schließlich muss er die Leute beschützen und dafür sorgen, dass niemand etwas Schlimmes tut. Oder findest du Dad vielleicht unheimlich.

    Nö, Dad ist der beste Sheriff der ganzen Welt.

    Genau! Halloween ist das Fest der Hexen, Gespenster und Geister. Und als so was musst du dich verkleiden. Du musst ordentlich gruselig sein, damit die Anderen Angst vor dir haben, sonst bekommst du nichts Süßes.

    Ihr Bruder zog einen Flunsch.

    Kinder hört auf zu streiten. Bis dahin dauert es noch eine Weile. Da finden wir garantiert das Richtige für Norman.

    Ihr Sohn strahlte sie an. Zufrieden machte er sich über die Schale mit den Schoko-Pops her.

    Hmm, Linny zuckte ihre Schulter, griff ebenfalls zum Löffel, krauste die Stirn und bemerkte dann altklug:

    Wenn du meinst, Mum, obwohl ich glaube, Normans Ideen dürften diesbezüglich ziemlich eingeschränkt sein.

    Ihre Mutter verdrehte genervt die Augen, verzichtete jedoch auf eine Antwort. Wortlos packte sie die Lunchboxen, gab zuletzt Obst hinein und legte sie den Kindern auf den Tisch:

    Bitte geleert zurückbringen. Langsam wird es Zeit. Seht zu, dass ihr fertig werdet.

    Lustlos standen die Angetriebenen auf. Halbherzig zockelten sie die Treppe hinauf.

    Ein bisschen dalli und Zähne putzen nicht vergessen, rief April hinterher.

    Es währte nicht lange und die Kinder stürmten wieder herunter.

    Das ging aber schnell.

    Wir haben vorhin schon gründlich, konterte Linny, die genau wusste, was ihre Mutter meinte, und rannte aus der Haustür. Ihr Bruder, mit dem Rucksack kämpfend, folgte ihr nicht weniger eilig.

    Nach den ersten hastigen Schritten verlangsamten die Kinder das Tempo. Missmutig schlenderten sie Richtung Schule.

    Am liebsten würde ich gar nicht hingehen, maulte Norman, der die erste Klasse besuchte.

    Ich auch nicht und dann noch Sport!

    Schweigend trotteten sie nebeneinander her.

    Unsicher meinte Norman:

    Die Kinder sind in letzter Zeit anders. Irgendwie seltsam!

    Schüchtern schaute er Linny von der Seite an.

    Bestätigend nickte sie mit dem Kopf:

    Ja, finde ich auch. Alles macht gar keinen Spaß mehr.

    Norman staunte:

    "Wenn seine Schwester das sagte, wo sie so gerne in die Schule ging!

    Sollen wir einfach nicht hingehen? Fragte er zaghaft.

    Ne, das können wir nicht machen.

    Linny fasste ihren Bruder bei der Hand. Verdattert schaute er zu ihr auf. Das tat sie sonst nie. Gemeinsam durchschritten sie das Schultor, von wo sie direkt auf den Schulhof gelangten. Dort tobte bereits etliche Schüler. Sofort kamen die Freunde auf sie zu gestürmt, drängten die Klassenkameraden lebhaft zu den jeweiligen Gruppen. Norman, unschlüssig darüber mitzugehen, fügte sich nach kurzem Hin-und-her-Schwanken dem Druck der Schulfreunde.

    Wir spielen Gummi-Twist, rief Shirley, Linnys Tischnachbarin."

    Oh toll, da mache ich mit!

    Linny war gut in dem Springspiel, gewann oft. Die Reihe war an sie. Geschickt sprang sie mit dem Gummiband in die Grätsche und zurück. Um ein Haar stürzte sie, da sie sich irgendwie verhedderte. Das passierte ihr sonst nie. Gerade noch konnte sie den Sturz verhindern. Die Anderen kicherten schadenfroh. Am liebsten hätte sie die Freundinnen angefahren, riss sich jedoch zusammen, zuckte lediglich nur lässig mit den Schultern und tat den Beinahe-Sturz so als unwichtig ab.

    Neidisch schaute sie zu, wie Shirley einen Sprung nach dem nächsten meisterte. Eine andere, unangenehme Regung lenkte sie ab. In ihrem Rücken kribbeln es eigenartig. Das ungute Gefühl nahm zu.

    Jemand beobachtet mich, spürte sie:

    Wahrscheinlich amüsierte sich einer der Schüler immer noch über mein Missgeschick.

    Kälte fächerte Linnys Haut. Ein eisiger Finger strich ihre Wirbelsäule entlang. Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper. Furcht wallte in ihr auf. Es fühlte sich genau so an, wie gestern Nacht in Normans Zimmer. Beklommen wandte sie sich um.

    Ein Unbekannter, durchweg in Schwarz gekleidet stand dort am Zaun. Dürre Hände mit viel zu langen, spitzen Fingernägeln umklammerten den Maschendraht. Unheimliche Augen starrte sie an. Selbst aus dieser Entfernung nahm Linny den funkelnden Blick wahr.

    Der Mann grinste sie an und wandte sich dann dem Geschehen auf dem Schulhof zu, beobachte das Treiben intensiv. Ein Erstklässler entdeckte den Mann ebenfalls, lief auf ihn zu. Von einem Bein auf dem anderen hüpfend sprach er ihn an. Du siehst aber komisch aus, warum trägst du so komische Sachen? Bist du ein Schauspieler?

    Schauspieler?

    Irritiert sah der Fremden den Jungen an. Er runzelte die Stirn, schien zu überlegen, lächelte schließlich verstehend, ein Lächeln ohne Wärme. Jedes Wort mit Bedacht wählend, antwortete er mit hallender Stimme:

    Schauspieler ist nicht verkehrt, obwohl eigentlich weißt du, bin ich aus der Zeit gefallen.

    Der Erstklässler schaute verständnislos, öffnete den Mund, setzte zum Fragen an.

    Jetzt hau ab, raunzte der Fremde.

    Eingeschüchtert lief der Junge zurück, prallte dabei gegen Crystal Hammond. Enorme Wut pulsierte in ihn. Er kniff die Lider zu Schlitzen zusammen. Zugleich bombardierte er das entgeisterte Mädchen mit zornige Blicken:

    Eingebildete Kuh, ich hasste dich!

    Angriffslustig ballte er die Hände zu Fäusten, hätte am liebsten auf sie eingeschlagen, dache wutschnaubend:

    Die blöde Ziege meint, sie ist was Besseres! Allein schon diese piepsige Stimme! Wie die nervte! Ständig quasselte die Kuh. Er wollte diese Stimme abschalten, sie vernichten, Crystal Hammond auslöschen.

    Überdeutlich blinkte ein Messer vor seinem inneren Auge. Es blitzte und funkelte, lockte ihn. Er bedauerte, kein Messer zu haben. Was könnte er damit alles machen! Er spürte regelrecht, wie es in den weichen Leib hineinglitt. Wohlige Schauer durchrieselten den Körper des Jungen. Ein schönes Gefühl! Wirklich schade, dass er kein Messer besaß. Es drängte ihm, die Tat zu vollbringen. Er musste gehen! Ein Messer besorgen!

    Norman sieht den Mitschüler vor dem Fremden davonlaufen, beobachtet, wie dieser das Mädchen anstarrt. Sein Klassenkamerad ist wie verwandelt, sein Gesicht verzerrt, voller Hass. Norman bekommt Angst. Rasch schaut er fort, genau in die Richtung des Unbekannten, der immer noch am Zaun steht und den Jungen mit Blicken durchbohrte.

    Norman kann die Augen nicht von dem Mann abwenden, ist wie gebannt. Langsam wendet sich der Fremde von dem Jungen ab, fixiert jetzt Norman. Vor Schreck weicht Norman einen Schritt zurück. In rasender Abfolge tauchen Bilder in seinem Kopf auf, Bilder aus seinen Träumen, von den Wesen, die ihn holen wollen. Norman spürt, etwas zerrt an ihm, will ihn haben. Er fühlt, diese dunkle Gestalt will Böses.

    Er macht sich ganz steif, spannt jeden Muskel des Körpers an, selbst die Gesichtsmuskeln. Er sieht sein Gegenüber trotzig an, hält dessen Blick aus glühend leuchtenden Augen stand. Norman presst die Lippen aufeinander und kräuselte bewusst die Stirn, winzige Falten zeigen sich über der Nasenwurzel. Er will genau so finster aussehen wie der Fremde, will sich auf keinen Fall einschüchtern lassen. Der Mann ist böse und Norman will ihm zeigen, dass er es weiß. Gesichter erscheinen erneut in seinem Kopf, Bilder von Schamanen der Abnakis. Krieger, kämpfend, längst gestorben, huschen gedanklich vorbei. Ein absonderlicher Geruch, wie nach einem abgebrannten Feuerwerk, weht zu ihm herüber.

    Dieses Kind ist stark. Es gehört zu den Sehern erkennt der Fremde, gibt trotzdem nicht auf, Norman seinen Blick aufzuzwingen.

    Linny steht noch auf der gleichen Stelle, das Spiel längst unwichtig. Die Mädchen sind davongelaufen, jagen über den Schulhof, schubsen einander. Eine stürzt, weint, die anderen lachen gehässig. Auf der gegenüberliegenden Seite sieht sie Jungen, die mit Fäusten aufeinander losgehen. Ihr ist entsetzlich kalt. Das anarchische Treiben auf dem Pausenhof, die Kühle und der furchteinflößende Mann am Zaum wecken in ihr das Gefühl drohenden Unheils.

    Als ihr diese Erkenntnis bewusst wird, springt ihr aus ihrem hektisch schlagenden Herzen Angst in die Kehle. Sie betet, Norman möge zurückkommen, aufhören, den Fremden anzustarren. Die Kälte nimmt zu. Die Furcht droht ihr das Herz zu sprengen. Die Kinder toben und laufen immer noch herum.

    Merken die denn gar nichts, denkt sie.

    Sie ruft nach ihrem Bruder, drängelt, er soll endlich kommen. Erlösend kündigt die Schulglocke den Beginn des Unterrichtes an.

    Norman wendet sich von dem Mann ab und läuft zurück. Erlöst zieht seine Schwester ihn ins Haus.

    Der Ort

    Mit ausholenden Schritten strebte Rick durch die Stadt Richtung Friedhof.

    Stadt war eigentlich

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