Haftungsansprüche bei atomaren Schäden gegen Kernkraftwerksbetreiber und Zulieferer: Ein Vergleich internationaler Haftungskonventionen und nationalem Recht
Von Michael Goerz
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Buchvorschau
Haftungsansprüche bei atomaren Schäden gegen Kernkraftwerksbetreiber und Zulieferer - Michael Goerz
Teil 1: Thema und Abhandlung
A Problemstellung
Weltweit wird zurzeit über die Sicherheit von Kernkraftwerken diskutiert, die angesichts der Fukushimakatastrophe in Japan häufig in Frage gestellt wird. Deutschland und die Schweiz haben als erste Länder einen unumkehrbaren Einstieg in den Atomausstieg in Kontinentaleuropa beschritten. Dennoch werden lange Restlaufzeiten notwendig sein um diesen Übergang zu ermöglichen, so dass für die Zeit des operativen Betriebes immer noch ein gewisses Restrisiko eines nuklearen Unfalls besteht. Entgegen der Delikthaftung im deutschen Recht gestaltet sich eine Haftung durch Atomschäden als wesentlich komplizierter. Bedingt ist dies zunächst durch die vielfältigen internationalen Abkommen für Atomhaftungsfragen, die seit den 60er Jahren in verschiedenen Revisionen von zahlreichen Nationen ratifiziert wurden. Diese Regularien sind jedoch in verschiedenster Ausprägung in nationales Recht umgesetzt worden, so dass auch bei benachbarten Staaten durchaus unterschiedliche Auslegungen gleicher Rechtsthematiken vorherrschen können. Weiterhin wird die Frage nach der korrekten Auslegung von Atomhaftungskonventionen dadurch erschwert, dass es zurzeit keine Grundsatzurteile zu dieser Thematik gibt. In Europa hat sich in den letzten Jahrzehnten kein derart schwerer Atomunfall ereignet, als dass es zu massiven Schadensersatzklagen gekommen ist. Momentane Klagen gegen mögliche Endlagerstätten in Gorleben oder das Atommülllager in Asse basieren auf der Sorge zukünftiger Schäden, nicht jedoch auf eingetretenen Atomschäden. Es ist somit kaum möglich über Präzedenzfälle oder Grundsatzurteile mögliche Szenarien eines Kernkraftwerksunfalls mit radioaktiver Kontamination der Umgebung zu bewerten. Vielmehr können die Gesetzestexte nur den Rahmen möglicher Haftungen geben, die jedoch teilweise bis heute kontrovers diskutiert werden. Zwar steht in allen Ländern der reibungslose Betrieb durch geeignete Sicherungsmaßnahmen im Fokus, doch im Fall der Fälle ist besonders auf den Opferschutz und entsprechende Betreiberhaftung abgezielt worden. Letztendlich bilden die nationalen Gesetze den aus Sicht der Regierung größtmöglich zu vertretenden Kompromiss zwischen der Genehmigung für Energieversorger Kernenergieanlagen zu betreiben, aber auf der anderen Seite auch für deren Gefahren die Haftung zu übernehmen.
B Ziel und Aufbau der Arbeit
Ziel dieser Arbeit soll es sein eine Gegenüberstellung internationaler Atomhaftungsregularien mit den nationalen Ausführungen des deutschen Atomrechts anzufertigen. Diese Arbeit soll den Leser somit in die Lage versetzen einen fundierten Überblick über die Schadenshaftung von Betreibern zu erhalten, sowie die Rechte und Möglichkeiten eines geschädigten Dritten zu verstehen, was für einen fundierten Vergleich der Atomgesetzeslage in Deutschland notwendig ist.
Es geht dabei in erster Linie um die Fragestellung, welche Verpflichtungen deutsche Kernkraftwerksbetreiber im Falle eines Schadeneintrittes zu erfüllen haben und welche damit verbundenen Rechte seitens der Geschädigten durchgesetzt werden können. Zwecks Eingrenzung des Themas wird auf Schadensszenarien in Bezug auf den Transport radioaktiver Stoffe zu Land, auf See oder in der Luft nicht eingegangen. Ebenfalls Schädigungen aus Forschungseinrichtungen oder medizinischen Institutionen sind nicht Bestandteil dieser Arbeit.
Zunächst beginnt die Arbeit mit einer strukturierten Beschreibung der verschiedenen Haftungskonventionen, sowie ihrer Transformation in nationales Recht. Die Kenntnis über die verschiedenen Rechtsgrundsätze, deren Rangverhältnis zueinander ist notwendig, um daraus abgeleitet die tatsächlichen Rechtsansprüche für Schädiger und Geschädigte ableiten zu können. Kernfrage dieser Arbeit ist es, zu klären, welche Haftungsansprüche gegen Betreiber bestehen, wenn ein nuklearer Schaden eintritt. Dabei ist auch die Definition des atomaren Schadens interessant, da diese unterschiedlich ausgelegt werden kann. Besonders für die Thematik der Kompensation ist dabei der begrenzte finanzielle Rahmen zu berücksichtigen, so dass sich daraus eine Rangfolge von Haftungsansprüchen und Ausgleichszahlungen ergeben kann. Somit sind die eingetretenen Schäden von natürlichen Personen, sowohl als auch von juristischen Personen – also Unternehmen – in Einklang zu bringen. Ähnlich wie Krankheitsausbreitungen machen radioaktive Kontaminationen nicht vor Landesgrenzen halt. Daher widmet sich ein großer Teil der Arbeit der Frage inwieweit grenzüberschreitende Schäden durch bestehende Rechtssysteme und multilaterale Rechtsabkommen gedeckt sind. Zur Verdeutlichung wird ein Schadensszenario zwischen Deutschland und Frankreich genauer analysiert. Nachdem die Schadensgrundsätze analysiert worden sind, wird die besondere Haftungsverantwortung der Kernkraftwerksbetreiber genauer analysiert und kritisch mit bestehender Rechtsauslegung verglichen. Die besondere Schwere solcher Schäden macht die Intervention von Staaten unumgänglich, so dass auch die Staatshaftung hier genauer analysiert wird.
Teil 2: Hauptteil
A. Rechtliche Grundlagen für Atomschäden
I. Die Ursprünge zur Atomhaftung
a) Die Pariser Verträge
Am 29. Juli 1960 traten die sogenannten Pariser Übereinkommensstatuten in Kraft. Die Pariser Konvention wurde im Rahmen der OEEC¹ ausgehandelt und findet für alle Mitgliedsstaaten dieser Organisation Anwendung, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland. Die bahnbrechende Grundlage der Pariser Verträge war die nicht unumstrittene, aber zumindest finalisierte Auffassung der teilnehmenden Repräsentanten, dass Betreiber von kerntechnischen Anlagen unabhängig von ihrem Verschulden für mögliche atomare Schäden haftbar gemacht werden können. Dieses Prinzip – welches im Nachgang detailliert behandelt wird – wurde Gefährdungshaftung genannt. Die klassischen Force Mejure Ausschlusskriterien sollten hier auch Anwendung finden, so dass Betreiber nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten, falls die atomare Schädigung Folge höherer Gewalt, kriegerischer Auseinandersetzung, oder schwerem Fehlverhaltens von den Geschädigten selber ist. Art 2 i. V.m Art. 6 sieht zunächst eine internationale Verpflichtung dieser Statuten nur für Mitgliedsländer vor, so dass diese Konvention nicht auf Schäden anwendbar ist, die auf dem Hoheitsgebiet von Nicht-Mitgliedsstaaten entstanden sind. Einhergehend mit der Gefährdungshaftung der Betreiber schließt Art. 6 b die Haftung anderer Beteiligten aus, sofern es sich nicht um Parteien der Beförderung von kerntechnischem Material handelt. Begründet wird diese Kanalisierung damit, dass dadurch langwierige Prozesse vermieden werden, in denen die Betroffenen von nuklearen Schäden erst einmal den Kausalzusammenhang zwischen nuklearem Eintritt, Verursachung durch den Betreiber und eigener Schädigung nachweisen müssten.² Normale Rückgriffsrechte des Betreibers sind nach Art. 6 f Satz 1 nur gegenüber natürlichen Personen möglich, die mit Schädigungsabsicht die atomare Schädigung herbeigeführt