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"Tödliches Finitum": Band 3 der Trilogie "Operation Blaue Flamme"
"Tödliches Finitum": Band 3 der Trilogie "Operation Blaue Flamme"
"Tödliches Finitum": Band 3 der Trilogie "Operation Blaue Flamme"
eBook574 Seiten7 Stunden

"Tödliches Finitum": Band 3 der Trilogie "Operation Blaue Flamme"

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Über dieses E-Book

Auch fünfzehn Jahre nach der "Wende" hält der Kampf um die "Blaue Flamme" an. Brutal und unter Inkaufnahme von Opfern, versuchen verschiedene Kräfte an die brisanten Dokumente zu gelangen. Die inzwischen gesichert im Schließfach einer Bank liegen. Gleichzeitig erfordert ein von überstaatlicher Seite politisch forciertes Großprojekt die Destruktion des Projektes.
Ein Berliner Prominenter, der früher an der Erdgastrasse eine gesellschaftliche Organisation vertrat, wird ermordet. Darum nimmt das LKA die Ermittlungen auf. Hierbei stoßen die Kriminalisten um Hauptkommissarin Fehderlein auf die Verflechtungen alter Stasi-Kader in Rauschgifthandel, Steuerbetrug und Bandenkriminalität im großen Stil.
Darüber hinaus kommen unter seltsamen Umständen die Ehefrauen der Geschäftsführer der "FUSIONA" zu Tode. Zudem kann man durch Recherchen in Frankreich das Verschwinden von zwei Vermissten aufklären. Doch es werden weitere Mitwisser der "Blauen Flamme" beseitigt und letztendlich kommt es zum tödlichen Finale in Berlin-Marzahn.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum18. Okt. 2014
ISBN9783847616863
"Tödliches Finitum": Band 3 der Trilogie "Operation Blaue Flamme"

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    Buchvorschau

    "Tödliches Finitum" - Thomas Helm

    Titel

    Thomas Helm

    »Tödliches Finitum«

    Roman

    Band 3 der Trilogie

    »Operation Blaue Flamme«

    Vorwort

    Zusammenfassung des Inhaltes aus Buch 1 »Ostwärts« und Buch 2 »Tödliche Rochade«

    Eine kleine Elite im »Ministerium für Staatssicherheit der DDR« beschloss Anfang der Achtziger des letzten Jahrhunderts ein streng geheimes Vorhaben. Bereits mit dem Baubeginn der Erdgastrasse in der UdSSR wurde im Jahre 1982 das Projekt »Blaue Flamme« initiiert.

    Mit der praktischen Umsetzung dieses Plans besaß man ab 1984 ein strategisches Druckmittel. Etwa für den Fall, wenn die sowjetische Seite die vereinbarten kontinuierlichen Gaslieferungen an die DDR eines Tages willkürlich einschränken oder gar einstellen würden.

    Die Montagearbeiten der dafür benötigten Sprengsätze schloss man im Frühjahr 1986 ab.

    Das Buch beginnt mit der Schilderung von bizarren Vorkommnissen. Die ereigneten sich auf der DDR-Baustelle Prokowski der Erdgastrasse im westlichen Ural im Februar 1986.

    Am frühen Morgen wurde im Wohnlager ein Maschinist erhängt aufgefunden. In der Nacht darauf verschwand ein Meister des Transportbetriebes spurlos vom Baufeld.

    Zernick, Major der Staatssicherheit der DDR und Faber, Chef der Abteilung für Arbeitsschutz und Sicherheit, befassten sich als Erste mit den Vorfällen.

    Steincke, der neue FDJ-Sekretär, kommt auf die Baustelle und lernt Kappner, den Leiter der Versorgung sowie dessen Frau Lisa kennen.

    Bruhns, »Offizier im besonderen Einsatz«, führt auf dem Standort eine verdeckt arbeitende Gruppe. Er erschlägt einen abtrünnigen Mitarbeiter und lässt ihn verschwinden.

    In Berlin fand im »Ministerium für Staatssicherheit« eine wichtige Beratung statt. Der Leiter der Sitzung und Initiator der »Blauen Flamme« war dabei Oberst Führmann, der dem »Mentor der Aktion«, Oberst Römer, feindselig gegenüber stand.

    Der für die Ukraine verantwortliche „OibE", Bauerfeind, erfährt im Anschluss an die Beratung, dass sein Bruder im Ural Selbstmord begangen hat.

    Im Herbst desselben Jahres trennten sich die Wege von Kappner und Steincke. Nach ihrem Vertragsende kehrten die Kappners endgültig nach Ostberlin zurück. Steincke wurde durch seine Vorgesetzten im Zentralrat zu Höherem berufen. Fortan fungierte er als der oberste Chef der FDJ für den gesamten »Bauabschnitt Ural«.

    In Kuragin, einem rührigen Komsomolfunktionär aus Perm, fand er einen gleich gesinnten Partner. Rigoros nutzen beide die ungeahnten wirtschaftlichen Möglichkeiten aus, die sich ihnen aus den Beschlüssen des Moskauer Komsomolkongress im Jahre 1987 bieten. Durch gemeinschaftlich betriebene Geschäfte, die sich bald jenseits aller Legalität bewegten, kamen sie rasch zu Reichtum.

    Ein Jahr später wurde Kappner, auch daheim beruflich erfolgreich, aufgrund einer infamen Intrige verhaftet. Man verurteilte ihn zu einer zweijährigen Haftstrafe und verbrachte ihn in das Zuchthaus nach Bautzen.

    Major Zernick war wegen Steinckes enger Verbindungen zum Kuragin misstrauisch geworden. Daher überwachte er den FDJ-Chef. Er setzte ihn in Hinsicht auf dessen »zweiter Existenz« unter Druck, ließ ihn jedoch nicht auffliegen.

    Der Umbruch in der DDR, der mit dem Fall der Mauer einen vorläufigen Höhepunkt fand, stellte auch für alle Beteiligten eine Zäsur dar.

    Die Kappners halten vorerst an ihren Arbeitsplätzen fest. Sie hoffen jedoch auf eine Veränderung.

    Oberst Führmann bildet mit Bauerfeind und Bruhns eine konspirative Gruppe, die in Westberlin eine Firma führen soll. Für das Vorhaben verbringt Führmann mit Bauerfeind 25 Millionen D-Mark nach Lichtenstein. Bei seinem Bestreben davon 5 Millionen für sich selbst abzuzweigen versucht er Bauerfeind zu töten.

    Der kann entkommen, flieht nach Frankreich und gründet dort eine Firma. Später lernt er Yvonne kennen mit der fortan zusammenlebt.

    Steincke, der von der Trasse nach Berlin zurückgekehrt ist, gründet eine Baufirma. Er wird von seinem Partner betrogen und geht Pleite. Daraufhin beginnt er einen langjährigen Wechsel ins Maklergewerbe, bis er sich in der Branche selbstständig macht.

    Zernick und zwei seiner alten Genossen haben nach der Wende eine Wachschutzfirma gegründet. Die wächst rasch. Er holt sich Kuragin, Steinckes früheren russischen Partner ins Unternehmen. Der versorgt sie fortan über seine Lieferwege mit Rauschgift aus dem Iran und aus Afghanistan. Der Vertrieb erfolgt über Großdiskotheken und Events in ganz Deutschland. Die Gewinne werden über Transaktionen durch Immobilienkäufe gewaschen. Hierbei wirkt Steincke unwissentlich über viele Jahre mit.

    Nach einer dreijährigen Phase als angestellter Betriebsleiter macht sich Kappner gemeinsam mit seiner Frau selbstständig. Nunmehr führen sie zwei Betriebsrestaurants in Berlin.

    Fuhran und Braun betreiben über eine Tarnfirma die »Flamme« in Russland und der Ukraine weiter. Dabei kommt es zu einem Zwischenfall, bei dem Fuhran zwei Menschen tötet. Später stößt er zufällig auf die Spur von Bauerfeind. Er sucht ihn in Paris auf, wobei er bei einem Handgemenge selbst zu Tode kommt. Gemeinsam mit seinem Bodyguard wird er im Golf von Biskaya versenkt.

    Braun löst die Berliner Firma auf und führt die »Flamme« vom Bodensee aus weiter.

    Der frühere Oberst Römer betreibt von Potsdam her mit früheren serbischen Söldnern ein Dealer-Unternehmen. Durch seine Kenntnisse über die »Flamme« versucht er, ihrer habhaft zu werden. Er will sie zu einer Erpressung von nie dagewesener Dimension einsetzen. Mehrere Versuche schlagen fehl, er büßt dabei einige Leute ein.

    Braun, der bei einer dieser Aktionen in Meersburg überfallen wurde, hatte überlebt. Er entschließt sich erneut seinen Standort zu wechseln.

    Bauerfeind plant indessen in Paris, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, in den Besitz der »Flamme« zu gelangen.

    Hauptpersonen

    Die hauptsächlich handelnden Personen in alphabetischer Reihenfolge

    _____________________________________________

    Abaschidse, Wassili

    Georgier, Mitarbeiter von Alexej Kuragin in Jewpatoria auf der Krim.

    Abaschidse, Janna

    Georgierin, Ärztin, Ehefrau von Wassili.

    Bade, Johannes

    Bauingenieur, Mitglied in Bruhns konspirativer Gruppe.

    Bahlke, Fred

    Kraftfahrer von Steincke im Ural.

    Bauerfeind, Frank

    Hauptmann beim MfS, OibE im Ural.

    Bauerfeind, Marco

    Mechaniker bei RIV, Mordopfer, Bruder von Frank.

    Baumann, Dieter

    Major beim MfS, Verantwortlicher für den Bauabschnitt Ukraine, dann Partner von Zernick in der »FUSIONA«.

    Bärwald, Sabine

    Sekretärin von Steincke, später seine Geliebte.

    Becker, Waldemar

    Projektingenieur in Bara, Ukraine, später Makler.

    Biçon, Francoise

    Franzose, Unternehmer. Alias von Bauerfeind, Frank.

    Braun, Kolja

    Alias von Bruhns, Michael. Partner von Fuhran.

    Brialy, Yvonne

    Französin, Lebensgefährtin von Biçon, Pilotin.

    Bruhns, Michael

    Hauptmann beim MfS, OibE im Ural.

    Faber, Justus

    Leiter Sicherheit/Arbeitsschutz in Prokowski, später Kleinunternehmer

    Fehderlein, Anja

    Kriminalhauptkommissarin, Leiterin der M-01 beim LKA.

    Fuhran, René

    Alias von Führmann, Rainer nach der Wende.

    Führmann, Rainer

    Oberst beim MfS, Leiter der »Blauen Flamme«.

    Fischbein, Rudolf

    Banker in Frankfurt und Zürich, vormals MfS.

    Hortobagy, Istvan

    Ungarischer Botschaftsmitarbeiter in Ostberlin.

    Junghanns, Sepp

    Erster Kriminalhauptkommissar, Ressortleiter beim LKA.

    Kappner, Theodor (Theo)

    Versorgungschef, Betriebsleiter, selbständiger Gastronom.

    Kappner, Elisabeth (Lisa)

    Ehefrau von Theo

    Klamm, Burkhard

    Mitarbeiter MfS, Aktualisierer in Bara/Ukraine.

    Knäbelein, Urz

    Vorsitzender der DSF in Prokowski, Mordopfer.

    Kretzschinski, Rolf

    Abt. Leiter Technik beim HAN-V in Prokowski.

    Kuragin, Alexej

    Komsomolsekretär für Wirtschaft, Cousin von Wolodja, später Partner von Zernick und Co.

    Kuragin, Wolodja

    Oblastsekretär des Komsomol, später Angestellt bei Alexej.

    Langner, Martin, Dr.

    Baustellenarzt in Prokowski.

    Laupner, Ferdinand Dr.

    Resortleiter beim Innenministerium.

    Lavalle, Jean

    Franzose, Direktor einer Flugshow.

    Luschnat, Mirco

    Personenschützer bei »FUSIONA«.

    Lustich, Anette

    Kriminalkommissarin bei M-01 im LKA.

    Regardier, Jaques

    Franzose, Kunsthändler in Westberlin

    Rehnhack, Silvio

    Brigadier in Prokowski, Bettpartner von Knäbelein.

    Rupert, Gerd (Buletten-Rupert)

    FDJ-Chef Ural, wird von Steincke abgelöst.

    Römer, Lutz

    Oberst im MfS, später krimineller Unternehmer.

    Schimmel, Klaus

    Transportleiter in Prokowski, Mordopfer.

    Schirmer, Frank

    Abt. Leiter im FDJ-Zentralrat, später Partner von Steincke.

    Schneller, Hans

    Kriminaloberkommissar bei M-01 im LKA.

    Steincke, Helmut

    FDJ-Chef, Bauunternehmer, Makler, Freund von Kappner.

    Weber, Thomas (Thomy)

    Kriminalkommissar bei M-01 im LKA.

    Weiler, Horst

    Vorm. Major beim MfS, Verantwortlich BA Ukraine, dann Partner von Zernick in der »FUSIONA«.

    Weinacht, Dietmar (Onkelchen)

    SED-Parteichef für den Bauabschnitt Ural.

    Wollmaier, Herbert

    Oberstleutnant beim MfS, Leiter des »Institutes«, später Inhaber einer Werkstatt für Computerservice.

    Wollny, Herbert

    SED-Parteichef in Prokowski.

    Wrobel, Karl

    Stellvertreter von Steincke im Ural.

    Zernick, Ralf

    Major des MfS, später 1.Geschäftsführer der »FUSIONA«.

    Zierwitz, Hermann

    Stellvertretender Baustellenleiter von Prokowski.

    Kapitel 1 - Stakkato -

    Auf und davon - Stellungswechsel (September 2005)

    Kolja Braun war gezwungen, rasch zu handeln. Er musste nicht nur sich selbst, sondern vor allen die »Flamme« in Sicherheit bringen! Einen erneuten Überfall würde er wohl kaum so gimpflich überstehen.

    Auch bei seiner soeben absolvierten Fahrt mit dem Auto vom Bodensee nach Berlin hatte er sie wiederholt gesehen.

    Diese riesigen Richtungstafeln am Hermsdorfer Kreuz die den Weg nach Weimar wiesen.

    Für Thüringen, im Besonderen für die Dichter-Stadt empfand er schon immerwährend eine fast sentimental anmutende Affinität. Die rührte noch aus seiner Kindheit her. Wohl auch aus seiner Zeit bei der GST.

    Die fast rosig erscheinenden Erinnerungen beeinflussten nun seine ausstehende Entscheidung maßgeblich.

    Wenn er denn schon wieder abtauchte, dann in eine Gegend, die ihm von vornherein zusagte!

    Sofort nach seiner Rückkehr nach Meersburg setzte er sich an den Computer und filzte im Netz den Immobilienmarkt von Weimar. Dabei fand er auch die Exposé von drei schönen Wohnungen, die seinen Vorstellungen entsprachen.

    Eine von ihnen war wegen ihrer Lage und der aufgeführten Ausstattungen recht teuer. Aber sie sagte ihm zu, weshalb er gleich mit dem anbietenden Makler telefonierte.

    Dieser bestätigte erfreut einen Termin für eine Besichtigung am übernächsten Tag. Natürlich könnte Herr Braun, wenn er es denn so möchte, sofort einziehen. Selbstredend erst nach Zahlung von Kaution und Maklerprovision.

    Braun war sich darüber im Klaren, dass sein Vorhaben ein teurer Schnellschuss wird. Doch an die materiellen Konsequenzen verschwendete er keinen Gedanken. Schließlich hatten sich die Millionen, auf denen er hockte, im Laufe der letzten Jahre stark vermehrt.

    Noch am gleichen Abend fuhr er in einen Baumarkt. Dort kaufte er einige Umzugskartons und Klebeband.

    Die Auswahl dessen was er in seine neue Bleibe mitnehmen würde fiel ihm schwer. Denn auf einen Möbelwagen musste er verzichten und sich daher nur auf die wichtigsten, persönlichen Dinge beschränken.

    Alles andere, was er in der neuen Wohnung benötigte, die Möbel eingeschlossen, würde er in Weimar kaufen. Grundsätzlich gedachte er jedes Teil mitzunehmen, was eine Spur zu ihm hinterlassen könnte.

    Er schickte dem Meersburger Makler, der ihm seine schöne Wohnung verkauft hatte, eine E-Mail. Darin erteilte er ihm die Vollmacht zur Vermietung der möblierten Immobilie. Zudem beauftragte er ihn mit der Verwahrung der Mieteinnahmen auf einem gesonderten Konto. Abzüglich der üblichen Provision.

    Außerdem begründete er gegenüber dem Schwaben seinen kurzfristigen Entschluss. Er plane einen Aufenthalt in der Karibik von zumindest zwei Jahren. Der Termin seiner Rückkehr wäre ungewiss. Zur gegebenen Zeit würde er sich wieder bei ihm melden.

    Nach Erhalt der E-Mail rief der Makler zurück. Auf seine Bitte hin nannte ihm Braun eine seiner Handynummern. Er verbat sich jedoch ihre Weitergabe an Dritte.

    Großzügig bezahlte er seine Außenstände bei den kommunalen Versorgern. Daraufhin löste er das Konto auf von dem aus er bisher diesen Verpflichtungen nachkam.

    Nachdem er alles, was er mitnehmen wollte, in seinem Wagen verstaut hatte, legte er sich noch einige Stunden schlafen.

    Am frühen Morgen des nächsten Tages nahm Kolja Braun Abschied vom schönen Städtchen Meersburg. Ohne einen Blick zurück machte er sich auf den Weg in Richtung Thüringen.

    Pfadfinder (Paris im Oktober 2005)

    Françoise Biçon verließ zur Mittagszeit seine Firma, die nahe der METRO-Station San Ouen gelegen war.

    Schon am frühen Morgen, als er die täglichen dreißig Minuten auf dem Hometrainer absolvierte, beschäftigte ihn dieses Problem. Mit dem er am Abend zuvor ins Bett ging.

    In den letzten Monaten war der berufliche Druck, den er sich selbst auferlegt hatte, fast unerträglich geworden.

    Zum einen war es die Planung von zwei neuen Projekten gewesen, die ihm im Kopf herumging.

    Aber letztendlich wurde ihre Umsetzung in Belgien und Schweden sehr kompliziert. Ein halbes Dutzend Male war er selbst auf die Baustellen geflogen. Um dort die Installation der Software durch seine Leute zu überwachen.

    Dass alles verlangte von ihm und den Mitarbeitern viel Kraft und Zeitpotenzial ab.

    Nun war es endlich so weit gewesen. Beide Probeläufe konnten ohne Probleme durchgeführt werden. Die Auftraggeber der Projekte hatten vorgestern ihr OK gegeben. Heute Vormittag bestätigte die Bank die Zahlungseingänge für seine Schlussrechnungen.

    Zurückgekehrt in seine Penthouse Wohnung setzte sich Biçon im Arbeitszimmer an den Schreibtisch. Er streckte die Arme aus und dehnte sich.

    Dann öffnete er wieder die Augen. Für einen kurzen Moment weidete sich an dem imposanten Ausblick, der sich ihm von hier aus auf den Eiffelturm bot.

    Gedankenverloren spielte er mit dem Kugelschreiber. Mit der flachen Hand rollte er ihn über das immer noch leere, erste Blatt eines Schreibblocks. Nachdenklich starrte er wieder zum Fenster hinaus. Dann ging er in seinen Gedanken zurück.

    Seit den unsäglichen Vorkommnissen in dieser Wohnung war schon weit über ein Jahr vergangen.

    Er und Yvonne hatten diese Zeit bewusst verstreichen lassen, ohne nochmals darüber zu sprechen.

    Die ersten Wochen nach ihrer Rückkehr aus Bali fand Yvonne des Nachts kaum Schlaf. Am liebsten wäre sie sofort aus dieser Wohnung ausgezogen. Das bekannte sie ihm einmal unter Tränen. Weil ihrer Meinung nach diese Räume für alle Zeiten verflucht sind.

    Wenig später legte sich das jedoch. Bald konnte sie, ohne einen Umweg um bestimmte Stellen auf dem Fußboden zu machen den Wohnraum wieder ungehemmt durchqueren. Und sich auch darin aufhalten.

    Auf eine unzweideutige für Biçon anfangs nicht unangenehme Weise schien Yvonnes Psyche die schrecklichen Erinnerungen zu kompensieren.

    Plötzlich tendierte sie, nach einer langen Phase von ungewohnter Keuschheit, zu gesteigerten sexuellen Begehren. Yvonne entblößte sich spontan in der gemeinsamen Wohnung, indem sie den Rock hochzog. Oder die knappen Jeans herabließ. Das tat sie auch, wenn sie Biçon unangemeldet in seinem Büro aufsuchte. Stets trug sie dabei keinen Slip. Daheim bestand sie sogar darauf, dass er ihr beim Masturbieren zuschaute.

    Sie drängte ihn, wenn sich beide in der Öffentlichkeit bewegten mit ihr spontan Örtlichkeiten aufzusuchen, wo er sie ohne Vorbereitung besteigen sollte. Egal ob es eine Toilette in einem Café oder ein Fahrstuhl in einem Hochhaus war. Die Gefahr bei ihrem anstößigen Tun überrascht zu werden musste für sie überall gegeben sein.

    Er schwitzte dabei zumeist vor Erregung und Angst. Gelegentlich konnte er seine ansonsten stets kampfbereite Lanze gar nicht in Kampfposition bringen.

    Dann griff Yvonne zu, formte sich das Fleisch so, wie sie es brauchte. »Sieh an. Es geht doch, du Waschlappen!«, keuchte sie dabei. Ein fast irres Lächeln leuchtete auf ihrem schönen Gesicht. »Los! Stoß zu, mach’s mir!«

    Zum Glück gab sich dieser Zustand mit der Zeit von allein. Wobei eine angestiegene Arbeitsbelastung in Yvonnes Flugunternehmen vermutlich auch eine nicht unerhebliche Rolle dabei spielte.

    Des Öfteren kam sie erst spät am Abend heim. Aufgrund von vielen Aufträgen übernahm sie neben ihrer eigentlichen Arbeit auch selbst einige Flüge.

    Unabhängig davon, dass der Aufschwung auch in Yvonnes Firma einen positiven Einfluss auf ihre Kontostände zeigte. Er regulierte ihren Libido wieder auf ein bürgerliches für Biçon erträgliches Maß.

    Über Weihnachten flogen sie auf die Bahamas. Das Osterfest verbrachten sie schwitzend in Kenia.

    So vergingen die Monate. Doch bei ihren abendlichen Gesprächen kamen sie immer öfter auf ein bestimmtes Thema zurück.

    »Schatz, wenn wir in den Firmen wieder mehr Luft haben, dann müssen wir uns endlich um das Vorhaben kümmern!«, mahnte Biçon gelegentlich.

    Dann lächelte sie. »Klingt gut. »Das Vorhaben«. Du meinst unseren verrückten Plan?«

    Er ergriff ihre Hand. »Willst du es nicht mehr anpacken? So wie wir es gemeinsam geplant haben?«

    Daraufhin lehnte sie sich an ihn. »Natürlich will ich es. Lass’ uns aber bald beginnen. Nicht, dass wir noch kneifen!«

    Nun war es so weit. Heute wollten sie zur Sache kommen. Biçon begann damit, dass er bereits zur Mittagszeit daheim im Arbeitszimmer saß.

    Immer wieder ließ er seinen Blick über die von der Sonne überflutete herbstliche Stadt schweifen. Er überlegte, welche Schritte sie zuerst gehen sollten.

    Natürlich hatte er in den vergangenen Monaten auch mehrfach über das Ganze nachgedacht. Skizzenhaft entwarf er dabei ihr Vorgehen. Schrieb auch auf, was besonders beachtet werden musste. Grübelte über eventuelle Hindernisse nach.

    Zum einen wollte er Kolja Bruhns ausfindig machen, um ihm die Unterlagen zur »Flamme« abzunehmen. Wie er danach mit dem früheren »Kampfgefährten« verfahren würde, dessen war er sich bisher noch nicht schlüssig.

    Den Vorrang besaß für ihn jedoch eine andere Intention. Aber wenn er über sie nachdachte, beschlich ihn jedes Mal ein flaues Gefühl.

    Daher verlor er bisher zu diesem Thema gegenüber Yvonne auch noch kein Wort. Vor allen, weil er sie derzeit damit nicht belasten wollte.

    Denn sollte es ihm gelingen den Mörder seines Bruders ausfindig zu machen dann musste er ihn töten.

    Auch, wenn er damit einen geplanten, vorsätzlichen Mord begehen würde! Und genau aus diesem Grunde hielt Biçon diesen Teil seines Vorhabens bisher vor Yvonne geheim. Irgendwann musste er es ihr allerdings sagen. Das konnte er aber erst dann tun, wenn er alle notwendigen Informationen dafür beisammen hatte.

    Um sich etwas zu stimulieren, ging Biçon nach nebenan zum Barschrank und holte sich einen großzügig bemessenen Brandy. Alsdann setzte er sich wieder an den Schreibtisch. Er prostete dem Eiffelturm zu und ließ einen großen Schluck des feinen Tropfens langsam in Richtung Magen rinnen.

    So wie ihn eine wohlige Wärme durchströmte, begann sein Hirn auf einer anderen Ebene zu arbeiten. Denn genau das brauchte er, um geistig rege zu sein!

    Mit dieser selbst gezimmerten Weisheit begründete er gern sein Verlangen nach einem guten Schluck!

    Er stellte das Glas beiseite und schlug ein mit hellgrauer Folie eingebundenes, kleines Notizbuch auf. Dieses Büchlein besaß er schon, als er noch den Namen Bauerfeind trug und im Auftrag des MfS in der Ukraine tätig war. Dieses Buch hatte er bei seiner Flucht aus Österreich mit nach Paris gebracht. Gut behütet über alle Jahre hinweg.

    Es begab sich zu jener Zeit, als er mit fünf Millionen DM in der Tasche allein in einem kleinen, schäbigen Hotelzimmer in Paris hockte.

    Er erinnerte sich genau, wie er damals eine große Flasche billigen Bauernwein öffnete. Das rote Gesöff goss er in ein Zahnputzglas. Dann trank er und nahm dieses Notizbuch zur Hand.

    Daraufhin zermarterte er sein Hirn auf der Suche nach Erinnerungen. Nach Dingen, die sich bis zu jenem Tag ereignet hatten, an dem er in Frankreich angekommen war. Alles, was in seinem Schädel gespeichert war, gab er dem Büchlein preis. Namen, Gesichter, auffällige Erlebnisse in der Ukraine, im Ministerium und im Bregenzer Wald

    Diese Erinnerungen schrieb er in dieser Nacht fein säuberlich auf. Auch später kritzelte er alles in das Notizbuch, was ihm noch zu seiner Vergangenheit einfiel, was er als »Wichtig« einstufte.

    Gedankenversunken blätterte Biçon wahllos durch sein Büchlein, bis er sich schließlich zur Ordnung rief.

    »Disziplin bitte!«, herrschte er sich selbst an. »Nun dann schauen wir doch mal was wir über die alten Genossen so alles festgehalten haben«, knurrte er und trank noch einen Schluck.

    Bereits nach kurzer Zeit fand er die ersten, brauchbaren Notizen. Er notierte die aufgeführten Fakten auf den Schreibblock.

    Es verging noch gut eine halbe Stunde, bis er seinen PC hochfuhr, um sogleich ins Netz zu gehen.

    Bevor er sich jedoch dort in Zeit und Raum verlor, stand er auf und holte sich spontan einen zweiten Brandy.

    Dann ging er zu Werke. Er stieß im Netz auf mehrere Trassenportale und verschiedene Homepages, die sich mit der »Drushba Trasse« und mit der »Erdgastrasse« beschäftigten.

    Er war bass erstaunt, wie viele ihm bekannte Namen und alte Verbindungen er dort finden konnte.

    In einem der Portale stieß er zudem auf ein besonders großes Bildarchiv. In solche Archive luden die früheren Kumpels schon seit Jahren jene Fotos hoch, die sie irgendwann selbst mal an der Trasse gemacht hatten.

    Mit einem falschen Namen meldete er sich auf dem Portal an, um danach sofort Zugriff auf alle Seiten zu bekommen.

    Die Fotos wurden an der Drushba-Trasse und den drei Bauabschnitten der Erdgastrasse gemacht. Doch bei seiner Suche halfen ihm die Bildunterschriften ebenso wie die vielen Kommentare.

    Schließlich entdeckte er mehrere Fotos von einer Faschingsfeier in Prokowski. Die fand laut den Bildlegenden im Jahre Sechsundachtzig statt.

    Die Verbindung des Wortes »Fasching« mit der betreffenden Jahreszahl ließ Biçon sofort aufmerken. Doch so nett und teilweise erheiternd die Bilder auch waren.. Es befand sich keines darunter, das ihm weiterhelfen konnte. Wenn er sich richtig erinnerte war zu dem Zeitpunkt, als diese Fotos gemacht wurden, sein Bruder bereits schon seit Stunden tot!

    Nunmehr recht frustriert klickte er sich in der Galerie noch ein paar Bilder weiter. Eigentlich wollte er die Seite wieder verlassen. Doch da entdeckte er noch ein Gruppenfoto, das durch einige Elemente an den Fasching erinnerte. Die kurze Bildunterschrift ließ sein Herz höher schlagen und plötzlich wurde ihm heiß. Eine innere Stimme sagte ihm, dass dieses Bild für ihn ganz wichtig wäre.

    »Elferratssitzung, Prokowski Sechsundachtzig« stand dort geschrieben.

    Biçon schaltete die Vergrößerung der Bildanzeige hoch. Aufmerksam musterte er die Gesichter der abgebildeten Personengruppe.

    Dann brach jäh ein lautes Schluchzen aus seiner Brust. Seine Hände zitterten heftig, als er auf das schwarz-weiße Bild starrte.

    Übers ganze Gesicht lachend schaute ihm ein fröhlicher, junger Mann entgegen.

    Sein kleiner Bruder Mirko!

    Nach dem ersten Aufbranden der Freude und des Schmerzes überzog ihn ein kalter Schauer, als tauchte er in Eiswasser ein. »Mein Gott«, murmelte er. »Mirko lacht hier so unbeschwert und ein paar Stunden später soll er schon tot gewesen sein!« Biçon stützte den Kopf in beide Hände, aus nassen Augen starrte er auf den Monitor. In das ihm immer noch so sehr vertraute Gesicht seines Bruders.

    Dann musterte er aufmerksam das gesamte Bild und sah sofort, dass es noch eine weitere Botschaft für ihn enthielt. Hinter seinem Bruder war deutlich ein breit grinsender, dicker Mann zu sehen, der um einiges älter als Mirko zu sein schien. Mit einer besitzergreifenden Geste hatte er seine Hand um die Schulter des Jungen gelegt und ihm seinen Kopf zugeneigt.

    In Biçons Kopf herrschte Aufruhr, er schnappte krampfhaft nach Luft. Energisch suchte er sich zu beruhigen, um seine Gedanken sortieren zu können.

    Da schoss in ihm plötzlich die Erinnerung an ein Zusammentreffen mit Michael Bruhns hoch.

    Damals auf dem Bahnhof Lichtenberg in Berlin war es gewesen. In dem Café äußerte Bruhns der sich einen Tag später »Braun« nennen musste ihm gegenüber einen Verdacht. Er gab ihm sogar den Namen dieses Mannes, der dort auf seiner Baustelle für die »Deutsch-Sowjetische« bezahlt wurde.

    War es dieser Typ, der ihm jetzt auf dem Monitor entgegen grinste? Hastig blätterte Biçon durch sein Büchlein. Er war sich sicher, dass er damals in der Nacht vor der Fahrt nach Liechtenstein diesen Namen notiert hatte.

    Richtig! Da stand er. »Knäbelein«.

    Was hatte ihm Bruhns noch erzählt? Er sagte, dass ihm gegenüber der Sicherheitschef der Baustelle den Verdacht äußerte, es habe sich nicht um einen Selbstmord gehandelt!

    Biçon hielt inne, trank einen Schluck vom Brandy.

    Natürlich! Diesen früheren Sicherheitschef musste er als Ersten finden. Denn nur der würde ihm die erforderliche Aufklärung geben können!

    Sofort begann Biçon im Netz zu recherchieren. Er suchte nach einem Namen. Der mit der Erdgastrasse, dem Standort Prokowski und dem damaligen Generallieferanten in Verbindung gebracht werden konnten. Es gab auch einige Treffer. Mehrere kannte er selbst, doch bei keinem klingelte es bei ihm.

    War er in eine Sackgasse geraten?

    Aufmerksam blätterte er nochmals sein Büchlein durch. Denn plötzlich war er sicher, dass er damals diesen Namen am gleichen Abend notiert hatte! Nach kurzer Suche stieß er drauf. »Justus Faber«. Jetzt hörte er in seinem Inneren auch wieder die Stimme von Bruhns, wie er in dem Café von Justus Faber gesprochen hatte.

    Nunmehr richtig in Fahrt gekommen holte sich Biçon noch einen Brandy. Dann ackerte er weiter durch das Netz.

    Und tatsächlich. Er fand Faber.

    Der schien noch am Leben zu sein. Schließlich präsentierte er seine Firma auf seiner Homepage. Demnach betrieb er seit Jahren in Bernau bei Berlin ein kleines Einmannunternehmen. Für Sicherheitsanlagen und auch einen Schlüsseldienst bot er an.

    Biçon atmete auf und lehnte sich im Sessel zurück. Na, wenn das kein Erfolg war! Jetzt gab es einen konkreten Ansatzpunkt und die Jagd konnte beginnen!

    Draußen war es inzwischen dunkel geworden und er hoffte, dass Yvonne bald heimkommen würde.

    Zufrieden mit den Ergebnissen seiner Bemühungen stellte er sich wieder ans Fenster. Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte hinaus auf die abendliche, lichterfunkelnde Stadt.

    Nun gut dachte er. Ich habe endlich eine erste Spur, die mich zu diesem Fettsack führen könnte. Diesen Teil meines Planes werde ich im Detail jedoch allein ausarbeiten und auch ausführen. Yvonne darf davon nichts erfahren! Zumindest nicht, bis ich es hinter mich gebracht habe. Doch der zweite Teil unseres Vorhabens scheint mir noch komplizierter zu werden.

    Wie kann ich nur den Kolja Braun finden? Was hilft mir dabei? Und wo steckt der Typ jetzt überhaupt?

    Vor seinem Tode hatte Fuhran darüber nichts verlauten lassen. Dessen ungeachtet war zu erwarten, dass Braun abgetaucht war. Wohl gleich, nachdem sein Chef nicht mehr zurückgekommen war.

    Über diese Fragen sinnierend massierte sich Biçon mit der Hand seinen verspannten Nacken.

    Plötzlich kam ihm ein Gedanke.

    Da gab es doch diese Berliner Firma, die den Bodyguard für Fuhran gestellt hatte. Yvonne fand sie im Netz und dabei tauchte doch der Genosse Weiler auf. Quasi wie der Teufel aus der Kiste! Mann! Die drei Altkader in Berlin müssten doch wissen, wohin sich der Bruhns verkrochen hat!

    Hier jedoch drängte sich Biçon eine weitere Überlegung auf.

    Oder sollten die drei Altgenossen die »Flamme« inzwischen selber an sich gebracht haben? Weil sie es nicht zulassen wollten, dass Bruhns eine so mächtige Waffe allein besaß? Ja! Genau das war es, was er vorrangig abklären musste!

    Augenblicklich fühlte sich Biçon ein wenig beruhigt. Denn plötzlich gab es zwei verheißungsvolle Spuren, denen er folgen konnte.

    Überlegt und in Ruhe sollte ich es angehen, sagte er sich. Weil jetzt, wo ich schon so weit in meinen Aktivitäten gekommen bin, jede Hektik völlig fehl am Platze wäre.

    Gelassen ging er zum Barschrank und goss sich noch einen »Kleinen« ins Glas.

    Da kam Yvonne endlich heim.

    Ihre Begrüßung fiel flüchtig aus. Doch nach einem raschen, kalten Abendessen saßen sie sich im großen Wohnraum gegenüber.

    Yvonne hatte es sich auf der Couch bequem gemacht. Biçon fläzte in einem der tiefen Sessel. Zuvor hatte er einen feinen Roten geöffnet. Er gönnte ihm heute jedoch nicht viel Zeit zum atmen. Bald schenkte er ihn in zwei Gläser.

    Sie stießen an und tranken.

    Dann erstattete er seiner Lebensgefährtin Bericht. Recht ausführlich listete er dabei auf, was er seit dem Mittag alles unternommen hatte. Wegen einer Spur zu Bruhns und auch zu Faber.

    Wobei er seine Worte genau bedachte. Schließlich hatte er sich auch mit der Suche nach dem vermeintlichen Mörder seines Bruders befasst. Auf diesen Teil seiner Recherche ging er jedoch gar nicht ein. Dafür ging er in Bezug auf die Spur die ihn zu Bruhns bringen sollte mehr ins Detail.

    Yvonne zeigte sich sehr interessiert. Sie überlegte einen Moment. Dann stimmte sie seinem Vorhaben zu, in Kürze nach Berlin zu fahren.

    Ihren Vorschlag ihn mit einer ihrer Maschinen dorthin zu flieg? lehnte Biçon jedoch strikt ab.

    »Schade auch, du Egoist!«, maulte Yvonne und zog einen Flunsch. »Wo ich doch so gern in Tempelhof starte und lande. Mann! Mitten in der Stadt liegt der alte Flughafen! Weißt du eigentlich, welchen Kick das einem gibt«

    Doch Biçon gab nicht nach, blieb bei seinem Entschluss. »Bitte werde nicht sauer, Schatz! Aber es ist doch viel unauffälliger, wenn ich mit dem Zug fahre.«

    Kurz darauf trank Yvonne ihr Glas aus. Sie lächelte und mit der Bemerkung, dass sie gern unter die Dusche gehen würde, verschwand sie in Richtung Badezimmer.

    Sie ließ jedoch dort die Tür offen.

    So das Biçon über den Flur hinweg das Geräusch des plätschernden Wassers hören konnte.

    Einer plötzlichen Eingebung folgend schlich er hinüber ins Badezimmer. Durch die Perlglasscheiben der geräumigen Duschkabine vermochte er Yvonnes Silhouette erkennen.

    Rasch warf er seine Kleidung ab und schob die Glastür beiseite.

    Er erblickte ihren nackten Leib, der in feinen Dampf gehüllt war. Von den festen Brüsten rann das Wasser hinab zum schmalen Lockenstreifen zwischen ihren Schenkeln. Eine heiße Welle der Erregung schoss in ihm empor.

    Ihr erstaunter Blick, weil er nackt vor ihr stand, bohrte sich kurz in die blitzenden Augen ihres Partners. Dann glitt er langsam an dessen Körper hinab, um schließlich zu verharren.

    Sie spitzte ihre Lippen und ein feines, sinnliches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Ich sehe! Er will sich ganz doll von mir verabschieden!«, gurrte sie. Dann zog sie ihren Partner mit sanftem Griff unter die Dusche.

    Am nächsten Morgen bereitete Biçon in seiner Firma alles für seine mehrtägige Abwesenheit vor.

    Tags darauf wollte er, mit nur einer Reisetasche als Gepäck, in einen ICE steigen, der Richtung Osten fuhr.

    Sechshundertdreizehn (Berlin im Herbst 2005)

    Drei Monaten lang hatte er die schöne Kroatin bereits beobachtet. Dabei wurmte es ihn schon ein bisschen, dass er sich wieder mit einer der Ehefrauen befassen musste.

    Doch solange er Bauerfeind nicht habhaft werden konnte, blieb ihm ja keine andere Alternative! Da schob er eben eine der geliebten Gattinnen der früheren Stasi-Offiziere auf der Liste der geplanten Tötungen nach vorn! Ebenso wie er damals Burkhard Klamm in der Reihenfolge voransetzte. Zehn Jahre war das nun schon her, dass er ihn in Warnemünde erwischt hatte. In der Hoffnung, Bauerfeind aufstöbern zu können, gönnte er sich anschließend eine fünfjährige Pause. Dann strafte er den Genossen Weiler, indem er ihm die Frau nahm. Er benutzte dazu einen schweren SUV.

    Doch seitdem waren auch schon wieder fünf Jahre vergangen! In denen Bauerfeind verschwunden blieb.

    Eingangs plante er die Kroatin in dem Penthouse aufzusuchen, das sie gemeinsam mit ihrem Mann am Potsdamer Platz bewohnt. Sie hätte einen spektakulären Unfall im Haushalt erlebt und für ein anschließendes Aufsehen wäre gesorgt gewesen. Dabei würde er auch eine Wiederholung bei der Art der Ausführung seiner Mission vermeiden.

    Doch bei einer genauen Analyse der Örtlichkeiten bauten sich für ihn unüberwindbare Hindernisse auf. Das gesamte Haus wurde videoüberwacht. Rund um die Uhr sicherte ein Doorman- Service den Eingangsbereich. Tiefgarage und Aufzüge waren zusätzlich geschützt. Das Gebäude stellte eine Feste zum Wohlergehen der Mieter und Eigentümer der Wohnungen dar. Hier unerkannt hinein und wieder heraus zu kommen würde unmöglich sein.

    Eines Vormittags parkte er vor ihrem Haus unweit der Ausfahrt aus der Tiefgarage.

    Da kam sie auf die Straße hochgefahren. Sie chauffierte an diesem Tag ihr Cabriolet mit offenem Verdeck.

    Er fotografierte den Wagen, als sie am Schild anhielt. Um ihm dann zu folgen.

    Von da an wusste er um ihr allwöchentliches Faible.

    Sie fuhr gar nicht weit. Doch an diesen Tag eben nicht zum »KaDeWe«. Um sich dort mit ihrer Freundin zu treffen.

    Sie steuerte ein Hotel in der Uhlandstraße an.

    Er folgte ihr hinein. Um sie dort verborgen hinter einer Säule in der Lobb zu beobachten.

    Während sie unweit der Fahrstühle einige Minuten auf und ab ging, schaute sie mehrfach hinüber zur gläsernen Drehtür. Sie trug ein weitgeschnittenes Sommerkleid, behielt auch in der Lobby die Sonnenbrille auf.

    Minuten später kam ein junger Mann in die Halle. Zielstrebig schob er sich durch eine Gruppe Asiaten und ging direkt auf sie zu. Er lief jedoch an ihr vorbei und drückte an einem der Lifts auf den Knopf. Die Tür öffnete sich. Bevor sie sich wieder schloss, schlüpfte sie ebenfalls in die Kabine.

    Auf dem Anzeigetableau sah er, dass der Aufzug in der sechsten Etage hielt.

    Nun gut dachte er. Dann warte ich eben.

    Obwohl ihn die Zeit drängte, er musste unbedingt noch einen Auftrag abarbeiten harrte er in der Halle aus.

    Gut eine Stunde später trat der junge, gepflegt aussehende Mann wieder aus dem Lift. Ein feines, arrogant wirkendes Lächeln auf den Lippen verließ er schnurstraks die Lobby.

    Ebenso wie seine Zielperson die etwa zehn Minuten später herunterkam. Auch sie strebte sogleich zu ihrem Wagen und fuhr weg.

    Nun wusste er, dass die gut aussehende Kroatin einen Liebhaber hatte. Nach der nächsten Observation genau eine Woche darauf war er sich dessen sicher.

    Sie pflegte ihn jeden siebenden Tag zu treffen. Stets im selben Hotel und zur gleichen Zeit. Und der Lift hielt in der sechsten Etage.

    Nun galt es umso mehr seine Arbeitsaufgaben mit den Belangen seiner Mission zu vereinbaren. So wie es ihm fünf Jahre zuvor bereits gelungen war.

    Drei Wochen später hatte er alles beisammen. Der Zugang zum Hotel stand ihm durch die Liefereinfahrt offen. Den Zahlencode für den Wirtschaftsaufzug hatte er sich zweimal abgeschaut, bevor er ihn benutzte. Eine Videoüberwachung gab es auf den Etagen nur vor den Fahrstühlen.

    Am Tage seines Probelaufs erwartete er das Pärchen.

    Bekleidet mit dem blauen Kittel einer Aufzugsfirma hielt er sich den Lift in Sichtweite in der sechsten Etage verborgen.

    Indem er ihnen auflauerte, tauchte erneut eine Frage in seinem Kopf auf. Wie macht es der junge Mann, dass er jedes Mal dasselbe Zimmer für sein Schäferstündchen bekommt?

    Doch da ertönte ein feiner Gong, die Türen öffneten sich und beide kamen aus dem Lift heraus. Zielgerichtet strebten sie der Nummer Sechshundertdreizehn entgegen. Ihr Galan strich mit einer Karte über den Schlosskasten und sie verschwanden durch die aufspringende Tür.

    Er hielt sich gut fünfzig Minuten im Treppenhaus auf. Dann nahm er seine Position wieder ein.

    Der junge Mann kam fast auf die Stunde genau aus dem Zimmer. Er wendete sich zur Tür hin und zog sie ins Schloss.

    Seine Zielperson trat exakt zehn Minuten später auf den Flur heraus. Sie schaute die Zimmerflucht entlang und ein Lächeln überflog ihr Gesicht. Daraufhin ging sie nach vorn zum Lift und drückte auf den Knopf.

    Er zog den Schirm des Basecaps in die Stirn, verließ sein Versteck und stellte sich wortlos neben sie.

    Sie reagierte nicht auf ihn. Auch nicht, als sie beide in der abwärtsfahrenden Kabine nebeneinanderstanden.

    Er konnte sie riechen. Auch ihr Parfum, das ein bisschen zu stark aufgetragen war, drang in seine Nase.

    Du hast dich nach dem Nummer mit ihm nicht mal gewaschen, empörte er sich. So viel Zeit sollte doch wohl sein.

    Rasch warf er ihr einen Blick zu. Er erblickte die roten Flecken an ihrem Hals und eine sichtliche Unordnung in ihrer ansonsten gepflegten Frisur.

    Da hielt der Lift, er ließ sie zuerst aussteigen. Sofort bog er nach links ab und verschwand hinter einer Tür mit der Aufschrift »Nur für Personal«.

    Die nächsten Tage verbrachte er mit einer inneren Unruhe.

    Neben seiner eigentlichen Arbeit, die ihn derzeit nicht sehr forderte, fühlte er die Nähe seines Ziels. Der Plan war erstellt, die Zeiten festgelegt.

    Die zweite Phase konnte beginnen.

    Der angestrebte Termin war nun da. Doch alles drohte zu scheitern, noch bevor es begann.

    Sein Chef widerrief den Auftrag den er von ihm am Vortag erhalten hatte. Damit aber wäre seine Fahrt in die Stadt hinfällig gewesen!

    »Wenn du selbst den Termin wahrnehmen willst«, sagte er zu seinem Boss, »könnte ich dann vielleicht zum Zahnarzt fahren? Mich quält seit gestern so ein blöder Backenzahn!«

    Der Chef gab ihm sein OK und er kam noch pünktlich aus der Firma weg.

    Wieder hatte er sich mit dem Berufskittel eines Servicetechnikers getarnt, das Basecap tief in die Stirn gezogen. An den Händen trug er heute Gummihandschuhe. So stand er zehn Minuten vor der Zeit im kleinen Wirtschaftsraum der sechsten Etage des Hotels bereit.

    Nur eine Zimmerfrau befand sich mitsamt ihrem Wagen am anderen Ende des Ganges.

    Die Kroatin und ihr Galan trafen pünktlich ein und verschwanden im gewohnten Zimmer.

    Er harrte noch ein Weilchen in dem nach Reinigungsmitteln stinkenden Kämmerchen aus. Dann schaute er auf den Gang hinaus. Niemand war zu sehen. In seiner Kitteltasche ergriff er den Hammer mit dem kurzen Stiel. Dem kam bei seinem Vorhaben eine besondere Rolle zu.

    Plötzlich ertönte der leise Gong vom Lift her. Während er in das Kämmerchen zurück huschte, sah er zwei junge Frauen herankommen.

    Wortlos gingen sie an der Tür vorbei, hinter der er stand.

    Durch deren Spalt sah er, dass sie etwa in der Mitte des Ganges in einem der Hotelzimmer verschwanden.

    Von seiner Neugier getrieben schlich er über den Flur. Hin zu Zimmer Sechshundertdreizehn.

    Nach einem raschen Blick über die Schulter beugte er sein Ohr zum Türblatt hin.

    Er kam jedoch nicht zum Lauschen, wie er es beabsichtigt hatte. Knirschend senkte sich die Klinke. Er sprang zwei Schritte zurück.

    Aus der sich öffnenden Tür trat der junge Mann heraus den Rücken ihm zugewandt. »Ich hoffe nur, dass du es nicht bereust!«, rief der unerwartet Aufgetauchte ins Zimmer hinein.

    Da traf ihn auch schon sein Hammer am Hinterkopf. Lautlos fiel der Mann zurück in den kleinen Flur vor der Nasszelle.

    Obwohl alles viel früher passierte als von ihm veranschlagt, hatte er tadellos reagiert. Er sprang über den am Boden Liegenden hinweg und zerrte ihn ins Zimmer hinein.

    Noch während er die Tür zum Gang zudrückte und den Hammer einsteckte schaute er sich im Raum um.

    Das fast bodentiefe Fenster, das nach hinten auf den Hof hinausging, stand einen Spaltbreit offen. Lange, weiße Gardinen bewegten sich in einem sanften Luftzug.

    Auf der vorderen Kante des ausladenden Doppelbettes saß seine Zielperson. Er starrte kurz auf ihre üppigen, nackten Brüste. Zudem sie trug noch einen roten Slip, Strapse und schwarze Strümpfe. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie zu ihm auf.

    »Sie sind Ivanka Baumann?«, fragte er sie mit rauer Stimme.

    Sie nickte heftig, ihre Hände krampften sich um ihr Kleid.

    Da bekam er mit, dass das Bett noch gemacht und völlig unberührt war. »Ihr seid noch gar nicht zur Sache gekommen?«, fragte er überrascht und deutete auf den am Boden liegenden Mann.

    Sie schüttelte den Kopf. »Nee! Der Arsch hat plötzlich was vom – Schlussmachen gefaselt. Ich wäre ihm zu alt!«, antwortete sie mit einem hart klingenden Akzent.

    »Ja! Das Leben hält so einige ungute Überraschungen bereit. Auch für einen Gatten!«, entgegnete er.

    Mit einem festen Griff in ihren Nacken wie bei einer Raubkatze zerrte er sie empor. Die andere Hand presste er auf ihren Mund, unterdrückte so ihren Schrei. Mit seinem ganzen, massigen Körper drängte er sie die paar Schritte zum Fenster hin. Dort angekommen schaute er nochmals in ihre vor Schreck starr geweiteten Augen.

    »Du büßt es, statt deines Mannes! Wie die anderen Frauen auch!«, flüsterte er ihr ins Ohr.

    Dann stieß er sie durch das halb geöffnete Fenster hinaus.

    Er stieg über den jungen Mann hinweg, der immer noch bewusstlos zu sein schien. Ein vorsichtiger Blick auf den Flur zeigte ihm, dass sich dort niemand aufhielt.

    Mit beherrschten Schritten lief er zum Wirtschaftsaufzug und fuhr mit ihm hinab in die Lieferzone. Kittel und Cape trug er zusammengerollt unterm Arm.

    Nach wenigen Minuten erreichte er seinen Wagen, den er in der Seitenstraße geparkt hatte. Indem er auf die Uhlandstraße einbog, kam ihm mit Blaulicht ein Rettungswagen entgegen.

    Zwei Tage lang war der Vorfall in den Zeitungen. Bis zu der Meldung, dass man den Sohn des Hoteleigners unter Mordverdacht verhaftet habe. Man fand ihn angeblich in dem Zimmer im sechsten Stock aus dem die Frau gefallen wäre.

    Da wusste er Bescheid, warum sich die beiden stets in der Sechshundertdreizehn treffen konnten.

    Auf Spurensuche

    Der neue »Berliner Hauptbahnhof« befand sich noch im Bau. Biçon verließ daher den Zug bereits am Bahnhof Zoo.

    Zwar wusste er, nicht wie lange er in der Stadt bleiben würde, doch mobil wollte er unbedingt sein.

    Nachdem er sich an einem Kiosk einen Stadtplan gekauft hatte, trat er aus der Bahnhofshalle heraus. Er schaute sich kurz um und strebte, die Passantenströme durchquerend, einer der Autovermietungen entgegen. Die befanden sich in Sichtweite vom Bahnhof.

    Er musste davon ausgehen, dass er sich auf seine Ortskenntnisse aus DDR-Zeiten nicht mehr verlassen konnte. Folglich würde er den Stadtplan wohl brauchen.

    Zudem hatten sich damals seine Kenntnisse auch nur auf das frühere Ostberlin beschränkt.

    Auf dem Parkplatz der Autovermietung saß er noch einige Augenblicke still im Wagen. Bevor er startete, wollte er sich mit ihm vertraut machen.

    Sein Blick fiel dabei aus dem herabgelassenen Fenster. Er schaute auf den dichten Fahrzeugverkehr vorn auf der Straße, Flüchtig betrachtete er die bunte Menge der vorbeiziehenden Fußgänger.

    Da verspürte er plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Ungläubig schüttelte er den Kopf und schloss für einen Moment die Augen.

    Soeben war ihm bewusst geworden, dass es fast fünfzehn Jahre her war. Dass er gemeinsam mit Führmann an einem kalten Morgen im Januar die damalige Hauptstadt der DDR verlassen hatte.

    Jetzt erst war er hierher zurückgekehrt. Um einiges älter und als ein anderer Mensch. Er schüttelte betroffen den Kopf.

    So vieles war in diesem aufregenden Abschnitt seines Lebens geschehen. Der so rasch vergangen zu sein schien, wie ein Wimpernschlag.

    Biçon atmete mehrfach tief durch und konzentrierte sich nochmals auf den Stadtplan.

    Dann startete er beherzt den Wagen.

    Zum ersten Mal war er im früheren Westberlin unterwegs.

    Daher sah er sich seine Unsicherheiten nach, warf immer wieder einen raschen Blick auf den Stadtplan. Den hatte er neben sich auf den Beifahrersitz gelegt. Dennoch irrten seine Augen stetig umher, suchte bekannt wirkende Anhaltspunkte.

    Indem er endlich den früheren Ostteil der Stadt erreichte, glaubte er sich zuerst auf der verlässlichen

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