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James Bond 25: Der Mann von Barbarossa
James Bond 25: Der Mann von Barbarossa
James Bond 25: Der Mann von Barbarossa
eBook377 Seiten5 Stunden

James Bond 25: Der Mann von Barbarossa

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Über dieses E-Book

James Bond wird von seinem alten Erzfeind, dem KGB, beauftragt, eine bis dato unbekannte Terroristengruppe aufzuhalten. Diese Gruppe fordert die Verurteilung eines angeblichen Nazi-Kriegsverbrechers und scheut sich dabei nicht, über Leichen zu gehen.

Zusammen mit einem internationalen Agententeam versucht Bond, die wahren Motive der Gruppe herauszufinden. Doch als ihm die Wahrheit dämmert, ist es fast schon zu spät ...
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum18. Jan. 2018
ISBN9783864259081
James Bond 25: Der Mann von Barbarossa
Autor

John Gardner

John Gardner (1933–1982) was born in Batavia, New York. His critically acclaimed books include the novels Grendel, The Sunlight Dialogues, and October Light, for which he received the National Book Critics Circle Award, as well as several works of nonfiction and criticism such as On Becoming a Novelist. He was also a professor of medieval literature and a pioneering creative writing teacher whose students included Raymond Carver and Charles Johnson.

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    Buchvorschau

    James Bond 25 - John Gardner

    Woronzow.

    HAWTHORNE

    Die Stadt Hawthorne, New Jersey, ist weniger als eine Stunde vom Zentrum Manhattans entfernt, und doch würde ein Fremder, der dort wie durch Magie gelandet wäre, es für eine Kleinstadt im nördlichen England halten.

    Die Straßen sind natürlich breiter als die in Lancashire, Yorkshire oder Tyne and Wear, aber die kleinen Reihenhäuser sehen genauso aus wie jene, die man in Gemeinden wie Bolton oder Blackburn finden würde.

    Eine von Hawthornes beliebtesten Gaststätten ist ein einstöckiges italienisches Restaurant namens Ossie’s, benannt nach seinem Besitzer. An den meisten Abenden ist es voll und die große dunkle Gestalt von Ossie bahnt sich ihren Weg zwischen den Tischen hindurch, nimmt Bestellungen auf, plaudert mit den Stammgästen und bietet das, was er und seine Gäste als das beste italienische Essen in den USA ansehen.

    Am Mittwoch, dem 26. Dezember 1990, begrüßte er einen seiner treuesten Gäste mit einem freundlichen, fast mitfühlenden Lächeln, denn der alte Joel Penderek aß mindestens viermal die Woche im Ossie’s. Bis zum letzten September war Joe, wie man ihn allgemein nannte, zusammen mit seiner Frau Anna nur ein wöchentlicher Besucher gewesen. Doch dann war Anna, die in ihrem ganzen Leben nicht einen Tag krank gewesen war, am Labor Day so plötzlich gestorben, dass es das glückliche und geordnete Leben des alten Joe vollkommen aus der Bahn geworfen hatte. Gerade hatte sie noch gebacken und geplaudert, dann war sie plötzlich tot. Der Arzt hatte gesagt, dass es ein heftiger Herzinfarkt gewesen sei und dass er Anna bereits des Öfteren wegen ihres Übergewichts und des erhöhten Cholesterinspiegels gewarnt habe.

    Doch das half Joe Penderek kein bisschen. Er hatte Anna 1946 auf dem Schiff kennen- und lieben gelernt und sie geheiratet, sobald beide die Bestätigung bekommen hatten, dass sie von der Einwanderungsbehörde akzeptiert worden waren.

    Joe war neunundzwanzig Jahre alt gewesen, als er nach Amerika gekommen war, Anna siebenundzwanzig, und beiden war klar, dass sie Glück gehabt hatten. Sie sprachen selten über ihre Erfahrungen in Europa, aber diejenigen, die Zeit mit ihnen verbrachten, wussten, dass es sich bei ihnen um russische Juden handelte, die aus einem der Nazi-Konzentrationslager gerettet worden waren. Danach hatten sie ein paar Monate in einem der alliierten DP-Lager verbracht, bevor sie von einem mitfühlenden amerikanischen Major einer Gruppe ausgewählter Überlebender zugewiesen wurden, die in die USA geschickt werden sollten. Anna hatte ihrer Nachbarin Debbie Mansell erzählt, dass ihre ganze überlebende Familie nach Russland geschickt worden und der Kontakt abgebrochen war. Joels Verwandte waren alle in den Lagern umgekommen. Es war schlimm und grausam, aber schließlich hatte niemand behauptet, dass das Leben fair sei.

    Nach einem Jahr Ehe hatte Joe, der bis dahin als Tagelöhner gearbeitet hatte, eine gute Anstellung in einer örtlichen Baufirma gefunden und war mit den Jahren zum Vorarbeiter und schließlich Bauleiter aufgestiegen, gefolgt von einem Ruhestand mit angemessener Pension. Nun war er zu einer traurigen, verlorenen Gestalt geworden, die sich immer mehr zurückzog, als diktiere ihm ein innerer Stolz, dass ein Mann in der Lage sein sollte, allein zu existieren, sobald seine Lebenspartnerin für immer gegangen war.

    Also blieb er für sich, nickte denjenigen, die sich mit ihm anfreunden wollten, ein halbherziges »Danke, aber nein, danke« zu und verließ sich immer stärker auf seine Rituale, zu denen es eben gehörte, viermal die Woche im Ossie’s zu essen. Andere Gäste blieben an seinem Tisch stehen und wechselten ein paar Worte mit ihm, blieben jedoch selten länger, denn der alte Mann schien seine alten Freundschaften regelrecht zu verabscheuen. Zum ersten Mal fiel den Leuten auf, dass der große, einst muskulöse Mann einen gehetzten Ausdruck in den Augen hatte. Es war ein Blick, der besagte: »Vorsicht, kommt nicht näher, denn ich bin ein Mann, der der Welt verloren gegangen ist. Ein Mann, der ins Leid geboren wurde.« Das faltige Gesicht schien ebenfalls von diesem Blick in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Die ledrige Haut war rissig, als sei eine plastische Operation schiefgelaufen, sie spannte sich über die Wangenknochen, während die Lippen von einem unaufhörlichen Zittern geplagt waren. Die Leute sagten, dass er gar nicht mehr wirke wie der alte Joel Penderek, den sie ihr ganzes Leben gekannt und geliebt hatten. Dies war nur noch ein Schatten jenes Mannes.

    Niemand hatte Joel während der Feiertage gesehen – die in den USA, anders als die Völlerei im Vereinigten Königreich, nur bis zum ersten Weihnachtsfeiertag gingen –, aber am Abend des 26. Dezembers nahm Penderek ein gutes Mahl ein, trank eine kleine Karaffe seines bevorzugten Rotweins, beglich seine Rechnung und verließ das Restaurant gegen einundzwanzig Uhr durch den Seiteneingang. Es war das letzte Mal, dass ihn irgendjemand sehen sollte, auch wenn ihn niemand als vermisst meldete. Bis zum folgenden Abend, als sich Debbie Mansell Sorgen machte, weil sie den ganzen Tag nichts von ihrem Nachbarn gehört und niemand die Fensterläden geöffnet hatte. Das war seltsam, denn normalerweise hörte sie das Radio des alten Mannes jeden Tag.

    Als die örtliche Polizei die Tür aufbrach, erwartete man, eine Leiche zu finden. Stattdessen war Joel Pendereks Haus fast ungewöhnlich aufgeräumt, kaum ein Gegenstand nicht an seinem Platz, das Bett gemacht, die Küche sauber, ohne herumstehendes Kochgeschirr, und im Briefkasten ein Haufen Werbung.

    Niemandem war etwas Seltsames aufgefallen, und so war es auch geplant gewesen. Es konnte nie richtig geklärt werden, was am Mittwochabend geschehen war, aber eigentlich waren die Fakten ganz einfach. Der alte Mann war über den Parkplatz des Restaurants gegangen, hatte seinen Mantelkragen aufgestellt und sich seine Strickmütze über die Ohren gezogen. Es war ein blau-weißes Ding, das er wie ein Ehrenabzeichen trug, denn er wurde im Winter nie ohne es gesehen.

    Der leicht schwerhörige Joe sperrte mit der dicken Mütze seine Umgebungsgeräusche komplett aus, sodass er das Auto, das zwischen den anderen geparkten Wagen herausfuhr, erst bemerkte, als es direkt neben ihm war. Das Fenster auf der Fahrerseite stand offen und der Mann am Steuer rief: »Hey, Kumpel. Können Sie uns sagen, wo es zur Parmelee Avenue geht?« Er schwenkte eine Straßenkarte. Joe zog sich die Mütze vom Kopf und murmelte: »Was haben Sie gesagt?«

    Dann sprang ihn ein weiterer Mann von hinten an, der Kofferraum des Wagens sprang auf und in weniger als dreißig Sekunden war das Auto einfach nur ein weiteres Paar Rücklichter auf dem Weg nach Manhattan, jedoch mit einem bereits bewusstlosen Joel Penderek im Kofferraum, denn ein ehemaliger Sanitäter hatte ihm eine Spritze durch drei Schichten Kleidung in den rechten Arm gejagt.

    Niemand hätte ahnen können, dass die Entführung eines alten Mannes in New Jersey der Auftakt zu einem Drama von internationalen Ausmaßen sein würde. Oder dass es der erste Schritt eines genialen Plans war, der ganze Nationen erschüttern würde. Ein vermisster alter Mann, und das Schicksal der freien Welt stand auf dem Spiel.

    Selbst nachdem man wusste, dass er verschwunden war, verband ihn keiner seiner Bekannten in Hawthorne mit der großen Nachrichtenmeldung, die am Freitagmorgen publik wurde.

    Sie kam über die großen Nachrichtenagenturen und wurde von den meisten Tageszeitungen aufgegriffen, während die größten Fernsehsender sie als dritten Aufmacher brachten. Wenn die russische Regierung es unter Verschluss hätte halten wollen, wäre es ihr nicht gelungen, denn die Waage der Gerechtigkeit, wie sie sich nannte, sorgte dafür, dass alle Nachrichtenagenturen den Text genau zur gleichen Zeit wie der Kreml bekamen. Die Botschaft war kurz und knapp auf den Punkt gebracht.

    Kommuniqué Nummer eins: Im Juni vor fünfzig Jahren wurde die jüdische Bevölkerung Kiews brutal in Babyn Jar ermordet. Der Drahtzieher ist schon vor langer Zeit gerichtet worden, aber sein Stellvertreter, Josif Woronzow, ein Mann russischer Herkunft, konnte nie gefasst werden. Doch jetzt haben wir den Verbrecher Woronzow, der sich als Bürger der Vereinigten Staaten ausgegeben hat. Wir verwahren ihn sicher irgendwo in Osteuropa und sind bereit, ihn den Behörden zu übergeben. Der neue Geist, der sich in unserem geliebten Land verbreitet, verspricht wahre und vollständige Gerechtigkeit. Wir fordern die Regierung auf, Woronzow einen vollständigen und unvoreingenommenen Prozess zu machen. Die Regierung muss beweisen, dass sie immer noch bereit ist, vergangenes Unrecht wiedergutzumachen. Wir werden den Verbrecher übergeben, sobald wir sicher sind, dass er ein Gerichtsverfahren erhält, das der freien Presse weltweit zugänglich ist. Die Regierung hat eine Woche Zeit, um unsere Forderungen zu erfüllen.

    Unterzeichnet war es einfach mit Waage der Gerechtigkeit, auf Russisch Tschuschi Prawosudia.

    Niemand schien von dieser Waage der Gerechtigkeit gehört zu haben, aber die Weltpresse war schnell zur Hand mit Informationen über Babyn Jar. Und sie sah diesen Vorfall als Gelegenheit, den wahren Geist von Perestroika und Glasnost zu beweisen. Gerichtsverfahren waren im alten russischen Imperium oftmals nicht mehr als Schauprozesse gewesen oder geheim gehalten worden. Doch mit Glasnost konnte die Regierung nun ihre Neutralität beweisen, indem sie den Mann, der für den Tod so vieler russischer Juden verantwortlich gewesen war, zur Rechenschaft zog.

    Die Presse bemerkte ebenfalls, dass das Kommuniqué eine unspezifische Drohung zu enthalten schien, indem sie den Behörden eine Frist gesetzt hatte, um sich bereit zu erklären, einen Massenmörder anzuklagen.

    Der Kreml verkündete, dass man die ganze Angelegenheit noch einmal überprüfen und eine Antwort veröffentlichen würde, und zwar noch vor der festgelegten Frist der Waage der Gerechtigkeit, wer auch immer diese Gruppe sein mochte.

    Es war keine riesige Schlagzeile, aber es gab genug Interesse, um die Sache am Leben zu erhalten.

    Niemand, nicht einmal die Medien, wussten von den Dilemmas hinter den politischen Kulissen. Sie hatten keine Ahnung von der kontrollierten Panik, die die Waage der Gerechtigkeit innerhalb des KGB verursacht hatte, oder vom plötzlichen und beunruhigenden Interesse des israelischen Mossad, genauso wenig wie von den vielen Nachrichten, die zwischen dem Dserschinski-Platz und dem britischen Geheimdienst in London hin- und hergeschickt wurden.

    Wenn die Presse von der Verwirrung Wind bekommen hätte, hätte die Geschichte schnell die meisten anderen Themen von den Titelseiten verdrängt, und die gründlichen Journalisten hätten sich tief in die geheimen Zirkel vergraben, die in allen Ländern immer noch existierten.

    In London wurden die vollständigen Fakten erst am zweiten Januar weitergegeben, sechs Tage nach dem ersten Kommuniqué der Waage der Gerechtigkeit. Aber sobald der Ball ins Rollen gekommen war, verselbstständigte sich Operation Fallen Timbers, wie sie bezeichnet wurde.

    FALLEN TIMBERS

    James Bond vermisste die alten Methoden, besonders wenn es um das Archiv ging. Er fand, dass es etwas Handfestes und Ehrliches hatte, mit seinem Laufzettel ins Archiv zu gehen, den Zettel gegen eine Akte in einem dicken Ordner einzutauschen, die Akte auszuleihen, sie zu lesen und sie dann einer der netten jungen Damen zurückzugeben, die für den geregelten Ablauf der Abteilung sorgten.

    All das war verschwunden, als der Service sein Ablagesystem digitalisiert hatte. Die netten jungen Damen waren Geschichte, und auch wenn Bond mit Computersystemen vertraut war, fiel es ihm schwer, Informationen, die auf ein paar Tastaturbefehle hin aus dem Nichts aufzutauchen schienen, das gleiche Vertrauen zu schenken. Er betrachtete es irgendwie als billigen Zaubertrick. Er mochte Illusionisten, schließlich gehörten Taschenspielertricks zu seinem Job, aber ihm missfiel die billige Straßenvariante. Diese Tricks konnte man üblicherweise für ein paar Pfund kaufen, und das war wohl kaum die richtige Art, den britischen Geheimdienst zu leiten.

    Das waren seine Gedanken, während er an einem der abscheulich grellen und hygienischen Arbeitsplätze des Archivs saß.

    Bond war erst seit Anfang Dezember wieder im aktiven Dienst, nachdem er von den Verletzungen genesen musste, die er sich während seines letzten Einsatzes in den Vereinigten Staaten zugezogen hatte. Seitdem hatte sich alles stark verändert. Nun, zu Beginn des neuen Jahres, verspürte er keinerlei Verlangen, zu seinen europäischen Lieblingsorten zurückzukehren, bis das Spiel der Nationen zu einer Art Status quo zurückgekehrt war. Er glaubte an die Veränderungen, die vor sich gingen, aber nicht, dass die Welt den Tod des Kommunismus gesehen hatte. Er schien momentan sogar damit zufrieden, an seinem Schreibtisch zu sitzen und Papierkram zu erledigen, auch wenn das wahrscheinlich nicht lange anhalten würde.

    Er erreichte die Arbeitsstationen über Ms Vorzimmer. Moneypenny, die persönliche Sekretärin, deren Sicherheitsfreigabe ans Stratosphärische zu grenzen schien, hatte ihn angerufen und mitgeteilt, dass ihr beider Herr und Meister etwas hatte, das 007 lesen sollte. Es kam nicht einmal zu seinem obligatorischen Gespräch mit M. Moneypenny reichte ihm mit ihrem wie üblich schmachtenden Blick einen kleinen blauen Zettel – Blau war die Archivfarbe für die strenge Geheimhaltungsstufe und höher –, auf dem zwei Worte standen: Fallen Timbers.

    »Wir sind diesen Monat bei Schlachten.« Moneypenny schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Lucknow, Marne, Somme, Arnem, Blenheim. Fallen Timbers. Sie haben wahrscheinlich noch nie davon gehört, aber es war eine Schlacht. Jede Menge Angriffswut.«

    Bond hob eine Augenbraue und schmunzelte. »Aber doch nicht für mich, hoffe ich, Penny?«

    Sie stieß ein gespieltes Seufzen aus, nahm den blauen Zettel zurück und steckte ihn mit schrecklicher Endgültigkeit in einen kleinen Schreibtischschredder. »Gegen Sie zu kämpfen könnte sich lohnen, denke ich.« Sie seufzte erneut, gefolgt von einem kleinen Schmollmund. Bond beugte sich über den Schreibtisch und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.

    »Sie sind wie eine Schwester für mich, Penny«, sagte er lächelnd. Er wusste, dass ihn ihre Bemerkung darüber, dass die Codenamen gerade Schlachten waren, wissen lassen sollte, dass die Akte geheim war. Neu. Kein alter Fall, der zum Spielen herausgezogen worden war, während Moskau und der alte Ostblock ihre diversen Todeszuckungen durchlebten.

    »Ich fühle mich aber gar nicht schwesterlich.« Moneypenny hatte noch nie ein Geheimnis aus ihrer tiefen Leidenschaft für Bond gemacht.

    »Ach, kommen Sie schon, Penny. Wir wollen die Sache mit Inzest nicht noch schlimmer machen.« Mit einem Augenzwinkern verließ er das Büro.

    An der Anmeldung des Archivs gab Bond seine Passnummer ein, gefolgt von den Worten Fallen Timbers. Der unpersönliche Monitor sagte ihm, dass er warten sollte, dann informierte er ihn darüber, dass die Akte für ihn freigegeben war. Sekunden später begann der Drucker damit, Blätter auszuspucken. Insgesamt waren es siebzig, und auf der Titelseite prangten die üblichen Chiffren und der Betreff »Die Waage der Gerechtigkeit«, mit Querverweis zu Josif Woronzow.

    Die ersten zehn Seiten waren Hintergrundinformationen: Details über Woronzows Vergangenheit und die kürzliche Entführung eines Mannes namens Joel Penderek aus irgendeinem obskuren Kaff in New Jersey an, so nahm man an, einen namenlosen Ort in Osteuropa. (Es waren auch Fotos dabei, was entweder bedeutete, dass jemand seine Hausaufgaben gemacht hatte oder dass die Bilder bereits seit einiger Zeit im Archiv gewesen waren.) Dann folgten einige knappe Informationen über die Organisation, die sich die Waage der Gerechtigkeit nannte. Diese letzten Details waren äußerst vage, wenn nicht sogar widersprüchlich. Aber das eigentlich Interessante kam erst zum Schluss. Er erhielt zwei unterschiedliche Berichte. Einen vom KGB, der ein wenig durcheinander und unentschlossen klang, der zweite vom israelischen Geheimdienst, dem Mossad, der sich knapp, auf den Punkt und sachlich las. Bond überlegte, welcher Bericht zutreffender war, denn zerfahrene Unentschlossenheit konnte in der Geheimdienstwelt ein Deckmantel für Klarheit sein.

    Es dauerte eine Stunde, um die Akte zu lesen und zu verdauen. Danach wurde das dünne bedruckte Papier an der Tür geschreddert und die Schnipsel wanderten in einen Behälter, der innerhalb der nächsten halben Stunde geleert und der Inhalt verbrannt werden würde. Bond kehrte gedankenverloren zu seinem Schreibtisch zurück und bat Moneypenny, ihrem Chef mitzuteilen, dass er den Anweisungen gefolgt war.

    Es gab keine Wartezeit, nach nicht mal zehn Minuten saß Bond auf einem der neuen modernen Chromstühle, die M nach einer Renovierung in seinem Büro stehen hatte. Ihm waren die Veränderungen in Ms Allerheiligstem sofort aufgefallen, als er sich wieder zum Dienst zurückgemeldet hatte. Er hatte sich gefragt, ob die neue Einrichtung die beträchtlichen Veränderungen in der Welt, jenseits ihrer surrealen Existenz im anonymen und hässlichen Hochhaus am Regent’s Park, dem Hauptquartier des Service, widerspiegelte.

    Das Zimmer hatte seine alte nautische Erscheinung verloren. Selbst die Gemälde großer Seeschlachten waren von den Wänden verschwunden, ersetzt durch langweilige Aquarelle. Ms neuer Schreibtisch aus Stahl und Glas war sehr ordentlich, mit großen transparenten Eingangs- und Ausgangsablagen, drei verschiedenfarbigen Telefonen, von denen eines aussah, als sei es ein Requisit eines Science-Fiction-Films, und ein gläserner Aschenbecher von der Größe einer Vogeltränke, in dem der Admiral seine stinkende Pfeife abgelegt hatte.

    »Diese Stühle sind verdammt unbequem«, knurrte M, ohne von den Papieren aufzusehen, die er gerade durcharbeitete. »Das Arbeitsministerium behauptet, dass sie bewegungsintensiver seien, wenn das überhaupt ein richtiger Ausdruck ist und nicht nur ein weiterer Anschlag auf die englische Sprache. Es bedeutet, dass sie so entsetzlich unbequem sind, dass man zwischendurch immer wieder aufstehen muss. Eine Minute noch, 007. Die Bilder sind interessant.«

    Bond verstand das als Aufforderung, also erhob er sich wieder und ging zu einem der Aquarelle. Es war eine flache Landschaft, die in Deutschland oder irgendwo in den Fens sein konnte. Als er die Signatur des Künstlers entdeckte – R. Abel –, schnappte er überrascht nach Luft.

    »Nett, oder?«, brummte M, den Kopf immer noch über den Text gebeugt, während sein goldener Füllfederhalter die Zeilen entlangwanderte.

    »Der Colonel Abel?«, fragte Bond. Rudolf Abel war einer der erfolgreichsten russischen Spione der fünfziger Jahre gewesen, der Mann, den die Amerikaner schließlich für Gary Powers eingetauscht hatten, den berühmten Piloten, dessen U-2-Spionageflugzeug über der Sowjetunion abgeschossen worden war und der westlichen Allianz dadurch allerhand Ärger eingebracht hatte.

    M legte schließlich seinen Füller hin. »Oh ja. Genau der. Hab sie von Walter in Washington gekauft. Hat hart verhandelt, aber sie sind hier, um mich daran zu erinnern, wie die Dinge damals waren und wie sie heute sind, wenn Sie verstehen. Setzen Sie sich, 007.« Walter war ein legendärer ehemaliger Archivar und es wurde gemunkelt, dass seine Wohnung mit raren Erinnerungsstücken an den Kalten Krieg vollgestopft war.

    »Was halten Sie von Fallen Timbers?« M starrte ihn an.

    »Es handelt sich um eine Schlacht, soviel ich weiß.« Bond kehrte zur Unbequemlichkeit des bewegungsintensiven Stuhls zurück.

    M brummte erneut. »Yankees. Nach der Revolution. Eine Schlacht gegen die Maumee-Indianer in Ohio. So was lernt man heutzutage nicht mehr in englischen Schulen.«

    »Ich glaube, das war noch nie so.« Bond setzte sich aufrecht hin und ihm wurde klar, dass der Stuhl erträglicher war, je gerader man saß, worin wahrscheinlich sein Hauptzweck bestand.

    »Fallen Timbers jedenfalls. Was denken Sie?«

    »Die Moskauer Zentrale scheint wegen einer relativ einfachen Angelegenheit ziemlich nervös zu werden. Ein alter Kriegsverbrecher. Alte Geschichte. Ist dieser Penderek wirklich dieser Kerl?«

    »Es scheint so. Die Israelis hingegen behaupten, dass er es nicht sein kann.«

    »Sie liegen normalerweise richtig, wenn es um Kriegsverbrecher geht. Die Israelis haben ein gutes Gedächtnis, Sir.«

    »Stimmt. Sie haben uns einen ihrer besten Leute geschickt, um uns auf den aktuellen Stand zu bringen. Er ist sehr gut und wir haben ihn in den inneren Kreis gelassen. Sehen Sie, wir haben eine Anfrage aus Moskau bekommen. Ziemlich außergewöhnlich, wenn man die Vergangenheit betrachtet. Sie sagen, sie brauchen zwei Männer, die russisch sprechen. Ich denke, Sie und der Israeli könnten passen. Ihr Russisch ist doch noch auf der Höhe, 007?«

    »Soweit ich weiß, Sir.«

    »Gut. Es besteht die Möglichkeit, dass Sie und der Israeli reingehen und sich das mal ansehen müssen. Könnte interessant sein, mal für Moskau zu arbeiten, nach all diesen Jahren, die wir in konkurrierenden Weingütern geschuftet haben.«

    »Wohl eher Destillerien.« Bond lächelte, sah aber sofort, dass M nicht amüsiert war. »Können Sie mir mehr über die Theorie der Israelis sagen?« Ihm wurde bewusst, dass er nur Fragen stellte, um Zeit zu schinden. Die Vorstellung, zusammen mit einem Mossad-Agenten zum KGB geschickt zu werden, kam Bond ziemlich seltsam vor.

    »Leider nein. Nur das, was in der Akte steht.« M reinigte seine Pfeife mithilfe eines Metallräumers, der mehr Aufsätze zu haben schien als ein Schweizer Taschenmesser. »Sie sind sich vollkommen sicher, wissen Sie? Wenn sie die Wahrheit sagen, beschatten die Israelis Woronzow seit fast drei Jahren. Er hat sich in Florida verkrochen. Aber wenn dem so ist, hat diese Waage der Gerechtigkeit den Falschen erwischt. Die Frage ist, ob sie absichtlich aufs falsche Pferd gesetzt haben.«

    »Warum sollten sie, Sir?«

    M runzelte die Stirn und zuckte untypisch für ihn mit den Schultern. »Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich habe keine Kristallkugel, werfe keine Runen, kann keine Eingeweide lesen oder wahrsagen. Ich weiß nicht mehr als Sie. Wahrscheinlich hat der Kerl vom Mossad mehr Ahnung, aber mein Instinkt sagt mir, dass die Leute, die es wirklich wissen, in Moskau schmoren. Sie werden es wahrscheinlich aus denen herausbekommen, wenn Sie es versuchen. Schließlich scheinen sie etwas über die Waage der Gerechtigkeit zu wissen, etwas, das sie uns voraushaben.«

    »Und unser Mann vom Mossad?«

    »Peter. Will Pete genannt werden. Pete Natkowitz. Finden Sie es übrigens nicht auch seltsam, dass der KGB die Amis nicht dazugeholt hat? Schließlich wurde dieser Verdächtige Penderek direkt aus ihrem Zuständigkeitsbereich entführt.«

    »Vielleicht will Moskau lieber mit uns spielen …«

    »Mit uns und den Israelis. Seltsame Bettgenossen, oder? Ich hätte gedacht, die Amerikaner würden in irgendeiner Weise dazugeholt werden.«

    »Beim KGB kann man sich nie sicher sein, Sir. Das war schon immer so. Was ist mit dem Mossad-Mann, Natkowitz? Wann lerne ich ihn kennen?«

    M stopfte gerade seine Pfeife und war vollkommen in seinem obskuren Ritual verloren. »Natkowitz? Wann immer es Ihnen passt. Er ist seit vierundzwanzig Stunden hier. Der Stabschef kümmert sich um ihn. Spielt seinen Babysitter, wie man früher sagte. Genau genommen ist er mit ihm an der Helford-Mündung und zeigt ihm, wie wir in flachen Gewässern operieren.« Der Service betrieb immer noch eine kleine Anlage an der Helford-Mündung, wo Auszubildende mit dem Gerätetauchen, geheimen Wasserlandungen und anderen Dingen in dieser Richtung vertraut gemacht wurden. Sie war seit den dunklen Tagen des Zweiten Weltkriegs dort und bis jetzt hatte niemand daran gedacht, die Einrichtung zu schließen.

    »Macht er sich die Füße nass?«

    »Wer, Tanner?«

    »Nein, der Israeli. Tanner hat schon Schwimmhäute zwischen den Zehen. Wir haben den Kurs damals gemeinsam absolviert. Das ist länger her, als ich mich erinnern mag.«

    M nickte. »Ja, ich glaube, der Stabschef sagte etwas davon, Mr Natkowitz ein bisschen Meerwasser schmecken zu lassen. Mal sehen, ob sie schon zurück sind.« Er begann an der Konsole des Sci-Fi-Telefons zu hantieren, als hätte er das umfangreiche Handbuch, das zweifellos mitgeliefert worden war, gelesen und verstanden. Gemächlich drückte M einen Knopf, dann sprach er wie in einen Anrufbeantworter. »Stabschef«, sagte er.

    Aus dem eingebauten Lautsprecher drang das Klingeln einer internen Anlage, gefolgt von einem Klicken und Bill Tanners ruhiger Stimme. »Stabschef.«

    In Ms Gesicht erschien ein seltenes Lächeln. »Tanner. M hier. Würden Sie unseren Freund hochbringen?«

    »Aye, aye, Sir.« Tanner benutzte in Ms Gegenwart gern Marineausdrücke. Jemand hatte sogar schon gehört, wie er das Büro seines Vorgesetzten als »Tageskabine« bezeichnet hatte. Mal amüsierte den gewitzten alten Admiral Tanners Eigenart, manchmal nicht.

    M starrte weiter das Telefon an. »Ich bin generell kein Freund von technischen Spielereien, aber die hier ist verdammt clever. Man muss nur den Namen der Person sagen, mit der man sprechen will, und die Maschine sucht eigenständig die Nummer heraus und verbindet einen. So clever wie ein abgerichteter Affe, was?«

    Ein paar Minuten später stand Tanner in der Tür und schob einen kleinen, gedrungenen Mann mit aschblonden Haaren und hellen Augen in den Raum. Irgendwie musste Bond an die Ratte aus Der Wind in den Weiden denken.

    »Pete Natkowitz. James Bond.« Tanner deutete bei der Vorstellung zwischen ihnen hin und her. Bond streckte seine eigene Hand aus und bekam einen unerwartet festen Händedruck, der ihn fast zusammenzucken ließ. Aus der Nähe hatte Natkowitz nichts mehr von einer Ratte an sich. Aber genauso wenig wirkte sein Auftreten israelisch. Seine Gesichtsfarbe erinnerte an einen rotwangigen Gutsherrn, genau wie seine Kleidung – eine einfache Arbeitshose, ein kariertes Hemd mit Krawatte, die irgendwie militärisch wirkte, und ein zweireihiges Jackett aus Harris-Tweed. Er wäre in einem englischen Dorfpub nicht weiter aufgefallen, und Bond dachte sich, dass es nichts gab, was so täuschen konnte wie eine Tarnung, die zur körperlichen Erscheinung passte.

    »Der berühmte Captain Bond. Ich habe schon viel über Sie gelesen.« Seine Stimme war sanft und hatte den leichten Einschlag eines Akzents, den man für gewöhnlich mit einem britischen Börsenmakler assoziieren würde. Das Lächeln war strahlend, die Zähne eindeutig gebleicht. Schließlich fügte er hinzu: »Natürlich hauptsächlich in streng geheimen Dokumenten, aber es war alles positiv. Es ist mir ein Vergnügen, Sie zu treffen.«

    Bond musste sich zurückhalten, denn sein Instinkt drängte ihn, Spielchen zu spielen oder sein Gegenüber aufzufordern, endlich einen Blick in die Akten des Mossads werfen zu können. Stattdessen lächelte er nur und fragte, ob Natkowitz Helford gefallen hätte.

    »Oh, es gibt nichts Schöneres, als in kleinen Booten herumzuschaukeln.« Natkowitz warf Tanner einen Seitenblick zu und Bond kam sofort zur Sache. »Man will also, dass wir beide für die Russen arbeiten, Mr Natkowitz.«

    »Pete«, sagte er und sein Lächeln ließ den Raum erstrahlen wie das Feuerwerk am Guy-Fawkes-Day oder dem Vierten Juli, je nachdem, auf welcher Seite des Atlantiks man stand. »Jeder nennt mich Pete, und ja. Ja, ich habe den Auftrag bekommen, ins alte Ödland zu gehen. Sollte interessant werden.«

    Bill Tanner hustete und warf M einen Blick zu, der besagte: »Haben Sie ihnen schon die schlechten Neuigkeiten mitgeteilt?«

    M räusperte sich, was oftmals ein Vorbote unangenehmer Nachrichten war. »Mr Natkowitz«, begann er. »Ich habe keinen Einfluss auf Ihre Entscheidungen, aber James zuliebe muss ich Sie beide auf die Gefahren und Ihre Rechte in der Angelegenheit hinweisen, die wir Fallen Timbers nennen.«

    In der langen Pause, die folgte, fiel Bond auf, dass sein alter Chef ihn beim Vornamen genannt hatte. Das tat er im Allgemeinen nur dann, wenn ein väterlicher Rat folgte, meistens darüber, dass er auf der Hut sein sollte.

    »James«, fuhr M fort, den Blick auf seinen Schreibtisch gerichtet. »Ich muss sagen, dass dieser Einsatz auf freiwilliger Basis erfolgen muss. Sie können sich vorher jederzeit anders entscheiden und niemand wird Ihnen das übel nehmen. Hören Sie mich einfach an und sagen Sie dann, wie Sie sich entschieden haben.« Er sah auf und richtete seinen Blick direkt auf Bond. »Wir sind der Meinung, dass das, was wir von Ihnen beiden verlangen, verdammt gefährlich sein könnte. Außerdem ist Moskau in einer unverschämten Eile. Ein Schnellschuss, wenn Sie mich fragen. Aber andererseits hat jeder guten Grund, nervös zu sein. Sie haben das Baltikum. Amerika und wir – wie auch Sie, Mr Natkowitz – haben die Iraker.«

    Bond runzelte die Stirn und wollte etwas sagen, doch M hob eine Hand. »Hören Sie mich zuerst an.« Seine Lippen verzogen sich zu einem grimmigen Lächeln. »Wir werden Ihnen sagen, was wir wissen, und Mr Natkowitz hier wird Ihnen sagen, was er weiß. Es ist nicht viel und sehr lückenhaft.« Eine weitere Pause, während der das einzige Geräusch von außerhalb des Gebäudes kam.

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