Mobilfunk kommt, der Rechtsstaat geht: Strafsache Netzagentur: Wie eine obere Bundesbehörde sich selbst ins Zwielicht rückt
Von Rainer Bartelt
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Buchvorschau
Mobilfunk kommt, der Rechtsstaat geht - Rainer Bartelt
Mobilfunk kommt
Mobilfunk-Anwohner und Allgemeinheit sollten vor starker Verstrahlung geschützt sein. Eigentlich. Auch da, wo sie sich nur vorübergehend aufhalten. So das deutsche Recht, so die Beteuerungen der Politik. Doch vor Gericht kommt plötzlich alles anders: Das Verwaltungsgericht hintergeht den Kläger, Netzbetreiber und Agentur belügen das Gericht, und zu guter Letzt betrügen sie alle drei gemeinsam auch noch die übrigen bundesdeutschen Mobilfunk-Anwohner um wichtige Schutzrechte. Ebenso wie alle sonstigen Personen, die sich zum Beispiel als Handwerker in der Nähe von Funkanlagen aufhalten müssen. Alles das, indem sich Richter und beklagte Behörde sowohl das Recht, als auch die unverrückbaren Fakten ganz nach Belieben im Sinne der Netzbetreiber zurechtbiegen.
Die Göttinger Staatsanwaltschaft wird aufmerksam und hakt nach. Ausgang ungewiss, gewiss ist nur: Weil es beim Mobilfunk nicht nur um ein bisschen, sondern in Wahrheit um ziemlich viel Geld geht, sollten die Anwohner im Genehmigungsverfahren eigentlich so weit wie möglich außen vor bleiben, auch und nicht zuletzt in Sicherheitsfragen. Denn Netzbetreiber, Behörde und Politik gehen nicht ganz zu Unrecht davon aus, dass der normale bundesdeutsche Anwohner sowieso mit so gut wie nichts einverstanden wäre, was Hochleistungs-Funkantennen angeht, die seiner eigenen Wohnstätte allzu sehr auf den Pelz rücken – vorausgesetzt den Fall, man würde ihm dazu überhaupt eine Stimme geben.
Der Urteilsbegründung nach war’s der beklagten Netzagentur ganz offensichtlich vollkommen egal, ob das Gericht wirklich wusste, was gespielt wird oder nicht. Am Ende scheint es den an einem möglichst geräuschlosen Netzausbau interessierten Prozessparteien einzig und allein wichtig gewesen zu sein, dass die für die Netzbetreiber vom Grundsatz her brandgefährliche Klage von dem in jeder Hinsicht überforderten Göttinger Verwaltungsgericht ohne jedes Wenn und Aber abgewiesen wurde.
Dumm gelaufen für bundesdeutsche Mobilfunk-Anwohner und alle gleichermaßen davon betroffenen Handwerker: Das bisherige und – wenn’s nach dem inzwischen rechtsgültigen Gerichtsurteil geht – wohl auch zukünftig nahezu vollständige Außerachtlassen aller benachbarter Grundstücke bei der Auswahl neuer und Erweiterung bestehender Funkstandorte ist unter bestimmten Voraussetzungen schon allein aus ausgesprochen banalen technischen Gründen unsicher und nicht mit geltendem Recht vereinbar. In der Tat so wenig mit dem geltenden Recht vereinbar, dass sich sogar die Göttinger Staatsanwaltschaft gezwungen sah, in Sachen Netzagentur und Betreiber aktiv zu werden.
...der Rechtsstaat geht
Mobilfunk gibt es in Deutschland seit mehr als einem halben Jahrhundert. Anwohner ebenfalls. Und doch gibt es wenigstens eine Kernfrage des direkten nachbarschaftlichen Zusammenlebens, die noch vollkommen ungeklärt zu sein scheint, sowohl praktisch, als auch juristisch gesehen. Diese Frage lautet kurz, knapp und allgemeinverständlich formuliert:
Ist es eigentlich rechtlich zulässig und technisch unbedenklich, dass private Gartenbäume im unmittelbaren Funkfeuer liegen, soll heißen: innerhalb der von der Aufsichtsbehörde berechneten Sicherheitsabstände?
Viele Anwohner mögen glauben, ihr Gartenzaun würde sie vor Grenzwertüberschreitungen schützen. Das ist jedoch mitnichten so. Denn von Anfang an durften die Netzbetreiber jeden beliebigen, öffentlichen wie privaten Luftraum rund um ihre Funkstandorte mitbenutzen. Zumindest so lange, wie keine Wohn- und für Personen gedachten Aufenthaltsräume davon in unmittelbare Mitleidenschaft gezogen wurden.
Dann aber änderte sich die Rechtslage plötzlich – mit Einführung der LTE-Technik: 2013 wurde die betreffende Immissionsschutz-Verordnung dahingehend nachgeschärft, dass man als Angehöriger der Allgemeinheit, also insbesondere auch als unmittelbarer Anwohner, selbst dort vor Überschreitungen der gesetzlichen Grenzwerte für elektromagnetische Hochfrequenz-Strahlung, sprich vor allzu starker Mobilfunk-Strahlung geschützt sein sollte, wo man sich als normaler Mensch üblicherweise nur vorübergehend aufhalten würde. In beziehungsweise auf seinem eigenen Gartenbaum zum Beispiel, falls dies irgendwann einmal erforderlich sein sollte.
Vom Grundsatz her ausgesprochen unangenehm für alle Netz- und Mobilfunk-Betreiber: Bis dahin hatten sie sich wegen des ihre angemieteten Funkstandorte umgebenden Privat-Grüns keinen großen Kopf machen müssen. Doch nun – inzwischen schreiben wir schon das Jahr 2017 – ging ein in Sachen Technik nicht ganz unerfahrener Anwohner vor das Göttinger Verwaltungsgericht und klagte wegen eines damals kaum 1,5 Meter hohen, gerade eben frisch gepflanzten Amberbaums. Welcher zu der Zeit allein auf Grund seiner kleinen Größe aus Sicht der Netzbetreiber zwar absolut vernachlässigbar war, normalerweise jedoch recht schnell zu schwindelerregenden Höhen heranwachsen kann. Weswegen der Streit stiftende Baum auch schon nach fünfzehn bis maximal zwanzig Jahren mit den damals geltenden Sicherheitsabständen der benachbarten Funkantennen in Konflikt geraten musste.
So jedenfalls die Befürchtung des Anwohners, daher sein Widerspruch und die nachfolgende Klage. Aus Sicht der Betreiber war das natürlich überhaupt kein Grund, die bestehenden Funkanlagen nicht doch wie geplant erweitern zu lassen. Selbstverständlich mit dem ausdrücklichen Segen der Bundesnetzagentur!
Da sein Widerspruch gegen die Erweiterung des Funkstandortes also abgewiesen worden war, klagte der betroffene Anwohner in aller Form gegen die Behörde, bekam das Gericht aber nie zu sehen, sondern lernte stattdessen eine ihm bis dahin vollkommen unbekannte Seite unseres Rechtsstaates kennen. In der solche Angelegenheiten von allgemeinem Interesse ganz ohne Kläger verhandelt werden, Richter die Rechtslage nicht kennen, Grenzwerte nicht eingehalten werden und Sicherheitsangaben nicht stimmen müssen. Wie er als kleiner „Bauer in diesem falschen „Spiel
am Ende aber dennoch zu seinem Recht kam – trotz eines verlorenen Prozesses – und was dies für andere Mobilfunk-Anwohner in Deutschland bedeutet, davon handelt dieses Buch.
Zwielicht, TEIL 1: Antworten en gros
Dürfen private und andere Bäume von Rechts wegen eigentlich „einfach so" in den Sicherheitsbereich einer oder mehrerer gut bestückter Mobilfunkanlagen hineinreichen?
Diese Frage sollte sich jeder mittelbare oder unmittelbare Anwohner stellen, der entweder kleine „Klettermaxe" oder große Gärtner in seiner Familie hat – oder sogar selbst gern eines von beidem wäre.
Der „Sicherheitsbereich" eines stationären Funkstandortes ist bestimmt durch die zum Beispiel im Internet unter www.Bundesnetzagentur.de in einer digitalen Deutschlandkarte einsehbaren Sicherheitsabstände (Suchbegriff: EMF-Karte [EMF=Elektro-Magnetische Feldstärken]). Davon gibt es immer zwei: einen