Fülle - Die schöpferische Kraft der Natur: Weisheiten einer Eremitin
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Über dieses E-Book
Als Einsiedlerin erlebt Maria Anna Leenen die Fülle von Leben, Lebendigkeit, Wachsen und Reifen in der Natur hautnah. Sie erzählt von ihren Beobachtungen, Erfahrungen und Emotionen und stellt diese in Zusammenhang mit Gottes Schöpfung. Dabei schildert sie den Jahreslauf, beginnend mit dem Aufbrechen des Frühlings und entwickelt ein Panorama von poetischer Kraft., in dem nichts verniedlicht oder banalisiert wird. Sie zeigt Chancen einer natürlichen Bewirttschaftung, aber auch Bedrohungen durch Klimawandel und Artensterben auf und schlägt den Bogen zu der Frage, was den Menschen antreibt, ihn aufblühen und Früchte tragen lässt. Abgerundet durch eine stimmungsvolle Schöpfungsmeditation ist das Buch Inspiration und Kraftquelle.
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Buchvorschau
Fülle - Die schöpferische Kraft der Natur - Maria Anna Leenen
Es ist noch nichts zu sehen. Nur mickrige, magere, gelbliche Grashalme, geknickt, zu Boden gedrückt, armselig. Dazwischen ein paar Stellen nackte Erde. Sie sind feucht vom letzten Rest des Schnees, dessen flächendeckende, strahlend weiße Haube sich zu einem letzten schmutzig-grauen Häufchen gefrorenen Wassers gewandelt hat. Nichts besonderes. Nichts, was die Aufmerksamkeit mehr als zwei Sekunden auf sich ziehen könnte. Der Himmel ist grau, die Bäume nebelnass und nur ein paar hungrige Buchfinken hoffen auf letzte Krümel der gehackten Erdnüsse. Es ist eine müde Winterendeimpression, mehr nicht. So müde, dass man annehmen könnte, Sonne, Wärme, Licht und Freude hätten sich auf einen anderen Planeten gerettet vor dem Trübsinn dieser Wochen. Es ist ja auch nichts zu spüren, zu sehen, es ist nichts wahrzunehmen an Lebendigkeit. Nur diese erschlaffte, diese ausgelaugte Trägheit und Mattigkeit. Also nichts. Oder? Doch, da ist doch etwas. Da sind plötzlich feine Risse in der Oberfläche des Bodens. Da leuchtet etwas kaum erkennbar, nur zu ahnen, sehr still, sehr verhalten aus dem Dunklen ins Helle. So verhalten, dass der Blick sich zu täuschen meint. Aber ja doch, da schiebt sich etwas empor, teilt die Erdoberfläche, teilt diese verletzliche Hülle, die vorher noch so ohne Leben, so verschlossen, so tot erschien.
Die Schöpfung beginnt das neue Jahr nicht mit Jubelschrei und blitzendem Böllerknall. Sie beginnt es still und verborgen, unscheinbar, ja unsichtbar und versteckt. In der obersten Schicht des Bodens wie in großen Tiefen; in Wurzelballen, Knollen und Zwiebeln wie in den langen Pfahlwurzeln der mächtigen Eichen, die bis zu vierzig Meter tief bis ins Grundwasser reichen können.
Es fällt kein Startschuss. Niemand gibt das Kommando. Aber was über Wochen und Monate abgedämmt, reduziert und runtergefahren war in Winterruhe und Winterschlaf, beginnt sich unmerklich zu regen. Eine verborgene Kraft, ein Ansporn, ein Impuls, tief und zuinnerst in allen Elementen der Schöpfung, treibt das Leben neu an. In jeder Knospe, jeder Wurzel, in Apfelkern und Grassamen ist es wie eine leise und doch kraftvoll zustimmende Antwort auf eine Art Ruf, erneut aufzuwachen aus Kälte und Starre zu Leben, zur Kraft, zum Wachstum und zur Fülle. Und auch wenn die Sonnenstrahlen noch zaghaft sind und ohne große Wirkung zu sein scheinen; auch wenn immer wieder Frost und letzte Winterstürme wie Gegner erscheinen, um den Impuls zu stoppen – nichts kann das allerorts beginnende Treiben und Drängen mehr verhindern. Alles gerät in Bewegung.
Noch ist es verhüllt, aber unbemerkt beginnt es vor allem unter unseren Füßen. Fast wie ein Spiegel des Universums darüber fängt es an im Boden zu arbeiten, wie ein Riesenapparat, wie ein unvorstellbar großer Organismus. Ein milliardenfaches Heer an Untergrundarbeitern stellt die Grundlagen zur Verfügung, um Wachstum zu ermöglichen. Diese Bodenbewohner zersetzen organischen Abfall, speichern Nährstoffe, filtern Schadstoffe heraus und wandeln sie zum größten Teil um in verwertbares Material. Springschwänze, Hornmilben, Regenwürmer, Asseln, Pilze, Amöben, Geißeltierchen, Tausendfüßler und Millionen und Abermillionen von verschiedenen Bakterien beleben, aktivieren, vitalisieren und fördern das neu aufbrechende Leben dieser ungemein kostbaren Haut des Planeten. Eine Haut, die sich in Prozessen von Millionen von Jahren gebildet hat.
Fast alle Pflanzen auf der Landfläche dieser Erde sind auf die unermüdliche und lautlose Untergrundarbeit dieser oft nur mikroskopisch kleinen Zulieferer angewiesen. Mehr als dreiviertel aller Pflanzen auf diesem Planeten könnten zum Beispiel ohne Partnerschaft mit einem Pilz im Boden nicht existieren. Unermüdlich und hochsensibel lebt und wirkt es unsichtbar in allen Schichten der Erdkruste. Hochsensibel geht es zu, aber auch immer friedlich? In allen tiefen Lagen, kurz vor dem Beginn der Gesteinsschicht genau wie in verschiedenen Bereichen der Erdoberfläche, scheint der Kampf um Nährstoffe, um Wasser, Licht und Sauerstoff zum Leben präsent zu sein. Ob in Sand-, Schluff-, Tonoder Lehmboden, ob basisch oder sauer, ob trocken oder sumpfig, ob Bakterium, Pflanze oder Tier – alles drängt mit Macht zum Leben. Für menschliche Augen sieht es oft aus wie ein erbarmungsloser Kampf. Doch wird darin ein Prinzip der Schöpfung sichtbar: Alles ist ein Kreislauf, nichts geht wirklich verloren, nichts lebt auch nur für sich allein, alles ordnet sich dem großen Ganzen, dem Ziel eines Lebens in Gemeinschaft auf diesem Planeten unter. Auch die tierischen Elemente, die der Mensch aus seinem Wirkungsbereich, sei es in der Landwirtschaft, im Schrebergarten oder in dem Fleckchen Grün vor der Haustür, nur zu gern verbannen möchte, auch sie haben einen Sinn, eine Aufgabe, sind wertvoll und nützlich im großen Ganzen der Schöpfung. So wie die Asseln, diese ungeliebten Krebstierchen, die wir aus den feuchten Kellerecken so gern vertreiben. Sie gehören im Boden zu den hervorragendsten Zersetzern in der oberen Laub- und Totholzschicht. Die im Gemüsebeet meist unerwünschten Nematoden kommen mit ihren mehr als 20.000 Arten in fast allen Ökosystemen der Welt vor. Die auch als Älchen bezeichneten winzigen Würmchen können in Wurzelsysteme eindringen und großen Schaden anrichten: vor allem in denen geschwächter Pflanzen, die auf geschädigtem Boden mehr schlecht als recht gewachsen sind. Zugleich sind einzelne Stämme dieser Fadenwürmer in der biologischen Schädlingsbekämpfung ein höchst wirksamer Gegenspieler des Dickmaulrüsslers, des Apfelwicklers oder auch der von verschiedenen Schnecken. Das sind nur einige der bodenbewohnenden Untergrundarbeiter, an denen aber beispielhaft deutlich wird, wie vielfältig, wie unterschiedlich und wie wichtig diese meist unsichtbaren Erdarbeiter