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Tír na nÓg. Das Schicksal der Welt
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Tír na nÓg. Das Schicksal der Welt
eBook284 Seiten3 Stunden

Tír na nÓg. Das Schicksal der Welt

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Über dieses E-Book

Unbeeindruckt von den sich zuspitzenden Gefahren, setzen Cornelis, Meister Aki und Raggah ihre gefahrvolle Reise nach Süden fort. Auf der Straße nach Seeburg werden sie Zeugen eines schrecklichen Massakers an Espermanen. Cornelis will die hilflosen Wesen schützen, doch sein beherztes Eingreifen führt zur Gefangennahme der drei Gefährten. Sie werden nach König-Erich-Burg gebracht, wo sie das Glatisant erwartet - ein schreckliches Untier, das nahezu unbesiegbar scheint. Cornelis muss erkennen, dass auf dem Weg nach Tír na nÓg selbst der Tod nicht die letzte Grenze ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberacabus Verlag
Erscheinungsdatum30. Mai 2012
ISBN9783862821488
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    Buchvorschau

    Tír na nÓg. Das Schicksal der Welt - Sean Connell

    1 Noxius

    Der Traumfisch des Rudelschamanen schwebt durch flüssiges Gold. Rücken- und Schwanzflossen sind in ständiger Bewegung und verursachen bei jedem Ausschlag einen winzigen Sternenregen, der ihn in überirdischem Glanz erstrahlen lässt. Er blickt in Vergangenheit und Zukunft, schwebt durch alle Traumkorridore, die sich in Myriaden von Richtungen verzweigen. Er dreht sich, sieht sich selbst in der emanierten Gestalt des Rudelschamanen mit dem Kartendeck der Weisheit auf einen Jungen zugehen, in dessen Hand das Schicksal der Welt liegt.

    Sein Name war Noxius.

    Ein für Espermane ungewöhnlicher Name, voller düsterer Todesahnungen. Ein Name, den ihm sein Rudel gegeben hatte, und keinem war es leichtgefallen, denn er verhieß Schlimmes; doch es gab keinen anderen, keinen besseren Namen, den sie ihm anstelle des Gewählten zu geben bereit waren, denn in ihren Herzen ahnten sie, was geschehen würde, und Noxius, erschüttert über die Wahl und gleichzeitig stolz über die Rolle, die ihm auferlegt worden war, hatte ihn mit Würde akzeptiert.

    Der Rudelname gab dem Schamanen seine Kraft, seine Bestimmung. Verdichtete Geist zu Fleisch und Idee zu Materie. Gab seiner Welt Gestalt.

    Noxius lag mit pochendem Herzen wach auf dem feuchten Stroh des abgedunkelten Planwagens, der ihn forttrug von seiner Heimat im Osten, fort von Harttland, seinem Exil, und vielleicht auch fort von König-Erich-Land, das er und sein Rudel auf einem Schoner im Hafen von Balgul zu verlassen gedachten. Doch die düsteren Vorahnungen deuteten ein anderes Schicksal an. Er hatte wiederholt in die Zukunft geblickt und die zunehmende Entropie gesehen. Entropie, die Nordland zu vernichten drohte. Und doch gab es in seinen Visionen Hoffnung. Da war dieser Junge …

    Der Planwagen bremste und kam kurz darauf zum Stehen. Laute Stimmen riefen, frisch entzündete Fackeln erhellten das Leintuch von außen. Metall klirrte, als Schwerter gezogen wurden. Die Traumkorridore hatten ihn vor diesem Augenblick gewarnt. Er war derjenige, dessen Schicksal vorherbestimmt war.

    Der Rudelschamane erhob sich leise vom Stroh und rieb sich die Augen. Dann kroch er langsam nach vorne und schob die Plane zur Seite. Pastun saß nicht mehr auf dem Kutschbock. Die Zügel lagen lose im Fußraum.

    „Da ist noch einer", tönte unvermittelt eine laute Stimme.

    „Los, Soldat, bring ihn hier runter, rief eine andere Stimme, offenbar die eines Hauptmanns. „Treibt die Espermane zusammen!

    Soldaten von König-Erich-Land. Noxius blinzelte. Nun war es also soweit.

    Balgul … der Schoner im Hafen. Diese Verzweigung der Zukunft schien nun endgültig eine verlorene zu sein. Der Traumfisch, Noxius’ Inkarnation in der anderen Welt, konnte sie nicht mehr aufspüren. Sein Schicksal schrieb sich in diesem Augenblick neu.

    Der Soldat griff nach ihm, zerrte ihn nach vorne, sodass er über den Kutschbock fiel und sich die Lippe am Holz aufschlug. Dann stürzte der alte Espermane in die Tiefe und landete unsanft auf der Erde. Von fern drang der Geruch von verbranntem Fleisch in seine Nase. Einige der Soldaten beugten sich über ihn, prügelten ihn auf die Beine und stießen ihn vorwärts, hinüber zu den anderen Mitgliedern seines Rudels. Ihre Gesichter waren blass, verängstigt, ihre Augen verdunkelt. Sie schienen jede Hoffnung verloren zu haben.

    „Bringt sie zu den anderen Gefangenen hinter den Elektrozaun, hörte Noxius den Hauptmann brüllen. „Soldaten, durchsucht die Fahrzeuge nach Wertgegenständen und Waffen. Nehmt alles mit, was von Bedeutung ist.

    „Was geschieht mit den Fahrzeugen?", rief einer der Soldaten.

    Der Hauptmann zuckte die Achseln. „Die werden sie nicht mehr brauchen. Er verzog das Gesicht. „Zündet sie an!

    Cornelis aus Bandahui, Meister Akis Schüler und gleichsam Begleiter auf dessen gefahrvoller Reise zur fernen Insel Tír na nÓg, starrte wie gebannt auf den Älteren Michael Altfeld. Der Unsterbliche, ein Mann mit langen schwarzen Haaren und oftmals hart wirkendem Gesicht, öffnete gerade die Tür zu einer mannshohen Glasvitrine, in der zwei gekrümmte Schwerter samt sorgsam gestalteter Scheiden lagen. Hier im Labyrinthos Dang Lang, in diesem unendlich großen, anarchischen Stadtstaat, steuerte der geheimnisvolle Abenteurer und Krieger, dessen Leben schon tausend Jahre währte, aus dem Verborgenen heraus die Geschicke des urbanen Molochs. Hier arbeitete er auch, wie Raggah mehrfach zynisch angemerkt hatte, trotz seiner Unsterblichkeit an seiner eigenen Selbstzerstörung. Raggah, Cornelis’ und Meister Akis Begleiterin, war absolut überzeugt davon, dass Altfeld ein hochgradig suizidgefährdeter Irrer war, dessen Geisteszustand im Laufe der vielen Jahrhunderte schwer Schaden genommen hatte. Geheimnisvolle Naniten in seinem Körper verhinderten jedoch seinen Tod, sodass alle Bemühungen der Selbstzerstörung bislang gescheitert waren. Zumal Altfelds Versuche, sich mittels Alkohol zu Tode zu saufen, in Cornelis’ Augen irgendwie nur halbherzig wirkten und eine andere, ihm derzeit noch unbekannte Tatsache zu überdecken schienen.

    Der Ältere deutete in diesem Moment auf die Klingen.

    „Das sind Katana, erklärte Altfeld. „Schwerter mit einer ganz speziellen Härtelinie, Hamon genannt. Er griff in die Vitrine und fuhr vorsichtig mit den Fingern über die leicht wellige Linie entlang einer der Klingen. Cornelis, seit jeher fasziniert von allen geheimnisvollen Artefakten, trat näher heran und musterte die Waffen.

    „Der Stahl wird vor dem Erhitzen mit einer Mischung aus Holzkohlepulver und Tonschlamm überzogen, am Schneidebereich nur ganz fein, am Klingenrücken um so dicker. Dadurch werden beide Seiten in der Glut unterschiedlich erhitzt und erhalten so einen unterschiedlichen Härtegrad. Am Hamon erkennt man den Schmied, heißt es." Der Unsterbliche zog die beiden Waffen aus der Vitrine und machte einige blitzschnelle Bewegungen mit beiden Katana. Cornelis vernahm ein gefährliches Zischen, als die Klingen an seinen Ohren vorbeisausten.

    „Es ist sehr schwierig, mit zwei Katana gleichzeitig zu kämpfen. Normalerweise macht man das mit den Wakizashi, kleineren Klingen, aber das erschien mir als eine zu geringe Herausforderung."

    „Und dann?, fragte der Junge mit unverhohlener Neugier. „Was geschieht, wenn die Klinge aus der Glut kommt? Sie muss ja glühend heiß sein.

    „Ab ins Wasserbad damit. Altfeld machte ein zischendes Geräusch, als würde etwas Heißes in Wasser verdampfen. „Dabei entsteht ein sogenanntes metastabiles Gebilde, das zu einer extremen Härte führt. Zur Demonstration durchschnitt er mit einer einzigen fließenden Bewegung zwei armdicke Kerzen, die neben der Vitrine standen, ohne dass die Klingen auf irgendeinen Widerstand zu stoßen schienen. „Zudem wurde der Stahl mehrfach gefaltet. Das ist, ohne zu übertreiben, die wohl mächtigste Klinge, die je von Menschenhand geschmiedet wurde."

    Cornelis starrte den Älteren bewundernd an. Woher hatte Altfeld all dieses Wissen? Selbst die großen Meister der Bruderschaft verfügten nicht darüber.

    „Wie schwer ist so eine Waffe?"

    „Nun, man muss sich nicht anstrengen, wenn man dem Feind den Kopf abschlägt, wenn du es genau wissen willst. Altfeld zwinkerte ihm zu. „Außerdem bleibt die Klinge auch dann scharf, wenn man aus Versehen einen Wirbelsäulenknochen durchbohrt. Man muss sie hinterher nur gut säubern.

    Cornelis verstand. „Hast du schon mal deinen Feinden den Kopf abgeschlagen?" Altfeld war ein Krieger, daran gab es keinen Zweifel, auch wenn er ihn zunächst bloß für einen abgetakelten Trinker gehalten hatte.

    Der Ältere schob die Klingen in die beiden gekreuzten Scheiden des selbstkonstruierten Rückengurts. „Nun … es nicht zu tun, wäre im höchsten Maße leichtsinnig. Ein Kampf auf Leben und Tod ist kein Spiel, und so etwas wie Gnade kann ich nicht erübrigen."

    Cornelis dachte eine Weile darüber nach. „Ist das Leben deiner Feinde dir gar nichts wert? Kennst du kein Erbarmen?"

    „Ich wäre nicht hier, wenn ich Erbarmen kennen würde, erwiderte Altfeld langsam und legte den Rückengurt neben seinen Rucksack und seinen schwarzen Lederumhang mit Kapuze. Er schenkte Cornelis ein aufmunterndes Lächeln. „Geh’ jetzt los und informiere Aki und Raggah. Sag’ ihnen, dass wir in einer Stunde aufbrechen werden!

    Cornelis nickte, blieb aber noch einen Augenblick stehen und betrachtete die Griffe der beiden Schwerter. Er dachte an die Form der Klingen und den Glanz des fein verarbeiteten Stahls, der jetzt durch die kunstvoll verzierten Scheiden verborgen war. Er wusste, dass Altfeld ihnen ebenfalls Katana aus seiner großen Sammlung versprochen hatte. Auch wenn die Möglichkeit des Tötens damit realer wurde, für Cornelis war es trotz allem ein erhabenes Gefühl, bald eine eigene Waffe führen zu dürfen. Das wirkliche Abenteuer konnte beginnen.

    Dem General fehlte das linke Auge. Die Höhle war dunkel und vernarbt, aber er hatte nie versucht, sie durch eine Klappe zu verbergen. Das auglose Loch machte ihn hässlich und das war gut so. Es gemahnte Menschen und Nichtmenschen an seine ruhmreichen und berüchtigten Taten und daran, dass er immer noch ein gefährlicher Mann war.

    General Aineknima war bereits jenseits der Sechzig, groß und mittlerweile etwas fett an Bauch und Oberschenkeln, mit vielen weißen Strähnen in den noch immer dunklen Haaren. Einst war er ein enger Vertrauter König Erichs gewesen. Ein Mann der frühesten Stunde, als Erich noch Usurpator und dessen Vater noch König gewesen war. Zerfressen von Machtgier hatte der junge Prinz damals den alten Mann mit seinen bloßen Händen erwürgt und Aineknima hatte ihm den Rücken freigehalten. Für Erich hatte er manche aussichtslos erscheinende Schlacht in einen Sieg verwandelt. Der General war ein Mann, der nie aufgab, der immer weiterschritt, weil er nie gelernt hatte, innezuhalten. Ein Mann, der drei Ehefrauen und zwei Kinder überlebt hatte. Nur die Labyrinthos, die sich nach dem Staatsstreich vom eigenen Vaterland abgewandt hatten, konnte er nicht bezwingen. Aineknima hielt zwar Labyrinthos Bär zwischen Station Westküste und Nott seit Jahren mit riesigen Truppenkontingenten eisern umklammert, aber mehr als diese Pattsituation war ihm bislang nicht vergönnt.

    Stadtbewohner, Staatsfeinde, Aufrührer und deren Verbündete extra muros wurden brutal niedergemetzelt, und der General schreckte auch nicht davor zurück, selbst Frauen und Kinder töten zu lassen, wenn es darum ging, die Befehle des Königs in die Tat umzusetzen. Doch alle Versuche, das Labyrinthos selbst zu erstürmen, scheiterten bislang kläglich. Und so wuchs im Laufe der Jahre Aineknimas Hass auf die gewitzten Widerständler ins Unermessliche, verwandelte sich in eine teuflische Besessenheit.

    Nach all diesen Rückschlägen hatte der General in den vergangenen Monaten einen ausgeklügelten und vielversprechenden Plan erarbeitet, wie Labyrinthos Bär in einer Nacht- und Nebelaktion zu erstürmen sei. Doch dann war völlig unerwartet die Absetzung des Kriegsministers Bendhis Bhorm durch Reichsminister Japetter gekommen und kurz darauf war der Marschbefehl, an den er niemals mehr geglaubt hatte, durch einen Boten zugestellt worden. Ein Marschbefehl an den östlich gelegenen Nalu.

    Vor einer Woche hatte er zutiefst enttäuscht und voller Wut auf Japetter den Westen verlassen, war mit einem Bataillon Soldaten über das Balgulgebirge gezogen, um den westlichsten der drei großen Flüsse vor feindlichen Anlandungen zu schützen.

    Eine undankbare Aufgabe.

    Der General fühlte sich unterfordert, schlimmer noch, von König und Reichsminister höchstpersönlich gedemütigt, und er fragte sich jeden Abend seit seiner Ankunft am westlichen Naluufer, ob die erfolglosen Erstürmungsversuche des Labyrinthos’ der Grund dafür waren, dass man ihn hierher versetzt hatte.

    Dabei wäre alles nur eine Frage der Zeit gewesen, dachte er bitter, doch es gab niemanden im Beraterstab des Königs, der den General um seine Meinung gebeten hätte.

    So kam es, dass der stets unterkühlt wirkende Aineknima oft zu später Stunde vor seinem Zelt, das direkt am Naluufer errichtet worden war, trunken mit den Schatten wütete, und seine donnernde Stimme weithin durch das Lager grollte. Seine engsten Vertrauten mieden ihn an solchen Abenden, die Soldaten verschlossen ihre Ohren und taten so, als würden sie ihn nicht hören. Doch hinter seinem Rücken wurde über ihn Gericht gehalten und in manchen Zelten bereits an seinem Verstand gezweifelt.

    Reichsminister Japetter hatte ihn angewiesen, südlich des Versunkenen Waldes in Stellung zu gehen, aber der General hatte entschieden, allein seinem militärischen Instinkt zu folgen und das Lager südlicher, genau gegenüber dem Labyrinthos Dang Lang aufzuschlagen. Seine Untergebenen hatten ihn auf die Folgen einer solch eigenwilligen Befehlsinterpretation hingewiesen, doch er hatte ihnen befohlen zu schweigen. Sein Gefühl sagte ihm, dass das dreckige Pack in dem anarchischen Stadtstaat irgendetwas plante. Er wollte für alle Fälle gerüstet sein. Egal, welche Befehle Japetter erteilt hatte oder nicht.

    Gleich nach der Ankunft am Westufer hatte Aineknima seine Männer brusthohe Stellungen ausheben und tödliche Giftgas- und Sprengminen im Ufersand vergraben lassen. Die Straße zwischen Seeburg im Einsamen See und dem Labyrinthos wurde von Spähtrupps rund um die Uhr überwacht, die Soldaten bezogen überdachte Stellungen und errichteten Hinterhalte.

    „Es nähert sich eine große Gruppe von Planwagen aus dem Osten, hatte ein Bote, der eines Morgens völlig unerwartet in Aineknimas Zelt erschienen war, atemlos zu berichten gewusst. „Es sind Tausende! Garnison Ost sah sie vorüberziehen. Sie kamen von den Riesenbergen durch das Tal des Großen Stroms. In Rubmin am Talligune wurden sie dann von einer engagierten Bürgerwehr verjagt.

    „Oh, diese elendigen Flüchtlinge, hatte der General voller Abscheu erwidert. „Ich kann sie hier nicht brauchen. Meine Soldaten machen mich schon ganz verrückt … und jetzt treiben mich auch noch diese verdammten Espermane in den Irrsinn! Zorn rötete sein Gesicht, aber erst als er den fragenden Blick des Boten bemerkte, unterdrückte er seine Gefühle und zwang sich dazu, sich seiner Stellung als Heerführer gemäß zu benehmen. „Was sagen die Kundschafter? Nehmen die Espermane die Straße nach Phat? Was ist ihr Ziel?"

    Der Bote schüttelte den Kopf. „Die Kundschafter konnten lediglich in Erfahrung bringen, dass die Espermane das Labyrinthos Dang Lang aller Voraussicht nach an seiner Südflanke passieren werden; ihr Weg führt in den Westen, über Seeburg nach Romlos oder Balgul."

    Aineknima nickte. Seine Nasenflügel bebten. Nicht fair, dachte er, es ist nicht fair. Er schleuderte den halb gefüllten Weinkelch an die Zeltwand. „Das alles macht mich wütend, brach es aus ihm hervor. „Ich habe diese ach so undankbare Aufgabe mit einem Rest von Stolz und Würde übernommen. Ja, das habe ich. Seine Stimme nahm einen bitteren Unterton an. „Und ich habe beschlossen, sie zur vollsten Zufriedenheit meines Königs zu erfüllen. Er trat vor den Boten und starrte ihn an. „Auch diese verdammten Espermane werden mich nicht daran hindern, dies zu tun. Warum kommst du hierher … und belästigst mich mit diesen Dingen? Ich habe wichtige Dinge zu erledigen. Sein Gesicht wirkte plötzlich müde. „Es herrscht Krieg – Krieg an allen Grenzen! Und ihr in Garnison Ost lasst sie in Sichtweite vorüberziehen, ohne sie aufzuhalten?"

    Der Bote nickte verlegen. Er wagte nicht aufzublicken.

    Der General fuhr fort: „Soll doch der dumme General Aineknima die Sache ausbaden, habt ihr wohl gedacht! Er packte den Soldaten am Kragen und zog ihn zu sich heran. „Ist es das, was ihr euch alle gedacht habt? Ist es das? Antworte! Er schüttelte den Mann, der dies reglos geschehen ließ, mit aller Kraft.

    „Wir hatten Anweisungen, stammelte der Bote schließlich. „Wir hatten Anweisungen, die Garnison nicht zu verlassen.

    Der General beruhigte sich. Er ließ den Mann los. Anweisungen? Hatte König Erich für die Garnison Ost besondere Befehle ausgegeben? Befehle, die man vor ihm verheimlicht hatte? Er musterte den Boten. Nichts in dessen Gesicht deutete darauf hin, dass er die Unwahrheit sagte.

    „Sag General Lenis, dass ich an den Espermanen ein Exempel statuieren werde. Sag ihm, dass ich seine Arbeit tun werde. Und sag ihm auch, dass ich den König darüber in Kenntnis setzen werde, wie müde und zahnlos seine Männer geworden sind! Sag ihm das."

    Aineknima wusste, dass sein Vorhaben gefährlich war, aber er wusste auch, dass dies eine jener seltenen Chancen war, Stärke in Zeiten der Schwäche zu beweisen. Die Unfähigkeit von General Lenis würde sein Triumph werden. Fieberhaft überlegte er sich das weitere Vorgehen, während der Bote sich eilig verbeugte und das Zelt verließ.

    Espermane. Eine primitive und lästige Volksgruppe aus dem fernen Osten. Sollten es tatsächlich Tausende sein, die auf der Flucht waren? Sie aufzuhalten und zu inhaftieren würde nichts bringen, wenn die Worte des Boten der Wahrheit entsprachen. Während er sich Wein in einen neuen Kelch einschenkte, kamen ihm noch andere, beunruhigende Gedanken: Warum hatte man ihn von der Belagerung des Labyrinthos’ Bär abgezogen? Was war der wahre Grund seiner Versetzung? Warum hatte Reichsminister Japetter Kriegsminister Bendhis Bhorm aus dem Amt gejagt? War er jetzt der Nächste? Waren die Espermane seine Nemesis?

    Nein, entschied Aineknima für sich selbst. Ganz im Gegenteil. Die Espermane würden ihn endlich wieder zurück ins politische Geschehen bringen. Er würde wieder die Aufmerksamkeit erfahren, die er verdient hatte.

    Noxius und sein Rudel wurden zusammengetrieben. Dromare und Pferde bewegten sich nervös und ließen sich durch die Soldaten kaum mehr bändigen. Die Tiere spürten die Angst. Die Gefangenen wurden von den Soldaten aus König-Erich-Land umhergeschoben, bespuckt und verhöhnt. Überall schallte ihnen das auf- und abschwellende Grölen ihrer Peiniger entgegen. „Bringt sie in das Lager!", rief eine herrische Stimme ganz in ihrer Nähe. Die Soldaten bildeten einen lebenden Korridor, durch den die Espermane mit Faustschlägen getrieben wurden. Noxius duckte sich weg und war überrascht, Pastun plötzlich an seiner Seite zu sehen. Der Jüngere ergriff Noxius am Oberarm und zog ihn mit sich in die Mitte, um ihn vor den Schlägen zu schützen.

    „Pastun!, rief Noxius erleichtert. „Pastun, bist du in Ordnung?

    „Beeil dich, Noxius, erwiderte der andere. „Wir müssen schnell sein, sonst werden sie uns besinnungslos schlagen!

    „Wo sind Feem, Reddet und Bolwagk?"

    „Weiß nicht, presste Pastun hervor und vermied es, den Rudelschamanen anzublicken. Er riss Noxius mit sich durch den Strom der Taumelnden. „Wir müssen jetzt still sein.

    Noxius sah die Tränen in Pastuns Augen und mit einem Mal wusste er, dass nicht viele von seinem Rudel das Gefangenenlager lebend erreichen würden.

    Ich habe das Glatisant gesehen, wollte er dem Jüngeren zurufen, und diesen Jungen, den Jungen, den die Traumkorridore offenbart haben – aber es kamen keine Worte über seine Lippen. Das, was hier geschah, war so besorgniserregend, dass er es nicht fertigbrachte, über seine Visionen zu sprechen. Wortlos folgte er Pastun in ein sich weitendes Rund, umgeben von meterhohen Elektrozäunen, deren unheimliches Summen trotz der Schreie der Gefangenen deutlich zu vernehmen war. Was immer dies für ein Ort sein mochte, dachte Noxius entsetzt, ein Lager war es jedenfalls nicht.

    Es war tiefste Nacht gewesen, als die kleine Gruppe das Labyrinthos Dang Lang über einen geheimen Ausgang am Flussufer verlassen und den gurgelnden Nalu über eine winzige Holzbrücke überquert hatte. Am anderen Ufer hatten sie rasch die Böschung zur Straße erklommen und sich in den Büschen versteckt.

    „Das war nicht schwer, bemerkte Raggah nach einer Weile und blickte zurück. „Was kommt jetzt?

    Michael Altfeld, völlig in Schwarz gekleidet, entblößte seine Zähne. „Ein bis drei Tagesmärsche entfernt liegt Seeburg am Ostufer des Einsamen Sees. Der Goldene Turm befindet sich auf einer Felseninsel inmitten dieses Sees. Wir werden ein Boot brauchen, um hinüberzukommen."

    „Das dürfte kein Problem sein. Raggah lachte. „In Seeburg muss es Boote geben wie Sand am Meer. Man konnte sie mit Sicherheit kaufen, mieten oder nötigenfalls auch stehlen. So einfach war das.

    Altfeld schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Im königstreuen Seeburg glauben die Menschen, der Goldene Turm sei ein Hort des Bösen. Sie werden uns kein Boot geben, denke ich. Überhaupt hassen sie Fremde, und mich im Besonderen, weil meine Langlebigkeit ihnen offensichtlich Angst bereitet."

    Das Mädchen runzelte die Stirn. „Was machen wir dann? Schwimmen?"

    „Ich werde mir etwas einfallen lassen, erwiderte der Ältere und hüllte sein Gesicht tiefer in den Schatten seiner Kapuze. „Doch erst einmal müssen wir nach Seeburg gelangen. Die Straße hier ist vermutlich gespickt mit Soldaten.

    Raggah drehte sich erneut um. Im Mondlicht wirkte die Straße verlassen. Kein Geräusch drang durch die Stille.

    „Wir haben Waffen", rief Cornelis und berührte stolz mit der Linken den ledernen Tsuka-ito, den Schwertgriff seiner Katana.

    Obwohl Altfeld alle mit Schwertern ausgerüstet hatte, hatte Raggah beschlossen, ihre Klinge ausschließlich als Reserve auf dem Rücken zu tragen und stattdessen dem Gewehr den Vorzug zu geben. Sollen sie nur kommen, dachte sie. Wir werden ihnen einheizen.

    „Cornelis …", flüsterte Altfeld an den Jungen gewandt, „wir brauchen mehr als Waffen! Wir brauchen vor allem Verstand. Es wäre nicht gut, mit einem Trupp Soldaten in eine Auseinandersetzung zu geraten. Dafür sind wir zu wenige."

    „Dann lassen wir es eben, mischte sich Meister Aki ein, dem die Vorstellung, in Kampfhandlungen verwickelt zu werden, ebenfalls missfiel. Ihr Auftrag erforderte Diskretion. „Wir geben uns als Reisende in den Westen aus, sollten wir in eine Kontrolle geraten.

    Altfeld drehte sich zu ihm herum. „König Erich hat für alle Reisenden eine Ausgangssperre nach Sonnenuntergang verhängt."

    Raggah entsicherte ihr Gewehr und hielt es demonstrativ hoch, als wollte sie zeigen, dass sie zu allem bereit war. „Was tun wir also?"

    Der Ältere ergriff den Lauf ihres Gewehrs

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