Bildband: Secret Places Europa. Verborgene Orte und wilde Natur.: Mit echten Geheimtipps Europas unentdeckte Reiseziele abseits des Trubels entdecken
Von Margit Kohl, Andreas Drouve, Bernd Schiller und Jörg Berghoff
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Bildband - Margit Kohl
EUROPAS MITTE
SONNENAUFGANG AM STEINHUDER MEER.
EIN WEIHER IM NEBEL: DER BAYERISCHE WALD IN MYSTISCHER SCHÖNHEIT.
1
VORBILDLICHER URWALD – NATIONALPARK BAYERISCHER WALD
WARUM IN DIE FERNE SCHWEIFEN?
Weite Wälder und mächtige Berge, glitzernde Seen und wundersame Moore: Deutschlands Nationalparks bieten eine erstaunliche landschaftliche Vielfalt, für die man weit reisen müsste, besonders wenn man einen echten Urwald sehen möchte wie den Bayerischen Wald. Der dortige Nationalpark ist der älteste in der Bundesrepublik.
WENN DAS LEBEN ERWACHT: SONNENAUFGANG IM NATIONALPARK.
Wo ein Baum noch Baum sein darf und selbst der Borkenkäfer seine Ruhe hat: Im Nationalpark Bayerischer Wald bleibt die Natur zum größten Teil sich selbst überlassen, ob am knapp 1500 Meter hohen Großen Rachel oder 1000 Meter darunter. Denn das Motto für den Nationalpark gilt überall: Bloß nicht eingreifen!
Milben, Regenwürmer oder Insektenlarven sind rastlos damit beschäftigt, die abgeworfenen Nadeln und Blätter sowie abgestorbene Bäume aufzuarbeiten. Ein perfektes biologisches Recycling, das sich herumgesprochen hat: Inzwischen kommen Touristen, um die abgestorbenen Bäume zu sehen! Diese Bäume geben tatsächlich ein archaisches Bild ab, gehören in erster Linie aber nur zum Kreislauf der Natur, in der der Mensch keine Rolle spielt.
Warme Sommer haben in den 1990er-Jahren zur Massenvermehrung des Borkenkäfers beigetragen, was sogar eine Waldumwandlung zur Folge hatte. Ohne dass eine Menschenhand eingegriffen hätte, starb der Bergfichtenwald großflächig ab. Doch im Schutz der toten Bäume wuchsen und wachsen junge Fichten, Bergahorne, Birken und Weiden nach. Ein neuer Wald war geboren, echter Urwald, als gäbe es den Menschen gar nicht. Die Natur hatte einfach ihren Lauf genommen …
Modell und Vorbild
Der knapp 250 Quadratkilometer große Nationalpark Bayerischer Wald wurde 1970 der erste deutsche Nationalpark und gilt aufgrund des Konzepts als Modell und Vorbild. Die Gesteine sind hunderte Millionen Jahre alt. Das gilt auch für den Großen Rachel, mit 1453 Metern die zweithöchste Erhebung des Bayerischen Walds nach dem Großen Arber, der 3 Meter mehr aufzuweisen hat, aber außerhalb des Nationalparkgebiets liegt. Von Spiegelau dauert der Aufstieg rund 4 Stunden, wobei man in dieser Zeit genauso viele Klimazonen durchquert wie es sie von Südbayern nach Nordschweden gibt. Bis in den Frühsommer hinein ist die Rachel-Spitze mit Schnee bedeckt.
Bei Wanderungen in abgelegene Gebiete des mehr als 300 Kilometer langen Wegenetzes sieht man mit Glück Rehe, Hirsche, aber auch Schlangen, Molche, Siebenschläfer, Schwarzstörche und mehr als 50 Vogelarten. Ganz selten begegnet man sogar Wolf und Luchs. Im Nationalpark Bayerischer Wald findet man in den weiten Wäldern, an glitzernden Seen, wundersamen Mooren und urigen Bergen eben das Ursprüngliche, ja sogar das Wilde an sich, das bei vielen Menschen eine gewisse Ehrfurcht vor der Natur weckt. Handelt es sich doch weitgehend um eine Landschaft, die uns an Märchen und Geschichten aus Kindertagen erinnert. Und hoffentlich vielleicht auch daran, diese Wildnis für die Nachwelt zu schützen.
Ungestört und ursprünglich
Doch jeder Staat hat seine eigene Entwicklung und verfolgt seine eigene Politik. So haben die Klimagipfel gezeigt, wie schwierig es ist, zu international anerkannten einheitlichen Standards zu kommen, denn Naturschutz ist Sache der einzelnen Nationalstaaten. Um überhaupt international auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, hat die Weltnaturschutzunion International Union for Conservation of Nature (IUCN) die Schutzziele für Nationalparks wie folgt definiert: »Ein Nationalpark ist ein Schutzgebiet, in dem sich die Natur weitgehend ungestört und möglichst ursprünglich entfalten kann. Er soll ein großflächiges Gebiet mit besonders wertvoller Naturausstattung umfassen, das durch den Menschen wenig beeinflusst und nicht mehr Ziel einer wirtschaftlichen Nutzung ist. Soweit es der Schutzzweck erlaubt, soll es der Allgemeinheit Erholung, Entspannung und naturkundliche Bildung ermöglichen.«
WO MAN DER NATUR SEINEN FREIEN LAUF LÄSST: DER NATIONALPARK BAYERISCHER WALD HAT VORBILDCHARAKTER.
Doch diese hohen Ansprüche erfüllen in Europa eigentlich nur noch zwei Regionen: die an ihren Rändern kaum besiedelten Hochalpen und das Wattenmeer – aber eben auch der Nationalpark Bayerischer Wald, wo man die Natur Natur sein lässt. Dabei fällt es den Menschen für gemeinhin besonders schwer, den Dingen einfach so ihren Lauf zu lassen. Das Waldsterben und der Borkenkäferbefall im Bayerischen Wald ist dafür ein gutes Beispiel. Der Natur einfach trotzdem ihren Lauf zu lassen, wie im Bayerischen Wald geschehen, war vielen angrenzenden Waldbesitzern, die mit dem Holzhandel ihren Lebensunterhalt verdienen, nicht leicht zu vermitteln. Im Gegensatz zu weitläufigen Naturlandschaften, wie der sibirischen Tundra oder dem Regenwald im Amazonas, leben an den Rändern unserer Nationalparks viele Menschen und noch mehr Urlauber suchen in den 18 deutschen Nationalparks nach Erholung. Die Parkverwaltung hatte deshalb die schwierige Aufgabe, einen verträglichen Ausgleich zwischen Mensch und Natur zu schaffen und die Interessen von Einheimischen, Urlaubern, Landwirten, Fischern, Seglern, Parkführern, Wissenschaftlern und vielen anderen in Einklang bringen zu müssen. Und siehe da: Es gelang.
Kein Individualverkehr
Die Lage des Parks entlang der bayerisch-böhmischen Grenze zwischen Bayerisch Eisenstein und Grafenau ermöglicht eine bequeme Zuganfahrt über Zwiesel. Von dort verkehren während der Saison von Mai bis November regelmäßig Gasbusse in den Park zu den Wandergebieten und Besuchereinrichtungen. In der Saison sind die Stichstraßen im Nationalpark tagsüber für den Individualverkehr gesperrt. Und wer nicht so gut zu Fuß ist, kann an großen Gehegen und Volieren mehr als 30 im Bergwald heimische Tiere beobachten. Ganz bequem und sogar Wolf, Bär und Wisent sind dort zu sehen.
MIT DEM RANGER IM WALD
Diesen einmaligen Urwald in Deutschland kann man auf ganz besondere Weise erleben: bei einer stimmungsvollen, rund zweistündigen Wanderung mit einem Ranger. Bei diesen geführten Wanderungen, vom »Zwiesler Waldhaus« ausgehend, erlebt man zum einen die Wildnis in den einzigartigen Urwaldresten am Fuße des Großen Falkensteins. Die Besucher spüren die Kraft der uralten mächtigen Bäume und den ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens. Zum anderen bietet die Wanderung aber auch interessant vermittelte Umweltbildung direkt vor Ort. Die Kosten für diese Führung trägt deshalb die Nationalparkverwaltung. Für die Führung ist auch keine Anmeldung erforderlich. Treffpunkt am »Zwiesler Waldhaus«, am Parkplatz P1, Infopavillon, Waldhausstraße, 94227 Lindberg, jeweils montags, 10.30 bis 12.30 Uhr.
MEHR INFORMATIONEN
Die Sommersaison dauert vom 15. Mai bis 4. November. Es wird kein Eintritt erhoben, selbst die Tierfreigelände können kostenfrei besucht werden. Für Fragen zum Nationalpark oder zu weiteren Führung steht werktags von 8 bis 17 Uhr (Wochenende und Feiertage 8 bis 13 Uhr) die kostenfreie Servicenummer Tel. 0800 / 077 66 50 zur Verfügung.
www.nationalpark-bayerischer-wald.bayern.de.
2
BAROCKES GESAMTKUNSTWERK – PASSAU
DIE DREI-FLÜSSE-STADT
Jeder lernt es im Erdkundeunterricht: Wo Donau, Inn und Ilz beinahe an einer Stelle zusammenfließen, dort liegt Passau, die Drei-Flüsse-Stadt. Ihre Altstadt ruht wie gemalt auf einer Landzunge zwischen den beiden großen Strömen, die am Drei-Flüsse-Eck endet.
EINE STADT, DREI FLÜSSE: DER HELLE INN, DIE DUNKLE DONAU UND DIE MOORBRAUNE ILZ, VON LINKS NACH RECHTS GESEHEN.
Und wo ist die Ilz? Diese Frage hört man jeden Tag, ganz vorne an der Spitze des Drei-Flüsse-Ecks, welches das Ende der Passauer Altstadt markiert, die von ihrem Dom St. Stephan, 1407 begonnen und erst im 17. Jahrhundert vollendet, dominiert wird. Die Ilz, das ist das kleine, schmale Flüsschen, dunkel und moorbraun in der Farbe, das von Norden kommt, wo über dem linken Donauufer auf dem steilen Georgsberg die Veste Oberhaus thront, die ab 1219 errichtete Trutzburg der Passauer Fürstbischöfe. Dort verschanzten sich die Domherren, wenn die Bürgerschaft den Aufstand probte. Was immer wieder mal passierte seit 739, dem Jahr als Passau zum Bischofssitz wurde. Mit 65.000 Quadratmetern umbaute Fläche gehört die Veste zu den größten Burganlagen Europas. Heute findet sich darin das Oberhausmuseum, Passaus durchaus interessantes städtisches Museum.
Auch Irrtümer hört man jeden Tag am Drei-Flüsse-Eck. Denn häufig wird die Donau mit dem Inn verwechselt. Ist der Inn an dieser Stelle doch der deutlich mächtigere Strom. Und obwohl Hauptfluss, muss sich die Donau auch gefallen lassen, dass der Inn seine graue Farbe gegenüber der braungrünen Donau zunächst auch durchsetzt. Dies hängt neben der zeitweise sehr großen Wassermenge des Inns – etwa nach der Schneeschmelze – hauptsächlich mit der stark unterschiedlichen Tiefe der beiden Gewässer zusammen: Die Donau ist gerade mal 1,90 Meter tief, der Inn dagegen 6,80 Meter! Und somit überströmt der Inn die Donau einfach.
Von den Alpen, also von Süden kommend, hat der Inn auch die stärkere Strömung und ist bei seiner Mündung stolze 80 Meter breiter als die bei Passau noch recht schmächtige Donau mit gut 120 Metern Breite. Der nach der Wolga längste Strom Europas hat bis Passau 624 Kilometer hinter sich gebracht – der Inn bringt es bei seiner Mündung aber nur auf 517 Kilometer Länge, weshalb er ab Passau seinen Namen abgeben muss. Und die Donau wird ab Passau noch 2226 Kilometer fließen und viele Flüsse aufnehmen, ehe sie ins Schwarze Meer mündet.
SIE THRONT ÜBER DER DREI-FLÜSSE-STADT: DIE VESTE OBERRHAUS. MITTEN IM ZENTRUM BEFINDET SICH DAS »SCHARFRICHTER-HAUS«, EINE DER BESTEN ADRESSEN IN DEUTSCHLAND FÜR KABARETT.
Die Einzige und die Größte
Passau ist eine Stadt, für die wie in der Immobilienbranche das Motto gilt: zweite Reihe, erste Wahl. Die barocke Altstadt wurde von italienischen Meistern im 17. Jahrhundert geschaffen, St. Stephan wartet mit dem Superlativ der größten Domorgel der Welt auf und beim Bummel paaren sich Charme und Schönheit, Geschichte und Kultur, Kunst und Erlebnis. Romantische Plätze und lange Flusspromenaden, verwinkelte Gassen und barocke Häuser zeugen von der bewegten 2000-jährigen Geschichte. Deshalb kann es im Sommer, wenn die Flusskreuzfahrtschiffe aus Budapest, Wien oder auch nur von Linz an insgesamt 37 Liegeplätzen anlegen, auch schon mal voll werden, denn beinahe alle wollen die Schokoladenseite der Stadt sehen: den Zusammenfluss der drei Flüsse mit Altstadt und Dom im Hintergrund.
Damit man beim Besuch in Passau keine Fragen am Drei-Flüsse-Eck stellen muss: Die drei Flüsse kommen tatsächlich aus drei Himmelsrichtungen – aus dem Westen die Donau, aus dem Süden der Inn und aus dem Norden die Ilz. Und das Drei-Flüsse-Eck ist weltweit tatsächlich die einzige Stelle, wo sich drei Flüsse aus drei Himmelsrichtungen kommend vereinen und gemeinsam in die vierte, nämlich nach Osten, weiterfließen. Vielleicht können Sie ja dann auch mal vor Ort die Wo-ist-die-Ilz-Frage eines Besuchers gönnerhaft und galant beantworten.
IM HAUS DES SCHARFRICHTERS
Passau haftet bundesweit immer noch ein wenig das Image einer erzkonservativen Stadt an. Das hat sich längst geändert. Aber aus der klerikal-schwarzen Zeit stammen die Ursprünge vom »ScharfrichterHaus«, bis heute eine der besten Adressen Deutschlands für Kabarett und zuvor, ab 1331, wirklich Wohnhaus des Scharfrichters. Seit 1977 urteilen auf der Altstadtbühne aber Kabarettisten wie der Lokalmatador und Träger des Deutschen Kleinkunstpreises, Sigi Zimmerschied, und andere bundesweit bekannte Kollegen, die scharfzüngig Politik und Provinzmuff, Korruption und Klerikalismus anprangern. Einmal im Jahr wird dort auch das »ScharfrichterBeil« vergeben. Preisträger waren unter anderem Andreas Giebel, Günter Grünwald, Hape Kerkeling oder Urban Priol.
MEHR INFORMATIONEN
Tourist-Informationen: Bahnhofstraße 28 und Rathausplatz 2, 94032 Passau; www.passau.de; www.scharfrichter-haus.de; www.oberhausmuseum.de.
3
KÜNSTLERPARADIES IM BLAUEN LAND
BLAU LIEGT IN DER LUFT
Wassily Kandinsky, Franz Marc, Gabriele Münter und Co. zog die Atmosphäre in ihren Bann, denn die Gegend um Murnau mit dem Staffel- und dem Riegsee wird bestimmt durch wechselnde Lichtstimmungen, wie sie die Maler des Blauen Reiters liebten und Künstler bis heute lieben. Ein Besuch im Blauen Land in Oberbayern.
WIE EIN SPIEGEL IN WUNDERBAREM BLAU:
DER STAFFELSEE IM BLAUEN LAND.
Es war nicht ein Weißbier zuviel. Es waren auch keine Halluzinationen. Und dennoch traute Michael Rapp seinen Augen nicht. Auf dem Riegsee hatte sich ein 100 mal 30 Meter großes Stück Festland eigenständig gemacht! Es brach aber nicht in sich zusammen, sondern schipperte nun friedlich als Insel über den See – samt seiner Bäume und Sträucher! »Wenn man das sieht, wird einem ganz anders«, sagt der ehemalige Murnauer Bürgermeister. Als seien die Seen Konkurrenten, wollte der Staffelsee ebenfalls punkten. Gefunden wurde ein riesiger Süßwasserschwamm. Ein einzigartiger Fund in Europa, denn nur im Baikalsee existieren weltweit noch andere Süßwasserschwämme.
In Sachen Kunstgeschichte war der Staffelsee freilich schon immer Primus. Für ihn und seine umliegenden Moore interessierte sich die Künstlerkolonie des Blauen Reiters, die 1911 von Wassily Kandinsky und Franz Marc gegründet wurde. Ihr Ziel war die Befreiung von der erstarrten Tradition der akademischen Malerei. Die Landschaft inspirierte sie. Und so machten sie Murnau und das Blaue Land zum Geburtsort und bis heute zu einem Zentrum expressionistischer Kunst. An seine Ufer kamen Anfang des 20. Jahrhunderts aber nicht nur Maler, sondern auch Komponisten und Schriftsteller. Die Atmosphäre, die Kandinsky, Marc und Co. in ihren Bann zog, öffnete auch bei Literaten neue Sichtweisen. »Kasimir und Karoline« wurde an den Gestaden des Staffelsees geboren. Der Schöpfer, Ödön von Horváth, lebte zwischen 1923 und 1933 in Murnau, ehe er ins politische Exil musste. Der Dramatiker zählt zu den wichtigsten Repräsentanten des literarischen Expressionismus. Seine Theaterstücke und Romane sind gefärbt vom Blauen Land. Unter anderem entstanden dort »Zur schönen Aussicht«, »Glaube Liebe Hoffnung« und eben »Kasimir und Karoline«.
HEIM UND ATELIER DER KÜNSTLERIN: MÜNTER-HAUS IN MURNAU.
BILDER EINER KÜNSTLERREGION: MURNAU.
WO EIN KÄFER KÜHE TRIFFT
AUSFLUG ZUM »MÄRCHENKÖNIG«
Das Blaue Land ist verwunschen schön. Und trotzdem lohnt auch ein kleiner Abstecher, nur ein paar Kilometer weiter: hinter Oberammergau, ins Graswangtal, wo der scheinbar verrückte König der Bayern eines seiner Märchenschlösser erbauen ließ. Schloss Linderhof ist das einzige der Domizile Ludwigs II., das der Monarch auch nach seiner Fertigstellung erlebte. Ja, kann sein, dass der Mann verrückt war. Außen Rokoko, innen ein Rausch aus Gold und Samt, Kristall und Porzellan, Lapislazuli und Malachit – und dazu die Venusgrotte im Park. Dort ließ sich Ludwig im vergoldeten Muschelkahn über den unterirdischen See rudern. Auch in diesem Fall – hätte man die Szenen denn erleben dürfen – wäre es kein Weißbier zuviel gewesen und auch keine Halluzination, sondern einfach nur der blanke Wahnsinn.
MEHR INFORMATIONEN
Murnau liegt eine Autostunde südlich von München und ist über die A 95, aber auch per Bahn sehr gut erreichbar. www.dasblaueland.de, www.murnau.de, www.riegsee.de. Blaue-Reiter-Sammlung: www.schlossmuseum-murnau.de. Münter-Haus-Museum: www.muenter-stiftung.de. Pension »Hof Willibald« mit Riegsee-Zugang und kostenfreiem Ruderboot: www.hof-willibald.de
Die expressive Malerei
Bis heute lockt das Murnauer Moos, mit einer Fläche von mehr als 30 Quadratkilometern das größte zusammenhängende Moor Bayerns, Künstler an. Rita de Muynck ist eine von ihnen. »Ich arbeite in der expressiven Tradition mitten auf dem Land, wo Kandinsky und seine Schülerinnen ihren ersten Landmalaufenthalt abhielten«, sagt die gebürtige Flämin. »Es ist wahr, was Wassily Kandinsky meinte, das Licht hier sei für die Malerei sehr förderlich. Denn es hat starke, farbige Schlagschatten und ist auch an trüben Tagen intensiv. Die expressive Malerei musste geradezu hier entstehen.«
Vor einigen Jahren hat Rita de Muynck gefällte Linden, die auf dem Weg zum Münter-Haus in Murnau lagen, aufgekauft. »Diese Linden sind monumental, sie sind 110 Jahre alt und müssen Gabriele Münter und Wassily Kandinsky täglich ›gesehen‹ haben.« Sie legte mit dem Werk »2 Riesen« das »Baumgedächtnis« frei, wie de Muynck sagt, indem aus Teilen dieser Linden, die Porträts von Münter und Kandinsky geschnitzt wurden.
Der Lehrer und seine Geliebte
Kennengelernt hatten sich die beiden Künstler im Moos. Der Sommer 1902 war regnerisch. Frühs hingen die Nebelfetzen über den Seen, der Tau tropfte von den Bäumen. Mit dem Fahrrad ging es hinaus aufs Land, raus aus dem Atelier, Natur aufsaugen. Und der Herr Lehrer, Wassily Kandinsky, muss wohl zum Spaß nach der Lenkstange einer Schülerin gegriffen haben. Beide kamen zu Fall – und sich körperlich näher. Die Schülerin hieß Gabriele Münter und wurde seine Geliebte.
Das Blaue Land, das klingt poetisch, verwunschen und – passend. Häufig wirken die Seen und Moore, die Wälder und Wiesen, ja sogar die Alpenkette im Süden wie modelliert und mit weichem Blau getönt. Paul Klee sagte: »Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.«
Murnau ist mit südlichem Flair, Fußgängerzone, Straßencafés und Wirtshäusern mit frisch gebrauten, lokalem »Kargbräu« das Zentrum des Blauen Landes. Sieben weitere Orte, allesamt im Einzugsbereich der beiden Seen Staffel- und Riegsee gelegen, ergänzen die Region, in der Lüftlmalereien vor zackengekrönten Bergwänden als Kulisse ebenso zu sehen sind wie Mädchen im Dirndl und Buben in Lederhosen. Und da essen doch tatsächlich auch ein paar Männer mit Gamsbarthüten dicke weiße Würste und trinken Bier aus riesigen Maßkrügen – und das am frühen Morgen. Ein bisschen fühlt man sich wie Crocodile Dundee in New York: Es ist alles ein bisschen anders als zu Hause.
Baden im Naturschutzgebiet
Fast alle kommen aber auch wegen des Staffelsees mit seinen sieben Inseln. Er ist der ideale Badesee, denn der wärmste See Bayerns wird nicht von kalten Alpenzuläufen, sondern ausschließlich von warmen Moorbächen gespeist. Es gibt mehrere Badestrände und auf der »MS Seehausen« werden Rundfahrten angeboten. Besonders Seehausen mit seinem wunderbar traditionellen Ortsbild, in dem alte, schmucke Bauernhäuser zu finden sind, und Uffing mit zwei eigenen Strandbädern sind – ob mit dem Schiff, Auto oder Fahrrad – jeweils einen Stopp wert. Grafenaschau befindet sich direkt am Naturschutzgebiet Murnauer Moos, unterhalb dem Hohen Hörnle mit 1548 Metern Höhe: ein Idyll ohne Lärm und Stress. Was auch für Eglfing gilt: ein uriges Dorf mit Gehöften nebst Kirchlein mit Zwiebelturm, das wie Spatzenhausen zwischen dem Staffel- und dem Riegsee liegt.
Zur Gemeinde Riegsee gehören drei Dörfer und sechs Weiler. Der Riegsee selbst ist halb so groß wie der Staffelsee und noch urtümlicher. Manche Privatvermieter bieten einen eigenen Seezugang. See und Ufer sind zwar Landschaftsschutzgebiet, was sicherstellt, dass der Riegsee in seiner Natürlichkeit erhalten bleibt, aber das Baden ist trotzdem erlaubt.
Südlich liegt der noch kleinere Froschhauser See, dessen Ufer eingewachsen sind. Auch in diesem Moorsee ist das Baden am Badeplatz erlaubt, Boote, Surfbretter oder jegliche Art von Schwimmgeräten sind dagegen verboten.
UND FESCHE BUBEN WADENSTRÜMPFE TRAGEN.
EINE STADT UND IHRE TÜRME: DINKELSBÜHL MIT DEM MARKANTEN BÄUERLINSTURM …
4
ROMANTISCHES MITTELALTER – DINKELSBÜHL
ES WERDE LICHT
Die mauerbewehrte Altstadt mit Türmen und Toren, engen Gassen und weiten Plätzen, Wassergräben und Weihern geben einer der am besten erhaltenen mittelalterlichen Städte Deutschlands authentisches Flair mit viel Romantik und Mittelalter. Dinkelsbühl darf man mit gutem Gewissen das schönere Rothenburg ob der Tauber nennen.
… UND DEM VON FACHWERKHÄUSERN GESÄUMTEN MARKTPLATZ.
Romantik, was ist das nur? Jenseits von literatur- und kunsthistorischen Definitionen kommt das Bild von Rothenburg ob der Tauber einer Antwort sicherlich nahe: verschachtelte Gässchen und gepflasterte Plätze, verwunschen windschiefe Fachwerkhäuser, die mächtige Stadtmauer mit mittelalterlichen Türmen, besonders die Turmparade, jene fünf Türme, die auf 200 Metern Spalier stehen wie die Orgelpfeifen. Das ist Romantik – zumindest für viele. Und zwar im Wortsinn: In Rothenburg teilt man sich die romantische Welt aber leider auch mit Massen, ob morgens, mittags oder abends, ob im Winter oder Sommer, ob unter der Woche oder am Wochenende.
Auch Hexenprozesse gab es
In Dinkelsbühl ist das anders. Dinkelsbühl ist kein Hotspot für Amerikaner, Chinesen, Japaner. Das Städtchen ist auch kein Freilichtmuseum, keine Kulisse, sondern bietet lebendige Gegenwart gepaart mit alter Geschichte, aber trotzdem mit all den verschachtelten Gässchen, windschiefen Fachwerkhäusern, der mächtigen Stadtmauer und den mittelalterlichen Türmen. Wer durch den Rothenburger Torturm, der um 1390 entstand, die Stadt betritt, bekommt gleich einen Geschmack vom Mittelalter: Die Pechlöcher dienten der Wehrhaftigkeit und oben im Turm befanden sich einst Gefängnis sowie Folterkammer. Und auch in Dinkelsbühl gab es Hexenprozesse und -verbrennungen. Spätestens bei dieser Faktenlage wird deutlich: Romantik hat mit dem Mittelalter nichts zu tun. Nur für die Touristen der Gegenwart wirkt das Mittelalter romantisch, wobei die Epoche der Romantik ja erst im 18. Jahrhundert aufkam. Trotzdem fragen sich auch in Dinkelsbühl manche Besucher, ob die schnuckeligen Häuschen denn auch wirklich bewohnt seien? Dinkelsbühl wirkt weniger gekünstelt und weniger kitschig als Rothenburg. Vielleicht weil die Stadt auch weitgehend unbeschadet durch den Zweiten Weltkrieg gekommen ist, während der Rivale bei Bombenangriffen ein Drittel der ursprünglichen Altstadt verloren hat? »Ja, die meisten Häuser sind bewohnt«, sagt Ingrid Metzner, die langjährige Leiterin vom »Haus der Geschichte« in Dinkelsbühl . »Und in vielen Häusern wird immer noch gearbeitet, wie in diesem 500 Jahre alten Patrizierhaus.« Dinkelsbühl war schließlich eine