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James Bond: Mit der Absicht zu töten
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James Bond: Mit der Absicht zu töten
eBook313 Seiten4 Stunden

James Bond: Mit der Absicht zu töten

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Über dieses E-Book

Mit der Absicht zu töten ist der einundvierzigste offizielle James-Bond-Roman und der dritte Fortsetzungsroman des englischen Schriftstellers Anthony Horowitz. Der Roman knüpft an Ian Flemings letztes Buch Der Mann mit den goldenen Colt an.     Es ist die Beerdigung von M. Ein Mann fehlt am Grab: der Verräter, der den Abzug betätigt hat und der nun in Haft sitzt, weil er des Mordes an M beschuldigt wird – James Bond. Hinter dem Eisernen Vorhang will eine Gruppe ehemaliger Smersh-Agenten den britischen Spion für eine Operation einsetzen, die das Gleichgewicht der Weltmacht verändern wird. Bond wird in die Höhle des Löwen geschmuggelt – aber wessen Befehle befolgt er und wird er ihnen gehorchen, wenn die Stunde der Wahrheit gekommen ist? In einer Mission, in der Verrat allgegenwärtig ist und eine falsche Bewegung den Tod bedeutet, muss sich Bond mit den dunkelsten Fragen über sich selbst auseinandersetzen. Doch nicht einmal er selbst weiß, was aus dem Mann geworden ist, der er einmal war.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum11. Nov. 2022
ISBN9783966589659
James Bond: Mit der Absicht zu töten
Autor

Anthony Horowitz

ANTHONY HOROWITZ is the author of the US bestselling Magpie Murders and The Word is Murder, and one of the most prolific and successful writers in the English language; he may have committed more (fictional) murders than any other living author. His novel Trigger Mortis features original material from Ian Fleming. His most recent Sherlock Holmes novel, Moriarty, is a reader favorite; and his bestselling Alex Rider series for young adults has sold more than 19 million copies worldwide. As a TV screenwriter, he created both Midsomer Murders and the BAFTA-winning Foyle’s War on PBS. Horowitz regularly contributes to a wide variety of national newspapers and magazines, and in January 2014 was awarded an OBE.

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    Buchvorschau

    James Bond - Anthony Horowitz

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    LONDON CALLING

    DIE MEILE DES TOTEN MANNES

    Im Leben wie im Tode überlässt die Marine nichts dem Schicksal.

    Das Royal Navy Ceremonial and Drill, eine langweilig aussehende Publikation, erstmals gedruckt 1834, widmet nicht weniger als elf Seiten dem Thema Beerdigungen, auf denen in sorgfältig ausgewählten Worten alles vom Transport des Leichnams über den Ehrensalut bis zum Abspielen von »The Last Post« beschrieben wird. So heißt es beispielsweise, dass »der Sarg immer mit den Füßen voran getragen« werden sollte. Der Union Jack ist »so über den Sarg zu legen, als befände sich der obere linke Quadrant über der linken Schulter des Verstorbenen«. Ehrenbegräbnisse können jedem Offizier oder Dienstgrad zuteilwerden, der sich zum Zeitpunkt seines Todes im aktiven Dienst befand, obwohl Sonderregelungen getroffen werden können, »vorausgesetzt, dass der Friedhof in angemessener Entfernung liegt und dass keine öffentlichen Kosten entstehen, die über den Wert der benötigten Platzpatronen hinausgehen«.

    Um genau elf Uhr an einem herrlichen englischen Frühlingstag verließen drei Wagen das weitläufige Royal Hospital Haslar in Gosport und fuhren langsam in Richtung des Friedhofs, dessen lange Reihen weißer Grabsteine stumme Zeugen zweier Weltkriege waren. Das im achtzehnten Jahrhundert erbaute Krankenhaus war einst das größte Backsteingebäude Europas gewesen. Zur Zeit der Landung in der Normandie hatte es die erste Blutbank des Landes beherbergt. Im Laufe der Jahre hatte es so viele Beerdigungsprozessionen erlebt, dass die Straße vor dem Krankenhaus als die »Meile des toten Mannes« bekannt war.

    Die Autos waren schwarz, poliert und funkelten in der Sonne: ein Daimler-Leichenwagen, flankiert von zwei Limousinen. Sie hielten am Rand des Friedhofs und die Sargträger – zwei Warrant Officer und zwei höhere Unteroffiziere (wie in Abschnitt J/9513 von Ceremonial and Drill beschrieben) – kümmerten sich um den Sarg, über den die Nationalflagge korrekt drapiert war.

    Der Tod von Admiral Sir Miles Messervy, manchen als »M« bekannt, war einige Tage zuvor einer weitgehend desinteressierten Welt bekannt gegeben worden. Der Mangel an Aufmerksamkeit war alles andere als unerwartet. Nur vierzig, fünfzig Personen – von denen die meisten nun auf dem Friedhof anwesend waren – wären in der Lage gewesen, den Chef des britischen Geheimdienstes zu identifizieren, und nicht einmal sie, oder nur sehr wenige von ihnen, hatten jemals seinen richtigen Namen oder die genaue Art seiner Tätigkeit gekannt. Sein Werdegang war in dem kurzen Nachruf, der in der Presse erschienen war, umrissen worden. Ausbildung am Nautical College, Pangbourne, und dann auf der HMS Britannia in Dartmouth. Dienst in den Dardanellen, Kommandant des Schlachtkreuzers HMS Renown, Leiter des Marinenachrichtendienstes und dann der unaufhaltsame Aufstieg … Konteradmiral, Vizeadmiral, Admiral. Companion des Order of the Bath und obendrein Chevalier der Légion d’honneur. Er hatte den Posten des Vierten Seelord abgelehnt, weil es, wie die Times schrieb, »andere Bereiche gab, in denen er das Gefühl hatte, seinem Land von größerem Nutzen sein zu können«. Der Geheimdienst wurde in dem Nachruf nicht erwähnt. Auch die Tatsache, dass er ermordet worden war, war ausgelassen worden. Es hieß lediglich, dass er auf dem Höhepunkt seiner Karriere plötzlich und unerwartet gestorben sei. Sowohl der Premierminister als auch der Erste Seelord würdigten seine lange und vorbildliche Karriere.

    Keiner der beiden hatte die Reise nach Gosport angetreten, obwohl beide Vertreter geschickt hatten. Eine Beerdigung, besonders eine militärische, neigte dazu, alle Teilnehmer gleich aussehen zu lassen, und die Menge der Trauernden, die sich auf dem Friedhof versammelt hatte, war unauffällig, die meisten von ihnen hatten graues, schütteres Haar, trugen einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Schweigend standen sie auf dem grünen Rasen verteilt.

    Nur zwei Frauen waren zu sehen. Die eine war die Witwe von Sir Miles Messervy, Lady Frances Messervy. Sie stand ganz still da, gestützt von einem jungen Mann, der nicht ihr Sohn war. Die Messervys hatten ihren einzigen Sohn im Krieg verloren. Das Gesicht der Witwe war hinter einem Schleier verborgen. Die andere, die ihn vielleicht am besten gekannt und sicherlich mehr Zeit in seiner Gesellschaft verbracht hatte, war seine Sekretärin, Miss Moneypenny. Sie trug ein ärmelloses Kleid mit einem taillierten Blazer, nicht schwarz, sondern mitternachtsblau. Einen Schleier brauchte sie nicht. Ihr Gesicht verriet nichts.

    Hätte man Journalisten in die Nähe des Friedhofs gelassen, hätten sie sich vielleicht für den Mann mit dem Aussehen und der Haltung eines professionellen Butlers interessiert, der mit einer einzelnen schwarzen Rose in den behandschuhten Fingern neben dem Grab stand. Sein Name war Porterfield und es handelte sich bei ihm tatsächlich um den Oberkellner des Blades, des Gentlemen’s Clubs, dem Sir Miles angehört hatte. Der Club in der Park Street in der Nähe der Pall Mall hatte nur zweihundert Mitglieder und es war dort Tradition, dass im Falle des Todes eines dieser Mitglieder eine schwarze Rose zur Beerdigung geschickt wurde. Es gab nur einen einzigen Ort auf der Welt, an dem echte Exemplare gezüchtet wurden: das Dorf Halfeti am Ufer des Euphrat in der Türkei. Dieses Exemplar war extra eingeflogen worden und Porterfield hatte die Aufgabe übernommen, es zum Grab zu bringen. Er hatte den Admiral immer sehr gemocht. Er wollte ihm persönlich seinen Respekt erweisen.

    Als sich der Leichenwagen vom Krankenhaus aus auf den Weg machte, betraten zwei Nachzügler den Friedhof. Die beiden Männer, ähnlich alt und identisch gekleidet, wären für jeden, der sie nicht kannte, nicht zu unterscheiden gewesen, obwohl sie aus sehr verschiedenen Welten kamen. Der eine war ein angesehener Neurologe, der für seine Arbeiten über psychosomatische Erkrankungen einen Nobelpreis erhalten hatte. Der andere war Permanent Secretary im Verteidigungsministerium.

    Dieser Mann, Sir Charles Massinger, ergriff als Erster das Wort, während sie auf das offene Grab zugingen. »Was genau ist denn passiert?«, fragte er. Es hatte keine Begrüßung gegeben, keine Beileidsbekundungen.

    Der andere Mann schien von der Frage überrascht. Sein Name war Sir James Molony und er war insofern eine Rarität, als er tatsächlich eine enge persönliche Beziehung zu dem Verstorbenen gepflegt hatte. Er war auch als Erster am Tatort eingetroffen und es war ihm zugefallen, seinen alten Freund für tot zu erklären. »Es scheint, dass es den Russen gelungen ist, einen seiner eigenen Leute umzudrehen und auf ihn anzusetzen«, sagte er. »Ich bin sicher, Sie haben von dem ganzen Trubel um die neuen Gehirnwäschetechniken aus Korea gehört. Ich fürchte, ich habe das immer für Unsinn gehalten, die Vorstellung, dass man in den Kopf eines Menschen eindringen kann. Das klingt wie etwas aus einem Roman von John Buchan oder George du Maurier … zumindest dachte ich das. Offensichtlich habe ich mich geirrt.«

    »Ich weiß, was passiert ist«, erwiderte der Permanent Secretary barsch. »Ich habe die Akte auch gelesen. Ich wollte wissen, wie er damit durchkommen konnte. Sie waren dabei, wie ich höre.«

    »Ich kam kurz danach an.«

    »Und? Das ist das zweite Mal, dass die Abteilung ihren Topmann in genau diesem Raum verloren hat. Man sollte meinen, sie hätten aus ihren früheren Fehlern gelernt.«

    Da konnte Sir James nicht widersprechen. M war zum Chef des Geheimdienstes ernannt worden, nachdem sein Vorgänger erschossen worden war. »Es gibt nicht viel, was ich Ihnen sagen kann«, sagte er. »Die Mordwaffe war eine spezielle, mit Zyanid geladene Pistole. Nur die Russen können sich so eine Vorrichtung ausdenken. M hatte Vorkehrungen getroffen – kugelsichere Schutzschirme und so weiter –, aber sie haben offensichtlich nicht funktioniert.«

    »Und der Mann, der ihn getötet hat. Er war einer von uns!« Das war keine Frage. Sondern ein Ausdruck der Verachtung. »James Bond.«

    Der Name hing schwer in der Luft zwischen all den anderen in Stein gemeißelten auf dem Friedhof.

    »Ja, Sir. Sie werden sich erinnern, dass Bond vor einem Jahr im Einsatz verschwand. Gott weiß, wie lange die Russen ihn hatten oder was sie mit ihm angestellt haben. Aber am Ende gaben sie ihm eine Waffe und schickten ihn nach Hause. Er war darauf programmiert, zu töten.«

    »M hätte niemals zulassen dürfen, dass er in seine Nähe kommt.«

    »Ich stimme zu. Aber das war Ms Entscheidung.«

    Sir Charles Massinger runzelte die Stirn. »Nun, es ist ein verdammtes Ärgernis. Und es sagt allgemein nichts Gutes über unsere Kompetenz aus, nicht wahr? Hoffen wir, dass wir das aus der Presse heraushalten können.«

    »Wir tun unser Bestes.« Sir James Molony hatte Mühe, sich ein Lächeln zu verkneifen. Er war dem Primary Secretary erst ein paarmal begegnet, aber er sah ihn als das, was er war. Mit ziemlicher Sicherheit ein Eton-Absolvent mit einem Vater und möglicherweise sogar schon einem Großvater im öffentlichen Dienst. Er war mit einem eisernen Erfolgswillen in die Welt der Erwachsenen entlassen worden, der auf einem geringen Selbstwertgefühl, der Angst vor Frauen und der emotionalen Bandbreite eines Heranwachsenden fußte. Er erinnerte sich daran, dass Sir Charles M nie gemocht hatte. Er hatte den Leiter des Geheimdienstes für unberechenbar und eigensinnig gehalten und ihm die große Loyalität seines Umfelds übel genommen. Was M betraf, so hatte dieser seine Meinung natürlich für sich behalten.

    Als sie die Menschenmenge erreichten, trennten sich ihre Wege und sie standen sich am Grab gegenüber. Sir James ging zu einem jüngeren Mann, der allein dastand und müde und ein wenig misstrauisch wirkte. Die beiden schüttelten sich die Hände. »Wie kommen Sie zurecht?«, murmelte Sir James und nahm seinen Platz neben ihm ein.

    Bill Tanner, Ms Stabschef, zog eine Augenbraue hoch. »Ich bin froh, wenn das hier vorbei ist, Sir James.«

    »Das sind wir alle.« Er senkte seine Stimme. »Werden sie anbeißen?«

    Als Antwort drehte Tanner den Kopf und schaute unauffällig zu einem Auto, das am Rande der Meile des toten Mannes neben einer öffentlichen Telefonzelle geparkt war. Der Wagen war ein zweifarbiger Hillman Imp in trostlosem Grau und Beige. Er konnte gerade noch die Umrisse der beiden Männer darin erkennen, die die Beerdigung beobachteten. Genau das hatte er erwartet. Wenn er später ins Büro zurückkehrte, würden die Fotos von Fahrer und Beifahrer auf seinem Schreibtisch liegen und das Kennzeichen würde zurückverfolgt worden sein, wahrscheinlich zur russischen Botschaft. Nur die Sowjets hätten sich für ein Auto entscheiden können, das so schlecht gebaut war und dann auch noch in einer so hässlichen Farbkombination daherkam.

    Sir James hatte es auch gesehen. »Müssen die so verdammt offensichtlich sein?«, fragte er.

    Tanner lächelte. »Tja, so ist das in Rotland nun mal. Die hatten noch nie viel für Subtilität übrig.«

    Der Fahrer im Inneren des Wagens bemerkte nicht, dass er beobachtet wurde. Er sah zu, wie der Sarg auf den Friedhof getragen wurde, dann wandte er sich an seinen Begleiter und nickte. »Poswoni im.« Rufen Sie an. Seine wulstigen Lippen spuckten die Worte wie Traubenkerne aus.

    Der Beifahrer stieg aus und ging zur Telefonzelle hinüber. Er steckte das Geld in den Schlitz und wählte eine Nummer. Er wurde sofort verbunden.

    »Die Beerdigung findet gerade statt«, sagte er, immer noch auf Russisch.

    »Der alte Teufel ist also tot. Und Bond?«

    »Er ist verschwunden. Wir haben Leute, die Nachforschungen anstellen können. Wollen Sie, dass wir Kontakt aufnehmen?«

    »Tun Sie noch nichts. Wir sollen auf weitere Anweisungen warten.«

    Das Gespräch wurde beendet. Der Mann ging zum Auto zurück. Er fragte sich, was mit dem Spion geschehen würde, der seinen Herrn getötet hatte. Bonds Name war nicht in den Zeitungen aufgetaucht, und auch auf den offiziellen Kanälen war nichts über ihn zu hören gewesen. Es war fast so, als wäre er, wie so viele Mitglieder der russischen Intelligenzija während der Stalin-Jahre, zur Unperson geworden.

    Würde ihn die britische Justiz verurteilen? Einfacher wäre es, sich in einem anonymen Keller um ihn zu kümmern. Eine Kugel in den Kopf oder vielleicht eine Injektion. So würde man es jedenfalls zu Hause machen. Andererseits war dies ein Land, das stolz auf sein jahrhundertealtes Rechtssystem war, mit seinen bizarren Ritualen und seinen Anwälten und Richtern, die immer noch Perücken trugen. Sie würden mit ziemlicher Sicherheit auf ein ordentliches Verfahren bestehen: Anhörung, Untersuchungshaft, Prozess, das unvermeidliche Todesurteil für Hochverrat und Mord, Gefängnis, gefolgt von einer Hinrichtung im Morgengrauen.

    Eigentlich lächerlich. Das Ergebnis wäre das gleiche.

    Alles in allem war es ein guter Tag im Kampf gegen den westlichen Imperialismus gewesen. Gerade als der Mann das Auto erreichte, hallte irgendwo hinter ihm eine Reihe von Schüssen durch die Luft. Er drehte sich nicht um, sondern stieg ein. Einen Moment später fuhren die beiden davon.

    DRINGEND, WIEDERHOLE, DRINGEND

    Eine Woche vor der Beerdigung, als M noch lebte, saß James Bond in der ersten Reihe der BOAC Boeing 707-436, die ihn von Kingston International zum Londoner Flughafen brachte, mit einer einstündigen Zwischenlandung auf den Bermudas. Es war ein seltsames Gefühl, von Menschen umgeben zu sein, in einer Metallröhre gefangen und sogar vollständig bekleidet zu sein. Jamaika hatte ihn nur widerwillig gehen lassen. Bond hatte sich nur allzu schnell an die kleine Villa in der Nähe des Mona-Staudamms gewöhnt, an den Ausblick auf den Hafen und das Meer, an den schweren Duft der Passionsblumen in der Luft, an die leuchtenden Farben der Grasmücken und Kolibris, die über den Zweigen der Flammenbäume schwebten, und an den Klang der Steel Drums, die den Hang hinaufhallten.

    Während er an den »Médaillons de foie gras de Strasbourg« knabberte, die ihm zusammen mit einem aufdringlichen Margaux Casque du Roi 1950 im Rahmen des Monarch Service der Fluggesellschaft serviert worden waren, dachte er über die Ereignisse nach, die ihn hergeführt hatten. Es war seltsam, sich vorzustellen, dass er noch vor wenigen Monaten als hoffnungsloser Fall gegolten hatte, als arbeitsunfähig, als Gefahr für sich selbst und sein Umfeld.

    Er war von den Russen gefangen genommen, einer Gehirnwäsche unterzogen und nach England zurückgeschickt worden, um M zu töten. Glücklicherweise erinnerte er sich nur an sehr wenig davon: die Besprechung in Ms Büro, die wirren Dinge, die er gerufen hatte, der Moment, als er die Giftpistole mit dem tödlichen Zyanidspray hervorgeholt hatte. Glücklicherweise war M vorbereitet gewesen. Auf Knopfdruck war eine Glasscheibe heruntergefahren, die den Chef des Secret Intelligence Service geschützt hatte. Es war Bond gewesen, der zusammengebrochen war. Man hatte ihn bewusstlos aus dem Büro getragen und in ein sicheres Krankenhaus auf dem Land gebracht.

    Das hätte das Ende der Sache sein müssen. Jeder andere hätte Bond aus dem Dienst entlassen, ihm vielleicht eine kleine Rente zukommen lassen, ihn aber schließlich vergessen. Nicht so M. Wenn der KGB die Frechheit besaß, einen seiner besten Männer auf ihn zu hetzen, würde er den Spieß einfach umdrehen. Sie hatten Bond behandelt, umprogrammiert und geheilt – und ihn dann auf eine Mission nach Jamaika geschickt, die selbst sein Stabschef für Selbstmord gehalten hatte. Aber wie M argumentiert hatte, musste Bond sich beweisen. Dies war seine Chance gewesen.

    Sein Ziel war ein in Kuba ansässiger Attentäter namens Francisco »Pistols« Scaramanga gewesen, ein Mann, der mehrere britische Agenten mit seinem berühmten goldenen Revolver getötet hatte. Bond hatte ihn aufgespürt und war unter dem Namen Mark Hazard Scaramangas persönlicher Assistent geworden. Dies hatte ihn zum Thunderbird Hotel und zu einem Plan geführt, der darauf abgezielt hatte, die westlichen Interessen in der Karibik zu untergraben, und den Scaramanga mit einer Gruppe amerikanischer Gangster und KGB-Agenten ausgeheckt hatte. Wie immer in solchen Fällen hatte das Ganze mit Schmerz und Blutvergießen geendet. Bond war fast getötet worden. Er hatte die letzten Tage damit verbracht, sich zu erholen, und war dabei von seiner ehemaligen Sekretärin, der stets fesselnden Mary Goodnight, persönlich betreut worden.

    Das einzige Problem war, dass sie genau das getan hatte.

    Ihn gefesselt.

    Goodnight war eine wundervolle, sonnengebräunte Frau mit goldenem Haar und einer perfekten Figur. Sie war eine erstklassige Krankenschwester, Sekretärin und Geliebte gewesen. Ohne sie hätte er es niemals mit Scaramanga aufnehmen können. Aber Bond hatte ihre Arme zu eng um sich gespürt und fast von Anfang an gewusst, dass er eine Ausrede brauchen würde, um sich aus dieser Lage zu befreien.

    Diese Ausrede war früher als erwartet gekommen, und zwar in Form eines streng geheimen Telegramms, das mit PRISM unterzeichnet war – was bedeutete, dass M persönlich es abgesegnet hatte. Mary hatte sich geduldig an die Arbeit mit der Triple-X-Chiffriermaschine gemacht, aber noch während sie die Einstellungen vorgenommen und mit der Entschlüsselung begonnen hatte, war ihr Gesicht von einer Vorahnung erfüllt gewesen, als hätte sie irgendwie gewusst, was kommen würde.

    PERSÖNLICH FÜR 007 STRENG GEHEIM STOPP BEDAUERLICH ABER ERHOLUNG MUSS SOFORT ABGEBROCHEN WERDEN STOPP KEHREN SIE NACH LONDON ZURÜCK FÜR DRINGENDE WIEDERHOLE DRINGENDE BESPRECHUNG STOPP PASS, TICKET UND DOKUMENTE LIEGEN IM MIAMI HOTEL BEREIT ENDE PRISM

    Bond hatte immer noch keine Ahnung, worum es eigentlich ging. Interessant war, dass er den Auftrag erhalten hatte, als Mark Hazard zu reisen, der für das Transworld-Konsortium arbeitete – derselbe Deckname, den er während seiner Zeit in Jamaika benutzt hatte. Die Chiffrierer hatten es geschickt als »Miami Hotel« verschlüsselt. Bond nippte an seinem Wein. Vielleicht war er zu selbstkritisch, aber ihm kam in den Sinn, dass keine seiner letzten beiden Missionen wirklich erfolgreich gewesen war. Er hatte sich von Blofeld in seinem »Garten des Todes« auf der Insel Kyushu gefangen nehmen lassen, und er hatte eine Kopfverletzung erlitten, die ihn ein Jahr lang außer Gefecht gesetzt hatte. In Russland war er in die Fänge des KGB geraten. Und selbst Scaramanga hätte ihn fast getötet. Wie durch ein Wunder hatte die Kugel aus seiner versteckten Derringer Bonds lebenswichtige Organe verfehlt, aber sie war mit so viel Gift getränkt gewesen, dass sie ein Pferd hätte töten können. Wenn der Polizist, der ihn gefunden hatte, nicht so schnell reagiert hätte, würden Bond und Scaramanga jetzt vielleicht Seite an Seite liegen.

    Warum war er es, der überlebt hatte? Bond hatte seinen eigenen Nachruf bewusst nicht gelesen, der nach seinem Verschwinden in Japan veröffentlicht worden war. Aber allein die Tatsache, dass er existierte, hatte ihn nachdenklich gemacht. Wie lange würde er noch so weitermachen können, bevor er wirklich umgebracht wurde? Le Chiffre, Mr Big, Hugo Drax, Rosa Klebb, Dr. No … es gab eine lange Liste von Leuten, die versucht hatten, ihn zu töten, und die jetzt alle vor den Toren der Hölle Schlange standen. Bond hatte eine hervorragende Ausbildung genossen. Während seiner Zeit beim Marinegeheimdienst hatte er sich im Nahkampf hervorgetan und er beherrschte Boxen und Judo. Er war der beste Schütze des Geheimdienstes. Aber er konnte nicht leugnen, dass er in vielen Situationen einfach nur Glück gehabt hatte. Und ihm war klar, dass sein Glück nicht ewig anhalten konnte.

    Außerdem wurde er älter. Hätte ihn ein verwundeter und sterbender Scaramanga vor zwölf Jahren, als Bond auf seine erste Mission geschickt worden war, mit einer zweiten versteckten Waffe überraschen können? Bond war es gelungen, sich umzudrehen und vom Boden aus fünf Schüsse abzugeben, aber hatte er sich schnell genug bewegt? Er erinnerte sich nicht nur an den Schmerz, sondern auch an die Erschöpfung, die er empfunden hatte, als er im Krankenhaus von Kingston wieder zu sich gekommen war. Noch immer spürte er schmerzhaft, wie der Stoff seines Hemds über die Schusswunde scheuerte. Wollte er seinem Körper das wirklich weiter zumuten?

    Bond hatte den Appetit verloren. Er rief nach der Stewardess, die ihm das Essenstablett abnahm. Dann lehnte er sich zurück und ließ sich vom Brummen der vier Rolls-Royce-Mantelstromtriebwerke in den Schlaf wiegen, die das Flugzeug mit neunhundertfünfundsechzig Kilometern pro Stunde den Rand der Welt entlangtrieben, durch den lila und silbern schimmernden Dunst der unteren Stratosphäre, während er Jamaika mit seinen Geheimnissen und heimlichen Vergnügungen weit hinter sich ließ.

    »Mr Hazard?«

    Der Beamte war jung, trug einen eleganten Anzug und stand am Fuß der Treppe, die vom Flugzeug herunterführte. Er hatte Bond auf den ersten Blick erkannt. »Ihr Gepäck wird zu Ihnen nach Hause geschickt, Sir«, fuhr er fort. »Ich habe Anweisung, Sie direkt zu Ihrer Besprechung zu bringen. Ist es in Ordnung, wenn Sie hinten sitzen?«

    »Ja. Das wird schon gehen.«

    Bond war beeindruckt. Die weißen und gelben Busse, die die Passagiere zum Oceanic-Gebäude bringen sollten, waren nicht für ihn bestimmt. Auf dem Rollfeld parkte eine schwarze Limousine, hinter dem Steuer saß ein uniformierter Fahrer. Die Sonne schien, doch die Luft war kühl und roch nach Flugbenzin, ein schlechter Tausch nach dem herrlichen jamaikanischen Klima. Mit seiner Aktentasche und einem leichten Regenmantel über dem Arm stieg Bond in den Wagen und lehnte sich zurück, als der junge Mann die Tür schloss und vorn einstieg. Am liebsten wäre er direkt nach Hause gefahren und hätte lange geduscht, so heiß wie er es gerade noch ertragen konnte, dann eiskalt. Dann ein Teller mit Rührei von seiner Haushälterin May und vielleicht eine Bloody Mary. Damit hätte er die Strapazen des Überseeflugs abschütteln können. Doch daraus wurde nichts.

    Der Wagen verließ den Flughafen und ließ London sofort hinter sich. Bond wurde nicht zu dem Bürogebäude in der Nähe des Regent’s Park gebracht, wo M, wie er angenommen hatte, im neunten Stock auf ihn warten würde. Sie fuhren durch den weiten Süden Londons, dann befanden sie sich plötzlich auf dem Land und passierten erst Sevenoaks, dann Tonbridge auf ihrem Weg nach Kent. Erst als sie das Dorf Matfield erreichten, begann Bond, sich unwohl zu fühlen. Er erkannte die kleine Kirche St. Luke’s, die Dorfwiese und die Pubs. Er war erst vor Kurzem hier gewesen und hatte gehofft, nie wieder zurückzukommen.

    Sie fuhren weiter in Richtung Brenchley und inzwischen gab es keinen Zweifel mehr an ihrem Ziel. Tatsächlich wurde der Wagen in einer schmalen, von Pappeln gesäumten Gasse langsamer und bog dann in die Einfahrt eines riesigen Herrenhauses ein, das sorgfältig in einem zweihundert Hektar großen Grundstück versteckt war. Dies war The Park. Es war das Genesungsheim, in das Bond vor drei Monaten eingeliefert worden war, unmittelbar nachdem er versucht hatte, M zu töten.

    Trotz der kühlen Luft im Wagen spürte Bond, wie ihm auf der Stirn und im Nacken der Schweiß ausbrach. Erneut sah er M ihm gegenübersitzen, während sich das Panzerglas absenkte. Er war sich immer noch nicht sicher, was ihn mehr anwiderte: das Wissen um das, was ihm während seiner langen Gefangenschaft in Russland angetan worden war, oder die Tatsache, dass er so kurz davorgestanden hatte, den Mann zu töten, den er auf dieser Welt am meisten

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