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Tod einer Kassenpatientin: Wenn die Medizin versagt
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Tod einer Kassenpatientin: Wenn die Medizin versagt
eBook195 Seiten2 Stunden

Tod einer Kassenpatientin: Wenn die Medizin versagt

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Über dieses E-Book

Eine alte Frau beschließt zu sterben. Für die Angehörigen beginnt ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit. Mit ungläubigem Staunen erleben sie die vollkommene Inkompetenz unserer heutigen, allein vom Geld getriebenen medizinischen Institutionen: Krankenhaus, Krankenkasse und Medizinischer Dienst. Am Ende wird die todkranke Frau in die Psychiatrie abgeschoben und stirbt in dem vollen Bewusstsein, niemals die ihr zustehende medizinische und pflegerische Versorgung erhalten zu haben.

Die Fehler, die unsere hoch entwickelte Gesellschaft auch heute noch im Umgang mit Sterbenden macht, legt dieses auf Tatsachen beruhende Buch schonungslos offen. Geschrieben wie ein spannender Krimi, ist es als Lehrstück gedacht für alle, die vorbereitet sein wollen auf die Pflege und Betreuung ihrer nächsten Angehörigen - und auf ihren eigenen Tod.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum31. Jan. 2015
ISBN9783738014730
Tod einer Kassenpatientin: Wenn die Medizin versagt

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    Buchvorschau

    Tod einer Kassenpatientin - Rainer Bartelt

    Hundstage

    „Herr Doktor, der Simulant auf Zimmer 7 ist heute Nacht gestorben."

    „Na sowas, jetzt übertreibt er aber wirklich!"

    Die Luft steht still, draußen und im Haus. Das Thermometer zeigt Temperaturen über 30 Grad im Schatten an. Nur im Freibad gibt es noch Hoffnung auf Abkühlung.

    Wenn ich an einem solchen Tag an meine Mutter zurückdenke, geboren 1920 und aufgewachsen als Gerda Kühl im damals deutschen, heute friedensbedingt zu Polen gehörenden Teil Pommerns, dann bin ich fast froh, dass ihr die mörderische Hitze dieses nicht enden wollenden Sommertags erspart bleibt. Vor Jahren, als es wochenlang schon einmal so heiß war, dass wir, um schlafen zu können, über unserem Bett einen Ventilator installieren mussten, hatte sie ihren ersten Zusammenbruch. Schon am Vortag – beim gemeinsamen Abendessen – war es in ihrer Dachgeschosswohnung, die für eine Person fast zu groß war, unerträglich heiß gewesen. Nach dem Essen wirkte meine Mutter auf mich ungewohnt wortkarg und unkonzentriert. Deshalb fuhr ich am nächsten Tag gleich nach der Arbeit zu ihr „um nach dem Rechten zu sehen" und fand sie in ihrer Wohnung hilflos am Boden liegend. Die eilig herbeigerufenen Rettungssanitäter schauten sich das Trauerspiel eine Zeit lang an und stellten Fragen, deren Antworten für mich offensichtlich waren. Dann erst entschlossen sie sich, meine immer etwas zu körperlicher Fülle neigende Mutter drei steile Treppen hinunter zu tragen und in den vor dem Haus wartenden Krankenwagen zu verfrachten.

    Auf meine Weisung hin fuhren sie mit ihr in die Notaufnahme der Klinik, obwohl Gerda auf keinen Fall wieder dorthin wollte. Nur einmal vorher war sie dort gewesen, aber das hatte ihr gereicht: „Ich muss mich jetzt einmal gründlich untersuchen lassen, fahr' mich bitte ins Krankenhaus!", war damals ihre Mission gewesen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihren Wunsch wortgetreu auszuführen. Es versteht sich von selbst, dass in der Klinik niemand begeistert war über diese „eingebildete Kranke", die zwischen Schlaganfall-Patienten und anderen schweren Erkrankungen die Aufmerksamkeit der Notärzte aus subjektiver wie auch aus objektiver Sicht vollkommen unnötig in Anspruch nahm.

    Da man bei ihr medizinisch nichts Ernstes finden konnte, fing man an, ihren Geisteszustand gründlicher zu untersuchen. Und das war es, was Gerda sofort so übel nahm, dass sie auf keinen Fall mehr einen Fuß in diese Klinik setzen wollte. (Auch wenn sie anschließend jedem, der sie danach fragte, stolz erzählte, man habe ihr damals „einen für ihr Lebensalter außergewöhnlich guten Allgemeinzustand" bescheinigt.)

    So machte ich nach ihrem Hitzeschlag erst einmal ein großes Geheimnis aus der Tatsache, dass ich sie genau wieder in dieselbe von ihr geächtete Klinik hatte verfrachten lassen. Der Grund: Für mich gab es in dieser Stadt einfach keine andere medizinische Instanz. Schon als ich Anfang der siebziger Jahre aus einer kleinen in diese mittelgroße Universitätsstadt gekommen war, hatte ich von meiner Studentenbude aus den Fortschritt der Bauarbeiten beobachten können. Hatte aus der Ferne mit ansehen können, wie winzig klein erscheinende Lastkraftwagen nach und nach riesige Berge aus Sand auftürmten, die dann von anderen ebenso klein erscheinenden LKWs emsig wieder abgetragen wurden. Wie das Gebäude Stockwerk für Stockwerk Gestalt annahm und höher und höher wuchs. Später führte ich gern meine privaten und im Allgemeinen überhaupt nicht kranken Gäste voller Stolz durch diesen riesigen Klinikneubau. Konzipiert für 20.000 Patienten, ausgestattet mit zwei zehngeschossigen Bettenhäusern und Arbeitsplatz für mehr als 5000 Vollzeitbeschäftigte beeindruckt dieses Haus mich auch heute noch durch seine zukunftsweisende Architektur und schiere Größe: Schon das über mehrere Stockwerke gehende lichtdurchflutete Atrium ist einfach atemberaubend. Ebenso beeindruckend die außen liegenden hohen Flure, deren meterhohe Glasfenster einen freien Blick auf die gigantischen, Hochhäusern gleichen Bettenhäuser gewähren. Alles in allem ein Ehrfurcht einflößender Bau, gleichzeitig das Versprechen größtmöglicher medizinischer Effizienz.

    Gerda war schon drei volle Tage in diesem kleinstadtgleichen Krankenhauskomplex, als sie endlich zu fragen wagte: „Sag' mal mein Jung‘, wo bin ich hier eigentlich? Ich bin doch nicht etwa wieder in der Klinik?" Naturgemäß zögerte ich zuerst etwas mit der Antwort. Dann aber nahm sie meine wahrheitsgemäße Aussage zu meiner großen Erleichterung besser auf als erwartet: Im Gegensatz zu ihrem ersten Besuch in der Klinik war meine Mutter dieses Mal ein ernst zu nehmender medizinischer Fall. Also war sie auch entsprechend behandelt worden und niemand hatte dieses Mal Ihren Geisteszustand in Frage gestellt. Sie war sogar erleichtert, dass ich ihren Verdacht, sie sei wieder in der Klinik und nicht in irgendeinem anderen Krankenhaus gelandet, positiv bestätigen konnte. Denn das gab ihr die Gelegenheit, mit den Ärzten, Helfern und Helferinnen in der Klinik ihren Frieden zu schließen. Als sie nach einer Woche bei deutlich kühlerer Witterung geheilt in ihre Wohnung entlassen wurde, gab es Blumen für die Schwestern und eine großzügige Spende in die Kaffeekasse. „Alle waren hier so nett zu mir!", sagte sie zum Abschied.

    Es begann im September

    Spätsommer 2012: Im Gegensatz zur heutigen Affenhitze war der Tag, an dem die Schwierigkeiten für uns begannen, angenehm warm und sonnig. Der Herbst war noch in weiter Ferne. Wir, meine Frau Petra und ich, waren gerade von unserem Ostseeurlaub zurückgekehrt, hatten Gerda unsere Urlaubsbilder gezeigt und waren auf dem besten Wege, wieder vollkommen der üblichen Alltagsroutine zu verfallen. Nach der Arbeit war ich wie auch zuvor mindestens einmal in der Woche bei meiner Mutter zum Abendessen eingeladen. Gerda kochte gern und freute sich ebenso sehr auf meine Gesellschaft wie auf das gemeinsame Essen. Heute gab es mein Leibgericht: panierte und in Butter gebratene Hähnchenteile, so frisch und lecker, wie sie kein anderer Mensch als meine Mutter zubereiten konnte. Dass dieses Mal Vorsuppe und Nachspeise fehlten, was bei meiner Mutter sonst nie vorgekommen war, fiel mir zunächst gar nicht auf. Ich freute mich zu sehr über das gute Hauptgericht.

    Dann passierte es. Gerda senkte den Kopf und schaute auf ihren Teller. Angesichts ihrer ehrfürchtigen Haltung erwartete ich ein Tischgebet. Stattdessen sagte sie plötzlich – nicht sehr laut, dafür aber umso bestimmter: „Das ist jetzt die Henkersmahlzeit! Ich ließ vom Essen ab und schaute sie verblüfft an. Petra und mir war es bisher immer so vorgekommen, als ob Gerda zu denjenigen vom Glück begünstigten Menschen fortgeschrittenen Alters zählte, an denen der Tod kein besonderes Interesse zu haben schien. Die vielleicht sogar ihre eigenen Kinder überleben würden. Zwar klagte sie seit einiger Zeit, dass sie zunehmend schlechter schlief, nach mancher Nacht auch mal über Übelkeit und Erbrechen. Doch ihre über siebzig Quadratmeter große Wohnung versorgte sie fast vollkommen allein mit nur wenig Hilfe von unserer Seite. Ihre Lebensmittel bestellte meine Mutter von ihrem eigenen Telefax-Gerät aus bei einem großen Lebensmittelhändler, sodass wir ihr außer unserer regelmäßigen Gesellschaft beim Essen und beim Bauernrommé wenig zu bieten hatten. Es war ihr wichtig und sie war stolz darauf, es bis ins 93-zigste Lebensjahr geschafft zu haben, ohne „den Kindern, sollte heißen: ohne Petra, meiner ohnehin weit entfernt lebenden Schwester Eva und mir „zur Last zu fallen".

    An dem besagten Septembertag bestand allerdings kein Zweifel mehr, dass sie ihre Aussage absolut ernst gemeint hatte. Denn sie legte noch nach: Nachdem sie schon einmal kurz den Gedanken geäußert hatte, ins Pflegeheim zu wollen, dann aber wieder davon abließ, meinte sie nun, jetzt wäre es wohl wirklich an der Zeit, diesen für sie sicher nicht einfachen Schritt aus der Selbstständigkeit in eine fast vollständige Abhängigkeit von Anderen in die Tat umzusetzen. Schade nur, dass sie selbst ebenso wie wir überhaupt keinen Plan hatte, was nun konkret zu tun war. Denn weder Petra noch mir war klar, wie wir den Wunsch meiner Mutter realisieren sollten und konnten. Da unsere Ehe kinderlos geblieben war, verfügten wir über keinerlei praktische Erfahrung, wie es war, für nahe Angehörige zu sorgen. Denn auch um Petras Eltern und um meinen schon vor vielen Jahren verstorbenen Vater hatten sich andere gekümmert: Meinen Vater hatte meine Mutter bis zum Ende selbst versorgt, und auch Petras Eltern waren nicht in unserer Obhut gestorben.

    Wir waren also erst einmal vollkommen ohne Orientierung und ziemlich ratlos. Das einzige, was ich meiner Mutter sofort geben konnte, war eine Informationsbroschüre des örtlichen Sozialamts mit einschlägigen Telefonnummern. Ich bat Gerda, sich dort einen Termin für ein persönliches Beratungsgespräch in ihren eigenen vier Wänden geben zu lassen. Aber entweder war meine Mutter, das Amt oder beide gemeinsam überfordert, jedenfalls kam es nie zu diesem Gespräch.

    Stattdessen fingen wir an, mit Freunden und Bekannten über Gerdas Wunsch nach Pflege und Betreuung zu diskutieren. Der entscheidende Hinweis für eine eigentlich ziemlich nahe liegende Lösung kam von Yvonne, unserer Nachbarin, die während des Urlaubs mehrmals nach Gerda geschaut hatte:

    „Da gibt es doch dieses neue Pflegeheim im Gartenweg, das ist wohl ganz gut."

    Und weiter:

    „Ich bin mal dagewesen und habe mir alles angeschaut, als es noch nicht vollständig eingerichtet und bezogen war. Ich kann natürlich nicht sagen, wie man dort heute so wohnt. Damals fand ich alles aber ausgesprochen freundlich und modern."

    „BINGO - das ist die ideale Lösung!", dachte ich spontan. Das Heim, von dem Yvonne sprach, lag direkt neben meiner Arbeitsstelle. Nur eine einzige Häuserzeile trennte mein Büro von diesem Pflegeheim. Tag für Tag fuhr ich dran vorbei, wenn ich zur Arbeit wollte. Einfach genial – nur dass ich nicht von selbst auf diese einfache Lösung gekommen war, verblüffte mich: Hier würde ich Gerda ganz in meiner Nähe haben, hier würde ich mich noch besser um sie kümmern können als in ihrer jetzigen, fast am anderen Ende der Stadt gelegenen Wohnung. Nach ihrem Umzug würde ich sogar wieder häufiger auf das Auto verzichten und viel einfacher mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren können, weil ich nicht mehr durch die ganze Stadt fahren müsste, um Gerda zu besuchen.

    Um meine Mutter ebenfalls für diese Idee zu gewinnen, ging ich an den PC und ins Internet, rief Google-Maps auf, wählte die Satellitenansicht und druckte eine Großaufnahme vom Heim und dem fast unmittelbar daneben liegenden Bürogebäude aus, in dem ich arbeite. Genau wie ich war Gerda von Yvonnes Vorschlag sofort überzeugt: Sie selbst im Heim gut versorgt und „mein Jung‘" gleich um die Ecke. Diese Vorstellung gefiel ihr ausnehmend gut. Dem Umzug ins Pflegeheim stand damit unsererseits nichts mehr im Wege. Nur leider, leider: Das Heim konnte uns zwar sofort häusliche Pflege anbieten – einschließlich Reinigungsdienst und Essen auf Rädern –, es gab aber kein freies Zimmer. Stattdessen eine lange Warteliste. Auch einige Zeit später, als ich erneut nachfragte, hatte Gerda auf dieser Warteliste noch mindestens sieben weitere Interessenten vor sich. Diskret erkundigte ich mich bei der Heimleitung nach der Anzahl der Pflegebetten und der typischen Verweildauer der Bewohner: Knapp über 100 Betten geteilt durch eine im Durchschnitt nur zweijährige Aufenthaltszeit ergaben grob geschätzt vier Todesfälle oder sonstige Abgänge pro Monat! Anders als Gerda, die natürlich enttäuscht war, dass sie nicht sofort aufgenommen wurde, und auch Petra und Yvonne, die sich und mich fragten, ob man nicht noch anderswo schauen sollte, sah ich gute Chancen, in einem noch ausreichenden Zeitrahmen die Zusage für einen Heimplatz zu bekommen. Spätestens im Februar musste Gerda aller Wahrscheinlichkeit nach in ihrem neuen Zuhause sein. Vor allen anderen Dingen war es mir ganz besonders wichtig, meine Mutter tagsüber möglichst nahe bei mir zu haben. Daher kam für mich kein anderes Heim in Betracht.

    Zwischen Wischmopp und Handfeger

    Viel Zeit zum Überlegen hatte ich ohnehin nicht, denn nun kamen vollkommen neue Aufgaben auf mich zu. Ich, der jetzt den Lebensmittelhändler ersetzen und für Gerda ab sofort auch alle anderen Dinge des täglichen Lebens besorgen musste, bekam plötzlich E-Mails folgender Art:

    Hallo Frau Bartelt,

    nachfolgend wie besprochen die ‚Idealliste‘ unserer Hauswirtschaftskraft.

    Schrubber und Bodentuch + Eimer oder alternativ Wischmopp und Eimer

    Besen, Handfeger & Kehrblech, Staubsauger (+ vorrätige Wechselbeutel)

    2-fach Ausführung (wegen Waschwechsel) Mikrofasertücher in vier Farben (Küche, Möbel, Bad, Toilette)

    Kleiner Putzeimer und Abzieher f. Fenster

    Reiniger f. die verschiedenen Bereiche

    Müllbeutel und gelbe Säcke

    Leiter oder Tritt

    Mit freundlichen Grüßen…"

    Nun, diese „Frau Bartelt, die alle nötigen Sachen für den zum Heim gehörenden Reinigungsservice besorgen musste, war ich selbst. Denn in erster Linie fühlte ich mich persönlich für meine Mutter verantwortlich, Petra, deren langer Arbeitstag oft bis 19 Uhr dauert, wollte ich mit Muttis Pflege nicht mehr als nötig belasten. Ich fand mich also an einem Samstagmorgen in der Putzmittel-Abteilung des nächstgelegenen Supermarktes wieder, unmittelbar nachdem ich Petra zur Arbeit gefahren hatte. „So muss sich eine Frau im Baumarkt fühlen!, dachte ich. Ziemlich hilflos taperte ich von Regal zu Regal, bis ich endlich alles beisammen hatte, was auf der Einkaufsliste stand.

    Am Ende kam ein schöner Geldbetrag zusammen, der

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