Auferstehung: Theologisch-praktische Quartalschrift 2/2022
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Buchvorschau
Auferstehung - Verlag Friedrich Pustet
Inhaltsverzeichnis
ThPQ 170 (2022), Heft 2
Schwerpunktthema:
Auferstehung
Ines Weber
Liebe Leserin, lieber Leser!
Hans Kessler
Wie Auferstehung denken?
1 Die Ostertexte des Neuen Testaments
2 Wie sind die Erscheinungen zu verstehen?
3 Was heißt „Auferstehung" und wie ist sie begründet?
Thomas Söding
Vom Tod zum Leben. Die Frauen der Osterevangelien – ein Vergleich, ein Versprechen, eine Verpflichtung
1 Beredtes Schweigen – Das Markusevangelium
2 Doppelter Auftrag – Das Matthäusevangelium
3 Klare Botschaft – Das Lukasevangelium
4 Zarte Worte – Das Johannesevangelium
Oliver Dyma
Von Gottes Hand abgeschnitten? Zwischen Schattendasein und Auferstehungshoffnung
1 Es gehet dem Menschen wie dem Vieh
2 Von der Klage zur Hoffnung (Ps 88)
3 JHWH als Gott des Lebens – auch des Todes?
4 Der Schöpfer ist für die ganze Wirklichkeit zuständig
5 Zwischen Urgeschichte und Heilsvision
Monika Prettenthaler
Befreit und aufgerichtet leben. Tod und Auferstehung Jesu als Thema des Religionsunterrichts
1 Tod und Auferstehung Jesu im Lehrplan
2 Ein Blick auf mögliche Zugänge von Schüler:innen zur Auferstehung Jesu
3 Auf Tod und Leben – wie Auferstehung thematisiert erschlossen werden kann
4 Neues aufgerichtetes Leben und Alltagsauferstehungen?
Erich Garhammer
„Mehr erwarten Sie nicht nach dem Tod?" Auferstehung literarisch
1 „Vorweggenommen in ein Haus aus Licht": Auferstehung in der Lyrik von Marie Luise Kaschnitz
2 Das Hoffen auf Auferstehung
3 Auferstehung heute und jetzt: Kurt Marti
4 Leben im Altenheim: gegen postmortale Fantasien
5 Auferstehung durch die Fußballsprache: Friedrich Christian Delius
6 Die Bibel hatte die Zunge gelähmt
7 Auferstehungserlebnis durch die Beichte: Helga Schubert
8 Arbeiten an der Auferstehungsgestalt: Irene Mieth
Andreas Peterl
Auf der Suche nach Transzendenz. Musik zu Passion und Auferstehung und ihre Rolle außerhalb der Liturgie
1 Ostern – Jesu Tod und Auferstehung in der Musik außerhalb der Liturgie – eine Spurensuche
2 Fazit und Ausblick
Abhandlung
Helena Stockinger
Konturen einer verletzlichkeitssensiblen Religionspädagogik
1 Bedeutung der Auseinandersetzung mit Verletzlichkeit
2 Kritische Reflexion religiöser Bildung unter Berücksichtigung der Verletzlichkeit
3 Zielsetzung und Gestaltung religiöser Bildung unter Berücksichtigung von Verletzlichkeit
4 Ausblick
ThPQ – nachgelesen
Isaac Kalimi
Frauenfiguren der Hebräischen Bibel im jüdischen Mittelalter. Anmerkungen zu deren Rezeptionsgeschichte
Literatur
Das aktuelle theologische Buch
Besprechungen
Eingesandte Schriften
Aus dem Inhalt des nächsten Heftes
Redaktion
Kontakt
Anschriften der Mitarbeiter
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser!
Manchmal feiern wir mitten im Tag
ein Fest der Auferstehung.
Stunden werden eingeschmolzen
und ein Glück ist da.
Manchmal feiern wir mitten im Wort
ein Fest der Auferstehung.
Sätze werden aufgebrochen
und ein Lied ist da.
Manchmal feiern wir mitten im Streit
ein Fest der Auferstehung.
Waffen werden umgeschmiedet
und ein Friede ist da.
Manchmal feiern wir mitten im Tun
ein Fest der Auferstehung.
Sperren werden übersprungen
und ein Geist ist da.
Das bekannte Kirchenlied (GL 472) bringt auf den Punkt, was Auferstehung auch meint: aufstehen, sich erheben, alte Wege verlassen und neue gehen, widerständig sein, Grenzen sprengen, sich und andere neu ausrichten. Damit ist Auferstehung kein einmaliger Akt, der sich nicht allein auf das Ende der Zeiten oder nur auf eine leibliche Auferstehung nach dem Tod bezieht. Auferstehung geschieht jeden Tag, mitten im Leben, überall dort, wo Menschen ihren Blickwinkel verändern, ihr Verhalten umsteuern, ihre Haltung neu ausrichten, wo sie geheilt und befreit zu neuem Leben aufbrechen. Jesu Sieg über den Tod bleibt so ein sich je neu ereignender Akt liebender, Verwandlung ermöglichender Zuwendung.
Es ist dieser Motivkreis, den unsere Autorinnen und Autoren aus ihrer jeweiligen Fachperspektive in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen rücken. So beleuchten die ersten drei Beiträge vor allem biblische Befunde. Den Auftakt macht der Würzburger Fundamentaltheologe und Dogmatiker Hans Kessler. Anhand der neutestamentlichen Texte – was dort berichtet, erzählt, inszeniert wird – verdeutlicht er, wie Menschen sich trotz oder gerade wegen Jesu Tod bei aller Hoffnungslosigkeit von Gott im Innersten ergreifen, berühren und verwandeln ließen, welch radikalen Bruch sie vollzogen haben und wie total sie umkehrten, um Jesus nachzufolgen und ihn zu verkünden. Dass ein solch vollständiger Wandel durchaus mit Schweigen beginnen kann und das Erzählen von der Frohbotschaft begründet verzögert geschah, zeigt der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding. Er rückt die Frauen als erste Zeuginnen der Auferstehung in den Mittelpunkt, womit er eine neue Perspektive der Interpretation der Auferstehungserfahrung eröffnet. Wie groß die Sehnsucht der Menschen nach Errettung – vor allem aus dem Tod – schon in alttestamentlicher Zeit war, verdeutlicht der Münsteraner Alttestamentler Oliver Dyma. Bestand ursprünglich die Vorstellung, JHWH hätte keinen Zugriff auf das Reich der Toten, so stellte sich nach und nach die Erfahrung Seines rettenden und erlösenden Eingreifens ein, womit Entwicklungslinien der Entstehung einer Auferstehungshoffnung skizziert werden.
Die drei folgenden Beiträge wollen das Schwerpunktthema unseres Heftes im Heute in den Blick nehmen. Dass der Religionsunterricht in der Oberstufe nicht allein bei der Darstellung des Auferstehungsgedankens stehen bleiben muss, führt die Grazer Religionspädagogin Monika Prettenthaler eindrucksvoll vor Augen. Weil das Thema Auferstehung im Unterricht zum Umdenken, zum Neudenken provoziert, weil es aufrüttelt und durcheinanderbringt, kann es für Schüler:innen zum Anstoß eines neuen Lebens, zu einem Auferstehungsereignis werden. Wie solche Erfahrungen im Alltag konkret geschehen, wie einzelne Menschen dadurch angestoßen sowohl körperliche als auch seelische Veränderung erfahren oder ein ganz neues Verhalten entwickeln, beschreibt der Würzburger Pastoraltheologe Erich Garhammer. Indem er der literarischen Verarbeitung des Themas nachgeht, fördert er eindrückliche Zeugnisse sehr persönlicher Auferstehungserlebnisse zu Tage, die unter die Haut gehen. Daran anschließend erläutert der Linzer Diözesan-Kirchenmusikreferent und Lehrer am Konservatorium für Kirchenmusik Andreas Peterl, wie existenzielle Fragen des Menschseins in der Musik verarbeitet werden. Überrascht aufhorchen lässt die Feststellung, zu welchen Jahreszeiten und in welchen Kontexten das Motiv der Auferstehung besser nicht mehr aufgegriffen beziehungsweise in welche Zeiten des Jahres es verschoben wird.
Unser Heft beschließt die Linzer Religionspädagogin Helena Stockinger mit Überlegungen zu Konturen einer verletzlichkeitssensiblen Religionspädagogik. Sie erweitert religiöse Bildung um diese in ihren Augen wichtige Dimension für die heutige Zeit.
Geschätzte Leserinnen und Leser!
„… mitten im Tag ein Fest der Auferstehung …" – dass sich ein solches ereignet, ist nicht primär Verdienst des einzelnen Menschen. Vielmehr ist es Gnadengeschenk Gottes, das unverdient zuteilwird. Wenn es sich jedoch ereignet, wenn aus Finsternis Licht, aus Tod Leben, aus Verzweiflung Hoffnung, aus Streit Frieden, aus Erstarrung Handeln, aus Sprachlosigkeit Rede, aus Enttäuschung Freude, aus Gefangenschaft Freiheit wird, kann es zutiefst lebensverändernd, heilend, erlösend sein, dazu ermutigen, diese Frohbotschaft zu leben, von ihr zu erzählen und sie damit weiterzugeben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine befreiende Lektüre.
Ihre
Ines Weber
(Chefredakteurin)
Hans Kessler
Wie Auferstehung denken?
¹
♦ Eines der größten Verdienste der historisch-kritischen Exegese ist zweifelsohne die Entdeckung und Erforschung der grundlegenden Bedeutung des Zeugnisses an die Auferstehung im Neuen Testament. Mit diesem Zeugnis begann alles und auf ihren Sinn-Horizont ist letzten Endes aller Glaube ausgerichtet. Hans Kessler, Prof. emeritus für Fundamentaltheologie und Dogmatik der Goethe-Universität Frankfurt, gehört zu den Pionieren der theologischen Reflexion von Auferstehung. In seinem Beitrag erschließt er in klarer, kompakter Darstellung die verschiedenen Ebenen der Ostertexte und legt für das vorliegende Themenheft gleichsam das Fundament für ein sachgemäßes Verständnis von Auferstehung. (Redaktion)
Fragen wir zuerst: Die biblischen Ostertexte – was sind das für Texte? Sodann: Wie sind die Erscheinungen zu verstehen? Und drittens: Was bedeutet Auferstehung und wie ist sie begründet.
1 Die Ostertexte des Neuen Testaments
Um nicht auf falsche Fährten zu geraten, muss man zunächst wissen, dass die Ostererzählungen der Evangelien gar nicht so alt sind (sie finden sich erst in der späteren Zeit zwischen 70 und 100 n. Chr.). Deutlich älter sind kurze Osterbekenntnisse, die sich in den ältesten Schriften des Neuen Testaments finden und auch dessen spätere Schriften durchziehen.
Man muss also im Neuen Testament zwei Textsorten über Ostern unterscheiden: 1. frühe kurze Osterbekenntnisse, 2. spätere Ostererzählungen, die dieses frühe Osterbekenntnis erzählerisch inszenieren und veranschaulichen.
1.1 Die frühen Osterbekenntnisse
a) Das älteste historisch greifbare Zeugnis von Ostern ist ein knappes eingliedriges Bekenntnis: „Gott hat Jesus von den Toten erweckt" oder meistens und ursprünglicher: „Gott, der Jesus von den Toten erweckt hat." Wahrscheinlich war die erste Rede von Jesu Auferstehung also Gotteslob, lobpreisende Antwort der Jünger:innen auf ihre Ostererfahrung: „(Gepriesen sei) Gott, der Jesus von den Toten erweckt hat".
Nun preisen Israeliten/Juden Gott, „der Himmel und Erde gemacht hat (Ps 115,15 u. a.), „der uns aus Ägypten befreit hat
(Ex 16,6 u. a.) und „der die Toten lebendig macht" (Achtzehnbittengebet 2). Genau solche Juden preisen jetzt auf einmal Gott als den, „der Jesus von den Toten erweckt hat. Sie sagen: „Jesus ist auferweckt
– von Gott (alles hängt an Gott).
Dieses kurze Bekenntnis geht bis in die Anfänge der Jerusalemer Urgemeinde um 30 n. Chr. zurück und durchzieht das gesamte Neue Testament, von den frühesten bis zu den spätesten Schichten (z. B. 1 Kor 6,14; 2 Kor 4,14; Gal 1,1; Röm 4,24; 8,11; Apg 2,32; 13,33 f.; 17,31; Mk 16,6 par; Joh 2,22; Kol 2,12 f.; Hebr 13,20; 2 Tim 2,8 und viele andere).
Nebenbei: Die Urgemeinde hat die Erweckung Jesu vom Tod von Anfang an nicht als Rückkehr auf die Erde verstanden, sondern als Erhöhung zu Gott, als Eingehen in die Dimension Gottes. Das zeigen andere frühe Aussagen wie „er ist erhöht, ist „zur Rechten Gottes
usw.
Wie kommen die Jünger dazu, von dem Jesus, der doch wie ein Aufrührer hingerichtet worden ist, zu sagen: „er ist auferweckt/erhöht"? Die Antwort gibt
b) eine frühe Erweiterung des Bekenntnisses „Jesus ist auferweckt: „und er erschien dem Kephas u. a.
.
Paulus zitiert (in 1 Kor 15,3–7) dieses erweiterte Osterbekenntnis, das er „übermittelt bekommen" hat. Wann? Vielleicht im Jahr 32 nach seiner Bekehrung vor Damaskus, in der dortigen Gemeinde (die er eigentlich zerstören wollte), oder drei Jahre später, als er zwei Wochen lang Petrus und Jakobus in Jerusalem besuchte (wie er Gal 1,17–19 berichtet).
In diesem frühen Bekenntnis heißt es: Christus „ist auferweckt und er „erschien dem Kephas, dann den Zwölf
, danach dem Jakobus, dann allen Aposteln. Dazwischen schiebt Paulus noch ein: Er erschien über 500 auf einmal (der Urgemeinde?), von denen die meisten noch leben (d. h. ihr könnt sie noch fragen). Und am Ende dieser Liste von Zeugen fügt Paulus hinzu: „zuletzt aber von allen, gleichsam wie der Fehlgeburt, erschien er auch mir."
Mit diesem „Christus erschien dem …" wird auf die Erfahrung hingewiesen, die den Osterglauben ausgelöst hat.
Am Anfang steht also ein knappes Bekenntnis, das den Osterglauben auf den Punkt bringt: Gott hat Jesus vom Tod erweckt (zu sich erhöht), und er ist etlichen Zeugen „erschienen". Ganz knapp, nüchtern, ohne alle Ausmalung.
1.2 Spätere Ostererzählungen
Dieses Osterzeugnis aus der frühen Urgemeinde wird später entfaltet in Ostererzählungen, die wir am Ende der Evangelien finden (zwischen 70 und 100 n. Chr.). Diese Erzählungen mit ihren bunten Details haben die Vorstellungen von Ostern in unseren Köpfen geprägt (und die Darstellungen in der westlichen Kunst seit etwa 1200, bis dahin gab es solche Bilder nicht, in den Ostkirchen gibt es sie bis heute nicht).
Diese Ostererzählungen sind keine historischen Erlebnisberichte, keine Reportagen der Osterereignisse, man darf sie nicht wie Zeitungsberichte lesen. Sie stammen nicht von Oster-Zeugen (denen „Christus erschienen" ist), sondern sind spätere erzählerische Inszenierungen des alten Osterbekenntnisses „Jesus ist auferweckt" und „er erschien dem Kephas usw.".
Die knappe Notiz „er erschien dem Kephas u. a." genügte dem Bedürfnis der Menschen nicht, sie wollten sich etwas vorstellen können. Diesem Verlangen geben die Erzählungen nach. Sie veranschaulichen das, was doch wesentlich unanschaulich ist: die Auferstehung und ihr Offenbar-werden.
Es sind sehr unterschiedliche Veranschaulichungen (je nach den Fragen der späteren Gemeinden und den Antwortversuchen der verschiedenen Evangelisten), unterschiedliche Inszenierungen, nach Art von Predigtgeschichten. Keine Erzählung gleicht der andern (man kann keine Synopse herstellen).
Wenn man diese Erzählungen fälschlich als Berichte auffasst, ergeben sich nicht harmonisierbare Widersprüche: bei Mk fliehen die Frauen vom Grab und erzählen niemand etwas, bei Lk (der den Mk-Text doch als Vorlage hat) melden sie alles den Jüngern; bei Lk die Emmausjünger, bei Joh Maria von Magdala und der ungläubige Thomas, bei Mt die Erscheinungen in Galiläa, bei Lk in Jerusalem usw., unvereinbare Szenarien.
Deswegen haben schon antike Christentumskritiker wie Kelsos und Porphyrios geurteilt, dass das alles nicht stimmen könne. Sie haben die predigtartigen Erzählungen eben als angebliche Erlebnisberichte aufgefasst, die einfach nicht übereinstimmen und deshalb nicht wahr sein können.
Hätten die Evangelisten selber ihre Ostererzählungen als historische Berichte aufgefasst, dann hätten sie nie so verfahren dürfen, dass z. B. Lk das Mk-Evangelium, das er ja als Vorlage hatte, derart abändert.
Aber es sind von den jeweiligen Evangelisten geformte predigtartige Erzählungen.² Das kann man beispielsweise sehr gut sehen, wenn man die drei aufeinander folgenden Erzählungen am Ende des Lk-Evangeliums nicht nacheinander schreibt, sondern nebeneinander (wie eine Synopse), dann erkennt man deutlich die Hand des Lukas in den dreimal wiederkehrenden Stilmerkmalen.
Nun gibt es bei diesen späteren Ostererzählungen zwei Arten: Grab-Erzählungen und Erscheinungserzählungen.
a) Erzählungen von der Osterverkündigung am Grab
Die älteste, auf der die andern fußen, ist Mk 16,1–8 um 70 n. Chr.: Frauen gehen zum Grab Jesu und erleben Unerwartetes: Das Grab ist geöffnet, der Grabstein weggewälzt, sie sehen einen weiß gekleideten jungen Mann oder Engel, der zu ihnen spricht, Schrecken erfasst sie, sie verlassen fluchtartig die Grabhöhle und sagen niemand etwas. Was ist das für ein Text?
Der Dogmatiker Walter Kasper schrieb 1974, dass hier „kein historischer Bericht vorliegt. Der Wunsch, einen beigesetzten Toten nach Tagen noch zu salben, „ist durch keine geläufige Sitte gedeckt und bei den klimatischen Verhältnissen Palästinas in sich widersinnig. Dass die Frauen erst unterwegs auf den Gedanken kommen, sie hätten eigentlich Hilfe nötig, um den Stein weg zu wälzen …, verrät ein mehr als erträgliches Maß an Gedankenlosigkeit. Wir müssen also annehmen, dass es sich hier nicht um historische Züge, sondern um Stilmittel handelt, die Aufmerksamkeit wecken und Spannung erzeugen sollen. Alles ist offensichtlich in recht geschickter Weise auf das lösende Wort des Engels hinkonstruiert.
³
Die Erzählung setzt die Osterbotschaft voraus und ist auf sie hinkomponiert (mit den Mitteln damaliger Entrückungserzählungen: „suchen und „nicht finden
, Schrecken). Ein erzählendes Evangelium muss die Osterbotschaft mit erzählerischen Mitteln verkünden, kann also nach der Erzählung von Kreuzigung und Grablegung nicht einfach ein Glaubensbekenntnis hinsetzen, sondern muss es in Form einer Erzählung umsetzen.
Die Osterbotschaft ist also jetzt dem himmlischen Boten in den Mund gelegt. Wo ein Engel (Bote) auftaucht, geht es um eine Botschaft von Gott her.
Der Deute- oder Verkündigungs-Engel (angelus interpres) ist schon in manchen Texten des Alten Testaments eine literarische Kunstfigur, die Offenbarung von Gott her anzeigen will. Auf diesen Verkündigungs-Engel greifen die Kindheits- und Ostererzählungen der Evangelien zurück, um Offenbarung von Gott her zu signalisieren.
So auch die Graberzählung bei Mk: Sie ist kein Erlebnisbericht, sondern verkündet erzählerisch die Botschaft „Jesus ist auferweckt. Man darf deshalb nicht von der literarischen Ebene direkt auf die historische Ebene springen und sagen: „Bitte, da steht’s doch! So war’s.
Wichtig ist: In dieser ältesten Grab-Erzählung löst die leere Grabnische gar nicht den Osterglauben aus (die Frauen fliehen ja erschrocken und sagen niemand etwas). Die Erzählung hält damit fest: Der Osterglaube wurde nicht durch ein leeres Grab ausgelöst, was allerdings spätere Ausgestaltungen in anderen Evangelien (und besonders im apokryphen Petrus Evangelium um 150 n. Chr.) immer mehr annehmen. Sie alle stört dieser abrupte Schluss des Mk-Evangelium: „die Frauen sagen niemand etwas". Dieser Schluss hat dann im 2. Jh. einen Abschreiber sogar so sehr gestört, dass er aus Stellen in Mt, Lk, Joh einen ihm passenderen sekundären Schluss zusammengefügt hat. Dass der nachträglich an das Mk-Evangelium hinzugefügt ist, geht aus den frühen Handschriften hervor.
Was soll der ursprüngliche Schluss des Mk-Evangeliums „die Frauen sagen niemand etwas"? Er soll die Leser zurückverweisen auf all das, was vorher im Mk-Evangelium über Jesus gesagt ist, nämlich: Dort ist alles Wesentliche gesagt. Es gilt auf ihn zu hören und seine Botschaft zu leben.
Exkurs: Musste das Grab Jesu leer sein?
Immer wieder wird behauptet, mit dem biblischen Verständnis von Auferstehung sei ein volles Grab nicht vereinbar; das Grab Jesu müsse leer gewesen sein.
Doch das trifft nicht zu, wie genaue Untersuchungen zeigen. Die wichtigste von Jürgen Becker kommt zu dem Ergebnis: „Das ständig ungeprüft wiederholte Argument, Christen konnten in Jerusalem Jesu Auferstehung