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Heimliche Herrschaft: Die Gilde
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eBook315 Seiten4 Stunden

Heimliche Herrschaft: Die Gilde

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Über dieses E-Book

Für die meisten Jugendlichen ist das Wochenende der schönste Teil der Woche. Sie treffen sich, gehen ins Kino oder machen Videospiele.
Für Simon und seine Freunde ist das nicht anders. Aber sie verbringen diese Stunden auf eine wahrhaft fantastische Weise, doch niemand darf je davon erfahren. An jedem Wochenende gehen sie hinunter in die verborgene Welt der Zwerge oder Querxe, wie sie sich selbst nennen. Bei ihnen erlernen sie das Zaubern oder sie wandern durch den riesigen Fänggenwald mit all seinen Geheimnissen.
Im Unterschied zum letzten Jahr sind es jedoch nicht die Kobolde, die sie verfolgen. Diesmal ist es viel schwieriger, Freund von Feind zu unterscheiden und sie werden gezwungen, eine folgenschwere Entscheidung zu treffen.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum9. Mai 2023
ISBN9783740742010
Heimliche Herrschaft: Die Gilde
Autor

Volker Mattheis

Der Autor ist 69 Jahre alt, verheiratet und gelernter Tischler. Außerdem ist er stolzer Vater von vier Kinder. Seit Anfang 2018 genießt er den Ruhestand und kann endlich seinen beiden großen Leidenschaften nachgehen, dem Schreiben und dem Malen www.meinebildermeinbuch.de

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    Buchvorschau

    Heimliche Herrschaft - Volker Mattheis

    Ganz besonders möchte ich mich bei meiner Frau bedanken, die mir geholfen hat, diese Geschichte zu erzählen.

    Inhaltsverzeichnis

    Plapperpflanzen

    Abschied

    Das Bild des Grauens

    Plaudertäschchen

    Der Spagyrikus

    Tom und Hana

    Osterferien

    Dienstag

    Mittwoch

    Donnerstag

    Freitag

    Samstag

    Sonntag

    Montag

    Dienstag

    Wieder Schule

    Fremde

    Sommerferien

    Die Tür ist zu

    Besucher

    Die Zauberschule

    Ein unerwarteter Gast

    Die Gilde

    Ein neues Zuhause

    Plapperpflanzen

    Ein Junge lag auf seinem Bett und betrachtete die blaue Lichtkugel, die an der Decke kreiste und sein Zimmer mit dämmrigem Licht erfüllte. Die Hände hatte er gemütlich hinter seinem Kopf verschränkt und die Beine übereinandergeschlagen.

    Ein neutraler Beobachter hätte mit Verwunderung bemerkt, dass es nichts in dem Raum gab, das dieses seltsame Licht hätte erzeugen können. Der Junge hatte auch keine Taschenlampe, nur ein einfacher Holzstab, der wie ein übergroßes chinesisches Essstäbchen aussah, lag auf seinem Bauch.

    Obwohl er allein in dem Zimmer war, ertönte nun eine quengelnde Stimme: »Du könntest mich ruhig mal wieder gießen, du Faulpelz.«

    Jetzt hätte ein neutraler Beobachter begonnen, an seinem Verstand zu zweifeln. Doch der Junge wirkte erstaunlicherweise eher gelangweilt als überrascht. Gemächlich drehte er den Kopf und sah mit seinen braunen Augen zu einer buschigen, gelbblätterigen Pflanze, die auf seinem Schreibtisch vor dem Fenster stand.

    »Ich habe dich doch erst - sag, wann war das noch mal – vor Kurzem gegossen, oder?«, fragte er gelangweilt mit gerunzelter Stirn, als müsse er nachdenken.

    »Das ist jetzt zwei Wochen her«, nörgelte die Stimme.«

    »Ist nicht wahr?«, tat der Junge überrascht.

    Er drehte sich träge auf den Bauch, zielte mit dem Holzstab auf den Blumentopf und murmelte etwas. Ein Wasserstrahl schoss aus der Spitze des Stabes hervor, klatschte gegen das Fenster und ergoss sich auf den davorstehenden Schreibtisch.

    »Blöder Mist!«

    Erschrocken sprang der Junge auf und eilte zum Fenster.

    »Sehr gewitzt«, quäkte die Stimme spöttisch. »Jetzt ist das ganze Zimmer nass, nur ich habe immer noch keinen Tropfen Wasser bekommen.«

    Verdrießlich sah der Junge auf die Topfpflanze. Dann richtete er den seltsamen Holzstab auf die Pfützen, die sich auf dem Schreibtisch und dem Fußboden gebildet hatten. Es zischte und in wenigen Sekunden war der Raum in Wasserdampf gehüllt.

    Erneut wandte er sich dem Blumentopf zu, hielt den Stab hoch und murmelte wieder etwas. Abermals ergoss sich aus der Spitze ein Wasserstrahl. Doch diesmal wässerte er die Blumenerde im Topf.

    »Ah, tut das gut«, seufzte die quäkende Stimme wohlig, während die Blätter ihre Farbe von Gelb nach leuchtendrot wechselten. Die wunderschöne blaue Blüte hatte sich dabei zum Klang der Stimme geöffnet und geschlossen.

    Ein neutraler Beobachter wäre jetzt wahrscheinlich panisch schreiend aus dem Zimmer gelaufen. Doch für Simon Keller, so hieß der Junge, schien es völlig normal zu sein, dass die Zimmerpflanze mit ihm sprach.

    Niemand, noch nicht einmal seine Familie ahnte, dass der schlaksige Junge mit dem aschblonden Haar zusammen mit seinen Freunden ein ebenso fantastisches wie unglaubliches Geheimnis hütete. Ein Geheimnis, dass so befremdlich war, dass man die Jugendlichen vermutlich sofort zu einem Psychologen gebracht hätte, sollten sie jemals auch nur ein Sterbenswörtchen davon erzählen.

    Es begann damit, dass Simon im letzten Jahr zur Überraschung aller und auch seiner eigenen einen Schriftsteller-Nachwuchspreis für die beste Fantasy-Geschichte gewonnen hatte.

    Fantasy war seine Leidenschaft und ohne lange nachzudenken war er in der Lage, die Dialoge seiner Lieblingsfilme nachzusprechen.

    Als ihm die Urkunde überreicht wurde, war es dann auch der glücklichste Moment seines bisherigen Lebens, denn er wünschte sich nichts sehnlicher, als später einmal Schriftsteller zu werden.

    Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, dass er durch seine fantasievolle Geschichte dunkle, verborgene Mächte auf sich aufmerksam gemacht haben könnte, die lieber verborgen bleiben wollten.

    Denn was kaum ein Mensch wusste: Es waren Kobolde, die die Geldwirtschaft dieser Welt mit Hilfe weniger Menschen geschickt manipulierten und so ihren unglaublichen Reichtum vergrößerten. Sie waren die heimlichen Herrscher dieser Welt.

    Dass sie große magische Fähigkeiten besaßen, machte sie nur gefährlicher. Und nun schien ein junger und unbedeutender Mensch, noch dazu ohne einen Funken Magie, ihnen auf die Schliche gekommen zu sein.

    Anfangs ließen sie ihn nur bewachen. Sein heimlicher Beobachter ging dabei so ungeschickt vor, dass Simon eher zufällig in den Besitz der Nebelkappe seines Verfolgers geriet. Diese großartige Kappe hatte die Fähigkeit, ihn gänzlich unsichtbar zu machen und stellte sein Leben vollständig auf den Kopf.

    Doch dadurch wurde ein mächtiger Kobold auf Simon aufmerksam. Barikor, so hieß der Kobold, schleuste zunächst Armida, eine wunderschöne junge Hexe, als Freundin von Simons älterem Bruder Martin in die Familie ein, um herauszufinden, woher Simons vermeintliches Wissen stammte.

    Als Simon dann mithilfe seiner Freundin Karla Winkler auch den Zauberstab Barikors erbeutete, schwebte er in Lebensgefahr.

    Doch damit waren die unheimlichen Ereignisse noch nicht zu Ende. Geheimnisse, die aufgedeckt werden, ziehen mitunter das Entdecken weiterer Geheimnisse nach sich.

    Und so fanden Simon und seine Freunde heraus, dass sich tief unter ihren Füßen eine Welt verbarg, die Welt der Zwerge oder „Querxe", wie sie sich selbst nannten.

    Die Mehrzahl der Querxe waren ihnen nicht wohl gesonnen, da die Menschenzauberer sie vor vielen Jahrhunderten an die Kobolde verraten hatten. Und so wären die Freunde fast in einem Kerker gelandet, wenn nicht der Magister der Stadt Sindrikum, ein weiser und uralter Querx (er war tatsächlich über vierhundert Jahre alt, was man ihm wirklich nicht ansah) seinen ganzen Einfluss geltend gemacht und die Jugendlichen wieder freigelassen hätte.

    Aber nicht nur das, sondern als sich herausstellte, dass die Kobolde Simon nach dem Leben trachteten, befahl Magister Alberich gegen den Willen vieler anderer Querxe, dass Simon und seine Freunde das Zaubern erlernen sollten.

    Nach vielen Aufregungen und Abenteuern war es den vieren schließlich gelungen, das Vertrauen der Querxe zu erringen und Ende des letzten Jahres hatte man sie sogar zu Ehrenbürgern ihrer Stadt Sindrikum ernannt. Seitdem besuchten sie, so oft es ihnen möglich war, die Welt der Querxe und bekamen auch weiterhin an jedem Wochenende Zauberunterricht.

    Die sprechende Pflanze auf Simons Schreibtisch, eine „floris dicere", war ein fantastisches Geschenk des Magisters. Alle vier Freunde hatten eine solche Pflanze erhalten.

    Anfangs lugten aus den Töpfen nur zwei kleine Blätter mit einer merkwürdig quietschenden Blüte hervor. Jetzt, nach gut zwei Monaten, war die „floris dicere", oder auch Plapperpflanze genannt, zu einem strauchartigen Gebilde mit einer großen Blüte in der Mitte herangewachsen. Laut dem Magister konnten die Pflanzen bis zu achtzig Jahre alt werden.

    »Aber nicht bei dir«, hatte seine Freundin Karla kichernd gemeint. Sie dachte dabei an seine alte Topfpflanze, die stets unter chronischem Wassermangel litt.

    Sie hatte noch kein Wort der Beschwerde von sich gegeben, was wiederum Simon ziemlich beunruhigt hätte, denn es war im Gegensatz zur Plapperpflanze eine ganz gewöhnliche Topfblume. Die einzige Fähigkeit, die sie besaß, war ihre eindrucksvolle Unverwüstlichkeit, welche sie sich unter Simons sogenannter „Pflege" angeeignet hatte.

    Er hoffte nur, dass sie nicht weiterwuchs. Seine Mutter würde sie sonst garantiert in den Garten vor dem Haus einpflanzen, den sie so aufopfernd pflegte.

    Ihre Blätter waren normalerweise leuchtend rot, nur wenn sie zu wenig Wasser bekam, verfärbten sie sich gelb und die Blüte ließ den Kopf hängen.

    Die Fähigkeit der Pflanze indessen war wundersam. Simon musste vor ihr nur einen Namen seiner Freunde nennen und sie trat mit der Plapperpflanze seines Freundes oder Freundin in Verbindung. Sobald er dann etwas sagte, teilte seine Plapperpflanze das, Simon wusste nicht wie, der anderen Plapperpflanze mit. Gleichzeitig plapperte die Pflanze des Freundes oder der Freundin alles nach, sodass die Empfänger mitbekamen, was Simon ihnen mitteilen wollte. Dasselbe funktionierte ebenso umgekehrt. Sogar eine „Ringschaltung" war möglich.

    »Ein lebendes Telefon«, hatte Nico damals gestaunt.

    Schwierig wurde es nur, wenn Simon und seine Freunde gleichzeitig redeten. Das verwirrte die Pflanzen völlig und sie begannen, ihre Besitzer wüst zu beschimpfen.

    Simon hatte seine Blume „Nörgelis" genannt. Schlimmer noch als seine Mutter nörgelte die Pflanze ständig an ihm herum. Ihr liebstes Thema war das Durcheinander in seinem Zimmer, die schlechte Pflege, die sie erhielt und dann wieder das Durcheinander in seinem Zimmer. Es konnte aber auch umgekehrt sein. Zu seinem Glück kannte Nörgelis nicht die Bedeutung ihres Namens.

    Simons Mutter wäre gewiss entzückt gewesen, hätte sie von den Zurechtweisungen der Plapperpflanze an ihrem Sohn erfahren.

    »Siehst du, sogar diese Pflanze ist meiner Meinung«, hörte Simon sie sagen. Anschließend hätte sie höchstwahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch erlitten, weil eine „Topfpflanze" mit ihr einer Meinung war.

    Nachdem er auch noch die alte, ebenfalls ziemlich leidend aussehende Zimmerpflanze gegossen hatte, legte er sich wieder aufs Bett.

    Sein Freund Boris wollte seine Pflanze ursprünglich „Quasselkraut nennen, aber sie hatte ihn daraufhin als „Blödmann bezeichnet und gedroht, sie würde ihn nur noch so nennen, wenn er ihr diesen völlig verrückten Namen geben würde.

    Seitdem hieß sie Liebstöckel, angelehnt an das Gewürz, denn Boris kochte auch gerne, und „Liebstöckel" war sehr stolz darauf.

    Hin und wieder nannte sie ihn trotzdem noch einen Blödmann, bis Boris ihr drohte, sie irgendwann in eine Tonne für Grünabfall zu werfen.

    Das hätte er selbstverständlich nie getan, denn die Plapperpflanzen waren absolut einzigartig und abgesehen von ihrem nicht ganz einfachen Charakter wirklich nützlich. Simon zog eine Grimasse.

    Nico hatte seine Pflanze kurz und bündig „Bob genannt, während Karla, das einzige Mädchen der Gruppe, ihre liebevoll den Namen „Plaudertäschchen gegeben hatte. Sie schlief gerade im Gästezimmer nebenan, wie sie es seit Beginn des Jahres immer öfter tat.

    Simon grinste und sah auf seinen Wecker. Es ging auf Mitternacht zu und draußen fiel der Schnee in dichten Flocken auf das Fensterbrett vor seinem Fenster, auf das er sich wie ein samtenes Kissen gelegt hatte. Der Februar neigte sich dem Ende entgegen und der Winter hatte noch einmal Einzug gehalten.

    Zum Glück war der nächste Tag ein Samstag. Das bedeutete, dass sie ab morgen mit dem Zauberunterricht fortfahren würden. Sie hatten jetzt einen Monat Pause gehabt und Simon freute sich schon auf die neuen Zauber, die sie lernen würden.

    Abschied

    Viel zu früh am Samstagmorgen piepte der Wecker. Simon richtete sich schläfrig auf und reckte sich fröstelnd. Von seinem Schreibtisch her drang leises Schnarchen zu ihm herüber. Nörgelis schlief noch in ihrem Blumentopf.

    »Aufstehen, fauler Strick«, murmelte sie schlaftrunken, um sofort leise weiter zu schnarchen. „Fauler Strick oder „Faulpelz, so nannte sie ihn am liebsten.

    Neidisch betrachtete Simon sein schlafendes „Telefon" und streifte sich rasch die Kleider über. Der Himmel draußen hatte eine stählerne Farbe angenommen und ein leichter Wind ließ die großen Schneeflocken vor seinem Fenster auf und niedertanzen.

    Der Garten wirkte, als wäre er mit Zuckerguss überzogen. Wie eine weiße Decke hatte der Schnee alles in sanften Wellen eingehüllt.

    Simon verließ sein Zimmer und klopfte leise an Karlas Tür. Sie öffnete sofort und war bereits fertig angezogen. Frau Keller war zu ihrer ersten Nachsorge aufgebrochen, während sein Vater und Martin einsilbig vor einer Tasse Kaffee hockten. Sie sahen aus, als ob auch sie noch eine Stunde Schlaf gut gebrauchen könnten.

    Als Karla das Zimmer betrat, richtete Martin sich hastig auf und strahlte sie an.

    »Guten Morgen, Karla. Hast du gut geschlafen?«

    Sie nickte lächelnd und hockte sich an den Tisch, während Martin ihr schnell eine Tasse Tee einschüttete und ein Brötchen reichte.

    Misstrauisch beäugte Simon seinen Bruder. In letzter Zeit benahm Martin sich sehr eigenartig, wenn Karla anwesend war.

    Gestern Nachmittag zum Beispiel hatte er sie sogar zu einem Stadtbummel eingeladen. Karla schien im ersten Moment sehr verwirrt gewesen zu sein, doch dann hatte sie zugesagt.

    Simon vermutete, dass sie die Einladung nur angenommen hatte, um nicht undankbar zu erscheinen. Denn Martin hatte ihr vor einigen Monaten Nachhilfeunterricht gegeben, als man sie der Schule verwiesen hatte für etwas, was sie gar nicht getan hatte.

    Das Benehmen seines Bruders erinnerte ihn an das letzte Jahr, als er ständig um seine schöne Freundin Armida herumscharwenzelt war. Doch das konnte nicht sein, oder doch?

    Die beiden frühstückten hastig und machten sich auf den Weg zum Türwächter. Nico und Boris standen bereits vor dem Steingesicht und unterhielten sich angeregt mit ihm.

    Inmitten der Büsche war das große, etwas melancholisch dreinschauende Gesicht eines Mannes mit wallendem Bart reliefartig in eine Steinplatte gemeißelt, die man in die Mauer entlang des Rheins eingelassen hatte.

    Die Querxe hatten es wohl für eine gute Idee gehalten, diese Form als magischen Körper für den Türwächter zu erwählen.

    Bis Simon auftauchte, war er oft monatelang, manchmal jahrelang allein gewesen. Immer wenn sie Zeit hatten, besuchten sie ihn, und der Türwächter genoss die Abwechslung, die sie in sein tristes Leben brachten. Er war es auch, der ihnen entgegen seinen Befehlen den Weg zu den Querxen gewiesen hatte.

    Kein normaler Mensch war in der Lage, Simon zu sehen, wenn er die Nebelkappe trug. Nur beim Türwächter wirkte die magische Kappe nicht. Ebenso konnte allein ein magisch begabter Mensch erkennen, dass der Türwächter lebte. Alle anderen sahen nichts weiter als das leblose Steingesicht, das einem anderen Mann Wein in den Mund goss.

    Sein Freund Nico war seit einem Verkehrsunfall vor einigen Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. Nico war niemand, der aufgab und hatte diesen Schicksalsschlag mittlerweile ganz gut überwunden. Was ihn oft zur Verzweiflung brachte, waren die vielen Hindernisse, die er als Rollstuhlfahrer erleben musste.

    Doch seit sie den Zauberunterricht erhielten, hatte er keine Probleme mehr, denn ihr Zauberlehrer Eugel, ein wildaussehender Querx, hatte Nicos Rollstuhl „getunt und tiefergelegt", wie Boris es nannte.

    Fortan gab es keinen Untergrund, auf dem Nico nicht fahren konnte. Der Rollstuhl erreichte enorme Geschwindigkeiten und gehorchte jedem Befehl. Manchmal hatte Simon den Eindruck, der Rolli wüsste bereits vorher, was sein Besitzer von ihm wollte. Wenn er umkippte, was kaum möglich war, richtete er sich sofort wieder auf und der „Unkaputtbarzauber", mit dem Eugel ihn belegt hatte, machte die Sache perfekt.

    Nach einer kurzen Begrüßung hielten sie sich nicht lange auf. Der letzte Zauberunterricht schien ewig her zu sein. Im Mauerwerk bildeten sich die bekannten schwarzen Flecken und es löste sich langsam auf.

    »Viel Vergnügen«, hörten sie noch die tiefe, knirschende Stimme des Türwächters hinter sich. Dann schloss sich die Öffnung langsam wieder.

    Karla und Boris zückten ihre Zauberstäbe und ließen eine grüne und eine gelbe Lichtkugel erscheinen. Sie schwebten unter der Steindecke. Es war das einzige Licht, dass dieses eigenartige Halbdunkel durchdringen konnte.

    Ein breiter Metallring, der aussah wie ein übergroßer alter Türklopfer, war an der Wand befestigt. Im letzten Jahr hatte es diesen Griff noch nicht gegeben. Magister Alberich hatte ihn extra für sie anbringen lassen, damit sie den weiten Weg nach unten nicht jedes Mal laufen mussten.

    Sobald sie den Griff erfassten, erzeugte er ein „magisches Wurmloch" und beförderte sie direkt vor das große Eingangstor zur Querxenwelt.

    Das war sehr praktisch, doch wenn es nicht so viel Zeit erspart hätte, wäre Simon lieber gelaufen. Bei jedem Übergang hatte er das Gefühl, dass seine Innereien sich weigerten, die schnelle Reise mitzumachen, um erst zwei Sekunden später, als er selbst das Ziel zu erreichen.

    Schließlich standen sie wieder vor dem Eingang zur Querxenwelt. Das große Holztor knarrte durchdringend, während sie es ächzend aufdrückten. Sofort blendete sie helles Tageslicht und sie schlossen für einen kurzen Moment die Augen.

    Eine dicke Schneedecke lag auf dem Gelände vor ihnen und dunkle, tief hängende Wolken zogen am Himmel vorbei.

    Die Trümmer des wunderschönen Brunnens „Querxenfeuer", der im letzten Jahr noch hier gestanden hatte, waren inzwischen vollständig beseitigt worden, sodass der kreisrunde Platz jetzt leer war.

    Mehrere Kinder lieferten sich gerade eine wilde Schneeballschlacht und zwei erwachsene Querxe, die Simon kaum bis zu den Schultern reichten, errichteten mithilfe ihrer Zauberstäbe einen riesigen Schneemann unter dem „ah und „oh der Anwesenden, die sich um sie versammelt hatten.

    Die Bewunderung war begreiflich, denn der Schneemann war mindestens fünf Meter hoch. Er schwebte kreisend wenige Zentimeter über den Boden, trug ein breites Grinsen aus Kohlestücken im Gesicht und verneigte sich ständig vor den staunenden Zuschauern.

    Zwei Kinder, die in Simons Welt die Größe von zweijährigen gehabt hätten, kugelten balgend durch den Schnee und prallten gegen seine Beine. Sie warfen einen kurzen Blick auf ihn, um zu sehen, wer sie da gestört hatte, nur um gleich wieder quietschend durch den Schnee zu rollen.

    Simon erinnerte sich noch lebhaft an den unfreundlichen Empfang, den sie bei ihrem ersten Besuch erlebt hatten. Damals hätte man sie fast in den Kerker geworfen. Doch das war Monate her und heute begrüßte man sie freundlich und die meisten Querxe lächelten ihnen zu.

    Wie schon so oft fiel Simon die Stille auf, die hier „unten" herrschte. Es war nicht wirklich still, denn die Querxe waren ein lebenslustiges Völkchen. Aber es gab keine Straßen oder Autobahnen, vollgestopft mit Autos, keine Flugzeuge lärmten am Himmel und sie hatten noch nie einen Laubbläser oder Rasenmäher gehört. Selbst die Luft schien hier unten besser zu riechen.

    Des Nachts wurde es richtig dunkel und Simon hatte noch nie so viele Sterne am Himmel gesehen, obgleich das nicht möglich war, denn sie befanden sich mindestens fünfzig Meter unter der Erde.

    Es gab auch keine rasenden Sportfahrer und niemand fühlte sich getrieben, wie es bei ihnen oben häufig der Fall war.

    Simons Vater hatte einmal zu ihm gesagt, dass die Menschen alles, was sie taten, ohrenbetäubend, überhastet und oft zum Schaden anderer machen würden, solange es genug Geld oder Spaß brachte.

    Mühsam stapften sie durch den hohen Schnee vorwärts. Es schien heute nicht richtig hell zu werden und hinter vielen Fenstern der hübschen kleinen Fachwerkhäuser leuchtete Licht und ließ alles sehr romantisch aussehen. Aus zahlreichen Kaminen quoll dichter Rauch empor und die Hausdächer trugen dicke weiße Kappen aus Schnee. Bei dem Anblick wurde Simon warm ums Herz.

    Sie hatten gerade die Brücke erreicht, die die Ufer des Flusses Mandurin verbanden, als wieder dichtes Schneetreiben einsetzte. Der Fluss war zugefroren und einige Gestalten versuchten ihr Glück beim Schlittschuhlaufen. Da Querxe in der Regel klein und klobig gebaut waren, wirkten sie schwerfällig und wenig anmutig. Doch das täuschte.

    Keuchend standen sie schließlich vor Eugels Haus. Nur Nico, für den die Schneedecke dank der „Spezialbehandlung" seines Rollstuhls kein Problem darstellte, grinste frech.

    Eugels „Haustier" Wurzel sprang ihnen fröhlich entgegen. Es erklang kein freudiges Bellen, stattdessen kam Rauch aus seinen Nüstern, denn er war ein zu kleingeratener Warken, ein Kleindrache. Da er auch keine Milch gab, sollte er ursprünglich geschlachtet werden, doch aus Mitleid hatte Eugel das Tier bei sich aufgenommen. Es konnte Flammen ausstoßen, die Steaks innerhalb von Sekunden brieten.

    Sein Haus lag etwas abseits am Rande des Städtchens unweit des Magistratsgebäudes. Es war ein hübsches altes Fachwerkhaus mit bunten Butzenscheiben.

    Der hintere Teil des Gartens grenzte an einen Feldweg. Dort baute Eugel Gemüse an. Viele Pflanzen, die hier letzten Sommer wuchsen, hatte Simon noch nie gesehen. Mehrere Meter hohe Sonnenblumen, die ohne Problem als Sonnenschirm genutzt werden konnten, hatten sich fröhlich in den Himmel gereckt.

    Dahinter erstreckten sich schneebedeckte Wiesen und Felder, bis sie in der Ferne auf einen riesigen Wald stießen, und am Horizont erhob sich eine gewaltige Gebirgskette, das Drachengebirge. Dort sollte es noch richtige Drachen geben.

    Über eine überdachte Holzterrasse betraten sie bibbernd Eugels warmes Wohnzimmer. An der hinteren Wand stand neben einer Tür ein kunstvoll geschnitzter Schrank.

    In der Mitte des Raumes hatte Eugel einen massiven Holztisch mit sechs Stühlen aufgestellt und unter einem Fenster befand sich eine durchgesessene Couch, anscheinend Eugels Lieblingsplatz.

    Neben dem Schrank hing eine Uhr. Eigentlich hing sie nicht, sie schwebte. Die Uhr besaß auch kein Gehäuse, sondern Zahlen und Zeiger hingen ebenso ohne jeden Zusammenhalt in der Luft.

    Gerade rückte der große Zeiger weiter vor, und eine melodische Stimme erklang:

    »Für heute Abend ist ein Thing mit dem „Rat der Sieben" angesetzt. Der Magister bittet um dein Erscheinen.«

    Die Stimme machte eine Pause, dann sagte sie: »Und vier Dreckspätze tragen gerade den Matsch von draußen in dein Wohnzimmer.«

    Erschrocken sahen die vier zu Boden, wo sich hinter ihnen Wasserpfützen aus geschmolzenem Schnee gebildet hatten.

    »Nur herein mit euch«, dröhnte die tiefe Stimme Eugels aus der Küche.

    Im Kamin hockte ein kleiner hutzeliger Mann und blies zwischendurch in das Feuer. Es war der Bodach, der eines Tages bei Eugel aufgetaucht und geblieben war.

    Je mehr Rauch und Flammen, umso wohler fühlte sich ein Bodach. Simon wusste nicht, ob er überhaupt reden konnte, denn er hatte noch nie mit ihnen gesprochen, da er immer mit dem Feuer beschäftigt war.

    Eugel war fast so groß wie Simon und genauso breit wie hoch. Er hatte den wilden schwarzen Bart zu Zöpfen geflochten, die ihm bis zum Bauchnabel reichten.

    Das dichte Haar fiel ihm auf die Schultern und an seiner Hüfte trug er eine riesige und furchteinflößende Axt, die ihn noch abenteuerlicher aussehen ließ, als es ohnehin der Fall war. Dabei war er gutmütig und freundlich.

    Überhaupt liebten alle männlichen Querxe große Dolche, Schwerter und Äxte. Aber nur wegen des streitbaren Eindrucks, der durch die Helme, die einige auf ihrem Kopf trugen, verstärkt wurde. Es war eine Erinnerung an frühere Zeiten,

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