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Geist und Leben 2/2015: Zeitschrift für christliche Spiritualität
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eBook212 Seiten2 Stunden

Geist und Leben 2/2015: Zeitschrift für christliche Spiritualität

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Über dieses E-Book

Mit Beginn der österlichen Zeit legen wir das zweite Heft in neuem Gewand vor.
Der Bereich "Nachfolge" lädt mit ganz unterschiedlichen Perspektiven auf Bibel, Liturgie und Glaubenspraxis dazu ein, das eigene Christsein zu bedenken: Worauf verweisen textile Heiligtümer und ist ihre Verehrung noch möglich (Ulrich Lüke)? Sind wir heute anders "Diaspora" als die ersten Christ(inn)en (Hildegard Scherer)? Wie werden wir zu Zeitgenoss(inn)en Jesu in der Liturgie (Stephan Wahle)? Brauchen wir die Beichte (Peter Zimmerling)? Sind wir bereit "mit weniger Gepäck" und ungewissem Ausgang den Glaubensweg weiterzugehen (Ruth Stengel SMMP)?
In der "Reflexion" nimmt uns Karlheinz Ruhstorfer mit auf eine Reise durch die "Topologie der Spiritualität" von der Bibel ins Heute. Hermann Kügler SJ entwickelt Kriterien für "Nähe und Distanz in Beziehungen von Seelsorger(inne)n" und Andreas Schmidt antwortet mit weiterführenden Gedanken auf den Artikel zu "Mystik und Monismus" von Saskia Wendel in GuL 4 2014. Mareike Hartmann wirft "Theologische Blicke auf das Phänomen Tanz" und zwei Tagungsberichte bieten Einblick in "Stile und Dimensionen eucharistischer Frömmigkeit" (Heiko Wulfert) sowie Glaube und Willensfreiheit aus der Perspektive der Neurotheologie (Gertraud Leitner).
Im Bereich "Lektüre" legt Andreas Falkner SJ erneut eine Übersetzung aus dem Werk Michel de Certeaus SJ für GuL vor.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. März 2015
ISBN9783429062262
Geist und Leben 2/2015: Zeitschrift für christliche Spiritualität

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    Buchvorschau

    Geist und Leben 2/2015 - Echter Verlag

    Inhalt

    Heft 2 | April–Juni 2015

    Jahrgang 88 | Nr. 475

    Notiz

    „Als sie hinblickten" (Mk 16,4)

    Christoph Benke

    Nachfolge

    Einpacken oder Auspacken? Zur Verehrung textiler Heiligtümer am Beispiel Aachen

    Ulrich Lüke

    Christliches Leben in der Diaspora. Neutestamentliche Perspektiven

    Hildegard Scherer

    Nachfolge | Kirche

    Das Gedächtnis im Heute feiern. Zur existenziellen Bedeutung liturgischer Anamnese

    Stephan Wahle

    Renaissance der Beichte? Hintergründe und Perspektiven in der evangelischen Seelsorge

    Peter Zimmerling

    Nachfolge | Junge Theologie

    Pietà auf staubiger Straße. Expedition in die Brüche der eigenen Ordensexistenz

    Ruth Stengel SMMP

    Reflexion

    Topologie der Spiritualität

    Karlheinz Ruhstorfer

    „Hände weg oder „Revolution der zärtlichen Liebe? Nähe und Distanz in Beziehungen von Seelsorger(inne)n

    Hermann Kügler SJ

    Geboren aus Gott. Anmerkungen zum Artikel „Mystik und Monismus" von Saskia Wendel

    Andreas Schmidt

    „Mensch, lerne tanzen". Theologische Blicke auf das Phänomen Tanz

    Mareike Hartmann

    Stile und Dimensionen eucharistischer Frömmigkeit. Jahrestagung der AGTS 2014

    Heiko Wulfert

    Ist Gott ein Hirngespinst? Fachtagung für Exerzitien- und Geistliche Begleiter(innen)

    Gertraud Leitner

    Lektüre

    Ignatianischer Universalismus. Mystik und Sendung

    Michel de Certeau SJ

    Buchbesprechungen

    Anmerkungen

    Impressum

    GEIST & LEBEN – Zeitschrift für christliche Spiritualität. Begründet 1926 als Zeitschrift für Aszese und Mystik

    Erscheinungsweise: vierteljährlich

    ISSN 0016-5921

    Herausgeber: Deutsche Provinz der Jesuiten Chefredakteur: Christoph Benke

    Lektorats-/Redaktionsassistenz: Anna Albinus

    Redaktionsbeirat:

    Bernhard Bürgler SJ/Wien, Margareta Gruber OSF/Vallendar, Stefan Kiechle SJ/München, Bernhard Körner/Graz, Simon Peng-Keller/Zürich, Klaus Vechtel SJ/Frankfurt, Saskia Wendel/Köln

    Redaktion:

    Pramergasse 9, A–1090 Wien

    Tel. 0043–(0)1–310 38 43–111/112,

    redaktion@geistundleben.de

    Artikelangebote an die Redaktion sind willkommen. Informationen zur Abfassung von Beiträgen unter www.geistundleben.de. Alles Übrige, inkl. Bestellungen, geht an den Verlag. Nachdruck nur mit besonderer Erlaubnis. Werden Texte zugesandt, die bereits andernorts, insbesondere im Internet, veröffentlicht wurden, ist dies unaufgefordert mitzuteilen. Redaktionelle Kürzungen und Änderungen vorbehalten. Der Inhalt der Beiträge stimmt nicht in jedem Fall mit der Meinung der Schriftleitung überein.

    Für Abonnent(inn)en steht GuL im Online-Archiv als elektronische Ressource kostenfrei zur Verfügung. Registrierung auf www.geistundleben.de

    Verlag: Echter Verlag GmbH,

    Dominikanerplatz 8, D-97070 Würzburg

    Fon +49 (0)931–660 68–0, Fax +49 (0)931–660 68–23

    info@echter.de, www.echter-verlag.de

    Visuelle Konzeption: Atelier Renate Stockreiter

    Bezugspreis: Einzelheft € 11,80 (D) / € 12,20 (A)

    Jahresabonnement € 39,00 (D) / € 40,10 (A)

    Studierendenabonnement € 25,80 (D) / € 26,50 (A)

    jeweils zzgl. Versandkosten. Digitales Abonnement und weitere Angebote unter www.geistundleben.de

    Vertrieb: Zu beziehen durch alle Buchhandlungen oder direkt beim Verlag. Abonnementskündigungen sind nur zum Ende des jeweiligen Jahrgangs möglich.

    Auslieferung D/CH/A:

    Umbreit GmbH & Co., Höpfigheimer Straße 15, D-74321 Bietigheim-Bissingen

    AVA Verlagsauslieferung AG, Centralweg 16, CH-8910

    Affoltern am Alibs

    Buchzentrale GmbH, Kapitelplatz 6, A-5010 Salzburg

    Diesem Heft liegen folgende Prospekte bei:

    Zum Jahr der Orden, Verlagsgruppe engagement;

    Lebendige Seelsorge, Echter Verlag.

    Wir bitten um Beachtung.

    Notiz

    N

    Christoph Benke | Wien

    geb. 1956, Dr. theol. habil., Priester, Studierendenseelsorger, Schriftleiter von GEIST & LEBEN

    c.benke@geistundleben.at

    „Als sie hinblickten" (Mk 16,4)

    Die modernen Kommunikationsmittel verändern die Welt, genauer gesagt deren Wahrnehmung. Sie transformieren unseren Alltag. Sogar Gebärde und Gestus bleiben davon nicht unberührt: Viele Menschen blicken während des Gehens nicht mehr nach vorne, sondern schräg nach unten. Die Ursache dieser eigenartigen Körperhaltung ist das Display ihres Smartphones. Dorthin richten sich Blick und Aufmerksamkeit, die umgebende Welt samt Straßenverkehr und Passant(inn)en wird nur mehr aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Gelegentlich führt diese Einschränkung zu Kollisionen. Spätestens dann ist ein Aufblick unumgänglich.

    Als sich die Frauen „in aller Frühe zum Grab Jesu aufmachten, um den Leichnam Jesu zu salben, dämmerte es (vgl. Mk 16,1–4). Obwohl sie den Weg kannten, mussten sie wohl immer wieder auf den Boden blicken; die Sonne war eben erst aufgegangen (V. 2). Auch die Frauen waren gedanklich fokussiert, nämlich auf eine Sorge: „Wer könnte uns den Stein vom Grab wegwälzen? (V. 3) Vorstellbar ist, dass die berechtigte Sorge um den Zugang zum Inneren des Grabes ihre Wahrnehmung einschränkte. Als sie jedoch ankamen und innehielten, löste sich ihre Unruhe auf: „Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war. (V. 4) Mit dem genauen Hinschauen beginnt das Lernen dessen, was Ostern bedeutet. Das gilt für die Frauen um Jesus, aber darüber hinaus für jeden Menschen in der Christusnachfolge. Die christliche „Mystik der offenen Augen (Johann Baptist Metz) findet sich schon in den Osterevangelien.

    In der spirituellen Szene haben gegenwärtig zwei Begriffe Hochkonjunktur: Kontemplation und Achtsamkeit. Dieser Aufschwung bringt notwendigerweise gewisse Unschärfen mit sich. Beide Vollzüge sind religionsübergreifend „anschlussfähig und darüber hinaus auch für säkular denkende Menschen einleuchtend, weil sie Entschleunigung verheißen. Jedenfalls intendieren beide eine sorgfältige Wahrnehmung von Wirklichkeit. Der geduldige „Hinblick der Kontemplation misstraut dem Ersteindruck und auch noch dem Zweiteindruck. Er lässt Dinge sprechen und legt die Komposition eines Ereignisses geduldig auseinander, um dessen Vielschichtigkeit offenzulegen. Der Versuch einer Zusammenschau der Ebenen (lat. con-templari) sucht, den Gehalt zu bergen. Und wo Achtsamkeit im Sinne von Aufmerksamkeit verstanden und geübt wird, führt dies zu hochaktiver, gespannter Präsenz. Simone Weil sah darin Parallelen zum Gebetsakt.

    Jesus geht davon aus, dass der Blick eines Menschen auf die Welt und das Leben getrübt sein kann. Dem stellt er das „helle Auge gegenüber, das „dem Körper Licht gibt und ihn zur Gänze „erhellt (vgl. Lk 11,34–36). Im Tagesgebet der Osternacht betet die Kirche: „Gott, du hast diese Nacht hell gemacht durch den Glanz der Auferstehung unseres Herrn. Kontemplation und Achtsamkeit, christlich verstanden, üben den Blick. Sie trainieren das genaue, geduldige Hinschauen, um die Welt und das Leben im Licht von Ostern zu sehen. Das „helle Auge ist die Bereitschaft, Gott in allen Dingen zu suchen und sprechen zu lassen. Theologisch gesprochen: Durch Schöpfung und Erlösung ist der Wirklichkeit eine Offenbarungsqualität eingeschrieben. Sie hat sakramentale Struktur. Die gesamte Wirklichkeit trägt in sich die Möglichkeit, das gläubige Individuum ebenso wie die Kirche näher mit Gott zu verbinden. Dazu muss man sich aber der Wirklichkeit stellen und „hinblicken. Damit werden die Welt und das Leben nicht resakralisiert oder ihnen eine fromme Patina aufgezwungen, wo nichts Frommes ist. Dass irgendwo nur Diesseitigkeit herrscht, ist möglich.

    Nebenbei bemerkt: Ursprünglich, als es den „Smartphone-Blick" noch nicht gab, galt der Blick nach unten, zur Erde hin, als monastischer Gestus. Er sollte dem Menschen zur inneren Sammlung verhelfen sowie an die eigene Geschöpflichkeit und somit an die Demut erinnern. Daran ist ersichtlich, wie sich technischer, gesellschaftlicher und kultureller Wandel auf unsere Seh- und Hörgewohnheiten auswirkt. Dies hat wiederum etwas für Spiritualität zu bedeuten – mit ein Grund, warum die spirituelle Szene so vielgestaltig ist, wie sie nun einmal ist. GEIST & LEBEN will Anregungen zum genauen Hinschauen bieten und einer stets notwendigen Unterscheidung der Geister zuarbeiten.

    Nachfolge

    N

    Ulrich Lüke | Aachen

    geb. 1951, Priester, Professor für Systematische Theologie an der RWTH Aachen

    ulrich.lueke@kt.rwth-aachen.de

    Einpacken oder Auspacken?

    Gedanken zur Verehrung textiler Heiligtümer am Beispiel Aachen

    Nicht „alle Jahre wieder wie „das Christuskind, sondern nur alle sieben Jahre wieder kommt die Heiligtumsfahrt auf Aachen und Kornelimünster nieder, „wo wir Menschen sind".¹ 125 000 Wallfahrer(innen) haben sich im Jahr 2014 auf den Weg gemacht, um die gezeigten Textilen zu sehen. Und vielen von Ihnen stellt sich die Frage, ob das Auspacken dieser sogenannten Heiligtümer mehr ist als nur eine mittelalterliche Reminiszenz, ob das auch ein Zeichen für unsere Zeit ist.

    Die Zahl Sieben gilt als heilige Zahl, auch als magische Zahl. Sie ist eine Primzahl, also eine Zahl, die nur durch sich selbst oder durch eins teilbar ist, und zwar die größte Primzahl unter zehn. Die anderen Primzahlen unter zehn sind die Eins, die Zwei, die Drei, die Fünf und die Sieben. Alle sind sie auch mit religiöser Bedeutung aufgeladen: Die Eins steht für den einen, den einzigen Gott. Die Zwei steht für die zwei Naturen Jesu Christi, die göttliche und die menschliche Natur. Die Drei steht für den einen dreifaltigen Gott, den Vater, den Sohn und den Hl Geist. Die Fünf steht für die Essenz aus den vier Elementen des Mittelalters, als da sind das Wässrige, das Feurige, das Luftige und das Erdige; sie steht auch für die entscheidende Richtung zwischen den vier Himmelsrichtungen. Die Fünf steht als die Quintessenz, für das Essentielle, für das Begriffene. Die Sieben steht für die sieben Tage des Schöpfungswerkes Gottes, das Heptameron. Aber sie steht auch für die sieben Sakramente, die Zeichen der Verbundenheit von Gott und Mensch in der Heilsgeschichte. Auch im Märchen und in der Mythologie spielt die Sieben eine gewichtige Rolle „die sieben Raben, „die sieben Gaben, „die sieben Schwaben, „die sieben Geißlein, „die sieben mageren und die sieben fetten Jahre" in der Josefsgeschichte des Alten Testaments. Und schließlich spielt die Sieben mal Sieben, die 49, eine gewichtige Rolle: ihr folgt die Pentekoste, der fünfzigste Tag, für uns im Kirchenjahr das Pfingstfest, an dem sich die Osterzeit durch die Sendung des Hl. Geistes vollendet, an dem die Jünger ihre Sendung in die Welt erfahren.

    Es gibt sieben textile Heiligtümer in Aachen, vier im Aachener Dom und drei in der alten Reichsabtei und der heutigen Propsteikirche St. Kornelius. Weil sie ursprünglich alle zusammengehören, sollen sie auch zusammen in den Blick genommen werden. Alle sieben Jahre zeigen die Aachener alle sieben Sachen. Aber warum werden sie so lange vor unseren Augen verborgen? Warum lässt man sie nicht wie die Prachtstücke in einem Museum in einer sicheren Vitrine ganzjährig ausgestellt?

    Verdecken – Aufdecken – Entdecken

    Auch in einem Museum werden Teile des Bestandes, manchmal sogar besonders wertvolle Teile nur selten gezeigt und oft in wechselnden Konstellationen in anderen Museen präsentiert. Was man immer sehen kann oder zumindest sehen könnte, verliert leicht, selbst wenn es höchst bedeutsam ist, den Nimbus des Besonderen. Das Verhüllen und Enthüllen lässt uns anders, lässt uns erwartungsvoller, aufmerksamer hinschauen, – das ist der bei Männern wie Frauen gleichermaßen nachweisbare Striptease-Effekt.

    Vor Jahren wurde vom Künstler Christo der Reichstag in Berlin verhüllt. Millionen Menschen haben sich das als einzigartig empfundene Spektakel angeschaut. Anschließend wurden – auch zur Refinanzierung des Ganzen – Tuchstücke aus dieser Verhüllungsaktion wie profane Reliquien verkauft. Was war das Besondere an diesem Tuch? Es war, wie tausend andere auch, in einer Weberei in Emsdetten im Münsterland hergestellt worden, war also vom Material her nichts Außerordentliches oder Besonderes. Die Verhüllung verbarg das Gewohnte, den Reichstag, den man Abend für Abend auf dem Fernsehschirm sehen konnte und kann. Und es stellten sich gerade mit der Verhüllung Fragen ein: Was wäre, wenn es das Bauwerk nicht gäbe, wenn es 1933 den Reichstagsbrand nicht gegeben hätte und die sich daran anschließenden Ermächtigungsgesetze der Nationalsozialist(inn)en? Was wäre, wenn es heute diesen Ort der demokratisch-politischen Willensbildung, diesen Ort des Parlamentarismus nicht gäbe?

    In der Beilage Christ und Welt der Wochenzeitung Die Zeit gibt es eine Kolumne namens Der Atheist, der was vermisst … Da ersehnt jemand etwas, der nicht glaubt (oder das zumindest behauptet oder glauben machen möchte), da vermisst jemand eine Wirklichkeit, die sich anscheinend nur der/dem Glaubenden erschließt, wie z.B. eine Entwicklung zum Besseren, eine letzte ausgleichende Gerechtigkeit, eine umfassende Vergebung, eine letzte Sinndeutung, ein hoffnungsvolles Ziel der Geschichte. Gerade das, was fehlt, ist aber auf besondere Weise da. Etwas ist anwesend im Modus des Vermissens bzw. des Ersehnens.

    Lässt man die schnell in den Vordergrund geschobene Frage beiseite, ob diese Heiligtümer wirklich, also im Sinne von historisch belegbar, die Textilien Jesu, Marias, Johannes des Täufers waren oder nicht, ist so viel sicher: Diese Textilien sind Erinnerungsstücke, textile Hinweise auf etwas, wovon die Christ(inn)en behaupten, dass es auch in diesem historischen Sinne der Fall sei. Ein Textil verweist auf den Vorläufer und dem nach biblischem Befund entfernten Verwandten Jesu, auf Johannes den Täufer. Eines verweist auf Maria, seine Mutter. Fünf dieser Textilien verweisen auf Christus selbst. Letztlich verbindet sich das Zeichenhafte der Textilien also nicht mit den Textilien selbst, sondern mit den Personen, denen sie historisch zu Recht oder zu Unrecht zugeordnet werden; sie haben Verweischarakter auf Personen und deren Haltungen und Handlungen.

    Das Enthauptungstuch Johannes des Täufers

    Das als Enthauptungstuch Johannes des Täufers verehrte Tuch ist ein von allen vier Seiten umsäumtes, rechteckiges Tuch. Es besteht aus feinem Leinendamast. Von der Größe her ist es eher als das Grabtuch des enthaupteten Täufers anzusehen; denn es misst 282,2 mal 131,5 cm. Es ist auch erst seit dem 15. oder gar 16. Jh. als große Tuchreliquie belegt. Sein Aufbewahrungsort ist der Aachener Dom. Die Enthauptung Johannes des Täufers, der in der christlichen Tradition als Vorläufer Jesu gilt, und sein Begräbnis werden in Mk 6,17–29 berichtet. Von einem Begräbnis- oder Enthauptungstuch ist da jedoch nichts zu lesen.

    Was wäre, wenn es das, worauf das Enthauptungstuch Johannes des Täufers hinweist oder hinweisen soll, nicht gäbe, nämlich den Menschen im Widerstand gegen die Zügellosigkeit, gegen die Lüge oder gegen die Willkür der Macht? – Der Mensch wäre ohne das ein ganzes Leben einfordernde, existenzielle Bekenntnis zur Wahrheit und zur Gerechtigkeit. Da riskiert mit Johannes einer Kopf und Kragen für seine religiöse und ethische Überzeugung und wird quasi als gruseliger Partygag zum Schweigen und zur Strecke gebracht. Dazu ist ein Mensch fähig, gottlob nicht nur wie die Selbstmordattentäter zum Unheil anderer, sondern gerade

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