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Terrafutura: Gespräche mit Papst Franziskus über Ökologie, Migration und soziale Gerechtigkeit
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eBook227 Seiten2 Stunden

Terrafutura: Gespräche mit Papst Franziskus über Ökologie, Migration und soziale Gerechtigkeit

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Über dieses E-Book

Der Agnostiker Petrini und Papst Franziskus: Gespräche zu politischen Themen


Carlo Petrini, der Begründer der Slow-Food-Bewegung und Initiator des internationalen landwirtschaftlichen Netzwerks Terra Madre, hat mit Papst Franziskus in den letzten Jahren drei lange Gespräche geführt, die von Anfang an in Buchform erscheinen sollten. Die beiden auf den ersten Blick vielleicht ungleichen Männer eint nicht nur eine große gegenseitige Sympathie, sondern auch ein tiefes Engagement für Mensch und Umwelt. So sind diese Gespräche auf Augenhöhe überraschend, bewegend, manchmal nachdenklich, manchmal schnell und immer wieder amüsant. Die Gespräche fußen auf der Enzyklika Laudato si' von 2015, über die der Papst sagt, sie sei eher eine Sozial- als eine Umwelt-Enzyklika. Es geht um Dialog und Aufrichtigkeit, ohne die keine Gemeinschaft entstehen kann, um die Verbindung von unserem Wohlergehen mit dem der Natur, um die fatalen Auswirkungen unseres Wirtschaftssystems, um Umweltzerstörung, um Migrationsbewegungen und die Gründe dafür, um die Notwendigkeit eines radikalen Umdenkens und immer um die Frage, wie wir es besser machen können. Ein unglaublich berührendes, motivierendes und anregendes Buch.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotpunktverlag
Erscheinungsdatum22. Sept. 2021
ISBN9783858699336
Terrafutura: Gespräche mit Papst Franziskus über Ökologie, Migration und soziale Gerechtigkeit

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    Buchvorschau

    Terrafutura - Carlo Petrini

    Dialog vom 30. Mai 2018

    Carlo PetriniIch habe Ihnen etwas mitgebracht, ein Buch, das ich gemeinsam mit José »Pepe« Mujica und Luis Sepúlveda verfasst habe. Es heißt Vivere per qualcosa (»Für etwas leben«).

    Papst FranziskusIch werde es gerne lesen.

    CWir sind drei etwas eigensinnige Persönlichkeiten, jeder mit seinen Besonderheiten, aber wir waren uns sofort einig. Wir schätzen uns gegenseitig sehr. Außerdem hege ich große Bewunderung für Pepe und Luis, weil sie außergewöhnliche Menschen sind, die ihr Leben dem aktiven Kampf für eine bessere Welt gewidmet haben. Sie haben gekämpft, ohne sich jemals von den Ereignissen unterkriegen zu lassen, und haben stets Rückgrat bewiesen.

    FPepe ist tüchtig, wirklich tüchtig, er hat öffentliche Ämter bekleidet, ohne sich die Finger schmutzig zu machen. Er ist immer Bauer geblieben!

    CEr ist ein Phänomen. Und auch Luis Sepúlveda ist eine großartige Persönlichkeit. Man hat uns gefragt, wofür es sich lohnt zu leben, und wir haben versucht, die Frage zu beantworten. Und wir waren uns einig, dass es sich tatsächlich für den Einsatz für eine gerechte Sache zu leben lohnt. So mühsam es auch sein mag, ist das doch die wahre Quelle des Glücks.

    FGut, ich danke Ihnen. Lassen Sie uns nun schauen, welche Geschenke ich für Sie mitgebracht habe: Dieses Buch ist ein Interview, das Dominique Wolton mit mir auf Französisch geführt hat; das hier ist die italienische Übersetzung.¹

    CWunderbar, danke, die italienische Ausgabe! Ich habe den französischen Text gelesen und war vom Inhalt sehr beeindruckt, wirklich sehr schön.

    FDie italienische Version habe ich selbst nicht gelesen. Aber dafür die französische, bevor sie in den Druck ging.

    CIch habe das Buch ganz auf Französisch gelesen und wunderbare Dinge darin gefunden. Besonders beeindruckt hat mich das, was Sie über Humor sagen.

    FHumor ist sehr wichtig!

    CSie sprechen oft davon, wie wichtig es sei, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und über sich selbst lachen zu können, über die eigenen Schwächen. In dem Band mit Wolton gibt es eine Passage, da sagen Sie, dass der Sinn für Humor auf menschlicher Ebene am weitesten heranreiche an …

    F… die Gnade. Für mich grenzt er an göttliche Gnade. Er ist in meinen Augen der erhabenste Zustand eines Menschen, an der Schwelle zu Gott. Nur ein Mensch, der eine bestimmte Ebene erreicht hat, kann Sinn für Humor haben. Dieses Buch ist ein kleines Andenken an das fünfte Jahr meines Pontifikats, in der Hoffnung, dass es nicht das letzte sein möge.

    CAußerdem findet sich dort noch das Zitat aus dem Gedicht von Thomas Morus, in dem er zu Gott betet und ihn bittet ihm zu helfen, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und stets über sich lachen zu können; ich fand das derart modern und tiefsinnig, dass ich, als Agnostiker, es mir zu eigen gemacht habe.

    Gut, Franziskus, lassen Sie uns beginnen. Die Idee zu diesem Interview ist aus unserer Begegnung vor einigen Monaten erwachsen, und ich danke Ihnen für diese wertvolle Bereitschaft. Wenn sich dieses Gespräch in Buchform bringen ließe, etwa in Verbindung mit einigen Ihrer bedeutendsten Reden der letzten Jahre, wäre das vielleicht eine gute Gelegenheit, um an das Erscheinen Ihrer Enzyklika Laudato si’ vor drei Jahren zu erinnern und die Gemeinschaften zu stärken, die im Namen der von Ihnen dargelegten Prinzipien überall in Italien und in der Welt entstehen und wachsen. Die Laudato-si’-Gemeinschaften sind lose Gruppierungen, die sich zu einer ganzheitlichen Ökologie und der konkreten Verantwortung für die Sorge um unser gemeinsames Haus bekennen. Es ist eine Aufforderung an alle, sich für den Schutz unseres gemeinsamen Erbes und den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten mitverantwortlich zu fühlen. Ich würde mich freuen, wenn dieses Interview auch Ihnen ein zusätzliches Instrument an die Hand gäbe, denn die Schaffung von Räumen für aktive Teilhabe und Austausch ist in meinen Augen heute wichtiger denn je. Wir müssen wieder zueinanderfinden, zusammenarbeiten und versuchen, Veränderungen im Kleinen zu bewirken, damit daraus die notwendigen globalen Veränderungen entstehen.

    FJa, ja, unbedingt.

    CIch würde tatsächlich gern mit der Enzyklika Laudato si’ beginnen. Ein Dokument, das den Rahmen des ökologischen und sozialen Diskurses verändert und das Denken der katholischen Kirche auf Bereiche gelenkt hat, die, zumindest auf höchster Ebene, bisher nicht vollständig im Blickfeld lagen. Nun, drei Jahre nach seinem Erscheinen, was hat Ihrer Meinung nach dieser Text bewirkt, auf allen Ebenen, auch unter den Nichtgläubigen? Vielleicht haben noch nicht alle seine inhaltliche Tragweite erfasst, aber aus intellektueller und moralischer Sicht geht er zweifellos an einen Punkt, von dem es kein Zurück gibt. Es handelt sich um ein außergewöhnlich kraftvolles Dokument, das tatsächlich den Ausgangspunkt für die Neubelebung des Denkens und Handelns bilden dürfte.

    FWenn wir über die Entstehung dieses Textes und seine Wirkung sprechen, erinnere ich mich an einen entscheidenden Augenblick, der erklären kann, was danach geschehen ist. Zunächst muss ich relativieren, dass nicht ich allein die Enzyklika geschrieben habe. Ich habe Wissenschaftler und Gelehrte hinzugezogen, die sich lange mit den Problemen auseinandergesetzt und mir sehr geholfen haben, Klarheit zu schaffen. Hinzu kamen Theologen und einige Philosophen, auch sie äußerst wertvoll. Mit all diesem Material habe ich an der Endfassung des Textes und an seiner Struktur gearbeitet. Aber Laudato si’ bleibt das Ergebnis der Arbeit vieler Personen.

    Einige Zeit vor dem Abschluss dieser Arbeit bin ich nach Straßburg gereist und habe dort Ségolène Royal getroffen, seinerzeit Umweltministerin in der französischen Regierung. Präsident Hollande hatte sie stellvertretend für sich geschickt. Die Ministerin zeigte sich bei der Begrüßung wie beim Abschied als sehr interessiert an dem Schreiben, von dem zwar bekannt war, dass es sich in Arbeit befand, für das es aber keine Vorschauen gab, abgesehen von einigen Verweisen auf die Themen des gemeinsamen Hauses und der sozialen Gerechtigkeit. »Sie schreiben also über diese Themen?«, fragte sie und ergänzte: »Das ist äußerst wichtig; es wird ein Text von großer Sprengkraft sein. Viele von uns warten schon darauf.« Damals ist mir zum ersten Mal der zentrale Stellenwert dieses Textes und seine Bedeutung für die von ihm berührten Themen klar geworden. Bis dahin ahnte ich nicht, welch Aufsehen er erregen würde, aber da habe ich gemerkt, dass die Erwartung wuchs und man auf eine starke Stimme in diese Richtung hoffte. Es ist dann gut gelaufen: Nach dem Erscheinen der Enzyklika habe ich gesehen, dass die Mehrheit derer, denen das Wohl der Menschheit am Herzen liegt, sie gelesen haben und sie befürworten, sie nutzen, kommentieren und zitieren. Ich denke, dass sie praktisch weltweit akzeptiert worden ist.

    CSie sagen also, dass dieses Interesse an Umweltthemen auch auf persönlicher Ebene mit der Zeit gereift ist. Ich erinnere mich, dass Sie mir am 1. Oktober 2013, nachdem wir eine Woche zuvor telefoniert hatten, einen Brief geschrieben haben. Sie schrieben, Terra Madre, unser Netzwerk aus Bauern, Fischern, Handwerkern, Köchen, Forschern, Indigenen, Pastoren, das 6000 Gemeinschaften in weltweit 170 Ländern umfasst, gehe sehr eng mit dem Thema der Nutzung und Bewahrung der Schöpfung einher. Als dann, fast zwei Jahre später, die Enzyklika erschien, vermutete ich, dass Sie vielleicht bereits damals, 2013, die Idee hatten, Franz von Assisi auf diese Weise zu interpretieren. Ja, ich war davon überzeugt.

    F2013 eigentlich noch nicht. Oder, besser gesagt, war es ein langer Prozess, der 2013 bereits seinen Anfang genommen hatte. Ich erinnere mich, wie ich 2007, als Bischof von Buenos Aires, an der V. Generalkonferenz des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik in Aparecida, Brasilien, teilgenommen habe und mit welchem Nachdruck die brasilianischen Bischöfe über die großen Probleme des Amazonasgebietes sprachen. Bei jeder Gelegenheit kamen sie auf dieses Thema, legten wortreich die Auswirkungen auf die Umwelt und die sozialen Folgen der aufgeworfenen Probleme dar. Ich kann mich gut erinnern, dass mir dieses Verhalten auf die Nerven ging und ich sogar kommentierte: »Diese Brasilianer machen uns noch ganz verrückt mit ihren Reden!« Damals habe ich nicht begriffen, weshalb sich die Bischofskonferenz dem Thema Amazonien widmen sollte, mich beschäftigte das Wohl der grünen Lunge der Erde kaum, oder zumindest verstand ich nicht, was das mit meiner Rolle als Bischof zu tun hatte. Im Lauf der Stunden sah sich das Redaktionsteam für das Abschlussdokument auch von Kolumbianern und Ecuadorianern mit immer weiteren Anregungen zu dem Thema konfrontiert. Ich war nach wie vor der Ansicht, man solle sie außer Acht lassen, und hatte kein Verständnis für dieses Drängen und diese Beharrlichkeit. Seit jenem Jahr ist viel Zeit verstrichen und ich habe meine Wahrnehmung der Umweltproblematik komplett verändert. Damals wollte ich nicht begreifen, sieben Jahre später habe ich die Enzyklika geschrieben.

    CWelch wunderbare Geschichte! Glauben Sie, dies ist mit ein Grund dafür, dass ein Teil der Kirche die Ideen der Laudato si’ nur langsam verinnerlicht hat? Oder ist das nur mein persönlicher Eindruck?

    FIch gebe Ihnen recht, es stimmt. Und wie gesagt, habe ich diese Thematik anfangs selbst nicht verstanden. Als ich dann anfing, mich damit auseinanderzusetzen, habe ich ein Bewusstsein dafür entwickelt, habe den Schleier zerrissen. Ich glaube, man muss allen genügend Zeit zum Verstehen lassen. Gleichzeitig ist jedoch dringend ein Paradigmenwechsel geboten, wenn wir eine Zukunft haben wollen.

    CIch würde Sie jetzt gern noch etwas anderes fragen. Sie wissen, dass ich Agnostiker bin …

    FEin frommer Agnostiker. Sie haben Ehrfurcht vor der Natur, und das ist eine edle Haltung.

    C(lacht) »Frommer Agnostiker« ist eine gute Umschreibung, die muss ich mir merken. Ihre im Lauf des Pontifikats entstandenen Texte und Ihre Stellungnahmen haben mir gezeigt, mit welchem Nachdruck Sie fordern, dass auch Agnostiker, und ganz allgemein die Nichtgläubigen, Achtung vor dem Transzendenten haben sollten. Ich habe das verstanden und kann Ihnen nur zustimmen. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die beiden Welten, die gläubige und die säkulare Welt, weiterhin parallel nebeneinander existieren und große Mühe haben, sich aufeinander einzulassen und ernsthaft in Dialog zu treten. Auseinandersetzungen und gemeinschaftliches Handeln von Gläubigen und Nichtgläubigen sind nicht üblich, und das zu einem Zeitpunkt, da die großen vor uns liegenden sozialen und ökologischen Herausforderungen ein gemeinsames Engagement und die gemeinsame Anstrengung aller Menschen guten Willens erfordern würden. Es gelingt nicht, diese Interessenvereinigung zu schaffen. Vielleicht ist es auch ein Problem der Sprache und der Formulierungen. Ich will ein Beispiel nennen, das mir für die Schwierigkeiten des Zusammenwirkens besonders bezeichnend zu sein scheint: das von Ihnen 2016 ausgerufene Jahr der Barmherzigkeit. Die Welt der Nichtgläubigen hat dieses Ereignis nur sehr marginal wahrgenommen, obwohl das Thema zentral ist und alle dazu aufgerufen sind, daran teilzuhaben. Doch das Wort Barmherzigkeit ordnet man ganz und gar der katholischen Welt zu, und uns Nichtgläubigen gelingt es nicht, das kulturelle und politische Potenzial dieser Botschaft zu erfassen; wir erleben sie als etwas, das uns überhaupt nicht betrifft.

    FGenau dafür hatte Benedikt XVI. ein starkes Gespür. Zu dem letzten von ihm abgehaltenen interreligiösen Treffen in Assisi hatte er auch Agnostiker eingeladen, da sie uns, wie er sagte, etwas zu geben hätten. In seinen Augen sollten die Agnostiker zu allen Gläubigen sprechen, gleich, welcher Religion sie angehören. Benedikt hatte eine Intuition, mit der er eine neue Phase eingeläutet hat. Es wird Zeit brauchen, bis sie zur Entfaltung kommt, aber seit damals ist man auf der richtigen Spur. Ich glaube, dass das Problem der beiden Parallelwelten ein Erbe der Aufklärung ist, das wir auch dreihundert Jahre später noch immer mit uns schleppen. Man tut übrigens gut daran, zunächst zwischen den beiden Begriffen Laizität und Laizismus zu unterscheiden: Laizität ist ein gesunder Ansatz, Laizismus dagegen eine verschlossene, kindliche Haltung. Wir sind Kinder jener Sichtweise der Aufklärung, mit der die vollständige Trennung festgeschrieben wurde: Der Glaube ist weit weg, abstrakt, wir dagegen sind weltlich und haben damit nichts zu tun. Aber so ist es nicht. Wahre Laizität bedeutet transzendente Offenheit, anders geht es nicht. Wenn es anders wäre, nähme man dem Menschen die Möglichkeit, sich selbst zu transzendieren, sich der Welt und dem Anderen zu öffnen, sich in das hineinzuprojizieren, was außerhalb von ihm besteht. Jedes Werk der Solidarität bedeutet ein Sichöffnen gegenüber dem Anderen, dem Transzendenten. Aber wir sind mit der völligen Trennung der Sphären aufgewachsen und können uns nicht vorstellen, dass sie miteinander im Austausch stehen; dazu fehlen uns tatsächlich die geistigen Kategorien. Das ist ein grundlegender Fehler. Auch die Gläubigen, die offen für das Transzendente sind, müssen den agnostischen Humanismus verstehen, der nun einmal Realität ist. Es ist diese Ebene des Verständnisses, auf der sich ein Dialog führen

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